Chronik der Sporteinheit – Vom Mauerfall bis zur - Der Deutsche ...
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Michael Barsuhn/Jutta Braun/Hans Joachim Teichler<br />
<strong>Chronik</strong> <strong>der</strong> <strong>Sporteinheit</strong><br />
vom <strong>Mauerfall</strong> <strong>bis</strong> <strong>zur</strong> Aufnahme <strong>der</strong> fünf neuen Landessportbünde<br />
am 15. Dezember 1990 in den <strong>Deutsche</strong>n Sportbund<br />
Mit freundlicher Unterstützung<br />
<strong>der</strong> Stiftung <strong>zur</strong> Aufarbeitung <strong>der</strong> SED-Diktatur, des <strong>Deutsche</strong>n Sportbundes und<br />
<strong>der</strong> Bundeszentrale für politische Bildung
Impressum<br />
Die <strong>Chronik</strong> <strong>der</strong> <strong>Sporteinheit</strong>: vom <strong>Mauerfall</strong> <strong>bis</strong> <strong>zur</strong> Aufnahme <strong>der</strong> fünf neuen Landessportbünde am<br />
15. Dezember 1990 in den <strong>Deutsche</strong>n Sportbund<br />
Autoren und Redaktion: Michael Barsuhn, Jutta Braun, Hans Joachim Teichler<br />
Layout: Berno Bahro, Jens Schielmann<br />
Weitere Mitarbeiter: Kristin Rybicki, Uta Langwisch, Martin Einsiedler, Tobias Kneschke, Jens Wissendaner<br />
Arbeitsbereich Zeitgeschichte des Sports<br />
Universität Potsdam<br />
Am Neuen Palais 10<br />
14469 Potsdam<br />
Prof. Dr. Hans Joachim Teichler<br />
(geb. 1946); Studium von Sport- und Sozialwissenschaft in Bonn bei Bernett und Bracher;<br />
Promovierte in Bochum bei Ueberhorst; drei Jahre Sportreferent <strong>der</strong> SPD-Bundestagsfraktion;<br />
Vertrauensdozent <strong>der</strong> Friedrich-Ebert-Stiftung; langjähriger Sprecher <strong>der</strong> Sektion Sportgeschichte<br />
in <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong>n Vereinigung für Sportwissenschaft; seit 1994 als Professor für<br />
Zeitgeschichte des Sports im Institut für Sportwissenschaft <strong>der</strong> Universität Potsdam tätig; Arbeitsschwerpunkte:<br />
Medien, Arbeitersport, Sportpolitik im Dritten Reich und Sportgeschichte<br />
<strong>der</strong> DDR.<br />
Dr. Jutta Braun<br />
(geb. 1967); Studium <strong>der</strong> Zeitgeschichte, Osteuropäischen Geschichte und Sinologie in München;<br />
1999 Promotion <strong>zur</strong> Enteignungspolitik in <strong>der</strong> DDR; Mitarbeiterin am Arbeitsbereich<br />
Zeitgeschichte des Sports <strong>der</strong> Universität Potsdam; Veröffentlichungen <strong>zur</strong> Justizgeschichte<br />
<strong>der</strong> DDR und den deutsch-deutschen Sportbeziehungen.<br />
Michael Barsuhn<br />
(geb. 1977), studierte Geschichte, Neuere deutsche Literaturwissenschaften und Politik an <strong>der</strong><br />
Humboldt-Universität zu Berlin; Mitarbeiter am Arbeitsbereich Zeitgeschichte des Sports an<br />
<strong>der</strong> Universität Potsdam; freier Sportjournalist, u. a. Berliner Zeitung, MAZ und Deutschlandfunk
INHALTSVERZEICHNIS<br />
Vorwort (Hans Joachim Teichler) 7<br />
NOVEMBER 1989<br />
<strong>Chronik</strong> 9<br />
Glasnost und Perestroika „Die Öffnung <strong>der</strong> Mauer kam für den Fußball<br />
eine Woche zu früh“ (Michael Barsuhn)<br />
10<br />
<strong>Chronik</strong> 11<br />
Frankfurter Rundschau 18. November 1989 12<br />
<strong>Chronik</strong> 13<br />
November `89 Collage 14<br />
DEZEMBER 1989<br />
<strong>Chronik</strong> 15<br />
Sport frei! Schon kurz nach dem <strong>Mauerfall</strong> gab es über 5.000<br />
deutsch-deutsche Begegnungen (Jutta Braun)<br />
16<br />
<strong>Chronik</strong> 17<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 11. Dezember 1989 18<br />
<strong>Chronik</strong> 19<br />
Dezember ´89 Collage 20<br />
JANUAR 1990<br />
<strong>Chronik</strong> 21<br />
Tod einer Massenorganisation (I). <strong>Der</strong> DTSB war in <strong>der</strong> Wendezeit<br />
nur scheinbar reformwillig (Michael Barsuhn)<br />
22<br />
<strong>Chronik</strong> 23<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 08. Januar 1990 24<br />
<strong>Chronik</strong> 25<br />
Januar ´90 Collage 26<br />
FEBRUAR 1990<br />
<strong>Chronik</strong> 27<br />
Go West! Trainer und Spitzensportler wechseln in den „goldenen<br />
Westen“ (Jutta Braun)<br />
28<br />
<strong>Chronik</strong> 29<br />
Süddeutsche Zeitung 5. Februar 1990 30<br />
<strong>Chronik</strong> 31<br />
Februar ´90 Collage 32
MÄRZ 1990<br />
<strong>Chronik</strong> 33<br />
Befreiung von <strong>der</strong> Altlast. Am 31. März 1990 wurde im DDR-<br />
Fußball <strong>der</strong> Demokratisierungsprozess eingeleitet (Michael Barsuhn)<br />
34<br />
<strong>Chronik</strong> 35<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 12. März 1990 36<br />
<strong>Chronik</strong> 37<br />
März´90 Collage 38<br />
APRIL 1990<br />
<strong>Chronik</strong> 39<br />
„Gemeinsam sind wir die Größten“? Olympia 1992 als Traum und<br />
Albtraum (Jutta Braun)<br />
40<br />
<strong>Chronik</strong> 41<br />
Süddeutsche Zeitung 6. April 1990 42<br />
<strong>Chronik</strong> 43<br />
April ´90 Collage 44<br />
MAI 1990<br />
<strong>Chronik</strong> 45<br />
Tod einer Massenorganisation (II) <strong>Der</strong> innere und äußere Machtverlust<br />
des DTSB (Jutta Braun)<br />
46<br />
<strong>Chronik</strong> 47<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 9. Mai 1990 48<br />
<strong>Chronik</strong> 49<br />
Mai ´90 Collage 50<br />
JUNI 1990<br />
<strong>Chronik</strong> 51<br />
„Was ist lila und pfeift <strong>zur</strong> Halbzeitpause?“ Sponsoring weckte große<br />
Hoffnungen, erfüllte aber nicht alle Erwartungen (Jutta Braun)<br />
52<br />
<strong>Chronik</strong> 53<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 25. Juni 1990 54<br />
<strong>Chronik</strong> 55<br />
Juni ´90 Collage 56<br />
JULI 1990<br />
<strong>Chronik</strong> 57<br />
Einheit und Zwietracht. Während Deutschland 1990 in Rom Fußball-<br />
Weltmeister wurde, stritten die Funktionäre um die Zukunft des gesamtdeutschen<br />
Fußballs (Michael Barsuhn)<br />
58<br />
<strong>Chronik</strong> 59<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 16. Juli 1990 60<br />
<strong>Chronik</strong> 61<br />
Juli ´90 Collage 62
AUGUST 1990<br />
<strong>Chronik</strong> 63<br />
„Geheimnisse“ des DDR-Sports. Die Nachwirkungen <strong>der</strong> Repression<br />
im DDR-Sport sind <strong>bis</strong> heute spürbar (Jutta Braun)<br />
64<br />
<strong>Chronik</strong> 65<br />
Süddeutsche Zeitung 18. August 1990 66<br />
<strong>Chronik</strong> 67<br />
August ´90 Collage 68<br />
SEPTEMBER 1990<br />
<strong>Chronik</strong> 69<br />
Schussfahrt in die Einheit. Im September 1990 begann die Vereinigung<br />
<strong>der</strong> Fachverbände (Michael Barsuhn)<br />
70<br />
<strong>Chronik</strong> 71<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 25. September 1990 72<br />
<strong>Chronik</strong> 73<br />
September ´90 Collage 74<br />
OKTOBER 1990<br />
<strong>Chronik</strong> 75<br />
„Ostdeutsch o<strong>der</strong> westdeutsch Ru<strong>der</strong>n?“ Bei <strong>der</strong> Vereinigung <strong>der</strong><br />
76<br />
Fachverbände erkannten ost- und westdeutsche Athleten schnell, dass<br />
sie künftig in einem Boot sitzen (Jutta Braun)<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 6. Oktober 1990 77<br />
Oktober ´90 Collage 78<br />
NOVEMBER 1990<br />
<strong>Chronik</strong> 79<br />
Die olympische Einheit. Ein schneller Zusammenschluss mit langfristigen<br />
Folgen (Michael Barsuhn und Jutta Braun)<br />
80<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 22. November 1990 81<br />
November ´90 Collage 82<br />
DEZEMBER 1990<br />
<strong>Chronik</strong> 83<br />
Rückblick. Die deutsche <strong>Sporteinheit</strong> – eine Zwischenbilanz nach 15<br />
Jahren (Michael Barsuhn und Jutta Braun)<br />
84<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 17. Dezember 1990 85<br />
Dezember ´90 Collagen 86<br />
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS<br />
88
Vorwort<br />
Vorwort<br />
von Hans Joachim Teichler<br />
7<br />
Hans Joachim Teichler<br />
<strong>Der</strong> Sport war ein Son<strong>der</strong>fall <strong>der</strong> deutschen Vereinigung. Während die meisten an<strong>der</strong>en Teile<br />
des DDR-Staates abgewirtschaftet hatten, war die DDR <strong>der</strong> Bundesrepublik in bestimmten<br />
Segmenten des Leistungssports seit Ende <strong>der</strong> 1960-er Jahre weit überlegen. Deshalb gab es<br />
zahlreiche Stimmen und Fragen im Vereinigungsprozess, welche Elemente des „Sportwun<strong>der</strong>landes<br />
DDR“ erhaltenswert seien.<br />
Diese Diskussion hält <strong>bis</strong> heute an.<br />
Ein historischer Son<strong>der</strong>fall liegt insofern vor, da hier ein (vermeintlich) positives Erbe des<br />
SED-Regimes <strong>zur</strong> Verhandlung stand. War alles tatsächlich so positiv, und was wurde im<br />
Zuge <strong>der</strong> Einheit aus den verschiedenen Elementen und Systembestandteilen des DDR-Sports<br />
gemacht? Die Dramatik und Brisanz, aber auch die Leichtigkeit <strong>der</strong> deutschen <strong>Sporteinheit</strong> im<br />
Jahr 1990 kann nachträglich nur verstanden werden, wenn man zuvor eine nüchterne Abschlussbilanz<br />
des west- und ostdeutschen Sports zieht und sich fragt, welche Merkmale und<br />
Strukturen den Sport auf beiden Seiten von Zonengrenze und Mauer bestimmten.<br />
<strong>Der</strong> Sport im Osten trat auf Geheiß <strong>der</strong> SED in eine Frontstellung gegen das „kapitalistische<br />
Ausland“; es entsprach <strong>der</strong> kommunistischen Erziehung, den westlichen Sport zu übertreffen<br />
und dessen Athleten als „Klassenfeinde“ zu betrachten. Dies war die offizielle Lesart, jedoch<br />
gab es neben <strong>der</strong> Abgrenzung oftmals auch eine deutsch-deutsche Sportkameradschaft auf <strong>der</strong><br />
unteren Basis und auch in Gremien auf internationalem Parkett. <strong>Der</strong> DSB bemühte sich in den<br />
seit 1974 geführten Kalen<strong>der</strong>gesprächen vergeblich um eine Intensivierung des deutschdeutschen<br />
Sportverkehrs vor allem auf <strong>der</strong> unteren Ebene und im grenznahen Bereich. Es<br />
blieb bei 80 <strong>bis</strong> 90 Ost-West-Begegnungen, denen im DTSB stets eine Schulung und meist<br />
auch ein Extra-Training vorausgingen. Auf <strong>der</strong> letzten Tagung des DTSB am 6.-8. November<br />
1989 in <strong>der</strong> SED-Parteischule Karl-Liebknecht in Kleinmachnow wurde allerdings deutlich,<br />
dass es ein ungebrochenes Interesse an gesamtdeutschen Begegnungen gab: die DTSB-<br />
Kreisvorsitzenden berichteten von sehr vielen Anträgen auf Städtepartnerschaften und West-<br />
Ost Austausch. Das dreistufige Antragsverfahren wurde an die Bezirke delegiert und auf ein<br />
zweistufiges reduziert. Als die Delegierten zu Hause ankamen, waren auch diese Bestimmungen<br />
<strong>zur</strong> Makulatur geworden. <strong>Der</strong> mit dem <strong>Mauerfall</strong> am 9. November gewonnenen Reisefreiheit<br />
hatte <strong>der</strong> DTSB nichts mehr entgegenzusetzen. Die Verkündigung des Endes <strong>der</strong> Kalen<strong>der</strong>vereinbarung<br />
und <strong>der</strong> Freiheit des deutsch-deutschen Sportverkehrs durch die Präsidenten<br />
von DSB und DTSB, Hans Hansen und Klaus Eichler am 17. November in Berlin, hatte<br />
nur noch einen nachträglichen formalen Charakter.<br />
Die Reisefreiheit öffnete aber auch den Blick auf die wesentlichen Unterscheidungspunkte<br />
nach vierzig Jahren Trennung. In <strong>der</strong> DDR gab es keine Vereine mehr. <strong>Der</strong> Basissport war<br />
an<strong>der</strong>s organisiert, meist über die Trägerbetriebe <strong>der</strong> Betriebssportgemeinschaften finanziert.<br />
Die seit 1957 festgefrorenen Mitgliedsbeiträge machten im Schnitt nur 6-8% <strong>der</strong> Sportkosten<br />
aus. Schnell wurden die Disproportionen im personellen Bereich deutlich. Während in <strong>der</strong><br />
DDR-Leichtathletik 592 Trainer im Verband und in den Clubs und Trainingszentren arbeiteten,<br />
waren im Westen nur 15 Trainer im DLV und ca. 30 in Großvereinen angestellt. Dabei<br />
hatte die westdeutsche Leichtathletik über 800.000 Mitglie<strong>der</strong>, während in <strong>der</strong> DDR etwa<br />
80.000 Leichtathleten aktiv waren. Ähnlich lag es im Ru<strong>der</strong>n: vier westdeutschen Trainern<br />
standen 60 Trainer in <strong>der</strong> DDR gegenüber. Die in einem Geheimtreffen im Dezember 1989<br />
zwischen Vertretern des Bundesausschuss Leistungssport und Experten <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong>n Hochschule<br />
für Körperkultur und Sport in Langen bei Frankfurt/M. genannte und zutreffende Zahl<br />
von ca. 8.000 DDR-Trainern im Nachwuchsbereich und im Leistungssport stieß im Westen<br />
auf Unglauben.
