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der feine Unterschied Der Diesseits - Humanistischer Verband ...

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Michael Bauer /<br />

Alexan<strong>der</strong> Endreß (Hrsg.)<br />

Selbstbestimmung<br />

am Ende des Lebens<br />

208 Seiten, kartoniert, Euro 16.-<br />

Schriftenreihe <strong>der</strong> Humanistischen<br />

Akademie Bayern, Band1<br />

ISBN 3-86569-018-1<br />

<strong>Der</strong> Sammelband nähert sich aus interdisziplinärer<br />

Perspektive <strong>der</strong> Problematik<br />

<strong>der</strong> Selbstbestimmung am<br />

Ende des Lebens. Dabei wird das<br />

komplexe Thema nicht auf die Frage<br />

„(Aktive) Sterbehilfe – ja o<strong>der</strong> nein?“<br />

zugespitzt. Vielmehr loten die Beiträge<br />

grundsätzliche philosophische Fragen<br />

aus, berücksichtigen sozioökonomische<br />

Aspekte und stellen interkulturelle<br />

Vergleiche an.<br />

Mit Beiträgen von Frie<strong>der</strong>-Otto Wolf,<br />

Wolfgang Putz, Norbert Hoerster,<br />

Frank Erbguth, Andreas Frewer, Isabella<br />

Jordan, Reiner Sörries, Klaus<br />

Feldmann, Georg Marckmann, Gita<br />

Neumann, Horst Groschopp, Ursula<br />

Seitz, Ludwig A. Minelli.<br />

Die Humanistische Akademie Bayern<br />

veröffentlicht in ihrer Schriftenreihe<br />

die Beiträge zu den Frühjahrstagungen<br />

sowie weiteren Veranstaltungen<br />

und Arbeitsmaterialien. Als nächster<br />

Band ist die Dokumentation eines<br />

Streitgespräch zwischen Michael<br />

Schmidt-Salomon und Joachim Kahl<br />

vorgesehen.<br />

32<br />

www.alibri.de<br />

4/2007<br />

man den Ernst als Witz verkaufen muss“,<br />

klagte Zille einmal.<br />

Max Liebermann zählte zu denen, die<br />

ihn verstanden. Er packte das in die klugen<br />

Sätze: „Tausende und aber Tausende werden<br />

achtlos und, wenn sie darauf achteten,<br />

sogar mit Abscheu an den Szenen, die Sie<br />

schil<strong>der</strong>n, vorübergehen...Sie dagegen werden<br />

von ihnen tief bewegt. Das große Mitleid<br />

regt sich in Ihnen, aber Sie beeilen sich,<br />

darüber zu lachen, um nicht gezwungen zu<br />

sein, darüber zu weinen. Wir spüren die<br />

Tränen hinter Ihrem Lachen.“ Hinter<br />

scheinbar sachlich-ruhigem Registrieren<br />

von Eindrücken „fühlen wir den warmen<br />

Pulsschlag Ihres Herzens, Ihr Mitleid mit<br />

den Armen und Elenden, mit den Verkommenen<br />

und Deklassierten“.<br />

Wer den wahren Zille erleben will, dem<br />

sei ein Besuch im seit April nach gründlicher<br />

Erneuerung wie<strong>der</strong>eröffneten Zille-Museum<br />

im Nikolaiviertel empfohlen. Dort läuft<br />

auch eine sehenswerte Arbeit <strong>der</strong> bekannten<br />

Berliner Filmemacherin Irmgart von zur<br />

Mühlen, die nicht nur ein lückenloses Bild<br />

von Zilles Leben und Werk bietet, son<strong>der</strong>n<br />

gleichzeitig seine bisher kaum gewürdigten<br />

fotografischen Arbeiten über das Leben und<br />

die Umwelt <strong>der</strong> Ärmsten durch geschickte<br />

Kombination mit dokumentarischem Filmmaterial<br />

„zum Laufen“ bringt.<br />

Das Museum gehört <strong>der</strong> privaten Heinrich-Zille-Gesellschaft.<br />

