der feine Unterschied Der Diesseits - Humanistischer Verband ...
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<strong>Der</strong> „Humansozialist“ Ossip<br />
K. Flechtheim<br />
Zeitgeschichte anhand <strong>der</strong> Biografie<br />
bekannter Persönlichkeiten zu<br />
betrachten, erhellt nicht nur die<br />
Motive des Denkens und Handelns<br />
des Portraitierten. Wenn persönliche<br />
Lebensgeschichte und allgemeine<br />
Zeitgeschichte zu einem gemeinsamen<br />
Bild zusammengefügt<br />
werden, wird dem Leser im Nachhinein<br />
auch <strong>der</strong> Rückblick auf eigene<br />
Denkbewegungen (selbst)verständlicher.<br />
Dies gilt umso mehr,<br />
wenn er sich in den Hoffnungen,<br />
Einsichten und auch manchen Irrtümern<br />
des Portraitierten selbst erkennt.<br />
<strong>Der</strong> Potsdamer Historiker<br />
Mario Kessler hat mit <strong>der</strong> Biografie<br />
des Politikwissenschaftlers, Zukunftsdenkers<br />
und Humanisten<br />
Ossip K. Flechtheim einen solchen<br />
Reflektionsanstoß vorgelegt.<br />
Flechtheim, <strong>der</strong> 1909 in einem säkularen<br />
deutsch- und russisch-jüdischen<br />
Elternhaus in Odessa geboren<br />
wurde, studierte in Freiburg, Heidelberg,<br />
Paris und Berlin und promovierte<br />
schließlich als Jurist in<br />
Köln zu Hegels Strafrechtstheorie.<br />
Die Emigration führte ihn über die<br />
Schweiz in die USA. Nach diversen<br />
kürzeren Deutschlandaufenthalten<br />
ab 1945 kam er 1951/52 dauerhaft<br />
zurück nach Deutschland und wurde<br />
Professor für Politische Wissenschaft<br />
in Berlin. Er war zunächst<br />
Kommunist, später Sozialdemokrat,<br />
dann Mitglied <strong>der</strong> Berliner Alternativen<br />
Liste bzw. <strong>der</strong> Grünen. Seine<br />
wissenschaftliche Arbeit galt <strong>der</strong><br />
Kommunismus- und Parteienforschung<br />
und schließlich, ab Anfang<br />
<strong>der</strong> 70er-Jahre, <strong>der</strong> Zukunftsforschung.<br />
Das Bild <strong>der</strong> Futurologie in<br />
Deutschland prägte er maßgeblich.<br />
Weniger bekannt – und in <strong>der</strong> Biografie<br />
auch nicht erwähnt – ist seine<br />
Mitgliedschaft im Deutschen<br />
Freidenkerverband bzw. im Humanistischen<br />
<strong>Verband</strong> Deutschlands<br />
seit den 50er-Jahren. Diese Mitgliedschaft<br />
war in mehrfacher Hinsicht<br />
konsequent: Flechtheim war<br />
bekennend areligiös und seine Vision<br />
eines ethisch begründeten Sozialismus<br />
jenseits von Marxismus<br />
o<strong>der</strong> Christentum „passte“ durchaus<br />
in einen <strong>Verband</strong>, <strong>der</strong> es sich<br />
auch im antikommunistischen<br />
West-Berlin <strong>der</strong> 50er- und 60er-<br />
Jahre nicht nehmen ließ, die progressiven<br />
Traditionen <strong>der</strong> Arbeiterbewegung<br />
– etwa in seinem Lebenskundeunterricht<br />
o<strong>der</strong> in den<br />
Angeboten zur Jugendweihe – offensiv<br />
zu propagieren.<br />
36<br />
4/2007<br />
AUSLESE<br />
Für Humanisten, die heute Fragen<br />
nach den Konsequenzen <strong>der</strong> eigenen<br />
Ethik für praktische Politik<br />
stellen, bietet Flechtheims Denken<br />
wichtige Anregungen. So ist sein<br />
Festhalten am Sozialismus als erfor<strong>der</strong>licher<br />
Systemalternative zum<br />
selbstzerstörerischen Kapitalismus<br />
immer verbunden gewesen mit einer<br />
eindeutigen Kritik am „Cäsarismus“<br />
des Realsozialismus’ sowjetischer<br />
Prägung. Dabei ging er in seiner<br />
Analyse <strong>der</strong> Ursachen für die<br />
Entwicklung in <strong>der</strong> Sowjetunion<br />
und ihren „Bru<strong>der</strong>staaten“ einerseits<br />
weiter als zeitgenössische marxistische<br />
Denker, in dem er den im<br />
marxschen Denken angelegten Geschichtsdeterminismus<br />
kritisierte,<br />
ohne jedoch an<strong>der</strong>erseits in den<br />
Antikommunismus des damaligen<br />
Zeitgeistes zu verfallen. Diese Eigenständigkeit<br />
im Denken und die<br />
– trotz aller Skepsis – im Kern optimistische<br />
Zukunftszugewandtheit<br />
<strong>der</strong> Futurologie wünscht man sich<br />