8<br />
Vorwort<br />
Hans Joachim Teichler<br />
Ein weiterer wesentlicher Unterschied lag, was sich aufgrund <strong>der</strong> geschönten DTSB-<br />
Statistiken erst später herausstellen sollte, im sportlichen Organisationsgrad <strong>der</strong> Bevölkerung.<br />
So waren im Bereich Potsdam (Stand und Umland) nur 13% <strong>der</strong> Bevölkerung sportlich organisiert,<br />
zieht man von den damaligen internen Zahlen die Angler und Sportgemeinschaften <strong>der</strong><br />
Armee und <strong>der</strong> Polizei ab. Über diesen geringen Organisationsgrad ist man <strong>bis</strong> heute noch<br />
nicht hinaus gekommen. In den Flächenlän<strong>der</strong>n <strong>der</strong> alten Bundesrepublik war ein Drittel <strong>der</strong><br />
Bevölkerung in Sportvereinen organisiert.<br />
Wie reagierte nun <strong>der</strong> Sport auf den Prozess <strong>der</strong> Wende? Während sich auf unterer Ebene<br />
Vereine wie<strong>der</strong>trafen, im grenznahen Bereich Wie<strong>der</strong>sehenssportfeste organisierten, Partnerschaften<br />
zwischen Ost und West geschlossen wurden, reagierte <strong>der</strong> Leistungssport verhaltener.<br />
Sportliche Rivalität war nicht nur staatlich verordnet, son<strong>der</strong>n auch den Sportlern in<br />
Fleisch und Blut übergegangen, so z.B. im Handball: Die Kieler ärgerten sich jedes Mal beson<strong>der</strong>s<br />
darüber, wenn sie gegen die Rostocker o<strong>der</strong> Magdeburger verloren.<br />
Im Prozess <strong>der</strong> Vereinigung fürchteten die jeweiligen Spitzensportler die Übermacht des an<strong>der</strong>en<br />
Staates in bestimmten Sportarten, so hatten etwa die West-Schwimmer Angst vor dem<br />
Verlust ihrer Startplätze bei Barcelona 1992. Und die DDR-Leichtathleten hatten beim letzten<br />
Start als eigenes Team bei den Europameisterschaften 1990 in Split den DLV förmlich deklassiert.<br />
Das Schweigekartell <strong>der</strong> DDR-Sportführung zum Thema Doping funktionierte solange<br />
die Regierung Modrow im Amt war. Seit März 1990 erschütterten immer neue Doping<br />
Enthüllungen die Sportwelt. Das Stasi-Thema rückte erst Ende 1990 in den Blickpunkt <strong>der</strong><br />
Öffentlichkeit. Die notwendige Aufarbeitung kam nur zögerlich in Gang.<br />
Auf ein weiteres Paradoxon <strong>der</strong> Vereinigung muss ebenfalls hingewiesen werden: Einerseits<br />
wurden (durch SED-Verstrickung belastete) Reiseka<strong>der</strong> <strong>der</strong> DDR durch die Demokratisierungswelle<br />
abgelöst; dies erschwerte jedoch an<strong>der</strong>erseits die Annäherung zwischen Ost und<br />
West, da <strong>der</strong> Westen an die international bekannten Gesichter gewöhnt war und damit oftmals<br />
die üblichen Kommunikationswege wegbrachen. Daraus resultierte im Westen eine gewisse<br />
Unsicherheit: Mit wem konnte man verhandeln, wer war legitimiert und wer nicht?<br />
War z.B. <strong>der</strong> DTSB aufgrund seiner neuen Spitze ein demokratisch legitimierter Verhandlungspartner?<br />
Die Sportministerin <strong>der</strong> DDR, die dies verneinte und konsequent die Verbände<br />
stärkte, handelte sich den Unwillen <strong>der</strong> Dachverbände von Ost und West ein.<br />
Wir werden in diesem Zusammenhang <strong>der</strong> Frage nachgehen müssen, welche Rolle die offizielle<br />
Sportpolitik in Ost und West spielte und ob es einen unabhängigen Weg des Sports in<br />
die deutsche Vereinigung gab. Es war die Stunde <strong>der</strong> Exekutive, welche die Richtung vorgab,<br />
im Einigungsvertrag aber den Breitensport ausklammerte. Das Jahr 1990 brachte für viele<br />
DDR-Sportler freudige Überraschungen aber auch Enttäuschungen: Viele Sportarten in <strong>der</strong><br />
DDR aus dem Korb <strong>der</strong> „nicht beson<strong>der</strong>s geför<strong>der</strong>ten Sportarten“ erlangten zwar wie<strong>der</strong> ihre<br />
Reisefreiheit, erhielten aber nicht die erhoffte finanzielle För<strong>der</strong>ung, z.B. Bogenschießen o<strong>der</strong><br />
Tennis. Zu berücksichtigen sind aber auch die vielen Neuanfänge und Erfolge <strong>der</strong> Wende<br />
(Karate, Triathlon, Drachenfliegen, Golf, Fanreisen in den Westen z.B. Son<strong>der</strong>züge zum WM-<br />
Qualifikationsspiel in Wien, Segeln und Surfen auf <strong>der</strong> Ostsee, <strong>der</strong> Neujahrslauf durch das<br />
Brandenburger Tor, <strong>der</strong> Wegfall <strong>der</strong> Wassersperren im Berliner Umland usw.).<br />
Viele Einrichtungen, wie die Runden Tische des Sports o<strong>der</strong> die Revisionskommissionen des<br />
DTSB, hatten nur eine kurze Lebensdauer und sind heute beinahe vergessen.<br />
Die folgende <strong>Chronik</strong> <strong>der</strong> „<strong>Deutsche</strong>n <strong>Sporteinheit</strong>“ soll an die vielfältigen und spannenden<br />
Ereignisse <strong>der</strong> 14 Monate vom <strong>Mauerfall</strong> <strong>bis</strong> <strong>zur</strong> Vereinigung des deutschen Sports am 10.<br />
Dezember 1990 in Hannover erinnern und eine Basis für die sportgeschichtliche Aufarbeitung<br />
dieser lebhaften Zeit schaffen.
<strong>Chronik</strong> November 1989 9<br />
November 1989<br />
04.11.1989<br />
Berlin: Größte Protestdemonstration in <strong>der</strong><br />
Geschichte <strong>der</strong> DDR auf dem Berliner Alexan<strong>der</strong>platz.<br />
06.11.-08.11.1989<br />
Kleinmachnow: dreitägige Beratung des<br />
Sekretariats des Bundesvorstandes des<br />
DTSB gemeinsam mit den Bezirks- und<br />
Kreisvorsitzenden sowie Generalsekretären<br />
<strong>der</strong> Sportverbände. <strong>Der</strong> DTSB will einen<br />
eigenständigen Beitrag leisten für „einen<br />
besseren Sozialismus in <strong>der</strong> DDR“. Dafür<br />
verlangt man eigene Mandate einschließlich<br />
zu bilden<strong>der</strong> Sportausschüsse in den<br />
Volksvertretungen.<br />
07.11.1989<br />
Rücktritt <strong>der</strong> Regierung <strong>der</strong> DDR.<br />
<strong>Der</strong> „Tagesspiegel“ meldet: <strong>Der</strong> Weltverband<br />
(FIVB) beschließt auf Antrag des<br />
Präsidenten des <strong>Deutsche</strong>n Volleyballverbandes<br />
(DVV), Roland Ma<strong>der</strong>, Umsiedler<br />
aus <strong>der</strong> DDR und anerkannte Asylbewerber<br />
ab sofort im Bereich des DVV in allen<br />
Klassen spielen zu lassen.<br />
09.11.1989<br />
Fall <strong>der</strong> Mauer – Öffnung <strong>der</strong> innerdeutschen<br />
Grenze.<br />
10.11.1989<br />
Das Präsidium des <strong>Deutsche</strong>n Fußballverbandes<br />
<strong>der</strong> DDR (DFV <strong>der</strong> DDR) verkündet<br />
ein Aktionsprogramm <strong>zur</strong> Demokratisierung<br />
des Verbandes.<br />
12.11.1989<br />
55.000 Zuschauer sehen im Olympiastadion<br />
die Zweitligabegegnung Hertha BSC<br />
gegen Wattenscheid 09 (1:1), darunter<br />
Tausende DDR-Bürger.<br />
13.11.1989<br />
Die Volkskammer wählt Hans Modrow<br />
zum neuen Ministerpräsidenten.<br />
Kreischa: Erstmals haben Sportjournalisten<br />
<strong>der</strong> DDR-Medien die Gelegenheit, sich<br />
über die Arbeit des offiziellen Dopingkontrolllabors<br />
<strong>der</strong> DDR zu informieren.<br />
15.11.1989<br />
Die DDR verliert in Wien gegen Österreich<br />
ihr entscheidendes WM-Qualifikationsspiel<br />
mit 0:3. „Am Rande wedelten<br />
die Spielerberater aus <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
mit ihren Geldscheinen.“ (Jürgen Nöldner,<br />
heute Kicker-Sportmagazin).<br />
DDR-Bürger erhalten Freikarten zu zahlreichen<br />
Sportveranstaltungen in <strong>der</strong> Bundesrepublik.<br />
Rundfunk-Premiere: zum ersten Mal übernimmt<br />
die ARD in ihren Rundfunkprogrammen<br />
einen vierminütigen Sportbeitrag<br />
<strong>der</strong> Ost-Reporter Oertel und Knobloch.<br />
Mitte November 1989<br />
Erste frei organisierte Basistagung <strong>der</strong> 15<br />
Vorsitzenden <strong>der</strong> Fußball-Bezirksfachausschüsse<br />
und <strong>der</strong>en Geschäftsführer in<br />
Magdeburg auf Initiative von Hans-Georg<br />
Moldenhauer.<br />
16.11.1989<br />
Mastercup-Gewinnerin Martina Navratilova<br />
hat doppelten Grund zum Jubeln. Die<br />
Öffnung <strong>der</strong> Grenzen ihres Heimatlandes<br />
CSSR rührte sie zu Tränen.<br />
17.11.1989<br />
DSB und DTSB verkünden, dass sich <strong>der</strong><br />
Sportverkehr zwischen den beiden deutschen<br />
Staaten nun frei und unreglementiert<br />
entfalten kann. Die Präsidenten <strong>der</strong> Dachverbände<br />
DSB Hans Hansen und DTSB<br />
Klaus Eichler vereinbaren nach einem<br />
Vier-Augen-Gespräch in Berlin den freien<br />
deutschen Sportverkehr.
