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BR-Magazin 12/2014

Das hauseigene Magazin des Bayerischen Rundfunks informiert vierzehntägig über die Höhepunkte im Programm. Hier finden Sie Hintergründe zu neuen Produktionen und Veranstaltungen. Außerdem gibt es eine ausführliche Programmübersicht. Hier können Sie sich das BR-Magazin im pdf bequem herunterladen.

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<strong>BR</strong>-Einblicke<br />

Ulf Schirmer mit dem<br />

Münchner Rundfunkorchester<br />

im Studio 1<br />

Braune Töne?<br />

Eine dokumentarische CD des<br />

Münchner Rundfunkorchesters<br />

Das Münchner Rundfunkorchester hat<br />

eine CD mit drei Konzerten des deutschen<br />

Komponisten Paul Graener (1872-1944)<br />

aufgenommen. Graener war in der ersten<br />

Hälfte des 20. Jahrhunderts ein viel gespielter<br />

Komponist. Da er sich stark mit<br />

dem Nationalsozialismus identifizierte,<br />

wurde seine Musik nach 1945 kaum noch<br />

aufgeführt. Die Plattenfirma CPO lässt<br />

nun in einer CD-Reihe ausgewählte Werke<br />

Graeners einspielen. Das <strong>BR</strong>-<strong>Magazin</strong> hat<br />

am Rande der Aufnahmen im Studio 1<br />

des Münchner Funkhauses mit Dirigent<br />

Ulf Schirmer gesprochen.<br />

<strong>BR</strong>-<strong>Magazin</strong>: Warum haben Sie sich entschieden,<br />

diese Konzerte einzuspielen?<br />

Ulf Schirmer: Wir als Münchner Rundfunkorchester<br />

begreifen uns als ein Institut,<br />

das auf musikalische Weise journalistische<br />

Arbeit macht. Vieles von dem,<br />

was wir tun, hat einen Dokumentationscharakter.<br />

Die Zeit des Nationalsozialismus<br />

ist regelmäßig Gegenstand von<br />

Dokumentationen, etwa im Fernsehen.<br />

Filme über die SS oder die Wehrmacht<br />

sind für uns selbstverständliche Teile der<br />

Aufarbeitung. Die Frage, was die Mitläufer,<br />

Täter und Parteimitglieder eigentlich<br />

musikalisch getan haben, war bisher noch<br />

kein Thema. Daher haben wir uns nach<br />

langen Diskussionen entschieden, diese<br />

CD aufzunehmen.<br />

Was dokumentiert die Musik Paul<br />

Graeners?<br />

Die drei Konzerte, die wir mit unseren<br />

Orchestermusikern aufgenommen haben,<br />

bezeichnen einen Bruch im Schaffen dieses<br />

Mannes. Das ist hochinteressant. Das<br />

Cellokonzert von 1927 hat einen kompositorischen<br />

Zugriff eher wie Hindemith, wie<br />

Strawinsky, es bewegt sich auf einem<br />

ganz anderen Planeten als die späteren<br />

Werke. Dann kommt das Violinkonzert,<br />

das in der Nazizeit entstand, worin Paul<br />

Graener auf einen spätromantischen<br />

Duktus zurückgreift. Die Entwicklung<br />

endet beim Flötenkonzert aus dem Jahr<br />

1943, das an Seichtheit überhaupt nicht<br />

mehr zu überbieten ist. Die Orchestermusiker<br />

und ich haben an diesen Beispielen<br />

intern viel diskutiert, wie verheerend sich<br />

Ideologie offensichtlich auf ein musikalisches<br />

Denken auswirken kann.<br />

Das Flötenkonzert klingt nach dem Volkslied<br />

„Freut Euch des Lebens“ …<br />

So ist es auch überschrieben. Und ich<br />

glaube, es ist so gedacht, dass Graener<br />

durch ein paar chromatische Abschwächungen<br />

gewisse Schatten dokumentieren<br />

wollte – seine und des öffentlichen<br />

Lebens. Aber das ist viel zu zaghaft, um<br />

wirklich eine Aussage zu sein.<br />

Ist dieses Volksliedhafte eine Flucht in die<br />

Nettigkeit?<br />

Na, das sowieso. Das ist Eskapismus mit<br />

Ansage. Das gab es schon zu vielen Zeiten,<br />

das ist kein besonderes Phänomen. Nun<br />

scheint es hier so zu sein, dass alle Härten,<br />

gerade rhythmische Härten, vermieden<br />

werden. Vom Regime her sollte die klassische<br />

Musik hochgehalten werden, und es<br />

war stilistisch etwas unangenehm Geglättetes<br />

angesagt.<br />

Warum sollte man diese Musik hören?<br />

Ich finde es auf jeden Fall lohnend, genau<br />

wie bei den Antisemitismusvorwürfen gegen<br />

Richard Wagner, hineinzuschauen in<br />

die Partitur und hörend zu erforschen: Wo<br />

ist denn da von dieser Ideologie etwas zu<br />

finden? Bei Graeners Konzerten finden Sie<br />

viel darüber, wie die Hinwendung zum<br />

Nationalsozialismus das musikalische<br />

Denken verbiegt. Auch vielleicht ein bisschen<br />

schmutziger macht. Das ist ganz<br />

merkwürdig.<br />

Also sind die Graener-Konzerte dokumentarisch<br />

interessanter als musikalisch?<br />

Für mich liegt der Fokus eindeutig auf<br />

dem Dokumentarischen. Wir nehmen<br />

das so ernst, dass wir Unklarheiten,<br />

harmonische Bedenklichkeiten und eventuell<br />

sogar Schreibfehler in der Partitur<br />

nicht korrigieren, sondern mitmusizieren.<br />

Das alles muss auch im Booklet der CD<br />

beschrieben werden, und im Rundfunk<br />

muss offensiv damit umgegangen werden,<br />

damit man diese Werke geistig wirklich<br />

richtig einordnet und nicht meint,<br />

dass wir diese Zeit jetzt fröhliche Urständ<br />

feiern lassen.<br />

Kann Musik als solche politisch sein, oder<br />

wird sie erst durch den Kontext politisch?<br />

Sie können Musik gar nicht ohne Kontext<br />

empfinden und hören. In den tiefen<br />

Schichten unseres Bewusstseins ist unser<br />

eigener Lebenskontext eingelagert. Nach<br />

diesem beurteilen wir das, was wir hören.<br />

Also, ich halte es für kindisch und schlichtweg<br />

unmöglich zu glauben, man könne<br />

eine Musik „an sich“ hören und wirklich in<br />

der Tiefe auch genießen, ohne irgendetwas<br />

zu wissen.<br />

Interview: Felicia Englmann<br />

Fotos: <strong>BR</strong>/Annette Goossens<br />

24 – <strong>BR</strong>-<strong>Magazin</strong>

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