mathematische Disziplin geworden und hat sich selbst den Namen Naturwissenschaft zu seinverschränkt, ja sie hat noch dazu mit an dem schweren Vorwurf zu tragen, die Naturwissenschaftentgeistet zu haben, indem sie überall nur Erscheinung als solche auffaßt und in Formelnstabil macht, und damit den Weg, auf welchem man bis zu dem Geist dringt, der hinter derErscheinung lebt und waltet, hinter doppelte Türen und Riegel verschließt“ 23). „Schon Tychode Brahe hatte eingewandt, die Erde sei zur Bewegung eine zu grobe, schwere und ungeschickteMasse, und dies ist eine aus der sinnlichen Wahrnehmung sich ergebende unzweifelhafte Bemerkung(!). Die Schwere der Erde geben auch die Astronomen zu, allein anstatt dies inductorischeArgument zu würdigen, berufen sie sich zur Widerlegung dieses Tychonischen Einwurfsauf die Sonne, Planeten und Fixsterne, die ja viel größere und zur Bewegung ungeschicktereMassen wären, und übersehen ganz, daß dies ja nur hypothetische, in ihrem eignen Systemeersonnene Annahmen sind, und das Argument nur abweisen, aber gar nicht widerlegen. Sodanngeht ihnen ja auch über diese Weltkörper alle Empirie ab, die durch Mathematik gar nichtzu ersetzen ist, sie kennen weder die Masse dieser Weltkörper, noch ihre Atmosphäre...“ 24).„Kant schwärmte für die Unendlichkeit der Welt, forderte aber für die Wissenschaft eine regulativeIdee, welche die Astronomie gar nicht hat, sondern statt dessen nur eitel Brockenund mechanisch zerfallenes Stückwerk. Fichte machte den Menschen zum Mittelpunkte derWelt, indem er sie aus dem Ich des Bewußtseins konstruierte. Schelling setzte entschiedendie Erde in das Zentrum der Welt. Hegel machte sie zur Geburtsstätte des Geistes. DasChristentum macht sie zum Mittelpunkt des großen göttlichen Dramas der Vorsehung, derErlösung und Weltverherrlichung. Alle weisen auf die hohe Bedeutung der Erde in der Welt hin,und nur die Astronomen, die alle Vernunft in den Kepler’schen und Newton’schen Gesetzender Bewegung suchen, machen die Sonne zum Zentrum, bauen Welten über Welten und Systemevon Zeit und Raum, in denen sie die ungeheuren Zahlen- und Raumgrößen bewundern mögen,in der T a t aber den Weltraum zu einer entsetzlichen Leere machen, in derman mehr die Schauer der Öde und Einsamkeit, als die wahren Gefühle derErhabenheit empfindet“25).Auch die Barthelschen Thesen finden sich bei Frantz bereits klar ausgesprochen: „Die Behauptungder copernicanischen Astronomie, daß die Gestirne Weltkörper wie die Erde wären, ist eineder willkürlichsten und unbegründetsten Annahmen, die je in der Wissenschaft vorgekommen,und die Himmel und Erde in einer ganz widersinnigen Weise vereinerleit. Die Erde ist eben einErdkörper, ein Körper irdischer Masse, wenn man will, ein Finsterkörper; — die Gestirne sindLichtkörper, ihr Stoff ist nicht Erde, sondern Licht, weshalb alle Erscheinungen, die sie darbieten,nach einem ganz anderen Maße gemessen werden müssen, als die Erscheinungen an derErde“ 26).Und schließlich faßt Frantz auch den Begriff des „Organischen“ schon sehr scharf: „Aber dieseHerren haben keinen Begriff von einem organischen System, daher es ihnen auch ganz gleichgültigist, wo ein Glied dieses Systems steht, und machen aus Kopf oben Kopf unten. Weil sienicht fähig sind, die Welt als einen Gesamtorganismus zu fassen, wo jedes Glied seinenorganischen kosmischen Zweck hat, ist ihnen die Erde auch nur dazu da, um Mondscheinphantasienzu schreiben, und Rechnungen anzustellen über Sonnenweiten etc. Dieser Mechanismus,dieser Atomismus, Worin das Weltall sich ihnen notwendig darstellen muß, diese gänzliche N a turunwahrheit, mit der das ganze System behaftet ist, ist vielleicht der stärkste Beweis dagegen.Alle Entdeckungen und Annahmen, die bisher gemacht worden sind, das copernicanischeSonnensystem zu stützen, verlieren alles Gewicht gegen diesen einen Grund“ 27).23) F r a n t z , 120/21.24) F r a n t z , 122. In diesem gleichen Sinn werden von Barthel (S. 14) die spektrographischen Ergebnisse der heutigenAstrophysik über die W eltkörper angegriffen.25) F r a n t z , 124, vgl. Krieck 171.*•) F r a n t z , 125/26, vgl. Barthel 14 über die „rein optisch-elektromagnetische Eigenart“ der Fixsternwelt, Fix*stemlicht als „sekundäres, linienspektroskopisches Sonnenlicht... im Weltraumkristall“ usw.37) F r a n t z , 127.90