10<br />
Glasnost und Perestroika – „Die Öffnung <strong>der</strong> Mauer kam für den Fußball eine Woche zu früh“<br />
Glasnost und Perestroika<br />
„Die Öffnung <strong>der</strong> Mauer kam für den<br />
Fußball eine Woche zu früh“<br />
von Michael Barsuhn<br />
November 1989. Als am 9. November<br />
1989 die Mauer fiel, war die Fußball-<br />
Nationalmannschaft <strong>der</strong> DDR mit ihren<br />
Gedanken schon im Ausland. Denn nur<br />
wenige Tage später, am 15. November,<br />
sollte das alles entscheidende WM-<br />
Qualifikationsspiel in Wien gegen Österreich<br />
stattfinden. Nun aber drängten die<br />
politischen Ereignisse den Sport in den<br />
Hintergrund. An eine geregelte Vorbereitung<br />
war nicht länger zu denken. Dennoch<br />
reiste <strong>der</strong> Tross um Trainer Eduard Geyer<br />
beson<strong>der</strong>s motiviert nach Wien. Nur bei<br />
einem Sieg würde man den fahrenden<br />
WM-Zug noch erreichen. Es winkte überhaupt<br />
erst die zweite WM-Teilnahme einer<br />
DDR-Fußball-Nationalmannschaft nach<br />
1974. Rein sportlich waren die Voraussetzungen<br />
gut. Schließlich hatte man sich in<br />
den letzten Partien keine Blöße gegeben.<br />
Spätestens seit dem hart umkämpften 2:1<br />
Erfolg gegen die Sowjetunion im Oktober<br />
1989 glaubten die von Glasnost und Perestroika<br />
umwehten Fußballfans <strong>der</strong> DDR<br />
wie<strong>der</strong> an ihre Mannschaft.<br />
Dass es am Ende trotz tausen<strong>der</strong> mitgereister<br />
Anhänger eine 0:3 Klatsche gab, lag<br />
sicherlich nicht nur am gut aufgelegten<br />
dreifachen Torschützen Toni Polster.<br />
„Obwohl man versucht hat die Mannschaft<br />
abzuschirmen waren da zig Medienvertreter<br />
und Berater von Bundesligaklubs,“ erinnert<br />
sich <strong>der</strong> damalige Chefredakteur des<br />
DDR-Fußballmagazins „Neue Fußballwoche“<br />
Jürgen Nöldner. Und fährt leicht zynisch<br />
fort: „Die Öffnung <strong>der</strong> Mauer kam<br />
für den Fußball einfach eine Woche zu<br />
früh.“<br />
Vielleicht war das aber auch nur eine Ausrede.<br />
Denn <strong>der</strong> DDR-Fußball war interna-<br />
Michael Barsuhn<br />
tional nie konkurrenzfähig. Ob Argentinien<br />
78, Spanien 82, o<strong>der</strong> Mexiko 86, nie hatte<br />
man die WM-Qualifikation heil überstanden.<br />
Die chronische Erfolglosigkeit gepaart<br />
mit fußballerischen Glanzlichtern <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
reizte die DDR-Sportführung.<br />
So taugte <strong>der</strong> Fußball als Mittel im Klassenkampf<br />
nicht viel. Die SED-Führung<br />
ließ das Massenspektakel im Inland zu,<br />
konzentrierte sich im internationalen politischen<br />
Kampf aber auf die leichter kontrollierbaren<br />
olympischen Einzeldisziplinen.<br />
Durch ein beson<strong>der</strong>s ausgefeiltes<br />
Sichtungssystem, Trainingszentren und<br />
nicht zuletzt den Einsatz so genannter unterstützen<strong>der</strong><br />
Mittel (Doping) gehörte die<br />
verhältnismäßig kleine DDR zusammen<br />
mit <strong>der</strong> UDSSR und den USA zum olympischen<br />
Triumvirat.<br />
Aber auch in <strong>der</strong> Mannschaftssportart Fußball<br />
kam die „Siegerdroge“ <strong>der</strong> DDR-<br />
Sportführung zum Einsatz. Axel Kruse, im<br />
Jahr 1989 Spieler beim DDR-Oberligisten<br />
Hansa Rostock, wurde vor einem Freundschaftsspiel<br />
gegen Schalke 04 aufgefor<strong>der</strong>t<br />
drei rote Pillen zu schlucken. „Ich bin abgegangen<br />
wie Schmitz Katze“, beschrieb<br />
Kruse die Wirkung <strong>der</strong> leistungssteigernden<br />
Substanzen. Beim Rostocker 2:1 Erfolg<br />
erzielte er beide Treffer, musste allerdings<br />
nach 70 Minuten mit Magenkrämpfen<br />
ausgewechselt werden.<br />
Körperliche Schmerzen hatten die Nationalspieler<br />
<strong>der</strong> DDR nach <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage<br />
von Wien sicherlich nicht. Und dass die<br />
Bundesrepublik zeitgleich durch ein glückliches<br />
2:1 gegen Wales die Qualifikation<br />
<strong>zur</strong> Weltmeisterschaft in Italien sicherstellte,<br />
war auch nicht mehr als die Fortsetzung<br />
einer altbekannten deutsch-deutschen Fußballgeschichte.
<strong>Chronik</strong> November 1989 11<br />
17.11.1989<br />
<strong>Der</strong> 1. FC Köln verteilt für das Bundesligaspiel<br />
gegen den 1. FC Kaiserslautern<br />
10.000 Freikarten an DDR-Bürger. Fußballzweitligist<br />
Blau-Weiß 90 Berlin gewährt<br />
DDR-Bürgern zukünftig freien Eintritt;<br />
freier Eintritt auch ins Eisstadion Berlin-Neukölln<br />
und Berlin-Wilmersdorf.<br />
Handballnationalspielerin Katja Kittel von<br />
SC Empor Rostock hat ihren Klub verlassen<br />
und weilt in Bremen.<br />
18.11.1989<br />
Außerordentliche Tagungen <strong>der</strong> Präsidien<br />
des <strong>Deutsche</strong>n Handball-, Volleyball- und<br />
Judoverbandes <strong>der</strong> DDR: For<strong>der</strong>ung nach<br />
mehr Eigenständigkeit.<br />
Juan Antonio Samaranch: die Zeit für eine<br />
gemeinsame Ausrichtung Olympischer<br />
Spiele in beiden Teilen Berlins ist noch<br />
nicht gekommen.<br />
Schwimmolympiasiegerin Kornelia En<strong>der</strong><br />
(München 1972/ Montreal 1976) verlässt<br />
die DDR in unbekannte Richtung.<br />
19.11.1989<br />
<strong>Der</strong> „Tagesspiegel“ meldet: <strong>Der</strong> 76-jährige<br />
Willi Daume ist zum 7. Mal als Präsident<br />
des NOK für Deutschland bestätigt worden.<br />
20.11.1989<br />
„Die Welt“ schreibt: Kristin Otto, die<br />
weltweit erfolgreichste Schwimmerin, tritt<br />
im Alter von 23 Jahren <strong>zur</strong>ück und wechselt<br />
in den Journalismus.<br />
<strong>Der</strong> „Tagesspiegel“ meldet: Annäherungsprozess:<br />
<strong>Der</strong> Präsident Manfred von Richthofen<br />
initiiert ein gemeinsames Training<br />
von Ost- und Westklubs in Berlin. Die<br />
Volleyballerinnen des Oberligisten TSV<br />
Rudow (West) treffen zusammen mit den<br />
Frauen des TSC Berlin (Ost), die Boxer<br />
vom Spandauer BC trainieren zusammen<br />
mit den Faustkämpfern des TSC Berlin.<br />
21.11.1989<br />
Öffentliches Forum zu Fragen des Sports<br />
in Frankfurt (O<strong>der</strong>).<br />
DDR-Handballverband tritt erstmals mit<br />
Trikotwerbung <strong>der</strong> Ladenkette „Kaufhof“<br />
beim Supercup <strong>der</strong> Männer in <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
auf.<br />
22.11.1989<br />
Innerhalb des Flug- und Fallschirmsportverbandes<br />
gründet sich <strong>der</strong> Klub <strong>der</strong> Drachenflieger.<br />
23.11.1989<br />
Die Straßenradsportler Schnei<strong>der</strong>, Freytag<br />
und Behrends haben den SC Cottbus in<br />
Richtung Bundesrepublik verlassen.<br />
Die „Märkische Volksstimme“ meldet:<br />
Vertrag zwischen NOK <strong>der</strong> DDR und <strong>der</strong><br />
Sportvermarktungsagentur ISL.<br />
24.11.1989<br />
Berlin: bei einer gemeinsamen Pressekonferenz<br />
verkünden Manfred von Richthofen,<br />
Präsident des Landessportbundes Berlin<br />
und <strong>der</strong> DTSB-Bezirksvorsitzende Ostberlins,<br />
Rudi Ebmeyer, die Zusammenarbeit<br />
bei <strong>der</strong> Organisation des Sports in beiden<br />
Teilen <strong>der</strong> Stadt zu verstärken.<br />
Nach <strong>der</strong> Verkündung des freien deutschen<br />
Sportverkehrs am 17. November 1989<br />
plant von Richthofen (LSB Berlin) rund 80<br />
sportliche Ost-West-Begegnungen <strong>bis</strong> zum<br />
Jahresende. Des weiteren erläutert von<br />
Richthofen den Wegfall des Zwangsumtausches<br />
bei Wettkampffahrten in den Osten<br />
sowie erleichterte Einreisebedingungen<br />
auch für westliche Sportjournalisten.<br />
25.11.1989<br />
Bonn: Bundeskanzler Helmut Kohl hat<br />
volle Unterstützung <strong>der</strong> Bundesregierung<br />
für den Sportverkehr zwischen beiden<br />
deutschen Staaten zugesagt.
