Lernstraße: „So wurde die Bibel“ - service.bistumlimburg.de
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UNTERRICHTSPRAXIS<br />
126<br />
Das Szenische Lesen macht sehr<br />
gut Textzusammenhänge und vor allem<br />
Entwicklungen und Beziehungen von<br />
Personen sichtbar. Oft zeigt <strong>die</strong> Metho<strong>de</strong><br />
unmittelbar, allein dadurch, dass wir<br />
uns <strong>de</strong>n Text im wörtlichen Sinn vor<br />
Augen stellen, wohin uns eine biblische<br />
Erzählung bewegen will.<br />
Bei <strong>de</strong>r Ergänzungsmöglichkeit<br />
durch eigene Gedanken und Gefühle<br />
muss <strong>de</strong>r Lehrer/<strong>die</strong> Lehrerin damit<br />
rechnen, dass bei <strong>de</strong>n Schüler/-innen<br />
bislang verdrängte innere Erfahrungen<br />
aufbrechen können. Der Lehrer, <strong>die</strong><br />
Lehrerin muss daher kompetent genug<br />
sein, junge Menschen zu begleiten, bei<br />
<strong>de</strong>nen persönliche Erfahrungen und<br />
Gefühle aufbrechen und behutsam und<br />
sensibel damit umgehen.<br />
Es ist zu<strong>de</strong>m schwierig und erfor<strong>de</strong>rt<br />
große pädagogische und psychologische<br />
Kompetenz <strong>de</strong>s Lehrers/<strong>de</strong>r<br />
Lehrerin, nach <strong>de</strong>r Darstellung <strong>de</strong>r Erzählung<br />
mit <strong>de</strong>n Schülern/-innen auszuwerten,<br />
welcher Art ihre eigenen<br />
Projektionen im Vergleich zum Text<br />
sind. Bei <strong>de</strong>r Ergänzungsmöglichkeit<br />
besteht daher <strong>die</strong> Gefahr, dass <strong>die</strong> subjektiven<br />
Äußerungen <strong>de</strong>r Schülerinnen<br />
und Schüler als Textbotschaft missverstan<strong>de</strong>n<br />
wer<strong>de</strong>n können.<br />
4. Praxisbeispiel: Der gestohlene<br />
Segen (Gen 27)<br />
Um <strong>die</strong> Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Szenischen<br />
Lesens zu illustrieren, soll abschließend<br />
ein Praxisbeispiel skizziert wer<strong>de</strong>n: Der<br />
„gestohlene Segen“ und seine Auswirkungen<br />
auf das Familiengefüge.<br />
Rollen: Isaak, Rebekka, Jakob und<br />
Esau.<br />
Das Szenische Lesen führt gut <strong>die</strong><br />
Verän<strong>de</strong>rungen im Familiengefüge vor<br />
Augen:<br />
– Die Ausgangsposition zeigt eine<br />
enge Beziehung zwischen <strong>de</strong>m Vater<br />
Isaak und <strong>de</strong>m Erstgeborenen<br />
Esau sowie eine zwischen Mutter<br />
Rebekka und <strong>de</strong>m Zweitgeborenen<br />
INFORMATIONEN 32 2/2003<br />
Jakob. Letztere setzt sich schließlich<br />
durch, weshalb <strong>de</strong>r Text mit<br />
<strong>die</strong>ser en<strong>de</strong>t; das spannungsreiche<br />
Geschehen entwickelt sich also auf<br />
<strong>die</strong>se Konstellation zu.<br />
– Der „Patriarch“ Isaak bewegt sich<br />
selber nicht vom Platz, son<strong>de</strong>rn lässt<br />
alle zu sich kommen; gera<strong>de</strong> dadurch<br />
ist aber sein Aktionsradius im Vergleich<br />
zu <strong>de</strong>m Rebekkas sehr klein.<br />
– Im Unterschied zu Isaak ist Jakob<br />
ständig in Bewegung, aber immer<br />
in Zuordnung auf Bezugspersonen<br />
hin (Rebekka, Isaak), in<strong>de</strong>m er <strong>die</strong><br />
ihm gegebenen Handlungsanweisungen<br />
ausführt. Die absolute Hörigkeit<br />
Jakobs auf Rebekka hin<br />
kommt in seinen Gesten sehr gut<br />
zum Ausdruck. Auch beim Vater tut<br />
er nur, was ihm gesagt wird.<br />
