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Chronik der Sporteinheit – Vom Mauerfall bis zur - Der Deutsche ...

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Michael Barsuhn/Jutta Braun/Hans Joachim Teichler<br />

<strong>Chronik</strong> <strong>der</strong> <strong>Sporteinheit</strong><br />

vom <strong>Mauerfall</strong> <strong>bis</strong> <strong>zur</strong> Aufnahme <strong>der</strong> fünf neuen Landessportbünde<br />

am 15. Dezember 1990 in den <strong>Deutsche</strong>n Sportbund<br />

Mit freundlicher Unterstützung<br />

<strong>der</strong> Stiftung <strong>zur</strong> Aufarbeitung <strong>der</strong> SED-Diktatur, des <strong>Deutsche</strong>n Sportbundes und<br />

<strong>der</strong> Bundeszentrale für politische Bildung


Impressum<br />

Die <strong>Chronik</strong> <strong>der</strong> <strong>Sporteinheit</strong>: vom <strong>Mauerfall</strong> <strong>bis</strong> <strong>zur</strong> Aufnahme <strong>der</strong> fünf neuen Landessportbünde am<br />

15. Dezember 1990 in den <strong>Deutsche</strong>n Sportbund<br />

Autoren und Redaktion: Michael Barsuhn, Jutta Braun, Hans Joachim Teichler<br />

Layout: Berno Bahro, Jens Schielmann<br />

Weitere Mitarbeiter: Kristin Rybicki, Uta Langwisch, Martin Einsiedler, Tobias Kneschke, Jens Wissendaner<br />

Arbeitsbereich Zeitgeschichte des Sports<br />

Universität Potsdam<br />

Am Neuen Palais 10<br />

14469 Potsdam<br />

Prof. Dr. Hans Joachim Teichler<br />

(geb. 1946); Studium von Sport- und Sozialwissenschaft in Bonn bei Bernett und Bracher;<br />

Promovierte in Bochum bei Ueberhorst; drei Jahre Sportreferent <strong>der</strong> SPD-Bundestagsfraktion;<br />

Vertrauensdozent <strong>der</strong> Friedrich-Ebert-Stiftung; langjähriger Sprecher <strong>der</strong> Sektion Sportgeschichte<br />

in <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong>n Vereinigung für Sportwissenschaft; seit 1994 als Professor für<br />

Zeitgeschichte des Sports im Institut für Sportwissenschaft <strong>der</strong> Universität Potsdam tätig; Arbeitsschwerpunkte:<br />

Medien, Arbeitersport, Sportpolitik im Dritten Reich und Sportgeschichte<br />

<strong>der</strong> DDR.<br />

Dr. Jutta Braun<br />

(geb. 1967); Studium <strong>der</strong> Zeitgeschichte, Osteuropäischen Geschichte und Sinologie in München;<br />

1999 Promotion <strong>zur</strong> Enteignungspolitik in <strong>der</strong> DDR; Mitarbeiterin am Arbeitsbereich<br />

Zeitgeschichte des Sports <strong>der</strong> Universität Potsdam; Veröffentlichungen <strong>zur</strong> Justizgeschichte<br />

<strong>der</strong> DDR und den deutsch-deutschen Sportbeziehungen.<br />

Michael Barsuhn<br />

(geb. 1977), studierte Geschichte, Neuere deutsche Literaturwissenschaften und Politik an <strong>der</strong><br />

Humboldt-Universität zu Berlin; Mitarbeiter am Arbeitsbereich Zeitgeschichte des Sports an<br />

<strong>der</strong> Universität Potsdam; freier Sportjournalist, u. a. Berliner Zeitung, MAZ und Deutschlandfunk


INHALTSVERZEICHNIS<br />

Vorwort (Hans Joachim Teichler) 7<br />

NOVEMBER 1989<br />

<strong>Chronik</strong> 9<br />

Glasnost und Perestroika „Die Öffnung <strong>der</strong> Mauer kam für den Fußball<br />

eine Woche zu früh“ (Michael Barsuhn)<br />

10<br />

<strong>Chronik</strong> 11<br />

Frankfurter Rundschau 18. November 1989 12<br />

<strong>Chronik</strong> 13<br />

November `89 Collage 14<br />

DEZEMBER 1989<br />

<strong>Chronik</strong> 15<br />

Sport frei! Schon kurz nach dem <strong>Mauerfall</strong> gab es über 5.000<br />

deutsch-deutsche Begegnungen (Jutta Braun)<br />

16<br />

<strong>Chronik</strong> 17<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 11. Dezember 1989 18<br />

<strong>Chronik</strong> 19<br />

Dezember ´89 Collage 20<br />

JANUAR 1990<br />

<strong>Chronik</strong> 21<br />

Tod einer Massenorganisation (I). <strong>Der</strong> DTSB war in <strong>der</strong> Wendezeit<br />

nur scheinbar reformwillig (Michael Barsuhn)<br />

22<br />

<strong>Chronik</strong> 23<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 08. Januar 1990 24<br />

<strong>Chronik</strong> 25<br />

Januar ´90 Collage 26<br />

FEBRUAR 1990<br />

<strong>Chronik</strong> 27<br />

Go West! Trainer und Spitzensportler wechseln in den „goldenen<br />

Westen“ (Jutta Braun)<br />

28<br />

<strong>Chronik</strong> 29<br />

Süddeutsche Zeitung 5. Februar 1990 30<br />

<strong>Chronik</strong> 31<br />

Februar ´90 Collage 32


MÄRZ 1990<br />

<strong>Chronik</strong> 33<br />

Befreiung von <strong>der</strong> Altlast. Am 31. März 1990 wurde im DDR-<br />

Fußball <strong>der</strong> Demokratisierungsprozess eingeleitet (Michael Barsuhn)<br />

34<br />

<strong>Chronik</strong> 35<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 12. März 1990 36<br />

<strong>Chronik</strong> 37<br />

März´90 Collage 38<br />

APRIL 1990<br />

<strong>Chronik</strong> 39<br />

„Gemeinsam sind wir die Größten“? Olympia 1992 als Traum und<br />

Albtraum (Jutta Braun)<br />

40<br />

<strong>Chronik</strong> 41<br />

Süddeutsche Zeitung 6. April 1990 42<br />

<strong>Chronik</strong> 43<br />

April ´90 Collage 44<br />

MAI 1990<br />

<strong>Chronik</strong> 45<br />

Tod einer Massenorganisation (II) <strong>Der</strong> innere und äußere Machtverlust<br />

des DTSB (Jutta Braun)<br />

46<br />

<strong>Chronik</strong> 47<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 9. Mai 1990 48<br />

<strong>Chronik</strong> 49<br />

Mai ´90 Collage 50<br />

JUNI 1990<br />

<strong>Chronik</strong> 51<br />

„Was ist lila und pfeift <strong>zur</strong> Halbzeitpause?“ Sponsoring weckte große<br />

Hoffnungen, erfüllte aber nicht alle Erwartungen (Jutta Braun)<br />

52<br />

<strong>Chronik</strong> 53<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 25. Juni 1990 54<br />

<strong>Chronik</strong> 55<br />

Juni ´90 Collage 56<br />

JULI 1990<br />

<strong>Chronik</strong> 57<br />

Einheit und Zwietracht. Während Deutschland 1990 in Rom Fußball-<br />

Weltmeister wurde, stritten die Funktionäre um die Zukunft des gesamtdeutschen<br />

Fußballs (Michael Barsuhn)<br />

58<br />

<strong>Chronik</strong> 59<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 16. Juli 1990 60<br />

<strong>Chronik</strong> 61<br />

Juli ´90 Collage 62


AUGUST 1990<br />

<strong>Chronik</strong> 63<br />

„Geheimnisse“ des DDR-Sports. Die Nachwirkungen <strong>der</strong> Repression<br />

im DDR-Sport sind <strong>bis</strong> heute spürbar (Jutta Braun)<br />

64<br />

<strong>Chronik</strong> 65<br />

Süddeutsche Zeitung 18. August 1990 66<br />

<strong>Chronik</strong> 67<br />

August ´90 Collage 68<br />

SEPTEMBER 1990<br />

<strong>Chronik</strong> 69<br />

Schussfahrt in die Einheit. Im September 1990 begann die Vereinigung<br />

<strong>der</strong> Fachverbände (Michael Barsuhn)<br />

70<br />

<strong>Chronik</strong> 71<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 25. September 1990 72<br />

<strong>Chronik</strong> 73<br />

September ´90 Collage 74<br />

OKTOBER 1990<br />

<strong>Chronik</strong> 75<br />

„Ostdeutsch o<strong>der</strong> westdeutsch Ru<strong>der</strong>n?“ Bei <strong>der</strong> Vereinigung <strong>der</strong><br />

76<br />

Fachverbände erkannten ost- und westdeutsche Athleten schnell, dass<br />

sie künftig in einem Boot sitzen (Jutta Braun)<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 6. Oktober 1990 77<br />

Oktober ´90 Collage 78<br />

NOVEMBER 1990<br />

<strong>Chronik</strong> 79<br />

Die olympische Einheit. Ein schneller Zusammenschluss mit langfristigen<br />

Folgen (Michael Barsuhn und Jutta Braun)<br />

80<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 22. November 1990 81<br />

November ´90 Collage 82<br />

DEZEMBER 1990<br />

<strong>Chronik</strong> 83<br />

Rückblick. Die deutsche <strong>Sporteinheit</strong> – eine Zwischenbilanz nach 15<br />

Jahren (Michael Barsuhn und Jutta Braun)<br />

84<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 17. Dezember 1990 85<br />

Dezember ´90 Collagen 86<br />

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS<br />

88


Vorwort<br />

Vorwort<br />

von Hans Joachim Teichler<br />

7<br />

Hans Joachim Teichler<br />

<strong>Der</strong> Sport war ein Son<strong>der</strong>fall <strong>der</strong> deutschen Vereinigung. Während die meisten an<strong>der</strong>en Teile<br />

des DDR-Staates abgewirtschaftet hatten, war die DDR <strong>der</strong> Bundesrepublik in bestimmten<br />

Segmenten des Leistungssports seit Ende <strong>der</strong> 1960-er Jahre weit überlegen. Deshalb gab es<br />

zahlreiche Stimmen und Fragen im Vereinigungsprozess, welche Elemente des „Sportwun<strong>der</strong>landes<br />

DDR“ erhaltenswert seien.<br />

Diese Diskussion hält <strong>bis</strong> heute an.<br />

Ein historischer Son<strong>der</strong>fall liegt insofern vor, da hier ein (vermeintlich) positives Erbe des<br />

SED-Regimes <strong>zur</strong> Verhandlung stand. War alles tatsächlich so positiv, und was wurde im<br />

Zuge <strong>der</strong> Einheit aus den verschiedenen Elementen und Systembestandteilen des DDR-Sports<br />

gemacht? Die Dramatik und Brisanz, aber auch die Leichtigkeit <strong>der</strong> deutschen <strong>Sporteinheit</strong> im<br />

Jahr 1990 kann nachträglich nur verstanden werden, wenn man zuvor eine nüchterne Abschlussbilanz<br />

des west- und ostdeutschen Sports zieht und sich fragt, welche Merkmale und<br />

Strukturen den Sport auf beiden Seiten von Zonengrenze und Mauer bestimmten.<br />

<strong>Der</strong> Sport im Osten trat auf Geheiß <strong>der</strong> SED in eine Frontstellung gegen das „kapitalistische<br />

Ausland“; es entsprach <strong>der</strong> kommunistischen Erziehung, den westlichen Sport zu übertreffen<br />

und dessen Athleten als „Klassenfeinde“ zu betrachten. Dies war die offizielle Lesart, jedoch<br />

gab es neben <strong>der</strong> Abgrenzung oftmals auch eine deutsch-deutsche Sportkameradschaft auf <strong>der</strong><br />

unteren Basis und auch in Gremien auf internationalem Parkett. <strong>Der</strong> DSB bemühte sich in den<br />

seit 1974 geführten Kalen<strong>der</strong>gesprächen vergeblich um eine Intensivierung des deutschdeutschen<br />

Sportverkehrs vor allem auf <strong>der</strong> unteren Ebene und im grenznahen Bereich. Es<br />

blieb bei 80 <strong>bis</strong> 90 Ost-West-Begegnungen, denen im DTSB stets eine Schulung und meist<br />

auch ein Extra-Training vorausgingen. Auf <strong>der</strong> letzten Tagung des DTSB am 6.-8. November<br />

1989 in <strong>der</strong> SED-Parteischule Karl-Liebknecht in Kleinmachnow wurde allerdings deutlich,<br />

dass es ein ungebrochenes Interesse an gesamtdeutschen Begegnungen gab: die DTSB-<br />

Kreisvorsitzenden berichteten von sehr vielen Anträgen auf Städtepartnerschaften und West-<br />

Ost Austausch. Das dreistufige Antragsverfahren wurde an die Bezirke delegiert und auf ein<br />

zweistufiges reduziert. Als die Delegierten zu Hause ankamen, waren auch diese Bestimmungen<br />

<strong>zur</strong> Makulatur geworden. <strong>Der</strong> mit dem <strong>Mauerfall</strong> am 9. November gewonnenen Reisefreiheit<br />

hatte <strong>der</strong> DTSB nichts mehr entgegenzusetzen. Die Verkündigung des Endes <strong>der</strong> Kalen<strong>der</strong>vereinbarung<br />

und <strong>der</strong> Freiheit des deutsch-deutschen Sportverkehrs durch die Präsidenten<br />

von DSB und DTSB, Hans Hansen und Klaus Eichler am 17. November in Berlin, hatte<br />

nur noch einen nachträglichen formalen Charakter.<br />

Die Reisefreiheit öffnete aber auch den Blick auf die wesentlichen Unterscheidungspunkte<br />

nach vierzig Jahren Trennung. In <strong>der</strong> DDR gab es keine Vereine mehr. <strong>Der</strong> Basissport war<br />

an<strong>der</strong>s organisiert, meist über die Trägerbetriebe <strong>der</strong> Betriebssportgemeinschaften finanziert.<br />

Die seit 1957 festgefrorenen Mitgliedsbeiträge machten im Schnitt nur 6-8% <strong>der</strong> Sportkosten<br />

aus. Schnell wurden die Disproportionen im personellen Bereich deutlich. Während in <strong>der</strong><br />

DDR-Leichtathletik 592 Trainer im Verband und in den Clubs und Trainingszentren arbeiteten,<br />

waren im Westen nur 15 Trainer im DLV und ca. 30 in Großvereinen angestellt. Dabei<br />

hatte die westdeutsche Leichtathletik über 800.000 Mitglie<strong>der</strong>, während in <strong>der</strong> DDR etwa<br />

80.000 Leichtathleten aktiv waren. Ähnlich lag es im Ru<strong>der</strong>n: vier westdeutschen Trainern<br />

standen 60 Trainer in <strong>der</strong> DDR gegenüber. Die in einem Geheimtreffen im Dezember 1989<br />

zwischen Vertretern des Bundesausschuss Leistungssport und Experten <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong>n Hochschule<br />

für Körperkultur und Sport in Langen bei Frankfurt/M. genannte und zutreffende Zahl<br />

von ca. 8.000 DDR-Trainern im Nachwuchsbereich und im Leistungssport stieß im Westen<br />

auf Unglauben.


8<br />

Vorwort<br />

Hans Joachim Teichler<br />

Ein weiterer wesentlicher Unterschied lag, was sich aufgrund <strong>der</strong> geschönten DTSB-<br />

Statistiken erst später herausstellen sollte, im sportlichen Organisationsgrad <strong>der</strong> Bevölkerung.<br />

So waren im Bereich Potsdam (Stand und Umland) nur 13% <strong>der</strong> Bevölkerung sportlich organisiert,<br />

zieht man von den damaligen internen Zahlen die Angler und Sportgemeinschaften <strong>der</strong><br />

Armee und <strong>der</strong> Polizei ab. Über diesen geringen Organisationsgrad ist man <strong>bis</strong> heute noch<br />

nicht hinaus gekommen. In den Flächenlän<strong>der</strong>n <strong>der</strong> alten Bundesrepublik war ein Drittel <strong>der</strong><br />

Bevölkerung in Sportvereinen organisiert.<br />

Wie reagierte nun <strong>der</strong> Sport auf den Prozess <strong>der</strong> Wende? Während sich auf unterer Ebene<br />

Vereine wie<strong>der</strong>trafen, im grenznahen Bereich Wie<strong>der</strong>sehenssportfeste organisierten, Partnerschaften<br />

zwischen Ost und West geschlossen wurden, reagierte <strong>der</strong> Leistungssport verhaltener.<br />

Sportliche Rivalität war nicht nur staatlich verordnet, son<strong>der</strong>n auch den Sportlern in<br />

Fleisch und Blut übergegangen, so z.B. im Handball: Die Kieler ärgerten sich jedes Mal beson<strong>der</strong>s<br />

darüber, wenn sie gegen die Rostocker o<strong>der</strong> Magdeburger verloren.<br />

Im Prozess <strong>der</strong> Vereinigung fürchteten die jeweiligen Spitzensportler die Übermacht des an<strong>der</strong>en<br />

Staates in bestimmten Sportarten, so hatten etwa die West-Schwimmer Angst vor dem<br />

Verlust ihrer Startplätze bei Barcelona 1992. Und die DDR-Leichtathleten hatten beim letzten<br />

Start als eigenes Team bei den Europameisterschaften 1990 in Split den DLV förmlich deklassiert.<br />

Das Schweigekartell <strong>der</strong> DDR-Sportführung zum Thema Doping funktionierte solange<br />

die Regierung Modrow im Amt war. Seit März 1990 erschütterten immer neue Doping<br />

Enthüllungen die Sportwelt. Das Stasi-Thema rückte erst Ende 1990 in den Blickpunkt <strong>der</strong><br />

Öffentlichkeit. Die notwendige Aufarbeitung kam nur zögerlich in Gang.<br />

Auf ein weiteres Paradoxon <strong>der</strong> Vereinigung muss ebenfalls hingewiesen werden: Einerseits<br />

wurden (durch SED-Verstrickung belastete) Reiseka<strong>der</strong> <strong>der</strong> DDR durch die Demokratisierungswelle<br />

abgelöst; dies erschwerte jedoch an<strong>der</strong>erseits die Annäherung zwischen Ost und<br />

West, da <strong>der</strong> Westen an die international bekannten Gesichter gewöhnt war und damit oftmals<br />

die üblichen Kommunikationswege wegbrachen. Daraus resultierte im Westen eine gewisse<br />

Unsicherheit: Mit wem konnte man verhandeln, wer war legitimiert und wer nicht?<br />

War z.B. <strong>der</strong> DTSB aufgrund seiner neuen Spitze ein demokratisch legitimierter Verhandlungspartner?<br />

Die Sportministerin <strong>der</strong> DDR, die dies verneinte und konsequent die Verbände<br />

stärkte, handelte sich den Unwillen <strong>der</strong> Dachverbände von Ost und West ein.<br />

Wir werden in diesem Zusammenhang <strong>der</strong> Frage nachgehen müssen, welche Rolle die offizielle<br />

Sportpolitik in Ost und West spielte und ob es einen unabhängigen Weg des Sports in<br />

die deutsche Vereinigung gab. Es war die Stunde <strong>der</strong> Exekutive, welche die Richtung vorgab,<br />

im Einigungsvertrag aber den Breitensport ausklammerte. Das Jahr 1990 brachte für viele<br />

DDR-Sportler freudige Überraschungen aber auch Enttäuschungen: Viele Sportarten in <strong>der</strong><br />

DDR aus dem Korb <strong>der</strong> „nicht beson<strong>der</strong>s geför<strong>der</strong>ten Sportarten“ erlangten zwar wie<strong>der</strong> ihre<br />

Reisefreiheit, erhielten aber nicht die erhoffte finanzielle För<strong>der</strong>ung, z.B. Bogenschießen o<strong>der</strong><br />

Tennis. Zu berücksichtigen sind aber auch die vielen Neuanfänge und Erfolge <strong>der</strong> Wende<br />

(Karate, Triathlon, Drachenfliegen, Golf, Fanreisen in den Westen z.B. Son<strong>der</strong>züge zum WM-<br />

Qualifikationsspiel in Wien, Segeln und Surfen auf <strong>der</strong> Ostsee, <strong>der</strong> Neujahrslauf durch das<br />

Brandenburger Tor, <strong>der</strong> Wegfall <strong>der</strong> Wassersperren im Berliner Umland usw.).<br />

Viele Einrichtungen, wie die Runden Tische des Sports o<strong>der</strong> die Revisionskommissionen des<br />

DTSB, hatten nur eine kurze Lebensdauer und sind heute beinahe vergessen.<br />

Die folgende <strong>Chronik</strong> <strong>der</strong> „<strong>Deutsche</strong>n <strong>Sporteinheit</strong>“ soll an die vielfältigen und spannenden<br />

Ereignisse <strong>der</strong> 14 Monate vom <strong>Mauerfall</strong> <strong>bis</strong> <strong>zur</strong> Vereinigung des deutschen Sports am 10.<br />

Dezember 1990 in Hannover erinnern und eine Basis für die sportgeschichtliche Aufarbeitung<br />

dieser lebhaften Zeit schaffen.


<strong>Chronik</strong> November 1989 9<br />

November 1989<br />

04.11.1989<br />

Berlin: Größte Protestdemonstration in <strong>der</strong><br />

Geschichte <strong>der</strong> DDR auf dem Berliner Alexan<strong>der</strong>platz.<br />

06.11.-08.11.1989<br />

Kleinmachnow: dreitägige Beratung des<br />

Sekretariats des Bundesvorstandes des<br />

DTSB gemeinsam mit den Bezirks- und<br />

Kreisvorsitzenden sowie Generalsekretären<br />

<strong>der</strong> Sportverbände. <strong>Der</strong> DTSB will einen<br />

eigenständigen Beitrag leisten für „einen<br />

besseren Sozialismus in <strong>der</strong> DDR“. Dafür<br />

verlangt man eigene Mandate einschließlich<br />

zu bilden<strong>der</strong> Sportausschüsse in den<br />

Volksvertretungen.<br />

07.11.1989<br />

Rücktritt <strong>der</strong> Regierung <strong>der</strong> DDR.<br />

<strong>Der</strong> „Tagesspiegel“ meldet: <strong>Der</strong> Weltverband<br />

(FIVB) beschließt auf Antrag des<br />

Präsidenten des <strong>Deutsche</strong>n Volleyballverbandes<br />

(DVV), Roland Ma<strong>der</strong>, Umsiedler<br />

aus <strong>der</strong> DDR und anerkannte Asylbewerber<br />

ab sofort im Bereich des DVV in allen<br />

Klassen spielen zu lassen.<br />

09.11.1989<br />

Fall <strong>der</strong> Mauer – Öffnung <strong>der</strong> innerdeutschen<br />

Grenze.<br />

10.11.1989<br />

Das Präsidium des <strong>Deutsche</strong>n Fußballverbandes<br />

<strong>der</strong> DDR (DFV <strong>der</strong> DDR) verkündet<br />

ein Aktionsprogramm <strong>zur</strong> Demokratisierung<br />

des Verbandes.<br />

12.11.1989<br />

55.000 Zuschauer sehen im Olympiastadion<br />

die Zweitligabegegnung Hertha BSC<br />

gegen Wattenscheid 09 (1:1), darunter<br />

Tausende DDR-Bürger.<br />

13.11.1989<br />

Die Volkskammer wählt Hans Modrow<br />

zum neuen Ministerpräsidenten.<br />

Kreischa: Erstmals haben Sportjournalisten<br />

<strong>der</strong> DDR-Medien die Gelegenheit, sich<br />

über die Arbeit des offiziellen Dopingkontrolllabors<br />

<strong>der</strong> DDR zu informieren.<br />

15.11.1989<br />

Die DDR verliert in Wien gegen Österreich<br />

ihr entscheidendes WM-Qualifikationsspiel<br />

mit 0:3. „Am Rande wedelten<br />

die Spielerberater aus <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

mit ihren Geldscheinen.“ (Jürgen Nöldner,<br />

heute Kicker-Sportmagazin).<br />

DDR-Bürger erhalten Freikarten zu zahlreichen<br />

Sportveranstaltungen in <strong>der</strong> Bundesrepublik.<br />

Rundfunk-Premiere: zum ersten Mal übernimmt<br />

die ARD in ihren Rundfunkprogrammen<br />

einen vierminütigen Sportbeitrag<br />

<strong>der</strong> Ost-Reporter Oertel und Knobloch.<br />

Mitte November 1989<br />

Erste frei organisierte Basistagung <strong>der</strong> 15<br />

Vorsitzenden <strong>der</strong> Fußball-Bezirksfachausschüsse<br />

und <strong>der</strong>en Geschäftsführer in<br />

Magdeburg auf Initiative von Hans-Georg<br />

Moldenhauer.<br />

16.11.1989<br />

Mastercup-Gewinnerin Martina Navratilova<br />

hat doppelten Grund zum Jubeln. Die<br />

Öffnung <strong>der</strong> Grenzen ihres Heimatlandes<br />

CSSR rührte sie zu Tränen.<br />

17.11.1989<br />

DSB und DTSB verkünden, dass sich <strong>der</strong><br />

Sportverkehr zwischen den beiden deutschen<br />

Staaten nun frei und unreglementiert<br />

entfalten kann. Die Präsidenten <strong>der</strong> Dachverbände<br />

DSB Hans Hansen und DTSB<br />

Klaus Eichler vereinbaren nach einem<br />

Vier-Augen-Gespräch in Berlin den freien<br />

deutschen Sportverkehr.


10<br />

Glasnost und Perestroika – „Die Öffnung <strong>der</strong> Mauer kam für den Fußball eine Woche zu früh“<br />

Glasnost und Perestroika<br />

„Die Öffnung <strong>der</strong> Mauer kam für den<br />

Fußball eine Woche zu früh“<br />

von Michael Barsuhn<br />

November 1989. Als am 9. November<br />

1989 die Mauer fiel, war die Fußball-<br />

Nationalmannschaft <strong>der</strong> DDR mit ihren<br />

Gedanken schon im Ausland. Denn nur<br />

wenige Tage später, am 15. November,<br />

sollte das alles entscheidende WM-<br />

Qualifikationsspiel in Wien gegen Österreich<br />

stattfinden. Nun aber drängten die<br />

politischen Ereignisse den Sport in den<br />

Hintergrund. An eine geregelte Vorbereitung<br />

war nicht länger zu denken. Dennoch<br />

reiste <strong>der</strong> Tross um Trainer Eduard Geyer<br />

beson<strong>der</strong>s motiviert nach Wien. Nur bei<br />

einem Sieg würde man den fahrenden<br />

WM-Zug noch erreichen. Es winkte überhaupt<br />

erst die zweite WM-Teilnahme einer<br />

DDR-Fußball-Nationalmannschaft nach<br />

1974. Rein sportlich waren die Voraussetzungen<br />

gut. Schließlich hatte man sich in<br />

den letzten Partien keine Blöße gegeben.<br />

Spätestens seit dem hart umkämpften 2:1<br />

Erfolg gegen die Sowjetunion im Oktober<br />

1989 glaubten die von Glasnost und Perestroika<br />

umwehten Fußballfans <strong>der</strong> DDR<br />

wie<strong>der</strong> an ihre Mannschaft.<br />

Dass es am Ende trotz tausen<strong>der</strong> mitgereister<br />

Anhänger eine 0:3 Klatsche gab, lag<br />

sicherlich nicht nur am gut aufgelegten<br />

dreifachen Torschützen Toni Polster.<br />

„Obwohl man versucht hat die Mannschaft<br />

abzuschirmen waren da zig Medienvertreter<br />

und Berater von Bundesligaklubs,“ erinnert<br />

sich <strong>der</strong> damalige Chefredakteur des<br />

DDR-Fußballmagazins „Neue Fußballwoche“<br />

Jürgen Nöldner. Und fährt leicht zynisch<br />

fort: „Die Öffnung <strong>der</strong> Mauer kam<br />

für den Fußball einfach eine Woche zu<br />

früh.“<br />

Vielleicht war das aber auch nur eine Ausrede.<br />

Denn <strong>der</strong> DDR-Fußball war interna-<br />

Michael Barsuhn<br />

tional nie konkurrenzfähig. Ob Argentinien<br />

78, Spanien 82, o<strong>der</strong> Mexiko 86, nie hatte<br />

man die WM-Qualifikation heil überstanden.<br />

Die chronische Erfolglosigkeit gepaart<br />

mit fußballerischen Glanzlichtern <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

reizte die DDR-Sportführung.<br />

So taugte <strong>der</strong> Fußball als Mittel im Klassenkampf<br />

nicht viel. Die SED-Führung<br />

ließ das Massenspektakel im Inland zu,<br />

konzentrierte sich im internationalen politischen<br />

Kampf aber auf die leichter kontrollierbaren<br />

olympischen Einzeldisziplinen.<br />

Durch ein beson<strong>der</strong>s ausgefeiltes<br />

Sichtungssystem, Trainingszentren und<br />

nicht zuletzt den Einsatz so genannter unterstützen<strong>der</strong><br />

Mittel (Doping) gehörte die<br />

verhältnismäßig kleine DDR zusammen<br />

mit <strong>der</strong> UDSSR und den USA zum olympischen<br />

Triumvirat.<br />

Aber auch in <strong>der</strong> Mannschaftssportart Fußball<br />

kam die „Siegerdroge“ <strong>der</strong> DDR-<br />

Sportführung zum Einsatz. Axel Kruse, im<br />

Jahr 1989 Spieler beim DDR-Oberligisten<br />

Hansa Rostock, wurde vor einem Freundschaftsspiel<br />

gegen Schalke 04 aufgefor<strong>der</strong>t<br />

drei rote Pillen zu schlucken. „Ich bin abgegangen<br />

wie Schmitz Katze“, beschrieb<br />

Kruse die Wirkung <strong>der</strong> leistungssteigernden<br />

Substanzen. Beim Rostocker 2:1 Erfolg<br />

erzielte er beide Treffer, musste allerdings<br />

nach 70 Minuten mit Magenkrämpfen<br />

ausgewechselt werden.<br />

Körperliche Schmerzen hatten die Nationalspieler<br />

<strong>der</strong> DDR nach <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage<br />

von Wien sicherlich nicht. Und dass die<br />

Bundesrepublik zeitgleich durch ein glückliches<br />

2:1 gegen Wales die Qualifikation<br />

<strong>zur</strong> Weltmeisterschaft in Italien sicherstellte,<br />

war auch nicht mehr als die Fortsetzung<br />

einer altbekannten deutsch-deutschen Fußballgeschichte.


<strong>Chronik</strong> November 1989 11<br />

17.11.1989<br />

<strong>Der</strong> 1. FC Köln verteilt für das Bundesligaspiel<br />

gegen den 1. FC Kaiserslautern<br />

10.000 Freikarten an DDR-Bürger. Fußballzweitligist<br />

Blau-Weiß 90 Berlin gewährt<br />

DDR-Bürgern zukünftig freien Eintritt;<br />

freier Eintritt auch ins Eisstadion Berlin-Neukölln<br />

und Berlin-Wilmersdorf.<br />

Handballnationalspielerin Katja Kittel von<br />

SC Empor Rostock hat ihren Klub verlassen<br />

und weilt in Bremen.<br />

18.11.1989<br />

Außerordentliche Tagungen <strong>der</strong> Präsidien<br />

des <strong>Deutsche</strong>n Handball-, Volleyball- und<br />

Judoverbandes <strong>der</strong> DDR: For<strong>der</strong>ung nach<br />

mehr Eigenständigkeit.<br />

Juan Antonio Samaranch: die Zeit für eine<br />

gemeinsame Ausrichtung Olympischer<br />

Spiele in beiden Teilen Berlins ist noch<br />

nicht gekommen.<br />

Schwimmolympiasiegerin Kornelia En<strong>der</strong><br />

(München 1972/ Montreal 1976) verlässt<br />

die DDR in unbekannte Richtung.<br />

19.11.1989<br />

<strong>Der</strong> „Tagesspiegel“ meldet: <strong>Der</strong> 76-jährige<br />

Willi Daume ist zum 7. Mal als Präsident<br />

des NOK für Deutschland bestätigt worden.<br />

20.11.1989<br />

„Die Welt“ schreibt: Kristin Otto, die<br />

weltweit erfolgreichste Schwimmerin, tritt<br />

im Alter von 23 Jahren <strong>zur</strong>ück und wechselt<br />

in den Journalismus.<br />

<strong>Der</strong> „Tagesspiegel“ meldet: Annäherungsprozess:<br />

<strong>Der</strong> Präsident Manfred von Richthofen<br />

initiiert ein gemeinsames Training<br />

von Ost- und Westklubs in Berlin. Die<br />

Volleyballerinnen des Oberligisten TSV<br />

Rudow (West) treffen zusammen mit den<br />

Frauen des TSC Berlin (Ost), die Boxer<br />

vom Spandauer BC trainieren zusammen<br />

mit den Faustkämpfern des TSC Berlin.<br />

21.11.1989<br />

Öffentliches Forum zu Fragen des Sports<br />

in Frankfurt (O<strong>der</strong>).<br />

DDR-Handballverband tritt erstmals mit<br />

Trikotwerbung <strong>der</strong> Ladenkette „Kaufhof“<br />

beim Supercup <strong>der</strong> Männer in <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

auf.<br />

22.11.1989<br />

Innerhalb des Flug- und Fallschirmsportverbandes<br />

gründet sich <strong>der</strong> Klub <strong>der</strong> Drachenflieger.<br />

23.11.1989<br />

Die Straßenradsportler Schnei<strong>der</strong>, Freytag<br />

und Behrends haben den SC Cottbus in<br />

Richtung Bundesrepublik verlassen.<br />

Die „Märkische Volksstimme“ meldet:<br />

Vertrag zwischen NOK <strong>der</strong> DDR und <strong>der</strong><br />

Sportvermarktungsagentur ISL.<br />

24.11.1989<br />

Berlin: bei einer gemeinsamen Pressekonferenz<br />

verkünden Manfred von Richthofen,<br />

Präsident des Landessportbundes Berlin<br />

und <strong>der</strong> DTSB-Bezirksvorsitzende Ostberlins,<br />

Rudi Ebmeyer, die Zusammenarbeit<br />

bei <strong>der</strong> Organisation des Sports in beiden<br />

Teilen <strong>der</strong> Stadt zu verstärken.<br />

Nach <strong>der</strong> Verkündung des freien deutschen<br />

Sportverkehrs am 17. November 1989<br />

plant von Richthofen (LSB Berlin) rund 80<br />

sportliche Ost-West-Begegnungen <strong>bis</strong> zum<br />

Jahresende. Des weiteren erläutert von<br />

Richthofen den Wegfall des Zwangsumtausches<br />

bei Wettkampffahrten in den Osten<br />

sowie erleichterte Einreisebedingungen<br />

auch für westliche Sportjournalisten.<br />

25.11.1989<br />

Bonn: Bundeskanzler Helmut Kohl hat<br />

volle Unterstützung <strong>der</strong> Bundesregierung<br />

für den Sportverkehr zwischen beiden<br />

deutschen Staaten zugesagt.


12<br />

Frankfurter Rundschau 18.11.1989<br />

Gipfeltreffen zwischen Hans Hansen (DSB) und Klaus Eichler (DTSB) in West-Berlin<br />

Freier Sportverkehr löst die starren Kalen<strong>der</strong>gespräche ab<br />

Olympische Spiele in Berlin bleiben in <strong>der</strong> Diskussion / Gesamtdeutsche Mannschaft für beide<br />

Seiten kein Thema<br />

Von unserem Redaktionsmitglied Bianka Schreiber-Rietig (z. Z. West-Berlin)<br />

Konferenzorte von Hotels sind schon<br />

immer beliebte Orte gewesen, um<br />

Geschichte zu schreiben – auch Sportgeschichte.<br />

Am 8. Mai 1974 war im<br />

Ost-Berliner Hotel „Stadt Berlin“ die<br />

erste Vereinbarung nach dem Mauerbau<br />

von 1961 zwischen dem <strong>Deutsche</strong>n<br />

Sportbund (DSB) und dem <strong>Deutsche</strong>n<br />

Turn- und Sportbund (DTSB) <strong>der</strong> DDR<br />

zustande gekommen. 15 Jahre später<br />

war das traditionsreiche West-Berliner<br />

Nobelhotel Kempinski <strong>der</strong> Ort, an dem<br />

ein neues deutsch-deutsches Sportkapitel<br />

geschrieben wurde: Ab heute gibt es<br />

keinen diktierten deutsch-deutschen<br />

Sportkalen<strong>der</strong> mehr.<br />

DSB-Präsident Hans Hansen und<br />

DTSB-Präsident Klaus Eichler hatten<br />

sich ganz schnell am runden Tisch<br />

darauf geeinigt, daß die Kalen<strong>der</strong>gespräche<br />

in <strong>der</strong> <strong>bis</strong>herigen Form nicht<br />

mehr stattfinden werden. „Die Entwicklung<br />

ist weitergegangen und rechtfertigt<br />

den starren deutsch-deutschen<br />

Sportkalen<strong>der</strong> nun nicht mehr“, so<br />

Hansen. Eichler, <strong>der</strong> sehr gelöst wirkte,<br />

sagte zu dem Neubeginn: „Die jüngste<br />

Entwicklung in <strong>der</strong> DDR <strong>zur</strong> Erneuerung<br />

<strong>der</strong> sozialistischen Gesellschaft<br />

haben auch neue Bedingungen für<br />

Sportkontakte ermöglicht. Die Kontakte<br />

sind ein Beitrag gutnachbarschaftlicher<br />

Beziehungen. Ich sage ausdrücklich,<br />

daß <strong>der</strong> Sport in diese Beziehungen<br />

etwas einzubringen hat.“ Die Verhandlungsergebnisse<br />

sollen nun am<br />

11./12. Dezember in Frankfurt unterschriftsreif<br />

sein.<br />

In Zukunft werden DTSB und DSB<br />

nur noch koordinierend und helfend<br />

eingreifen, Sportbegegnungen sollen<br />

zwischen den Fachverbänden und den<br />

Landessportverbänden selbständig organisiert<br />

und abgesprochen werden.<br />

„Nur bei grenzüberschreitenden Veranstaltungen<br />

müssen wir dann schon<br />

zwischen DTSB und DSB Absprachen<br />

Frankfurter Rundschau 18. November 1989<br />

treffen“, so Eichler. Schriftlich wurde<br />

das so festgehalten: „Beide Seiten<br />

för<strong>der</strong>n die direkten und eigenverantwortlichen<br />

Absprachen zwischen den<br />

Verbänden, den Vereinen, Sportgemeinschaften<br />

und Institutionen in ihren<br />

Bereichen. Entsprechend den Bestimmungen<br />

und allgemeinen Gepflogenheiten<br />

des Internationalen Olympischen<br />

Komitees und <strong>der</strong> Internationalen<br />

Sportorganisation und, was Berlin-<br />

West betrifft, auch in Übereinstimmung<br />

mit dem Viermächte-Abkommen vom<br />

3. September 1971.“<br />

Themen, die in Zukunft die Präsidenten<br />

<strong>der</strong> beiden Dachorganisationen und<br />

Kommissionen beschäftigen werden,<br />

sind Umwelt und Doping. Wissenschaftliche<br />

Zusammenarbeit auf allen<br />

Ebenen wird es in Zukunft in erheblichem<br />

Maße geben. Wie intensiv die<br />

Sportbegegnungen in Zukunft sein<br />

werden – in diesem Jahr waren in den<br />

Kalen<strong>der</strong>gesprächen 130 vorgesehen –,<br />

kann keiner so richtig einschätzen.<br />

Thema zwischen Hansen und Eichler<br />

waren auch mögliche Olympische<br />

Spiele im Jahr 2004 in Berlin. Während<br />

Hansen vorsichtig meinte, solche Planungen<br />

seien immer von <strong>der</strong> politischen<br />

Großwetterlage abhängig, war<br />

Eichlers Antwort sehr diplomatisch:<br />

„Es würde die Basis erschrecken, wenn<br />

sich die Sportpräsidenten nicht für<br />

Olympische Spiele einsetzen würden,<br />

doch es ist verfrüht, konkrete Absichten<br />

zu äußern. Olympische Spiele<br />

haben Städte und Regionen verdient, in<br />

denen es gute politische und gesellschaftliche<br />

Verhältnisse gibt, wo es<br />

ruhige und friedvolle Verhältnisse gibt.<br />

Die Öffnung bringt nun auch in den<br />

DDR-Sport viel Bewegung. <strong>Der</strong> Leistungssport<br />

wird nicht mehr die Rolle<br />

spielen, die er <strong>bis</strong>her spielte: Unterhaltung<br />

statt ideologischem Prestigekampf<br />

mit dem Klassenfeind ist ange-<br />

sagt. Mit <strong>der</strong> Öffnung kommen For<strong>der</strong>ungen<br />

auf den DTSB zu, so zum Beispiel,<br />

daß Leistungssportler im Westen<br />

Geld verdienen wollen. Eichler zu<br />

möglichen Transfers: „Ich will das für<br />

die Zukunft nicht ausschließen. In den<br />

nächsten Tagen habe ich eine Begegnung<br />

mit bekannten Sportlern und<br />

Trainern unseres Landes, bei <strong>der</strong> wir<br />

über das Thema sprechen werden.<br />

Allerdings dürfen wir uns nicht <strong>der</strong><br />

Illusion hingeben, daß mit möglichen<br />

Transfers von Sportlern die ökonomische<br />

Situation im DDR-Sport geän<strong>der</strong>t<br />

werden kann.“<br />

Daß es keinen Exodus <strong>der</strong> DDR-<br />

Sportler via Westen gibt, davon ist<br />

Eichler überzeugt: „Ich gehe davon aus,<br />

daß unsere Sportler, die ihr Talent in<br />

<strong>der</strong> DDR ausprägen konnten, auch<br />

Medaillen für dieses Land gewinnen<br />

wollen. Die Gesamtoptik des DDR-<br />

Sports wird sich nicht verän<strong>der</strong>n.“<br />

In diesem Zusammenhang waren<br />

sich beide Präsidenten auch in <strong>der</strong><br />

Frage <strong>der</strong> Sperrbestimmungen einig.<br />

Beide Seiten wollen ein „liberalisiertes<br />

Vorgehen“ anstreben, wenn Sportler<br />

wechseln. Hansen sprach da auch den<br />

Fall des Leichtathleten Wolfgang<br />

Schmidt an: „Auch in diesem strittigen<br />

Fall werden wir im Hinblick auf die<br />

Europameisterschaften 1990 eine vernünftige<br />

Regelung finden.“<br />

Das neue deutsch-deutsche Sportgefühl<br />

Voraussetzung für eine gesamtdeutsche<br />

Mannschaft? Knappe Antwort<br />

des DTSB-Präsidenten: „Sicher nicht.“<br />

Und Hansen meinte: „Die Sportbeziehungen<br />

werden zu normalen Verhältnissen<br />

führen, wie wir sie mit an<strong>der</strong>en<br />

Län<strong>der</strong>n haben, aber am Ende kann<br />

nach meiner Auffassung keine gesamtdeutsche<br />

Mannschaft stehen. <strong>Der</strong>artige<br />

Überlegungen halte ich für abwegig.“


<strong>Chronik</strong> November 1989 13<br />

25.11.1989<br />

Roland Matthes, mehrfacher DDR-<br />

Olympiasieger im Schwimmen (1968-<br />

1976) und 7facher Sportler des Jahres, ist<br />

mit seiner Frau in die Bundesrepublik übergesiedelt.<br />

Die Interessensgemeinschaft Triathlon hat<br />

sich auf ihrer Jahreshauptversammlung<br />

positiv über eine bevorstehende Aufnahme<br />

eines separaten Verbandes in den DTSB<br />

geäußert.<br />

27.11.1989<br />

DTSB-Präsident Hans Eichler übt im<br />

Sportgespräch des Deutschlandfunks Kritik<br />

an <strong>der</strong> Sportpolitik <strong>der</strong> DDR. Nach Eichler<br />

besäße Ostdeutschland nur un<strong>zur</strong>eichende<br />

Sportstätten und mäßige Infrastrukturen.<br />

Des weiteren kritisiert er seinen Vorgänger<br />

Manfred Ewald, <strong>der</strong> Ende <strong>der</strong> 60-er Jahre<br />

die Ausselektierung vieler Sportarten aus<br />

<strong>der</strong> internationalen För<strong>der</strong>ung verantwortete.<br />

<strong>Der</strong> Skiläufer-Verband beschloss auf einer<br />

außerordentlichen Tagung, dass künftig<br />

alle Disziplinen gleichberechtigt sind.<br />

Berlin (West): Joachim Ziesche, Trainer<br />

<strong>der</strong> DDR-Eishockeyauswahl, plädiert für<br />

ein Län<strong>der</strong>spiel zwischen <strong>der</strong> DDR und <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik.<br />

Katarina Witt wehrt sich in einem Interview<br />

mit dem Deutschlandfunk gegen Kritik<br />

an <strong>der</strong> Privilegierung von Spitzensportlern<br />

in <strong>der</strong> DDR.<br />

28.11.1989<br />

Helmut Kohl verkündet Zehn-Punkte-Plan<br />

<strong>zur</strong> Überwindung <strong>der</strong> deutschen Teilung.<br />

Das Präsidium des DDR-Boxverbandes<br />

bekennt sich <strong>zur</strong> gesellschaftlichen Erneuerung<br />

in <strong>der</strong> DDR und lehnt die Einführung<br />

des Profiboxsports im gleichen Atemzug<br />

ab.<br />

<strong>Der</strong> „Tagesspiegel“ schreibt: Auf einer<br />

außerordentlichen Tagung in Oberwiesenthal<br />

beschließt das Präsidium des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Skiläuferverbandes <strong>der</strong> DDR, alle<br />

Disziplinen, auch den alpinen Rennsport,<br />

gleichberechtigt finanziell zu unterstützen.<br />

<strong>Der</strong> Verband gründet zudem einen Skipool,<br />

dem auch alpine Skisportfirmen angehören<br />

sollen.<br />

29./30.11.1989<br />

Kienbaum: 15. Tagung des DTSB-Bundesvorstandes<br />

in <strong>der</strong> Sportschule Kienbaum.<br />

Medienvertreter sind nicht zugelassen.<br />

Klaus Eichler wird als Präsident ohne eine<br />

Gegenstimme bestätigt. Die Anzahl <strong>der</strong><br />

Vizepräsidenten wird von elf auf fünf reduziert.<br />

Ein Positionspapier <strong>zur</strong> Erneuerung<br />

des DTSB wird vorgelegt.<br />

30.11.1989<br />

<strong>Der</strong> Präsident des Westberliner Fußballverbandes<br />

(BFV), Uwe Hammer, ruft alle<br />

Weltfußballvereine zu Freundschaftsspielen<br />

mit <strong>der</strong> DDR auf. In <strong>der</strong> letzten November-Woche<br />

waren bereits mit <strong>der</strong> BSG<br />

Turbine, Einheit Pankow und Lichtenberg<br />

47 drei Vereine zu Gast in West-Berlin.