Ein staatliches o<strong>der</strong><br />

städtisches für den 80. Ehrenbürger Berlins,<br />

den wohl berlinischsten unter den zeitgenössischen<br />

Bildenden Künstlern, existiert<br />

nicht. Dabei hielt schon Tucholsky <strong>der</strong><br />

Stadt vor, „nichts, aber auch gar nicht das<br />

leiseste zu tun“, um Zilles Bil<strong>der</strong>n vom<br />

„großen Stadttheater“ eine Heimstatt zu geben.<br />

Vorbehalte gegen Zilles Kunst und<br />

Persönlichkeit sind nie ganz verschwunden.<br />

Als er eigentlich ganz gegen seine eigenen<br />

Ambitionen zu akademischen Ehren gekommen<br />

war, schrieb – Zille zitierte es<br />

genüsslich – das völkische Blatt „Fri<strong>der</strong>icus“:<br />

„<strong>Der</strong> Berliner Abort- und Schwangerschaftszeichner<br />

Heinrich Zille ist zum Mitglied<br />

<strong>der</strong> Akademie <strong>der</strong> Künste gewählt und<br />

als solcher vom Minister bestätigt worden.<br />

Verhülle, o Muse, dein Haupt.“<br />

„Vata jeht stehl’n – icke soll beten“<br />

So lange sich Zilles Kunst als „kleinbürgerlicher<br />

Firlefanz“ wie Zillebällen, wo sich die<br />

Damen und Herren des Establishments als<br />

Luden und Huren, Bettler und Knastbrü-<br />

<strong>der</strong>, Krüppel und Marktweiber aus dem<br />

„Milljöh“ verkleideten, aber auch in Familienblättern<br />

und Illustrierten gut vermarkten<br />

ließ, versuchte man, ihn dafür gleichzeitig<br />

zu entschärfen und nutzbar zu machen.<br />

Zille durchschaute den Rummel<br />

bald, obwohl man ihm einredete, die Maskenbälle<br />

mit den Zillefiguren seien Wohltätigkeitsveranstaltungen<br />

für die Armen.<br />

„Das sollte ein Volksfest sein. Ein richtiges<br />

Volksfest!“, klagte er. „Sie aber machten<br />

eine Champagnerpropaganda daraus.“<br />

Selbst die Lobesworte des Oberbürgermeisters<br />

zu seinem 70. Geburtstag, er habe mit<br />

seinem humorvollen Wesen das Volk Berlins<br />

in die Kunst eingeführt, nahm Zille<br />

misstrauisch auf: „Sie wollen in mir nur das<br />

Volk streicheln...“<br />

Politisch war Zille stets ein Linker. Ohne<br />

sich an eine Partei zu binden, unterstützte er<br />

die „Rote Hilfe“ und die Kämpfe <strong>der</strong> Arbeiter<br />

um den Achtstundentag, nannte er sich<br />

Kommunist. Er wollte kein politischer Akteur<br />

sein, aber er empfand sich als ein Teil<br />

<strong>der</strong> Klasse, die er malte. Als er gemeinsam<br />

mit Otto Nagel, wie er ein Maler des Berliner<br />

Proletariats, das engagierte Buch „An<br />

alle“ herausgab, in dem „zum ersten Mal <strong>der</strong><br />

unverfälschte, unfrisierte Zille zu Worte“<br />

kommt, meinte er dazu: „Viele werden enttäuscht<br />

sein, sie werden sagen: Also so einer<br />

ist das! Na, – wenn sie es erst jetzt merken!“<br />

Wie in seinen Bil<strong>der</strong>n die soziale Wahrheit,<br />

so war in seinem Leben schonungslose Offenheit<br />

kein Beiwerk, son<strong>der</strong>n selbstverständlich.<br />

Heuchelei war ihm fremd. In einer<br />

Skizze weint ein Mädchen bitterlich.<br />

„Vata jeht stehl’n – icke soll beten“, lautet<br />

<strong>der</strong> Text.<br />

Ja, und noch etwas prägte sein Leben:<br />

ein aus dem tiefsten Inneren kommen<strong>der</strong><br />

Humanismus, immerwährende praktische<br />

Hilfsbereitschaft. An Autogrammjäger<br />

schrieb er: „Wenn Sie an die Frau Soundso<br />

fünf Mark schicken, dann will ich Ihnen<br />

gern meinen Namenszug zukommen lassen.“<br />

Und er kommentierte für seine Leser:<br />

„Ich habe doch immer ’ne ganze Masse armer<br />

Witwen und andre arme Lu<strong>der</strong>s.“ Das<br />

war es, was die von ihm so geliebte Diseuse<br />

Claire Waldoff in einem zum Schlager gewordenen<br />

Lied Willi Kollos vom „guten<br />

Vater Zille“ singen ließ. Er war, mag das<br />

Wort auch neuerdings zu Unrecht in Verruf<br />

geraten sein, nehmt alles nur in allem,<br />

einfach ein guter, verehrenswürdiger<br />

Mensch. ●

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