nicht eben ein sachlich fundiertes Urteil über das Volkstum eines irgendwo in „einem äußerstentlegenen Erdenwinkel72q) sitzenden Mannes, den man angreift und verunglimpft, ja gegen denman sogar das Eingreifen der Regierungsstellen fordert, erwarten lassen kann.Man darf es also als eine typisch amerikanische Übertreibung — oder ist es Ironie bzw. bloßeGedankenlos'gkeit? — bezeichnen, die dem Land der „unbegrenzten Möglichkeiten“ wohl ansteht,wenn Herr Henry Noble Mc Cracken, Präsident der Kolciuszkostiftung, also unmittelbarer Kollegevon Herrn Mierzwa, behauptet, daß die polnische Wissenschaft von dem großen Astronomen(gemeint ist der Deutsche Kopernikus!) „personifiziert“ werde! Es haben zwar viele polnischeProfessoren an deutschen Hochschulen studiert, aber unsere Objektivität ist stark genug, umzuzugeben, daß deswegen noch nicht die gesamte polnische Wissenschaft von einem Deutschenverkörpert wird. Wirkliche polnische Wissenschaftler — nicht „Konjunkturforscher“ , wie etwaHerr Mierzwa — werden mir hier zustimmen.Daß sich der Freund Luthers für Erasmus Reinhold und das Vorankommen von dessen„Prutenischen Tafeln“ einsetzte, was Wohlwill als Beweis für eine Sinnesänderung Melanchthonsanführt, wird m. E. in erster Linie der Hoffnung auf den Gewinn für die Kirche,der sich durch eine bessere Grundlage für die astronomischen Berechnungen ergeben mußte,zuzuschreiben sein. Der Briefwechsel Herzog Albrechts von Preußen, dessen finanzielle UnterstützungMelanchthon für das Werk Reinholds erbat, zeigt klar, wie bereits im Anfang der 40erJahre, die ja hier für uns zur Diskussion stehen, die Reformation einen recht stark kirchlichdogmatischenCharakter angenommen hatte. Erasmus Reinhold vertrat jedenfalls durchaus dieAnsicht, die Astronomie habe im Dienste der Kirche zu stehen und ihr Hauptzweck sei die Berechnungkirchlicher Festtage73). Für Melanchthon mußte, zumal Reinhold mit „diplomatischemTakt“ 74) nur in Druckschriften Kopernikus zwar sehr rühmte, ohne sein System im eigentlichenauszuführen, während er mündlich gemäß seiner Amtsverpflichtung nur die ptolemäischenAnschauungen lehrte, worauf die Wittenberger Theologen scharf achteten, eine solche Zielsetzungdurchaus unterstützenswert erscheinen.Da überdies die praktische Verwertung der neuen Lehre in den Preußischen Tafeln die für dieKalenderberechnungen erwarteten wesentlich besseren Ergebnisse nicht zu liefern vermochte(Kopernikus hatte sich ja nicht in erster Linie mit eigenen Beobachtungen befaßt und wurdevon Tycho Brahe, dem auch ganz andere Mittel zur Verfügung standen, darin weit übertroffen75),war es klar, daß die Idee der Erdbewegung bei den geistigen Kräften, die schon aus theologischenGründen an der geozentrischen Auffassung imbedingt festhalten zu müssen glaubten, starkan Kredit, sei es auch nur als Hilfshypothese für astronomische Berechnungen, verlor, soweitsie solchen überhaupt besessen und erworben hatte. Jedenfalls lehnte die Wittenberger undTübinger protestantische Schule das kopernikanische Weltbild noch jahrhundertelang ab.1659 stellte der Wittenberger Theologe Calovius fest, daß seine sämtlichen Kollegen — und,2q) R a u s c h n i n g -S c h u lt h e i ß , 66.73) A p e l t E . F ., Die Reformation d. Sternkunde, Jena 1852, 177/78 A .