14<br />

November 1989 – Eine Collage


<strong>Chronik</strong> Dezember 1989 15<br />

Dezember 1989<br />

01.12.1989<br />

Kritik <strong>der</strong> ADN-Sportredaktion am Medienausschluss<br />

bei <strong>der</strong> Bundesvorstandssitzung<br />

des DTSB in Kienbaum.<br />

Die Volkskammer beschließt die Streichung<br />

<strong>der</strong> <strong>bis</strong>her in <strong>der</strong> Verfassung verankerten<br />

Führungsrolle <strong>der</strong> SED.<br />

Erstes Treffen DFV/DFB in Franfurt a. M.<br />

auf <strong>der</strong> Basis zweier souveräner Verbände:<br />

Erfahrungsaustausch zwischen DFV und<br />

DFB auf allen Ebenen. Die Fußballnationalmannschaften<br />

von <strong>der</strong> DDR und <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik sollen 1990 ein Län<strong>der</strong>spiel<br />

bestreiten; Klärung über Transferbestimmungen.<br />

Erstmals wird ein Fußballsspiel wegen<br />

Smogalarm abgesagt (Lokomotive Leipzig<br />

– Dynamo Dresden).<br />

02./03.12.1989<br />

Tagungen mehrerer Sportfachverbände <strong>der</strong><br />

DDR. (Schwimmsportverband, Ru<strong>der</strong>sportverband,<br />

Ringerverband, Leichtathletikverband<br />

und <strong>der</strong> Basketballverband).<br />

03.12.1989<br />

ZK und Politbüro <strong>der</strong> SED treten endgültig<br />

<strong>zur</strong>ück.<br />

Erstmals nehmen Motorsportler des<br />

ADMV <strong>der</strong> DDR bei <strong>der</strong> 19. ADAC/PRS-<br />

Rallye des ADAC Berlin teil.<br />

04.12.1989<br />

Basketballer treffen sich in Westberlin:<br />

Kontaktaufnahme zwischen DBB und<br />

DBV-Vertretern. Sofortige Wie<strong>der</strong>aufnahme<br />

des Spielverkehrs auf allen Ebenen.<br />

Schwerin: Das Präsidium des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Tennis-Verbandes <strong>der</strong> DDR beschließt<br />

Nachwuchs- und Leistungssportlern mehr<br />

internationale Wettkampfmöglichkeiten zu<br />

bieten und den Breitensport zu för<strong>der</strong>n.<br />

<strong>Der</strong> Verband stellt den Antrag <strong>zur</strong> Aufnahme<br />

in den Europäischen Tennisverband.<br />

Präsidiumstagung des Schwimm- und des<br />

Ru<strong>der</strong>verbandes: Breiten- und Leistungssport<br />

sollen künftig gleichberechtigt behandelt<br />

werden, bei gleichzeitiger Behauptung<br />

<strong>der</strong> Spitzenpositionen im Weltsport.<br />

44. Tagung des DTSB-Präsidiums legt ein<br />

Papier vor „Für einen neuen DTSB“.<br />

05.12.1989<br />

<strong>Der</strong> „Tagesspiegel“ meldet: Wolfgang<br />

Spitzner, Generalsekretär des Fußballverbandes<br />

(DFV <strong>der</strong> DDR) bestätigt in „Die<br />

Welt“ den Verdacht auf Schiedsrichtermanipulationen<br />

im Zusammenhang mit Spielen<br />

des BFC Dynamo Berlin (1978-1988<br />

zehn DDR-Meisterschaften in Serie).<br />

06.12.1989<br />

In einer Pressemitteilung erklärt Jochen<br />

Brauer, <strong>der</strong> sportpolitische Sprecher <strong>der</strong><br />

Grünen im Bundestag: „ Die For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

großen Koalition, Olympische Spiele in<br />

Berlin durch zu führen, lehne ich ab!“ Titel<br />

<strong>der</strong> PM: „Keine Olympischen Spiele im<br />

Sinne nationaler Vereinigungswünsche.“


16<br />

Sport frei! – Schon kurz nach dem <strong>Mauerfall</strong> gab es über 5.000 deutsch-deutsche Begegnungen<br />

Sport frei!<br />

Schon kurz nach dem <strong>Mauerfall</strong> gab es<br />

über 5.000 deutsch-deutsche Begegnungen<br />

von Jutta Braun<br />

Dezember 1989. <strong>Der</strong> <strong>Mauerfall</strong> war auch für<br />

den Sport in Ost und West ein zentrales Ereignis.<br />

„Wir haben jetzt sportliche Zustände<br />

wie vor 1961: Unkompliziert, direkt, begleitet<br />

von viel gutem Willen“ freute sich Manfred<br />

von Richthofen, damals Präsident des<br />

Landessportbundes von West-Berlin. Tatsächlich<br />

hatte die Öffnung <strong>der</strong> Grenzen auch<br />

für die Athleten ungeahnte Bewegungsfreiheit<br />

gebracht. Am 17. November erfolgte die<br />

historische Entscheidung <strong>der</strong> Sportführungen<br />

von Bundesrepublik und DDR, den innerdeutschen<br />

Sportverkehr „freizugeben“. Die<br />

Sportler konnten nun erstmals seit 28 Jahren<br />

ihre Treffen wie<strong>der</strong> völlig selbstbestimmt,<br />

ohne bürokratischen Vorlauf und vor allem<br />

zahlenmäßige Limitierung festlegen. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

die Berliner ließen sich dies nicht<br />

zweimal sagen. Schon wenige Tage nach<br />

Maueröffnung wurde von Wedding <strong>bis</strong> Köpenick<br />

wie<strong>der</strong> gesamtdeutsch Handball,<br />

Fußball und Schach gespielt. Überall in<br />

Deutschland regten sich die Anzeichen eines<br />

Frühlings im innerdeutschen Sporttreiben:<br />

Noch im Jahr 1989 kam es zu Hun<strong>der</strong>ten<br />

Treffen, im Frühjahr des nächsten Jahres<br />

stieg die Zahl „explosionsartig“ auf 5.000<br />

Begegnungen. Zu einem Volksfest geriet<br />

wenige Wochen nach dem <strong>Mauerfall</strong> bereits<br />

<strong>der</strong> Gesamt-Berliner Neujahrslauf. 30.000<br />

Läufer fanden sich zu diesem historischen<br />

Frühsport nach einer langen Silvesternacht<br />

ein. In den Jahren zuvor durften Sportler aus<br />

<strong>der</strong> DDR sich hier nicht einreihen, inoffiziell<br />

Teilnehmende mussten mit Repressalien<br />

rechnen. Wie weit die Angst ging, zeigt das<br />

Beispiel eines ostdeutschen Läufers, <strong>der</strong> in<br />

den Jahren vor <strong>der</strong> Wende zunächst unter<br />

dem Namen seiner Katze, dann unter dem<br />

seines Heimatdorfes startete. Erst im Rentenalter<br />

wagte er es, unter seinem richtigen<br />

Namen anzutreten. <strong>Der</strong>artige Schwierigkeiten<br />

waren jedoch am euphorischen Januarmorgen<br />

1990 vergessen.<br />

Jutta Braun<br />

Vielerorts in Deutschland konnten traditionelle<br />

Veranstaltungen, die aufgrund <strong>der</strong><br />

Grenzziehung für Jahrzehnte zwangspausiert<br />

hatten, endlich wie<strong>der</strong> aufleben. So startete<br />

am 8. September 1990 erstmals wie<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

legendäre Harzer Brockenlauf, <strong>der</strong> 1927 ins<br />

Leben gerufen und dann 1960 zum 20. und<br />

vorerst letzten Mal durchgeführt worden<br />

war. NOK-Generalsekretär Walther Tröger,<br />

dreimaliger Gewinner des Brockenlaufes von<br />

1954 <strong>bis</strong> 1956, gab „freudig und sichtbar<br />

bewegt“ das Startkommando für die mehr als<br />

450 Teilnehmer aus Ost und West, unter<br />

ihnen mit <strong>der</strong> Startnummer 1 <strong>der</strong> Sieger des<br />

letzten Brockenlaufs 1960.<br />

Emotionaler und symbolischer Höhepunkt<br />

war jedoch <strong>der</strong> 17. Berlin Marathon am 30.<br />

September. Nur drei Tage vor <strong>der</strong> deutschen<br />

Vereinigung fielen für nahezu 25 Tausend<br />

Läuferinnen und Läufer aus 61 Nationen alle<br />

trennenden Schranken. Begleitet von einem<br />

Medienrummel ohnegleichen vollzogen jubelnde<br />

Marathon-Läufer aus allen Kontinenten<br />

die Verschmelzung <strong>der</strong> <strong>bis</strong>lang geteilten<br />

Stadt. Fast eine Million Zuschauer feierten<br />

das Ereignis. Die beiden Stadtoberhäupter<br />

Walter Momper und Tino Schwierzina ließen<br />

mit dem Startschuss am Charlottenburger<br />

Tor Wirklichkeit werden, was noch vor<br />

einem Jahr nur eine schöne Wunschvorstellung<br />

war. Ein ostdeutscher Redakteur <strong>der</strong><br />

Fachzeitschrift „Leichtathlet“ war bei den 42<br />

km dabei und hielt seine Gefühle in „Notizen<br />

aus dem Mittelfeld“ fest: „Darauf haben wir,<br />

die Läufergemeinde <strong>der</strong> DDR lange, lange<br />

Jahre gewartet: Ein Start beim Berlin-<br />

Marathon! Ich kann mich gut erinnern, wie<br />

uns zumute war, als wir zu gleicher Stunde<br />

vor Jahren unseren kleinen Wettkampf im<br />

Ostberliner Plänterwald hatten und wie wir<br />

mit dem Herzen bei den Zehntausenden waren,<br />

die im damals unerreichbaren Westberlin<br />

vor einer Riesenkulisse beim Marathon<br />

starten durften. Selten habe ich mich so eingemauert<br />

gefühlt wie in diesem Moment.“<br />

Die Vereinigung vollzog sich auch bei <strong>der</strong><br />

Siegerehrung: Mit <strong>der</strong> inzwischen in Steglitz<br />

wohnenden Uta Pippig gewann in <strong>der</strong> neuen<br />

Streckenrekordzeit eine Läuferin aus Potsdam.


<strong>Chronik</strong> Dezember 1989<br />

07.12.1989<br />

In Berlin tritt erstmals <strong>der</strong> Zentrale Runde<br />

Tisch zusammen.<br />

Rücktritt des Staatsratvorsitzenden Egon<br />

Krenz.<br />

Leipzig: Das „Neue Forum“ übergibt dem<br />

ADN ein Positionspapier „Zur Ethik und<br />

Moral des Sports“.<br />

<strong>Der</strong> <strong>Deutsche</strong> Eislaufverband <strong>der</strong> DDR hat<br />

zugestimmt, dass <strong>der</strong> ehemalige Kapitän<br />

<strong>der</strong> Eishockey-Nationalmannschaft Dieter<br />

Frenzel <strong>bis</strong> Mitte April 1990 eine Gastspielgenehmigung<br />

für den EC Ratingen<br />

erhält.<br />

08.12.1989<br />

Volkskammer berät Wahlgesetz.<br />

Im „Neuen Deutschland“ erwähnt Manfred<br />

Ewald den Freitod des DTSB-<br />

Vizepräsidenten Franz Rydz. In seinen<br />

Schubladen wurden 300.000 West-Mark<br />

gefunden, was Vorwürfe gegen das Finanzgebaren<br />

des DTSB auslöste.<br />

09.12.1989<br />

Cottbus: 22. Tagung des DTSB-<br />

Bezirksvorstandes. Bezirksvorstand Cottbus<br />

for<strong>der</strong>t Rücktritt des DTSB Präsidenten.<br />

11.12.1989<br />

Samaranch begrüßt Olympiapläne Berlins.<br />

Vertreter des SC Charlottenburg trafen sich<br />

in Cottbus mit dem SC Cottbus zu Gesprächen<br />

über eine zukünftige Zusammenarbeit<br />

bei<strong>der</strong> Klubs.<br />

Berlin: Diskussion des Ministerpräsidenten<br />

Hans Modrow mit Sportlern, Trainern,<br />

Funktionären sowie Wissenschaftlern und<br />

Sportmedizinern über den Ausbau des<br />

Breitensports sowie die Unterstützung <strong>der</strong><br />

Entwicklung aller Talente.<br />

12.12.1989<br />

DTSB Präsident Eichler tritt nach massiven<br />

Protesten aus dem ganzen Land <strong>zur</strong>ück.<br />

Ein Arbeits-Ausschuss und ein Arbeitssekretariat<br />

übernehmen die Geschäfte.<br />

Im Bundesvorstand des DTSB soll die<br />

Zahl <strong>der</strong> Stellen von 678 auf 438 gekürzt<br />

werden.<br />

13.12.1989<br />

Berlin: Pressekonferenz des neu gewählten<br />

Vorsitzenden des Arbeitsausschusses des<br />

DTSB Professor Dr. Hans-Georg Herrmann.<br />

Paris: Protokoll über den Ausbau <strong>der</strong><br />

Sportbeziehungen zwischen Frankreich<br />

und <strong>der</strong> DDR wird unterzeichnet.<br />

15.12.1989<br />

<strong>Der</strong> Torwart <strong>der</strong> DDR-Handballauswahl<br />

Wieland Schmidt wechselt zum VfL Hameln.<br />

16.12.1989<br />

Pressekonferenz Berlin: Andreas Thom<br />

(BFC Dynamo Berlin) unterschreibt als<br />

erster DDR-Fußballer nach dem <strong>Mauerfall</strong><br />

einen Profivertrag beim westdeutschen<br />

Spitzenklub Bayer Leverkusen. Spielberechtigung<br />

ab 1. Januar 1990.<br />

Die CDU <strong>der</strong> DDR formiert sich neu, die<br />

Partei Demokratischer Aufbruch orientiert<br />

sich konservativ, die SED gibt sich den<br />

neuen Namen SED-PDS.<br />

<strong>Der</strong> Handball-Oberligist Dynamo Halle-<br />

Neustadt (DDR) muss Konkurs anmelden,<br />

da er vom Ministerium für Staatssicherheit<br />

nicht länger geför<strong>der</strong>t wird.<br />

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“<br />

meldet: Nachdem sich <strong>der</strong> DTSB für Olympische<br />

Spiele in beiden Teilen Berlins<br />

ausgesprochen hat, strebt Willi Daume<br />

offizielle Gespräche mit dem NOK <strong>der</strong><br />

DDR an, möglichst im Januar 1990.<br />

17


18<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 11.12.1989<br />

Rücktritt <strong>der</strong> DTSB-Führung samt Eichler gefor<strong>der</strong>t<br />

Berlin (dpa/sid). <strong>Der</strong> Ost-Berliner<br />

Bezirksvorstand des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Turn- und Sportbundes (DTSB) <strong>der</strong><br />

DDR hat am Samstag den Rücktritt<br />

des DTSB-Präsidiums mit Klaus<br />

Eichler an <strong>der</strong> Spitze verlangt und<br />

die Einberufung eines Son<strong>der</strong>-<br />

Turn-und-Sporttages <strong>bis</strong> spätestens<br />

Mitte Februar gefor<strong>der</strong>t. Eichler<br />

war erst kürzlich als DTSB-<br />

Präsident wie<strong>der</strong>gewählt worden.<br />

Seine Amtszeit ist befristet <strong>bis</strong> zum<br />

nächsten Turn- und Sporttag, <strong>der</strong><br />

für den 22.-24. Juni 1990 einberufen<br />

worden ist. Hintergrund <strong>der</strong><br />

Angriffe ist ein Zwist zwischen<br />

Eichler und seinem Vorgänger,<br />

NOK-Präsident Manfred Ewald,<br />

<strong>der</strong> laut Eichler in finanzielle Machenschaften<br />

verstrickt gewesen<br />

sei. <strong>Der</strong> so Beschuldigte wehrt sich<br />

in einem Papier, nach dem Eichler<br />

doch über das Prämiensystem für<br />

Leistungssportler unterrichtet worden<br />

sei. Darin heißt es: „Er (Eichler,<br />

Anmerkung <strong>der</strong> Redaktion)<br />

nahm die betreffenden Unterlagen<br />

entgegen und äußerte keinerlei<br />

Vorbehalte.“<br />

Bereits am Freitag hatten 192<br />

Sportler des Armeesportklubs Vorwärts<br />

Potsdam sowie des SC Dynamo<br />

Potsdam Eichlers Rücktritt<br />

gefor<strong>der</strong>t. Als Sprecher <strong>der</strong> Gruppe<br />

erklärte Volker Schmidt, <strong>der</strong> Olympiazweite<br />

im Kanu, die DTSB-<br />

Leitung führe <strong>zur</strong> Zeit keine offene<br />

Aussprache. „Wir sprechen uns<br />

gegen das Verhalten von Eichler<br />

aus, <strong>der</strong> von den Prämierungen im<br />

Leistungssport nichts gewußt haben<br />

will“, sagte Schmidt. „<strong>Der</strong><br />

DTSB fällt im Augenblick nur<br />

dadurch auf, daß sich Funktionäre<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 11. Dezember 1989<br />

für die Sünden <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

gegenseitig die Schuld zuweisen.“<br />

Bei <strong>der</strong> kontrovers geführten Diskussion<br />

im Berliner DTSB-<br />

Bezirksvorstand ging es vor allem<br />

um die künftige Nutzung <strong>der</strong> zentralen<br />

Sportstätten Ost-Berlins.<br />

Darüber solle an einem Runden<br />

Tisch entschieden werden. Zu klären<br />

sei auch, wie zweckentfremdete<br />

Sportstätten dem Sport wie<strong>der</strong> <strong>zur</strong><br />

Verfügung gestellt und instand<br />

gesetzt werden könnten.<br />

<strong>Der</strong> <strong>zur</strong> gleichen Zeit tagende<br />

DTSB-Bezirksvorstand Dresden<br />

wies darauf hin, daß Kombinate,<br />

Betriebe und Einrichtungen künftig<br />

kaum noch Mittel für den Sport <strong>zur</strong><br />

Verfügung stellen wollen. Wegen<br />

einer „Vernachlässigung <strong>der</strong> materiellen<br />

Basis“ in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

stünden <strong>zur</strong> Zeit 220 Sportstätten in<br />

Dresden o<strong>der</strong> sieben Prozent aller<br />

vorhandenen Anlagen nicht <strong>zur</strong><br />

Verfügung. Sie seien verfallen o<strong>der</strong><br />

seien zweckentfremdet genutzt<br />

worden.<br />

In einem Interview mit <strong>der</strong> SED-<br />

Parteizeitung „Neues Deutschland“<br />

stellte <strong>der</strong> Berliner Klubvorsitzende<br />

des DDR-Leistungszentrums Sportvereinigung<br />

Dynamo Berlin, Karl-<br />

Heinz Büttner, fest: „Sicher ist, daß<br />

<strong>der</strong> Leistungssport über einen langen<br />

Zeitraum mißbraucht wurde,<br />

um mit ihm eine heile Welt, einen<br />

heilen Sozialismus vorzugaukeln.“<br />

In dem Interview, in dem sich außerdem<br />

Harry Tesch als neuer<br />

Leiter des Büros <strong>der</strong> zentralen<br />

Leitung äußert, machen beide Gesprächspartner<br />

deutlich, daß die<br />

Klubeinrichtungen künftig einem<br />

weit größeren Kreis als <strong>bis</strong>her <strong>zur</strong><br />

Benutzung offenstehen. So wird<br />

angekündigt, daß das öffentliche<br />

Eislaufen „schon zu den Feiertagen<br />

verstärkt“ werde. Für Eislaufen und<br />

für Schwimmen würden Lehrgänge<br />

für Anfänger eingerichtet, die von<br />

namhaften Sportlern und Trainern<br />

betreut werden sollen.<br />

<strong>Der</strong> Sportvereinigung Dynamo<br />

Berlin gehören 280 000 Mitglie<strong>der</strong>,<br />

davon 110 000 Kin<strong>der</strong> und Jugendliche,<br />

im gesamten Gebiet <strong>der</strong> DDR<br />

an. Bisherige Trägerorgane waren<br />

das frühere Ministerium des Inneren<br />

und für Staatssicherheit sowie<br />

die Zollverwaltung. Mit <strong>der</strong> jetzigen<br />

Selbstverwaltung hätten sich<br />

die materielle, personelle und finanzielle<br />

Unterstützung geän<strong>der</strong>t,<br />

und es gelte „wie überall, den<br />

hauptamtlichen Apparat zu reduzieren“.<br />

Offensichtlich soll ein Großteil<br />

<strong>der</strong> Trainer entlassen werden.<br />

Anscheinend ist es jetzt auch zu<br />

Differenzen zwischen <strong>der</strong> Klubführung<br />

und dem DTSB gekommen.<br />

<strong>Der</strong> Sportbund hat Konzeptionen<br />

entwickelt, wonach die freiwerdenden<br />

Ka<strong>der</strong> <strong>der</strong> zentralen Leitung an<br />

<strong>der</strong> Basis des Sports arbeiten sollen.<br />

Nach Auffassung <strong>der</strong> SV Dynamo<br />

Berlin sollten freiwerdende Mitarbeiter<br />

vielmehr im allgemeinen<br />

Dienstleistungsbereich, in <strong>der</strong> Produktion<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Volksbildung,<br />

„also dort, wo sie am dringendsten<br />

gebraucht werden“, eingesetzt werden.<br />

Im DDR-Sport werden sogar<br />

For<strong>der</strong>ungen laut, die SV Dynamo<br />

völlig aufzulösen und die Leistungssportler<br />

an<strong>der</strong>en Klubs zuzuordnen.


<strong>Chronik</strong> Dezember 1989<br />

16./17.12.1989<br />

Potsdam: Außerordentliche DTSB-<br />

Bezirksvorstandssitzung. Das Bezirkssekretariat<br />

tritt <strong>zur</strong>ück. Bis April Neuwahlen<br />

und die Diskussion um ein zukunftsträchtiges<br />

Positionspapier.<br />

19.12.1989<br />

Leipzig: Erstmals „offene Türen“ gab es<br />

für DDR-Journalisten im Forschungsinstitut<br />

für Körperkultur und Sport.<br />

Frankfurt (O<strong>der</strong>): Zweites Frankfurter<br />

Sportforum. Diskussion um den Sport im<br />

Bezirk.<br />

20.12.1989<br />

Wahl <strong>zur</strong> Sportlerin/ zum Sportler des Jahres<br />

<strong>der</strong> DDR: Bei den Männern siegt Andreas<br />

Wecker (Turnen), bei den Frauen<br />

Kristin Otto (Schwimmen). Die Mannschaftswertung<br />

geht an den Straßenvierer<br />

unter Uwe Ampler. Die Jubelfeier verlief<br />

aufgrund anhalten<strong>der</strong> Diskussionen um<br />

Doping im DDR-Hochleistungssport im<br />

kleinen Rahmen.<br />

Berlin: Tagung des DTSB-Arbeitsausschusses.<br />

Klärung von Grundfragen <strong>der</strong><br />

Entwicklung des Sports in <strong>der</strong> DDR und<br />

Neubestimmung des Platzes und <strong>der</strong> Funktion<br />

des DTSB.<br />

21.12.1989<br />

Rotterdam: Uwe Ampler (Olympiasieger<br />

im Straßenvierer 1988 in Seoul) und Uwe<br />

Raab (Weltmeister im Radrennen 1983)<br />

haben Profiverträge beim holländischen<br />

Rennstall von Jan Gisbers (PDM) ab Ende<br />

1990 unterschrieben.<br />

Berlin: <strong>Der</strong> <strong>Deutsche</strong> Radsportverband <strong>der</strong><br />

DDR und <strong>der</strong> Bund <strong>Deutsche</strong>r Radfahrer<br />

<strong>der</strong> Bundesrepublik vereinbaren eine engere<br />

Zusammenarbeit.<br />

<strong>Der</strong> Amateurweltmeister im Boxen (1989),<br />

Henry Maske, hat sich in einem Interview<br />

<strong>der</strong> „Jungen Welt“ für den Profisport ausgesprochen.<br />

Er möchte aber weiter DDR-<br />

Bürger bleiben.<br />

Sportagentur GmbH will 1990 in <strong>der</strong> DDR<br />

ihre Tätigkeit aufnehmen.<br />

Katarina Witt gegenüber <strong>der</strong> „<strong>Deutsche</strong>n<br />

Presse Agentur: „Ich fühle mich auch total<br />

missbraucht.“<br />

22.12.1989<br />

Öffnung des Brandenburger Tores.<br />

Katarina Witt schließt in einem Fernsehinterview<br />

den Weggang aus <strong>der</strong> DDR nicht<br />

aus. Sie liebe zwar ihr Land, so Witt, doch<br />

fühle sie sich von <strong>der</strong> abgetretenen SED-<br />

Führung „missbraucht“. Gleichzeitig bedauere<br />

sie, millionenschwere Werbeverträge<br />

aus sozialistischen Gründen nicht angenommen<br />

zu haben.<br />

23.12.1989<br />

Handball-Nationalspieler Maik Handschke<br />

vom ASK Vorwärts Frankfurt O<strong>der</strong> siedelt<br />

in die Bundesrepublik über.<br />

27.12.1989<br />

Bremen: Kristin Otto wird im Januar 1990<br />

während eines Lehrgangs <strong>der</strong> D-Ka<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik praktischen Unterricht am<br />

Beckenrand erteilen.<br />

28.12.1989<br />

Die Eislaufverbände bei<strong>der</strong> deutscher Staaten<br />

vereinbaren eine engere Zusammenarbeit.<br />

<strong>Der</strong> Dynamo-Sport- und Freizeitkomplex<br />

in Berlin ist ab sofort für die Bevölkerung<br />

zugänglich.<br />

Die „Bild-Zeitung“ titelt: „140 Medaillen!<br />

Vereint sind wir die Nummer 1 <strong>der</strong> Sportwelt.“<br />

19


20<br />

Dezember 1989 – Eine Collage


<strong>Chronik</strong> Januar 1990<br />

Januar 1990<br />

01.01.1990<br />

Berlin: Neujahrsläufe durch Gesamt-<br />

Berlin.<br />

03.01.1990<br />

Berlin: Tagung des DTSB-<br />

Arbeitsausschusses. <strong>Der</strong> Dachverband for<strong>der</strong>t<br />

materielle und finanzielle Absicherung.<br />

Die Fachzeitschrift „Neue Fußballwoche“<br />

ist nicht länger Sprachrohr des Fußballverbandes<br />

(DFV <strong>der</strong> DDR). <strong>Der</strong> Sportverlag<br />

Berlin übernimmt als alleiniger Herausgeber<br />

die Verantwortung. Die Redaktion<br />

blieb in ihrer Zusammensetzung aber zunächst<br />

die alte, ebenso <strong>der</strong> Tonfall <strong>der</strong> Berichterstattung.<br />

04.01.1990<br />

<strong>Der</strong> DDR-Faustballverband nimmt an den<br />

Weltmeisterschaften in Österreich teil.<br />

05.01.1990<br />

Ein Run<strong>der</strong> Tisch des DDR-Sports nimmt<br />

die Arbeit auf und sucht nach neuen Wegen<br />

und Auswegen (Abschluss <strong>der</strong> Beratungen<br />

im März 1990); in einer Resolution<br />

wird die Volkskammer <strong>der</strong> DDR erfolgreich<br />

aufgefor<strong>der</strong>t, ein Jugend- und Sportministerium<br />

ein<strong>zur</strong>ichten.<br />

Berlin (West): Hallenfußballturnier mit<br />

dem 1. FC Magdeburg.<br />

Erste Gespräche zwischen dem <strong>Deutsche</strong>n<br />

Schwimmverband (DSV) und dem <strong>Deutsche</strong>n<br />

Schwimmverband <strong>der</strong> DDR (DSSV)<br />

auf Initiative des DSV. Gemeinsame Lehrgänge<br />

und Trainingslager werden vereinbart.<br />

06.01.1990<br />

Berlin: Mitglie<strong>der</strong>versammlung des NOK<br />

<strong>der</strong> DDR. Manfred Ewald tritt als Präsident<br />

und Mitglied des NOK <strong>der</strong> DDR <strong>zur</strong>ück.<br />

<strong>Der</strong> einst mächtigste Mann des DDR-<br />

Sports verliert damit auch sein letztes Spit-<br />

zenamt. Rudi Hellmann, ehemals Leiter<br />

<strong>der</strong> Sportabteilung im ZK <strong>der</strong> SED, tritt als<br />

Vizepräsident und Mitglied <strong>zur</strong>ück. Dr.<br />

Günther Heinze, Vizepräsident und Mitglied<br />

des IOC, wird als Präsident gewählt,<br />

Dr. Georg Zorowka wird Vizepräsident.<br />

Heinz Beier und Dr. Günter Kohl werden<br />

als Mitglie<strong>der</strong> des Präsidiums gewählt.<br />

Berlin: erweiterte Präsidiumstagung des<br />

Eislaufverbandes <strong>der</strong> DDR. Volkssportmannschaften<br />

im Eishockey sollen künftig<br />

ebenso wie die Eisstockschützen und die<br />

Anhänger des Shorttrack-Eisschnelllaufs<br />

mehr Möglichkeiten <strong>zur</strong> Ausübung ihres<br />

Sports erhalten.<br />

07.01.1990<br />

Berlin: Erstmals spielt ein DDR-<br />

Volleyballer, René Hecht, mit offizieller<br />

Genehmigung des <strong>Deutsche</strong>n Volleyballverbandes<br />

(DVV) im Ausland.<br />

10.01.1990<br />

Cottbus: Die Vorsitzenden <strong>der</strong> Fußballklubs<br />

und Sektionsleiter <strong>der</strong> Fußballoberligamannschaften<br />

diskutieren eine grundsätzliche<br />

Erneuerung des Fußballsports in<br />

<strong>der</strong> DDR und for<strong>der</strong>n die Loslösung vom<br />

DTSB.<br />

Die DDR-Volleyballnationalmannschaft<br />

<strong>der</strong> Frauen schließt Sponsorenvertrag mit<br />

<strong>der</strong> „Wella AG“.<br />

Beratungen in München: <strong>Der</strong> <strong>Deutsche</strong><br />

Eishockey-Bund (DEB) und <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong><br />

Eislaufverband <strong>der</strong> DDR (DELV) streben<br />

im Eishockey eine engere Zusammenarbeit<br />

an.<br />

11.01.1990<br />

Zweites Gipfeltreffen DFV/DFB nach dem<br />

<strong>Mauerfall</strong>. Einigung <strong>der</strong> Fußballverbände<br />

über die Bestimmungen bei künftigen<br />

Spielerwechseln. Terminierung eines Län<strong>der</strong>spielvergleichs<br />

DDR gegen Bundesrepublik<br />

für den 29.08.1990 in Leipzig.<br />

21


22<br />

Tod einer Massenorganisation (I) – <strong>Der</strong> DTSB war in <strong>der</strong> Wendezeit nur scheinbar reformwillig<br />

Tod einer Massenorganisation (I)<br />

<strong>Der</strong> DTSB war in <strong>der</strong> Wendezeit nur<br />

scheinbar reformwillig<br />

von Michael Barsuhn<br />

Januar 1990. Nach Außen reformwillig<br />

nach Innen verkrustet. So präsentierte sich<br />

die Massenorganisation des DDR-Sports,<br />

<strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong> Turn- und Sportbund <strong>der</strong><br />

DDR (DTSB), in den ersten Wendemonaten.<br />

Tagungen, Pressekonferenzen, außerordentliche<br />

Sitzungen reihten sich aneinan<strong>der</strong><br />

– <strong>der</strong> DTSB verfiel in regen Aktionismus.<br />

Am 14. November 1989 philosophierte<br />

Präsident Klaus Eichler, <strong>der</strong> 1988<br />

die Nachfolge von Manfred Ewald angetreten<br />

hatte, über „die Erneuerung des DTSB<br />

im Prozess <strong>der</strong> Wende.“ Dass es sich dabei<br />

aber lediglich um Luftblasen handelte,<br />

zeigte sich knapp zwei Wochen später auf<br />

<strong>der</strong> 15. Tagung des DTSB-Bundesvorstandes<br />

in <strong>der</strong> Sportschule Kienbaum.<br />

Öffentlichkeit und Medienvertreter wurden<br />

ausgesperrt. Immerhin konnten 15 Vertreter<br />

<strong>der</strong> Sportfachverbände in die heiligen<br />

Hallen <strong>der</strong> Dachorganisation des DDR-<br />

Sports vordringen. Darunter Kegler,<br />

Basketballer und Tischtennisspieler, die<br />

seit 1969 in <strong>der</strong> Kategorie Sport 2 gegenüber<br />

dem olympischen Sport massiv benachteiligt<br />

worden waren. Nun wollten sie<br />

ihrem angestauten Unmut mit Plakaten<br />

Luft verschaffen: “Wir for<strong>der</strong>n die DTSB-<br />

Führung zum Dialog mit unseren Sportverbänden<br />

auf,“ war dort zu lesen. O<strong>der</strong><br />

„Das Gesicht des Sports dem Volk und den<br />

Realitäten zugewandt.“<br />

<strong>Der</strong> DTSB sah sich mit ungewohnt scharfer<br />

Kritik konfrontiert und reagierte nach<br />

altbewährtem Muster. Was nicht ins Bild<br />

passt, wird unterdrückt. Die Plakate wurden<br />

entfernt: „<strong>Der</strong> Direktor dieser Sportschule<br />

hat mit <strong>der</strong> Begründung, dass wir<br />

mit dem Aufkleben die Möbelpolitur beschädigt<br />

haben, die Plakate demonstrativ<br />

vor meinen Augen zerrissen“, erklärte ein<br />

Michael Barsuhn<br />

Vertreter <strong>der</strong> 15 Sportverbände vor laufenden<br />

Fernsehkameras. „Ich empfinde dies in<br />

einer heutigen Zeit als empörend.“<br />

Klaus Eichler präsentierte sich <strong>der</strong>weil im<br />

Blitzlichtgewitter <strong>der</strong> internationalen Presse.<br />

Von seinen Kollegen war er einstimmig<br />

im Amt bestätigt worden. Mit nunmehr<br />

fünf statt zehn Vizepräsidenten an seiner<br />

Seite, die allerdings allesamt SED-<br />

Mitglie<strong>der</strong> waren, verkündete er stolz die<br />

Reformbereitschaft des DTSB. Als Zeichen<br />

des Erneuerungswillens versprach er<br />

die Gründung eines Triathlon- und eines<br />

Studentensportverbandes in <strong>der</strong> DDR.<br />

Am 12. Dezember 1989 wurde am Rande<br />

einer außerordentlichen Sitzung des<br />

DTSB-Bundesvorstandes klar, dass sich<br />

auch die Vertreter des Leistungssports<br />

nicht mehr durch Eichler repräsentiert fühlten:<br />

„Es ist ja bekannt, dass beispielsweise<br />

die Sportklubvorsitzenden und die Generalsekretäre<br />

<strong>der</strong> Verbände ausgegrenzt<br />

wurden. Trotz vorliegen<strong>der</strong> schriftlicher<br />

Einladung <strong>zur</strong> 15. Tagung wurden wir 24<br />

Stunden vorher ausgeladen und insofern ist<br />

das natürlich sehr bedauerlich, dass solche<br />

Entscheidungen gefällt wurden ohne den<br />

wirklich breiten Kreis <strong>der</strong> kompetenten<br />

Leute dort mit ein zu beziehen.“ Mit dem<br />

Rücktritt von Egon Krenz hatte Eichler<br />

seinen politischen Rückhalt verloren. Unter<br />

dem doppelten Sperrfeuer <strong>der</strong> benachteiligten<br />

Verbände von Sport 2 und des verunsicherten<br />

Leistungssports verkündete er am<br />

Abend: „Es ist so, liebe Sportfreunde, dass<br />

das Sekretariat durch die Gesamtheit <strong>der</strong><br />

bestehenden Probleme stark belastet ist. Es<br />

hat die Situation geprüft und ist zu dem<br />

Schluss gekommen, <strong>zur</strong>ück zu treten.“ Die<br />

ehemalige Führungsspitze des DTSB wurde<br />

schließlich am 27. Januar 1990 aus dem<br />

Bundesvorstand entfernt. Dieser bestand<br />

jedoch weiterhin zu 93 Prozent aus SED-<br />

Mitglie<strong>der</strong>n.


<strong>Chronik</strong> Januar 1990<br />

11.01.1990<br />

Freundschaftliche Gespräche zwischen<br />

DTSB und DSB. Trotz <strong>bis</strong>lang ausgebliebener<br />

Demokratisierung des DTSB soll die<br />

Zusammenarbeit zwischen den Dachverbänden<br />

des deutschen Sports beträchtlich<br />

erweitert werden. Geplant sind u. a. gemeinsame<br />

Kommissionen.<br />

Die ersten vier <strong>der</strong> DDR-Tennis-Rangliste<br />

<strong>der</strong> Männer haben sich <strong>der</strong> TG Bochum 49<br />

angeschlossen.<br />

13.01.1990<br />

Berlin: Gründung eines <strong>Deutsche</strong>n Kraftsport-<br />

und Bodybuilding-Verbandes<br />

(DKBV <strong>der</strong> DDR).<br />

Berlin: <strong>Der</strong> <strong>Deutsche</strong> Anglerverband<br />

(DAV) <strong>der</strong> DDR und <strong>der</strong> Verband <strong>Deutsche</strong>r<br />

Sportfischer <strong>der</strong> Bundesrepublik vereinbaren<br />

eine engere Zusammenarbeit.<br />

14.01.1990<br />

Frankfurt (O<strong>der</strong>): Henry Maske will Profiboxer<br />

werden. Erste Verhandlungen mit<br />

dem Hamburger Manager und Promoter<br />

Klaus-Peter Kohl.<br />

15.01.1990<br />

Erstürmung <strong>der</strong> Zentrale <strong>der</strong> Staatssicherheit<br />

in Berlin. Sicherung <strong>der</strong> Aktenbestände.<br />

Die Zeitschrift „Start“, Organ des Bundesvorstands<br />

des DTSB, hat nach <strong>der</strong> Herausgabe<br />

des Januarheftes 1990 ihr Erscheinen<br />

eingestellt.<br />

16.01.1990<br />

Manfred von Brauchitsch hat seinen Rücktritt<br />

als Präsident <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>zur</strong> För<strong>der</strong>ung<br />

des Olympischen Gedankens in <strong>der</strong><br />

DDR erklärt.<br />

dpa meldet, dass sich <strong>der</strong> VfB Stuttgart mit<br />

Matthias Sammer (Dynamo Dresden) über<br />

einen Wechsel geeinigt hat.<br />

<strong>Der</strong> Präsident des Fußballverbandes (DFV<br />

<strong>der</strong> DDR), Günter Erbach, hat den früheren<br />

Dresdener Spielern Matthias Müller und<br />

Peter Kotte in einem Gespräch Rehabilitierung<br />

zugesagt.<br />

In einem offenen Brief von den Geschäftsführern<br />

aller Fußball-Bezirksfachausschüsse,<br />

wird die Besorgnis geäußert, dass<br />

<strong>der</strong> Fußball erneut Opfer des Dirigismus<br />

des DTSB wird.<br />

17.01.1990<br />

Presseerklärung des „Neuen Forums“<br />

Leipzig: Sport sei als Bestandteil des kulturellen<br />

Lebens zu erhalten. <strong>Der</strong> drastische<br />

Personalabbau gefährde die Existenz des<br />

Sportes.<br />

Karl-Marx-Städter DTSB wendet sich gegen<br />

den geplanten Planstellenabbau in seinem<br />

Bereich.<br />

Beratung des Arbeitsausschusses des<br />

DTSB-Bundesvorstandes. Im Mittepunkt<br />

steht die finanzielle Sicherung des Sportreibens.<br />

Pressekonferenz in Nürnberg: westdeutsche<br />

Firma rüstet künftig alle DDR-<br />

Straßennationalmannschaften im Radsport<br />

mit Rennmaschinen und Materialien aus.<br />

18.01.1990<br />

Halle: Sportlerdemonstration in <strong>der</strong> DDR<br />

auf dem Halleschen Obermarkt.<br />

Werbevertrag zwischen dem Schlitten- und<br />

Bobsportverband <strong>der</strong> DDR und <strong>der</strong><br />

Münchner Brauerei „Spatenbräu“ unterzeichnet.<br />

19.01.1990<br />

Berlin: <strong>Der</strong> Generalsekretär des DDR-<br />

Leichathletikverbandes, Dr. Heinz Kadow,<br />

und <strong>der</strong> Geschäftsführer <strong>der</strong> UFA Film-<br />

und Fernseh GmbH, Bernd Schiphorst,<br />

unterzeichnen einen Vertrag über die internationalen<br />

Fernseh- und Werberechte für<br />

den Olympischen Tag <strong>der</strong> Leichtathleten in<br />

Berlin.<br />

23


24<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 08.01.1990<br />

Günther Heinze auf einer Son<strong>der</strong>sitzung zum neuen Präsidenten bestimmt<br />

Ewald weicht dem Druck und tritt <strong>zur</strong>ück<br />

Das NOK <strong>der</strong> DDR ist für Olympia in Berlin<br />

OST-BERLIN (sid/dpa). Eine<br />

Bewerbung um Olympische Sommerspiele<br />

in beiden Teilen Berlins<br />

zeichnet sich immer deutlicher ab.<br />

Auch das Nationale Olympische<br />

Komitee (NOK) <strong>der</strong> DDR hat nun<br />

die Idee, Olympische Spiele in<br />

Gesamt Berlin im Jahr 2000 o<strong>der</strong><br />

2004 auszutragen, begrüßt. „Wir<br />

unterstützen die Initiativen des<br />

Oberbürgermeister Erhard Krack<br />

und des Regierenden Bürgermeisters<br />

Walter Momper“, erklärte <strong>der</strong><br />

auf <strong>der</strong> NOK-Mitglie<strong>der</strong>versammlung<br />

am Samstag in Ost-Berlin<br />

einstimmig berufene Übergangs-<br />

Präsident Günter Heinze.<br />

Heinze, <strong>der</strong> auch Mitglied des Internationalen<br />

Olympischen Komitees<br />

(IOC) ist, erklärte seine Bereitschaft,<br />

mit dem Präsidenten des<br />

NOK für Deutschland, Willi Daume,<br />

ein Gespräch über weitere<br />

Initiativen <strong>zur</strong> Vorbereitung <strong>der</strong><br />

Kandidatur zu führen. „Es ist zwar<br />

eine Angelegenheit <strong>der</strong> beiden<br />

Berliner Städte“, sagte <strong>der</strong> 66 Jahre<br />

alte Präsident, „aber es gibt viel zu<br />

besprechen.“ Gefor<strong>der</strong>t hatte die<br />

Mitglie<strong>der</strong>versammlung in <strong>der</strong><br />

Sportschule an <strong>der</strong> Regattastrecke<br />

am Langen See auch eine bessere<br />

Zusammenarbeit mit dem bundesdeutschen<br />

NOK. „Wir sind im<br />

Sinne einer Vertragsgemeinschaft<br />

offen“, lautete die Offerte, die<br />

Heinze seinem Amtskollegen<br />

Daume machte. Dieser wertete die<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 8. Januar 1990<br />

Aussage als „klares Verhandlungsangebot,<br />

das wir annehmen“. Heinze<br />

schloß jedoch eine Rückkehr zu<br />

einer gesamtdeutschen Mannschaft<br />

aus. „Es gibt zwei souveräne deutsche<br />

NOK und daher keine Voraussetzungen<br />

für die Bildung gemeinsamer<br />

Mannschaften“, sagte<br />

<strong>der</strong> Staatswissenschaftler und Diplom-Sportlehrer.<br />

Viel Zündstoff hatte es schon vor<br />

<strong>der</strong> Sitzung gegeben. Die Präsidiumsmitglie<strong>der</strong><br />

wollten mit aller<br />

Macht den seit 1973 amtierenden<br />

Präsidenten Manfred Ewald in<br />

Pension schicken. Hinter verschlossenen<br />

Türen wurde Ewald<br />

wegen seines unbeirrbaren Kurses<br />

angegriffen. <strong>Der</strong> Sportfunktionär<br />

trat dann auf <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong>versammlung<br />

als Präsident <strong>zur</strong>ück und<br />

erklärte zugleich, er werde nicht<br />

mehr länger Mitglied des NOK<br />

sein. „Rücktritte geschehen auch<br />

aus Einsichten“, erklärte NOK-<br />

Pressesprecher Volker Kluge salomonisch.<br />

Heinze wurde deutlicher:<br />

„Ewald hat eine Reihe von Fehlern<br />

gemacht, die er als Leiter des Kollektivs<br />

des NOK mitzutragen hat.“<br />

Auch <strong>der</strong> <strong>bis</strong>herige Vizepräsident<br />

Rudi Hellmann, lange Zeit Leiter<br />

<strong>der</strong> Abteilung Sport beim Zentralkomitee<br />

<strong>der</strong> SED, wurde vom Vorsitzenden<br />

des DDR-Schwimmverbandes,<br />

Georg Zorowka, abgelöst.<br />

Auf <strong>der</strong> NOK-Mitglie<strong>der</strong>ver-<br />

sammlung im Juni soll ein neues<br />

Präsidium gewählt werden. Gesucht<br />

wird für das Präsidenten-Amt ein<br />

verdienter Sportler, <strong>der</strong> vor allem<br />

politisch unbelastet sein muß.<br />

Heinze hat nicht die Absicht, sich<br />

abermals <strong>zur</strong> Wahl zu stellen. Bei<br />

<strong>der</strong> nächsten Sitzung werden sicher<br />

ganz an<strong>der</strong>e Mitglie<strong>der</strong> das Wort<br />

erheben können. Denn im März bei<br />

den Wahlen in den 26 DDR-Sportverbänden,<br />

bei denen auch die 26<br />

ordentlichen NOK-Mitglie<strong>der</strong> zu<br />

bestimmen sind, wird erstmals auch<br />

<strong>der</strong> Demokratisierungsprozeß im<br />

DDR-Sport greifen.<br />

Mit dem Rücktritt von Ewald, <strong>der</strong><br />

bereits vor 13 Monaten als Präsident<br />

des <strong>Deutsche</strong>n Turn- und<br />

Sportbundes (DTSB) abgelöst wurde,<br />

endet eine Ära des DDR-Sports,<br />

in <strong>der</strong> es bei Olympischen Spielen<br />

und Weltmeisterschaften eine Medaillenflut<br />

gegeben hatte. Ewald<br />

hatte den Leistungssport an harten<br />

Zügeln geführt und mit stalinistischen<br />

Methoden konsequent auf<br />

Erfolgskurs getrimmt. Schon vor<br />

<strong>der</strong> politischen Wende wurde ihm<br />

angekreidet, daß er demokratische<br />

Entscheidungsprozesse unterbinde,<br />

den Leistungssport von <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

abschotte und als Geheimsache<br />

führe sowie ein Umdenken<br />

hin zu mo<strong>der</strong>nen Vermarktungsmöglichkeiten<br />

strikt ablehne.


