fortbewegen, so ist die Bewegung nicht wahrzunebmen. Nun wird der Umlauf des Himmelsvon der Erde aus beobachtet und unseren Augen vorgeführt. Sollte daher der Erde irgendwelcheBewegung zukommen, so würde diese an allem, was außerhalb ihrer vorgeht, in Erscheinungtreten, und zwar in umgekehrter Richtung, gleichsam als ob alles an der Erde vorüberzöge;dies würde vor allem von der täglichen Kreisbewegung zu gelten haben“ 108). Damit war zwarein wesentliches Argument für die Erklärung des Einwurfs, seine Lehre verstoße gegen denSinnenschein, in die Diskussion geworfen. Aber logisch vertieft und erledigt und damit schlagkräftigwurde es erst bei Galilei109). Galilei war es überhaupt, der die Ideen der Lehre von derErdbewegung in relativ leichter und verständlicher Sprache für weitere Kreise der Gebildetenerschloß so daß, während er in seinem dritten Dialog über das Weltsystem noch sagt, die neueLehre hlbe sehr wenige („paucissimos“ ) Anhänger110), sich deren Zahl bald erheblich mehrte,wozu natürlich auch der durch seinen Prozeß aufgeregte Wirbel (s. u.) beigetragen haben mag.R ic c io li einer der klassisch gewordenen Gegner des kopernikanischen Gedankens im 17. Jh.,schreibt bereits 1651, also 2 Jahrzehnte später, daß die Kopernikaner in ganz Europa ihrenSie»esruf offen hören lassen111). 1687 erachtet Newton es in seinen „Mathematischen Prinzipiender° Naturlehre“ für unnötig, auf die Antikopernikaner besondere Rücksicht zu nehmen. Inden für den Fortbau der Naturwissenschaften in Frage kommenden Kreisen war folglich mitnennenswerten Gegnern des Heliozentrismus nicht mehr zu rechnen. Linsmeier hat den gegen diek o p ern ik a n isch e Lehre vorgebrachten Einwand, sie v ersto ß e gegen den Sin n en sch ein ,für seine häufigen und scharfen Auseinandersetzungen um den Sieg des chemisch-physikalischenAtomismus und der optischen Wellentheorie, Hypothesen, die als mehr oder weniger dem Smnes-zeugnis widersprechende von den Gegnern abgelehnt worden sind, sehr eingehend herangezo-ii2) Der bereits genannte R ic c io li, ein mit unerhört gelehrtem Rustzeug auf fast 1500Folioseiten gegen die Lehre Kopernikus’ aufwartender, also durchaus ernst zunehmender Gegner,ist ihm dabei Hauptkronzeuge für die Argumente derer, die noch auf lange hinaus trotz Keplerund Newton das neue Weltsystem ablehnten, nicht zuletzt aus der Furcht heraus, mit solchenvon Kopernikus eingeführten Ansichten könne die „S in n estäu sch u n g“ zum P rin zip erhobenwerden, womit die G ru n d lagen der gesam ten N atu rw issen sch a ftc n g efäh rd et waren ).Für Riccioli ist jene Bewegung glaubwürdiger, welche der Evidenz unserer Sinne entsprichtund sich aus ihr herleitet. Wenn von denen, die die Bewegung der Erde lehren, behauptet werde,eine Hypothese müsse einer anderen komplizierteren vorgezogen werden, wenn sie mit wenigerenund einfacheren Bewegungen dasselbe (zur Erklärung der Himmelserseheinungen) leiste ),so antwortet Riccioli, die Hypothese einer jährlichen Bewegung der Erde vermöge keine smnlicevidenten Erscheinungen für sich beizubringen, ja zerstöre und verwerfe sogar das, was denSinnen allgemein evident sei, wie die Bewegung der Sonne. Wenn man behaupte, die Sinne108) D e revolutionibus I , 5, übers. Rauschning 19., Menzzer 15.io9i n irh ird H ö n ig s w a ld (Jude), Die