„D a ß die Wissenschaft in protestantischen Ländern zuerst und nur hier vollkommen autonom wurde“ , was Schalter(Die Reformation, 1934, 69) herausstellt, ist wohl nicht so sehr in der Eigenart des Protestantismus begründet,als in einer früh einsetzenden Emanzipation von der Kirche, (zit. A p e lt).74) A D B Bd. 28, 78. W eder in den Preußischen Tafeln noch in Reinholds Jahrbuch 1550 über die Planetenbewegungenwird Kopernikus’ System speziell erwähnt. Zwar wird in der Neuauflage der Preußischen Tafeln 1553 dieMondtheorie des Ptolemäus als ungenügend bezeichnet und auf die bessere Anschauung Kopernikus’ hingewiesen,aber die Besonderheiten der neuen Lehre wurden nicht einmal bei der Ableitung über die Sonnenbahn ausgeführt(Z in n e r , Bibliographie 33/34).75) Z in n e r , Sternkunde, 462/63. Allerdings beschränkt sich unsere Kenntnis der astronomischen Arbeitsweise desFrauenburger Domherrn heute nicht mehr einzig auf das Zeugnis seines Schülers R h e tic u s , denn die sorgfältigePrüfung des Originalmanuskriptes der „Umdrehungen“ und fachastronomische Untersuchung haben ergeben, daßKopernikus sein heliozentrisches System dreimal gänzlich umgearbeitet hat ( B r a c h v o g e l, Zs. Erml. 25, 761/62).63 exakte Beobachtungen — sicher nur ein Teil der tatsächlich durchgeführten — sind eindeutig nachgewiesen.(Über seine astronomischen Bemühungen vgl. auch B r a c h v o g e l, Zs. Erml. 25, 7 6 3 lf).102
von den C alvin ern die meisten — G egn er der E rd b ew egungsleh re seien, mit dem Hinweis,daß da, wo die Schrift gesprochen hat, der Verstand zu schweigen habe76). Auch im 18. Jahr-hundert sind noch eine ganze Reihe von antikopernikanischen Äußerungen von protestantischerSeite zu verzeichnen. So muß z. B. noch 1774 ein „Prediger und Liebhaber der astronomischenWissenschaft“ die kopernikanische Meinung vom Weltbau als der Heiligen Schrift n ich t entgegenin Schutz77) nehmen, bleibt aber wohlweislich anon ym . Nicht rein theologische, sonderntiefere und mehr den Krieckschen Erwägungen entsprechende Gründe dürften Johann GeorgH am an n , den Magus aus Norden, zu folgender Äußerung in einem Schreiben vom 13. 1. 1773an H erder veranlaßt haben: „Ich bin immer der Meinung gewesen, daß das ganze kanonischeSvstem von Thorn auf o p tisch en Illu sio n e n beruhe und denke noch eine Revolution zuerleben“ 78).Daß für diese sehr konservative und langdauernde Ablehnung des kopernikanischen Systemsin protestantischen Kreisen ein Hang zu a stro lo g isch e n Phantasien in nicht geringem Maßemitgewirkt haben dürfte, scheint mir sicher79). Zwar waren sich die Sterndeuter manchmalüber die astronomischen Grundlagen ihrer Konstruktionen selbst uneinig, aber im allgemeinen,vor allem, was die eine gewaltige Rolle spielenden Kometen betrifft, war hier der LehrmeisterP tolem äu s. Nach ihm verpesteten diese Erscheinungen die Luft, entzünden das Geblüt derMenschen und haben Pestilenz und Totschlag im Gefolge80).Aber nicht nur die Theologen im 16. Jahrhundert, vor allem die protestantischen, verhieltensich ablehnend, auch die A stron o m e n stellten, wenn man von Georg Joachim Rheticus absieht,in den auf das Jahr der Veröffentlichung der „De revolutionibus“ folgenden Jahrzehnten keineA n h ä n g e r81). Zwar machten sich einige hier uud da die eine oder andere Ansicht des Kopernikuszu eigen und benutzten sie e k lek tisch bei ihren Arbeiten82), aber erst der Fortschritt in denpraktischen Beobachtungen als neue Grundlage der Ortsbestimmungen der Planeten und derFixsterne, vor allem durch den Dänen T y ch o B rahe (1546— 1601), der sich indessen der GrundtheseKopernikus’ gegenüber durchaus ablehnend verhielt und ein eigenes recht kompliziertesWeltgebäude sozusagen als „Vermittlungssystem“ erdachte83), brachte nolens volens auch der78) Bei Beckmann 3. 