Mit Recht wird von Krieck Goethe neben Herder, Blumenbach, Schelling und der Romantikfür ein Prinzip der „organischen Bildung“ in Anspruch genommen28). Wenn aberSchöpffer29) und jetzt Barthel30) unter Zitierung einer Goetheschen Äußerung31) seine eindeutigeAblehnung des neueren astronomischen und geologischen Weltbildes herauslesen wollen, so stehendem doch klare Aussprüche des Dichterphilosophen über die Große des Systems Kopernikus’entgegen. Es ist zwar der überaus konsequente wenn auch vergebliche scharfe Kampf Goethesgegen die Newtonsche Spektraloptik keineswegs zu übersehen32), in der „Zwischenbetrachtung“des 1. Teiles der Geschichte der Farbenlehre aber sagt Goethe: „Unter allen Entdeckungen undÜberzeugungen möchte nichts eine größere Wirkung auf den menschlichen Geist hervorgebrachthaben, als die Lehre des Copernicus. Kaum war die Welt als rund anerkannt und in sich selbstabgeschlossen, so sollte sie auf das ungeheure Vorrecht Verzicht tun, der Mittelpunktdes Weltalls zu sein. Vielleicht ist noch nie eine größere Forderung an die Menschheitgeschehen: denn was ging nicht alles durch diese Anerkennung in Dunst und Rauch auf: einzweites Paradies, eine Welt der Unschuld, Dichtkunst und Frömmigkeit, das Zeugnis derSinne, die Überzeugung eines poetisch-religiösen Glaubens; kein Wunder, daß man dies allesnicht wollte fahren lassen, daß man sich auf alle Weise einer solchen Lehre entgegensetzte, diedenjenigen, der sie annahm, zu einer bisher unbekannten, ja ungeahnten Denkfreiheit undGroßheit der Gesinnungen berechtigte und aufforderte“ 33). Ich glaube daraus die persönlicheAnerkennung Goethes für das kopernikanische System trotz des oben erwähnten Ausspruchs34)zwingend schließen zu müssen. Zweifellos war sich der große Denker auch dabei des gewaltigenVerlusts, den der Menschheit diese Erkenntnis brachte, bewußt, führte er doch wenige Zeilenvorher das Festhalten am Hergebrachten in der Wissenschaft in tiefweisem psychologischenWissen gerade darauf zurück, daß der Mensch, indem er vorschreitet, immer mehr fühlt „wieer bedingt sei, daß er verlieren müsse, indem er gewinnt“ 35).Im Kapitel über Galilei spricht Goethe vom „großen Sinne des copernicanischen Systems“ 36).Auch bei Keplers Erwähnung in der Geschichte der Farbenlehre verlautet durchaus nichts gegenKopernikus, im Gegenteil37). Tycho de Brahe bezeichnet der Große von Weimar bei allen seinenVerdiensten als einen „von den beschränkten Köpfen, die sich mit der Natur gewissermaßen3S) K r ie c k , 170. Obwohl aber der große Leibniz „dem Prinzip mechanistischer Welterklärung Grenzen gesetzt“hat, so war es doch dieser Erfinder der Infinitesimalrechnung (sie wurde auch von Newton entdeckt und für ihnentscheidend bei der Gestaltung der Gravitationsgesetze), der die M athematik die hauptsächlichste Hilfe desPhilosophen nannte und sein System der Harmonie unter dem Gesetz der Bewegung bildete (vgl. Paul Hazard,Die Krise des europäischen Geistes, 1939).29) S c h ö p ffe r , 32.30) B a r t h e l, 10.31) „D ie Sache mag sein, wie sie will, so m uß geschrieben stehen, daß ich diese vermaledeite Polterkammer der neuenW eltschöpfung verfluche, und es wird gewiß irgend ein junger geistreicher Mann aufstehen, der sich diesem allgemeinen,verrückten Konsensus zu widersetzen den M ut hat.“3a) V gl. Goethes „Zur Farbenlehre“ und „Geschichte der Farbenlehre“ . Mir stand hier in Krakau leider nur die umden wichtigen polemischen Teil gekürzte Cottasche Ausgabe von 1833 (Bd. 52— 54) zur Verfügung.Vor allem Bd. 54, 282 ff „Confession des Verfassers“ .Lichtenberg, m it dem Goethe eine Zeitlang über die Farbenprobleme korrespondierte, brach ab, als der Dichter„das ekelhafte Newtonische W eiß m it Gewalt verfolgte“ (Bd. 54, 301).Über die Theorie der „Gegenfarben“ , die unsere Farbenempfindungen als Ausgangspunkt nimmt im Sinne Goethes(„Grundfarben“ oder „prinzipale Farben“ ) und die physikalische „Dreikomponententheorie“ s. u. a. GuttmannAlfred, Die Wirklichkeit und ihr künstlerisches Abbild, Berlin 1912, 55 ff. Zu dieser Frage vgl. jüngstens denVortrag eines der bekanntesten Berliner Physiologen, Dr. W . Trendelenburg, in der Preuß. A k. d. Wissensch.am 17. 2. 1943 über „Licht- und Farbensinn“ . Auch dieser Fachmann kann nach über 40jähriger Beschäftigungmit der physiologischen Optik Goethe ebensowenig in der Auffassung der „Einfachwirkung von W eiß “ gegen Newtonfolgen, wie die gesamte heutige Physiologie.33) Bd.. 53, 135/36.M) V gl. A 31.“ ) B d. 53, 134/35.3e) Bd. 53, 169.3’ ) „W ie gern spricht er von Copernicus! W ie fleißig deutet er auf das einzig schöne Apercu, was uns die Geschichtenoch ganz allein erfreulich machen kann, daß die echten Menschen aller Zeiten einander voraus verkünden, aufeinander hinweisen, einander Vorarbeiten. W ie ujnständlich und genau zeigt Kepler, daß Fuklides copemikisire!“(Bd. 53, 172).91
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