– Esau bewegt sich zunächst nur<br />
vom Vater her und auf <strong>de</strong>n Vater zu.<br />
Als ihm <strong>de</strong>r Vater nichts mehr zu<br />
geben hat, lebt er seine Aggression<br />
gegen <strong>de</strong>n Bru<strong>de</strong>r (eigenständig?)<br />
aus; er wen<strong>de</strong>t sich aber nicht gegen<br />
<strong>de</strong>n Vater.<br />
– Fast alle Impulse im Text gehen<br />
ausschließlich von Rebekka aus.<br />
Sie will auch <strong>die</strong> Folgen tragen (<strong>de</strong>n<br />
Fluch Gottes). Selbst am Schluss<br />
bemerkt sie als erste <strong>die</strong> Mordabsichten<br />
Esaus und weiß wie<strong>de</strong>r <strong>die</strong><br />
Lösung, <strong>de</strong>r Jakob folgen soll: <strong>die</strong><br />
Flucht zu ihrem Bru<strong>de</strong>r Laban.<br />
Diese Beobachtungen können im<br />
Gespräch aufgegriffen und zu <strong>de</strong>n Konsequenzen<br />
<strong>de</strong>s Betrugs weitergeführt<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
– Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Textes stehen alle Familienmitglie<strong>de</strong>r<br />
isoliert da:<br />
– Jakob ist auf <strong>de</strong>r Flucht.<br />
– Rebekka, <strong>die</strong> alles für ihren Lieblingssohn<br />
tat, bleibt alleine zurück,<br />
entfrem<strong>de</strong>t von ihrem Mann und<br />
von ihrem ersten Sohn, <strong>die</strong> sie bei<strong>de</strong><br />
hintergangen hat.<br />
– Esau ist draußen, vom Vater im<br />
Stich gelassen (<strong>de</strong>r sich an <strong>die</strong> Normen<br />
hält und nur einen Segen vergibt),<br />
von <strong>de</strong>r Mutter hintergangen,<br />
vom Bru<strong>de</strong>r ausgestochen.<br />
– Isaak kann seiner Frau (und seinem<br />
jüngeren Sohn) nicht mehr trauen;<br />
<strong>de</strong>n Erstgeborenen, <strong>de</strong>r ihm nahe<br />
stand, hat er enttäuscht und (unabsichtlich)<br />
<strong>de</strong>ssen beraubt, was er<br />
ihm mitgeben wollte.<br />
– Folgerichtig bricht das Familiengefüge<br />
auseinan<strong>de</strong>r: Jakob flieht,<br />
Esau geht später weg. Dies birgt<br />
– trotz schmerzhafter Prozesse –<br />
aber zugleich <strong>die</strong> Chance zur Neuund<br />
Weiterentwicklung.<br />
Dr. Gabriele Theuer ist Wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin am Lehrstuhl für<br />
Religionspädagogik <strong>de</strong>r Johann Wolfgang<br />
Goethe-Universität, Frankfurt.<br />
Literatur<br />
W. Bos u.a. (Hg.): Erste Ergebnisse aus IGLU. Schülerleistungen<br />
am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r vierten Jahrgangsstufe im internationalen<br />
Vergleich, Münster 2003.<br />
Vgl. <strong>de</strong>rs.: Erste Ergebnisse aus IGLU. Schülerleistungen<br />
am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r vierten Jahrgangsstufe im internationalen<br />
Vergleich. Zusammenfassung ausgewählter Ergebnisse:<br />
http://www.erzwiss.uni-hamburg.<strong>de</strong>/IGLU/home.html.<br />
Grundmann, Hilmar: Die Ergebnisse <strong>de</strong>r PISA-Stu<strong>die</strong><br />
als Herausfor<strong>de</strong>rung für <strong>de</strong>n Religionsunterricht:<br />
www.rpi-loccum.<strong>de</strong>/pisagru.html, 27.03.2003.<br />
Hecht, Anneliese: Bibel erfahren. Metho<strong>de</strong>n ganzheitlicher<br />
Bibelarbeit, Stuttgart 2001.<br />
Kaspar H. Spinner: Lesekompetenz – Was untersuchte<br />
IGLU und was nicht? in: „Und nun also IGLU“, April<br />
2003, S. 10-12.