12<br />
Frankfurter Rundschau 18.11.1989<br />
Gipfeltreffen zwischen Hans Hansen (DSB) und Klaus Eichler (DTSB) in West-Berlin<br />
Freier Sportverkehr löst die starren Kalen<strong>der</strong>gespräche ab<br />
Olympische Spiele in Berlin bleiben in <strong>der</strong> Diskussion / Gesamtdeutsche Mannschaft für beide<br />
Seiten kein Thema<br />
Von unserem Redaktionsmitglied Bianka Schreiber-Rietig (z. Z. West-Berlin)<br />
Konferenzorte von Hotels sind schon<br />
immer beliebte Orte gewesen, um<br />
Geschichte zu schreiben – auch Sportgeschichte.<br />
Am 8. Mai 1974 war im<br />
Ost-Berliner Hotel „Stadt Berlin“ die<br />
erste Vereinbarung nach dem Mauerbau<br />
von 1961 zwischen dem <strong>Deutsche</strong>n<br />
Sportbund (DSB) und dem <strong>Deutsche</strong>n<br />
Turn- und Sportbund (DTSB) <strong>der</strong> DDR<br />
zustande gekommen. 15 Jahre später<br />
war das traditionsreiche West-Berliner<br />
Nobelhotel Kempinski <strong>der</strong> Ort, an dem<br />
ein neues deutsch-deutsches Sportkapitel<br />
geschrieben wurde: Ab heute gibt es<br />
keinen diktierten deutsch-deutschen<br />
Sportkalen<strong>der</strong> mehr.<br />
DSB-Präsident Hans Hansen und<br />
DTSB-Präsident Klaus Eichler hatten<br />
sich ganz schnell am runden Tisch<br />
darauf geeinigt, daß die Kalen<strong>der</strong>gespräche<br />
in <strong>der</strong> <strong>bis</strong>herigen Form nicht<br />
mehr stattfinden werden. „Die Entwicklung<br />
ist weitergegangen und rechtfertigt<br />
den starren deutsch-deutschen<br />
Sportkalen<strong>der</strong> nun nicht mehr“, so<br />
Hansen. Eichler, <strong>der</strong> sehr gelöst wirkte,<br />
sagte zu dem Neubeginn: „Die jüngste<br />
Entwicklung in <strong>der</strong> DDR <strong>zur</strong> Erneuerung<br />
<strong>der</strong> sozialistischen Gesellschaft<br />
haben auch neue Bedingungen für<br />
Sportkontakte ermöglicht. Die Kontakte<br />
sind ein Beitrag gutnachbarschaftlicher<br />
Beziehungen. Ich sage ausdrücklich,<br />
daß <strong>der</strong> Sport in diese Beziehungen<br />
etwas einzubringen hat.“ Die Verhandlungsergebnisse<br />
sollen nun am<br />
11./12. Dezember in Frankfurt unterschriftsreif<br />
sein.<br />
In Zukunft werden DTSB und DSB<br />
nur noch koordinierend und helfend<br />
eingreifen, Sportbegegnungen sollen<br />
zwischen den Fachverbänden und den<br />
Landessportverbänden selbständig organisiert<br />
und abgesprochen werden.<br />
„Nur bei grenzüberschreitenden Veranstaltungen<br />
müssen wir dann schon<br />
zwischen DTSB und DSB Absprachen<br />
Frankfurter Rundschau 18. November 1989<br />
treffen“, so Eichler. Schriftlich wurde<br />
das so festgehalten: „Beide Seiten<br />
för<strong>der</strong>n die direkten und eigenverantwortlichen<br />
Absprachen zwischen den<br />
Verbänden, den Vereinen, Sportgemeinschaften<br />
und Institutionen in ihren<br />
Bereichen. Entsprechend den Bestimmungen<br />
und allgemeinen Gepflogenheiten<br />
des Internationalen Olympischen<br />
Komitees und <strong>der</strong> Internationalen<br />
Sportorganisation und, was Berlin-<br />
West betrifft, auch in Übereinstimmung<br />
mit dem Viermächte-Abkommen vom<br />
3. September 1971.“<br />
Themen, die in Zukunft die Präsidenten<br />
<strong>der</strong> beiden Dachorganisationen und<br />
Kommissionen beschäftigen werden,<br />
sind Umwelt und Doping. Wissenschaftliche<br />
Zusammenarbeit auf allen<br />
Ebenen wird es in Zukunft in erheblichem<br />
Maße geben. Wie intensiv die<br />
Sportbegegnungen in Zukunft sein<br />
werden – in diesem Jahr waren in den<br />
Kalen<strong>der</strong>gesprächen 130 vorgesehen –,<br />
kann keiner so richtig einschätzen.<br />
Thema zwischen Hansen und Eichler<br />
waren auch mögliche Olympische<br />
Spiele im Jahr 2004 in Berlin. Während<br />
Hansen vorsichtig meinte, solche Planungen<br />
seien immer von <strong>der</strong> politischen<br />
Großwetterlage abhängig, war<br />
Eichlers Antwort sehr diplomatisch:<br />
„Es würde die Basis erschrecken, wenn<br />
sich die Sportpräsidenten nicht für<br />
Olympische Spiele einsetzen würden,<br />
doch es ist verfrüht, konkrete Absichten<br />
zu äußern. Olympische Spiele<br />
haben Städte und Regionen verdient, in<br />
denen es gute politische und gesellschaftliche<br />
Verhältnisse gibt, wo es<br />
ruhige und friedvolle Verhältnisse gibt.<br />
Die Öffnung bringt nun auch in den<br />
DDR-Sport viel Bewegung. <strong>Der</strong> Leistungssport<br />
wird nicht mehr die Rolle<br />
spielen, die er <strong>bis</strong>her spielte: Unterhaltung<br />
statt ideologischem Prestigekampf<br />
mit dem Klassenfeind ist ange-<br />
sagt. Mit <strong>der</strong> Öffnung kommen For<strong>der</strong>ungen<br />
auf den DTSB zu, so zum Beispiel,<br />
daß Leistungssportler im Westen<br />
Geld verdienen wollen. Eichler zu<br />
möglichen Transfers: „Ich will das für<br />
die Zukunft nicht ausschließen. In den<br />
nächsten Tagen habe ich eine Begegnung<br />
mit bekannten Sportlern und<br />
Trainern unseres Landes, bei <strong>der</strong> wir<br />
über das Thema sprechen werden.<br />
Allerdings dürfen wir uns nicht <strong>der</strong><br />
Illusion hingeben, daß mit möglichen<br />
Transfers von Sportlern die ökonomische<br />
Situation im DDR-Sport geän<strong>der</strong>t<br />
werden kann.“<br />
Daß es keinen Exodus <strong>der</strong> DDR-<br />
Sportler via Westen gibt, davon ist<br />
Eichler überzeugt: „Ich gehe davon aus,<br />
daß unsere Sportler, die ihr Talent in<br />
<strong>der</strong> DDR ausprägen konnten, auch<br />
Medaillen für dieses Land gewinnen<br />
wollen. Die Gesamtoptik des DDR-<br />
Sports wird sich nicht verän<strong>der</strong>n.“<br />
In diesem Zusammenhang waren<br />
sich beide Präsidenten auch in <strong>der</strong><br />
Frage <strong>der</strong> Sperrbestimmungen einig.<br />
Beide Seiten wollen ein „liberalisiertes<br />
Vorgehen“ anstreben, wenn Sportler<br />
wechseln. Hansen sprach da auch den<br />
Fall des Leichtathleten Wolfgang<br />
Schmidt an: „Auch in diesem strittigen<br />
Fall werden wir im Hinblick auf die<br />
Europameisterschaften 1990 eine vernünftige<br />
Regelung finden.“<br />
Das neue deutsch-deutsche Sportgefühl<br />
Voraussetzung für eine gesamtdeutsche<br />
Mannschaft? Knappe Antwort<br />
des DTSB-Präsidenten: „Sicher nicht.“<br />
Und Hansen meinte: „Die Sportbeziehungen<br />
werden zu normalen Verhältnissen<br />
führen, wie wir sie mit an<strong>der</strong>en<br />
Län<strong>der</strong>n haben, aber am Ende kann<br />
nach meiner Auffassung keine gesamtdeutsche<br />
Mannschaft stehen. <strong>Der</strong>artige<br />
Überlegungen halte ich für abwegig.“
<strong>Chronik</strong> November 1989 13<br />
25.11.1989<br />
Roland Matthes, mehrfacher DDR-<br />
Olympiasieger im Schwimmen (1968-<br />
1976) und 7facher Sportler des Jahres, ist<br />
mit seiner Frau in die Bundesrepublik übergesiedelt.<br />
Die Interessensgemeinschaft Triathlon hat<br />
sich auf ihrer Jahreshauptversammlung<br />
positiv über eine bevorstehende Aufnahme<br />
eines separaten Verbandes in den DTSB<br />
geäußert.<br />
27.11.1989<br />
DTSB-Präsident Hans Eichler übt im<br />
Sportgespräch des Deutschlandfunks Kritik<br />
an <strong>der</strong> Sportpolitik <strong>der</strong> DDR. Nach Eichler<br />
besäße Ostdeutschland nur un<strong>zur</strong>eichende<br />
Sportstätten und mäßige Infrastrukturen.<br />
Des weiteren kritisiert er seinen Vorgänger<br />
Manfred Ewald, <strong>der</strong> Ende <strong>der</strong> 60-er Jahre<br />
die Ausselektierung vieler Sportarten aus<br />
<strong>der</strong> internationalen För<strong>der</strong>ung verantwortete.<br />
<strong>Der</strong> Skiläufer-Verband beschloss auf einer<br />
außerordentlichen Tagung, dass künftig<br />
alle Disziplinen gleichberechtigt sind.<br />
Berlin (West): Joachim Ziesche, Trainer<br />
<strong>der</strong> DDR-Eishockeyauswahl, plädiert für<br />
ein Län<strong>der</strong>spiel zwischen <strong>der</strong> DDR und <strong>der</strong><br />
Bundesrepublik.<br />
Katarina Witt wehrt sich in einem Interview<br />
mit dem Deutschlandfunk gegen Kritik<br />
an <strong>der</strong> Privilegierung von Spitzensportlern<br />
in <strong>der</strong> DDR.<br />
28.11.1989<br />
Helmut Kohl verkündet Zehn-Punkte-Plan<br />
<strong>zur</strong> Überwindung <strong>der</strong> deutschen Teilung.<br />
Das Präsidium des DDR-Boxverbandes<br />
bekennt sich <strong>zur</strong> gesellschaftlichen Erneuerung<br />
in <strong>der</strong> DDR und lehnt die Einführung<br />
des Profiboxsports im gleichen Atemzug<br />
ab.<br />
<strong>Der</strong> „Tagesspiegel“ schreibt: Auf einer<br />
außerordentlichen Tagung in Oberwiesenthal<br />
beschließt das Präsidium des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Skiläuferverbandes <strong>der</strong> DDR, alle<br />
Disziplinen, auch den alpinen Rennsport,<br />
gleichberechtigt finanziell zu unterstützen.<br />
<strong>Der</strong> Verband gründet zudem einen Skipool,<br />
dem auch alpine Skisportfirmen angehören<br />
sollen.<br />
29./30.11.1989<br />
Kienbaum: 15. Tagung des DTSB-Bundesvorstandes<br />
in <strong>der</strong> Sportschule Kienbaum.<br />
Medienvertreter sind nicht zugelassen.<br />
Klaus Eichler wird als Präsident ohne eine<br />
Gegenstimme bestätigt. Die Anzahl <strong>der</strong><br />
Vizepräsidenten wird von elf auf fünf reduziert.<br />
Ein Positionspapier <strong>zur</strong> Erneuerung<br />
des DTSB wird vorgelegt.<br />
30.11.1989<br />
<strong>Der</strong> Präsident des Westberliner Fußballverbandes<br />
(BFV), Uwe Hammer, ruft alle<br />
Weltfußballvereine zu Freundschaftsspielen<br />
mit <strong>der</strong> DDR auf. In <strong>der</strong> letzten November-Woche<br />
waren bereits mit <strong>der</strong> BSG<br />
Turbine, Einheit Pankow und Lichtenberg<br />
47 drei Vereine zu Gast in West-Berlin.