<strong>Chronik</strong> Januar 1990<br />

19.01.1990<br />

Paris: Erstmalig beteiligt sich <strong>der</strong> Fecht-<br />

Nachwuchs <strong>der</strong> DDR an einem Europapokalturnier<br />

im Degenfechten.<br />

Leipzig: Bürger richten aus Sorge um die<br />

Entwicklung des Sports in <strong>der</strong> DDR einen<br />

offenen Brief an Ministerpräsident Hans<br />

Modrow und den Runden Tisch.<br />

20.01.1990<br />

Berlin: DDR-Boxsportverband gegen Profiboxen.<br />

23.01.1990<br />

Die „Neue Fußballwoche“ meldet: „Beim<br />

BFV (Berliner Fußballverband/West) haben<br />

sich <strong>bis</strong>her 250 Spieler aller Altersklassen<br />

aus <strong>der</strong> DDR angemeldet.“ Allein<br />

das Zweitligateam von Motor Ludwigsfelde<br />

beklagte im Februar den Verlust von 13<br />

Spielern.<br />

Berlin: Gründung des ersten Klubs <strong>der</strong><br />

Ballonfahrer, „mecklenburgisch-brandenburgische<br />

Ballonfahrerklub“ <strong>der</strong> DDR (16<br />

Mitglie<strong>der</strong>) innerhalb des Flug- und Fallschirmsportverbandes<br />

<strong>der</strong> DDR.<br />

26.01.1990<br />

Klaus Schenkel, Auswahltrainer <strong>der</strong> DDR-<br />

Fechter, und Klaus Kotzmann, Cheftrainer<br />

beim ASK Vorwärts Potsdam haben die<br />

DDR Richtung FC Tauber<strong>bis</strong>chofsheim<br />

verlassen.<br />

Presseerklärung des Amtes für Jugend und<br />

Sport <strong>der</strong> DDR. Die Mittel für den Sport<br />

sollen erhalten bleiben.<br />

27.01.1990<br />

Kienbaum: 17. Tagung des DTSB-Bundesvorstandes.<br />

Ausschluss <strong>der</strong> ehemaligen<br />

Führungsspitze des DDR-Sports, <strong>der</strong> Präsidenten<br />

Manfred Ewald und Klaus Eichler<br />

aus dem Bundesvorstand. Ausschluss des<br />

ehemaligen Staatssekretärs für Körperkultur<br />

und Sport, Prof. Dr. Günter Erbach, des<br />

früheren Leiters <strong>der</strong> Abteilung Sport des<br />

ZK <strong>der</strong> SED, Rudi Hellmann, und des e-<br />

hemaligen DTSB-Vizepräsidenten Volker<br />

Ränke.<br />

Leipzig: Die Zusammenarbeit zwischen<br />

<strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong>n Hochschule für Körperkultur<br />

und Sport (DHFK) in Leipzig und <strong>der</strong><br />

Sporthochschule Köln wird intensiviert.<br />

Malmö: Nach 24jähriger Pause stehen sich<br />

die Ringer-Nationalmannschaften Schwedens<br />

und <strong>der</strong> DDR wie<strong>der</strong> in einem Län<strong>der</strong>kampf<br />

gegenüber.<br />

Hertha BSC vs. 1. FC Union Berlin: Erstes<br />

Aufeinan<strong>der</strong>treffen (unter freiem Himmel)<br />

<strong>der</strong> beiden Berliner Traditionsvereine nach<br />

28 Jahren im Berliner Olympiastadion vor<br />

52.000 Zuschauern. Hertha siegt mit 2:1.<br />

27./28.01.1990<br />

<strong>Der</strong> Zentralvorstand <strong>der</strong> GST ist auf seiner<br />

außerordentlichen Tagung <strong>zur</strong>ückgetreten.<br />

28.01.1990<br />

Pressekonferenz zu den Ergebnissen <strong>der</strong><br />

17. Tagung des DTSB-Bundesvorstandes.<br />

Aufruf durch Jochen Grünwald, Vorsitzen<strong>der</strong><br />

des Arbeitssekretariats, zu einer verstärkten<br />

Mitarbeit und einer breiten Diskussion<br />

bei <strong>der</strong> Erneuerung des DDR-<br />

Sports.<br />

29.01.1990<br />

Berlin (West): Informelles Gespräch zwischen<br />

den Präsidenten <strong>der</strong> beiden deutschen<br />

Nationalen Olympischen Komitees<br />

Günter Heinze und Willi Daume.<br />

31.01.1990<br />

Berlin: Zweiter Run<strong>der</strong> Tisch.<br />

Im Mittelpunkt steht die Sorge um den<br />

Bestand und die Zukunft des DDR-Sports<br />

auf allen Ebenen.<br />

Berlin: Gründung eines Bürgerforums „Olympische<br />

Spiele 2000 in Berlin“.<br />

Berlin (Ost): Arbeitsgruppe Sport <strong>der</strong> SPD<br />

gebildet. Leiter wird Alfred Grzondziel.<br />

25


26<br />

Januar 1990 – Eine Collage


<strong>Chronik</strong> Februar 1990<br />

Februar 1990<br />

01.02.1990<br />

Gemeinsamer Aufruf des „Neuen Forums“<br />

und des Amtes für Jugend und Sport, um<br />

die Zukunft des Sports zu sichern.<br />

Übertragung <strong>der</strong> Fußball-Weltmeisterschaft<br />

1990: Die ARD hat dem Fernsehen<br />

und Rundfunk <strong>der</strong> DDR eine Zusammenarbeit<br />

angeboten.<br />

Erfurt: Gründung eines sämtliche Bezirke<br />

umspannenden DDR-Verbandes <strong>der</strong> Trainer<br />

und Sportlehrer.<br />

02.02.1990<br />

Zwickau: Neugründung von Vereinen:<br />

Gründung des Fußballklubs FSV Zwickau.<br />

Aufruf durch André Brunzlow <strong>zur</strong> Sportlerdemonstration<br />

in <strong>der</strong> „Märkischen<br />

Volksstimme“.<br />

Stockholm: <strong>Der</strong> Fußballverband (DFV <strong>der</strong><br />

DDR) unterschreibt einen Vier-Jahres-<br />

Vertrag über Bandenwerbung und weltweite<br />

Vermarktung <strong>der</strong> Fernsehrechte mit <strong>der</strong><br />

Schweizer Agentur CWL.<br />

03.02.1990<br />

Potsdam/Berlin: Sportlerdemonstrationen<br />

organisiert vom DTSB.<br />

<strong>Der</strong> Arbeitsausschuss des <strong>Deutsche</strong>n Boxverbandes<br />

(DBV <strong>der</strong> DDR) erteilt eine<br />

generelle Gaststartgenehmigung für alle<br />

DDR-Boxer aus den Klubs und Betriebssportgemeinschaften<br />

(BSG) in Vereinen<br />

<strong>der</strong> Bundesrepublik.<br />

Cottbus: Energie Cottbus unterzeichnet<br />

Kontrakt mit <strong>der</strong> Schweizer Agentur CWL.<br />

04.02.1990<br />

Stockholm: Die DDR und die Bundesrepublik<br />

werden gemeinsam mit Wales, Belgien<br />

und Luxemburg in eine Qualifikationsgruppe<br />

<strong>zur</strong> Europameisterschaft 1992<br />

in Schweden gelost.<br />

Rehabilitierung des ehemaligen Diskuswerfers<br />

Wolfgang Schmidt. Wie<strong>der</strong>zulassung<br />

zu internationalen Meisterschaften.<br />

05.02.1990<br />

Berlin: Interview <strong>der</strong> „Berliner Zeitung“<br />

mit Günther Netzer (CWL). Schweizer<br />

Agentur möchte ganze DDR-Oberliga unter<br />

Vertrag nehmen.<br />

Im Sportgespräch des „Deutschlandfunks“<br />

for<strong>der</strong>t Dr. Rolf Donath, Direktor des<br />

Sportmedizinischen Dienstes <strong>der</strong> DDR die<br />

baldige Bildung einer gesamtdeutschen<br />

Olympiamannschaft.<br />

06./07.02.1990<br />

Berlin (West): Treffen <strong>der</strong> Vorstände <strong>der</strong><br />

Handballverbände <strong>der</strong> DDR und <strong>der</strong> Bundesrepublik,<br />

um einen umfangreichen<br />

Maßnahmenkatalog <strong>der</strong> gegenseitigen Zusammenarbeit<br />

zu beraten.<br />

07.02.1990<br />

Bonn: Die Bundesregierung bildet den<br />

Kabinettsausschuss "<strong>Deutsche</strong> Einheit".<br />

Berlin: Gründung des <strong>Deutsche</strong>n Gehörlosen–Sportverbandes<br />

<strong>der</strong> DDR. Präsident:<br />

Heinz Meurer. Generalsekretärin: Inge<br />

Mandrek.<br />

Als Vertretung von sporttreibenden Kin<strong>der</strong>n<br />

und Jugendlichen gegenüber staatlichen<br />

und gesellschaftlichen Institutionen<br />

konstituierte sich eine Initiativgruppe<br />

„Sportjugend <strong>der</strong> DDR“.<br />

Handballlän<strong>der</strong>spiel <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

gegen DDR vereinbart.<br />

Ludwigsfelde: Fußballfreundschaftsspiel<br />

Motor Ludwigsfelde gegen Hertha 03 Zehlendorf.<br />

27


28<br />

Go West! – Trainer und Spitzensportler wechseln in den „goldenen Westen“<br />

Go West!<br />

Trainer und Spitzensportler wechseln in<br />

den „goldenen Westen“<br />

von Jutta Braun<br />

Februar 1990. Die neue Freiheit wurde<br />

nicht nur zu innerdeutschen Wettkämpfen<br />

genutzt: Gleichzeitig setzte eine massive<br />

Westwan<strong>der</strong>ung von Sportlern, aber auch<br />

Trainern ein, die ihr persönliches und berufliches<br />

Heil in <strong>der</strong> Bundesrepublik suchten.<br />

Den ersten Trainer aus <strong>der</strong> DDR verpflichtete<br />

<strong>der</strong> westdeutsche Skiverband im<br />

Januar 1990 als Betreuer <strong>der</strong> Nordischen<br />

Kombinierer. Wie in kaum einem an<strong>der</strong>en<br />

Bereich <strong>der</strong> Wendephänomene wurde gegen<br />

diesen Exodus von verschiedener Seite<br />

polemisiert: Eher selten wurden die Wechsel<br />

als persönliche Entscheidung <strong>der</strong> Athleten<br />

respektiert. <strong>Der</strong> westdeutsche Sport<br />

wurde beschimpft ob seiner „Piratenakte“,<br />

so <strong>der</strong> Vorwurf des Cheftrainers <strong>der</strong> Männer<br />

von DDR-Handballmeister Vorwärts<br />

Frankfurt/O<strong>der</strong> gegenüber den Verantwortlichen<br />

<strong>der</strong> Handball-Bundesliga. Auch <strong>der</strong><br />

Generalsekretär des DDR-Boxverbandes<br />

Bernd Hönicke kritisierte die „Praktiken“<br />

<strong>der</strong> Bundesligavereine, nachdem über 60<br />

Amateurboxer von Dezember 1989 <strong>bis</strong><br />

März 1990 in die Bundesrepublik gewechselt<br />

waren. Zahlreiche westliche Funktionäre<br />

nutzten gezielt die Gunst <strong>der</strong> Stunde,<br />

um mit Hilfe <strong>der</strong> „Goldkin<strong>der</strong>“ den bundesdeutschen<br />

Sport aufzupolieren. Beispielhaft<br />

ist hierbei das Vorgehen des Managers<br />

des VfL Hameln, dem es noch im<br />

Dezember 1989 gelang, fast die gesamte<br />

männliche Handball-Auswahlmannschaft<br />

<strong>der</strong> DDR für den VfL zu verpflichten.<br />

Die DDR-Sportler traf wie<strong>der</strong>holt <strong>der</strong><br />

Vorwurf, sie seien „Verräter“ und folgten<br />

ausschließlich dem „Lockruf des Geldes“.<br />

Als „nicht fair“ beschimpfte <strong>der</strong> Kanu-<br />

Generalsekretär Werner Lempert den Abgang<br />

<strong>der</strong> Weltmeisterinnen Monika Bunke<br />

und Katrin Borchert und ihres Trainers<br />

Jutta Braun<br />

Kersten Neumann nach Essen. Spektakulär<br />

waren auch die Fälle im Radsport, praktisch<br />

die gesamte Nationalmannschaft<br />

wechselte nach dem Fall <strong>der</strong> Mauer ins<br />

Profilager. Olympiasieger wie Henry Maske,<br />

die im Westen Profi werden wollten,<br />

mussten in <strong>der</strong> DDR um ihren guten Ruf<br />

kämpfen.<br />

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble<br />

for<strong>der</strong>te im März 1990 die bundesdeutschen<br />

Vereine zu Zurückhaltung auf: Man<br />

könne nicht „mit dem großen Geldkoffer,<br />

wie es Bayer Leverkusen im Fußball gemacht<br />

hat, in <strong>der</strong> DDR Leute anheuern,<br />

sonst wirken wir doch wie die Pfeffersäcke.“<br />

Für deutsch-deutsche Maßnahmen im<br />

Spitzensport wurden im gleichen Jahr 1,8<br />

Millionen Mark <strong>zur</strong> Verfügung gestellt -<br />

mit diesem Geld wollte <strong>der</strong> Bundessausschuss<br />

Leistungssport unter an<strong>der</strong>em den<br />

Spitzensport in <strong>der</strong> DDR stabilisieren.<br />

Niemand könne daran interessiert sein, so<br />

<strong>der</strong> Direktor des BAL, Professor Rolf<br />

Andresen, dass DDR-Spitzenathleten weiterhin<br />

in die Bundesrepublik wechselten.<br />

Doch beim zweiten Sport-Spitzentreffen<br />

zwischen Hansen und Kilian am 18. April<br />

war die Abwan<strong>der</strong>ungswelle unverän<strong>der</strong>t<br />

ein zentrales Thema, das dem DTSB-<br />

Präsidenten Martin Kilian „schlaflose<br />

Nächte“ bereitete.<br />

<strong>Der</strong> Exodus war nicht allein eine Folge <strong>der</strong><br />

Magnetkraft <strong>der</strong> Westmark. In <strong>der</strong> ersten<br />

Zeit war es ebenso eine Flucht aus den<br />

Kommandostrukturen des DDR-Sports,<br />

später die Flucht vor dem wirtschaftlichen<br />

Nie<strong>der</strong>gang. Abgestoppt wurde die Welle<br />

erst mit <strong>der</strong> grundlegenden Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

politisch-wirtschaftlichen Rahmenbedingungen:<br />

Vor allem <strong>der</strong> Einführung <strong>der</strong><br />

Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion<br />

am 1. Juli 1990. Zu diesem Zeitpunkt hatte<br />

<strong>der</strong> DDR-Sport aber bereits einen beträchtlichen<br />

Teil seiner Substanz eingebüßt.


<strong>Chronik</strong> Februar 1990<br />

07.02.1990<br />

Crimmitschau: Gründung des ersten zivilen<br />

Eishockeyklubs <strong>der</strong> DDR nach dem<br />

<strong>Mauerfall</strong>: EHC Crimmitschau.<br />

08.02.1990<br />

Berlin: Richard Winkels, Präsident des<br />

Landessportbundes von Nordrhein-<br />

Westfalen, schließt eine gemeinsame deutsche<br />

Olympiamannschaft für 1992 aus:<br />

„Das kann man den Sportlern aus <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

nicht antun“.<br />

Oberhof: Offener Brief <strong>der</strong> Trainer des<br />

ASK Oberhof. For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Gründung<br />

eines Wintersportzentrums Thüringen.<br />

09.02.1990<br />

In einem Interview mit <strong>der</strong> „Jungen Welt“<br />

plädiert Dr. Heinze, Präsident des NOK<br />

<strong>der</strong> DDR, für eine eigenständige Olympiamannschaft<br />

1992.<br />

Die deutschen Handballverbände vereinbaren<br />

einen intensiven Spielverkehr.<br />

Leipzig: Das „Neue Forum“ stellt ein<br />

Sportprogramm vor.<br />

Stuttgart: Körperbehin<strong>der</strong>te Tischtennisspieler<br />

aus Cottbus, Sallgast und Jänschwalde<br />

sind zu Gast beim 1. deutschdeutschenTischtennis-Freundschaftsturnier<br />

<strong>der</strong> Körperbehin<strong>der</strong>ten.<br />

10.02.1990<br />

Rücktritt von Günter Erbach als Präsident<br />

des DFV <strong>der</strong> DDR; Günther Schnei<strong>der</strong><br />

wird zu seinem Nachfolger bestimmt. Ab<br />

sofort nimmt Hans-Georg Moldenhauer als<br />

Vertreter <strong>der</strong> Fußball-Basis an den Sitzungen<br />

des Präsidiums des DFV <strong>der</strong> DDR teil.<br />

Gran Canaria: Hamburger SV und Dynamo<br />

Dresden absolvieren ein gemeinsames<br />

Trainingslager.<br />

11.02.1990<br />

<strong>Der</strong> Schwimmausschuss des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Schwimmverbandes (DSV) sagt gemeinsame<br />

Weltmeisterschafts-Qualifikationen<br />

mit <strong>der</strong> DDR ab.<br />

Gründung einer Arbeitsgruppe Sport und<br />

Umwelt im DTSB.<br />

13.02.1990<br />

<strong>Der</strong> Cheftrainer des DDR-Leichtathletikverbandes,<br />

Dr. Ekkart Arbeit, reicht seinen<br />

Rücktritt ein.<br />

Berlin: Gert Barthelmes, Direktor <strong>der</strong><br />

Sporthochschule Kienbaum, teilt vor Pressevertretern<br />

mit, dass <strong>der</strong> DTSB die Unterdruckkammer<br />

in <strong>der</strong> Sporthochschule<br />

Kienbaum ausländischen Partnern <strong>zur</strong> Mitnutzung<br />

anbieten will.<br />

14.02.1990<br />

Run<strong>der</strong> Tisch des Sports tagt: Zustimmung<br />

für ein Paket von Sofortmaßnahmen des<br />

Amtes für Jugend und Sport <strong>zur</strong> unmittelbaren<br />

Unterstützung <strong>der</strong> sportlichen Basis.<br />

Sportler und Sportfunktionäre bei<strong>der</strong> deutscher<br />

Staaten sprechen sich gegen übereilte<br />

Schritte bei <strong>der</strong> Bildung einer gemeinsamen<br />

Olympiamannschaft aus.<br />

Gründung eines Alpenvereins durch Wan<strong>der</strong>er<br />

und Bergsteiger aus Jena.<br />

15.02.1990<br />

Bürgerinitiative Olympia 2000 berät mit<br />

Mitglie<strong>der</strong>n des DTSB-Arbeitssekretariats<br />

über die Vorbereitungen Olympischer<br />

Sommerspiele in beiden Teilen Berlins.<br />

16.02.1990<br />

Gründung des Fußballklubs Wismut Aue.<br />

Präsident: Günter Palme. Geschäftsführer:<br />

Herbert Ischt.<br />

17.02.1990<br />

Außerordentlicher Verbandstag des Boxsportverbandes<br />

<strong>der</strong> DDR. Manfred Bergs<br />

wird zum neuen Präsidenten gewählt.<br />

29


30<br />

Süddeutsche Zeitung 05.02.1990<br />

Erste Rufe nach gemeinsamen Olympiateam<br />

DDR-Sprecher: Schon 1992 unter einer Fahne / Sportlerdemonstration in Berlin und Potsdam<br />

Berlin (dpa/sid) – Die Pläne für mögliche<br />

gemeinsame Olympische Spiele in<br />

Berlin im Jahr 2000 o<strong>der</strong> 2004 werden<br />

jetzt auch in <strong>der</strong> DDR immer konkreter.<br />

Das Präsidium des Nationalen Olympischen<br />

Komitees (NOK) <strong>der</strong> DDR hat<br />

am Samstag auf einer Sitzung dem<br />

Magistrat von Ost-Berlin seine Hilfe<br />

bei <strong>der</strong> Ausarbeitung einer Machbarkeitsstudie<br />

angeboten, wie sie in West-<br />

Berlin schon vor knapp drei Wochen<br />

vorgelegt worden war. Außerdem soll<br />

die Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> „Gesellschaft<br />

<strong>zur</strong> För<strong>der</strong>ung des Olympischen<br />

Gedankens in <strong>der</strong> DDR“ intensiviert<br />

und vertraglich vereinbart werden.<br />

Das Thema Olympia stand auch auf<br />

<strong>der</strong> Tagesordnung des ersten Gesprächs<br />

zwischen dem West-Berliner Staatssekretär<br />

und Leiter des Olympia-Büros,<br />

Hans-Jürgen Kuhn, mit Wilfried Poßner,<br />

dem Vorsitzenden des neugegründeten<br />

Amtes für Jugend und Sport in<br />

<strong>der</strong> DDR. Beide Seiten vereinbarten<br />

auch Inspektionsreisen zu den für<br />

Olympia in Frage kommenden Sportstätten<br />

in beiden Teilen Berlins.<br />

Bis zum Mai sollen im NOK <strong>der</strong> DDR<br />

Entwürfe für ein neues Statut und eine<br />

Wahlordnung im Hinblick auf die<br />

nächste Mitglie<strong>der</strong>versammlung am 30.<br />

Juni ausgearbeitet werden. An diesem<br />

Tag steht in erster Linie die Neuwahl<br />

des nur vorläufig im Amt befindlichen<br />

NOK-Präsidiums bevor. Am 6. Januar<br />

dieses Jahres trat Manfred Ewald, <strong>der</strong><br />

seit 1973 mitverantwortlich für die<br />

Aufrüstung <strong>der</strong> DDR <strong>zur</strong> Weltmacht im<br />

Sport war, von <strong>der</strong> NOK-Spitze ab. Das<br />

IOC-Mitglied Günter Heinze, <strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

letzten Woche zum erstenmal in seiner<br />

neuen Funktion mit dem NOK-<br />

Präsidenten Willi Daume in West-<br />

Berlin zu einem Meinungsaustausch<br />

zusammengetroffen war, trat Ewalds<br />

Nachfolge an.<br />

Süddeutsche Zeitung 5. Februar 1990<br />

Im Hinblick auf die bevorstehenden<br />

Olympischen Spiele 1992 in Barcelona<br />

schlug das NOK-Präsidium <strong>der</strong> DDR<br />

vor, gemeinsam mit dem <strong>Deutsche</strong>n<br />

Turn- und Sportbund <strong>der</strong> DDR (DTSB)<br />

und dem neugeschaffenen Amt für<br />

Jugend und Sport eine Kommission<br />

„Olympische Spiele“ zu bilden. Damit<br />

soll, wie die DDR-Nachrichtenagentur<br />

ADN meldete, die „Olympiavorbereitung<br />

und erfolgreiche Teilnahme einer<br />

DDR-Mannschaft“ gesichtet werden.<br />

Das Präsidium wandte sich an den<br />

DTSB und die Sportverbände mit <strong>der</strong><br />

Bitte, alle Möglichkeiten zu nutzen, um<br />

die DDR-Sportler zielgerichtet auf<br />

Barcelona vorbereiten zu können.<br />

Nach Ansicht von Werner Neumann,<br />

dem Sprecher des Arbeitskreises des<br />

<strong>Deutsche</strong>n Turn- und Sportbundes<br />

(DTSB), könnte es dagegen in Barcelona<br />

„etwas ganz Spektakuläres“ geben.<br />

„Es werden zwar zwei deutsche<br />

Mannschaften starten, aber sie werden<br />

unter einer Fahne einmarschieren“. Das<br />

war zuletzt 1968 bei den Spielen in<br />

Mexiko <strong>der</strong> Fall, als die gemeinsame<br />

deutsche Mannschaft erstmals aufgelöst<br />

worden war, aber noch unter einer<br />

Fahne einmarschieren mußte. Im<br />

„Sportgespräch“ des Deutschlandfunks<br />

for<strong>der</strong>te Rolf Donath, <strong>der</strong> Direktor des<br />

Zentralinstituts des sportmedizinischen<br />

Dienstes <strong>der</strong> DDR in Kreischa, die<br />

baldige Bildung von gesamtdeutschen<br />

Olympiamannschaften. Donath („1989<br />

hatten wir 14 positive Dopingproben in<br />

<strong>der</strong> DDR“) möchte, daß spätestens zu<br />

den zu erwartenden Spielen 2000 in<br />

Berlin wie<strong>der</strong> gesamtdeutsche Olympiamannschaften<br />

antreten.<br />

„1996 gibt es bestimmt bei den Olympischen<br />

Spielen eine gesamtdeutsche<br />

Mannschaft“, erklärte <strong>der</strong> Leiter<br />

des provisorischen Arbeitssekretariats<br />

des DTSB zum Stufenplan des<br />

DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow.<br />

„<strong>Vom</strong> Sport muß ein gesellschaftlicher<br />

Ruck auf alle Politbereiche ausstrahlen.<br />

Wir Sportler können Vorbild<br />

sein“. Zum Thema gesamtdeutsche<br />

Olympiamannschaft sagte dagegen<br />

Günter Heinze vom NOK: „Eine Bildung<br />

von gesamtdeutschen Olympiamannschaften<br />

für 1992 steht nicht auf<br />

<strong>der</strong> Tagesordnung“. Für 1996 wollte<br />

sich Heinze noch nicht festlegen.<br />

Mehr als 7000 Spitzensportler, Freizeitsportler,<br />

Trainer und Sympathisanten<br />

haben am Samstag in Ost-Berlin<br />

und Potsdam gegen Willkürmaßnahmen,<br />

einschneidende finanzielle Kürzungen<br />

und den Ausverkauf des Spitzensports<br />

in <strong>der</strong> DDR demonstriert.<br />

Kugelstoß-Olympiasieger und Athletensprecher<br />

Ulf Timmermann for<strong>der</strong>te<br />

dabei im Berliner Lustgarten von <strong>der</strong><br />

DDR-Regierung die Verabschiedung<br />

eines Sportgesetzes noch vor den<br />

Volkskammerwahlen am 18. März.<br />

„Die Regierung ist verpflichtet, dem<br />

Sport weiterhin ausreichend Geld <strong>zur</strong><br />

Verfügung zu stellen“, sagte Timmermann.<br />

Udo Beyer, <strong>der</strong> 1976 Kugelstoß-<br />

Olympiasieger war, warnte davor, „die<br />

Sportbasis sterben zu lassen“. Bei allen<br />

Bemühungen <strong>zur</strong> Eigenfinanzierung<br />

des Sports, zu <strong>der</strong> auch Aktive und<br />

Eltern bereit seien, bedürfe ein gesun<strong>der</strong><br />

Sport auch künftig <strong>der</strong> tatkräftigen<br />

Unterstützung durch den Staat. DTSB-<br />

Sprecher Werner Neumann sagte, daß<br />

im Jahr 1990 40 <strong>bis</strong> 45 Millionen Mark<br />

fehlen würden. Er for<strong>der</strong>te die sofortige<br />

Bereitstellung von 20 Millionen Mark<br />

aus einen Son<strong>der</strong>fonds: „Jetzt muß alles<br />

schnell und unbürokratisch gehen“.<br />

Timmermann und Beyer sprachen sich<br />

im übrigen für die Teilnahme des<br />

Sports am Runden Tisch aus.


<strong>Chronik</strong> Februar 1990<br />

17.02.1990<br />

Cottbus: Dem SC Dynamo Cottbus stehen<br />

rund ein Drittel weniger hauptamtliche<br />

Trainer, Übungsleiter und an<strong>der</strong>e Mitarbeiter<br />

als vor dem <strong>Mauerfall</strong> <strong>zur</strong> Verfügung.<br />

Stendal: Aus <strong>der</strong> Sektion Fußball <strong>der</strong> BSG<br />

Lok Stendal hat sich eine eigenständige<br />

Fußball-Spielvereinigung Altmark Stendal<br />

gegründet.<br />

17./18.02.1990<br />

Berlin: Tagung des Präsidiums des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Judoverbandes <strong>der</strong> DDR. Nach dem<br />

Rücktritt von Prof. Dr. Gerhard Lehmann<br />

wird Hans-Rüdiger Gach zum amtierenden<br />

Präsidenten gewählt.<br />

19.02.1990<br />

Hameln: Rostocks Handball-Rekordnationalspieler<br />

Frank Michael Wahl unterschreibt<br />

einen Profivertrag beim VfL Hameln.<br />

Bärbel Wöckel, Sprinterin <strong>der</strong> DDR, ist in<br />

die Bundesrepublik übergesiedelt.<br />

20.02.1990<br />

Fußball-Oberligist BFC Dynamo Berlin<br />

trennt sich von seinem alten Namen und<br />

heißt fortan FC Berlin. Ehemalige MfS-<br />

Angehörige verlassen die Klubleitung.<br />

21.02.1990<br />

Vereinigungsgesetz <strong>der</strong> DDR verabschiedet,<br />

nach dessen Inkrafttreten sich binnen<br />

weniger Wochen Tausende neue Vereinigungen<br />

anmelden, hierzu gehören auch die<br />

Sportvereine.<br />

25.02.1990<br />

Kienbaum: 18. Tagung des DTSB-Bundesvorstandes.<br />

Im Mittelpunkt steht weiterhin<br />

die Sicherung des Sports. <strong>Der</strong> Orientierungsläuferverband<br />

wird als eigenständige<br />

Fö<strong>der</strong>ation bestätigt. <strong>Der</strong> Fe<strong>der</strong>ballverband<br />

heißt ab sofort Badminton-Sportverband.<br />

26.02.1990<br />

Das Amt für Jugend und Sport hat 18 Millionen<br />

Mark aus Lottomitteln <strong>zur</strong> För<strong>der</strong>ung<br />

des Sports vom Wettspielbetrieb erhalten.<br />

Hennigsdorf: Rugby-Vergleich zwischen<br />

Stahl Hennigsdorf und VfR Döhren Hannover.<br />

Berlin (West): Boxvergleich zwischen<br />

TSC Berlin und Spandauer BC 26.<br />

Cottbus: Tischtennisvergleich zwischen<br />

Automation 86 Cottbus und SC Charlottenburg.<br />

27.02.1990<br />

DFB Präsident Herman Neuberger spricht<br />

sich in einem Interview mit „Die Welt“<br />

gegen eine sofortige Einglie<strong>der</strong>ung von<br />

DDR-Klubs in die Bundesligen und gegen<br />

eine gemeinsame Mannschaft für die Europameisterschaftsqualifikation<br />

1992 aus.<br />

Berlin: Vollversammlung aller Fußball-<br />

Oberligisten <strong>der</strong> DDR. Es wird ein Ligaausschuss<br />

im DFV gebildet. Vorsitzen<strong>der</strong>:<br />

Robert Pischke.<br />

Die „Lausitzer Rundschau“ schreibt: Von<br />

den 1989 dem DTSB <strong>zur</strong> Verfügung gestellten<br />

402,6 Millionen Mark wurden 62,8<br />

Prozent für den Leistungssport und 37,2<br />

Prozent für den Massensport ausgegeben.<br />

28.02.1990<br />

Die DTSB-Bezirksvorstände Cottbus,<br />

Frankfurt (O<strong>der</strong>) und Potsdam knüpfen<br />

erste Kontakte im Hinblick auf die zu diesem<br />

Zeitpunkt noch theoretische Überlegung<br />

<strong>der</strong> Bildung des Landes Brandenburg.<br />

31


32<br />

Februar 1990 – Eine Collage


<strong>Chronik</strong> März 1990<br />

März 1990<br />

01.03.1990<br />

Gründung <strong>der</strong> Treuhandgesellschaft.<br />

Bad Blankenburg: Gründung des Thüringer<br />

Fußballverbandes bestehend aus den<br />

Bezirksfachausschüssen Suhl, Erfurt und<br />

Gera.<br />

02.-04.03.1990<br />

Rückkehr auf die internationale Bühne:<br />

Nach Jahrzehnten <strong>der</strong> Unterdrückung<br />

nimmt die DDR-Tischtennis-Nationalmannschaft<br />

bei den Europameisterschaften<br />

in Göteborg teil (Platz 24). <strong>Der</strong> Tischtennisverband<br />

<strong>der</strong> DDR (DTTV) hatte sich<br />

nach internationalen Turnieren in Cottbus<br />

(1971) und Gera (1973) aus dem Leistungsgeschehen<br />

<strong>zur</strong>ückgezogen. Wettkämpfe<br />

waren nur noch mit Gegnern aus<br />

den sozialistischen Län<strong>der</strong>n erlaubt.<br />

03.03.1990<br />

Karlsruhe: Erster Tischtennislän<strong>der</strong>vergleich<br />

Bundesrepublik gegen DDR seit<br />

1961.<br />

Laucha: Erster offizieller Drachenflug auf<br />

dem Territorium <strong>der</strong> DDR.<br />

03.03.1990<br />

Adidas-Produkte sind nun im DDR-<br />

Einzelhandel erhältlich.<br />

03./04.03.1990<br />

Außerordentlicher Turn- und Sporttag des<br />

DTSB mit erstmals demokratischer Neuwahl<br />

des Präsidenten. <strong>Der</strong> ehemalige Präsident<br />

des Bobsportverbandes <strong>der</strong> DDR,<br />

Martin Kilian, wird zum neuen ehrenamtlichen<br />

Präsidenten gewählt. Generalsekretär<br />

wird Jochen Grunwald. Anwesend waren<br />

1.100 Delegierte.<br />

04.03.1990<br />

Erstes Treffen zwischen Willi Daume, Präsident<br />

des westdeutschen Nationalen Olympischen<br />

Komitees und Joachim Weiskopf,<br />

ab dem 16. Juni 1990 Präsident des<br />

ostdeutschen NOKs.<br />

05.03.1990<br />

Außerordentlicher Verbandstag des<br />

ADMV <strong>der</strong> DDR (Motorsport).<br />

Leipzig: DDR-Premiere für American<br />

Football.<br />

06.03.1990<br />

<strong>Der</strong> Präsident des <strong>Deutsche</strong>n Sportbundes,<br />

Hans Hansen, appelliert in einem dpa-<br />

Interview, nichts zu überstürzen.<br />

Das erste Cottbusser Fitnessstudio wird<br />

eröffnet.<br />

07.03.1990<br />

Mit einem 25:20 Sieg bei <strong>der</strong> Handball-<br />

Weltmeisterschaft in <strong>der</strong> CSSR sichert die<br />

DDR-Auswahl <strong>der</strong> gesamtdeutschen<br />

Mannschaft die Olympiaqualifikation für<br />

Barcelona. Die Auswahl des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Handball-Bundes (DHB) hingegen nahm<br />

an <strong>der</strong> drittklassigen C-WM in Finnland<br />

teil und hätte sich maximal für die B-WM<br />

1992 in Österreich qualifizieren können.<br />

33


34<br />

Befreiung von <strong>der</strong> Altlast – Am 31. März 1990 wurde im DDR-Fußball <strong>der</strong> Demokratisierungsprozess eingeleitet<br />

Befreiung von <strong>der</strong> Altlast<br />

Am 31. März 1990 wurde im DDR-<br />

Fußball <strong>der</strong> Demokratisierungsprozess<br />

eingeleitet<br />

von Michael Barsuhn<br />

März 1990. Dreizehn Tage nachdem die<br />

Mehrheit <strong>der</strong> DDR-Bevölkerung in den ersten<br />

freien und geheimen Volkskammerwahlen<br />

für eine schnelle Vereinigung votiert<br />

hatte, bereiteten die Delegierten des DFV <strong>der</strong><br />

DDR das Fundament für die Demokratisierung<br />

ihres Verbandes. Dabei geriet <strong>der</strong> erste<br />

unter Mitwirkung <strong>der</strong> Fußball-Basis vorbereitete<br />

Verbandstag in Strausberg bei Berlin<br />

zu einer hochemotionalen Veranstaltung.<br />

Heinz Krügel, ehemals Trainer des 1. FC<br />

Magdeburg, warf <strong>der</strong> alten Verbandsleitung<br />

in einer flammenden Ansprache Machtmissbrauch<br />

und Arroganz vor. Die Funktionäre<br />

hätten den "Dirigismus von ZK und Bezirksleitung<br />

<strong>der</strong> SED" ohne Wi<strong>der</strong>spruch geduldet<br />

und zeitweise sogar selbst in Trainingsprozesse<br />

eingegriffen.<br />

Die Stimmung war angeheizt. Das Plädoyer<br />

überzeugte die Delegierten. Basis-Kandidat<br />

Hans-Georg Moldenhauer setzte sich in freier<br />

und geheimer Wahl mit 55 Prozent gegen<br />

den amtierenden Präsidenten und langjährigen<br />

Spitzenfunktionär Günter Schnei<strong>der</strong> (44<br />

Prozent) durch. Dieser war zu tiefen DDR-<br />

Zeiten unter an<strong>der</strong>em in die Aburteilung <strong>der</strong><br />

Dresdener Spieler Peter Kotte und Matthias<br />

Müller involviert gewesen. Beide wurden<br />

1982 wegen versuchter Republikflucht gesperrt.<br />

Obwohl Hans Modrow als damaliger<br />

Sekretär <strong>der</strong> SED-Bezirksleitung Dresden für<br />

eine Begnadigung plädierte, ließ sich<br />

Schnei<strong>der</strong> trotz persönlicher Bitte <strong>der</strong> Spieler<br />

nicht erweichen. Die Anfrage wurde negativ<br />

beschieden. Erst als ihre Karriere schon zu<br />

Ende war - im Januar 1990 - erfolgte die<br />

Rehabilitierung <strong>der</strong> beiden Spieler durch den<br />

DFV. Für seine Fehlleistungen erhielt<br />

Schnei<strong>der</strong> nun nachträglich die Quittung.<br />

<strong>Der</strong> Machtwechsel war perfekt. Wenige Minuten<br />

nach <strong>der</strong> Wahl verweigerte Generalsekretär<br />

Wolfgang Spitzner <strong>der</strong> neuen Füh-<br />

Michael Barsuhn<br />

rung demonstrativ die Gefolgschaft: Er<br />

drückte dem verdutzten Moldenhauer einen<br />

Zettel in die Hand: "Hiermit erkläre ich meinen<br />

Rücktritt als Generalsekretär des DFV."<br />

Die abgewählte Führungsriege erschien nicht<br />

einmal mehr zum abendlichen Bankett, da<br />

sie sich, so die Beobachtung des damaligen<br />

Chefs <strong>der</strong> Neuen Fußballwoche, Jürgen<br />

Nöldner, als Opfer eines "Dolchstoßes" fühlte.<br />

Frustration auf <strong>der</strong> einen, Erleichterung auf<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite. Die Mehrheit <strong>der</strong> Delegierten<br />

freute sich über die lange Liste <strong>der</strong><br />

verabschiedeten Reformen. Sie umfasste<br />

eine neue Lizenzspielerordnung, eine modifizierte<br />

Wettkampfordnung, eine neue Satzung,<br />

die Wahl eines Liga-Ausschusses <strong>zur</strong><br />

Vertretung <strong>der</strong> Interessen <strong>der</strong> Lizenzvereine,<br />

die Umwandlung des Generalsekretariats <strong>zur</strong><br />

Geschäftsstelle - alles wichtige Schritte <strong>zur</strong><br />

Rechtsangleichung mit dem DFB. Auf dem<br />

Weg <strong>zur</strong> deutschen Fußball-Einheit galt ab<br />

dem 31. März 1990 die Losung Moldenhauers:<br />

"Je besser ich arbeite, um so kürzer bin<br />

ich im Amt."<br />

In zahlreichen Unterredungen bereitete er in<br />

den kommenden Monaten mit DFB-<br />

Präsident Neuberger die Vereinigung im<br />

Fußball vor. Neuberger rechnete aus "sporttechnischen<br />

und -rechtlichen Gründen" mit<br />

einem Zusammenschluss erst im Frühjahr<br />

1992. Moldenhauer hingegen erkannte die<br />

Dynamik <strong>der</strong> gesellschaftlichen Entwicklung.<br />

In einem Vier-Augen-Gespräch während<br />

<strong>der</strong> Fußball-WM in Italien appellierte er<br />

an DFB-Abteilungsleiter Horst R. Schmidt:<br />

"Haben Sie gesehen, wie die Mauer gefallen<br />

ist? Wissen Sie, dass ein ganzer Block zusammengebrochen<br />

ist? Armeen sind weggefegt,<br />

Armeen! Staatssicherheit, alles fällt und<br />

geht weg, und ich soll in diesem Ganzen<br />

ausgerechnet einen eigenständigen Fußballverband<br />

mit dem Begriff DDR <strong>bis</strong> 92 erhalten!?"<br />

Die Geschichte gab Moldenhauer Recht: Am<br />

21. November 1990 trat <strong>der</strong> als Nordostdeutscher<br />

Fußballverband neu gegründete DFV<br />

in Leipzig dem DFB bei: Die deutsche Fußball-Einheit<br />

war vollzogen.