Philosophie der Renaissance bis K an t, 19ZS, 28.no) Bei A . L in s m e ie r S. J ., Die koppernikanische Hypothese und die Sinnestäuschungen, in: Philosophisches Jahr-Bei^dem Stand de^For^chung m uß der Titel Linsmeiers als irreführend bezeichnet werden, da Kopernikus selbstf e t L “ehre nfcht a l s X p ö K vorgebracht hat. Offenbar verwendet Linsmeier diesen Terminus da ihm diekopernikanische Frage nur Hilfestellung bei seinem Eintreten z. B . für die chemisch-physikalische Atom theoneusw. leisten sollte.1U )f r R ^ Ä Ä S a ä , 2 . A ufl. Bologna-Frankfurt 1653 erschienen und m it bewußteraii, „ Almurpst“ des Ptolemäus- Alm agestum novum astronomiam veterem novamque complecT e L n n t v e Ä noch e tm a lT u ß e r o r d fn tlic I weit ausholend das kopernikanische System zugunstendes pt'olemäischen zu entkräften, wofür m it unerhörter Gelehrsamkeit zahllose Punkte geprüft, Einwande widerlegt.Versuche geschildert werden (zit. R ic c io li) . _ 101 «■112) dazu L in s m e ie r in: Phil. Jahrbuch IV . (1891) 1 ff, 241 ff, 360 ff und V I I . (1894)u i hvnofliesis *est praeferenda aliis, quae paucioribus ac simplicioribus motibus praestat id; quod aliae non’ j S Ä S S S . - p S , . , « compositioribus m oiibus: Atqui hypothesis. to , u , « 1 1 « , P« « b —movetur, est huiusmodi: ergo illa preferenda est aliis. Riccioli 1, 2, 34U.110
seien Täuschungen unterworfen, so müsse man zum wenigsten durch zuverlässigere Sinneswahrnehmungensie aufdecken.Solange das nicht gelinge, müsse man den Sinnen glauben115). Sollman denn der sinnlichen Erkenntnis („intellectui“) überhaupt nicht mehr trauen dürfen? Mögensich die Anhänger der kopernikanischen Auffassung nur hüten, daß sie nicht aller WissenschaftFundament untergraben116)!Galilei hatte bereits zwei Jahrzehnte vor Riccioli in seinem berühmten Dialog über die Weltsysteme117),durch welchen der allbekannte Prozeß im Jahrel633 ausgelöst wurde (s.u.), an mehrerenStellen das B eh a rru n gsv e rm ö gen bewegter Körper erörtern lassen, um dem peripatetischenGegner mit dem aufreizenden Namen S im p lic iu s zu zeigen, daß alle K örp er an derE rd b ew egung teiln eh m en . Es wurde nämlich von den Antikopernikanern immer wiederbehauptet, daß ein von einem Turm frei herabfallender Stein bei Ansetzung einer Drehung derErde von West nach Ost sich während des Fallens immer mehr vom Turm entfernen und schließlichso weit westlich von ihm auffallen müsse, wie weit sich dieser während der Fallzeit mit derErde gegen Osten fortbewegt habe118).Eine allgemeinere Formulierung des neuen Begriffs der Beharrung in der Bewegung gab Galileijedoch eher in Form einer „zusammenfassenden Inhaltsangabe“ 119) des betreffenden Abschnittsseines Buches, denn als deutlich festgelegtes Prinzip jeder dynamischen Betrachtung: „GeworfeneKörper setzen ihre Bewegung längs derjenigen geraden Linie fort, die sie beschrieben,als sie noch mit dem Werfenden in Verbindung waren“ 120). Trotzdem genügt eine solche Fassung,um anzusetzen, daß Galilei sich der allgemeinen Gültigkeit dieses Satzes bewußt war. Obwohler aber darüber hinaus durch Hinweise auf Erfahrungen bei Schiffsreisen, wo ja ein Stein trotzschnellster Fahrt auch v e r tik a l herabfällt und n ich t sch räg121), diese Erkenntnis des Beharrungsbegriffsden Peripatetikern geläufig