14<br />
November 1989 – Eine Collage
<strong>Chronik</strong> Dezember 1989 15<br />
Dezember 1989<br />
01.12.1989<br />
Kritik <strong>der</strong> ADN-Sportredaktion am Medienausschluss<br />
bei <strong>der</strong> Bundesvorstandssitzung<br />
des DTSB in Kienbaum.<br />
Die Volkskammer beschließt die Streichung<br />
<strong>der</strong> <strong>bis</strong>her in <strong>der</strong> Verfassung verankerten<br />
Führungsrolle <strong>der</strong> SED.<br />
Erstes Treffen DFV/DFB in Franfurt a. M.<br />
auf <strong>der</strong> Basis zweier souveräner Verbände:<br />
Erfahrungsaustausch zwischen DFV und<br />
DFB auf allen Ebenen. Die Fußballnationalmannschaften<br />
von <strong>der</strong> DDR und <strong>der</strong><br />
Bundesrepublik sollen 1990 ein Län<strong>der</strong>spiel<br />
bestreiten; Klärung über Transferbestimmungen.<br />
Erstmals wird ein Fußballsspiel wegen<br />
Smogalarm abgesagt (Lokomotive Leipzig<br />
– Dynamo Dresden).<br />
02./03.12.1989<br />
Tagungen mehrerer Sportfachverbände <strong>der</strong><br />
DDR. (Schwimmsportverband, Ru<strong>der</strong>sportverband,<br />
Ringerverband, Leichtathletikverband<br />
und <strong>der</strong> Basketballverband).<br />
03.12.1989<br />
ZK und Politbüro <strong>der</strong> SED treten endgültig<br />
<strong>zur</strong>ück.<br />
Erstmals nehmen Motorsportler des<br />
ADMV <strong>der</strong> DDR bei <strong>der</strong> 19. ADAC/PRS-<br />
Rallye des ADAC Berlin teil.<br />
04.12.1989<br />
Basketballer treffen sich in Westberlin:<br />
Kontaktaufnahme zwischen DBB und<br />
DBV-Vertretern. Sofortige Wie<strong>der</strong>aufnahme<br />
des Spielverkehrs auf allen Ebenen.<br />
Schwerin: Das Präsidium des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Tennis-Verbandes <strong>der</strong> DDR beschließt<br />
Nachwuchs- und Leistungssportlern mehr<br />
internationale Wettkampfmöglichkeiten zu<br />
bieten und den Breitensport zu för<strong>der</strong>n.<br />
<strong>Der</strong> Verband stellt den Antrag <strong>zur</strong> Aufnahme<br />
in den Europäischen Tennisverband.<br />
Präsidiumstagung des Schwimm- und des<br />
Ru<strong>der</strong>verbandes: Breiten- und Leistungssport<br />
sollen künftig gleichberechtigt behandelt<br />
werden, bei gleichzeitiger Behauptung<br />
<strong>der</strong> Spitzenpositionen im Weltsport.<br />
44. Tagung des DTSB-Präsidiums legt ein<br />
Papier vor „Für einen neuen DTSB“.<br />
05.12.1989<br />
<strong>Der</strong> „Tagesspiegel“ meldet: Wolfgang<br />
Spitzner, Generalsekretär des Fußballverbandes<br />
(DFV <strong>der</strong> DDR) bestätigt in „Die<br />
Welt“ den Verdacht auf Schiedsrichtermanipulationen<br />
im Zusammenhang mit Spielen<br />
des BFC Dynamo Berlin (1978-1988<br />
zehn DDR-Meisterschaften in Serie).<br />
06.12.1989<br />
In einer Pressemitteilung erklärt Jochen<br />
Brauer, <strong>der</strong> sportpolitische Sprecher <strong>der</strong><br />
Grünen im Bundestag: „ Die For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
großen Koalition, Olympische Spiele in<br />
Berlin durch zu führen, lehne ich ab!“ Titel<br />
<strong>der</strong> PM: „Keine Olympischen Spiele im<br />
Sinne nationaler Vereinigungswünsche.“
16<br />
Sport frei! – Schon kurz nach dem <strong>Mauerfall</strong> gab es über 5.000 deutsch-deutsche Begegnungen<br />
Sport frei!<br />
Schon kurz nach dem <strong>Mauerfall</strong> gab es<br />
über 5.000 deutsch-deutsche Begegnungen<br />
von Jutta Braun<br />
Dezember 1989. <strong>Der</strong> <strong>Mauerfall</strong> war auch für<br />
den Sport in Ost und West ein zentrales Ereignis.<br />
„Wir haben jetzt sportliche Zustände<br />
wie vor 1961: Unkompliziert, direkt, begleitet<br />
von viel gutem Willen“ freute sich Manfred<br />
von Richthofen, damals Präsident des<br />
Landessportbundes von West-Berlin. Tatsächlich<br />
hatte die Öffnung <strong>der</strong> Grenzen auch<br />
für die Athleten ungeahnte Bewegungsfreiheit<br />
gebracht. Am 17. November erfolgte die<br />
historische Entscheidung <strong>der</strong> Sportführungen<br />
von Bundesrepublik und DDR, den innerdeutschen<br />
Sportverkehr „freizugeben“. Die<br />
Sportler konnten nun erstmals seit 28 Jahren<br />
ihre Treffen wie<strong>der</strong> völlig selbstbestimmt,<br />
ohne bürokratischen Vorlauf und vor allem<br />
zahlenmäßige Limitierung festlegen. Insbeson<strong>der</strong>e<br />
die Berliner ließen sich dies nicht<br />
zweimal sagen. Schon wenige Tage nach<br />
Maueröffnung wurde von Wedding <strong>bis</strong> Köpenick<br />
wie<strong>der</strong> gesamtdeutsch Handball,<br />
Fußball und Schach gespielt. Überall in<br />
Deutschland regten sich die Anzeichen eines<br />
Frühlings im innerdeutschen Sporttreiben:<br />
Noch im Jahr 1989 kam es zu Hun<strong>der</strong>ten<br />
Treffen, im Frühjahr des nächsten Jahres<br />
stieg die Zahl „explosionsartig“ auf 5.000<br />
Begegnungen. Zu einem Volksfest geriet<br />
wenige Wochen nach dem <strong>Mauerfall</strong> bereits<br />
<strong>der</strong> Gesamt-Berliner Neujahrslauf. 30.000<br />
Läufer fanden sich zu diesem historischen<br />
Frühsport nach einer langen Silvesternacht<br />
ein. In den Jahren zuvor durften Sportler aus<br />
<strong>der</strong> DDR sich hier nicht einreihen, inoffiziell<br />
Teilnehmende mussten mit Repressalien<br />
rechnen. Wie weit die Angst ging, zeigt das<br />
Beispiel eines ostdeutschen Läufers, <strong>der</strong> in<br />
den Jahren vor <strong>der</strong> Wende zunächst unter<br />
dem Namen seiner Katze, dann unter dem<br />
seines Heimatdorfes startete. Erst im Rentenalter<br />
wagte er es, unter seinem richtigen<br />
Namen anzutreten. <strong>Der</strong>artige Schwierigkeiten<br />
waren jedoch am euphorischen Januarmorgen<br />
1990 vergessen.<br />
Jutta Braun<br />
Vielerorts in Deutschland konnten traditionelle<br />
Veranstaltungen, die aufgrund <strong>der</strong><br />
Grenzziehung für Jahrzehnte zwangspausiert<br />
hatten, endlich wie<strong>der</strong> aufleben. So startete<br />
am 8. September 1990 erstmals wie<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
legendäre Harzer Brockenlauf, <strong>der</strong> 1927 ins<br />
Leben gerufen und dann 1960 zum 20. und<br />
vorerst letzten Mal durchgeführt worden<br />
war. NOK-Generalsekretär Walther Tröger,<br />
dreimaliger Gewinner des Brockenlaufes von<br />
1954 <strong>bis</strong> 1956, gab „freudig und sichtbar<br />
bewegt“ das Startkommando für die mehr als<br />
450 Teilnehmer aus Ost und West, unter<br />
ihnen mit <strong>der</strong> Startnummer 1 <strong>der</strong> Sieger des<br />
letzten Brockenlaufs 1960.<br />
Emotionaler und symbolischer Höhepunkt<br />
war jedoch <strong>der</strong> 17. Berlin Marathon am 30.<br />
September. Nur drei Tage vor <strong>der</strong> deutschen<br />
Vereinigung fielen für nahezu 25 Tausend<br />
Läuferinnen und Läufer aus 61 Nationen alle<br />
trennenden Schranken. Begleitet von einem<br />
Medienrummel ohnegleichen vollzogen jubelnde<br />
Marathon-Läufer aus allen Kontinenten<br />
die Verschmelzung <strong>der</strong> <strong>bis</strong>lang geteilten<br />
Stadt. Fast eine Million Zuschauer feierten<br />
das Ereignis. Die beiden Stadtoberhäupter<br />
Walter Momper und Tino Schwierzina ließen<br />
mit dem Startschuss am Charlottenburger<br />
Tor Wirklichkeit werden, was noch vor<br />
einem Jahr nur eine schöne Wunschvorstellung<br />
war. Ein ostdeutscher Redakteur <strong>der</strong><br />
Fachzeitschrift „Leichtathlet“ war bei den 42<br />
km dabei und hielt seine Gefühle in „Notizen<br />
aus dem Mittelfeld“ fest: „Darauf haben wir,<br />
die Läufergemeinde <strong>der</strong> DDR lange, lange<br />
Jahre gewartet: Ein Start beim Berlin-<br />
Marathon! Ich kann mich gut erinnern, wie<br />
uns zumute war, als wir zu gleicher Stunde<br />
vor Jahren unseren kleinen Wettkampf im<br />
Ostberliner Plänterwald hatten und wie wir<br />
mit dem Herzen bei den Zehntausenden waren,<br />
die im damals unerreichbaren Westberlin<br />
vor einer Riesenkulisse beim Marathon<br />
starten durften. Selten habe ich mich so eingemauert<br />
gefühlt wie in diesem Moment.“<br />
Die Vereinigung vollzog sich auch bei <strong>der</strong><br />
Siegerehrung: Mit <strong>der</strong> inzwischen in Steglitz<br />
wohnenden Uta Pippig gewann in <strong>der</strong> neuen<br />
Streckenrekordzeit eine Läuferin aus Potsdam.
<strong>Chronik</strong> Dezember 1989<br />
07.12.1989<br />
In Berlin tritt erstmals <strong>der</strong> Zentrale Runde<br />
Tisch zusammen.<br />
Rücktritt des Staatsratvorsitzenden Egon<br />
Krenz.<br />
Leipzig: Das „Neue Forum“ übergibt dem<br />
ADN ein Positionspapier „Zur Ethik und<br />
Moral des Sports“.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Deutsche</strong> Eislaufverband <strong>der</strong> DDR hat<br />
zugestimmt, dass <strong>der</strong> ehemalige Kapitän<br />
<strong>der</strong> Eishockey-Nationalmannschaft Dieter<br />
Frenzel <strong>bis</strong> Mitte April 1990 eine Gastspielgenehmigung<br />
für den EC Ratingen<br />
erhält.<br />
08.12.1989<br />
Volkskammer berät Wahlgesetz.<br />
Im „Neuen Deutschland“ erwähnt Manfred<br />
Ewald den Freitod des DTSB-<br />
Vizepräsidenten Franz Rydz. In seinen<br />
Schubladen wurden 300.000 West-Mark<br />
gefunden, was Vorwürfe gegen das Finanzgebaren<br />
des DTSB auslöste.<br />
09.12.1989<br />
Cottbus: 22. Tagung des DTSB-<br />
Bezirksvorstandes. Bezirksvorstand Cottbus<br />
for<strong>der</strong>t Rücktritt des DTSB Präsidenten.<br />
11.12.1989<br />
Samaranch begrüßt Olympiapläne Berlins.<br />
Vertreter des SC Charlottenburg trafen sich<br />
in Cottbus mit dem SC Cottbus zu Gesprächen<br />
über eine zukünftige Zusammenarbeit<br />
bei<strong>der</strong> Klubs.<br />
Berlin: Diskussion des Ministerpräsidenten<br />
Hans Modrow mit Sportlern, Trainern,<br />
Funktionären sowie Wissenschaftlern und<br />
Sportmedizinern über den Ausbau des<br />
Breitensports sowie die Unterstützung <strong>der</strong><br />
Entwicklung aller Talente.<br />
12.12.1989<br />
DTSB Präsident Eichler tritt nach massiven<br />
Protesten aus dem ganzen Land <strong>zur</strong>ück.<br />
Ein Arbeits-Ausschuss und ein Arbeitssekretariat<br />
übernehmen die Geschäfte.<br />
Im Bundesvorstand des DTSB soll die<br />
Zahl <strong>der</strong> Stellen von 678 auf 438 gekürzt<br />
werden.<br />
13.12.1989<br />
Berlin: Pressekonferenz des neu gewählten<br />
Vorsitzenden des Arbeitsausschusses des<br />
DTSB Professor Dr. Hans-Georg Herrmann.<br />
Paris: Protokoll über den Ausbau <strong>der</strong><br />
Sportbeziehungen zwischen Frankreich<br />
und <strong>der</strong> DDR wird unterzeichnet.<br />
15.12.1989<br />
<strong>Der</strong> Torwart <strong>der</strong> DDR-Handballauswahl<br />
Wieland Schmidt wechselt zum VfL Hameln.<br />
16.12.1989<br />