<strong>Chronik</strong> März 1990 35<br />

08.03.1990<br />

Henry Maske unterschreibt Profivertrag<br />

mit Manager Wilfried Sauerland.<br />

Die „Märkische Volkszeitung“ beklagt den<br />

Ausverkauf des DDR-Handballs.<br />

09.03.1990<br />

Bonn: Die Bundesregierung will die<br />

deutsch-deutschen Sportveranstaltungen<br />

im laufenden Jahr mit 7,8 Millionen D-<br />

Mark unterstützen.<br />

11.03.1990<br />

Im Interview mit dem „Deutschlandfunk“<br />

gibt sich <strong>der</strong> ehemalige DTSB- und NOK-<br />

Präsident <strong>der</strong> DDR ahnungslos bezüglich<br />

Doping- und Stasiverwicklungen im Sport.<br />

12.03.1990<br />

„Gib das mal den Mädels“ – <strong>der</strong> ehemalige<br />

DDR-Schwimmtrainer Michael Regner<br />

äußert sich über seine alltägliche Dopingpraxis<br />

im „Spiegel“.<br />

13.03.1990<br />

<strong>Der</strong> Innenminister <strong>der</strong> Bundesrepublik,<br />

Wolfgang Schäuble, spricht sich für eine<br />

gemeinsame Olympiamannschaft aus. Das<br />

Know-How des Leistungssports <strong>der</strong> DDR<br />

müsse bewahrt bleiben, so Schäuble.<br />

14.03.1990<br />

Beginn <strong>der</strong> 2+4 – Verhandlungen.<br />

Letzte Gespräche des Runden Tisches des<br />

Sports. Es wird eine Resolution an die<br />

Volkskammer verabschiedet.<br />

15.03.1990<br />

Reaktion auf Regners Anklage: DDR-<br />

Schwimmer weisen Dopingvorwürfe <strong>zur</strong>ück.<br />

Potsdam: westdeutsche Kanuten testen das<br />

Strömungsbecken <strong>der</strong> Potsdamer Kanuten.<br />

Frankfurt am Main: Terminvereinbarungen<br />

für die Qualifikationsspiele <strong>zur</strong> Europameisterschaft<br />

1992 in Schweden, Gruppe<br />

5, Bundesrepublik gegen DDR: Hinspiel<br />

am 21. November 1990 in Leipzig; Rückspiel<br />

im Dezember 1991 in München.<br />

Gründung <strong>der</strong> Potsdamer Ru<strong>der</strong>gesellschaft.<br />

Potsdam: Gründung <strong>der</strong> Leichtathletikgemeinschaft<br />

Luftschiffhafen.<br />

15.03.1990<br />

„ADN“: IOC-Mitglied Walther Tröger,<br />

zugleich IOC-Sportdirektor und NOK-<br />

Generalsekretär, erklärt zu den Plänen einer<br />

gesamtdeutschen Olympiamannschaft:<br />

„Die Politik müsse die Voraussetzungen<br />

schaffen. Nach einer staatlichen Vereinigung<br />

werde das IOC selbstverständlich<br />

dem deutschen Wunsch auf Anerkennung<br />

eines NOK nachkommen.“<br />

„ADN“: Eine schnellere deutsche Wie<strong>der</strong>vereinigung<br />

im Sport hält hingegen Primo<br />

Nebiolo, Präsident <strong>der</strong> Vereinigung <strong>der</strong><br />

Olympischen Sommersport-Fachverbände<br />

(ASIOF) und des Internationalen-<br />

Leichtathletik-Verbandes (IAAF), für<br />

möglich: „Auch ohne politische Einheit<br />

könnte bei unserer nächsten Weltmeisterschaft<br />

1991 in Tokio ein deutsches Team<br />

antreten. Es genügt, wenn sich die beiden<br />

Leichathletik-Verbände einigen und eine<br />

einzige Anmeldung vornehmen“, erklärte<br />

<strong>der</strong> Italiener.<br />

17.03.1990<br />

Rostock: Ein Ligaausschuss Handball aus<br />

Vertretern aller elf Oberliga-Männer-<br />

Mannschaften konstituiert sich. Sprecher:<br />

Ewald Astrath.


36<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 12.03.1990<br />

<strong>Der</strong> ehemalige Potsdamer Schwimm-Trainer berichtet<br />

Regner über Sportalltag in <strong>der</strong> DDR:<br />

Schon Jugendliche systematisch gedopt<br />

HAMBURG (sid/dpa). Im DDR-<br />

Schwimmsport wurde jahrelang mit<br />

Erfolg gedopt. Auch die sechsfache<br />

Olympiasiegerin Kristin Otto und<br />

Europameister Jörg Hoffmann sollen<br />

von ihren Trainern systematisch mit<br />

Anabolika versorgt worden sein. Das<br />

schreibt in <strong>der</strong> neuesten Ausgabe des<br />

Nachrichtenmagazins „<strong>Der</strong> Spiegel“<br />

<strong>der</strong> ehemalige Schwimmtrainer des<br />

ASK Vorwärts Potsdam, Michael<br />

Regner. Bei dem Medikament, das in<br />

allen Trainingsgruppen in <strong>der</strong> DDR<br />

verteilt worden sein soll, handelt es sich<br />

um das Anabolikum Oral-Turinabol.<br />

Das Präparat wird im VEB Jenapharm<br />

hergestellt und ist eine rezeptpflichtige<br />

muskelbildende Arznei. Wörtlich<br />

schreibt Regner: „Die Anwendung <strong>der</strong><br />

Anabolika wurde zentral gesteuert. In<br />

Ost-Berlin saß eine Kommission, die<br />

jedes Jahr ein ‚Programm für die<br />

sportmedizinische Unterstützung’ erstellte.<br />

Dies diente keinem an<strong>der</strong>en<br />

Zweck als dem systematischen Aufbau<br />

<strong>der</strong> Athleten mit Anabolika.“ Inzwischen<br />

sei durch die politischen Umwälzungen<br />

das Doping-Verfahren aber<br />

nicht mehr intakt.<br />

Die Trainer mußten nach Regners<br />

Worten über jeden Zyklus Protokoll<br />

führen. Nie sei ein Mitglied aus Potsdam<br />

während eines Wettkampfes des<br />

Dopings überführt worden. Um diese<br />

Gefahr auszuschließen, habe kein<br />

Sportler die DDR verlassen dürfen, <strong>der</strong><br />

sich nicht vorher einer Dopingprobe<br />

unterzogen hatte. Hierfür sei das Zentrale<br />

Dopinglabor des Sportmedizinischen<br />

Dienstes in Kreischa verantwortlich<br />

gewesen, in dem rund um die Uhr<br />

gearbeitet worden sei. Regner schreibt<br />

weiter, daß das Dopinglabor in Kreischa<br />

nach dem positiven Befund des<br />

kanadischen Sprinters Ben Johnson bei<br />

den Olympischen Spielen 1988 an<br />

neuen Dopingmitteln gearbeitet habe,<br />

die aus Nasenspray-Flaschen benutzt<br />

werden sollten. Das Experiment habe<br />

sich je doch nicht bewährt. Insge-<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 12. März 1990<br />

samt hat <strong>der</strong> Skandal um Ben Johnson<br />

nach Regners Auffassung an <strong>der</strong> Doping-Praxis<br />

in <strong>der</strong> DDR wenig verän<strong>der</strong>t.<br />

Nach den Sommerspielen 1988<br />

habe nur eine kurze Verunsicherung<br />

geherrscht. Bereits Anfang 1989 seien<br />

die Schwimmer <strong>der</strong> DDR von den<br />

Medizinern wie<strong>der</strong> in gewohntem<br />

Umfang mit Anabolika versorgt worden.<br />

Das erstemal war Regner im Juni<br />

1987 vom Potsdamer Schwimm-Arzt<br />

Dr. Jochen Neubauer mit Tabletten<br />

versorgt worden, die er an seine Gruppe<br />

mit zwölf- <strong>bis</strong> vierzehnjährigen<br />

Schwimmerinnen weiterreichen mußte.<br />

Zwölf Tage lang mußte er den jungen<br />

Mädchen jeweils eine halbe Pille in den<br />

Vitamintrank mischen. Wenig später<br />

mußte Regner eine Geheimhaltungs-<br />

Erklärung unterschreiben. Von Ende<br />

Oktober 1987 an hatte Regner die<br />

weibliche Spitzengruppe des ASK<br />

Vorwärts Potsdam trainiert, zu <strong>der</strong> auch<br />

Grit Müller und Diana Block gehörten.<br />

Das Anabolikum erhielt er jetzt als<br />

Tabletten in <strong>der</strong> Originalverpackung.<br />

Die Mädchen, die ebenfalls ein Geheimhaltungs-Formular<br />

unterschreiben<br />

mußten, wußten, was sie einnahmen.<br />

Regner schreibt weiter: „Bei entsprechendem<br />

Talent und entsprechendem<br />

Training haben Anabolika eine ungeheure<br />

Fahrstuhlwirkung. Jugendliche<br />

im Alter von 14 o<strong>der</strong> 15 Jahren werden<br />

damit systematisch aufgebaut und so in<br />

relativ kurzer Zeit auf Weltklasse-<br />

Niveau gehievt." Daß auch die sechsfache<br />

Olympiasiegerin von Seoul Kristin<br />

Otto, Anabolika zu sich genommen<br />

habe, beschreibt Regner im „Spiegel“<br />

so: „So erzählt er (Trainer Kollege<br />

Stefan Hetzer) mir beispielsweise, daß<br />

seine beiden Parade-Schwimmerinnen,<br />

Kristin Otto und Silke Hörner, im Zuge<br />

<strong>der</strong> allgemeinen Angst vor verschärften<br />

Kontrollen ‚erst mal <strong>bis</strong> zu den DDR-<br />

Meisterschaften sauber bleiben’ soll-<br />

ten.“ <strong>Der</strong> heute 37 Jahre alte Trainer<br />

lebt und arbeitet seit einigen Tagen in<br />

Neuseeland. Seit Dezember 1978 war<br />

er Schwimmtrainer in Potsdam. Im<br />

August 1989 war er über Ungarn aus<br />

<strong>der</strong> DDR geflüchtet und einige Monate<br />

beim 1. Offenbacher Schwimm-Club,<br />

dem Verein von Olympiasieger Michael<br />

Groß, tätig gewesen.<br />

Die Enthüllungen von Regner finden<br />

größtenteils Bestätigung. „Bis auf<br />

einige Unklarheiten ist viel Wahres<br />

dabei“, sagt <strong>der</strong> 22 Jahre alte Raik<br />

Hannemann aus Leipzig, Europameisterschaftszweiter<br />

über 200 Meter Lagen.<br />

Allerdings schränkte er ein: „Nicht<br />

alle DDR-Schwimmer waren o<strong>der</strong> sind<br />

gedopt.“ Christian Poswiat, im vergangen<br />

November aus <strong>der</strong> DDR nach<br />

Wuppertal übergesiedelt, sagt: „Die<br />

Sportler wurden zum Doping gezwungen,<br />

uns blieb nichts an<strong>der</strong>es übrig.<br />

Auch ich habe es kurzfristig ausprobiert.<br />

Aber ich habe gemerkt, daß es<br />

bei mir ohne besser ging.“ Verärgert<br />

reagierte die 20 Jahre alte Manuela<br />

Stellmach, dreifach Europameisterin<br />

aus Ost-Berlin. „Das hört sich so einfach<br />

an. Man geht jeden Tag zum<br />

Trainer, holt sich eine Pille, und schon<br />

ist man viel schneller als die an<strong>der</strong>en.“<br />

Unterstützung erhält sie von Michael<br />

Groß: „Wer die DDR-Mädchen einmal<br />

trainieren sah, kann die Leistungen<br />

nicht nur auf Doping <strong>zur</strong>ückführen. Ich<br />

glaube, die wären auch so überlegen<br />

gewesen“, sagt <strong>der</strong> dreimalige Olympiasieger.<br />

Das Vorgehen Regners<br />

verurteilt Groß. „Das ist nicht fair. Es<br />

könnte auch jemand behaupten, ich sei<br />

gedopt. Wie soll man sich dagegen<br />

wehren?“ <strong>Der</strong> gleichen Ansicht ist auch<br />

<strong>der</strong> Wuppertaler Frank Hoffmeister,<br />

<strong>der</strong> sich 1984 in Rom vom DDR-Team<br />

abgesetzt hatte. „Es gibt Leute, die<br />

kommen hierher und werden damit<br />

nicht fertig. Die wollen sich ins Gespräch<br />

bringen.“


<strong>Chronik</strong> März 1990 37<br />

18.03.1990<br />

Erste und einzige freie Parlamentswahlen<br />

in <strong>der</strong> DDR. Sieger ist die „Allianz für<br />

Deutschland“, die eine rasche Wie<strong>der</strong>vereinigung<br />

anstrebt.<br />

Cottbus: Ausrüstervertrag zwischen Puma<br />

AG Herzogenaurach und <strong>der</strong> Sektion<br />

Leichtathletik des SC Cottbus.<br />

19.03.1990<br />

Für das Amt des Präsidenten des Fußballverbandes<br />

(DFV <strong>der</strong> DDR) kandidieren<br />

Günter Schnei<strong>der</strong> und Dr. Hans-Georg<br />

Moldenhauer.<br />

21.03.1990<br />

Berlin: Pressekonferenz des neuen DTSB-<br />

Präsidenten Martin Kilian, <strong>der</strong> von <strong>der</strong><br />

DDR-Führung eine umfassende Unterstützung<br />

erwartet.<br />

Oslo: Die DDR wird auf <strong>der</strong> Jahrestagung<br />

des Europäischen Tennis-Verbandes als<br />

neues Mitglied aufgenommen.<br />

Berlin: <strong>Der</strong> Sportklub SC Dynamo Berlin<br />

nennt sich ab sofort 1. Polizei-Sportklub<br />

Berlin mit den Sportarten Boxen, Eiskunstlauf,<br />

Eisschnelllauf, Fechten, Handball,<br />

Judo, Leichtathletik, Radsport, Ru<strong>der</strong>n,<br />

Schwimmsport, Turnen und Volleyball.<br />

Die Sektion Eishockey formiert sich als<br />

selbstständiger Eishockeyklub unter dem<br />

Namen EHC Dynamo Berlin.<br />

23.03.1990<br />

Stuttgart: Projektgruppe <strong>der</strong> Handballverbände<br />

<strong>der</strong> beiden deutschen Staaten. DHB<br />

und DHV <strong>der</strong> DDR streben einheitlichen<br />

Handballverband an.<br />

Berlin (West): Otto Höhne wird zum neuen<br />

Präsidenten des Berliner Fußballverbandes<br />

(BFV) gewählt. Gemeinsam mit Uwe Piontek,<br />

Präsident des FVB (Ostberliner<br />

Fußballverband), organisierte er später die<br />

Vereinigung des Berliner Fußballs.<br />

24.03.1990<br />

Erste gemeinsame Präsidiumstagung <strong>der</strong><br />

Basketballverbände (DBV und DBB) in<br />

<strong>der</strong> Landessporthalle Westberlin.<br />

26.03.1990<br />

Radball-Vertretungen <strong>der</strong> DDR nehmen,<br />

nach 23jähriger Abstinenz am Europapokalwettbewerb<br />

teil.<br />

29.03.1990<br />

DTSB verkauft seine Yacht „Sturmvogel<br />

II“.<br />

31.03.1990<br />

Erster demokratisch vorbereiteter Verbandstag<br />

des ostdeutschen Fußballs, erste<br />

demokratische Wahl eines Verbandspräsidenten<br />

(Moldenhauer).<br />

Erster deutsch-deutscher Renntag auf <strong>der</strong><br />

Galopprennbahn Hoppegarten.


38<br />

März 1990 – Eine Collage


<strong>Chronik</strong> April 1990 39<br />

April 1990<br />

01.04.1990<br />

Potsdam: Anru<strong>der</strong>n und Anpaddeln gemeinsam<br />

mit Westberlinern.<br />

Bezirksfachausschuss Leichtathletik Berlin<br />

und SCC Berlin organisieren gemeinsam<br />

einen Lauf durch Berlin.<br />

05.04.1990<br />

<strong>Der</strong> Direktor des Bundesausschusses Leistungssport<br />

im <strong>Deutsche</strong>n Sportbund, Professor<br />

Rolf Andresen, erklärt in <strong>der</strong> neusten<br />

Ausgabe <strong>der</strong> Zeitschrift „NOK-<br />

Report“: „Gesamtdeutsches Team bei Olympia<br />

1992 möglich“.<br />

Duisburg: Die Kanusportverbände <strong>der</strong> beiden<br />

deutschen Staaten haben eine Arbeitsgruppe<br />

gebildet.<br />

Hannover: Erstes Treffen <strong>der</strong> Präsidenten<br />

des DTSB <strong>der</strong> DDR, Martin Kilian, und<br />

des DSB, Hans Hansen. Klare Konturen<br />

für den Vereinigungsprozess.<br />

Frankfurt (O<strong>der</strong>): U-20 Län<strong>der</strong>kampf im<br />

Ringen zwischen DDR und Bundesrepublik<br />

bei den 1. Frankfurter Ringertagen.<br />

07.04.1990<br />

<strong>Der</strong> Leipziger Handball-Nationalspieler<br />

Peter Hofmann wird in <strong>der</strong> nächsten Saison<br />

für Wallau/Massenheim starten.<br />

<strong>Der</strong> <strong>Deutsche</strong> Seglerverband ist ab sofort<br />

bereit, Segel-Gemeinschaften aus <strong>der</strong> DDR<br />

sowie auch DDR-Landesverbände in seinen<br />

Reihen aufzunehmen.<br />

Frankfurt (O<strong>der</strong>): Gründung des Brandenburgischen<br />

Gewichtheber- und Fitnessverbandes.<br />

Präsident: Frank Wetzold.<br />

09.04.1990<br />

Berlin: <strong>Der</strong> Präsident des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Sportbundes, Hans Hansen, bietet im Gespräch<br />

mit Journalisten Unterstützung <strong>der</strong><br />

DDR Vereine an und verkündet zu diesem<br />

Zweck eine Vertretung in Westberlin<br />

gründen zu wollen.<br />

10.04.1990<br />

Potsdam: Erster Verbandstag des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Wasserskiverbandes <strong>der</strong> DDR.<br />

Potsdam: Diskussionen des Kreisvorstandes<br />

des DTSB <strong>der</strong> DDR mit allen Parteien,<br />

Massenorganisationen sowie politischen<br />

Gruppierungen.<br />

12.04.1990<br />

Lothar de Maiziere wird in <strong>der</strong> Volkskammer<br />

zum Ministerpräsidenten gewählt.<br />

Weißwasser: Gründung des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Eishockey-Verbandes <strong>der</strong> DDR. Präsident:<br />

Peter Kolbe.<br />

13.04.1990<br />

Hennigsdorf: Erstmals seit dem Zweiten<br />

Weltkrieg spielt eine englische Rugby-<br />

Mannschaft gegen Stahl Hennigsdorf.<br />

17.04.1990<br />

Hoppegarten: Gründung von sechs Pferdesport-Rennvereinen:<br />

Hoppegarten, Dresden,<br />

Leipzig, Halle, Magdeburg und Gotha-Boxberg.<br />

18.04.1990<br />

Berlin: Pressekonferenz <strong>zur</strong> zweiten Runde<br />

des deutsch-deutschen Sportgipfels. Die<br />

Präsidenten, Martin Kilian (DTSB <strong>der</strong><br />

DDR) und Hans Hansen (DSB), drängen<br />

auf Ministergespräch.<br />

Handball: Weitere Abgänge gen Westen:<br />

Rüdiger Traub, Olaf Peitz, Timo Pötzsch,<br />

Matthias Bölk, Kathrin Kohlhagen.<br />

Neubrandenburg: Sponsorenvertrag zwischen<br />

dem SC Neubrandenburg und <strong>der</strong><br />

Sportartikel-Firma Nike.


40<br />

„Gemeinsam sind wir die Größten“? – Olympia 1992 als Traum und Albtraum<br />

„Gemeinsam sind wir die Größten“?<br />

Olympia 1992 als Traum und Albtraum<br />

von Jutta Braun<br />

April 1990. Im Jahr 1964 hatte es letztmalig<br />

ein gesamtdeutsches olympisches Team gegeben.<br />

Damals noch unter den Bedingungen<br />

des Kalten Krieges: Mit deutsch-deutschen<br />

Qualifikationsspielen, die aufgrund <strong>der</strong> angespannten<br />

politischen Lage vor leeren Zuschauerrängen<br />

als Geisterspiele ausgetragen<br />

werden mussten. Und bestimmt von dem<br />

Bestreben <strong>der</strong> DDR, den kopfstärkeren Teil<br />

<strong>der</strong> gemeinsamen Mannschaft zu stellen.<br />

Nun im Jahr 1990, die deutsche Einheit vor<br />

Augen, stellte sich die Frage eines gemeinsamen<br />

olympischen Teams mit brennen<strong>der</strong><br />

Aktualität. Politik und Sport zeigten sich<br />

hierbei optimistisch: Bundesinnenminister<br />

Wolfgang Schäuble ging bereits im März<br />

1990 von <strong>der</strong> Bildung einer gemeinsamen<br />

Olympiamannschaft für die Olympischen<br />

Spiele in Albertville und Barcelona 1992<br />

aus; <strong>der</strong> ostdeutsche Ministerpräsident Lothar<br />

de Maziére plädierte ebenfalls bereits in<br />

seiner Regierungserklärung vom 20. April<br />

1990 für ein vereintes Team. Das IOC hielt<br />

sich freundlich bedeckt: Diese Frage sei allein<br />

Sache <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong>n, verkündete Antonio<br />

Samaranch. Weniger neutral wurde die<br />

Angelegenheit vom westlichen Ausland beäugt:<br />

Im März 1990 schürte die Sporttageszeitung<br />

L’ Equipe Ängste vor einem „deutschen<br />

Sportkoloss“, illustriert durch einen<br />

steinernen Muskelprotz <strong>der</strong> Nazi-Zeit auf <strong>der</strong><br />

Titelseite. Etwas höflicher, aber dennoch<br />

bestimmt bemerkte ein amerikanischer ABC-<br />

Reporter im April bei einer Pressekonferenz<br />

von DSB und DTSB, das Wichtigste für ihn<br />

als Amerikaner sei die Frage, ob ein vereinigtes<br />

Deutschland 1992 bei den Olympischen<br />

Spielen die „Weltmacht Nummer<br />

Eins“ werde.<br />

Während das Ausland also das Bild eines<br />

unbezwingbaren Monolithen beschwor, <strong>der</strong><br />

nur darauf wartete, mit vereinter Kraft sportlich<br />

loszuschlagen, waren zahlreiche ost- und<br />

Jutta Braun<br />

west-deutsche Spitzenathleten von <strong>der</strong> Idee<br />

eines gemeinsamen Teams alles an<strong>der</strong>e als<br />

begeistert. Bundesdeutsche Sportler fürchteten,<br />

gegenüber den DDR-Athleten ins Hintertreffen<br />

zu geraten, so erklärte Judo-<br />

Olympiasieger Frank Wieneke: „Ich bin gegen<br />

eine gemeinsame Mannschaft 1992. Die<br />

Sportler dort haben jahrzehntelang die besten<br />

Bedingungen geboten bekommen, und jetzt<br />

geht das einfach so weiter. Die sollen erst<br />

mal lernen, unter unseren, also reellen Bedingungen<br />

Sport zu treiben. Eine gemeinsame<br />

Mannschaft in naher Zukunft würde die<br />

Chancen <strong>der</strong> bundesdeutschen Sportler enorm<br />

einschränken.“ Auch Rodel-<br />

Weltmeister Georg Hackl sah „nicht ein,<br />

dass die DDR-Leute schon wie<strong>der</strong> bevorzugt<br />

werden sollten.“ In die Sorge um die eigene<br />

Karriere mischte sich hier ein offenbar seit<br />

längerer Zeit aufgestauter Unmut über die als<br />

besser eingeschätzten Rahmenbedingungen<br />

<strong>der</strong> DDR-Sportler. Auf ostdeutscher Seite<br />

kalkulierte man 1990 ebenfalls die Chancen<br />

in einem vereinten Team. Diskuswerfer und<br />

Olympiasieger Jürgen Schult rechnete vor, er<br />

sei für zwei Mannschaften, einfach „weil<br />

dann sechs Diskuswerfer starten können und<br />

nicht nur drei.“<br />

Stimmen für eine gemeinsame Mannschaft<br />

hörte man vorwiegend von Sportlern, die<br />

entwe<strong>der</strong> nicht mehr aktiv waren o<strong>der</strong> Dank<br />

ihres Ausnahmekönnens einen Startplatz so<br />

gut wie sicher hatten.<br />

Die Olympischen Spiele des Jahres 1992<br />

wurden für das vereinte Deutschland tatsächlich<br />

zu einer sportlichen Sensation: Maßgeblich<br />

aufgrund <strong>der</strong> herausragenden Leistungen<br />

<strong>der</strong> ostdeutschen Athleten im bundesdeutschen<br />

Ka<strong>der</strong> gewann die Bundesrepublik bei<br />

den Winterspielen in Albertville erstmals die<br />

Medaillenwertung. 63 Prozent <strong>der</strong> Winter-<br />

und 50 Prozent <strong>der</strong> Sommermedaillen wurden<br />

von Athleten aus <strong>der</strong> ehemaligen DDR<br />

erzielt; sie stellten im Sommer zwei Drittel<br />

aller olympischen Sieger, im Winter 60 Prozent.<br />

Dass die Sport-Welt dennoch nicht in<br />

Angst vor einer alles überstrahlenden Olympia-Großmacht<br />

Bundesrepublik erstarren<br />

musste, haben spätestens die Spiele von Athen<br />

2004 gezeigt.


<strong>Chronik</strong> April 1990 41<br />

18.04.1990<br />

Boxfachleute aus den Bezirken Potsdam,<br />

Frankfurt (O<strong>der</strong>) und Cottbus trafen sich<br />

<strong>zur</strong> Konstituierung des Arbeitsausschusses<br />

für die Bildung eines Landesverbandes<br />

Boxen im zukünftigen Land Brandenburg.<br />

19.04.1990<br />

Malta: UEFA-Kongress in Malta: Erstes<br />

Treffen <strong>der</strong> Präsidenten <strong>der</strong> beiden deutschen<br />

Fußballverbände Hans-Georg Moldenhauer<br />

und Hermann Neuberger.<br />

Potsdam: Tagung des Bezirkssportausschusses.<br />

Neuer Präsident: Professor Dr.<br />

Gerhard Junghähnel. <strong>Der</strong> <strong>bis</strong>herige DTSB-<br />

Bezirksvorstand stellt seine Tätigkeit ein.<br />

<strong>Der</strong> DTSB-Bezirksvorsitzende Helmut<br />

Klopp geht in den Vorruhestand.<br />

20.04.1990<br />

Witten: Ringer-Län<strong>der</strong>vergleich zwischen<br />

Luckenwalde und Witten.<br />

Berlin: Tagung des Präsidiums des NOK<br />

<strong>der</strong> DDR unter Vorsitz des amtierenden<br />

Präsidenten Dr. Günther Heinze. DDR-<br />

NOK plädiert für ein gesamtdeutsches<br />

Komitee.<br />

21.04.1990<br />

Cottbus: Erweiterte Bezirksvorstandssitzung.<br />

<strong>Der</strong> <strong>bis</strong>herige hauptamtliche Vorsitzende<br />

Alfons Hengstler geht in den Vorruhestand.<br />

Neuer ehrenamtlicher DTSB-<br />

Bezirksvorsitzen<strong>der</strong>: Günter Jentsch.<br />

Berlin: Gründung des Läuferbundes <strong>der</strong><br />

DDR.<br />

Günter Radowski, DDR-Boxtrainer, ist in<br />

die Bundesrepublik übergesiedelt.<br />

21./22.04.1990<br />

Dresden: Gründung des <strong>Deutsche</strong>n Golf-<br />

Verbandes <strong>der</strong> DDR. Präsident: Bernd Rudolph.<br />

Leipzig: Gründung eines Berufsverbandes<br />

<strong>der</strong> Trainer und Sportlehrer. Erster Vorsitzen<strong>der</strong>:<br />

Uwe Wiegand.<br />

Berlin: Außerordentlicher Verbandstag <strong>der</strong><br />

Pferdesportler. Neuer Präsident des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Pferdesportverbandes <strong>der</strong> DDR: Dr.<br />

Rudolf Fuchs.<br />

Bad Schmiedeberg: Außerordentlicher<br />

Verbandstag des <strong>Deutsche</strong>n Anglerverbandes<br />

<strong>der</strong> DDR. Neuer Präsident: Bernd Miukulin.<br />

Verbandstag Gewichtheber und Fitness.<br />

Neuer Präsident: Dr. Siegfried Schmücking.<br />

22.04.1990<br />

Güstrow: Nach 19 Jahren veranstaltet <strong>der</strong><br />

ADMV wie<strong>der</strong> einen WM-Lauf in Güstrow.<br />

In einem Rundfunkinterview plädiert Cordula<br />

Schubert, neue Ministerin für Jugend<br />

und Sport <strong>der</strong> DDR, für ein gemeinsames<br />

Olympiateam 1992.<br />

25.04.1990<br />

Berlin (West): Pressekonferenz des DSB-<br />

Präsidenten Hans Hansen. Die DSB-<br />

Führung strebe eine großzügige Zusammenarbeit<br />

mit dem DDR-Sport ohne voreilige<br />

Zusammenschlüsse an.<br />

Olaf Ludwig im Interview mit dem Magazin<br />

„Playboy“: „DDR-Sportsystem war<br />

gut“.<br />

Strausberg: Gründung des Brandenburgischen<br />

Judoverbandes e. V. aus Vertretern<br />

<strong>der</strong> drei Bezirke Frankfurt (O<strong>der</strong>), Potsdam<br />

und Cottbus. Präsident: Henry Hempel.<br />

Leipzig: Gründung des Judoverbandes<br />

Sachsen.


42<br />

Süddeutsche Zeitung 06.04.1990<br />

Die Methode des Artikels 23 als Favorit<br />

Die Vereinigung <strong>der</strong> deutschen Sportverbände soll sich nach dem politischen Weg richten<br />

Hannover (dpa) – <strong>Der</strong> Fahrplan<br />

<strong>zur</strong> Einigung des deutschen Sports<br />

nimmt Konturen an. Schon <strong>bis</strong><br />

Ende Juni wollen <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong><br />

Sportbund (DSB) und <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong><br />

Turn- und Sportbund (DTSB) <strong>der</strong><br />

DDR verbindlich vereinbaren,<br />

unter welchen Bedingungen und in<br />

welcher Form sich <strong>der</strong> Zusammenschluß<br />

des Sports <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

und <strong>der</strong> DDR vollziehen<br />

soll. Darauf verständigten sich<br />

DSB-Präsident Hans Hansen und<br />

DTSB-Präsident Martin Kilian bei<br />

ihrem ersten Sportgipfel am Donnerstag<br />

in Hannover. „Wir haben<br />

beide auf das Tempo gedrückt. Bei<br />

<strong>der</strong> Klärung <strong>der</strong> Fragen darf es<br />

keinen Aufschub geben. Bis Ende<br />

Juni wollen wir das Konzept für die<br />

Einheit des Sports in Deutschland<br />

auf den Tisch legen“, erklärten<br />

Hansen und Kilian übereinstimmend.<br />

Beide Spitzenfunktionäre hielten<br />

schon für die Olympischen Spiele<br />

1992 in Albertville und Barcelona<br />

ein gemeinsames Olympiateam für<br />

möglich, wobei das Prinzip gelten<br />

soll: Zwei Län<strong>der</strong>, zwei Mannschaften<br />

– ein Land, eine Mannschaft.<br />

Kilian meinte dazu: „Sollte<br />

die staatliche Einheit in <strong>der</strong> Zeit<br />

Sommer/Herbst 1991 erfolgen,<br />

dann gebe ich zu bedenken, in<br />

Albertville noch mit zwei Mannschaften<br />

anzutreten.“ Hansen und<br />

Kilian verwiesen in diesem Zusammenhang<br />

auf die Zuständigkeit<br />

<strong>der</strong> beiden deutschen Nationalen<br />

Olympischen Komitees (NOK),<br />

denen sie wie den nationalen Fachverbänden<br />

<strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

Süddeutsche Zeitung 6. April 1990<br />

und <strong>der</strong> DDR empfahlen <strong>bis</strong> Jahresmitte<br />

die Konzepte ihrer Zusammenschlüsse<br />

zu vereinbaren.<br />

„Es war das wichtigste Zusammentreffen<br />

zwischen DSB und<br />

DTSB in den letzten Jahrzehnten.<br />

Bei dem hervorragenden Gespräch<br />

gab es weitgehende Übereinstimmung“,<br />

erklärte Hansen nach dem<br />

dreistündigen Treffen mit Kilian,<br />

an dem auch beide Generalsekretäre<br />

Norbert Wolf (DSB) und Jochen<br />

Grünwald (DTSB) teilnahmen.<br />

Hansen und Kilian vereinbarten<br />

schon für den 18. April in Ost-<br />

Berlin die ersten Verhandlungen<br />

von Präsidialkommissionen von<br />

DSB und DTSB. Die weiteren<br />

Spitzentreffen dieses Lenkungsausschusses,<br />

in dem Hansen und Kilian<br />

abwechselnd den Vorsitz übernehmen,<br />

wurden für den 23. März<br />

(West-Berlin) und den 28. Juni<br />

festgelegt. Für die Bereiche Leistungssport,<br />

Breitensport, Strukturen<br />

und Wissenschaft werden vier gemeinsame<br />

Kommissionen schon<br />

demnächst ihre Arbeit aufnehmen.<br />

„Zu unseren Übereinstimmungen<br />

gehörte auch, daß <strong>der</strong> künftige<br />

gesamtdeutsche Sport fö<strong>der</strong>ativ<br />

aufgebaut und von <strong>der</strong> Gemeinnützigkeit<br />

getragen sein muß“, berichtete<br />

Hansen. <strong>Der</strong> DTSB, <strong>der</strong> rund<br />

drei Millionen Mitglie<strong>der</strong> hat<br />

(DSB: 20 Millionen), war <strong>bis</strong> <strong>zur</strong><br />

politischen Wende in <strong>der</strong> DDR<br />

strikt zentralistisch ausgerichtet.<br />

<strong>Der</strong> Sport will sich jedoch nicht<br />

nur im Tempo <strong>der</strong> Vereinigung an<br />

<strong>der</strong> Politik ausrichten, son<strong>der</strong>n auch<br />

in <strong>der</strong> Methode. „Sollte die deut-<br />

sche Einheit nach Artikel 23 des<br />

Grundgesetzes erfolgen, also durch<br />

Beitritt <strong>der</strong> DDR <strong>zur</strong> Bundesrepublik,<br />

dann wird es auch im Sport<br />

eine Entsprechung geben“, sagte<br />

Hansen. Kilian meinte dazu:<br />

„Wenn Parlamente und Regierungen<br />

den Artikel 23 als Grundvoraussetzung<br />

annehmen, wird <strong>der</strong><br />

Sport in gleicher Weise reagieren.“<br />

Hansen war mit dem Ziel in diese<br />

erste Gesprächsrunde mit dem<br />

DTSB gegangen, „unter dem Dach<br />

des DSB das Bewährte des DDR-<br />

Sports einzubringen.“<br />

Kilian kündigte an, daß sich<br />

schon unmittelbar nach <strong>der</strong> Bildung<br />

<strong>der</strong> Län<strong>der</strong> in <strong>der</strong> DDR Landessportbünde<br />

nach dem Vorbild <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik gründen würden.<br />

Er könne sich vorstellen, „daß<br />

Berlin sich nicht nur als gemeinsame<br />

Olympia-Stadt profilieren wird,<br />

son<strong>der</strong>n auch als eine Sportunion<br />

Berlin“, in <strong>der</strong> modellhaft die künftige<br />

Zusammenarbeit des deutschdeutschen<br />

Sports erfolgen sollte.<br />

Als „größtes Problem“ <strong>der</strong> deutschen<br />

Sportvereinigung bezeichnete<br />

Hansen den Bereich <strong>der</strong> Fachverbände.<br />

Ihr Zusammenwachsen<br />

sei auch abhängig von <strong>der</strong> Zustimmung<br />

<strong>der</strong> zuständigen internationalen<br />

Verbände, die darüber entscheiden<br />

würden, wann es <strong>zur</strong><br />

Bildung jeweiliger gemeinsamer<br />

Nationalmannschaften kommt.<br />

Kilian wagte als persönliche Prognose,<br />

daß es „in einem Jahr o<strong>der</strong> in<br />

eineinhalb Jahren“ einen einzigen<br />

deutschen Sportbund geben werde.


<strong>Chronik</strong> April 1990 43<br />

26.04.1990<br />

Vorschlag von NOK –Präsident Heinze für<br />

eine gemeinsames Olympisches Komitee.<br />

28.04.1990<br />

Gera: Die erste deutsch-deutsche Allkategorien-Meisterschaft<br />

<strong>der</strong> Gewichtheber.<br />

Leipzig: Deutsch-deutscher Tennisvergleich.<br />

Berlin: Gründung des BTSV, Bund technischer<br />

Sportverbände.<br />

Wendeverbandstage <strong>der</strong> Sportfachverbände<br />

<strong>der</strong> DDR<br />

Verbandstag Ru<strong>der</strong>n. Neuer Präsident:<br />

Alfred B. Neuman.<br />

Verbandstag Faustball. Neuer Präsident:<br />

Professor Dr. Heinz Frankiewicz.<br />

Verbandstag Rennschlitten/Bobsport. Präsident:<br />

Karl-Heinz Anschütz.<br />

Verbandstag Judo. Neuer Präsident: Dr.<br />

Erhard Buchholz.<br />

Verbandstag Ski in Wernigerode. Neuer<br />

ehrenamtlicher Präsident Ulrich Wehling.<br />

Verbandstag Radsport. Neuer Präsident:<br />

Wolfgang Schoppe.<br />

Verbandstag Ringen. Neuer Präsident:<br />

Heinz Weinhold.<br />

Verbandstag Segeln. Neuer Präsident:<br />

Walter Kaczmarczyk.<br />

Verbandstag Badminton. Neuer Präsident:<br />

Gerd Pigola.<br />

Verbandstag Leichtathletik. Neuer Präsident.<br />

Professor Dr. Gerd Schröter.<br />

28./29.04.1990<br />

Dresden: Gründung des <strong>Deutsche</strong>n Eishockeyverbandes<br />

<strong>der</strong> DDR. Präsident: Heinz<br />

Illing.<br />

28./29.04.1990<br />

„ND“-Gespräch mit Cordula Schubert <strong>zur</strong><br />

Finanzierung des Sports und über den<br />

Entwurf des DTSB zu einem Sportgesetz.<br />

28.04.-01.05.1990<br />

Rostock: Ost-West-Surf-Cup 90.<br />

29.04.1990<br />

Wer<strong>der</strong>/Potsdam: Erster deutsch-deutscher<br />

Vergleich zwischen Wasserskisportlern.<br />

30.04.1990<br />

Berlin (Ost): Neuer DTSB-Bezirksvorsitzen<strong>der</strong>:<br />

Dr. Wolfgang Schmahl.<br />

Westdeutsches Versicherungsunternehmen<br />

„Nürnberger“ wird neuer Hauptsponsor<br />

des <strong>Deutsche</strong>n Handballverbandes <strong>der</strong><br />

DDR.


44<br />

April 1990 – Eine Collage


<strong>Chronik</strong> Mai 1990 45<br />

Mai 1990<br />

01.05.1990<br />

Berlin: Olympiasieger bei<strong>der</strong> deutscher<br />

Staaten sprechen sich auf einem Treffen<br />

für ein gemeinsames deutsches Team aus.<br />

02.05.1990<br />

DDR-Handball-Auswahlspieler Fuhrig<br />

wird von Wallau-Massenheim unter Vertrag<br />

genommen.<br />

03.05.1990<br />

Die beiden DDR-Eishockey-Klubs EHC<br />

Dynamo Berlin und Dynamo Weißwasser<br />

werden ab <strong>der</strong> Saison 1990/91 am Spielbetrieb<br />

<strong>der</strong> zweiten westdeutschen Eishockey-Bundesliga<br />

teilnehmen.<br />

04.05.1990<br />

Verbandstag des DTTV <strong>der</strong> DDR (Tischtennis).<br />

Demokratisierung des Verbandes.<br />

05.05.1990<br />

Wendeverbandstage <strong>der</strong> Sportfachverbände<br />

<strong>der</strong> DDR<br />

Verbandstag Handball. Präsident Professor<br />

Dr. Hans-Georg Herrmann wird im Amt<br />

bestätigt.<br />

Verbandstag Schwimmen. Neuer Präsident:<br />

Wilfried Windolf.<br />

Verbandstag Kegeln. Neuer Präsident:<br />

Gerhard Rostalski.<br />

Verbandstag Tischtennis. Präsident Werrner<br />

Lü<strong>der</strong>itz wird in seinem Amt bestätigt.<br />

Verbandstag Hockey. Neuer Präsident: Dr.<br />

Günther Conradi.<br />

Verbandstag Bogenschießen. Präsident Dr.<br />

Günther Kohl wird in seinem Amt bestätigt.<br />

Verbandstag Billard. Präsident Rolf Weiß<br />

wird in seinem Amt bestätigt.<br />

Verbandstag Rollsport. Neuer Präsident:<br />

Horst Leonhardt.<br />

05.05.1990<br />

Zinnwald: Gründung eines selbstständigen<br />

Fachverbandes <strong>der</strong> Kunstläufer. Präsident:<br />

Reinhard Mirmseker.<br />

Berlin: Gründung eines selbstständigen<br />

Fachverbandes Eisschnelllauf.<br />

<strong>Der</strong> <strong>Deutsche</strong> Boxverband <strong>der</strong> DDR beschließt<br />

die Bildung von Olympialeistungszentren<br />

in Schwerin, Berlin, Cottbus<br />

und Halle.<br />

Turnweltmeister Andreas Wecker kehrt<br />

zum 1. SC Berlin <strong>zur</strong>ück.<br />

Cottbus: Fußballfreundschaftsspiel <strong>der</strong><br />

Altinternationalen <strong>der</strong> Bundesrepublik und<br />

<strong>der</strong> DDR.<br />

07.05.1990<br />

Berlin: Gespräch zwischen DDR-<br />

Sportministerin Cordula Schubert und dem<br />

Präsidenten des Westberliner Landessportbundes,<br />

Manfred von Richthofen. Die<br />

Sportanlagen sollen dem Vereinsleben<br />

dienen.<br />

08.05.1990<br />

Berlin: Erstes Gespräch zwischen Cordula<br />

Schubert und dem in <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

für Sport zuständigen Innenminister, Dr.<br />

Wolfgang Schäuble, über das Zusammenwachsen<br />

des deutschen Sports.<br />

Königswinter/Bonn: Gemeinsame Tagung<br />

von ost- und westdeutschen Sportjournalisten.<br />

DFB-Schatzmeister Egidius Braun<br />

wird für das zögerliche Einheitstempo des<br />

DFB scharf attackiert.