heute, wenn Politikwissenschaft affirmativ-technokratische<br />
Expertise<br />
zu allen möglichen Themen liefert,<br />
ohne die ethische Dimension des<br />
eigenen Handelns zu reflektieren.<br />
Im März 2008 steht <strong>der</strong> zehnte Todestag<br />
von Ossip K. Flechtheim an,<br />
ein Jahr später sein hun<strong>der</strong>tster Geburtstag.<br />
Es wird Zeit, sein Denken<br />
auch inhaltlich stärker zu würdigen<br />
und auf seine Zukunftstauglichkeit<br />
für einen mo<strong>der</strong>nen Humanismus<br />
hin zu prüfen, nachdem man mit<br />
dem Ossip-K.-Flechtheim-Preis<br />
bereits eine Verbeugung vor dem<br />
Erbe des geistigen Begrün<strong>der</strong>s des<br />
„Humansozialismus“ gemacht hat.<br />
Gregor Ziese-Henatsch<br />
Kessler, Mario: Ossip K. Flechtheim.<br />
Politischer Wissenschaftler<br />
und Zukunftsdenker (1909-<br />
1989). – Köln [u.a.] : Böhlau-<br />
Verlag, 2007. – 295 S. – 39,90<br />
Euro<br />
Vom Ende <strong>der</strong> Gottesidee<br />
Die Zahl <strong>der</strong> Bücher, in denen sich<br />
Atheisten mit Gott herumschlagen,<br />
nimmt zu, wie das Bedürfnis, sol-<br />
che Schriften zu lesen. Mit einem<br />
umfänglichen Buch, dem man lebenslanges<br />
Nachdenken anmerkt,<br />
meldet sich <strong>der</strong> Philosoph und Psychologe<br />
Ernst F. Salcher zu Wort.<br />
Es ist dem Autor unbegreiflich, wie<br />
dreitausend Jahre alte Gottesbil<strong>der</strong><br />
noch in einer Zeit geglaubt werden,<br />
in <strong>der</strong> allgemein zugängliche naturwissenschaftliche<br />
Befunde jedes<br />
Bild von einem allmächtigen, allgütigen<br />
und allwissenden Gott wi<strong>der</strong>legen.<br />
Von dieser Idee ausgehend,<br />
befragt Salcher die wichtigsten<br />
Religionen nach ihrem Gottesbild<br />
und liefert ein gründlich<br />
durchdachtes Plädoyer für einen<br />
auf <strong>der</strong> Höhe <strong>der</strong> Zeitgedanken stehenden<br />
Atheismus.<br />
Wohltuend für die Leserschaft ist<br />
die Unaufgeregtheit, in <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s<br />
Mono-Theismen, und hier beson<strong>der</strong>s<br />
die christlichen Kirchen,<br />
kritisiert werden. In allen Abschnitten<br />
werden den Lesern weiterführende<br />
Fragen gestellt. Das gesamte<br />
Buch ist gekennzeichnet von<br />
Sachlichkeit, Argumentationsliebe,<br />
Liberalität und Humanität – aber<br />
auch klarem atheistischem Bekenntnis.<br />
Das schließt Offenheit<br />
gegenüber den Argumenten <strong>der</strong> religiösen<br />
Wi<strong>der</strong>sacher ein, um sie zu<br />
wi<strong>der</strong>legen. <strong>Der</strong> Drang zur Vollständigkeit<br />
zwingt zur Kompaktheit,<br />
dröselt innere Wi<strong>der</strong>sprüche<br />
nicht auf.<br />
Sowohl Phänomene <strong>der</strong> Religionen,<br />
wie des Glaubens werden vorwiegend<br />
als Erscheinungen des<br />
Geisteslebens genommen, bis hin<br />
zum Ernstnehmen von <strong>der</strong>en<br />
Wortlaut. Da stimmt dann das „Fazit:<br />
Alle zentralen Inhalte <strong>der</strong> Religionen<br />
entziehen sich einer naturwissenschaftlichen<br />
o<strong>der</strong> logischen<br />
Überprüfbarkeit. Es bleibt nur die<br />
Möglichkeit zu glauben!“<br />
Nun liegt aber gerade im Glauben<br />
(im Wissen, dass die eigenen Annahmen<br />
richtig sind) die kulturelle<br />
Kraft je<strong>der</strong> Religion o<strong>der</strong> Weltanschauung.<br />
Kulturen sind zwar wissenschaftlich<br />
analysierbar, aber auf<br />
diese Weise nicht wi<strong>der</strong>legbar o<strong>der</strong><br />
gar bewertbar. Das ist die Crux des<br />
„alten“ wie des „neuen“ Atheismus:<br />
Außerhalb <strong>der</strong> Gotteswi<strong>der</strong>legungen<br />
fangen die Probleme erst an, ob<br />
man das nun Glauben, Überzeugungen,<br />
Menschenbil<strong>der</strong>, Alltagswissen,<br />
Kulturanschauungen o<strong>der</strong><br />
sonst wie nennt. Das thematisiert<br />
<strong>der</strong> Autor zwar nicht, aber es bewegt<br />
ihn sichtlich auf seinem gedanklichen<br />
Weg hin zu den „Sittengesetzen“.<br />
Nachdem er umfangreich<br />
Religionskritik übt, die ihn zu