machen wollte, hält Riccioli die oben ausgeführtenBedenken aufrecht und bringt noch neue, ähnliche dazu, besteht also auf dem ungenügendenTrägheitsbegriff der genannten Schule. Das Beispiel des Schiffes fruchtet nichts, denn die Vorgängeauf diesem und auf der Erdoberfläche seien zu verschieden, um Parallelschlüsse zuzulassen.Im übrigen könne ja dafür, daß die Erde und wir uns mit ihr bewegen, kein evidentes Beweismaterialbeigebracht werden122). Daß der freie Fall längs einer Geraden geschieht, welche senk115) „Hypothesis enim, in qua tellus per orbem annuum movetur, non praestat phaenomena sensu evidentia, seddestructis et inversis quae sensui communi sunt evidentia, cuiusmodi est solis motus, et planetarum harmoniaad solem attemperata, et quidem absque ulla necessitate destructis, inducit m otum , a quo intellectus sensui (utpatet in physicis) innixus magis abhorret, quam a multiplicitate m otuum ; neque est quod illud toties decantatumobtrudatur, sensus fallaces esse, neque ex illorum aestimatione decemendam banc litem : Respondetur enimnec semper, nec plerumque fallaces esse et eorum fallaciam detegi adhibita ratiocinatione, sed ea ipsa certioribussensationibus innixa; alioquin quamdiu in aliquo speciali obiecto non sic deprehenduntur errare; standum estiis, et illorum aestimatio est in possessione pro exigentia assensus nostri." Riccioli I, 2, 340.116) „A n igitur ne intellectui quidem fidendum est? Videant igitur, qui sunt huiusmodi, ne scientiarum omnium fundamentasubruant.“ Riccioli I, 2, 340.117) Ed. Naz. V II. Literarische Kritik s. Leonardo O ls c h k i, Gabiei und seine Zeit, Halle 1927, 330 ff. (zit. O ls c h k i}.118) Ausgeführt bei L in s m e ie r , IV . 5.119^Vp’l 01s pVi lci 34.Q12°) E d.'N az. V II.’ 2 0 1' Z. 10, bei Olschki 349 A 6.lal) Hierzu und zum folgenden L in s m e ie r , IV . 5 ff.122) „Exem plum vero de observante casum corporis gravis in navi, n o n h a b e t p a r it a t e m , siquidem nec omnes,nec semper ignorant navim eam moveri, et dantur media naturaba detegendi eam ignorantiam, ac proinde corrigendifallaciam sensus. Contra vero nullum datur naturale medium, quo possimus certo et evidenter deprehendere,terram moveri, et nos cum terra, ac proinde sensum in aestimatione motus rectibnei gravium decipi.“ RicciobI, 2, 420.D aß das scharfe Urteil G o e t h e s gegen B r a b e , den er als beschränkten K o p f bezeichnet, viebeicht doch trifft,mag beweisen, daß auch er, genau wie R ic c io li, die Theorie vertrat ,daß ein von einem Turm herabfallendesO bjekt bei Ansatz einer Erdbewegung nie lotrecht herabfaUen könnte: „N un sage mir, wie kann denn eine Bleikugel,die man von einem recht hoben Turm in passender W eise faßen läßt, den genau lotrecht unter ihr liegenden Punktder Erde treffen? Eine einfache mathematische Überlegung zeigt Dir, daß dies bei bewegter Erde voßkommenunmögbcb ist. Selbst bei unserer hohen geographischen Breite m üßte sich ein F.rdpunkt in einer Sekunde nochum etwa 150 Doppelschritte weiter drehen. D am it rechne Dir das übrige aus! Das faßende Bleistück folgt zudemnicht der L uft, sondern durchschneidet sie gewaltsam.“ (Kistner, 41).111
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anstellt. Denn hier wird auf echte
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