46<br />

Tod einer Massenorganisation (II) – <strong>Der</strong> innere und äußere Machtverlust des DTSB<br />

Tod einer Massenorganisation (II)<br />

<strong>Der</strong> innere und äußere Machtverlust des<br />

DTSB<br />

von Jutta Braun<br />

Mai 1990. <strong>Der</strong> „Außerordentliche Turn- und<br />

Sporttag“ am 4. März 1990 sollte einen Neuanfang<br />

markieren. Doch hatten die ersten<br />

freien Wahlen im DTSB von Beginn an einen<br />

entscheidenden Geburtsfehler: Die Delegierten<br />

des Turn- und Sporttages selbst<br />

waren nicht aus einem demokratischen<br />

Wahlverfahren hervorgegangen, son<strong>der</strong>n<br />

nach altbekannter zentralistischer Manier<br />

delegiert worden; <strong>der</strong> Wahl eines neuen<br />

DTSB-Vorsitzenden fehlte damit von vornherein<br />

eine überzeugende Legitimation. Bedrückung<br />

und Untergangsstimmung prägten<br />

die Veranstaltung: Vergeblich bemühte sich<br />

das Präsidium, einen neuen Kapitän für das<br />

leckgeschlagene Flagschiff des Staatssports<br />

zu finden. Ein potentieller Kandidat nach<br />

dem an<strong>der</strong>en erläuterte schulterzuckend dem<br />

Plenum, weshalb er die Aufgabe nicht annehmen<br />

könne: <strong>der</strong> Präsident des Faustballverbandes<br />

„bedauerte außerordentlich“,<br />

Sportidol Täve Schur verwies unter dem<br />

Beifall <strong>der</strong> Delegierten auf sein Engagement<br />

bei <strong>der</strong> PDS als Entschuldigung. Schließlich<br />

erbarmte sich <strong>der</strong> Präsident des Schlitten-<br />

und Bobsportverbandes, <strong>der</strong> damals 61 Jahre<br />

alte Bürgermeister von Wernigerode, Martin<br />

Kilian. Als einziger Kandidat stellte er sich<br />

in Ost-Berlin den 1067 Delegierten – und<br />

wurde dankbar gewählt. <strong>Der</strong> „Hans Modrow<br />

des Sports“ war gefunden.<br />

Die kommenden Monate sollten für den letzten<br />

Präsidenten des DTSB nicht leicht werden:<br />

Mit einem rapiden Personalabbau lösten<br />

sich die hypertrophen Strukturen des mit<br />

über 10.000 Beschäftigten aufgeblähten Apparates<br />

bereits seit Frühjahr 1990 auf. <strong>Der</strong><br />

innere Zerfall war begleitet vom äußeren<br />

Bedeutungsverlust. Die wichtigste Maßnahme<br />

des ostdeutschen Sportministeriums war,<br />

wie <strong>der</strong> damalige Referent Karl Hans Pezold<br />

es formulierte, <strong>der</strong> Massenorganisation nicht<br />

länger „einen Geldkoffer vor die Tür zu stel-<br />

Jutta Braun<br />

len“. Mit <strong>der</strong> Entscheidung, dem DTSB die<br />

Finanzmittel zu entziehen und diese künftig<br />

direkt den Fachverbänden zuzuleiten, leistete<br />

die Ministerin Cordula Schubert im Mai<br />

1990 den entscheidenden Beitrag <strong>zur</strong> Herstellung<br />

<strong>der</strong> Autonomie des Sports. Bislang<br />

hatte <strong>der</strong> DTSB durch die dirigistische Verteilung<br />

<strong>der</strong> Mittel selbstherrlich über Wohl<br />

und Wehe vieler Sportarten entschieden –<br />

dies sollte nun ein Ende finden. Schubert<br />

wurde mit dieser Entscheidung allerdings zu<br />

einer <strong>der</strong> bestgehassten Personen <strong>der</strong> ostdeutschen<br />

Regierung. Auf <strong>der</strong> einer sozialistischen<br />

Wagenburg ähnelnden Tagung in<br />

Kienbaum Mitte Mai for<strong>der</strong>te <strong>der</strong> DTSB<br />

ihren Rücktritt, führende Tageszeitungen <strong>der</strong><br />

DDR stimmten ein. Aus <strong>der</strong> späteren Einsicht<br />

in Verstrickungen <strong>der</strong> Funktionäre und<br />

Pressevertreter mit <strong>der</strong> Staatssicherheit sieht<br />

Cordula Schubert diese Front rückblickend<br />

als gezielte Kampagne: „Die haben damals<br />

massiv gegen mich gehetzt, und ich weiß<br />

mittlerweile auch bewiesen, warum. Das war<br />

ihr Kampfauftrag.“<br />

<strong>Der</strong> DTSB spielte in den deutsch-deutschen<br />

Vereinigungsverhandlungen als Partner des<br />

DSB nur kurzzeitig eine Rolle. Schäuble und<br />

Schubert signalisierten jedoch dem <strong>Deutsche</strong>n<br />

Sportbund, dass nicht die Massenorganisation<br />

<strong>der</strong> alten SED-Ka<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n das<br />

Sportministerium <strong>der</strong> ersten demokratisch<br />

gewählten DDR-Regierung <strong>der</strong> angemessene<br />

Ansprechpartner sei. Mit dem Zusteuern auf<br />

die deutsche Einheit hatte <strong>der</strong> DTSB seinen<br />

sicheren organisatorischen Tod vor Augen.<br />

Als Massenorganisation hatte er die ideologisch<br />

zugeschriebene Aufgabe, als „Transmissionsriemen“<br />

<strong>der</strong> führenden Partei <strong>der</strong><br />

Arbeiterklasse zu wirken. In Ermangelung<br />

einer diktatorischen Einheitspartei erübrigte<br />

sich diese Mission. Eine „Massenorganisation<br />

des Sports“ war, ebenso wie diejenigen<br />

<strong>der</strong> Jugend und Gewerkschaft, dem staatlichen<br />

und sportlichen Gefüge einer westlichen<br />

Demokratie systemfremd und damit<br />

nicht integrierbar. Zum 5. Dezember 1990<br />

beschloss <strong>der</strong> ohnmächtige Riese DTSB seine<br />

Selbstauflösung.


<strong>Chronik</strong> Mai 1990 47<br />

09.05.1990<br />

Potsdam/Babelsberg: Erstes und einziges<br />

Fußball-Län<strong>der</strong>spiel <strong>der</strong> Frauen-<br />

Nationalmannschaft gegen die CSFR (0:3).<br />

Erklärung des DTSB: Das Präsidium übt<br />

Kritik an DDR-Sportministerin Cordula<br />

Schubert.<br />

10.05.1990<br />

<strong>Der</strong> Fußballverband <strong>der</strong> DDR (DFV <strong>der</strong><br />

DDR) hat eine Nachricht über den Verzicht<br />

seiner Nationalmannschaft für die<br />

kommende EM-Qualifikation dementiert.<br />

Die Fußballer Frank Rohde und Thomas<br />

Doll wechseln von FC Berlin zum Hamburger<br />

SV. Nach <strong>der</strong> Spielzeit 1989/90<br />

wechselten außerdem Ulf Kirsten, Matthias<br />

Sammer, Hans Uwe Pilz, Matthias<br />

Döschner, Andreas Trautmann (alle Dynamo<br />

Dresden), Wolfgang Steinbach (1.<br />

FC Magdeburg) und Joachim Streich<br />

(Trainer 1. FC Magdeburg) in die Bundesligen.<br />

11.05.1990<br />

Berlin: Gespräch zwischen Staatssekretär<br />

Dr. Horst Iske und DTSB-Präsident Martin<br />

Kilian. Missverständnisse über die Äußerungen<br />

von Sportministerin Cordula Schubert<br />

werden angeblich ausgeräumt.<br />

München: Außerordentlicher Verbandstag<br />

des <strong>Deutsche</strong>n Eishockeybundes (DEB).<br />

Die Vereinigung <strong>der</strong> Eishockeyverbände<br />

<strong>der</strong> beiden deutschen Staaten ist nahezu<br />

perfekt.<br />

12.05.1990<br />

Kienbaum: Auf <strong>der</strong> zweiten Bundesvorstandstagung<br />

des DTSB wird <strong>der</strong> Rücktritt<br />

von Sportministerin Cordula Schubert gefor<strong>der</strong>t.<br />

Gründung des Triathlonverbandes und des<br />

Karateverbandes <strong>der</strong> DDR.<br />

Frankfurt (O<strong>der</strong>): Gründung des Brandenburgischen<br />

Volleyballverbandes. Präsident:<br />

Gerhard Frommert.<br />

Hameln: Mit Matthias Hahn wechselt <strong>der</strong><br />

dritte Handballer von SC Empor Rostock<br />

zum VfL Hameln.<br />

Rundschreiben des Bezirksfachausschusses<br />

Fußball: Ab Herbst 1990 soll es eine Landesliga<br />

Brandenburg geben.<br />

Berlin: Erste Beratung <strong>der</strong> gemeinsamen<br />

Arbeitsgruppe DTSB/DSB. Es kommt zu<br />

einer Annäherung beim Thema Breitensport.<br />

Magdeburg: Präsidiumstagung des Basketballverbandes<br />

<strong>der</strong> DDR. Als neuer Präsident<br />

wird Dr. Volkard Uhlig gewählt.<br />

Eine engere Zusammenarbeit vereinbaren<br />

<strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong> Behin<strong>der</strong>tensportverband<br />

(DBS) und <strong>der</strong> Verband für Versehrtensport<br />

<strong>der</strong> DDR.<br />

13.05.1990<br />

<strong>Der</strong> Präsident des <strong>Deutsche</strong>n Sportbundes,<br />

Hans Hansen, rechnet erst nach Vollzug<br />

<strong>der</strong> staatlichen Einheit mit einer Vereinigung<br />

des Sports.<br />

14.05.1990<br />

Gründung des Landesverbandes Berlin-<br />

Brandenburg <strong>der</strong> Gehörlosensportler.<br />

15.05.1990<br />

Sportministerin Cordula Schubert spricht<br />

sich gegen eine weitere finanzielle Unterstützung<br />

des hauptamtlichen Apparates des<br />

DTSB aus. Ein vereinbartes Gespräch mit<br />

DTSB-Präsident Martin Kilian wird abgesagt.<br />

DSB-Präsident Hans Hansen bekräftigt<br />

dennoch die weitere Zusammenarbeit<br />

mit dem DTSB.<br />

16.05.1990<br />

Die besten Schwimmer <strong>der</strong> DDR und <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik planen ein deutschdeutsches<br />

Anti-Doping-Pilotprojekt.


48<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 09.05.1990<br />

„Habe nie den Wunsch geäußert, gesamtdeutscher Präsident zu werden“<br />

DSB-Präsident dementiert Machtanspruch<br />

Hansen will Einheit ohne Vereinnahmung<br />

Jöh. KÖNIGSWINTER. „Ich habe<br />

nie den Wunsch geäußert, gesamtdeutscher<br />

Präsident zu werden.“ So<br />

hat Hans Hansen, Präsident des<br />

<strong>Deutsche</strong>n Sportbundes (DSB), am<br />

Dienstag entsprechende Meldungen<br />

<strong>zur</strong>ückgewiesen. Einen Tag nach<br />

einem Meinungsaustausch mit<br />

Bundesinnenminister Schäuble und<br />

Staatssekretär Walter Priesnitz vom<br />

Bundesministerium für Innerdeutsche<br />

Beziehungen sprach Hansen<br />

gestern in Königswinter bei <strong>der</strong><br />

dritten deutsch-deutschen Sportjournalisten-Tagung,<br />

<strong>der</strong> ersten<br />

nach <strong>der</strong> politischen Wende in <strong>der</strong><br />

DDR. <strong>Der</strong> DSB-Präsident bekräftigte<br />

seinen Standpunkt, die Vereinigung<br />

des Sports mit Ruhe, Sachlichkeit<br />

und Fingerspitzengefühl zu<br />

betreiben. Deshalb verzichte er<br />

darauf, Machtansprüche zu äußern,<br />

die einige im deutschen Sport gerne<br />

von ihm sähen. „Die Vereinigung<br />

des Sports muß nach Form und Zeit<br />

wie die staatliche Vereinigung<br />

ablaufen. Deshalb macht sich <strong>der</strong><br />

Sport aber nicht von <strong>der</strong> Politik<br />

abhängig“, sagte <strong>der</strong> DSB-<br />

Präsident.<br />

Bis Ende Juni, so Hansen, müsse<br />

aber die „grobe Richtung“ für die<br />

Vereinigung von <strong>Deutsche</strong>m Sportbund<br />

(21 Millionen Mitglie<strong>der</strong>) und<br />

<strong>Deutsche</strong>m Turn- und Sportbund<br />

(DTSB) <strong>der</strong> DDR (3 Millionen<br />

Mitglie<strong>der</strong>) feststehen. Eine bloße<br />

Vereinnahmung des kleineren Verbandes<br />

lehnt Hansen dabei ebenso<br />

ab wie Alleingänge von sich gründenden<br />

Fachverbänden in den künf-<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 9. Mai 1990<br />

tigen Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> DDR, die lieber<br />

heute als morgen die Einheit mit<br />

ihren westlichen Partnerorganisationen<br />

vollzögen. Bis Ende dieses<br />

Jahres erwartet Hansen die Gründung<br />

von Landessportbünden in <strong>der</strong><br />

DDR und somit neue Impulse für<br />

die Vereinigung.<br />

Bis dahin will Hansen keine falschen<br />

Hoffnungen wecken. Die<br />

Auszehrung des DDR-Sports durch<br />

die Übersiedlung zahlreicher Aktiver<br />

könne <strong>der</strong> DSB so wenig verhin<strong>der</strong>n,<br />

wie er bei einer sportlichen<br />

Einheit zum jetzigen Zeitpunkt<br />

auch nur in Ansätzen den<br />

Bestand des DDR-Sports finanzieren<br />

könnte. Schon die in die Höhe<br />

geschnellte Zahl von deutschdeutschen<br />

Sportbegegnungen stellt<br />

den DSB vor Schwierigkeiten. Das<br />

Ministerium für Innerdeutsche<br />

Beziehungen wird nicht mehr als<br />

fünf Millionen Mark <strong>zur</strong> Verfügung<br />

stellen; gleichgültig, wie hoch die<br />

Zahl <strong>der</strong> ursprünglich 4000 geschätzten<br />

Begegnungen am Ende<br />

dieses Jahres sein wird. Hansen<br />

erwartet etwa 6000 Begegnungen.<br />

Nicht alle werden nach dem <strong>bis</strong>herigen<br />

Muster unterstützt werden<br />

können, so daß zu erwarten ist, daß<br />

von einem bestimmten Zeitpunkt<br />

dieses Jahres an nur noch partiell<br />

finanzielle Hilfe geleistet werden<br />

kann. Zum Beispiel für Jugendbegegnungen.<br />

„Diesen Prozeß <strong>der</strong> Einheit zum<br />

Abschluß zu bringen, ist eine reizvolle<br />

Geschichte, deshalb werde<br />

ich im Dezember wie<strong>der</strong> kandidie<br />

ren“, sagte Hansen und deutete<br />

damit an, daß er doch <strong>der</strong> erste<br />

gesamtdeutsche Sportpräsident sein<br />

könnte. Sein am 18. März gewählter<br />

DTSB-Kollege Martin Kilian<br />

hat in seiner Antrittsrede ja herausgestellt,<br />

daß er sich nur als „Übergangspräsident“<br />

ansehe. Am 3. Mai<br />

war Hansen vier Jahr lang im Amt,<br />

für vier weitere Jahre wird er sich<br />

am 15. Dezember in Hannover <strong>zur</strong><br />

Wahl stellen. Über den Zeitpunkt<br />

dieses seit langem geplanten DSB-<br />

Bundestages will er nicht mit sich<br />

reden lassen. Die ohnehin aus organisatorischen<br />

Gründen schon um<br />

ein halbes Jahr verlängerte Amtszeit<br />

so lange auszudehnen, <strong>bis</strong> <strong>der</strong><br />

vereinte deutsche Sport seinen<br />

Präsidenten wählen kann, bereite<br />

ihm „rechtspolitische Bedenken“.<br />

Nach <strong>der</strong> Vereinigung, zu welchem<br />

Zeitpunkt auch immer, setzt Hansen<br />

auf „klare Verhältnisse“. Das<br />

heißt, er zieht in diesem Fall Präsidiumsneuwahlen<br />

<strong>der</strong> Möglichkeit<br />

vor, die Zahl <strong>der</strong> Vizepräsidenten<br />

im DSB zu erhöhen und dann ehemalige<br />

DDR-Funktionäre hinzuzuwählen.<br />

Am 15. Dezember, so<br />

Hansen, habe <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong> Sportbund<br />

die Möglichkeit zu Satzungsän<strong>der</strong>ungen<br />

im Hinblick auf die<br />

Einheit.<br />

„Die Vereinigung ist auch eine<br />

Chance für den DSB“, sagte Hansen<br />

in Köngiswinter. Reformbedürftig<br />

sei beispielsweise die Arbeit<br />

auf dem Gebiet Sport und<br />

Umwelt. Die Aufgaben verdienten<br />

den gleichen Stellenwert wie <strong>der</strong><br />

Leistungssport.


<strong>Chronik</strong> Mai 1990 49<br />

17.05.1990<br />

Im Magazin „Stern“ dementiert Katarina<br />

Witt Vorwürfe, sie habe für das Ministerium<br />

für Staatssicherheit gearbeitet.<br />

19.05.1990<br />

Berlin (West): Erste gemeinsame Präsidiumstagung<br />

von DFB und DFV am Rande<br />

des DFB-Pokalfinales: Vereinigung nicht<br />

vor März/April 1992 geplant. Gemeinsamer<br />

Spielbetrieb startet mit <strong>der</strong> Saison<br />

1992/93.<br />

Berlin (West): Badminton-Län<strong>der</strong>vergleich<br />

<strong>der</strong> beiden deutschen Staaten.<br />

Berlin (Ost): Arbeitstagung des NOK <strong>der</strong><br />

DDR. Neuwahlen am 16. Juni 1990 in<br />

Kienbaum.<br />

21.05.1990<br />

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“<br />

titelt: „ Fußballabteilung mit Verlängerung.<br />

DFB und DFV fusionieren erst 1992. Präsident<br />

Neuberger verzögert das Tempo <strong>der</strong><br />

Vereinigung.“<br />

22.05.1990<br />

Auf dem achten Verbandstag des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Turnverbandes (DTV) <strong>der</strong> DDR<br />

wird eine Erklärung <strong>zur</strong> baldigen Zusammenführung<br />

des DTV <strong>der</strong> DDR mit dem<br />

<strong>Deutsche</strong>n Turnerbund (DTB) verabschiedet.<br />

Präsident: Professor Dr. Günther<br />

Borrmann.<br />

Potsdam: Gründung des 1. Potsdamer<br />

Schwimmvereins.<br />

24./25.05.1990<br />

Berlin: Boxgipfel zwischen Delegationen<br />

des <strong>Deutsche</strong>n Boxverbandes (DBV) <strong>der</strong><br />

DDR und des <strong>Deutsche</strong>n Amateur-<br />

Boxverbandes (DABV) <strong>der</strong> Bundesrepublik.<br />

Vereinigung für 1991 vorgesehen,<br />

eine gemeinsame Boxliga aber bereits im<br />

laufenden Kalen<strong>der</strong>jahr.<br />

25.05.1990<br />

Köln: <strong>Der</strong> „Kölner Express“ berichtet, dass<br />

die Bundesregierung auf den DFB Druck<br />

ausüben wolle und eine schnellere Vereinigung<br />

<strong>der</strong> beiden deutschen Fußballverbände<br />

for<strong>der</strong>e.<br />

26.05.1990<br />

Bernau: Gründung des Brandenburgischen<br />

Basketballverbandes e. V.<br />

27.05.-03.06.1990<br />

Bochum/Dortmund: <strong>Deutsche</strong>s Turnfest.<br />

Die Teilnehmerzahl liegt bei 87.242, darunter<br />

zahlreiche Sportler aus <strong>der</strong> DDR.<br />

28.05.1990<br />

Bonn: Zweites Gespräch zwischen DDR-<br />

Sportministerin Cordula Schubert und<br />

Bundes-Innenminister Wolfgang Schäuble.<br />

29.05.1990<br />

Interview mit NOK-Mitglied Dr. Horst<br />

Meyer in „Neue Zeit“: Meyer spricht sich<br />

für frühzeitige Auswahlkriterien für ein<br />

gemeinsames Olympiateam 1992 aus.<br />

30.05.1990<br />

Madrid: DTSB-Präsident Martin Kilian<br />

und <strong>der</strong> Präsident des Obersten Sportrates<br />

von Spanien, Javier Gomez Navarro, unterzeichnen<br />

ein Abkommen <strong>zur</strong> Entwicklung<br />

<strong>der</strong> Sportbeziehungen bei<strong>der</strong> Län<strong>der</strong>.<br />

31.05.1990<br />

Bonn: Zum ersten Mal treffen sich die<br />

CDU-Sportausschüsse bei<strong>der</strong> deutscher<br />

Staaten.<br />

Berlin: Gründung des Turn- und Sportbundes<br />

Berlin e. V.<br />

Strausberg: Gründung eines Bundes deutscher<br />

Fußballtrainer. Präsident: Heinz<br />

Werner.


50<br />

Mai 1990 – Eine Collage


<strong>Chronik</strong> Juni 1990 51<br />

Juni 1990<br />

01.06.1990<br />

Eigentumsrechte an Sportanlagen und<br />

Sportstätten <strong>der</strong> DDR sollen den Gemeinschaften<br />

und Vereinen übertragen werden<br />

(Gespräch zwischen Dr. Horst Iske, Staatsekretär<br />

im Ministerium für Jugend und<br />

Sport, und DTSB-Vizepräsidentin, Dr.<br />

Margitta Gummel).<br />

Bonn: Pressekonferenz mit DDR-Sportministerin<br />

Cordula Schubert. Kein Schulterschluss<br />

mit dem DTSB. Gemeinsamer<br />

Qualifikationsmodus für Olympia 1992<br />

gefor<strong>der</strong>t.<br />

01./02.06.1990<br />

Kienbaum: Die Vertreter <strong>der</strong> beiden deutschen<br />

Leichtathletikverbände vereinbaren,<br />

eine gemeinsame Vorbereitung für die zu<br />

erwartende gemeinsame Mannschaft zu<br />

den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona.<br />

Einig ist man sich darüber, dass die<br />

diesjährigen Europameisterschaften in<br />

Split und die im kommenden Jahr in Tokio<br />

auf dem Programm stehenden Weltmeisterschaften<br />

mit getrennten Mannschaften<br />

bestritten werden sollten.<br />

Professor Dr. Manfred Steinbach, Sportwart<br />

des DLV, wollte damit jeweils drei<br />

Athleten aus jedem Verband den Start ermöglichen,<br />

um dadurch eine starke Olympiamannschaft<br />

zu formieren.<br />

04.06.1990<br />

Unter <strong>der</strong> Überschrift „Westdeutsche<br />

Klubs plün<strong>der</strong>n den Amateursport <strong>der</strong><br />

DDR systematisch aus“ addiert <strong>der</strong> „Spiegel“<br />

die <strong>bis</strong>herigen Verluste <strong>der</strong> jetzt schon<br />

„Konkursreifen Medaillenfabrik DDR“.<br />

Durch den anhaltenden A<strong>der</strong>lass, so <strong>der</strong><br />

„Spiegel“, ist das konsequent auf Leistungssport<br />

ausgerichtete ostdeutsche Sport-<br />

system ein halbes Jahr nach Öffnung <strong>der</strong><br />

Mauer in vielen Bereichen praktisch zusammengebrochen.<br />

06.06.1990<br />

<strong>Der</strong> „Spiegel“ meldet, dass mehr als 200<br />

DDR-Spitzensportler in die Bundesrepublik<br />

übergesiedelt sind.<br />

08.06.1990<br />

Potsdam: Pressekonferenz mit DDR-<br />

Sportministerin Cordula Schubert. Im <strong>bis</strong>herigen<br />

Haushaltsentwurf seien nur neun<br />

Millionen Mark für Jugend und Sport vorgesehen.<br />

Ende des BSG-Sports: Regierung entbindet<br />

Betriebe von <strong>der</strong> „Alimentation“ des Betriebssports.<br />

10.06.1990<br />

Die „Berliner Morgenpost“ meldet:<br />

„Richthofen mahnt <strong>zur</strong> Eile, weil sonst<br />

Berlins Olympia-Chancen sinken.“<br />

11.06.1990<br />

Frankfurt am Main: <strong>Der</strong> <strong>Deutsche</strong> Ringerbund<br />

<strong>der</strong> Bundesrepublik bietet dem DDR-<br />

Ringerverband den Anschluss an.<br />

12.06.1990<br />

Bad Blankenburg: Mit dem „Thüringischen<br />

Fußballverband“ gründet sich <strong>der</strong><br />

erste Fußball-Landesverband auf dem Territorium<br />

<strong>der</strong> DDR. Dieser setzt sich aus<br />

den Bezirken Gera, Suhl und Erfurt zusammen.<br />

Präsident: Werner Triebel.<br />

13.06.1990<br />

Interview mit Willi Daume in <strong>der</strong> „FAZ“:<br />

„Deutschland über alles wird man vom<br />

Sport nicht hören.“


52 „Was ist lila und pfeift <strong>zur</strong> Halbzeitpause?“ – Sponsoring weckte große Hoffnungen, erfüllte aber nicht alle Erwartungen<br />

„Was ist lila und pfeift <strong>zur</strong> Halbzeitpause?“<br />

Sponsoring weckte große Hoffnungen,<br />

erfüllte aber nicht alle Erwartungen<br />

von Jutta Braun<br />

Juni 1990. Die Hoffnungen des DDR-Sports<br />

auf westdeutsche Sponsoren waren groß, jedoch<br />

lautete das Fazit nach einem halben Jahr<br />

offener Grenzen: vor allem DDR-<br />

Auswahlmannschaften und Top-Ereignisse<br />

wurden gesponsert. Vermarktungs- und Vermittlungsagenturen<br />

schossen aus dem Boden<br />

und überschütteten westdeutsche Unternehmen<br />

mit Angeboten, die vom Eiskunstlauf <strong>bis</strong> zu<br />

lokalen Sporttagen reichten. Volvo, international<br />

eher auf Golfsport konzentriert, sah in den<br />

DDR-Leichtathletinnen einen Werbepartner,<br />

die männlichen Leichtathleten erhielten Unterstützung<br />

von Grundig. Eberhard König, Trainer<br />

<strong>der</strong> DDR-Läuferinnen, wünschte sich, dass<br />

<strong>der</strong> Einfluss <strong>der</strong> Bundesrepublik „noch wesentlich<br />

deutlicher und energischer wird“, um wenigstens<br />

bewährte Strukturen aufrechterhalten<br />

zu können. Zum schnelleren Auftauen <strong>der</strong><br />

deutsch-deutschen Sportbeziehungen trug eine<br />

Tiefkühlfirma bei, indem sie die Bildung und<br />

Finanzierung einer deutsch-deutschen 4 mal<br />

400 Meter Staffel <strong>der</strong> Frauen sicherstellte. Das<br />

Unternehmen unterstützte die gemeinsame<br />

Vorbereitung <strong>der</strong> Läuferinnen in Trainingslagern<br />

mit Fahrzeugen, Lebensmitteln, Arznei,<br />

Geräten und Geld. Auch an<strong>der</strong>e Sportarten<br />

kooperierten mit West-Firmen: Die Trikots <strong>der</strong><br />

Volleyball-Nationalmannschaft zierte bald <strong>der</strong><br />

Wella–Schriftzug; die Handball-Männer<br />

schlossen nacheinan<strong>der</strong> Vereinbarungen mit<br />

Kaufhof, Henkel sowie <strong>der</strong> Nürnberger Versicherung.<br />

Eine beson<strong>der</strong>e Werbe-Mission hatten<br />

die Neubrandenburger Handball-Frauen zu<br />

erfüllen: Sie popularisierten auf ihren Trikotärmeln<br />

die Produkte <strong>der</strong> Firma Beate Uhse.<br />

Durch Sponsoren wurden auch neue Veranstaltungsformen<br />

ermöglicht, so finanzierte die<br />

Volkswagen AG das erste Grand Prix Turnier<br />

<strong>der</strong> DDR im September 1990 in Leipzig. Die<br />

Zuschauerkapazität in <strong>der</strong> Leipziger Messehalle<br />

wurde für diesen Event, an dem die Weltranglistenerste<br />

Steffi Graf und weitere internationale<br />

Spitzenspielerinnen teilnahmen, eigens<br />

Jutta Braun<br />

um 10.000 Plätze erweitert. „<strong>Der</strong> Tennissport<br />

wird in <strong>der</strong> DDR hierdurch einen Aufschwung<br />

nehmen, das Zuschauerinteresse ist schon jetzt<br />

riesengroß“ freute sich Hans Joachim Petermann,<br />

Präsident des Tennisverbandes <strong>der</strong><br />

DDR. <strong>Der</strong> jahrelang als Sport II klein gehaltene<br />

Tennisverband ernannte eigens einen „Generalbevollmächtigten<br />

für Sponsorenverhandlungen<br />

mit <strong>der</strong> Bundesrepublik,“ den Posten<br />

übernahm <strong>der</strong> siebzehnfache DDR-<br />

Einzelmeister Thomas Emmrich aus Magdeburg.<br />

Denn ein Traum war noch nicht verwirklicht:<br />

Man hoffte, dass mit Hilfe von Sponsoren<br />

endlich die erste Tennishalle in <strong>der</strong> DDR<br />

gebaut werden könne.<br />

<strong>Der</strong> Fußball war für Sponsoren ein beson<strong>der</strong>s<br />

attraktives Feld: Die Hamburger Film- und<br />

Fernsehgesellschaft Ufa erwarb die Vermarktungsrechte<br />

für die Bandenwerbung in den<br />

Fußball-Oberliga-Stadien von Dresden, Karl-<br />

Marx-Stadt, Jena und Erfurt. Vor allem Automobilfirmen,<br />

Versicherungen, Getränkehersteller,<br />

Reiseveranstalter und Warenhausketten<br />

engagierten sich. Jägermeister unterstützte den<br />

FC Magdeburg, die Vereinte Versicherung den<br />

Klub Lok Leipzig, TUI stieg bei Dynamo Berlin<br />

ein.<br />

Die skurrilen Seiten westlicher Vermarktungsstrategien<br />

mussten allerdings die Rostocker<br />

erleben. Für ein Freundschaftsspiel im Februar<br />

1990 zwischen Bremen und Rostock hatte <strong>der</strong><br />

Manager des SV Wer<strong>der</strong>, Willi Lemke, die<br />

Firma Milka als Sponsor gewonnen. Eine aufgeblasene<br />

Plastikkuh sorgte auf dem Rostocker<br />

Marktplatz für Aufsehen, insgesamt wurden<br />

eine Million Schokoriegel zu Dumpingpreisen<br />

an DDR-Bürger gebracht. Während diese Begleiterscheinungen<br />

noch freundlich aufgenommen<br />

wurden, sorgte ein weiterer Werbegag<br />

denn doch für Stirnrunzeln: Unter Lemkes<br />

Motto „Es muss mehr Farbe ins Spiel“ absolvierte<br />

<strong>der</strong> Fifa-Schiedsrichter Siegfried Kirschen<br />

aus Frankfurt (O<strong>der</strong>) die Begegnung im<br />

lila Dress. „Was ist lila, steht auf dem Rasen<br />

und pfeift <strong>zur</strong> Halbzeitpause?“ wurde daraufhin<br />

<strong>zur</strong> spöttischen Scherzfrage unter Rostocker<br />

Bürgern.


<strong>Chronik</strong> Juni 1990 53<br />

13./14.06.1990<br />

Die „Süddeutsche Zeitung titelt: „<strong>Sporteinheit</strong><br />

ein fließen<strong>der</strong> Prozess“. Die Einheit<br />

im deutschen Sport, so meint <strong>der</strong> Präsident<br />

des <strong>Deutsche</strong>n Sportbundes (DSB), Hans<br />

Hansen, „ wird zu verschiedenen Terminen<br />

hergestellt werden.“ Mit dieser Erklärung<br />

bezog Hansen Stellung zu den Positionen<br />

einiger bundesdeutscher Fachverbände in<br />

<strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> deutschen <strong>Sporteinheit</strong> und<br />

nahm gleichzeitig Abschied von dem Verhandlungsaktionismus<br />

des DSB-<br />

Präsidenten in den ersten fünf Monaten<br />

nach dem <strong>Mauerfall</strong>. „Es kann keine Rede<br />

davon sein, dass die Identität des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Sportbundes aufgelöst wird zugunsten<br />

einer <strong>Deutsche</strong>n Sport-Union als Dachverband<br />

über <strong>der</strong> zu schaffenden Einheit.“<br />

14.06.1990<br />

Berlin: Gerhard Mayer-Vorfel<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Vorsitzende<br />

des Bundesligaausschusses und<br />

Präsident des VfB Stuttgart, plädiert in<br />

einem Interview mit <strong>der</strong> „Stuttgarter Zeitung“<br />

für einen schnellen Zusammenschluss.<br />

Frankfurt (O<strong>der</strong>): 1. Meisterschaften Brandenburg/Berlin<br />

im Gewichtheben.<br />

16.06.1990<br />

Kienbaum: Mitglie<strong>der</strong>versammlung des<br />

NOK <strong>der</strong> DDR. Professor Dr. Dr. Joachim<br />

Weiskopf wird zum neuen Präsidenten<br />

gewählt. Das NOK <strong>der</strong> DDR stellt die<br />

Weichen für die Vereinigung. Weiskopf<br />

sieht seine Hauptaufgabe darin, eine gemeinsame<br />

Olympiamannschaft Deutschlands<br />

1992 in Albertville und Barcelona zu<br />

bilden. Eine frühest-mögliche Fusion <strong>der</strong><br />

beiden deutschen NOK solle deshalb angestrebt<br />

werden, wobei Weiskopf Ende dieses<br />

o<strong>der</strong> Anfang nächsten Jahres als realistische<br />

Termine ansieht. Deshalb sollten<br />

auch schon 1991 an Europa- und Welt-<br />

meisterschaften die <strong>Deutsche</strong>n gemeinsam<br />

starten.<br />

Düsseldorf: Gespräch des „Sportinformationsdienstes“<br />

mit dem Direktor des Forschungsinstituts<br />

für Körperkultur und<br />

Sport in Leipzig, Professor Harold Tünnemann.<br />

<strong>Der</strong> DDR-Sport wird sich bei <strong>der</strong><br />

deutschen Vereinigung an die bestehenden<br />

Sportstrukturen <strong>der</strong> Bundesrepublik anschließen,<br />

so Tünnemann.<br />

18.06.1990<br />

<strong>Der</strong> Fußballverband <strong>der</strong> DDR (DFV) will<br />

die Vereinigung vor 1992. In <strong>der</strong> Frankfurter<br />

Allgemeinen Zeitung erklärt DFV-<br />

Präsident Hans-Georg Moldenhauer: „Wir<br />

müssen jetzt das Vereinigungstempo anziehen.<br />

Die Integration des DDR-Fußballs<br />

in die bundesdeutschen Liga-Systeme<br />

muss <strong>zur</strong> Saison 1991/92 kommen.“<br />

19.06.1990<br />

<strong>Der</strong> DTSB kündigt eine umfassende Entlassungswelle<br />

an. Bis zum 30.6.90 werden<br />

8.000 Mitarbeiter entlassen – rund 2.500<br />

weitere Mitarbeiter werden folgen.<br />

Washington: Sportexperten aus den USA<br />

empfehlen dem NOK <strong>der</strong> USA den Kauf<br />

von ostdeutschem Sport Know-How.<br />

Die „Märkische O<strong>der</strong>zeitung“ meldet:<br />

„Ausverkauf des DDR-Handball geht weiter“.<br />

Die „Neue Fußballwoche“ schreibt, dass<br />

sich die DDR-Zweitliga-Teams Dynamo<br />

Fürstenwalde, KWO Berlin, Chemie Buna<br />

Schkopau und MSV Eisleben aus finanziellen<br />

Gründen aus dem Spielbetrieb <strong>zur</strong>ückziehen.


54<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 25.06.1990<br />

<strong>Der</strong> Hauptausschuß des <strong>Deutsche</strong>n Sportbundes präsentiert ein Fünf-Punkte-Programm<br />

Mit voller Fahrt und klarem Kurs Richtung <strong>Sporteinheit</strong><br />

TRAVEMÜNDE. Die Zonengrenze<br />

vor Augen, sprachen am Samstag die<br />

Delegierten des <strong>Deutsche</strong>n Sportbundes<br />

(DSB) über die deutsche Vereinigung.<br />

Nach Wochen <strong>der</strong> Unsicherheit und<br />

Konzeptionslosigkeit scheint <strong>der</strong> DSB<br />

auf <strong>der</strong> 37. Hauptausschußsitzung in<br />

Travemünde seinen Kurs gefunden zu<br />

haben. Vielleicht hat die maritime<br />

Umgebung dazu beigetragen, das<br />

schlingernde Schiff zu stabilisieren und<br />

auf Fahrt zu bringen. Nach lebendigen<br />

Diskussionen mit den Sportfachverbänden<br />

und Landessportbünden sowie<br />

einem fröhlichen Abend auf dem alten<br />

Windjammer Passat wirkte Segler Hans<br />

Hansen am Samstag vor dem kleinen<br />

Sportparlament endlich richtungsbewußt.<br />

Die Wochen, in denen <strong>der</strong> DSB-<br />

Präsident mit <strong>der</strong> Stange im Nebel<br />

herumstocherte, sind wohl vorbei. So<br />

etwas wie ein Konzept steht. Und dabei<br />

ist es sekundär, ob sich <strong>der</strong> Fahrplan<br />

<strong>zur</strong> <strong>Sporteinheit</strong> erst an den politischen<br />

Fakten sowie an dem Vorprellen <strong>der</strong><br />

Fachverbände und <strong>der</strong> Landessportbünde<br />

orientiert hat.<br />

Ein Fünf-Punkte-Programm soll das<br />

Vorgehen bestimmen:<br />

1. Nach den Landtagswahlen am 23.<br />

September werden in <strong>der</strong> DDR Län<strong>der</strong><br />

gebildet.<br />

2. im gleichen Zeitraum werden in<br />

<strong>der</strong> DDR Landessportbünde entstehen.<br />

<strong>Der</strong> Ostteil <strong>der</strong> Stadt schließt sich dem<br />

Landessportbund Berlin an.<br />

3. Hansen rechnet damit, daß die<br />

Landessportbünde <strong>der</strong> DDR nach ihrer<br />

Gründung umgehend einen Antrag auf<br />

Beitritt zum <strong>Deutsche</strong>n Sportbund<br />

stellen. Die Aufnahme würde dann mit<br />

dem Tage <strong>der</strong> staatlichen Vereinigung<br />

wirksam werden.<br />

4. Als Voraussetzung <strong>der</strong> Aufnahme<br />

<strong>der</strong> ostdeutschen Landessportbünde<br />

muß die Satzung des DSB geän<strong>der</strong>t<br />

werden.<br />

5. Die Spitzenverbände und die<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 25. Juni 1990<br />

weiteren Mitgliedsverbände des DSB<br />

vereinigen sich zu unterschiedlichen<br />

Zeiten und in unterschiedlicher Form.<br />

Hansen rief dabei zu einer schnellen<br />

Vereinigung auf.<br />

Das Proze<strong>der</strong>e orientiert sich an Artikel<br />

23 <strong>der</strong> Verfassung, einem Aufgehen<br />

<strong>der</strong> Län<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Bundesrepublik.<br />

Das Gespräch zwischen Hans Hansen<br />

und Martin Kilian, dem Präsidenten des<br />

einst so mächtigen Turn- und Sportbundes<br />

(DTSB) <strong>der</strong> DDR, am Donnerstag<br />

in West-Berlin läßt sich damit nicht<br />

mehr zum „Sportgipfel“ hochstilisieren.<br />

<strong>Der</strong> DTSB, dessen Vermögen gerade<br />

von <strong>der</strong> DDR-Regierung sichergestellt<br />

wurde, ist nur noch als Nachlaßverwalter<br />

Partner in <strong>der</strong> technischen Abwicklung.<br />

Inzwischen hätten, so Hansen,<br />

„die DDR-Vertreter auf allen Gesprächsebenen<br />

deutlich gemacht, daß<br />

sie die Rahmenbedingungen eines<br />

freien Sports, die <strong>der</strong> DSB und seine<br />

Mitgliedsorganisationen für unverzichtbar<br />

halten, ohne Einschränkung<br />

gutheißen“.<br />

Beschlüsse des DSB<br />

Die Neufassung <strong>der</strong> Rahmenrichtlinien<br />

für die Ausbildung wurde einstimmig<br />

angenommen.<br />

Ein Talentför<strong>der</strong>ungskonzept wurde<br />

mit großer Mehrheit akzeptiert.<br />

<strong>Der</strong> <strong>Deutsche</strong> Baseball- und Softball-<br />

Verband wurde als 55. Spitzenverband<br />

in den <strong>Deutsche</strong>n Sportbund aufgenommen.<br />

<strong>Der</strong> Prozeß <strong>der</strong> Vereinigung ist auf<br />

<strong>der</strong> Fachverbandsebene schon in vollem<br />

Gange. <strong>Der</strong> <strong>Deutsche</strong> Verband für<br />

Freikörperkultur hat bereits Tatsachen<br />

geschaffen. Die Mo<strong>der</strong>nen Fünfkämpfer<br />

folgen im Herbst. Die Gewichtheber<br />

haben es ebenfalls eilig, wobei <strong>der</strong>en<br />

Modus, aus zwei gleichberechtigten<br />

Verbänden einen neuen zu schaffen,<br />

zunehmend als problematisch beurteilt<br />

wird.<br />

Denn damit müßten, wie Kritiker<br />

meinen, zu viele Altlasten und nach<br />

einer Quotenregelung zu viele Parteigänger<br />

des Honecker-Regimes übernommen<br />

werden. <strong>Der</strong> Weg <strong>zur</strong> Einheit<br />

dürfte vorwiegend über die Aufnahme<br />

von DDR-Landesverbänden führen.<br />

Bei <strong>der</strong> Vollversammlung <strong>der</strong> Spitzenverbände<br />

geriet übrigens <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong><br />

Fußball-Bund, <strong>der</strong> einen gemeinsamen<br />

Spielbetrieb mit <strong>der</strong> DDR erst für das<br />

Frühjahr 1992 anstrebt, zunehmend in<br />

die Isolation. <strong>Der</strong> späte Zeitpunkt wird<br />

von den meisten als nicht haltbar angesehen.<br />

Allgemein wird die notwendige<br />

Neuordnung des (gesamt-)deutschen<br />

Sports als vorzügliche Gelegenheit<br />

angesehen, Ballast über Bord zu werfen.<br />

Zu diesem Zwecke wurde jetzt<br />

eine Strukturkommission gebildet, die<br />

<strong>der</strong> Sportorganisation einen zeitgerechten<br />

Zuschnitt verpassen soll.<br />

Am 15. und 16. Dezember, dem voraussichtlichen<br />

Termin für gesamtdeutsche<br />

Wahlen, müßte <strong>der</strong> DSB-<br />

Bundestag in Hannover die Grundlage<br />

für einen allumfassenden <strong>Deutsche</strong>n<br />

Sportbund schaffen. Nach viereinhalb<br />

Jahren Amtszeit stünde Hans Hansen<br />

dann wohl vor einer Wie<strong>der</strong>wahl und<br />

wahrscheinlich bei einem außerordentlichen<br />

„Vereinigungs-Bundestag“ im<br />

Frühjahr 1991 vor <strong>der</strong> Wahl zum „Überpräsidenten“.<br />

Es sei denn, <strong>der</strong> Berliner<br />

„Landesfürst“ Manfred von Richthofen<br />

machte ihm beide Male als Herausfor<strong>der</strong>er<br />

die Palme streitig. Das<br />

DDR-Kommandounternehmen <strong>Deutsche</strong>r<br />

Turn- und Sportbund dürfte bald<br />

nur noch eine historische Reminiszenz<br />

sein. O<strong>der</strong> wie Roland Ma<strong>der</strong>, <strong>der</strong><br />

Sprecher <strong>der</strong> Spitzenverbände, es ausdrückte:<br />

„<strong>Der</strong> DTSB ist die Henne, die<br />

fünf Eier (sprich: Landessportbünde)<br />

legen muß und dann geschlachtet wird.<br />

STEFFEN HAFFNER


<strong>Chronik</strong> Juni 1990 55<br />

20.06.1990<br />

In <strong>der</strong> „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“<br />

for<strong>der</strong>t Engelbert Nelle, sportpolitischer<br />

Sprecher <strong>der</strong> CDU und Mitglied im DFB-<br />

Präsidium, den baldigen Beitritt des DDR-<br />

Verbandes: „<strong>Der</strong> Fußball muss sich <strong>der</strong><br />

Einigung anpassen.“<br />

Dem vernachlässigten Breitensport <strong>der</strong><br />

DDR soll nach dem Willen des Sportausschusses<br />

des Bundestags im großen Maße<br />

geholfen werden.<br />

21./22.06.1990<br />

Berlin: Beschlagnahme des DTSB-<br />

Vermögens und Unterstellung unter Treuhän<strong>der</strong>schaft.<br />

144,6 Millionen Mark werden<br />

für den Sport bereitgestellt und gehen<br />

ohne den Umweg DTSB direkt an die<br />

Fachverbände. Entlassung von 77 Prozent<br />

<strong>der</strong> hauptamtlichen Mitarbeiter <strong>der</strong> DTSB-<br />

Zentrale in Berlin.<br />

Berlin (Ost): Die DDR-Volkskammer billigt<br />

einen von <strong>der</strong> SPD eingebrachten Antrag<br />

<strong>zur</strong> Sportför<strong>der</strong>ung. Behin<strong>der</strong>te sollen<br />

dem Spitzensport rechtlich gleichgestellt<br />

werden .<br />

22.06.1990<br />

Berlin (Ost): Gründung des Fußballverbandes<br />

Berlin (FVB) im Casino des Stadions<br />

<strong>der</strong> Weltjugend. Uwe Piontek wird<br />

zum Präsidenten des Berliner Fußballverbandes<br />

(FVB) gewählt. <strong>Der</strong> Verband stellt<br />

die Weichen für die Vereinigung des Berliner<br />

Fußballs. In seinem Bericht <strong>zur</strong> Lage<br />

des Verbandes malt Piontek ein düsteres<br />

Bild: Von 818 Mannschaften in <strong>der</strong> letzten<br />

Saison ist die Zahl auf inzwischen unter<br />

650 gesunken. Den Ausweg sieht er nur in<br />

einer schnellen Vereinigung mit dem<br />

Westberliner Fußballverband (BFV).<br />

Letztes „<strong>Der</strong>by“ <strong>der</strong> DDR in Hoppegarten.<br />

25.06.1990<br />

Travemünde: Auf <strong>der</strong> 37. Sitzung des<br />

DSB-Hauptausschusses spricht sich DSB-<br />

Präsident Hansen für das „Modell“ des<br />

Beitritts des DDR-Sports aus.<br />

<strong>Der</strong> Boxverband <strong>der</strong> DDR kündigt an, unmittelbar<br />

nach einer staatlichen Vereinigung<br />

fusionieren zu wollen.<br />

Die Kanuverbände planen eine Vereinigung<br />

im April 1991.<br />

28.06.1990<br />

Vorstellung des Vereinigungspapiers von<br />

DTSB und DSB durch die Präsidenten<br />

Hans Hansen und Martin Kilian in Berlin<br />

(West). Berlin: Spitzentreffen DTSB/DSB.<br />

Die Präsidenten Martin Kilian und Hans<br />

Hansen vereinbaren eine Konzeption <strong>der</strong><br />

Vereinigung. <strong>Der</strong> Beitritt des DDR-Sports<br />

zum bundesrepublikanischen Sport soll<br />

nach dem politischen Modell (Artikel 23<br />

Grundgesetz) erfolgen. <strong>Der</strong> DTSB wird<br />

sich auflösen.<br />

30.06.1990<br />

Verordnung vom Ministerrat verabschiedet:<br />

Gemeinnützige Sportvereine können<br />

ab sofort unentgeltlich die öffentlichen<br />

Sportstätten <strong>der</strong> DDR nutzen.<br />

Potsdam: Gründung des Landesverbandes<br />

Brandenburg in <strong>der</strong> Sportart Fechten. Präsident:<br />

Klaus Knopf.