399 A 10. Calovius spricht übrigens auch davon, daß in sein e r Zeit (17. Jh.!) auch die Mehrzahlder päpstlichen Theologen Gegner des Kopernikus seien. Wir kommen darauf unten zurück.77) eckm ann, 3. 653 A 48.78)79)BDereckprotestantischm an n ebd.gewordene Humanist Andreas D u d ith schrieb 1584 an Praetorras:_.„IchT1wundere,iruch,• i.daßj ndoch in unserem Deutschland so viele sind, besonders unter denen, die von der Universität Wittenberg kommen,bei welchen diese Prophezeiungen (der Astrologen) große Auctorität gemessen. (B eckm ann 3. 660 A 81).Obwohl Luther sich im allgemeinen gegen die Astrologie ausspneht (vgl. A 49), ist er doch der geistigen Haltungseiner Zeit auch in diesem Punkt im natürlichen Maß verpflichtet. So war z. B. der Aderlaß eine feste Einrichtungder Gesundheitspflege, dessen günstiger Erfolg nach der damaligen Meinung von den Gestirnen des Himmelsabhängen sollte. Hierzu sagt Luther in seinem Sermon von der Betrachtung des Leidens Christi: „so du muuttun Ader lassen, was dir widert, denke wie Christus gebunden und gefangen hin- und hergefuhrt wird (bchottensoiS c h o tte n lo h e r Karl, Flugblatt und Zeitung, in: Bibliothek für Kunst- und Antiquitätensammler, Bd. 21Berlin 1922 S. 193, dessen Kapitel über astrologische Flugschriften des 16. Jh. hier im allgemeinen zu vergleichen.Z. B. Melanchthon las über die Sterndeutung des Ptolemäus 1543 und 1545, Reinhold über das erste Buchder Sternkunde des Ptolemäus 1549, Kaspar Peucer, der Verfasser des Wittenberger Katechismus, über die SterndeutungJohann Schoners 1549 (Zinner, Bibliographie 34). Der eben genannte Schöner, dem Rheticus seine Vorredezur „Naratio prima“, die einen ersten Bericht über Kopernikus’ Lehren gab, gewidmet hatte, vertrat über dieUneinigkeit unter den Astrologen in seiner „Practica“ für 1538 die Meinung, das sei nicht auffällig, da ja auchunter den Gelehrten der Heiligen Schrift, der Rechtswissenschaft usw. Streit beobachtet werden könne(Schottenloher 195).81) Z inner, Sternkunde 462, Bibliographie 33 ff.Ernst G oldbeck, Der Mensch und sein Weltbild, 1925 (zit. G oldbeck) erwähnt S. 17 einen Holzschnitt mitdem Bildnis Kopernikus’ von 1587, unter dem sich folgende Worte finden: „Die Sonn’ mir steht, lauft umb dmErd’ Gott geb was immer daraus werd. Solchs kann beweisen meine Kunst, die nicht bei alln drumb hat vil gunst.Unter den entsprechenden Reproduktionen bei Batowski konnte ich allerdings diese Unterschrift nirgends feststeilen.8!) Nähere Angaben Z in n er, Sternk. 463. .83) Dargestellt bei Z inner, Sternk. 463 ff. Um den Widerspruch gegen die Bibel und den Sinnenschein zu beseitigen,ließ er die Erde in der Weltmitte ruhen, umkreist vom Monde, der Sonne und dem Sternhimmel. Die Sonnewiederum wird von den 5 Planeten umkreist (Zinner, Bibi. 38).103
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