Pressekonferenz Berlin: Andreas Thom<br />
(BFC Dynamo Berlin) unterschreibt als<br />
erster DDR-Fußballer nach dem <strong>Mauerfall</strong><br />
einen Profivertrag beim westdeutschen<br />
Spitzenklub Bayer Leverkusen. Spielberechtigung<br />
ab 1. Januar 1990.<br />
Die CDU <strong>der</strong> DDR formiert sich neu, die<br />
Partei Demokratischer Aufbruch orientiert<br />
sich konservativ, die SED gibt sich den<br />
neuen Namen SED-PDS.<br />
<strong>Der</strong> Handball-Oberligist Dynamo Halle-<br />
Neustadt (DDR) muss Konkurs anmelden,<br />
da er vom Ministerium für Staatssicherheit<br />
nicht länger geför<strong>der</strong>t wird.<br />
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“<br />
meldet: Nachdem sich <strong>der</strong> DTSB für Olympische<br />
Spiele in beiden Teilen Berlins<br />
ausgesprochen hat, strebt Willi Daume<br />
offizielle Gespräche mit dem NOK <strong>der</strong><br />
DDR an, möglichst im Januar 1990.<br />
17
18<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 11.12.1989<br />
Rücktritt <strong>der</strong> DTSB-Führung samt Eichler gefor<strong>der</strong>t<br />
Berlin (dpa/sid). <strong>Der</strong> Ost-Berliner<br />
Bezirksvorstand des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Turn- und Sportbundes (DTSB) <strong>der</strong><br />
DDR hat am Samstag den Rücktritt<br />
des DTSB-Präsidiums mit Klaus<br />
Eichler an <strong>der</strong> Spitze verlangt und<br />
die Einberufung eines Son<strong>der</strong>-<br />
Turn-und-Sporttages <strong>bis</strong> spätestens<br />
Mitte Februar gefor<strong>der</strong>t. Eichler<br />
war erst kürzlich als DTSB-<br />
Präsident wie<strong>der</strong>gewählt worden.<br />
Seine Amtszeit ist befristet <strong>bis</strong> zum<br />
nächsten Turn- und Sporttag, <strong>der</strong><br />
für den 22.-24. Juni 1990 einberufen<br />
worden ist. Hintergrund <strong>der</strong><br />
Angriffe ist ein Zwist zwischen<br />
Eichler und seinem Vorgänger,<br />
NOK-Präsident Manfred Ewald,<br />
<strong>der</strong> laut Eichler in finanzielle Machenschaften<br />
verstrickt gewesen<br />
sei. <strong>Der</strong> so Beschuldigte wehrt sich<br />
in einem Papier, nach dem Eichler<br />
doch über das Prämiensystem für<br />
Leistungssportler unterrichtet worden<br />
sei. Darin heißt es: „Er (Eichler,<br />
Anmerkung <strong>der</strong> Redaktion)<br />
nahm die betreffenden Unterlagen<br />
entgegen und äußerte keinerlei<br />
Vorbehalte.“<br />
Bereits am Freitag hatten 192<br />
Sportler des Armeesportklubs Vorwärts<br />
Potsdam sowie des SC Dynamo<br />
Potsdam Eichlers Rücktritt<br />
gefor<strong>der</strong>t. Als Sprecher <strong>der</strong> Gruppe<br />
erklärte Volker Schmidt, <strong>der</strong> Olympiazweite<br />
im Kanu, die DTSB-<br />
Leitung führe <strong>zur</strong> Zeit keine offene<br />
Aussprache. „Wir sprechen uns<br />
gegen das Verhalten von Eichler<br />
aus, <strong>der</strong> von den Prämierungen im<br />
Leistungssport nichts gewußt haben<br />
will“, sagte Schmidt. „<strong>Der</strong><br />
DTSB fällt im Augenblick nur<br />
dadurch auf, daß sich Funktionäre<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 11. Dezember 1989<br />
für die Sünden <strong>der</strong> Vergangenheit<br />
gegenseitig die Schuld zuweisen.“<br />
Bei <strong>der</strong> kontrovers geführten Diskussion<br />
im Berliner DTSB-<br />
Bezirksvorstand ging es vor allem<br />
um die künftige Nutzung <strong>der</strong> zentralen<br />
Sportstätten Ost-Berlins.<br />
Darüber solle an einem Runden<br />
Tisch entschieden werden. Zu klären<br />
sei auch, wie zweckentfremdete<br />
Sportstätten dem Sport wie<strong>der</strong> <strong>zur</strong><br />
Verfügung gestellt und instand<br />
gesetzt werden könnten.<br />
<strong>Der</strong> <strong>zur</strong> gleichen Zeit tagende<br />
DTSB-Bezirksvorstand Dresden<br />
wies darauf hin, daß Kombinate,<br />
Betriebe und Einrichtungen künftig<br />
kaum noch Mittel für den Sport <strong>zur</strong><br />
Verfügung stellen wollen. Wegen<br />
einer „Vernachlässigung <strong>der</strong> materiellen<br />
Basis“ in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />
stünden <strong>zur</strong> Zeit 220 Sportstätten in<br />
Dresden o<strong>der</strong> sieben Prozent aller<br />
vorhandenen Anlagen nicht <strong>zur</strong><br />
Verfügung. Sie seien verfallen o<strong>der</strong><br />
seien zweckentfremdet genutzt<br />
worden.<br />
In einem Interview mit <strong>der</strong> SED-<br />
Parteizeitung „Neues Deutschland“<br />
stellte <strong>der</strong> Berliner Klubvorsitzende<br />
des DDR-Leistungszentrums Sportvereinigung<br />
Dynamo Berlin, Karl-<br />
Heinz Büttner, fest: „Sicher ist, daß<br />
<strong>der</strong> Leistungssport über einen langen<br />
Zeitraum mißbraucht wurde,<br />
um mit ihm eine heile Welt, einen<br />
heilen Sozialismus vorzugaukeln.“<br />
In dem Interview, in dem sich außerdem<br />
Harry Tesch als neuer<br />
Leiter des Büros <strong>der</strong> zentralen<br />
Leitung äußert, machen beide Gesprächspartner<br />
deutlich, daß die<br />
Klubeinrichtungen künftig einem<br />
weit größeren Kreis als <strong>bis</strong>her <strong>zur</strong><br />
Benutzung offenstehen. So wird<br />
angekündigt, daß das öffentliche<br />
Eislaufen „schon zu den Feiertagen<br />
verstärkt“ werde. Für Eislaufen und<br />
für Schwimmen würden Lehrgänge<br />
für Anfänger eingerichtet, die von<br />
namhaften Sportlern und Trainern<br />
betreut werden sollen.<br />
<strong>Der</strong> Sportvereinigung Dynamo<br />
Berlin gehören 280 000 Mitglie<strong>der</strong>,<br />
davon 110 000 Kin<strong>der</strong> und Jugendliche,<br />
im gesamten Gebiet <strong>der</strong> DDR<br />
an. Bisherige Trägerorgane waren<br />
das frühere Ministerium des Inneren<br />
und für Staatssicherheit sowie<br />
die Zollverwaltung. Mit <strong>der</strong> jetzigen<br />
Selbstverwaltung hätten sich<br />
die materielle, personelle und finanzielle<br />
Unterstützung geän<strong>der</strong>t,<br />
und es gelte „wie überall, den<br />
hauptamtlichen Apparat zu reduzieren“.<br />
Offensichtlich soll ein Großteil<br />
<strong>der</strong> Trainer entlassen werden.<br />
Anscheinend ist es jetzt auch zu<br />
Differenzen zwischen <strong>der</strong> Klubführung<br />
und dem DTSB gekommen.<br />
<strong>Der</strong> Sportbund hat Konzeptionen<br />
entwickelt, wonach die freiwerdenden<br />
Ka<strong>der</strong> <strong>der</strong> zentralen Leitung an<br />
<strong>der</strong> Basis des Sports arbeiten sollen.<br />
Nach Auffassung <strong>der</strong> SV Dynamo<br />
Berlin sollten freiwerdende Mitarbeiter<br />
vielmehr im allgemeinen<br />
Dienstleistungsbereich, in <strong>der</strong> Produktion<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Volksbildung,<br />
„also dort, wo sie am dringendsten<br />
gebraucht werden“, eingesetzt werden.<br />
Im DDR-Sport werden sogar<br />
For<strong>der</strong>ungen laut, die SV Dynamo<br />
völlig aufzulösen und die Leistungssportler<br />
an<strong>der</strong>en Klubs zuzuordnen.
<strong>Chronik</strong> Dezember 1989<br />
16./17.12.1989<br />
Potsdam: Außerordentliche DTSB-<br />
Bezirksvorstandssitzung. Das Bezirkssekretariat<br />
tritt <strong>zur</strong>ück. Bis April Neuwahlen<br />
und die Diskussion um ein zukunftsträchtiges<br />
Positionspapier.<br />
19.12.1989<br />
Leipzig: Erstmals „offene Türen“ gab es<br />
für DDR-Journalisten im Forschungsinstitut<br />
für Körperkultur und Sport.<br />
Frankfurt (O<strong>der</strong>): Zweites Frankfurter<br />
Sportforum. Diskussion um den Sport im<br />
Bezirk.<br />
20.12.1989<br />
Wahl <strong>zur</strong> Sportlerin/ zum Sportler des Jahres<br />
<strong>der</strong> DDR: Bei den Männern siegt Andreas<br />
Wecker (Turnen), bei den Frauen<br />
Kristin Otto (Schwimmen). Die Mannschaftswertung<br />
geht an den Straßenvierer<br />
unter Uwe Ampler. Die Jubelfeier verlief<br />
aufgrund anhalten<strong>der</strong> Diskussionen um<br />
Doping im DDR-Hochleistungssport im<br />
kleinen Rahmen.<br />
Berlin: Tagung des DTSB-Arbeitsausschusses.<br />
Klärung von Grundfragen <strong>der</strong><br />
Entwicklung des Sports in <strong>der</strong> DDR und<br />
Neubestimmung des Platzes und <strong>der</strong> Funktion<br />
des DTSB.<br />
21.12.1989<br />
Rotterdam: Uwe Ampler (Olympiasieger<br />
im Straßenvierer 1988 in Seoul) und Uwe<br />
Raab (Weltmeister im Radrennen 1983)<br />
haben Profiverträge beim holländischen<br />
Rennstall von Jan Gisbers (PDM) ab Ende<br />
1990 unterschrieben.<br />
Berlin: <strong>Der</strong> <strong>Deutsche</strong> Radsportverband <strong>der</strong><br />
DDR und <strong>der</strong> Bund <strong>Deutsche</strong>r Radfahrer<br />
<strong>der</strong> Bundesrepublik vereinbaren eine engere<br />
Zusammenarbeit.<br />
<strong>Der</strong> Amateurweltmeister im Boxen (1989),<br />
Henry Maske, hat sich in einem Interview<br />
<strong>der</strong> „Jungen Welt“ für den Profisport ausgesprochen.<br />
Er möchte aber weiter DDR-<br />
Bürger bleiben.<br />
Sportagentur GmbH will 1990 in <strong>der</strong> DDR<br />
ihre Tätigkeit aufnehmen.<br />
Katarina Witt gegenüber <strong>der</strong> „<strong>Deutsche</strong>n<br />
Presse Agentur: „Ich fühle mich auch total<br />
missbraucht.“<br />
22.12.1989<br />
Öffnung des Brandenburger Tores.<br />
Katarina Witt schließt in einem Fernsehinterview<br />
den Weggang aus <strong>der</strong> DDR nicht<br />
aus. Sie liebe zwar ihr Land, so Witt, doch<br />
fühle sie sich von <strong>der</strong> abgetretenen SED-<br />
Führung „missbraucht“. Gleichzeitig bedauere<br />
sie, millionenschwere Werbeverträge<br />
aus sozialistischen Gründen nicht angenommen<br />
zu haben.<br />
23.12.1989<br />
Handball-Nationalspieler Maik Handschke<br />
vom ASK Vorwärts Frankfurt O<strong>der</strong> siedelt<br />
in die Bundesrepublik über.<br />
27.12.1989<br />
Bremen: Kristin Otto wird im Januar 1990<br />
während eines Lehrgangs <strong>der</strong> D-Ka<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Bundesrepublik praktischen Unterricht am<br />
Beckenrand erteilen.<br />
28.12.1989<br />
Die Eislaufverbände bei<strong>der</strong> deutscher Staaten<br />
vereinbaren eine engere Zusammenarbeit.<br />
<strong>Der</strong> Dynamo-Sport- und Freizeitkomplex<br />
in Berlin ist ab sofort für die Bevölkerung<br />
zugänglich.<br />
Die „Bild-Zeitung“ titelt: „140 Medaillen!<br />
Vereint sind wir die Nummer 1 <strong>der</strong> Sportwelt.“<br />
19
20<br />
Dezember 1989 – Eine Collage
<strong>Chronik</strong> Januar 1990<br />
Januar 1990<br />
01.01.1990<br />
Berlin: Neujahrsläufe durch Gesamt-<br />
Berlin.<br />
03.01.1990<br />
Berlin: Tagung des DTSB-<br />
Arbeitsausschusses. <strong>Der</strong> Dachverband for<strong>der</strong>t<br />
materielle und finanzielle Absicherung.<br />