56<br />

Juni 1990 – Eine Collage


<strong>Chronik</strong> Juli 1990<br />

Juli 1990<br />

01.07.1990<br />

Bonn: <strong>Der</strong> Staatsvertrag über die Wirtschafts-,<br />

Währungs- und Sozialunion <strong>der</strong><br />

beiden deutschen Staaten tritt in Kraft.<br />

West- und Ostdeutschland bilden nun ein<br />

gemeinsames Währungsgebiet mit <strong>der</strong><br />

Bundesbank als Zentralbank und <strong>der</strong> Mark<br />

als alleinigem Zahlungsmittel.<br />

Rom: In einem Interview <strong>der</strong> „<strong>Deutsche</strong>n<br />

Presseagentur“ sagt DFB-Präsident Herman<br />

Neuberger, er habe keine Eile bei <strong>der</strong><br />

Vereinigung des Fußballs.<br />

04.07.1990<br />

Gipfeltreffen <strong>der</strong> NOK-Präsidenten <strong>der</strong><br />

DDR, Professor Dr. Dr. Joachim Weiskopf,<br />

und <strong>der</strong> Bundesrepublik, Willi Daume.<br />

Verhandlungen über die Modalitäten<br />

<strong>der</strong> Vereinigung. Ziel: ein gesamtdeutsches<br />

Team zu Olympia 1992.<br />

Cottbus: Gründung des Tennisclubs Cottbus<br />

e. V.<br />

07.07.1990<br />

Kienbaum: 3. Bundesvorstandssitzung des<br />

DTSB. Verabschiedung eines neuen<br />

DTSB-Statuts mit fö<strong>der</strong>ativen Strukturen<br />

und dem Ziel, eigenständige Spitzenverbände/LSB<br />

zu ermöglichen, Legislative<br />

und Exekutive zu trennen sowie demokratische<br />

Organe auszubilden.<br />

Gründung eines Vereins deutscher Olympiasieger,<br />

die sich gegen den Nie<strong>der</strong>gang<br />

des Sports in Ostdeutschland stark machen<br />

wollen.<br />

Kleinmachnow: Gründung des Landesschwimmverbandes<br />

Brandenburg e. V.<br />

Präsident: Bernhard Preßler.<br />

08.07.1990<br />

Rom: Franz Beckenbauer führt die Fußball-Nationalmannschaft<br />

durch einen 1:0<br />

Finalsieg über Argentinien zum dritten<br />

Weltmeistertitel.<br />

09.07.1990<br />

Berlin: Gründung <strong>der</strong> „Arbeitsgruppe Olympia<br />

2000“. Das Gremium soll die Fe<strong>der</strong>führung<br />

für die Olympiabewerbung<br />

Berlins übernehmen.<br />

Frauke Rupprecht, Vorsitzende <strong>der</strong> Sportjugend,<br />

appelliert, den Sport für die Jugend<br />

in Ostdeutschland nicht zu gefährden.<br />

Berlin: Fusionsgespräche zwischen dem<br />

<strong>Deutsche</strong>n Judobund und dem <strong>Deutsche</strong>n<br />

Judoverband <strong>der</strong> DDR. Vereinigung am 1.<br />

Januar 1991.<br />

Erste Sitzung des Lenkungsausschusses.<br />

10.07.1990<br />

Die „Süddeutsche Zeitung meldet: Bei <strong>der</strong><br />

Erfassung <strong>der</strong> Ost-Berliner Leistungssportstrukturen<br />

stößt Armin Baumert, Chef des<br />

Olympiastützpunktes Berlin, auf einen<br />

verblüffend hohen Personalaufwand bei<br />

<strong>der</strong> Betreuung <strong>der</strong> Höchstleister. Beim SC<br />

Dynamo standen 328 Sportlern <strong>der</strong> Ka<strong>der</strong><br />

A <strong>bis</strong> C (nach bundesdeutschen Kriterien)<br />

188 Trainer <strong>zur</strong> Verfügung, 161 zu 130<br />

war die Relation beim TSC Berlin, 51 zu<br />

37 bei den Ru<strong>der</strong>ern und Kanuten in Grünau.<br />

Im Westen hingegen: Für 118 Ka<strong>der</strong>mitglie<strong>der</strong><br />

23 Landestrainer; kein einziger<br />

hauptamtlicher Bundestrainer.<br />

„Das muss sich rapide än<strong>der</strong>n“, for<strong>der</strong>t <strong>der</strong><br />

Berliner OSP-Chef und nennt als vertretbare<br />

Position 80 Landestrainer.<br />

57


58 Einheit und Zwietracht – Während Deutschland 1990 in Rom Fußball-Weltmeister wurde, stritten die Funktionäre um<br />

die Zukunft des gesamtdeutschen Fußballs<br />

Einheit und Zwietracht<br />

Während Deutschland 1990 in Rom<br />

Fußball-Weltmeister wurde, stritten die<br />

Funktionäre um die Zukunft des gesamtdeutschen<br />

Fußballs<br />

von Michael Barsuhn<br />

Juli 1990. Deutschland wurde am 8. Juli<br />

1990 zum dritten Mal Fußball-Weltmeister.<br />

Die Partys nach dem Spiel gerieten in Berlin<br />

zum vorgezogenen Fest <strong>der</strong> deutschen Einheit.<br />

Autokorsos zogen durch die Stadt.<br />

Freudetrunken feierten Ost- und Westberliner<br />

Arm in Arm ihren Weltmeister.<br />

Hinter den Kulissen aber brodelte es. Seit<br />

Wochen hatten sich die Funktionäre des<br />

<strong>Deutsche</strong>n Fußball-Bundes (DFB) und des<br />

<strong>Deutsche</strong>n Fußball-Verbandes <strong>der</strong> DDR<br />

(DFV) in einen Machtkampf um die Zukunft<br />

des gesamtdeutschen Fußballs verstrickt.<br />

Streitpunkte waren das Tempo <strong>der</strong> Vereinigungsbestrebungen<br />

sowie die Frage nach <strong>der</strong><br />

Anzahl <strong>der</strong> zu integrierenden Ostvereine.<br />

„Wir wollen das Gebäude vom Keller an<br />

aufbauen,“ argumentierte DFB-<br />

Schatzmeister Egidius Braun noch am 9. Mai<br />

auf einer Sportjournalistentagung in Königswinter.<br />

„Keine Vereinigung <strong>der</strong> Verbände<br />

vor <strong>der</strong> Spielzeit 1992/93.“<br />

Hans-Georg Moldenhauer, seit dem 31.<br />

März 19990 als erster frei gewählter Präsident<br />

des DFV <strong>der</strong> DDR im Amt, verstand die<br />

Welt nicht mehr. Die Währungsunion nahte,<br />

die staatliche Einheit war absehbar, nur <strong>der</strong><br />

Fußball sollte sich gedulden? Aus ostdeutscher<br />

Sicht eine Katastrophe. Noch immer<br />

überquerten jeden Monat mehr als 20.000<br />

DDR-Bürger die Grenzen Richtung Bundesrepublik,<br />

darunter auch zahlreiche Fußballer<br />

wie Thomas Doll, Matthias Sammer o<strong>der</strong> Ulf<br />

Kirsten. Dramatisch war <strong>der</strong> Spielerschwund<br />

in den unteren Ligen. Ganze Mannschaften<br />

hatten das Land verlassen. „Nur ein gemeinsamer<br />

Spielbetrieb in einem vereinigten<br />

Deutschland kann den Verfallsprozess aufhalten.<br />

Zumindest abmil<strong>der</strong>n“, appellierte<br />

Moldenhauer an DFB-Präsidenten Hermann<br />

Neuberger. Dieser aber blieb stur. <strong>Der</strong> Grund<br />

Michael Barsuhn<br />

für sein zögerliches Verhalten war wirtschaftlicher<br />

Natur. Im Februar 1990 waren<br />

die Bundesrepublik und die DDR in eine<br />

Qualifikationsgruppe <strong>zur</strong> Europameisterschaft<br />

92 in Schweden gelost worden. Die<br />

Vermarktung <strong>der</strong> deutsch-deutschen Spiele –<br />

im November 1990 in Leipzig und Dezember<br />

1991 in München – hatte bereits begonnen.<br />

Engelbert Nelle, Mitglied im DFB-<br />

Präsidium, rückte nun öffentlich von seinem<br />

Chef ab: “<strong>Der</strong> politische Druck wird immer<br />

stärker. <strong>Der</strong> Fußball muss sich <strong>der</strong> Einigung<br />

anpassen.“ Seit dem 1. Juli gab es im Osten<br />

und Westen nur noch eine Währung: Die D-<br />

Mark. Die ersten gesamtdeutschen Wahlen<br />

würden am 2. Dezember 1990 stattfinden.<br />

Neuberger konnte <strong>der</strong> politischen Realität<br />

nicht länger ausweichen. Wenige Tage nach<br />

dem WM-Finale erhielt Moldenhauer einen<br />

Brief, in dem <strong>der</strong> DFB-Präsident sein Einverständnis<br />

für eine schnellere Vereinigung<br />

<strong>der</strong> beiden deutschen Fußballverbände gab.<br />

Diese fand am 21. November 1990 statt.<br />

Bei <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> einzuglie<strong>der</strong>nden Lizenzvereine<br />

einigte man sich auf einen<br />

Kompromiss. Moldenhauer wollte alle 14<br />

DDR-Oberligisten in den Profibereich integrieren,<br />

konnte jedoch nur acht beim DFB<br />

durchsetzen. <strong>Der</strong> Meister und Zweite <strong>der</strong><br />

Oberligaspielzeit 1990/91 sollten sich demnach<br />

direkt für die erste Bundesliga qualifizieren,<br />

die sechs Zweitligisten würden in<br />

einer internen Ausscheidung in <strong>der</strong> DDR<br />

ermittelt. „Die Zwei-plus-sechs-Regelung<br />

war von Anfang an <strong>der</strong> Kurs des DFB. Wie<br />

überall auf <strong>der</strong> Welt setzte sich <strong>der</strong> Stärkere<br />

durch“, kommentierte Hans Meyer als damaliger<br />

Trainer des Chemnitzer FC die Entscheidung<br />

von Frankfurt. 15 Jahre später<br />

zeigt Moldenhauer hingegen Verständnis für<br />

die Regelung: „Angesichts <strong>der</strong> unterschiedlichen<br />

Wirtschaftskraft von ost- und westdeutschem<br />

Fußball war die Entscheidung nachvollziehbar,<br />

lieber weniger Vereine mit einer<br />

soliden finanziellen Perspektive als alle Vereine<br />

um jeden Preis zu integrieren.“


<strong>Chronik</strong> Juli 1990<br />

10.07.1990<br />

Nach Gesprächen mit dem Ministerium für<br />

Jugend und Sport erhält <strong>der</strong> Fußballverband<br />

(DFV <strong>der</strong> DDR) ohne den Umweg<br />

über den DTSB 152.000 D-Mark für seine<br />

Nachwuchsarbeit.<br />

11.07.1990<br />

Berlin: Auf einem Treffen mit acht DDR-<br />

Olympiasiegern räumt DDR-Sportministerin<br />

Cordula Schubert Missverständnisse<br />

aus. Sie wolle den DDR-Sport nicht<br />

demontieren.<br />

Berlins regieren<strong>der</strong> Bürgermeister Walter<br />

Momper entbindet den 35 Jahre alten<br />

Sport-Staatssekretär Hans-Jürgen Kuhn<br />

vom Amt des Olympiabeauftragten. Neuer<br />

Leiter des Ost/West-Berliner-Olympiabüros<br />

ist Senatsrat Jürgen Kießling (49),<br />

als Abteilungsleiter Sport Kuhns Untergebener.<br />

Am 3. Juli hatte Willi Daume in<br />

einem Vier-Augen-Gespräch Momper gebeten<br />

die Olympiabewerbung <strong>zur</strong> Chefsache<br />

zu machen.<br />

12.07.1990<br />

Frankfurt am Main: Bei einer Zusammenkunft<br />

<strong>der</strong> Spitzenverbände und <strong>der</strong> Landessportbünde<br />

<strong>der</strong> Bundesrepublik mit dem<br />

Bundesausschuss Leistungssport des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Sportbundes wird über Strategien<br />

beraten, wie ein Zusammenbruch des<br />

DDR-Spitzensports verhin<strong>der</strong>t werden<br />

kann.<br />

12.07.1990<br />

Herzogenaurach: Pressekonferenz des<br />

DDR-Fußballverbandes. <strong>Der</strong> DFV strebt<br />

die sportliche Wie<strong>der</strong>vereinigung mit<br />

schnelleren Schritten an als <strong>der</strong> DFB. <strong>Der</strong><br />

DFV unterbreitet den Vorschlag einer gemeinsamen<br />

Deutschlandliga ab <strong>der</strong> Saison<br />

1991/92.<br />

13.07.1990<br />

Engelbert Nelle (Mitglied im Sportausschuss<br />

<strong>der</strong> CDU und im DFB-Präsidium)<br />

kritisiert DFB-Präsident Neuberger in <strong>der</strong><br />

„Bild-Zeitung“ als „Bremser <strong>der</strong> Einheit“<br />

und for<strong>der</strong>t eine Vereinigung des Fußballs<br />

vor 1992.<br />

Frankfurt am Main: Auf einer Vorstandssitzung<br />

des DFB wird erstmals ein Denkmodell<br />

erörtert, wie eine Vereinigung<br />

schon 1991 möglich wäre.<br />

14.07.1990<br />

Laut einer Umfrage <strong>der</strong> „<strong>Deutsche</strong>n Presseagentur“<br />

vereinigen sich die Turner zuerst,<br />

die Fußballer zuletzt.<br />

Potsdam: Gründung des Landeskanuverbandes<br />

Brandenburg e. V. Präsident: Manfred<br />

Glöckner.<br />

14./15.07.1990<br />

Kaiserau: Tagung einer gesamtdeutschen<br />

Handballarbeitsgruppe: Gesamtdeutsche<br />

Handballmeisterschaften ab <strong>der</strong> Saison<br />

1991/92 geplant.<br />

15.07.1990<br />

Sportgespräch des „Deutschlandfunks“ mit<br />

DTSB-Geschäftsführer Werner Neumann.<br />

<strong>Der</strong> DDR-Sport sei an <strong>der</strong> Schmerzgrenze.<br />

Von 10.500 fest angestellten DTSB-<br />

Mitarbeitern sind bereits 1.500 entlassen<br />

worden.<br />

15./16.07.1990<br />

Treffen von Bundeskanzler Kohl mit sowjetischem<br />

Staatschef Michael Gorbatschow<br />

im Kaukasus.<br />

16.07.1990<br />

Interessensverband <strong>der</strong> Trainer und Sportlehrer<br />

ruft in allen Städten <strong>der</strong> DDR zu<br />

Demonstrationen auf.<br />

17.07.1990<br />

München: Vereinigungsverhandlungen<br />

zwischen beiden deutschen Eisschnelllaufverbänden.<br />

59


60<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.07.1990<br />

Die Athleten profitieren vom westlichen Interesse am östlichen Know-how im Fechten<br />

„<strong>Der</strong> Emil Beck will sich den DDR-Sport angeln“<br />

LYON. Im Ausverkauf des DDR-<br />

Sports sind die Fechter <strong>der</strong> Ladenhüter.<br />

Was nicht heißt, daß sie keine<br />

Angebote bekämen. Die letzte<br />

Mannschaft, die für die DDR bei<br />

einer Fecht-Weltmeisterschaft gestartet<br />

ist, das Degen-Team, hat alle<br />

Chancen gehabt, sich vor <strong>der</strong> Rückreise<br />

nach Berlin materiell zu verbessern.<br />

Die Kanadier haben ihnen<br />

neue Taschen, Anzüge, Schuhe und<br />

Fechtsäcke „sogar mit Rollen“<br />

geboten, im Tausch „für alles, wo<br />

DDR drauf steht“.<br />

Aber dieses wohlfeile Angebot<br />

<strong>zur</strong> Resteverwertung hat bei <strong>der</strong><br />

Mannschaft, die am Samstag nach<br />

Nie<strong>der</strong>lagen gegen Ungarn und die<br />

Schweiz auf ihr letztes Gefecht<br />

wartete, eher <strong>zur</strong> Melancholie beigetragen.<br />

„Ein ulkiges Gefühl“<br />

empfand Gordon Lösser, zum ersten<br />

Mal bei einer Weltmeisterschaft<br />

dabei. Und zum letzten Mal, „da<br />

sind wir realistisch“. Denn wenn im<br />

nächsten Jahr die Qualifikation<br />

gemeinsam mit den viel erfolgreicheren<br />

Westdeutschen erfolgen<br />

wird, mit Olympiasieger Arnd<br />

Schmitt o<strong>der</strong> Weltmeister Thomas<br />

Gerull, „dann haben wir kaum einen<br />

Chance“. Das sagt Uwe Proske, mit<br />

28 Jahren <strong>der</strong> Erfahrenste im Team.<br />

Die Furcht vor <strong>der</strong> Einheit, die<br />

sportliche Platz-Angst ist im Fechten<br />

an<strong>der</strong>s verteilt als etwa im<br />

Schwimmen o<strong>der</strong> Turnen.<br />

Aus dem westlichen Interesse am<br />

östlichen Know-how schöpfen aber<br />

auch diejenigen Hoffnungen, die<br />

nur an dessen Rand stehen. „<strong>Der</strong><br />

Emil Beck will sich den DDR-Sport<br />

angeln“, sagte Uwe Proske, „und<br />

davon profitieren auch wir.“<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 16. Juli 1990<br />

<strong>Der</strong> Cheftrainer <strong>der</strong> Fechter bemüht<br />

sich darum, den Nachlaß des früheren<br />

PSV Dynamo Ost-Berlin, <strong>der</strong><br />

heute 1. SC heißt, in einen noch zu<br />

gründenden „großen Olympiastützpunkt“<br />

zu überführen. Zwischen<br />

dem Verein und <strong>der</strong> „Fechtmarketing<br />

Tauber<strong>bis</strong>chofsheim“, einer<br />

GmbH mit Becks Sohn René als<br />

Geschäftsführer, ist bereits ein Kooperationsvertrag<br />

abgeschlossen.<br />

Für Gordon Lösser heißt das,<br />

„daß <strong>der</strong> Beck da Geld reingesteckt<br />

hat“. Und daß es dem quirligen<br />

Cheftrainer, <strong>der</strong> sich gern als Vordenker<br />

im Leistungssport darstellt,<br />

vor allem um Ru<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> Leichtathletik,<br />

Schwimmen o<strong>der</strong> Turnen<br />

gehe. Und nicht so sehr ums Fechten.<br />

Aber, so sagt Uwe Proske, „es<br />

gibt ihm die Möglichkeit, in <strong>der</strong><br />

Hauptstadt präsent zu sein“. Natürlich<br />

verrät Beck seine Motive nicht<br />

so leicht, aber die Gerüchte, die<br />

kursieren, verraten einiges an Unsicherheit<br />

und schüren noch mehr an<br />

Hoffnung.<br />

„Erstmal abwarten“ ist die Devise,<br />

die Uwe Proske stellvertretend<br />

für die Mannschaft ausspricht. Was<br />

soll jemand auch sonst tun, <strong>der</strong> von<br />

seinem „Brötchengeber Volkspolizei<br />

nicht mehr lang bezahlt wird“,<br />

<strong>der</strong> nicht weiß, wie und mit wem er<br />

künftig trainieren wird – mindestens<br />

neun von dreizehn Trainern des<br />

früheren Dynamo-Klubs ist zum<br />

Ende des Jahres gekündigt worden –<br />

und <strong>der</strong> nicht einmal sicher sein<br />

kann, daß sein Sportlehrer-Diplom<br />

demnächst noch anerkannt wird –<br />

„obwohl wir im Leistungssport <strong>der</strong><br />

BRD deutlich überlegen waren“.<br />

Aber, sagt Proske, „wir müssen uns<br />

ja in so vielem nach <strong>der</strong> BRD richten“.<br />

Abwarten und weiterfechten. Aber<br />

in Berlin und nicht in Tauber<strong>bis</strong>chofsheim,<br />

trotz eines Angebots,<br />

dort zu trainieren. „Es ist ja nicht so,<br />

daß man ein Zigeuner ist“, sagte<br />

Proske, <strong>der</strong> in Berlin seine Frau und<br />

seine kranke Tochter hat. „Wer geht<br />

schon freiwillig von Berlin nach<br />

Tauber<strong>bis</strong>chofsheim?“ fragt <strong>der</strong> 22<br />

Jahre alte Elektromonteur Oliver<br />

Falter, <strong>der</strong> an seiner Heimat- und<br />

Weltstadt hängt. Und <strong>der</strong> 20 Jahre<br />

alte Gordon Lösser „mag das Klima<br />

dort nicht“ – und meint nicht das<br />

Wetter in <strong>der</strong> mainfränkischen Provinz.<br />

„Die Identifikation ist nicht so<br />

einfach“, sagt Uwe Proske. „Jahrelang<br />

sind wir so erzogen worden,<br />

daß das unser Hauptgegner ist, und<br />

jetzt sollen wir vielleicht selber<br />

dafür antreten?“ Ihn irritiert, daß<br />

dieselben, die das eine gepredigt<br />

haben, nun das an<strong>der</strong>e sagen. „Komisch“<br />

wird ihm jedenfalls bei dem<br />

Gedanken, wenn über den Lautsprecher<br />

zum erstenmal „Proske, BRD“<br />

gerufen werde. Vielleicht deshalb<br />

hängt man so an seinen Erinnerungsstücken.<br />

Kurz bevor die Degen-Fechter<br />

sich mit dem letzten<br />

Sieg eines DDR-Teams, einem 9:1<br />

gegen Taiwan, von <strong>der</strong> Weltmeisterschaft<br />

in Lyon verabschieden, versucht<br />

es eine Kanadierin noch einmal<br />

mit <strong>der</strong> Souvenir-Suche. Diesmal<br />

wird sogar Whisky geboten, als<br />

Wegzehrung für die lange Zugfahrt<br />

nach Berlin. Aber Gordon Lösser<br />

behält seinen Trainingsanzug mit<br />

<strong>der</strong> Aufschrift „DDR“.<br />

CHRISTIAN EICHLER


<strong>Chronik</strong> Juli 1990<br />

19.07.1990<br />

Frankfurt am Main: Tag <strong>der</strong> Entscheidung.<br />

Gemeinsame Sitzung <strong>der</strong> Präsidien des<br />

DFB und des DFV <strong>der</strong> DDR. Zusammenführung<br />

<strong>der</strong> beiden deutschen Fußballverbände<br />

im Profibereich wird von 1992 auf<br />

1991 vorgezogen.<br />

In <strong>der</strong> „Jungen Welt“ äußert sich DTSB-<br />

Generalsekretär Jochen Grünwald: „Je<strong>der</strong><br />

wird mehr investieren müssen“. <strong>Der</strong> DTSB<br />

solle <strong>bis</strong> <strong>zur</strong> Vereinigung erhalten bleiben.<br />

<strong>Der</strong> Präsident des <strong>Deutsche</strong>n Eissportverbandes<br />

<strong>der</strong> Bundesrepublik, Dr. Herbert<br />

Kunze, ist über den Zuwachs <strong>der</strong> Sportler<br />

aus <strong>der</strong> DDR erfreut.<br />

Deutsch-deutsche Seglercrew holt den<br />

WM-Titel.<br />

Leipzig: Auf einem Polizeisportfest äußern<br />

sich DDR-Innenminister Peter-Michael<br />

Diestel und DTSB-Präsident Martin Kilian<br />

<strong>zur</strong> Situation des DDR-Sports. Diestel:<br />

„Wir müssen die Durststrecke überwinden.“<br />

Kilian: „DDR-Sport wird in diesem<br />

Jahr wie<strong>der</strong> an die Spitze kommen und<br />

zwar in einem gesamtdeutschen Team.“<br />

20.07.1990<br />

Oberhof: Sitzung <strong>der</strong> Arbeitsgruppe Leistungssport<br />

des <strong>Deutsche</strong>n Skiläuferverbandes<br />

<strong>der</strong> DDR und des <strong>Deutsche</strong>n Skiverbandes.<br />

Ab dem 1. Oktober 1990 wird es<br />

nur noch eine Nationalmannschaft geben.<br />

Das Führungsgremium des DSLV wird<br />

dem DSV angepasst.<br />

23.07.1990<br />

Fö<strong>der</strong>ale Fußballstrukturen entwickeln sich<br />

in <strong>der</strong> DDR.<br />

Erste Sitzung <strong>der</strong> Arbeitsgruppe Leistungssport<br />

in Frankfurt am Main.<br />

24.07.1990<br />

Kommentar <strong>zur</strong> Situation des DDR-<br />

Fußballs von Hans Meyer (Trainer FC<br />

Karl-Marx-Stadt): „Die Vereinigungsbeschlüsse<br />

sind für uns eine Zumutung.“<br />

26.07.1990<br />

Die Vereine <strong>der</strong> zweiten Fußball-<br />

Bundesliga kritisieren die Vereinigungspläne<br />

<strong>der</strong> beiden deutschen Verbände.<br />

Vorstandssitzung des DFV <strong>der</strong> DDR: Endgültige<br />

Einigung über den Qualifikationsmodus<br />

<strong>zur</strong> Einglie<strong>der</strong>ung von DDR-Klubs<br />

in die Bundesligen. Danach qualifizieren<br />

sich <strong>der</strong> Meister und Vizemeister <strong>der</strong> Oberliga-Spielzeit<br />

1990/1991 direkt für die erste<br />

Bundesliga. Die Klubs auf den Plätzen<br />

drei <strong>bis</strong> sechs qualifizieren sich direkt für<br />

die zweite Bundesliga. Die Plätze sieben<br />

<strong>bis</strong> zwölf spielen gemeinsam mit den beiden<br />

Meistern <strong>der</strong> zweiten DDR-Ligen in<br />

zwei Vierer-Gruppen weitere zwei Mannschaften<br />

aus, die 1991/92 in die zweite<br />

Bundesliga integriert werden.<br />

27.07.1990<br />

Gründung des Lausitzer Behin<strong>der</strong>tensportverbandes.<br />

28.07.1990<br />

<strong>Der</strong> DTSB erhält weitere 30 Millionen D-<br />

Mark <strong>zur</strong> Sicherung <strong>der</strong> Finanzen durch<br />

das Ministerium für Jugend und Sport.<br />

Cottbus: Gründung des Brandenburgischen<br />

Radsportverbandes e. V. durch die Vereinigung<br />

<strong>der</strong> Bezirksfachausschüsse Frankfurt<br />

(O<strong>der</strong>), Cottbus und Potsdam. Präsident:<br />

Walter Rösler.<br />

Potsdam: Gründung des Landesfußballverbandes<br />

Brandenburg aus den Bezirken<br />

Frankfurt (O<strong>der</strong>), Cottbus und Potsdam.<br />

Präsident: Siegfried Kirschen.<br />

28./29.07.1990<br />

Kienbaum: Willi Klein, DSB Vize-<br />

Präsident für Breitensport, übergibt die<br />

ersten DSB-Sportabzeichen an DDR-<br />

Bürger.<br />

61


62<br />

Juli 1990 – Eine Collage


<strong>Chronik</strong> August 1990<br />

August 1990<br />

01.08.1990<br />

Berlin: Pressekonferenz mit DTSB-<br />

Präsident Martin Kilian nach einem Gespräch<br />

mit Staatssekretär Horst Iske. Finanzfragen<br />

werden nun endgültig im Ministerium<br />

für Jugend und Sport geklärt.<br />

<strong>Der</strong> DTSB benötige für das zweite Halbjahr<br />

1990 120 Millionen Mark, so Kilian.<br />

Ein verstärkter Personalabbau sei notwendig.<br />

02.08.1990<br />

Berlin: Pressekonferenz von DDR-<br />

Sportministerin Cordula Schubert. Insgesamt<br />

stünden für den Sport im zweiten<br />

Halbjahr 1990 124 Millionen D-Mark <strong>zur</strong><br />

Verfügung. Davon erhält <strong>der</strong> DTSB 103<br />

Millionen, <strong>der</strong> BTSV 20,8 Millionen und<br />

das NOK <strong>der</strong> DDR 0,2 Millionen D-Mark.<br />

Kommentar DTSB-Generalsekretär Jochen<br />

Grünwald: „Dieser Betrag ist viel zu gering.“<br />

Leipzig: Gründung des FC Sachsen Leipzig<br />

1990 e. V.<br />

Gründung des Turnvereins ATV 90 in <strong>der</strong><br />

Armeesportvereinigung e. V. Präsident:<br />

Dr. Günter Beier.<br />

03.08.1990<br />

Berlin: <strong>Der</strong> Landessportbund Berlin for<strong>der</strong>t<br />

die generelle Rückgabe von ehemaligen<br />

Grundstücken und Immobilien Westberliner<br />

Sportvereine auf dem Territorium <strong>der</strong><br />

DDR.<br />

Gründung eines <strong>Deutsche</strong>n Olympiaclubs<br />

e. V. in <strong>der</strong> DDR. Motto: „Leistung durch<br />

Leistungssport.“<br />

07.08.1990<br />

Berlin: Tagung des Präsidiums und <strong>der</strong><br />

Geschäftsleitung des DTSB. Beschluss <strong>der</strong><br />

Maßnahmen zum Einsatz <strong>der</strong> finanziellen<br />

Mittel für den DDR-Sport. Durch die Kürzungen<br />

komme <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- und Jugendbereich<br />

teilweise zum Erliegen.<br />

Baden-Baden: Treffen <strong>der</strong> beiden deutschen<br />

NOK. Beratung über Struktur- und<br />

Personalfragen im Zusammenhang mit <strong>der</strong><br />

bevorstehenden Vereinigung. Die DDR-<br />

Seite war durch den Präsidenten Professor<br />

Dr. Dr. Joachim Weiskopf und Generalsekretär<br />

Wolfgang Gitter vertreten. Für die<br />

bundesdeutsche Seite verhandelten Vizepräsidenten<br />

August Kirsch und Generalsekretär<br />

Walther Tröger.<br />

08.08.1990<br />

Düsseldorf: Im Interview mit dem „Sportinformationsdienst“<br />

spricht sich <strong>der</strong> Vorsitzende<br />

des Sportausschusses des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Bundestags, Ferdi Tillmann, für eine<br />

weitgehende Übernahme des DDR-Sportsystems<br />

in ein vereinigtes Deutschland aus:<br />

„Die Struktur <strong>der</strong> <strong>bis</strong>her 35 Sportklubs in<br />

<strong>der</strong> heutigen DDR soll erhalten und zeitgemäß<br />

erneuert werden. Es geht darum,<br />

möglichst schnell die Olympiastützpunkte<br />

in <strong>der</strong> DDR ein<strong>zur</strong>ichten und mit den dort<br />

vorhandenen jahrzehntelangen Erfahrungen<br />

zu verbinden.“<br />

Potsdam: Gründung des Landesverbandes<br />

Brandenburg <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nen Fünfkämpfer.<br />

Präsident: Klaus Petrikowsky.<br />

09.08.1990<br />

Auf einer außerordentlichen Tagung des<br />

Präsidiums des DTSB werden Konsequenzen<br />

aus <strong>der</strong> Kürzung <strong>der</strong> finanziellen Mittel<br />

um 33 Prozent beschlossen. Bis zum<br />

Jahresende muss die Zahl <strong>der</strong> hauptamtlichen<br />

Mitarbeiter auf 2.300 reduziert werden.<br />

Von den 9.000 Beschäftigten waren<br />

bereits 3.009 zum 30. September gekündigt<br />

worden. Viele Sportschulen und Trainingszentren<br />

müssen stillgelegt werden.<br />

63


64<br />

„Geheimnisse“ des DDR-Sports – Die Nachwirkungen <strong>der</strong> Repression im DDR-Sport sind <strong>bis</strong> heute spürbar<br />

„Geheimnisse“ des DDR-Sports<br />

Die Nachwirkungen <strong>der</strong> Repression im<br />

DDR-Sport sind <strong>bis</strong> heute spürbar<br />

von Jutta Braun<br />

August 1990. Im Schatten <strong>der</strong> Goldkin<strong>der</strong> lagen<br />

die verdeckten Seiten des DDR-<br />

Sportsystems: die Überwachung durch die<br />

Staatssicherheit, flächendeckendes Doping<br />

und geheim gehaltene Forschungsstätten<br />

und -labors.<br />

Bereits seit Sommer 1989 hatten die Dopingenthüllungen<br />

des Skisprung-Weltmeisters und<br />

Olympiasiegers Hans-Georg Aschenbach, <strong>der</strong><br />

sein Insi<strong>der</strong>-Wissen als Sportarzt des ASK<br />

Oberhof nach seiner Republikflucht in <strong>der</strong><br />

„Bild Zeitung“ ausgebreitet hatte, in <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

für Aufmerksamkeit gesorgt. Mit<br />

dem Eingeständnis, es habe auch in <strong>der</strong> DDR<br />

im Jahre 1988 14 positive Fälle gegeben, brach<br />

<strong>der</strong> Sportmedizinische Dienst <strong>der</strong> DDR zwar<br />

Anfang November 1989 die <strong>bis</strong>herige Veröffentlichungssperre,<br />

versuchte aber den Eindruck<br />

zu erwecken, es habe sich um individuelle<br />

Verfehlungen gehandelt. <strong>Der</strong> DTSB verharrte<br />

in rigi<strong>der</strong> Abwehrposition, Präsident<br />

Eichler präsentierte den DTSB noch als Gegner<br />

des Doping, als die Öffentlichkeit bereits<br />

Zutritt zum geheimen Doping-Labor Kreischa<br />

erhielt. Noch im Dezember erging ein Beschluss<br />

des DTSB-Sekretariats, die Arbeit mit<br />

den Geheimnisträgern zu verbessern, um „ihren<br />

Geheimhaltungswillen zu festigen“. Das<br />

Schweigekartell <strong>der</strong> involvierten SMD- und<br />

DTSB-Angehörigen funktionierte, solange die<br />

Regierung Modrow im Amt war. Seit März<br />

1990 jedoch, als deutlich wurde, dass das alte<br />

Sportsystem nicht weiter fortbestehen würde,<br />

offenbarten immer zahlreichere beteiligte Wissenschaftler<br />

ihre Kenntnisse gegenüber westlichen<br />

Medien. Trotz dieser Informationen dauerte<br />

es noch Jahre, <strong>bis</strong> das staatliche Zwangsdoping<br />

<strong>der</strong> DDR in vollem Umfang erkannt<br />

wurde – ein später Sieg des perfekten Geheimhaltungssystems<br />

<strong>der</strong> DDR, in dem das Ministerium<br />

für Staatssicherheit ein wichtige Rolle<br />

spielte.<br />

Auch die Funktion dieses Geheimdienstes<br />

wurde früh im Wendeprozess thematisiert, im<br />

Januar 1990 wurden erste „Stasi-Untaten“ im<br />

DDR-Sport bekannt, dabei ging es um die Ver-<br />

Jutta Braun<br />

folgung des später ausgereisten Diskuswerfers<br />

Wolfgang Schmidt. Auch an<strong>der</strong>e republikflüchtige<br />

Sportler beklagten ihre „Angst“ vor<br />

<strong>der</strong> Staatssicherheit, so im August 1990 die<br />

Bundesligaspieler Norbert Nachtweih und<br />

Robert Pahl, die nach ihrer Flucht 1976 längere<br />

Zeit observiert wurden. Aus Furcht vor einer<br />

möglichen Entführung schlugen sie ein Vertragsangebot<br />

in Westberlin aus. „Wir haben<br />

uns schon ausgerechnet, dass wir in Berlin<br />

schnell mal eine Pille ins Bierglas bekommen<br />

und dann am Alexan<strong>der</strong>platz aufwachen würden.“<br />

Auch die strukturelle Überwachung <strong>der</strong><br />

linientreuen Sportka<strong>der</strong> wurde angeklagt: <strong>Der</strong><br />

langjährige DDR-Auswahlspieler Peter Ducke<br />

(Jena) beschuldigte Ende August 1990 im<br />

Deutschlandfunk den Vize des DDR-<br />

Fußballverbandes, Günther Schnei<strong>der</strong>, jahrelanger<br />

Stasi-Mitarbeiter zu sein. „Er trat immer<br />

dort auf, wo es galt, Fußballer zu bespitzeln.<br />

Wir wurden auf Schritt und Tritt beschattet. Es<br />

war grauenhaft und wi<strong>der</strong>lich.“ Ebenso kamen<br />

langsam die unlauteren Methoden gegenüber<br />

dem „Klassenfeind“ ans Licht. <strong>Der</strong> Magdeburger<br />

Erfolgstrainer Heinz Krügel berichtete<br />

empört auf dem ersten demokratischen Fußballverbandstag,<br />

wie vor einem Europapokalspiel<br />

gegen den FC Bayern München ein Stasi-<br />

Offizier zu ihm kam und anbot: „Sie können in<br />

<strong>der</strong> Pause mithören, was da in <strong>der</strong> Bayern-<br />

Kabine gesprochen wird“. Was Krügel <strong>zur</strong>ückwies<br />

und daraufhin karrieretechnisch von<br />

<strong>der</strong> Nomenklatura ausgebootet wurde.<br />

Trotz dieser ersten Einblicke in die repressiven<br />

Seiten des DDR-Systems trat das volle Ausmaß,<br />

in dem die Krake Staatssicherheit den<br />

DDR-Sport durchdrang, erst mit den Jahren zu<br />

Tage. Verantwortung für diese verzögerte Erkenntnis<br />

trägt auch <strong>der</strong> Sport selbst, da nur<br />

sieben <strong>der</strong> 35 Sportfachverbände sich <strong>der</strong><br />

schwierigen Vergangenheitsbewältigung stellten<br />

und eine freiwillige Überprüfung durch die<br />

Gauck-Behörde anstrengten. So ist auch das<br />

heutige Sportgeschehen noch immer von Enthüllungen<br />

über die Verstrickung von Sportlern,<br />

Trainern, Funktionären und Journalisten begleitet.


<strong>Chronik</strong> August 1990 65<br />

11.08.1990<br />

Berlin: Beratungen des Präsidiums des<br />

NOK <strong>der</strong> DDR über die Vereinigung <strong>der</strong><br />

beiden deutschen NOK, die noch im laufenden<br />

Jahr angestrebt wird.<br />

Wien: Gespräche zwischen den Präsidenten<br />

<strong>der</strong> beiden deutschen Handballverbände<br />

mit dem Präsidenten <strong>der</strong> Internationalen<br />

Handball-Fö<strong>der</strong>ation: Beratungen über<br />

offene Fragen hinsichtlich einer gesamtdeutschen<br />

Mannschaft <strong>der</strong> Männer bei Olympia<br />

1992 in Barcelona, da sich nur die<br />

DDR-Nationalmannschaft sportlich qualifizieren<br />

konnte.<br />

Startschuss <strong>zur</strong> letzten Saison <strong>der</strong> DDR<br />

Fußball-Oberliga.<br />

13.08.1990<br />

München: Im Skisport gibt es die erste<br />

gemeinsame Nationalmannschaft. <strong>Der</strong><br />

<strong>Deutsche</strong> Skiverband und <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong><br />

Skiläuferverband <strong>der</strong> DDR bilden eine<br />

nordische Nationalmannschaft. Von Einsparungen<br />

sind über 50 Skisporttrainer <strong>der</strong><br />

DDR betroffen.<br />

Berlin: <strong>Der</strong> Präsident des NOK <strong>der</strong> DDR<br />

erklärt: „Wir werden die Vereinigung unabhängig<br />

von dem Fahrplan den die Politik<br />

vorgibt, vollziehen, und gehen davon aus,<br />

dass das NOK <strong>der</strong> DDR zum 31. Dezember<br />

seine Tätigkeit einstellt.“ Für den Start<br />

von DDR-Sportlern zum Beispiel bei den<br />

Ru<strong>der</strong>-Weltmeisterschaften in Australien<br />

und in sozialen Härtefällen wurden NOK-<br />

Gel<strong>der</strong> zugesagt. Bislang wurden 1,9 Millionen<br />

D-Mark verausgabt.<br />

14.08.1990<br />

Nach Vorstellungen von Horst Bredemeier,<br />

bundesdeutscher Auswahltrainer, soll sich<br />

die künftige gesamtdeutsche Auswahl aus<br />

dem Kern des DHB-Teams sowie etwa<br />

sechs DDR-Spielern zusammensetzen.<br />

Berlin: DDR-Handball-Präsident Professor<br />

Dr. Hans-Georg Hermann reagiert auf<br />

Bredemeier und wirft ihm vor, dass seine<br />

Aussagen dem Vereinigungsprozess schaden<br />

würden.<br />

DDR-Abrüstungsminister Rainer Eppelmann<br />

sieht die Zukunft des Leistungssports<br />

in <strong>der</strong> Armee.<br />

15.08.1990<br />

Die GST-Nachfolgeorganisation, BTSV,<br />

löst sich stufenweise auf. Am 31. August<br />

werden sämtliche Bezirksstellen geschlossen.<br />

<strong>Der</strong> Generalsekretär des NOK für Deutschland<br />

spricht sich für einen schnellen Zusammenschluss<br />

des deutschen Sports aus.<br />

16.08.1990<br />

Berlin: Gespräche <strong>der</strong> Präsidialkommission<br />

bei<strong>der</strong> deutscher Leichtathletikverbände.<br />

Bis zum Jahresbeginn 1991 soll die Vereinigung<br />

vollzogen werden.<br />

In <strong>der</strong> „Märkischen O<strong>der</strong>zeitung“ plädiert<br />

<strong>der</strong> Präsident des Fußballlandesverbandes<br />

Brandenburg, Siegfried Kirschen, für einen<br />

starken und unabhängigen Landesfußballverband.<br />

17.08.1990<br />

Berlin: Die beiden deutschen NOK erzielen<br />

weitgehende Einigkeit über den Weg<br />

zu ihrer Vereinigung, die am 17. November<br />

1990 in Berlin vollzogen werden soll.<br />

IOC-Präsident Samaranch betont, dass das<br />

IOC je<strong>der</strong> Lösung <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong>n im Hinblick<br />

auf eine Olympiamannschaft zustimmen<br />

werde: „Das IOC traut Deutschland,<br />

Deutschland kann dem IOC trauen.“


66<br />

Süddeutsche Zeitung 18.08.1990<br />

“Es ging um das nackte Menschliche“<br />

Im gesamtdeutschen Leichtathletikverband finden von 592 DDR-Trainern nur noch 50 Arbeit<br />

Berlin (dpa) – Die Vereinigung <strong>der</strong><br />

deutschen Leichtathletik am 24.<br />

November in Salzgitter ist beschlossene<br />

Sache. Doch sie for<strong>der</strong>t<br />

viele Opfer, vor allem auch unter<br />

den Trainern und Funktionären in<br />

<strong>der</strong> DDR. „Zum Schluß ging es um<br />

das nackte Menschliche“, schil<strong>der</strong>te<br />

Jan Kern, <strong>der</strong> Generalsekretär<br />

des <strong>Deutsche</strong>n Leichtathletik-<br />

Verbandes (DLV), die Stimmung<br />

beim Berliner Verhandlungsmarathon<br />

mit dem <strong>Deutsche</strong>n Verband<br />

für Leichtathletik (DVfL) <strong>der</strong> DDR<br />

am Donnerstagabend. Und Sportwart<br />

Manfred Steinbach ergänzte:<br />

„Es ist schon schlimm, wenn man<br />

bedenkt, wer da alles über die<br />

Klinge springen muß.“<br />

Wenn <strong>der</strong> DLV ab dem 25. November<br />

die Alleinverantwortung<br />

für die deutsche Leichtathletik<br />

übernimmt – bei einem außerordentlichen<br />

Verbandstag am Tag<br />

zuvor stellen die Landesverbände<br />

in den fünf neuen Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />

DDR ihren Aufnahmeantrag, <strong>der</strong><br />

DVfL hört auf zu existieren – werden<br />

von einstmals 592 festangestellten,<br />

vom Staat bezahlten DDR-<br />

Trainern nur noch rund 50 einen<br />

Arbeitsplatz haben, vom Bundes-<br />

<strong>bis</strong> zum Honorartrainer. „Das Ergebnis<br />

ist unbefriedigend, ich bin<br />

ernüchtert und enttäuscht“, sagte<br />

DVfL-Präsident Gerd Schröter,<br />

„die Hälfte <strong>der</strong> Trainer hätte man<br />

abspecken können, ohne an die<br />

Substanz zu gehen.“ Er erwartet<br />

Verluste für die gesamte deutsche<br />

Leichtathletik und die Abwan<strong>der</strong>ung<br />

guter Fachleute ins Ausland.<br />

„Es wäre schön, wenn aus einer<br />

Leichtathletik und noch einer<br />

Leichtathletik eine zweimal stärkere<br />

Leichtathletik würde. Aber ich<br />

Süddeutsche Zeitung 18. August 1990<br />

fürchte, das wird nichts.“ Steinbach<br />

allerdings meinte: „Angesichts<br />

meiner 16 Bundestrainer<br />

kommt <strong>der</strong> DVfL in einer Kosten-<br />

Nutzen-Relation gut weg.“<br />

Auch die Funktionäre werden<br />

Posten verlieren. „Wir werden in<br />

jede Kommission, jede Arbeitsgruppe<br />

und auch in Präsidium<br />

Mitarbeiter aus <strong>der</strong> DDR einglie<strong>der</strong>n“,<br />

unterstrich DLV-Präsident<br />

Helmut Meyer, „aber etwa im<br />

Verhältnis <strong>der</strong> Stimmen beim Verbandstag.“<br />

Das sind nicht übermäßig<br />

viele. Die sollen nach Meyers<br />

Worten aber möglicherweise schon<br />

nach <strong>der</strong> Aufnahme <strong>der</strong> DDR-Landesverbände<br />

noch in Salzgitter<br />

beim Verbandstag Sitz und Stimme<br />

erhalten und schon am nächsten<br />

Tag beim Verbandsrat dabei sein.<br />

Was aus den verbleibenden Mitarbeitern<br />

des DVfL-Generalsekretariats<br />

– von ehedem 44 bleiben<br />

fünf Funktionäre, von einst 18<br />

Mitarbeitern im Wissenschaftlichen<br />

Zentrum Leipzig vier übrig –<br />

wird, steht in den Sternen. Meyer:<br />

„Es ist wie mit den Trainern: Woher<br />

soll das Geld kommen.“ Schröter,<br />

Professor für Theorie und Methodik<br />

an <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong>n Hochschule<br />

für Körperkultur (DHfK) in<br />

Leipzig, will sich auch im neuen<br />

DLV um Position und Einfluß<br />

bewerben.<br />

Für die DDR-Leichtathletik gilt<br />

auch auf an<strong>der</strong>en Gebieten das<br />

„Prinzip Hoffnung“. „Vielleicht<br />

können wir weitere Trainerstellen<br />

über die Län<strong>der</strong> erschließen“, sagt<br />

Schröter, „und wir werden uns<br />

bemühen, alle <strong>bis</strong>herigen Leistungszentren,<br />

also die Sportclubs<br />

zu erhalten, wenn auch nicht mehr<br />

mit 20 Trainern, son<strong>der</strong>n vielleicht<br />

nur einem hauptamtlichen.“ Unterstützung<br />

hat <strong>der</strong> DLV bei dem Streben<br />

zugesagt, das ehemalige Gebiet<br />

<strong>der</strong> DDR nicht ganz von Leichtathletikveranstaltungen<br />

zu entblößen.<br />

Wenn möglich, sollen auch deutsche<br />

Meisterschaften dort ausgetragen<br />

werden. Primo Nebiolo, <strong>der</strong><br />

Präsident des Internationalen<br />

Leichtathletik-Verbandes (IAAF),<br />

hat zudem zugesagt, daß neben dem<br />

ISTAF im Olympiastadion auch <strong>der</strong><br />

Olympische Tag in (Ost-)Berlin als<br />

zweites Grand-Prix-Meeting in<br />

Berlin erhalten bleibt.<br />

Die IAAF will im übrigen die<br />

vereinten <strong>Deutsche</strong>n finanziell<br />

unterstützen, wenn sie künftig mit<br />

einer größeren Mannschaft bei<br />

internationalen Meisterschaften<br />

aufkreuzen. <strong>Vom</strong> 1. Januar 1991<br />

wird ein Verband, eine Nationalmannschaft<br />

die deutsche Leichtathletik<br />

bei <strong>der</strong> IAAF vertreten. Nebiolo<br />

erwartet „eine große deutsche<br />

Mannschaft“. <strong>Der</strong> Italiener schlug<br />

am Donnerstag in Berlin zudem<br />

eine „Wie<strong>der</strong>vereinigungsfeier“<br />

vor.<br />

Nach fast 40 Jahren <strong>der</strong> Konfrontation<br />

<strong>bis</strong> hin <strong>zur</strong> offenen Gegnerschaft<br />

auch in <strong>der</strong> Leichtathletik ist<br />

für manch einen, <strong>der</strong> die siebte<br />

Verhandlungsrunde zwischen DLV<br />

und DVfL am Donnerstag in Berlin<br />

mitmachte, die nunmehr beschlossene<br />

Vereinigung auch fast ein Jahr<br />

nach dem 9. November noch immer<br />

ein Wun<strong>der</strong>. „So viele Verhärtungen<br />

von 40 Jahren lassen sich in ein<br />

paar Stunden entknoten“, sagte<br />

Prof. Georg Wieczisk, <strong>der</strong> nach <strong>der</strong><br />

„Wende“ als DVfL-Präsident abgelöst<br />

wurde, „dafür war das heute<br />

eine lange, aber erfolgreiche Sitzung.


<strong>Chronik</strong> August 1990 67<br />

18.08.1990<br />

Berlin: Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz<br />

erklären IAAF, DVFL <strong>der</strong> DDR und<br />

<strong>der</strong> DLV, dass die Vereinigung <strong>der</strong> Leichathleten<br />

am 24. November 1990 erfolgen<br />

wird.<br />

19.08.1990<br />

Dresden: Letzte DDR-Meisterschaften <strong>der</strong><br />

Leichtathletik.<br />

20.08.1990<br />

Das Präsidium des <strong>Deutsche</strong>n Schwimmverbandes<br />

beschließt nach einer zweitägigen<br />

Sitzung in Münster bei den Weltmeisterschaften<br />

im Schwimmen und Wasserspringen<br />

im Januar 1991 in<br />

Perth/Australien mit einer deutschen<br />

Mannschaft an den Start zu gehen. <strong>Der</strong><br />

Präsident des DDR-Schwimmsport-<br />

Verbandes (DSSV), Wilfried Windolf,<br />

hatte mitgeteilt, dass die teilweise noch zu<br />

gründenden DDR-Landesverbände Ende<br />

September um Beitritt zum DSV ersuchen<br />

werden.<br />

21.08.1990<br />

<strong>Der</strong> Westdeutsche Schwimmstar Michael<br />

Groß for<strong>der</strong>t im Vereinigungsprozess tragbare<br />

Lösungen für beide Seiten, gerechte<br />

Qualifikationsnormen. Er befürchtet eine<br />

große Rücktrittswelle.<br />

Im Interview mit dem „Deutschlandfunk“<br />

beklagt <strong>der</strong> Sprecher <strong>der</strong> DDR-Athleten,<br />

Ulf Timmermann, dass <strong>der</strong> DDR-Sport von<br />

den Entwicklungen überrollt worden sei.<br />

Reibereien seien vorprogrammiert. Zudem<br />

befürchtet er Probleme bei <strong>der</strong> Aufstellung<br />

einer gemeinsamen Olympiamannschaft.<br />

23.08.1990<br />

Zweite Sitzung <strong>der</strong> Arbeitsgruppe Strukturfragen<br />

in Frankfurt am Main.<br />

27.08.1990<br />

Split: Bei den Leichtathletik-Europameisterschaften<br />

tritt die DDR zum letzten<br />

Mal international auf. Ihre Medaillenbilanz<br />

12/10/10.<br />

Frankfurt am Main: Die deutschen Ru<strong>der</strong>er<br />

nehmen an <strong>der</strong> Weltmeisterschaft vom<br />

29.10.-3.11. mit zwei getrennten Mannschaften<br />

teil.<br />

Freyburg: Turnfestival zum ersten Mal mit<br />

Gästen aus dem Osten und Westen<br />

Deutschlands.<br />

SPD-Bundestagsfraktion kritisiert, dass im<br />

Entwurf des Einigungsvertrages <strong>der</strong> Vereins-<br />

und Breitensport ausgeklammert<br />

wird.<br />

28.08.1990<br />

Die Gewichtheber <strong>der</strong> DDR beantragen<br />

beim Internationalen Gewichthebe-<br />

Verband, bei den Weltmeisterschaften im<br />

November noch mit einer eigenen Mannschaft<br />

antreten zu können.<br />

30.08.1990<br />

Erklärung <strong>der</strong> Volkskammerfraktion und<br />

des Vorstands <strong>der</strong> SPD <strong>der</strong> DDR: „Ohne<br />

schnelle Hilfe droht dem DDR-Sport das<br />

Aus.“ SPD for<strong>der</strong>t eine Übergangsfinanzierung<br />

durch den Bund.<br />

31.08.1990<br />

Berlin (Ost)/Frankfurt am Main: Verbandstagssitzungen<br />

<strong>der</strong> beiden deutschen Fußballverbände,<br />

DFV und DFB. Einigung auf<br />

einen neuen vorgezogenen Termin für die<br />

„Fußball-Einheit“: 21. November 1990.


68<br />

August 1990 – Eine Collage


<strong>Chronik</strong> September 1990 69<br />

September 1990<br />

01.09.1990<br />

Bonn: Beim Spitzengespräch von Vertretern<br />

<strong>der</strong> Sportverbände mit Innenminister<br />

Wolfgang Schäuble spricht dieser sich für<br />

eine Globalfinanzierung aus, um das Zusammenwachsen<br />

in vernünftiger Weise zu<br />

ermöglichen. Damit soll auch <strong>der</strong> Ausverkauf<br />

des DDR-Sports gestoppt werden.<br />

Stiftung <strong>Deutsche</strong> Sporthilfe benötigt für<br />

1991 kurzfristig 19 Millionen D-Mark,<br />

damit auch die Versorgung <strong>der</strong> <strong>bis</strong>herigen<br />

DDR-Sportler ab dem 1. Januar 1991 gewährleistet<br />

ist.<br />

Leimen: <strong>Der</strong> Internationale Gewichtheberverband<br />

stimmt dem Antrag des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Verbandes für Gewichtheben und Fitness<br />

<strong>der</strong> DDR zu, dass deutsche Gewichtheber<br />

getrennt <strong>zur</strong> WM fahren.<br />

Oberhof: Raimund Bethge, Klubtrainer<br />

beim ASK Vorwärts Oberhof, wird Bob-<br />

Bundestrainer.<br />

Kassel: Boxgipfel, Verbände aus Ost und<br />

West treffen sich zu Vereinigungsverhandlungen.<br />

02.09.1990<br />

Leipzig: Fußball-Freundschaftsspiel zwischen<br />

1. FC Lok Leipzig und Bayern München<br />

vereinbart.<br />

Gründung des Amateurboxverbandes des<br />

Landes Brandenburg. Präsident: Knut Batavia.<br />

03.09.1990<br />

Die Mo<strong>der</strong>nen Fünfkämpfer aus <strong>der</strong> DDR<br />

sind dem <strong>Deutsche</strong>n Verband für Mo<strong>der</strong>nen<br />

Fünfkampf beigetreten.<br />

04.09.1990<br />

Radsportler benennen gesamtdeutsche<br />

Auswahl-A-Ka<strong>der</strong>.<br />

Königs Wusterhausen: Gründung des Landesverbandes<br />

Tischtennis im Land Brandenburg.<br />

Präsident: Klaus Lehmann.<br />

05.09.1990<br />

Bonn: Die CDU/CSU-Fraktion des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Bundestags for<strong>der</strong>t Anschubfinanzierung<br />

des Breitensports <strong>der</strong> DDR.<br />

06.09.1990<br />

Frankfurt am Main: Willi Daume, u. a.<br />

Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong>n Sporthilfe teilt<br />

mit, dass <strong>der</strong> Sporthilfe 25 Millionen D-<br />

Mark fehlen, um nach <strong>der</strong> Vereinigung<br />

auch die Spitzensportler <strong>der</strong> DDR zu för<strong>der</strong>n.<br />

07.09.1990<br />

Bonn: Gespräche zwischen Bundeskanzler<br />

Helmut Kohl, DSB-Präsident Hans Hansen,<br />

NOK-Präsident Willi Daume und Innenminister<br />

Wolfgang Schäuble. Fragen<br />

des Beitritts <strong>der</strong> DDR <strong>zur</strong> Bundesrepublik<br />

und die Auswirkungen auf den Sport. Kohl<br />

will sich für die Aufrechterhaltung des<br />

hohen Niveaus des Leistungssports in <strong>der</strong><br />

DDR einsetzen.<br />

<strong>Der</strong> Weltru<strong>der</strong>verband genehmigte den<br />

Start zweier deutscher Mannschaften bei<br />

<strong>der</strong> Ru<strong>der</strong>-WM im November 1990.<br />

Pressemitteilung des Fußballverbandes<br />

(DFB <strong>der</strong> DDR): Es habe keine Zusammenarbeit<br />

mit dem Ministerium für Staatsicherheit<br />

gegeben.<br />

08.09.1990<br />

Aue: Letzte DDR-Meisterschaften im Bogenschießen.


70<br />

Schussfahrt in die Einheit – Im September 1990 begann die Vereinigung <strong>der</strong> Fachverbände<br />

Schussfahrt in die Einheit<br />

Im September 1990 begann die Vereinigung<br />

<strong>der</strong> Fachverbände<br />

von Michael Barsuhn<br />

September 1990. Die Dynamik und Härte<br />

eines Eishockeyspiels ist von an<strong>der</strong>en<br />

Sportarten kaum zu übertreffen. Schon gar<br />

nicht vom Golfen, das eher bedächtig daher<br />

kommt. Im Vereinigungsprozess des<br />

deutschen Sports waren jedoch ausgerechnet<br />

die Golfer (ebenso wie die Turner)<br />

schneller als die Kufenflitzer auf dem Eis.<br />

Knapp einen Monat vor dem Beitritt <strong>der</strong><br />

DDR <strong>zur</strong> Bundesrepublik, am 3. Oktober<br />

1990, und zwei Tage bevor sich die Eishockeyverbände<br />

<strong>der</strong> DDR und <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

am 11. September 1990 vereinigten,<br />

schlossen sich die Golfer und Turner als<br />

erste Sportfachverbände <strong>der</strong> beiden deutschen<br />

Staaten am 9. September 1990 zusammen.<br />

Während das Turnen zu DDR-Zeiten als<br />

olympische Sportart beson<strong>der</strong>s hofiert<br />

wurde, war <strong>der</strong> <strong>Mauerfall</strong> für Golf und<br />

Eishockey eine Befreiung von <strong>bis</strong>heriger<br />

staatlicher Unterdrückung.<br />

"Golf wurde erst seit 1987 gespielt. Vorher<br />

war hier rein gar nichts los", erzählt Bernd<br />

Rudolph aus Dresden, <strong>der</strong> im Oktober<br />

1989 die "Erste allgemeine Sportgruppe<br />

Golf <strong>der</strong> DDR" ins Leben rief, aus <strong>der</strong> im<br />

April 1990 <strong>der</strong> "<strong>Deutsche</strong> Golfverband <strong>der</strong><br />

DDR" hervorging. Es gab keine Klubs,<br />

weniger als dreißig Aktive und keine Plätze.<br />

"Wir mussten in die Tschechoslowakei<br />

fahren. Da gab es eine ungebrochene Golftradition.<br />

Die Anlagen in Brünn o<strong>der</strong> Prag<br />

waren für DDR-Bürger zugänglich." <strong>Der</strong><br />

letzte Golfplatz in Oberhof war schon 1951<br />

mit den Worten "Gemüse statt Golf" in<br />

einen Acker verwandelt worden.<br />

Wer aber dachte, nach <strong>der</strong> Wende würde<br />

alles einfacher, täuschte sich. "Am liebsten<br />

hätte <strong>der</strong> DGV (<strong>Deutsche</strong>r Golf Verband)<br />

die Gründung eines ostdeutschen Verbandes<br />

ganz verhin<strong>der</strong>t", empört sich Rudolph.<br />

Michael Barsuhn<br />

Tatsächlich lag es nicht im Interesse des<br />

DGV, wenige Monate vor <strong>der</strong> staatlichen<br />

Vereinigung einen eigenständigen DDR-<br />

Verband entstehen zu lassen. Die Integration<br />

des aktiven Häufchens hätte aus West-<br />

Sicht ohne diesen Zwischenschritt vollzogen<br />

werden können. Die Ehe hielt denn<br />

auch nicht lange. Nach endlosen Querelen<br />

gingen Ossis und Wessis ab 1993 wie<strong>der</strong><br />

getrennte Wege. <strong>Der</strong> Golfför<strong>der</strong>verband<br />

Ost löste sich vom DGV. Klubs und Sportler<br />

sind aber weiterhin Mitglie<strong>der</strong> im<br />

Dachverband.<br />

Die Vereinigung des Eishockeys verlief<br />

unkomplizierter. "Nach dem <strong>Mauerfall</strong><br />

ging alles ganz schnell", sagt Hartmut Nickel,<br />

von 1976 <strong>bis</strong> 1990 Cheftrainer des<br />

SC Dynamo Berlin (heute EHC Eisbären).<br />

Im Januar 1990 löste sich Eishockey aus<br />

den Fesseln des <strong>Deutsche</strong>n Eislaufverbandes<br />

<strong>der</strong> DDR. Bereits im Mai 1990 wurden<br />

die DDR-Klubs Dynamo Weißwasser und<br />

Dynamo Berlin in den <strong>Deutsche</strong>n Eishockey-Bund<br />

(DEB) aufgenommen. Im September<br />

1990 war Eishockey die erste<br />

Sportart, die in einer gesamtdeutschen Liga<br />

ausgeübt wurde. Fortan kreuzten Weißwasser<br />

und Berlin die Schläger mit Köln<br />

und Düsseldorf.<br />

Gegenwärtig spielt Weißwasser in <strong>der</strong><br />

zweiten Liga, unter dem Namen Lausitzer<br />

Füchse. <strong>Der</strong> EHC Eisbären ist neben den<br />

Handballspielern des SC Magdeburg <strong>der</strong><br />

einzige große Klub aus <strong>der</strong> DDR, <strong>der</strong> einen<br />

gesamtdeutschen Titel erringen konnte. In<br />

ihrer Freizeit zieht es die Mannschaft hin<br />

und wie<strong>der</strong> auf den Golfplatz. "Sie werden<br />

jetzt grinsen o<strong>der</strong> lachen, aber ich finde<br />

Golf toll," sagt Eisbären-Assistenztrainer<br />

Nickel. Er lebt in Brandenburg. Dass man<br />

nun in <strong>der</strong> früheren DDR ungehin<strong>der</strong>t Golf<br />

spielen kann, lässt selbst einen Eisbären<br />

nicht kalt.


<strong>Chronik</strong> September 1990<br />

08./09.09.1990<br />

Hannover: Auf dem <strong>Deutsche</strong>n Turntag<br />

erfolgt die Vereinigung <strong>der</strong> beiden deutschen<br />

Turnverbände. Die Turner, Sportgymnastinnen,<br />

Faustballer, Orientierungsläufer<br />

und Spielleute treten dem bundesdeutschen<br />

Turnerbund (DTB) bei. Am<br />

3.10. endet die Mitgliedschaft <strong>der</strong> DDR-<br />

Verbände in <strong>der</strong> internationalen Turnfö<strong>der</strong>ation.<br />

Potsdam: Gründung des Handballverbandes<br />

des Landes Brandenburg. Präsident:<br />

Wolfgang Hartisch.<br />

09.09.1990<br />

Strausberg: Gründung des Brandenburgischen<br />

Verbands für Leichtathletik. Präsident:<br />

Günther Möbius.<br />

10.09.1990<br />

Bonn: Streit in <strong>der</strong> Politik um die Zukunft<br />

<strong>der</strong> Finanzierung des Spitzensports <strong>der</strong><br />

DDR.<br />

11.09.1990<br />

München: Zusammenschluss <strong>der</strong> beiden<br />

deutschen Eishockeyverbände.<br />

Schleife: Letztes Län<strong>der</strong>spiel <strong>der</strong> DDR-<br />

Handballerinnen gegen Norwegen.<br />

12.09.1990<br />

Moskau: Die Außenminister <strong>der</strong> UdSSR,<br />

<strong>der</strong> USA, Großbritanniens, Frankreichs<br />

und bei<strong>der</strong> deutscher Staaten unterzeichnen<br />

das Abschlussdokument <strong>der</strong> Zwei-plus-<br />

Vier-Gespräche, die den Weg <strong>zur</strong> deutschen<br />

Einheit geebnet haben. Beide deutsche<br />

Staaten erkennen die O<strong>der</strong>-Neiße-<br />

Grenze mit Polen an.<br />

Brüssel: Letztes Län<strong>der</strong>spiel <strong>der</strong> Fußballnationalmannschaft<br />

<strong>der</strong> DDR in Brüssel<br />

gegen Belgien. Die DDR siegt trotz zahlreicher<br />

Absagen <strong>der</strong> Bundesligaprofis mit<br />

2:0, beide Treffer erzielt Matthias Sammer.<br />

Berlin: Dem vereinten NOK für Deutschland<br />

sollen 13 Mitglie<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> DDR<br />

angehören.<br />

Ein gemeinsames deutsches Ringer-Team<br />

fährt <strong>zur</strong> Klassiker-WM nach Rom.<br />

Potsdam: Gründung <strong>der</strong> Brandenburgischen<br />

Sportjugend. Präsidentin: Frauke<br />

Rupprecht.<br />

Karlsruhe: Treffen <strong>der</strong> Vertreter bei<strong>der</strong><br />

deutscher Boxverbände. Aufstellung <strong>der</strong><br />

ersten gesamtdeutschen Kernmannschaft.<br />

13-köpfiger A-Ka<strong>der</strong> mit sieben Boxern<br />

aus <strong>der</strong> DDR.<br />

13.09.1990<br />

Spremberg: Erster Golfplatz soll in <strong>der</strong><br />

Region Cottbus entstehen.<br />

14.09.1990<br />

Hamburg: Tagung des DSB-Präsidiums.<br />

Erste Vorbereitungen eines Vereinigungsbundestages.<br />

Berlin: Das Ministerium für Jugend und<br />

Sport stellt 22,2 Millionen D-Mark <strong>zur</strong><br />

Absicherung des Sportbetriebs <strong>zur</strong> Verfügung.<br />

Bonn: Sportpolitische Debatte im Bundestag.<br />

Die Bundesregierung will sich künftig<br />

beson<strong>der</strong>s für die Wie<strong>der</strong>belebung <strong>der</strong><br />

Sportvereine in <strong>der</strong> DDR engagieren.<br />

Cottbus: Ulrich Wagner, ein Unternehmer<br />

aus Stuttgart, wird zum neuen Präsidenten<br />

beim FC Energie Cottbus gewählt.<br />

15.09.1990<br />

Gründung des ersten – ostdeutschen – LSB<br />

Brandenburg. Präsident: Professor Dr.<br />

Junghähnel; Gründung <strong>der</strong> weiteren vier<br />

LSB (Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt,<br />

Sachsen und Thüringen) <strong>bis</strong><br />

zum 27.9.1990.<br />

71


72<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 25.09.1990<br />

<strong>Der</strong> Sportausschuß-Vorsitzende Tillmann erwartet einen großen Aufschwung<br />

90 000 Sportvereine und 400 Leistungszentren<br />

eds. BONN. <strong>Der</strong> Vorsitzende des<br />

Sportausschusses des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Bundestages, Ferdi Tillmann<br />

(CDU), erwartet einen großen Aufschwung<br />

im Sportvereinswesen des<br />

vereinten Deutschlands. Tillmann<br />

geht davon aus, daß es am Ende<br />

dieses Jahrzehnts <strong>bis</strong> zu 90 000<br />

Sportvereine in Deutschland geben<br />

wird. In einer Pressekonferenz zum<br />

Abschluß <strong>der</strong> 11. Legislaturperiode<br />

des Parlaments sagte <strong>der</strong> Sportausschuß-Vorsitzende,<br />

zu den gegenwärtig<br />

66 000 Sportvereinen im<br />

Bundesgebiet kämen in wenigen<br />

Jahren sicherlich <strong>bis</strong> zu 20 000<br />

Vereine in den neuen östlichen<br />

Bundeslän<strong>der</strong>n hinzu, die sich aus<br />

den <strong>der</strong>zeit 10 000 Betriebssportgemeinschaften<br />

bilden würden.<br />

In einer „Übersicht <strong>der</strong> leistungssportlichen<br />

Einrichtungen“ hat <strong>der</strong><br />

Sportausschuß erstmals die Planungen<br />

für die künftigen Bundeslän<strong>der</strong><br />

Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt,<br />

Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern<br />

und den<br />

Berliner Raum veröffentlicht. Zu<br />

den 27 Bundesleistungszentren, 15<br />

Olympiastützpunkten, 66 Landes-<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 25. September 1990<br />

leistungszentren und 160 Bundesstützpunkten<br />

sollen in den künftigen<br />

Bundeslän<strong>der</strong>n noch sechs<br />

Olympiastützpunkte, 10 <strong>bis</strong> 15<br />

Bundesleistungszentren und 100-<br />

130 Bundesstützpunkte eingerichtet<br />

werden. Das wären mehr als 400<br />

Leistungszentren in Deutschland.<br />

Tillmann regte zudem einen<br />

Sportentwicklungsplan nach dem<br />

Vorbild des „Goldenen Plans“ an.<br />

Vorrangig sei es, den Verkauf und<br />

den Verfall von Sportanlagen auf<br />

dem gegenwärtigen Gebiet <strong>der</strong><br />

DDR zu stoppen. Einen „kritischen<br />

Appell“ richtet <strong>der</strong> CDU-Politiker<br />

an die Bundeslän<strong>der</strong> und die Landessportbünde,<br />

die er auffor<strong>der</strong>te,<br />

verstärkte Hilfe bei <strong>der</strong> Entwicklung<br />

des Sportbildungswesens im<br />

östlichen Teil Deutschlands zu<br />

leisten. Dazu gehöre vor allem <strong>der</strong><br />

Erhalt und die sport- und bildungspolitische<br />

Reformierung <strong>der</strong> 25<br />

Kin<strong>der</strong>- und Jugendsportschulen,<br />

für <strong>der</strong>en Erhalt sich Tillmann<br />

nachdrücklich aussprach. „<strong>Der</strong><br />

Bund kann nicht alles machen“,<br />

kritisierte <strong>der</strong> Sportausschuß-<br />

Vorsitzende, <strong>der</strong> von den Län<strong>der</strong>n<br />

<strong>der</strong> Bundesrepublik ein größeres<br />

Engagement im Breitensport erwartet,<br />

um die „positiven Ansätze bei<br />

<strong>der</strong> Breitensportentwicklung in <strong>der</strong><br />

gegenwärtigen DDR“ zu unterstützen.<br />

Nach dem Stand <strong>der</strong> Haushaltsberatungen<br />

wird <strong>der</strong> Bund 10<br />

Millionen Mark als „Anschubfinanzierung<br />

für den Breitensport“ in<br />

den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n bereitstellen.<br />

Nach dem Sportgespräch bei<br />

Bundeskanzler Kohl kann die Stiftung<br />

<strong>Deutsche</strong> Sporthilfe in den<br />

nächsten beiden Jahren mit insgesamt<br />

40 Millionen Mark rechnen.<br />

Für die Einrichtung <strong>der</strong> fünf <strong>bis</strong><br />

sechs Olympiastützpunkte in den<br />

östlichen Bundeslän<strong>der</strong>n werden<br />

aus Bonn mindestens sechs Millionen<br />

Mark benötigt. Mit <strong>bis</strong> zu 50<br />

Millionen Mark muß zudem für die<br />

Bildung eines „Trainerfonds“ sowie<br />

für die Sportmedizin und den<br />

Erhalt von sportwissenschaftlichen<br />

Instituten und Hochschulen gerechnet<br />

werden. Um mehr Flexibilität<br />

im Trainerwesen zu erreichen,<br />

sprach sich Tillmann für die völlige<br />

Abschaffung <strong>der</strong> „Vergütungsordnung<br />

für Trainer“ aus.


<strong>Chronik</strong> September 1990<br />

15.09.1990<br />

Leipzig: Das Forschungsinstitut für Körperkultur<br />

und Sport wird in den Dienst des<br />

gesamtdeutschen Sports gestellt. Im Zuge<br />

<strong>der</strong> Umstrukturierungsmaßnahmen wird<br />

die Zahl <strong>der</strong> Mitarbeiter von 625 auf 200<br />

reduziert.<br />

Berlin (Ost): Auf einem Treffen von Vertretern<br />

<strong>der</strong> beiden deutschen Tischtennisverbände<br />

werden die Weichen für die Vereinigung<br />

gestellt.<br />

Schwarzheide: Gesamtdeutsches Luftsportfest.<br />

Leipzig: Deutsch-deutsche Tennisbegegnung.<br />

16.09.1990<br />

Dortmund: Das Präsidium des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Handball-Bundes (DHB) entscheidet, dass<br />

auch nach <strong>der</strong> Vereinigung Horst Bredemeier<br />

Cheftrainer <strong>der</strong> Männer-<br />

Nationalmannschaft bleibt. Begründung:<br />

<strong>Der</strong> bestehende Vertrag solle nicht aufgelöst<br />

werden.<br />

Leuthen: Letzte DDR-Meisterschaften im<br />

Billard.<br />

18.09.1990<br />

Erste Sitzung <strong>der</strong> Arbeitsgruppe Finanzen<br />

in München.<br />

21.09.1990<br />

Berlin: Fußball-Benefizspiel Volkskammer<br />

gegen Bundestag im Sportforum.<br />

22.09.1990<br />

<strong>Der</strong> DTSB-Bundesvorstand beschließt die<br />

Auflösung <strong>der</strong> eigenen Organisation zum<br />

5.12.1990.<br />

27.09.1990<br />

Potsdam: Gründung des Olympischen<br />

Sportclubs Potsdam Luftschiffhafen. Präsident:<br />

Dr. Wulf Preising.<br />

Sitzung <strong>der</strong> Arbeitsgruppe Leistungssport.<br />

28.09.1990<br />

Cottbus: Nachdem das Sportzentrum zwischenzeitlich<br />

als Einkaufzentrum vermietet<br />

worden war, steht es nun wie<strong>der</strong> dem Sport<br />

<strong>zur</strong> Verfügung.<br />

29.09.1990<br />

Leipzig: Gemeinsamer Kongress <strong>der</strong> beiden<br />

deutschen Schachverbände. Die neu<br />

gegründeten Landesverbände werden in<br />

den <strong>Deutsche</strong>n Schachbund eintreten.<br />

Zäsur: Sitzung des Lenkungsausschusses<br />

in Leipzig. Dort wurden sämtliche Ergebnisse<br />

des Lenkungsausschusses und <strong>der</strong><br />

Arbeitsgruppen textlich überprüft, zusammengefasst<br />

und als Grundlage für die Vereinigung<br />

bestätigt.<br />

30.09.1990<br />

Berlin: Erster gesamtdeutscher Berlin-<br />

Marathon nach dem <strong>Mauerfall</strong>.<br />

München: Erstmalig fährt eine gesamtdeutsche<br />

Männer-Turn-Riege zum Län<strong>der</strong>kampf,<br />

mit neutralen Trainingsanzügen,<br />

auf dem Rücken <strong>der</strong> Aufdruck: „Gesamtdeutsche<br />

Mannschaft 1990 – DTB-DTV.“<br />

73


74<br />

September 1990 – Eine Collage


<strong>Chronik</strong> Oktober 1990<br />

Oktober 1990<br />

02.10.1990<br />

Frankfurt am Main: Auf einer Tagung des<br />

Bundesausschusses Leistungssport wird<br />

über die Vergabe <strong>der</strong> Olympiastützpunkte<br />

entschieden. Im Land Brandenburg erhält<br />

zunächst Frankfurt (O<strong>der</strong>) den Zuschlag.<br />

Später Korrektur: Cottbus erhält den Zuschlag.<br />

03.10.1990<br />

Vollendung <strong>der</strong> staatlichen Einheit auf <strong>der</strong><br />

Grundlage des Art. 23 Satz 2 GG. <strong>Der</strong> Beitritt<br />

<strong>der</strong> DDR vollzieht sich formal durch<br />

die Aufnahme <strong>der</strong> am 22. Juli neugegründeten<br />

Län<strong>der</strong> Brandenburg, Mecklenburg-<br />

Vorpommern, Sachsen, Thüringen und<br />

Sachsen-Anhalt in den Geltungsbereich<br />

des Grundgesetzes.<br />

06.10.1990<br />

Darmstadt: Die Vorsitzenden <strong>der</strong> fünf neu<br />

gegründeten Leichtathletik-Landesverbände<br />

Thüringen, Mecklenburg-<br />

Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und<br />

Sachsen-Anhalt geben in <strong>der</strong> Geschäftsstelle<br />

ihren Antrag auf Aufnahme in den<br />

DLV ab. Die Mitglie<strong>der</strong>zahl des DLV wird<br />

sich bei <strong>der</strong> Vereinigung am 24.11. um<br />

75.000 auf 900.005 erhöhen.<br />

07.10.1990<br />

Interview mit Willi Daume in „Die Welt“:<br />

<strong>Der</strong> Finanzbedarf <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong>n Sporthilfe<br />

wird durch die Vereinigung nun doppelt so<br />

groß – also 50 Millionen Mark.<br />

08.10.1990<br />

Die <strong>Deutsche</strong> Olympische Gesellschaft<br />

und die Gesellschaft <strong>zur</strong> För<strong>der</strong>ung des<br />

Olympischen Gedankens in <strong>der</strong> DDR beschließen,<br />

sich zum 1. Januar 1991 zu vereinigen.<br />

Die Geschäftsstelle im Ostteil<br />

Berlins soll neben <strong>der</strong> Frankfurter Zentrale<br />

erhalten beiben und künftig den Aufbau<br />

von rund 20 DOG-Stadtgruppen in den<br />

fünf neuen Bundeslän<strong>der</strong>n koordinieren.<br />

10.10.1990<br />

Die Eintrittskarten für das „Fest des deutschen<br />

Fußballs“ gehen in den Vorverkauf.<br />

12.10.1990<br />

Cottbus: Gründung des ersten Sport- und<br />

Gesundheitszentrums e. V. in den neuen<br />

Bundeslän<strong>der</strong>n.<br />

19.10.1990<br />

Beitritt <strong>der</strong> Ostdeutschen Schwimmverbände<br />

<strong>der</strong> Län<strong>der</strong> Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern,<br />

Sachsen, Sachsen-<br />

Anhalt, und Thüringen in den DSV. Zahl<br />

<strong>der</strong> Landesverbände steigt von 13 auf 18<br />

und die Mitglie<strong>der</strong>zahl von 517.000 auf<br />

rund 540.000.<br />

20./21.10.1990<br />

Heilbronn: <strong>Deutsche</strong> Judomeisterschaften.<br />

Absage an ostdeutsche Athleten. „Wir sind<br />

ja noch zwei Verbände.“ (Romenrath,<br />

Sportdirektor des DJB); Vereinigung DJB<br />

und DJV am 2. Februar 1991.<br />

Die neu gegründeten Regionalvereine <strong>der</strong><br />

Sportjournalisten <strong>der</strong> fünf ostdeutschen<br />

Län<strong>der</strong> treten dem VDS bei.<br />

23.10.1990<br />

Frankfurt am Main: Die Landesverbände<br />

Tischtennis <strong>der</strong> fünf ostdeutschen Bundeslän<strong>der</strong><br />

treten dem <strong>Deutsche</strong>n Tischtennis-<br />

Bund bei.<br />

26.10.1990<br />

Antrag auf Beitritt <strong>der</strong> LSB zum DSB.<br />

26.-28.10.1990<br />

München: Gesamtdeutsche Meisterschaften<br />

<strong>der</strong> Wasserspringer.<br />

28.10.1990<br />

Nürnberg: Die Triathleten aus den fünf<br />

ostdeutschen Bundeslän<strong>der</strong>n treten <strong>der</strong><br />

<strong>Deutsche</strong>n Triathlon-Union bei.<br />

Erste Rate <strong>der</strong> Anschubfinanzierung ist<br />

eingetroffen. Brandenburgs Landessportbund<br />

erhält 2,3 Millionen D-Mark.<br />

75


76 „Ostdeutsch o<strong>der</strong> westdeutsch Ru<strong>der</strong>n?“ – Bei <strong>der</strong> Vereinigung <strong>der</strong> Fachverbände erkannten ost- und westdeutsche<br />

Athleten schnell, dass sie künftig in einem Boot sitzen<br />

„Ostdeutsch o<strong>der</strong> westdeutsch<br />

Ru<strong>der</strong>n?“<br />

Bei <strong>der</strong> Vereinigung <strong>der</strong> Fachverbände<br />

erkannten ost- und westdeutsche Athleten<br />

schnell, dass sie künftig in einem<br />

Boot sitzen<br />

von Jutta Braun<br />

Oktober 1990. <strong>Der</strong> Systemkampf <strong>der</strong> beiden<br />

deutschen Staaten fand seine Entsprechung<br />

jahrzehntelang in <strong>der</strong> sportlichen<br />

Arena. Die beiden Staaten konkurrierten<br />

um das bessere Sportsystem, um Medaillen,<br />

um internationale staatliche Anerkennung.<br />

Die DDR trainierte ihre Athleten<br />

nicht allein auf Punktsieg, son<strong>der</strong>n auch<br />

auf Abgrenzung gegen den „Klassenfeind“.<br />

In umfangreichen Schulungen vor deutschdeutschen<br />

Vergleichskämpfen wurden die<br />

Sportler auf eine feste Linie gegenüber den<br />

Westdeutschen eingeschworen: nur die<br />

notwendigsten Kontakte, keine persönlichen<br />

Gespräche. Es ist lange spekuliert<br />

worden, welche tatsächliche Wirkung diese<br />

Rotlichtbestrahlungen auf die Athleten<br />

hatten. Ließen sie sich indoktrinieren, o<strong>der</strong><br />

prallte die offensichtliche Propaganda an<br />

ihnen ab?<br />

Im Zuge <strong>der</strong> deutschen Wie<strong>der</strong>vereinigung<br />

ergab sich für die ehemaligen politischen<br />

und sportlichen Gegner eine überraschende<br />

Situation: Sie mussten nun plötzlich nicht<br />

nur ausführlich miteinan<strong>der</strong> sprechen, son<strong>der</strong>n<br />

auch den schwierigen Prozess <strong>der</strong><br />

Vereinigung gemeinsam bewältigen. Henrik<br />

Lotz vom westdeutschen Ru<strong>der</strong>sportverband<br />

konzediert rückblickend, es sei<br />

anfangs immer eine „Distanz drin“ gewesen,<br />

denn „wir waren ja <strong>der</strong> Klassenfeind<br />

und die waren für uns die An<strong>der</strong>en“. Mit<br />

einem Briefwechsel im November 1989<br />

begann dann jedoch eine vertrauensvolle<br />

Kooperation, die den Weg in die Einheit<br />

ebnete – ohne Dokumente, alles per Handschlag.<br />

Dass dies alles reibungsarm vonstatten<br />

ging, ermöglichte <strong>der</strong> Sport, <strong>der</strong> das<br />

entsprechende Verständnis füreinan<strong>der</strong><br />

Jutta Braun<br />

herstellte. Lotz erläutert: „Wer einmal einen<br />

Männerspind im Bootshaus gerochen<br />

hat, wer einmal nasses Holz und Lack und<br />

all das riecht, <strong>der</strong> kommt von dem Ru<strong>der</strong>n<br />

nicht mehr los und das ist eine Eigenschaft,<br />

die sich nicht nach Ost und West aufteilt,<br />

son<strong>der</strong>n das ist vorhanden und deshalb<br />

ging auch vieles so glatt.“<br />

Doch gab es auch viele Holprigkeiten, auf<br />

<strong>der</strong> Ebene grundlegen<strong>der</strong> Fragen ebenso<br />

wie bei Spezialaspekten einzelner Sportarten.<br />

So wollten einige Fachverbände den<br />

an <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong>n Hochschule für Körperkultur<br />

und Sport ausgebildeten Trainern<br />

zunächst nur die B-Lizenz zuerkennen –<br />

ein Vorhaben, das insbeson<strong>der</strong>e die Trainer<br />

von Olympiasiegern und Weltmeistern<br />

düpierte. In den Spielsportarten stellte die<br />

Schaffung eines einheitlichen Spielsystems<br />

und die Integration <strong>der</strong> Ost-Klubs in die<br />

Bundesligen das größte Problem <strong>der</strong> Einheit<br />

dar. Insbeson<strong>der</strong>e im Fußball wurden<br />

zahlreiche ostdeutsche Hoffnungen enttäuscht,<br />

die sich auf eine höhere Anzahl<br />

<strong>der</strong> Ost-Vereine in <strong>der</strong> Ersten und Zweiten<br />

Liga gerichtet hatten. Mit technischen Angleichungsproblemen<br />

hatte <strong>der</strong> Ru<strong>der</strong>sport<br />

zu kämpfen, woran sich DDR-<br />

Olympiasiegerin Kathrin Boron noch heute<br />

gut erinnert: Es gab „halt zwei verschiedene<br />

Techniken. Die Ostdeutschen, die ru<strong>der</strong>ten<br />

so, rechts vor links; und die Westdeutschen<br />

ru<strong>der</strong>ten links vor rechts. Wenn man<br />

dann zusammen im Boot saß, musste man<br />

sich ja irgendwie angleichen. Na ja, und<br />

dann wurde halt festgelegt, die Ostdeutschen<br />

ru<strong>der</strong>n dann so wie die Westdeutschen<br />

irgendwann. Das fand ich damals<br />

nicht so gut.“ Trotz <strong>der</strong> anfänglichen Verärgerung<br />

über dieses westdeutsche sportliche<br />

Diktat herrschte doch bald ein gutes<br />

zwischenmenschliches Verhältnis unter<br />

den Athleten. „Weil wir einfach miteinan<strong>der</strong><br />

ru<strong>der</strong>n mussten. Wenn wir zusammen<br />

im Boot saßen, dann ist man nur schnell,<br />

wenn man auch miteinan<strong>der</strong> auskommt.“


Frankfurter Allgemeine Zeitung 06.10.1990 77<br />

Nun auch noch Geldsorgen / Gesetz soll Ausverkauf verhin<strong>der</strong>n<br />

Sporthallen klein, kalt und ohne Duschen:<br />

Freizeitsportler haben im Osten kaum Platz<br />

Berlin (dpa). „Tennisplätze selbstgemacht“.<br />

Mit dieser Broschüre<br />

versuchten die Sportstättenplaner<br />

in <strong>der</strong> ehemaligen DDR Ende <strong>der</strong><br />

achtziger Jahre, dem sich abzeichnenden<br />

Tennisboom zu begegnen.<br />

Die Maßnahme, die mangels Material<br />

scheiterte, offenbarte die Hilflosigkeit<br />

eines Systems, das jährlich<br />

100 Millionen Mark für Sportstätten<br />

in den olympischen Sportarten<br />

bereitstellte, gegenüber den<br />

Bedürfnissen des Breitensports.<br />

Trotz des Bekundens <strong>der</strong> DDR-<br />

Volkskammer nach <strong>der</strong> Wende,<br />

den Breitensport verstärkt zu för<strong>der</strong>n,<br />

werden aufgrund <strong>der</strong> Sportstätten-Situation<br />

in Ostdeutschland<br />

die Freizeitsportler auch weiterhin<br />

die Stiefkin<strong>der</strong> des Sports bleiben.<br />

Die statistische Erhebung des ehemaligen<br />

Ministeriums für Jugend<br />

und Sport stellt die Sportlandschaft<br />

zunächst gar nicht schlecht dar: 37<br />

243 Sportstätten existieren auf dem<br />

Gebiet <strong>der</strong> früheren DDR. Das ist<br />

eine Zahl, die sich etwa mit Nordrhein-Westfalen<br />

vergleichen läßt,<br />

das eine ähnlich hohe Bevölkerungszahl<br />

aufweist. In <strong>der</strong> Summe<br />

enthalten sind 15460 Sportplätze,<br />

8428 Sporthallen, 373 Hallenbä<strong>der</strong><br />

und 1294 Tennisfel<strong>der</strong>. Aber wenn<br />

sich für die Freizeitsportler die<br />

<strong>bis</strong>her verschlossenen Türen vieler<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 6. Oktober 1990<br />

Leistungssportanlagen öffnen,<br />

finden sie oft Sportanlagen vor, die<br />

selbst Mindestanfor<strong>der</strong>ungen nicht<br />

entsprechen. „Die Sportstätten<br />

waren fast ausschließlich für den<br />

Leistungssport konzipiert, ihre<br />

Ausstattung ist in vielen Fällen<br />

spartanisch“, sagt Ulrich Schmied,<br />

von 1987 <strong>bis</strong> 1989 Abteilungsleiter<br />

für Sportbauten im Amt für Jugend<br />

und Sport.<br />

So zeichnet denn auch die Studie<br />

des Ministeriums ein eher düsteres<br />

Bild: 13 Prozent aller Schulsporthallen<br />

haben keine Heizung, 17<br />

Prozent sind ohne Sanitäreinrichtungen,<br />

92 Prozent aller Hallen sind<br />

zu klein für Ballsportarten. „Beson<strong>der</strong>s<br />

im Winter ist <strong>der</strong> Bedarf an<br />

Hallen bei weitem nicht gedeckt“,<br />

sagt Bernd Hermann, <strong>bis</strong> vor zwei<br />

Tagen Referatsleiter für Sportfinanzierung<br />

und Rechtsangelegenheit<br />

im Ministerium für Jugend und<br />

Sport. Auf die maroden Sportanlagen<br />

im Osten Deutschlands kommt<br />

nach <strong>der</strong> Vereinigung noch das<br />

Finanzierungsproblem zu. Viele<br />

sind im Besitz von Betrieben, die<br />

sie den Betriebsportgruppen <strong>bis</strong>her<br />

kostenlos <strong>zur</strong> Verfügung gestellt<br />

hatten. Aufgrund <strong>der</strong> angespannten<br />

Lage wird sich dies än<strong>der</strong>n. Ein<br />

Sicherungsgesetz hat den Verkauf<br />

von Sportstätten an private Nutzer<br />

<strong>bis</strong>her unterbunden, doch es wurde<br />

im Einigungsvertrag nicht übernommen.<br />

„Wir hoffen, daß das<br />

Gesetz weiter gilt und freiwerdende<br />

Sportanlagen zunächst den Kommunen<br />

angeboten werden“, sagt<br />

Hermann.<br />

Gesichert ist zunächst <strong>der</strong> Erhalt<br />

<strong>der</strong> Anlagen, die <strong>bis</strong>her dem Ministerium<br />

für Inneres unterstanden. Sie<br />

gehen in den Besitz des Bundes<br />

über. Ein Teil <strong>der</strong> DDR-<br />

Sportschulen wie in Leipzig, Lindow<br />

o<strong>der</strong> Zinnowitz soll für den<br />

gesamtdeutschen Leistungssport<br />

erhalten bleiben. Für an<strong>der</strong>e Sportstätten,<br />

die teilweise in besten<br />

Stadtlagen angesiedelt sind, interessieren<br />

sich in zunehmendem<br />

Maß private Investoren. So soll ein<br />

Teil <strong>der</strong> Sportschule Kienbaum bei<br />

Berlin in ein Rehabilitationszentrum<br />

umgewandelt werden. <strong>Der</strong>weil<br />

versuchen die Betreiber von Sportanlagen,<br />

die durch den Wegfall von<br />

staatlicher Unterstützung gerissenen<br />

Finanzierungslöcher mit ungewöhnlichen<br />

Einfällen zu stopfen. In<br />

Chemnitz wurde die Eishalle im<br />

Sommer an einen bundesdeutschen<br />

Handelsriesen als Lagerraum vermietet.<br />

In <strong>der</strong> Laufhalle <strong>der</strong> Leichtathleten<br />

des SC Cottbus kann <strong>zur</strong><br />

Zeit eingekauft werden: hier hat ein<br />

Supermarkt für unbestimmte Zeit<br />

Quartier bezogen.