Die Fachzeitschrift „Neue Fußballwoche“<br />
ist nicht länger Sprachrohr des Fußballverbandes<br />
(DFV <strong>der</strong> DDR). <strong>Der</strong> Sportverlag<br />
Berlin übernimmt als alleiniger Herausgeber<br />
die Verantwortung. Die Redaktion<br />
blieb in ihrer Zusammensetzung aber zunächst<br />
die alte, ebenso <strong>der</strong> Tonfall <strong>der</strong> Berichterstattung.<br />
04.01.1990<br />
<strong>Der</strong> DDR-Faustballverband nimmt an den<br />
Weltmeisterschaften in Österreich teil.<br />
05.01.1990<br />
Ein Run<strong>der</strong> Tisch des DDR-Sports nimmt<br />
die Arbeit auf und sucht nach neuen Wegen<br />
und Auswegen (Abschluss <strong>der</strong> Beratungen<br />
im März 1990); in einer Resolution<br />
wird die Volkskammer <strong>der</strong> DDR erfolgreich<br />
aufgefor<strong>der</strong>t, ein Jugend- und Sportministerium<br />
ein<strong>zur</strong>ichten.<br />
Berlin (West): Hallenfußballturnier mit<br />
dem 1. FC Magdeburg.<br />
Erste Gespräche zwischen dem <strong>Deutsche</strong>n<br />
Schwimmverband (DSV) und dem <strong>Deutsche</strong>n<br />
Schwimmverband <strong>der</strong> DDR (DSSV)<br />
auf Initiative des DSV. Gemeinsame Lehrgänge<br />
und Trainingslager werden vereinbart.<br />
06.01.1990<br />
Berlin: Mitglie<strong>der</strong>versammlung des NOK<br />
<strong>der</strong> DDR. Manfred Ewald tritt als Präsident<br />
und Mitglied des NOK <strong>der</strong> DDR <strong>zur</strong>ück.<br />
<strong>Der</strong> einst mächtigste Mann des DDR-<br />
Sports verliert damit auch sein letztes Spit-<br />
zenamt. Rudi Hellmann, ehemals Leiter<br />
<strong>der</strong> Sportabteilung im ZK <strong>der</strong> SED, tritt als<br />
Vizepräsident und Mitglied <strong>zur</strong>ück. Dr.<br />
Günther Heinze, Vizepräsident und Mitglied<br />
des IOC, wird als Präsident gewählt,<br />
Dr. Georg Zorowka wird Vizepräsident.<br />
Heinz Beier und Dr. Günter Kohl werden<br />
als Mitglie<strong>der</strong> des Präsidiums gewählt.<br />
Berlin: erweiterte Präsidiumstagung des<br />
Eislaufverbandes <strong>der</strong> DDR. Volkssportmannschaften<br />
im Eishockey sollen künftig<br />
ebenso wie die Eisstockschützen und die<br />
Anhänger des Shorttrack-Eisschnelllaufs<br />
mehr Möglichkeiten <strong>zur</strong> Ausübung ihres<br />
Sports erhalten.<br />
07.01.1990<br />
Berlin: Erstmals spielt ein DDR-<br />
Volleyballer, René Hecht, mit offizieller<br />
Genehmigung des <strong>Deutsche</strong>n Volleyballverbandes<br />
(DVV) im Ausland.<br />
10.01.1990<br />
Cottbus: Die Vorsitzenden <strong>der</strong> Fußballklubs<br />
und Sektionsleiter <strong>der</strong> Fußballoberligamannschaften<br />
diskutieren eine grundsätzliche<br />
Erneuerung des Fußballsports in<br />
<strong>der</strong> DDR und for<strong>der</strong>n die Loslösung vom<br />
DTSB.<br />
Die DDR-Volleyballnationalmannschaft<br />
<strong>der</strong> Frauen schließt Sponsorenvertrag mit<br />
<strong>der</strong> „Wella AG“.<br />
Beratungen in München: <strong>Der</strong> <strong>Deutsche</strong><br />
Eishockey-Bund (DEB) und <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong><br />
Eislaufverband <strong>der</strong> DDR (DELV) streben<br />
im Eishockey eine engere Zusammenarbeit<br />
an.<br />
11.01.1990<br />
Zweites Gipfeltreffen DFV/DFB nach dem<br />
<strong>Mauerfall</strong>. Einigung <strong>der</strong> Fußballverbände<br />
über die Bestimmungen bei künftigen<br />
Spielerwechseln. Terminierung eines Län<strong>der</strong>spielvergleichs<br />
DDR gegen Bundesrepublik<br />
für den 29.08.1990 in Leipzig.<br />
21
22<br />
Tod einer Massenorganisation (I) – <strong>Der</strong> DTSB war in <strong>der</strong> Wendezeit nur scheinbar reformwillig<br />
Tod einer Massenorganisation (I)<br />
<strong>Der</strong> DTSB war in <strong>der</strong> Wendezeit nur<br />
scheinbar reformwillig<br />
von Michael Barsuhn<br />
Januar 1990. Nach Außen reformwillig<br />
nach Innen verkrustet. So präsentierte sich<br />
die Massenorganisation des DDR-Sports,<br />
<strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong> Turn- und Sportbund <strong>der</strong><br />
DDR (DTSB), in den ersten Wendemonaten.<br />
Tagungen, Pressekonferenzen, außerordentliche<br />
Sitzungen reihten sich aneinan<strong>der</strong><br />
– <strong>der</strong> DTSB verfiel in regen Aktionismus.<br />
Am 14. November 1989 philosophierte<br />
Präsident Klaus Eichler, <strong>der</strong> 1988<br />
die Nachfolge von Manfred Ewald angetreten<br />
hatte, über „die Erneuerung des DTSB<br />
im Prozess <strong>der</strong> Wende.“ Dass es sich dabei<br />
aber lediglich um Luftblasen handelte,<br />
zeigte sich knapp zwei Wochen später auf<br />
<strong>der</strong> 15. Tagung des DTSB-Bundesvorstandes<br />
in <strong>der</strong> Sportschule Kienbaum.<br />
Öffentlichkeit und Medienvertreter wurden<br />
ausgesperrt. Immerhin konnten 15 Vertreter<br />
<strong>der</strong> Sportfachverbände in die heiligen<br />
Hallen <strong>der</strong> Dachorganisation des DDR-<br />
Sports vordringen. Darunter Kegler,<br />
Basketballer und Tischtennisspieler, die<br />
seit 1969 in <strong>der</strong> Kategorie Sport 2 gegenüber<br />
dem olympischen Sport massiv benachteiligt<br />
worden waren. Nun wollten sie<br />
ihrem angestauten Unmut mit Plakaten<br />
Luft verschaffen: “Wir for<strong>der</strong>n die DTSB-<br />
Führung zum Dialog mit unseren Sportverbänden<br />
auf,“ war dort zu lesen. O<strong>der</strong><br />
„Das Gesicht des Sports dem Volk und den<br />
Realitäten zugewandt.“<br />
<strong>Der</strong> DTSB sah sich mit ungewohnt scharfer<br />
Kritik konfrontiert und reagierte nach<br />
altbewährtem Muster. Was nicht ins Bild<br />
passt, wird unterdrückt. Die Plakate wurden<br />
entfernt: „<strong>Der</strong> Direktor dieser Sportschule<br />
hat mit <strong>der</strong> Begründung, dass wir<br />
mit dem Aufkleben die Möbelpolitur beschädigt<br />
haben, die Plakate demonstrativ<br />
vor meinen Augen zerrissen“, erklärte ein<br />
Michael Barsuhn<br />
Vertreter <strong>der</strong> 15 Sportverbände vor laufenden<br />
Fernsehkameras. „Ich empfinde dies in<br />
einer heutigen Zeit als empörend.“<br />
Klaus Eichler präsentierte sich <strong>der</strong>weil im<br />
Blitzlichtgewitter <strong>der</strong> internationalen Presse.<br />
Von seinen Kollegen war er einstimmig<br />
im Amt bestätigt worden. Mit nunmehr<br />
fünf statt zehn Vizepräsidenten an seiner<br />
Seite, die allerdings allesamt SED-<br />
Mitglie<strong>der</strong> waren, verkündete er stolz die<br />
Reformbereitschaft des DTSB. Als Zeichen<br />
des Erneuerungswillens versprach er<br />
die Gründung eines Triathlon- und eines<br />
Studentensportverbandes in <strong>der</strong> DDR.<br />
Am 12. Dezember 1989 wurde am Rande<br />
einer außerordentlichen Sitzung des<br />
DTSB-Bundesvorstandes klar, dass sich<br />
auch die Vertreter des Leistungssports<br />
nicht mehr durch Eichler repräsentiert fühlten:<br />
„Es ist ja bekannt, dass beispielsweise<br />
die Sportklubvorsitzenden und die Generalsekretäre<br />
<strong>der</strong> Verbände ausgegrenzt<br />
wurden. Trotz vorliegen<strong>der</strong> schriftlicher<br />
Einladung <strong>zur</strong> 15. Tagung wurden wir 24<br />
Stunden vorher ausgeladen und insofern ist<br />
das natürlich sehr bedauerlich, dass solche<br />
Entscheidungen gefällt wurden ohne den<br />
wirklich breiten Kreis <strong>der</strong> kompetenten<br />
Leute dort mit ein zu beziehen.“ Mit dem<br />
Rücktritt von Egon Krenz hatte Eichler<br />
seinen politischen Rückhalt verloren. Unter<br />
dem doppelten Sperrfeuer <strong>der</strong> benachteiligten<br />
Verbände von Sport 2 und des verunsicherten<br />
Leistungssports verkündete er am<br />
Abend: „Es ist so, liebe Sportfreunde, dass<br />
das Sekretariat durch die Gesamtheit <strong>der</strong><br />
bestehenden Probleme stark belastet ist. Es<br />
hat die Situation geprüft und ist zu dem<br />
Schluss gekommen, <strong>zur</strong>ück zu treten.“ Die<br />
ehemalige Führungsspitze des DTSB wurde<br />
schließlich am 27. Januar 1990 aus dem<br />
Bundesvorstand entfernt. Dieser bestand<br />
jedoch weiterhin zu 93 Prozent aus SED-<br />
Mitglie<strong>der</strong>n.
<strong>Chronik</strong> Januar 1990<br />
11.01.1990<br />
Freundschaftliche Gespräche zwischen<br />
DTSB und DSB. Trotz <strong>bis</strong>lang ausgebliebener<br />
Demokratisierung des DTSB soll die<br />
Zusammenarbeit zwischen den Dachverbänden<br />
des deutschen Sports beträchtlich<br />
erweitert werden. Geplant sind u. a. gemeinsame<br />
Kommissionen.<br />
Die ersten vier <strong>der</strong> DDR-Tennis-Rangliste<br />
<strong>der</strong> Männer haben sich <strong>der</strong> TG Bochum 49<br />
angeschlossen.<br />
13.01.1990<br />
Berlin: Gründung eines <strong>Deutsche</strong>n Kraftsport-<br />
und Bodybuilding-Verbandes<br />
(DKBV <strong>der</strong> DDR).<br />
Berlin: <strong>Der</strong> <strong>Deutsche</strong> Anglerverband<br />
(DAV) <strong>der</strong> DDR und <strong>der</strong> Verband <strong>Deutsche</strong>r<br />
Sportfischer <strong>der</strong> Bundesrepublik vereinbaren<br />
eine engere Zusammenarbeit.<br />
14.01.1990<br />
Frankfurt (O<strong>der</strong>): Henry Maske will Profiboxer<br />
werden. Erste Verhandlungen mit<br />
dem Hamburger Manager und Promoter<br />
Klaus-Peter Kohl.<br />
15.01.1990<br />
Erstürmung <strong>der</strong> Zentrale <strong>der</strong> Staatssicherheit<br />
in Berlin. Sicherung <strong>der</strong> Aktenbestände.<br />
Die Zeitschrift „Start“, Organ des Bundesvorstands<br />
des DTSB, hat nach <strong>der</strong> Herausgabe<br />
des Januarheftes 1990 ihr Erscheinen<br />
eingestellt.<br />
16.01.1990<br />
Manfred von Brauchitsch hat seinen Rücktritt<br />
als Präsident <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>zur</strong> För<strong>der</strong>ung<br />
des Olympischen Gedankens in <strong>der</strong><br />
DDR erklärt.<br />
dpa meldet, dass sich <strong>der</strong> VfB Stuttgart mit<br />
Matthias Sammer (Dynamo Dresden) über<br />
einen Wechsel geeinigt hat.<br />
<strong>Der</strong> Präsident des Fußballverbandes (DFV<br />
<strong>der</strong> DDR), Günter Erbach, hat den früheren<br />
Dresdener Spielern Matthias Müller und<br />
Peter Kotte in einem Gespräch Rehabilitierung<br />
zugesagt.<br />
In einem offenen Brief von den Geschäftsführern<br />
aller Fußball-Bezirksfachausschüsse,<br />
wird die Besorgnis geäußert, dass<br />
<strong>der</strong> Fußball erneut Opfer des Dirigismus<br />
des DTSB wird.<br />
17.01.1990<br />
Presseerklärung des „Neuen Forums“<br />
Leipzig: Sport sei als Bestandteil des kulturellen<br />
Lebens zu erhalten. <strong>Der</strong> drastische<br />
Personalabbau gefährde die Existenz des<br />
Sportes.<br />
Karl-Marx-Städter DTSB wendet sich gegen<br />