78<br />

Oktober 1990 – Eine Collage


<strong>Chronik</strong> November 1990 79<br />

November 1990<br />

03.11.1990<br />

Leipzig: <strong>Der</strong> Berliner Hooligan Mike Polley<br />

stirbt nach Ausschreitungen durch eine<br />

Polizeikugel.<br />

Hürth: „Tag <strong>der</strong> Hockey-Einheit“. Auf<br />

dem außerordentlichen Bundestag des<br />

<strong>Deutsche</strong>n Hockey-Bundes (DHB) vollziehen<br />

die fünf ostdeutschen Landesverbände<br />

den Beitritt.<br />

08.11.1990<br />

Potsdam: Potsdam wird Bundesstützpunkt<br />

Ru<strong>der</strong>n.<br />

08.11.-11.11.1990<br />

München: 102. <strong>Deutsche</strong> Schwimmmeisterschaften<br />

als erste gesamtdeutsche Meisterschaften<br />

seit 1948.<br />

13.11.1990<br />

Leipzig: Nach einem Treffen von DFV und<br />

DFB, dem sächsischen Innenminister Dr.<br />

Rudolf Krause, sowie den Polizeibehörden,<br />

wird das für den 21. November geplante<br />

Län<strong>der</strong>spiel DFV – DFB abgesagt.<br />

17.11.1990<br />

Berlin: Vereinigung des NOK <strong>der</strong> DDR<br />

und des NOK für Deutschland.<br />

Vereinigung des Berliner Fußballs. Die<br />

Präsidenten <strong>der</strong> Berliner Fußballverbände,<br />

Otto Höhne (West) und Uwe Piontek (Ost),<br />

besiegeln den Zusammenschluss im Hotel<br />

„Interconti“. Gemeinsamer Spielbetrieb ab<br />

<strong>der</strong> Saison 1991/92.<br />

Im Amateurboxen startet eine gemeinsame<br />

Deutschlandliga.<br />

18.11.1990<br />

Berlin (Ost): „Tag <strong>der</strong> Badminton-<br />

Einheit“. Im Kongresszentrum werden die<br />

fünf ostdeutschen Landesverbände mit<br />

Wirkung vom 1. Januar 1991 in den DBV<br />

aufgenommen.<br />

20.11.1990<br />

Leipzig: Außerordentlicher Verbandstag<br />

des DFV <strong>der</strong> DDR: Selbstauflösung des<br />

DFV <strong>der</strong> DDR und Neukonstituierung als<br />

Regionalverband Nord/Ost.<br />

21.11.1990<br />

Leipzig: „Tag <strong>der</strong> Fußball-Einheit“. Außerordentlicher<br />

Bundestag des DFB. In <strong>der</strong><br />

Leipziger Oper tritt <strong>der</strong> Regionalverband<br />

Nord/Ost (NOFV) dem DFB bei.<br />

22.11.1990<br />

DDR-Fußballer sind für den DFB spielberechtigt.<br />

24.11.1990<br />

Hagen: „Tag <strong>der</strong> Basketball-Einheit“. Auf<br />

dem Außerordentlichen DBB-Bundestag<br />

vollziehen die fünf ostdeutschen Landesverbände<br />

den Beitritt zum DBB.<br />

Salzgitter: Die Leichtathletik-Landesverbände<br />

<strong>der</strong> fünf neuen Bundeslän<strong>der</strong> treten<br />

dem DLV bei.<br />

Vereinigung <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nen Fünfkämpfer.<br />

29.11.1990<br />

„Stern“: Wie die DDR Sieger machte/Doping<br />

– <strong>der</strong> Beweis.<br />

„Frankfurter Rundschau“: „Stern“ enthüllt<br />

Dopingskandal in <strong>der</strong> früheren DDR. Harte<br />

Vorwürfe gegen Stars.<br />

„Bild“: Die Dopingsün<strong>der</strong>! Ihre Medaillen<br />

dürfen sie behalten.<br />

„FAZ“: Die Maske fällt.<br />

30.11.1990<br />

Bonn for<strong>der</strong>t schnelle Untersuchung. Innenministerium:<br />

Doping-Vorwürfe Sache<br />

des Sports.<br />

<strong>Der</strong> sportpolitische Sprecher <strong>der</strong> SPD<br />

Bundestagsfraktion, Peter Büchner: „Nur<br />

ein humaner, und das heißt drogenfreier<br />

Leistungssport ist för<strong>der</strong>ungswürdig.“


80<br />

Die olympische Einheit – Ein schneller Zusammenschluss mit langfristigen Folgen<br />

Die olympische Einheit<br />

Ein schneller Zusammenschluss mit<br />

langfristigen Folgen<br />

von Michael Barsuhn und Jutta Braun<br />

November 1990. Das NOK <strong>der</strong> DDR symbolisierte<br />

als „Medaillenkollektiv“ die internationalen<br />

Erfolge des ostdeutschen Sportwun<strong>der</strong>landes.<br />

Manfred Ewald verkörperte als<br />

Präsident des DTSB und NOK (seit 1973)<br />

die machtpolitische Doppelspitze des DDR-<br />

Sports. Während er bereits im November<br />

1988 gegen seinen Willen als DTSB-<br />

Präsident verabschiedet worden war, gelang<br />

es ihm zunächst noch eine Weile, seine Position<br />

im NOK zu verteidigen. Allerdings lag<br />

auch hier, so erinnert sich Joachim Weiskopf,<br />

Ewalds Rücktritt in <strong>der</strong> Luft, wurde<br />

aber „verschoben, verschoben, verschoben“.<br />

Eine für den 3. November 1989 vorgesehene<br />

Mitglie<strong>der</strong>versammlung des NOK sagte <strong>der</strong><br />

Sportchef kurzfristig ab. Mit dem Fall <strong>der</strong><br />

Mauer spitzte sich die öffentliche Kritik am<br />

Staatssport jedoch immer weiter zu. Eine<br />

völlig ungewohnte Situation für die DDR-<br />

Sportführung: Das ehemalige Hätschelkind<br />

des SED-Regimes sah sich ungeschützt harscher<br />

Schelte ausgesetzt. Die Bürgerrechtler<br />

des Neuen Forums Leipzig for<strong>der</strong>ten: „Stasi,<br />

Armee und Leistungssport müssen weg!“<br />

Am 20. November hielt <strong>der</strong> enge Weggefährte<br />

Ewalds und NOK-Schatzmeister Franz<br />

Rydz dem öffentlichen Druck nicht mehr<br />

stand. Er machte sich auf den Weg in den<br />

Kraftraum <strong>der</strong> Sportschule Kienbaum, beschwerte<br />

sich mit Gewichten und ertränkte<br />

sich im benachbarten Liebenwer<strong>der</strong> See. Im<br />

Zuge <strong>der</strong> nachfolgenden Ermittlungen kam<br />

ein von ihm und Ewald unter Verschluss<br />

gehaltener Valutafonds mit Schwarzeinnahmen<br />

ans Licht. Nun brach auch bei vielen<br />

Genossen ein Sturm <strong>der</strong> Entrüstung los.<br />

Ewald stand am Abgrund. Auf einer für den<br />

6. Januar 1990 per Telegramm einberufenen<br />

Mitglie<strong>der</strong>versammlung erklärte er, unter<br />

strengem Ausschluss <strong>der</strong> Öffentlichkeit, seinen<br />

Rücktritt. Sein Nachfolger, Dr. Günther<br />

Heinze, sollte nur übergangsweise amtieren<br />

<strong>bis</strong> <strong>zur</strong> freien Wahl eines neuen NOK-<br />

Michael Barsuhn und Jutta Braun<br />

Präsidenten am 16. Juni 1990 in Kienbaum.<br />

Ebenso wie bei den ersten freien Wahlen im<br />

DTSB drei Monate zuvor gab es hier nur<br />

einen Kandidaten. <strong>Der</strong> parteilose Kanuverbandspräsident<br />

Professor Dr. Dr. Joachim<br />

Weiskopf hatte sich als einziger bereit erklärt,<br />

in <strong>der</strong> schwierigen Zeit anzutreten. 44<br />

von 47 Delegierten sprachen ihm das Vertrauen<br />

aus. Von nun an begann <strong>der</strong> Endspurt<br />

<strong>zur</strong> olympischen Einheit im deutschen Sport.<br />

Willi Daume erklärte am 1. März im NOK-<br />

Report. „Respekt vor <strong>der</strong> Gemeinsamkeits-<br />

Bereitschaft im Sport <strong>der</strong> DDR! Lange haben<br />

wir darauf gewartet. Wir wollen sie nach wie<br />

vor. Uns braucht man nicht zu überzeugen.“<br />

Am 4. Juli trafen sich Daume und Weiskopf<br />

zu einem Vier-Augen-Gespräch im Berliner<br />

Palace-Hotel. Die vertraglichen und technischen<br />

Einzelheiten wurden einem Lenkungsausschuss<br />

mit drei Arbeitsgruppen übertragen.<br />

NOK-Generalsekretär Walther Tröger<br />

betont das gute Einvernehmen bei<strong>der</strong> Parteien<br />

in den Verhandlungen „Die liefen sehr<br />

freundschaftlich ab, weil wir eben von einer<br />

echten Verschmelzung, nicht von einer<br />

feindlichen Übernahme gesprochen haben.“<br />

<strong>Der</strong> 17. November 1990, <strong>der</strong> als Tag <strong>der</strong><br />

Vereinigung <strong>der</strong> beiden deutschen olympischen<br />

Brü<strong>der</strong> begangen wird, sah nicht eine,<br />

son<strong>der</strong>n zwei Zeremonien. Im Wappensaal<br />

des Roten Rathauses in Berlin fasste die<br />

Mitglie<strong>der</strong>versammlung des NOK <strong>der</strong> DDR<br />

den historischen Beschluss, sich mit Wirkung<br />

vom 1. Januar 1991 mit dem NOK für<br />

Deutschland zum Nationalen Olympischen<br />

Komitee für Deutschland zu vereinigen. Im<br />

Reichstag fand anschließend ein gemeinsamer<br />

Festakt mit dem westdeutschen NOK<br />

statt.<br />

Ein Satz im Vereinigungs-Beschluss sollte<br />

noch langfristige Bedeutung erlangen: „Eine<br />

Rechtsnachfolge zum NOK <strong>der</strong> DDR findet<br />

nicht statt.“ Inwieweit dies gilt, wird noch<br />

heute von Juristen im Zuge <strong>der</strong> Dopingopferprozesse<br />

diskutiert. Unstrittig hingegen<br />

ist, dass das Nationale Olympische Komitee<br />

in <strong>der</strong> historischen Verantwortung <strong>der</strong> olympischen<br />

Tradition bei<strong>der</strong> deutscher Staaten<br />

steht.


Frankfurter Allgemeine Zeitung 22.11.1990 81<br />

Bundeskanzler betont die Autonomie des Sports<br />

Helmut Kohl sagt dem Sport Geld und Rat zu<br />

“Staat darf vor Gewalt nicht <strong>zur</strong>ückweichen“<br />

BONN (sid). Bundeskanzler Helmut<br />

Kohl sagt dem deutschen Sport<br />

umfassende finanzielle und beratende<br />

Unterstützung zu, falls seine<br />

Regierung bei <strong>der</strong> Bundestagswahl<br />

am 2. Dezember bestätigt wird. In<br />

einem Gespräch mit dem Sport-<br />

Informations-Dienst schloß Kohl<br />

dabei den gesamten Spitzensport<br />

ein, den strukturellen Aufbau <strong>der</strong><br />

Verbände in den fünf neuen Bundeslän<strong>der</strong>n,<br />

den Erhalt und die<br />

Sanierung <strong>der</strong> dortigen Leistungszentren,<br />

die Integration qualifizierter<br />

Trainer aus <strong>der</strong> ehemaligen<br />

DDR und den deutschen Olympiabewerber<br />

für die Sommerspiele im<br />

Jahr 2000.<br />

Zur Gewaltszene im Umfeld des<br />

Fußballs stellte <strong>der</strong> Bundeskanzler<br />

fest: „<strong>Der</strong> Staat darf vor <strong>der</strong> Gewalt<br />

in und um Sportstätten ebensowenig<br />

<strong>zur</strong>ückweichen wie vor politisch<br />

motivierten gewalttätigen<br />

Ausschreitungen.“ Kohl betonte,<br />

daß „die Ursachen für diese Gewaltausbrüche“,<br />

die unter an<strong>der</strong>em<br />

<strong>zur</strong> Absage <strong>der</strong> für den Buß- und<br />

Bettag geplanten Fußballgala geführt<br />

hatten, „nicht im Fußballsport<br />

liegen. Wir begegnen diesen Kriminellen<br />

ebenso in <strong>der</strong> Hausbesetzerszene<br />

wie bei manchen politischen<br />

Großdemonstrationen.“ Die<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 22. November 1990<br />

Polizei sei in <strong>der</strong> Lage, diese Szene<br />

„bei Sportveranstaltungen im großen<br />

und ganzen unter Kontrolle zu<br />

halten“. Er sehe „die Erwartung<br />

begründet, daß <strong>der</strong> Ausbruch von<br />

Gewalttätigkeiten bei Sportveranstaltungen<br />

in den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n<br />

ein vorübergehendes Phänomen<br />

bleiben wird“.<br />

Im internationalen Vergleich<br />

sieht <strong>der</strong> Kanzler die deutschen<br />

Sportler „wie <strong>bis</strong>her in <strong>der</strong> Weltspitze“.<br />

Gleichzeitig warnt er vor<br />

übertriebenen Erwartungen: „Man<br />

sollte jetzt nicht einfach die Medaillen<br />

<strong>der</strong> Bundesrepublik und <strong>der</strong><br />

früheren DDR addieren, da ja auch<br />

zahlreiche Startplätze wegfallen.“<br />

Ein Unbehagen des Auslands gegenüber<br />

einer neuen „Sportgroßmacht“<br />

Deutschland hat Helmut<br />

Kohl <strong>bis</strong>her nicht gespürt.<br />

Kohl verweist auf die Autonomie<br />

des Sports und seiner Organisationen<br />

beim Aufbau neuer Strukturen<br />

in den fünf neuen Bundeslän<strong>der</strong>n:<br />

„Sport ist Sache des Sports.“ Er<br />

bietet aber die Hilfe <strong>der</strong> Bundesregierung<br />

bei <strong>der</strong> Bewältigung dieser<br />

Aufgabe an. Gleichzeitig sagte er<br />

„erhebliche Mittel für die Sicherung<br />

<strong>der</strong> erhaltenswerten Spitzensporteinrichtungen“<br />

zu. „Dazu<br />

gehören Mittel für die Trainer und<br />

die Leistungssportzentren, unter<br />

an<strong>der</strong>em auch für den Behin<strong>der</strong>tensport.“<br />

Nach den Kenntnissen des Bundeskanzlers<br />

werde eine Vielzahl<br />

guter Trainer aus <strong>der</strong> ehemaligen<br />

DDR von den Fachverbänden übernommen.<br />

„Hierfür stellt die<br />

Bundesregierung übrigens 13 Millionen<br />

Mark <strong>zur</strong> Verfügung.“<br />

Eine denkbare Alternative sei die<br />

Beschäftigung qualifizierter ehemaliger<br />

Trainer an Schulen und Berufsschulen.<br />

„Ich hielte das für eine<br />

gute Sache“, meinte <strong>der</strong> Bundeskanzler,<br />

„aber dies ist eine Sache,<br />

die die Län<strong>der</strong> betrifft.“<br />

Daß <strong>der</strong> Sport den Partner Wirtschaft<br />

braucht steht für Kohl außer<br />

Frage. Aber: „<strong>Der</strong> Akzent muß auf<br />

Partnerschaft liegen. <strong>Der</strong> Geldgeber<br />

darf den Sport nicht beherrschen<br />

und umwandeln wollen. Es darf<br />

auch nicht sein, daß wegen <strong>der</strong><br />

Kommerzialisierung die Ethik im<br />

Sport <strong>zur</strong> Disposition gestellt wird.<br />

Dann muß <strong>der</strong> Sport auf die finanzielle<br />

Unterstützung verzichten.“<br />

Auf Mißstände könne die Bundesregierung<br />

nur in Bereichen reagieren,<br />

wo sie den Sport unmittelbar<br />

selbst för<strong>der</strong>t und grobe Verstöße<br />

gegen Ethik und Moral feststellt.<br />

Das betreffe zum Beispiel das gesamte<br />

Thema Doping.


82<br />

November 1990 – Eine Collage


<strong>Chronik</strong> Dezember 1990 83<br />

Dezember 1990<br />

02.12.1990<br />

Berlin (Ost): Außerordentlicher Verbandstag<br />

des DTTV in Berlin-Grünau beschließt<br />

die Verbandsauflösung zum<br />

31.12.1990 und die Bildung einer einheitlichen<br />

Tischtennis-Organisation.<br />

03.12.1990<br />

Die „FAZ“ schreibt: Einen Tag nach <strong>der</strong><br />

Auflösung des Turn- und Sportbundes Berlin<br />

(TSB) vollzieht <strong>der</strong> Landessportbund<br />

Berlin durch die Zuwahl weiterer Vorstandsmitglie<strong>der</strong><br />

die formale Vereinigung.<br />

Die Mitglie<strong>der</strong>versammlung des LSB findet<br />

in einer aufgeheizten Atmosphäre statt,<br />

die sich an <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> bezirklichen<br />

Sportgemeinschaften entzündet.<br />

05.12.1990<br />

Auflösung des DTSB.<br />

Flensburger Tageblatt: Sport – Zukunft<br />

ohne Schatten? Doping und kein Ende.<br />

DSB-Präsident Hans Hansen for<strong>der</strong>t eine<br />

unabhängige Kommission von Experten.<br />

08.12.1990<br />

Dortmund: Auf dem 3. Außerordentlichen<br />

Bundestag des <strong>Deutsche</strong>n Handball-<br />

Bundes treten die fünf ostdeutschen Landesverbände<br />

dem DHB bei.<br />

08.-09.12.1990<br />

Leipzig: Tag <strong>der</strong> Einheit im Radsport –<br />

Auf <strong>der</strong> außerordentlichen Bundeshauptversammlung<br />

werden die fünf ostdeutschen<br />

Landesverbände in den Bund <strong>Deutsche</strong>r<br />

Radfahrer (BDR) aufgenommen.<br />

Nach dem Beitritt 20 Landesverbände mit<br />

132.000 Mitglie<strong>der</strong>n.<br />

09.12.1990<br />

Bonn: Aufnahme <strong>der</strong> Landesverbände <strong>der</strong><br />

Fechter <strong>der</strong> fünf neuen Bundeslän<strong>der</strong> in<br />

den <strong>Deutsche</strong>n Fechterbund.<br />

10.12.1990<br />

Potsdam: Die neue Ministerin für Bildung,<br />

Jugend und Sport im Land Brandenburg<br />

Marianne Birthler und <strong>der</strong> Landessportbund-Präsident<br />

Professor Dr. Gerhard<br />

Junghähnel verständigen sich über die<br />

künftige Zusammenarbeit.<br />

13.12.1990<br />

Die „FAZ“ meldet: In <strong>der</strong> neuesten Ausgabe<br />

des „Stern“ werden 324 aktuelle und<br />

ehemalige DDR-Leistungssportler des Dopings<br />

bezichtigt, die namentlich aufgelistet<br />

werden.<br />

13.-16.12.1990<br />

Berlin: Gemeinsame deutsche Meisterschaften<br />

im Eiskunstlaufen. <strong>Der</strong> Beitritt<br />

<strong>der</strong> Landesverbände des <strong>Deutsche</strong>n Eislaufverbandes<br />

(DELV) in die <strong>Deutsche</strong><br />

Eislauf-Union (DEU) erfolgt am 1. Januar<br />

1991.<br />

15.12.1990<br />

Hannover: Hauptausschusssitzung des<br />

<strong>Deutsche</strong>n Sportbundes: Aufnahme <strong>der</strong><br />

fünf neuen Landessportbünde in den<br />

DSB. <strong>Der</strong> mit 502 Ja- bei 33 Nein-<br />

Stimmen wie<strong>der</strong>gewählte DSB-Präsident<br />

Hans Hansen spricht vor den Delegierten,<br />

dass noch viel Arbeit warte: „Beim<br />

Aufbau demokratischer Strukturen, bei<br />

<strong>der</strong> Sanierung und Erneuerung von<br />

Sportanlagen und bei <strong>der</strong> Bewältigung<br />

von Umweltfragen in <strong>der</strong> ehemaligen<br />

DDR.“ Martin Kilian wird zum DSB-<br />

Vizepräsidenten gewählt.<br />

19.12.1990<br />

Mit Matthias Sammer und Andreas Thom<br />

debütieren beim 4:0 gegen die Schweiz die<br />

ersten ehemaligen DDR-Spieler im DFB-<br />

Team. Den Fifa-Regeln ist damit Rechnung<br />

getragen: Erst muss sich das Land,<br />

für das man spielte, auflösen, ehe die neue<br />

Identität gilt.


84<br />

Rückblick – Die deutsche <strong>Sporteinheit</strong> – eine Zwischenbilanz nach 15 Jahren<br />

Rückblick<br />

Die deutsche <strong>Sporteinheit</strong> – eine Zwischenbilanz<br />

nach 15 Jahren<br />

von Michael Barsuhn und Jutta Braun<br />

Dezember 1990. Konkurrenz belebt das<br />

Geschäft – auch im Sport. Im Wendejahr<br />

1989/1990 waren die ungewohnten Gesetze<br />

<strong>der</strong> freien Marktwirtschaft jedoch zunächst<br />

<strong>der</strong> Genickbruch für zahlreiche ostdeutsche<br />

Sportvereine. Bis <strong>zur</strong> Vereinigung<br />

des deutschen Sports im<br />

Herbst/Winter 1990 reduzierte sich allein<br />

die Zahl <strong>der</strong> Berliner Fußballklubs von 818<br />

auf 650. Die radikale Umstellung auf den<br />

freien Wettbewerb for<strong>der</strong>te ihren Tribut.<br />

Dem Untergang ostdeutscher Unternehmen<br />

folgte oftmals die Bankrotterklärung <strong>der</strong><br />

anhängenden Betriebssportgemeinschaften.<br />

Bislang staatlich alimentierte Leistungssportklubs,<br />

wie <strong>der</strong> ASK Vorwärts Potsdam,<br />

mussten ihre Budgets westlichen<br />

Standards angleichen. Bundesdeutsche<br />

Spitzenklubs bedienten sich ungehemmt<br />

am Reservoir ostdeutscher Talente. Allein<br />

Handball-Bundesligist VfL Hameln verstärkte<br />

sich im Wendejahr mit sechs DDR-<br />

Nationalspielern. Den Sportlern selber war<br />

es nicht zu verübeln, dass sie nach 28 Jahren<br />

Mauer-Regime nun von ihrer Reisefreiheit<br />

Gebrauch machten.<br />

Zu den positiven Schlagzeilen <strong>der</strong> sportlichen<br />

Vereinigung zählte die gute Zusammenarbeit<br />

<strong>der</strong> Verbände. So unterstützte<br />

<strong>der</strong> DFB den DFV <strong>der</strong> DDR 1989/90 mit<br />

knapp einer Million D-Mark. Patenschaftsverträge<br />

auf Ebene <strong>der</strong> Landessportbünde<br />

ermöglichten den strukturellen Umbau<br />

vom zentralistisch organisierten DDR-<br />

Sport zum fö<strong>der</strong>al aufgebauten Sportsystem<br />

<strong>der</strong> alten Bundesrepublik. Zudem<br />

schlug durch die Entmachtung des DTSB<br />

die Stunde zahlreicher unterdrückter<br />

Sportarten, wie Golf, Tennis o<strong>der</strong> Windsurfen.<br />

Mit ihrer Fixierung auf olympische<br />

Medaillen hatte die DDR diese Disziplinen<br />

Michael Barsuhn und Jutta Braun<br />

jahrelang finanziell und organisatorisch<br />

massiv behin<strong>der</strong>t.<br />

15 Jahre nach <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung<br />

bleibt jedoch noch viel Arbeit. Während in<br />

den westlichen Bundeslän<strong>der</strong>n nahezu je<strong>der</strong><br />

Dritte im Sportverein aktiv ist, liegt die<br />

Zahl im Osten bei ungefähr zwölf Prozent.<br />

Hingegen stammen 80 Prozent <strong>der</strong> deutschen<br />

Sieger bei „Jugend trainiert für Olympia“<br />

aus den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n. Die<br />

Nachwuchsarbeit ostdeutscher Vereine ist<br />

vorbildhaft. Das wissen auch die Manager<br />

<strong>der</strong> Fußball-Bundesligaklubs. „Mit 15 Jahren<br />

spielen in den Auswahlmannschaften<br />

des DFB Talente aus Halle o<strong>der</strong> Leipzig,<br />

mit 18 o<strong>der</strong> 19 steht hinter den selben Namen<br />

Leverkusen o<strong>der</strong> München“; umreißt<br />

Hans-Georg Moldenhauer, als DFB-<br />

Vizepräsident zuständig für die Zukunftsentwicklung<br />

des deutschen Fußballs, die<br />

gegenwärtigen Probleme. „Die Hauptsponsoren<br />

sitzen nach wie vor im Westen.“<br />

Ihren Sitz im Westen haben ebenso die<br />

Fachverbände und Dachorganisationen des<br />

deutschen Sports – nach 15 Jahren Einheit<br />

ist diese geografische Verteilung immer<br />

noch streng asymmetrisch.<br />

Natürlich ist auch zu fragen, inwieweit<br />

1989/90 Chancen zu einer Mo<strong>der</strong>nisierung<br />

des bundesdeutschen Sportsystems verspielt<br />

wurden. So gab <strong>der</strong> Präsident des<br />

Nationalen Olympischen Komitees Willi<br />

Daume im Juni 1990 zu bedenken: „Niemals<br />

wird eine so günstige Gelegenheit<br />

wie<strong>der</strong>kommen, das ganze Gefüge <strong>der</strong><br />

Spitzenorganisationen des deutschen<br />

Sports mal gründlich zu durchdenken und<br />

zu überprüfen. Unsere Organisationen bestehen<br />

mehr o<strong>der</strong> weniger seit Jahrzehnten.<br />

Da sammelt sich Rost und Schwamm an.<br />

Da kommt es zu Betriebsblindheit. Braucht<br />

man überhaupt so viele Organisationen?“<br />

Wie die bevorstehende Fusion von NOK<br />

und DSB zeigt, wurden in den Wende- und<br />

Vereinigungsmonaten im Sport Grundsatzfragen<br />

gestellt, die <strong>bis</strong> heute ihre Aktualität<br />

und Brisanz behalten haben.


Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.12.1990<br />

Überzeugendes Votum für Hans Hansen als Präsidenten<br />

Vereinigung des deutschen Sports ohne Pathos und Hurra<br />

HANNOVER. „Wir krempeln die<br />

Ärmel hoch und packen an“, rief <strong>der</strong><br />

Präsident. „Die Ärmel bleiben weiter<br />

hochgekrempelt“, rief auch <strong>der</strong> ehemalige<br />

Präsident. Bei <strong>der</strong> Vereinigung des<br />

deutschen Sports in Hannover, dem<br />

Beitritt <strong>der</strong> neuen Landessportbünde<br />

zum <strong>Deutsche</strong>n Sportbund (DSB) in<br />

einer vorgezogenen Hauptausschußsitzung<br />

am frühen Morgen, wehte <strong>der</strong><br />

Geist <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong>zeit durch den Kuppelsaal.<br />

Hans Hansen, mit dem überzeugenden<br />

Votum von 502 Ja- bei 33<br />

Nein-Stimmen wie<strong>der</strong>gewählter DSB-<br />

Präsident, vermied jeden Anflug von<br />

Pathos und Hurra-Stimmung. Er kündigte<br />

den Delegierten seines nun 24<br />

Millionen Mitglie<strong>der</strong> starken Verbandes<br />

statt dessen an, daß noch viel Arbeit<br />

warte; beim Aufbau demokratischer<br />

Strukturen, bei <strong>der</strong> Sanierung und<br />

Erneuerung von Sportanlagen und bei<br />

<strong>der</strong> Bewältigung von Umweltfragen in<br />

<strong>der</strong> ehemaligen DDR.<br />

Auch Martin Kilian, <strong>der</strong> letzte Präsident<br />

des <strong>Deutsche</strong>n Turn- und Sportbundes<br />

(DTSB) <strong>der</strong> DDR, angetreten<br />

im März als Demokratisierer und Liquidator,<br />

mochte nicht viel Aufhebens<br />

machen um den Sport in Deutschland<br />

von einst und jetzt, von hüben und<br />

drüben und um die einstimmige Aufnahme<br />

<strong>der</strong> Landessportbünde von<br />

Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern,<br />

Sachsen-Anhalt, Sachsen und<br />

Thüringen. Erst nachdem er auch zum<br />

Vizepräsidenten gewählt war, ergriff er<br />

das Wort und sagte, daß er, 27 Jahre<br />

lang Bürgermeister von Wernigerode<br />

im Harz, sich von <strong>der</strong> SED gelöst habe<br />

und im Ort immer noch freundlich<br />

gegrüßt werde – keine Gefahr also, das<br />

Präsidium mit politischer Altlast zu<br />

befrachten. Schnell ging <strong>der</strong> Blick<br />

wie<strong>der</strong> nach vorn. Kilian versprach vor<br />

allem fleißige Arbeit.<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung 17. Dezember 1990<br />

Den Blick hatte man beim DSB<br />

schon am Donnerstagabend <strong>zur</strong>ück<br />

gewandt. Klaus Kotter, Präsident des<br />

Bob- und Schlittensportverbandes, gab<br />

in <strong>der</strong> Ständigen Konferenz <strong>der</strong> Spitzenverbände<br />

eine Ehrenerklärung für<br />

Kilian ab, <strong>der</strong> einst dem entsprechenden<br />

Verband in <strong>der</strong> DDR vorgestanden<br />

hatte. Günter Meinen, Präsident des<br />

Tanzsportverbandes, berichtete, daß<br />

seiner Verwandtschaft in Wernigerode<br />

nichts Nachteiliges über Kilian bekanntgeworden<br />

sei. Manfred von<br />

Richthofen, als Präsident des Landessportbundes<br />

Berlin mitten in den Turbulenzen<br />

<strong>der</strong> Vereinigung, lobte Kilian<br />

in Hannover des weiteren als einen<br />

seiner besten Verhandlungspartner. Die<br />

beiden werden weiterhin miteinan<strong>der</strong><br />

zu tun haben. Auch von Richthofen<br />

wurde als Vizepräsident ins erweiterte<br />

DSB-Präsidium gewählt.<br />

Die deutlichsten Worte wurden beim<br />

Bundestag des Sportbundes außerhalb<br />

<strong>der</strong> Vollversammlung gesprochen. Als<br />

<strong>der</strong> Baron aus Berlin mit scharfen<br />

Worten bemerkte, es sei erstaunlich,<br />

mit welcher Ignoranz dem Sport begegnet<br />

werde in den neuen Län<strong>der</strong>n,<br />

beson<strong>der</strong>s von Neu-Politikern und ihren<br />

Stützen aus dem Westen, da waren im<br />

Arbeitskreis „Sportpolitik“ nur einige<br />

Handvoll Gesprächspartner und Zuhörer<br />

anwesend. So entging den meisten<br />

auch, wie dem Konservativen die SPD-<br />

Sportdezernentin <strong>der</strong> Stadt Frankfurt<br />

am Main, Sylvia Schenk, beisprang:<br />

„Diese Ignoranz ist nicht überraschend,<br />

son<strong>der</strong>n typisch.“ Nicht nur die beiden<br />

streitbaren Sportpolitiker waren sich<br />

einig, nun mit Macht auf Gehör und<br />

Geltung und die Beteiligung an Lotto-<br />

und Toto-Gel<strong>der</strong>n zu pochen. „Je<br />

schwächer <strong>der</strong> Sport in den neuen<br />

Län<strong>der</strong>n wird“, sagte Sylvia Schenk,<br />

„desto schwächer wird er in Deutschland.“<br />

85<br />

<strong>Der</strong> Physiker Professor Gerhard<br />

Junghähnel, Präsident des Landessportbundes<br />

Brandenburg, beklagte,<br />

daß er noch keinen Termin bei Ministerpräsident<br />

Stolpe bekommen habe –<br />

„obwohl wir ihn bereits dreimal öffentlich<br />

kritisiert und die Zeitungen das<br />

sogar gebracht haben“. Hansen verriet,<br />

daß er sich bereits mit allen neuen<br />

Regierungschefs verabredet habe und<br />

gedenke, Sportführer aus den alten und<br />

neuen Län<strong>der</strong>n mitzunehmen zu den<br />

Besuchen. Er wolle die Chance nutzen,<br />

die die Regierungsbildung in Bonn und<br />

<strong>der</strong> Neubeginn in den fünf Län<strong>der</strong>n<br />

dem Sport böten.<br />

Trotzdem fand die ehemalige Mittelstreckenläuferin<br />

Sylvia Schenk Zustimmung,<br />

als sie konstatierte, dem<br />

DSB fehle es an Streitkultur. Bestätigt<br />

wurde sie vom DSB-Bundestag, als<br />

dieser den Antrag ablehnte, im neuen<br />

Statut endlich Formulierungen auch in<br />

<strong>der</strong> weiblichen Form zu verwenden,<br />

nicht nur von Sportlern und Präsidenten<br />

zu schreiben, son<strong>der</strong>n auch von Sportlerinnen<br />

und Präsidentinnen. Nicht<br />

inhaltlich wurde <strong>der</strong> seit Jahren immer<br />

wie<strong>der</strong>kehrende Antrag diskutiert,<br />

son<strong>der</strong>n man stritt über das Verfahren.<br />

Weil schließlich eine Zweidrittelmehrheit<br />

notwendig war und die Delegierten<br />

diese mit acht Stimmen verweigerten,<br />

wird <strong>der</strong> Frauenantrag auch beim<br />

nächsten Bundestag wie<strong>der</strong> behandelt<br />

werden.<br />

Viele Worte mag Hans Hansen auch<br />

nicht um seinen jüngste Entscheidung<br />

machen. Im neuen Jahr wird er sein<br />

Büro von Frankfurt am Main nach<br />

Berlin in das alte Gebäude des DTSB<br />

verlegen. „Das soll auch ein Zeichen<br />

für die neuen Verbände sein“, sagt<br />

Hansen, „daß sich mit ihrem Beitritt<br />

etwas verän<strong>der</strong>t hat.“ Da gilt es tatsächlich,<br />

die Ärmel hochzukrempeln.<br />

MICHAEL REINSCH


86<br />

Dezember 1990 – Eine Collage


Dezember 1990 – Eine Collage<br />

87


88<br />

Abkürzungsverzeichnis<br />

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS<br />

ADAC Allgemeiner <strong>Deutsche</strong>r Automobilclub<br />

ADMV Allgemeiner <strong>Deutsche</strong>r Motorsport-Verband <strong>der</strong> DDR<br />

ADN Allgemeiner <strong>Deutsche</strong>r Nachrichtendienst <strong>der</strong> DDR<br />

ARD Arbeitsgemeinschaft <strong>der</strong> öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunkanstalten <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland<br />

ASK Armeesportklub<br />

ASV Armeesportvereinigung<br />

BDS Bund deutscher Segler <strong>der</strong> DDR<br />

BFA Bezirksfachausschuss<br />

BFC Berliner Fußballclub<br />

BFV Berliner Fußballverband (West)<br />

BRD Bundesrepublik Deutschland<br />

BSG Betriebssportgemeinschaft<br />

BTZ Bezirkstrainingszentrum<br />

CSSR Tschechoslowakische Sozialistische Republik<br />

DAV <strong>Deutsche</strong>r Anglerverband <strong>der</strong> DDR<br />

DBB <strong>Deutsche</strong>r Basketball Bund<br />

DBSV <strong>Deutsche</strong>r Bogenschützen-Verband <strong>der</strong> DDR<br />

DBV <strong>Deutsche</strong>r Box-Verband <strong>der</strong> DDR<br />

DDR <strong>Deutsche</strong> Demokratische Republik<br />

DELV <strong>Deutsche</strong>r Eislauf-Verband <strong>der</strong> DDR<br />

DFV <strong>Deutsche</strong>r Fußball-Verband <strong>der</strong> DDR<br />

DFB <strong>Deutsche</strong>r Fußball Bund<br />

DGV <strong>Deutsche</strong>r Gewichtheber-Verband <strong>der</strong> DDR<br />

DHB <strong>Deutsche</strong>r Handball-Bund<br />

DHfK <strong>Deutsche</strong> Hochschule für Körperkultur und Sport<br />

DHSV <strong>Deutsche</strong>r Hockey-Sportverband <strong>der</strong> DDR<br />

DJV <strong>Deutsche</strong>r Judo-Verband <strong>der</strong> DDR<br />

DKBV <strong>Deutsche</strong>r Kraftsport- und Bodybuilding-Verband<br />

DKSV <strong>Deutsche</strong>r Kanu-Sport-Verband <strong>der</strong> DDR<br />

DKV <strong>Deutsche</strong>r Kegler-Verband <strong>der</strong> DDR<br />

DLV <strong>Deutsche</strong>r Leichtathletik-Verband<br />

dpa <strong>Deutsche</strong> Presseagentur<br />

DPV <strong>Deutsche</strong>r Pferdesport-Verband <strong>der</strong> DDR<br />

DRSV <strong>Deutsche</strong>r Rugby-Sportverband <strong>der</strong> DDR<br />

DRV <strong>Deutsche</strong>r Rollsport-Verband <strong>der</strong> DDR


Abkürzungsverzeichnis 89<br />

DS <strong>Deutsche</strong>r Sportausschuss<br />

DSA <strong>Deutsche</strong>r Sportausschuss<br />

DSB <strong>Deutsche</strong>r Sportbund<br />

DSBV <strong>Deutsche</strong>r Schlitten- und Bobsportverband <strong>der</strong> DDR<br />

DSLV <strong>Deutsche</strong>r Skiläufer-Verband <strong>der</strong> DDR<br />

DSSV <strong>Deutsche</strong>r Segelsport-Verband<br />

DSVB <strong>Deutsche</strong>r Sportverband Volleyball <strong>der</strong> DDR<br />

DTSB <strong>Deutsche</strong>r Turn- und Sportbund <strong>der</strong> DDR<br />

DTTV <strong>Deutsche</strong>r Tischtennis-Verband <strong>der</strong> DDR<br />

DTU <strong>Deutsche</strong> Triathlon-Union<br />

DTV <strong>Deutsche</strong>r Turn-Verband <strong>der</strong> DDR<br />

DVB <strong>Deutsche</strong>r Boxverband<br />

DVfL <strong>Deutsche</strong>r Verband für Leichtathletik<br />

DVfV <strong>Deutsche</strong>r Verband für Versehrtensport <strong>der</strong> DDR<br />

DVV <strong>Deutsche</strong>r Volleyball-Verband<br />

DWBO <strong>Deutsche</strong>r Verband für Wan<strong>der</strong>n, Bergsteigen und Orientierungslauf<br />

<strong>der</strong> DDR<br />

DWBV <strong>Deutsche</strong>r Wan<strong>der</strong>er- und Bergsteigerverband<br />

e. V. eingetragener Verein<br />

EM Europameisterschaft<br />

FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung<br />

FC Fußballclub<br />

FDJ (fdj) Freie <strong>Deutsche</strong> Jugend<br />

FES Freizeit- und Erholungssport<br />

FIFA Fédération Internationale de Football Association.<br />

Internationaler Fußballverband.<br />

FKS Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport<br />

FR Frankfurter Rundschau<br />

FVB Fußballverband Berlin (Ost)<br />

geb. geboren(e)<br />

GST Gesellschaft für Sport und Technik<br />

KFA Kreisfachausschuss<br />

KJS Kin<strong>der</strong> und Jugendsportschule<br />

LSB Landessportbund<br />

MfS Ministerium für Staatssicherheit


90<br />

Abkürzungsverzeichnis<br />

ND Neues Deutschland<br />

NF Neues Forum<br />

NOFV Nordostdeutscher Fußballverband<br />

NOK Nationales Olympisches Komitee<br />

PSV Polizeisportverein<br />

SC Sportclub<br />

SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands<br />

SED/PDS Sozialistische Einheitspartei Deutschlands/ Partei des Demokratischen Sozialismus<br />

sid Sportinformationsdienst<br />

SMD Sportmedizinischer Dienst<br />

Stasi Staatssicherheit<br />

SV Sportverein<br />

SZ Süddeutsche Zeitung<br />

TSC Turn- und Sportclub<br />

TZ Trainingszentrum<br />

UdSSR Union <strong>der</strong> Sozialistischen Sowjetrepubliken<br />

UEFA Europäische Fußball-Union o<strong>der</strong> Union <strong>der</strong> Europäischen Fußball-Verbände<br />

USA United States of America (Vereinigte Staaten von Amerika)<br />

VEB Volkseigener Betrieb<br />

WM Weltmeisterschaft<br />

WZ Wissenschaftliches Zentrum<br />

ZK Zentralkomitee

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