den geplanten Planstellenabbau in seinem<br />
Bereich.<br />
Beratung des Arbeitsausschusses des<br />
DTSB-Bundesvorstandes. Im Mittepunkt<br />
steht die finanzielle Sicherung des Sportreibens.<br />
Pressekonferenz in Nürnberg: westdeutsche<br />
Firma rüstet künftig alle DDR-<br />
Straßennationalmannschaften im Radsport<br />
mit Rennmaschinen und Materialien aus.<br />
18.01.1990<br />
Halle: Sportlerdemonstration in <strong>der</strong> DDR<br />
auf dem Halleschen Obermarkt.<br />
Werbevertrag zwischen dem Schlitten- und<br />
Bobsportverband <strong>der</strong> DDR und <strong>der</strong><br />
Münchner Brauerei „Spatenbräu“ unterzeichnet.<br />
19.01.1990<br />
Berlin: <strong>Der</strong> Generalsekretär des DDR-<br />
Leichathletikverbandes, Dr. Heinz Kadow,<br />
und <strong>der</strong> Geschäftsführer <strong>der</strong> UFA Film-<br />
und Fernseh GmbH, Bernd Schiphorst,<br />
unterzeichnen einen Vertrag über die internationalen<br />
Fernseh- und Werberechte für<br />
den Olympischen Tag <strong>der</strong> Leichtathleten in<br />
Berlin.<br />
23
24<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 08.01.1990<br />
Günther Heinze auf einer Son<strong>der</strong>sitzung zum neuen Präsidenten bestimmt<br />
Ewald weicht dem Druck und tritt <strong>zur</strong>ück<br />
Das NOK <strong>der</strong> DDR ist für Olympia in Berlin<br />
OST-BERLIN (sid/dpa). Eine<br />
Bewerbung um Olympische Sommerspiele<br />
in beiden Teilen Berlins<br />
zeichnet sich immer deutlicher ab.<br />
Auch das Nationale Olympische<br />
Komitee (NOK) <strong>der</strong> DDR hat nun<br />
die Idee, Olympische Spiele in<br />
Gesamt Berlin im Jahr 2000 o<strong>der</strong><br />
2004 auszutragen, begrüßt. „Wir<br />
unterstützen die Initiativen des<br />
Oberbürgermeister Erhard Krack<br />
und des Regierenden Bürgermeisters<br />
Walter Momper“, erklärte <strong>der</strong><br />
auf <strong>der</strong> NOK-Mitglie<strong>der</strong>versammlung<br />
am Samstag in Ost-Berlin<br />
einstimmig berufene Übergangs-<br />
Präsident Günter Heinze.<br />
Heinze, <strong>der</strong> auch Mitglied des Internationalen<br />
Olympischen Komitees<br />
(IOC) ist, erklärte seine Bereitschaft,<br />
mit dem Präsidenten des<br />
NOK für Deutschland, Willi Daume,<br />
ein Gespräch über weitere<br />
Initiativen <strong>zur</strong> Vorbereitung <strong>der</strong><br />
Kandidatur zu führen. „Es ist zwar<br />
eine Angelegenheit <strong>der</strong> beiden<br />
Berliner Städte“, sagte <strong>der</strong> 66 Jahre<br />
alte Präsident, „aber es gibt viel zu<br />
besprechen.“ Gefor<strong>der</strong>t hatte die<br />
Mitglie<strong>der</strong>versammlung in <strong>der</strong><br />
Sportschule an <strong>der</strong> Regattastrecke<br />
am Langen See auch eine bessere<br />
Zusammenarbeit mit dem bundesdeutschen<br />
NOK. „Wir sind im<br />
Sinne einer Vertragsgemeinschaft<br />
offen“, lautete die Offerte, die<br />
Heinze seinem Amtskollegen<br />
Daume machte. Dieser wertete die<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 8. Januar 1990<br />
Aussage als „klares Verhandlungsangebot,<br />
das wir annehmen“. Heinze<br />
schloß jedoch eine Rückkehr zu<br />
einer gesamtdeutschen Mannschaft<br />
aus. „Es gibt zwei souveräne deutsche<br />
NOK und daher keine Voraussetzungen<br />
für die Bildung gemeinsamer<br />
Mannschaften“, sagte<br />
<strong>der</strong> Staatswissenschaftler und Diplom-Sportlehrer.<br />
Viel Zündstoff hatte es schon vor<br />
<strong>der</strong> Sitzung gegeben. Die Präsidiumsmitglie<strong>der</strong><br />
wollten mit aller<br />
Macht den seit 1973 amtierenden<br />
Präsidenten Manfred Ewald in<br />
Pension schicken. Hinter verschlossenen<br />
Türen wurde Ewald<br />
wegen seines unbeirrbaren Kurses<br />
angegriffen. <strong>Der</strong> Sportfunktionär<br />
trat dann auf <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong>versammlung<br />
als Präsident <strong>zur</strong>ück und<br />
erklärte zugleich, er werde nicht<br />
mehr länger Mitglied des NOK<br />
sein. „Rücktritte geschehen auch<br />
aus Einsichten“, erklärte NOK-<br />
Pressesprecher Volker Kluge salomonisch.<br />
Heinze wurde deutlicher:<br />
„Ewald hat eine Reihe von Fehlern<br />
gemacht, die er als Leiter des Kollektivs<br />
des NOK mitzutragen hat.“<br />
Auch <strong>der</strong> <strong>bis</strong>herige Vizepräsident<br />
Rudi Hellmann, lange Zeit Leiter<br />
<strong>der</strong> Abteilung Sport beim Zentralkomitee<br />
<strong>der</strong> SED, wurde vom Vorsitzenden<br />
des DDR-Schwimmverbandes,<br />
Georg Zorowka, abgelöst.<br />
Auf <strong>der</strong> NOK-Mitglie<strong>der</strong>ver-<br />
sammlung im Juni soll ein neues<br />
Präsidium gewählt werden. Gesucht<br />
wird für das Präsidenten-Amt ein<br />
verdienter Sportler, <strong>der</strong> vor allem<br />
politisch unbelastet sein muß.<br />
Heinze hat nicht die Absicht, sich<br />
abermals <strong>zur</strong> Wahl zu stellen. Bei<br />
<strong>der</strong> nächsten Sitzung werden sicher<br />
ganz an<strong>der</strong>e Mitglie<strong>der</strong> das Wort<br />
erheben können. Denn im März bei<br />
den Wahlen in den 26 DDR-Sportverbänden,<br />
bei denen auch die 26<br />
ordentlichen NOK-Mitglie<strong>der</strong> zu<br />
bestimmen sind, wird erstmals auch<br />
<strong>der</strong> Demokratisierungsprozeß im<br />
DDR-Sport greifen.<br />
Mit dem Rücktritt von Ewald, <strong>der</strong><br />
bereits vor 13 Monaten als Präsident<br />
des <strong>Deutsche</strong>n Turn- und<br />
Sportbundes (DTSB) abgelöst wurde,<br />
endet eine Ära des DDR-Sports,<br />
in <strong>der</strong> es bei Olympischen Spielen<br />
und Weltmeisterschaften eine Medaillenflut<br />
gegeben hatte. Ewald<br />
hatte den Leistungssport an harten<br />
Zügeln geführt und mit stalinistischen<br />
Methoden konsequent auf<br />
Erfolgskurs getrimmt. Schon vor<br />
<strong>der</strong> politischen Wende wurde ihm<br />
angekreidet, daß er demokratische<br />
Entscheidungsprozesse unterbinde,<br />
den Leistungssport von <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
abschotte und als Geheimsache<br />
führe sowie ein Umdenken<br />
hin zu mo<strong>der</strong>nen Vermarktungsmöglichkeiten<br />
strikt ablehne.
<strong>Chronik</strong> Januar 1990<br />
19.01.1990<br />
Paris: Erstmalig beteiligt sich <strong>der</strong> Fecht-<br />
Nachwuchs <strong>der</strong> DDR an einem Europapokalturnier<br />
im Degenfechten.<br />
Leipzig: Bürger richten aus Sorge um die<br />
Entwicklung des Sports in <strong>der</strong> DDR einen<br />
offenen Brief an Ministerpräsident Hans<br />
Modrow und den Runden Tisch.<br />
20.01.1990<br />
Berlin: DDR-Boxsportverband gegen Profiboxen.<br />
23.01.1990<br />
Die „Neue Fußballwoche“ meldet: „Beim<br />
BFV (Berliner Fußballverband/West) haben<br />
sich <strong>bis</strong>her 250 Spieler aller Altersklassen<br />
aus <strong>der</strong> DDR angemeldet.“ Allein<br />
das Zweitligateam von Motor Ludwigsfelde<br />
beklagte im Februar den Verlust von 13<br />
Spielern.<br />
Berlin: Gründung des ersten Klubs <strong>der</strong><br />
Ballonfahrer, „mecklenburgisch-brandenburgische<br />
Ballonfahrerklub“ <strong>der</strong> DDR (16<br />
Mitglie<strong>der</strong>) innerhalb des Flug- und Fallschirmsportverbandes<br />
<strong>der</strong> DDR.<br />
26.01.1990<br />
Klaus Schenkel, Auswahltrainer <strong>der</strong> DDR-<br />
Fechter, und Klaus Kotzmann, Cheftrainer<br />
beim ASK Vorwärts Potsdam haben die<br />
DDR Richtung FC Tauber<strong>bis</strong>chofsheim<br />
verlassen.<br />
Presseerklärung des Amtes für Jugend und<br />
Sport <strong>der</strong> DDR. Die Mittel für den Sport<br />
sollen erhalten bleiben.<br />
27.01.1990<br />
Kienbaum: 17. Tagung des DTSB-Bundesvorstandes.<br />
Ausschluss <strong>der</strong> ehemaligen<br />
Führungsspitze des DDR-Sports, <strong>der</strong> Präsidenten<br />
Manfred Ewald und Klaus Eichler<br />
aus dem Bundesvorstand. Ausschluss des<br />
ehemaligen Staatssekretärs für Körperkultur<br />
und Sport, Prof. Dr. Günter Erbach, des<br />
früheren Leiters <strong>der</strong> Abteilung Sport des<br />
ZK <strong>der</strong> SED, Rudi Hellmann, und des e-<br />
hemaligen DTSB-Vizepräsidenten Volker<br />
Ränke.<br />
Leipzig: Die Zusammenarbeit zwischen<br />
<strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong>n Hochschule für Körperkultur<br />
und Sport (DHFK) in Leipzig und <strong>der</strong><br />
Sporthochschule Köln wird intensiviert.<br />
Malmö: Nach 24jähriger Pause stehen sich<br />
die Ringer-Nationalmannschaften Schwedens<br />
und <strong>der</strong> DDR wie<strong>der</strong> in einem Län<strong>der</strong>kampf<br />
gegenüber.<br />
Hertha BSC vs. 1. FC Union Berlin: Erstes<br />
Aufeinan<strong>der</strong>treffen (unter freiem Himmel)<br />
<strong>der</strong> beiden Berliner Traditionsvereine nach<br />
28 Jahren im Berliner Olympiastadion vor<br />
52.000 Zuschauern. Hertha siegt mit 2:1.<br />
27./28.01.1990<br />
<strong>Der</strong> Zentralvorstand <strong>der</strong> GST ist auf seiner<br />
außerordentlichen Tagung <strong>zur</strong>ückgetreten.<br />
28.01.1990<br />
Pressekonferenz zu den Ergebnissen <strong>der</strong><br />
17. Tagung des DTSB-Bundesvorstandes.<br />
Aufruf durch Jochen Grünwald, Vorsitzen<strong>der</strong><br />
des Arbeitssekretariats, zu einer verstärkten<br />
Mitarbeit und einer breiten Diskussion<br />
bei <strong>der</strong> Erneuerung des DDR-<br />
Sports.<br />
29.01.1990<br />
Berlin (West): Informelles Gespräch zwischen<br />
den Präsidenten <strong>der</strong> beiden deutschen<br />
Nationalen Olympischen Komitees<br />
Günter Heinze und Willi Daume.<br />
31.01.1990<br />
Berlin: Zweiter Run<strong>der</strong> Tisch.<br />
Im Mittelpunkt steht die Sorge um den<br />
Bestand und die Zukunft des DDR-Sports<br />
auf allen Ebenen.<br />
Berlin: Gründung eines Bürgerforums „Olympische<br />
Spiele 2000 in Berlin“.<br />
Berlin (Ost): Arbeitsgruppe Sport <strong>der</strong> SPD<br />
gebildet. Leiter wird Alfred Grzondziel.<br />
25
26<br />
Januar 1990 – Eine Collage
<strong>Chronik</strong> Februar 1990<br />
Februar 1990<br />
01.02.1990<br />
Gemeinsamer Aufruf des „Neuen Forums“<br />
und des Amtes für Jugend und Sport, um<br />
die Zukunft des Sports zu sichern.<br />
Übertragung <strong>der</strong> Fußball-Weltmeisterschaft<br />
1990: Die ARD hat dem Fernsehen<br />
und Rundfunk <strong>der</strong> DDR eine Zusammenarbeit<br />
angeboten.<br />
Erfurt: Gründung eines sämtliche Bezirke<br />
umspannenden DDR-Verbandes <strong>der</strong> Trainer<br />
und Sportlehrer.<br />
02.02.1990<br />
Zwickau: Neugründung von Vereinen:<br />
Gründung des Fußballklubs FSV Zwickau.<br />
Aufruf durch André Brunzlow <strong>zur</strong> Sportlerdemonstration<br />
in <strong>der</strong> „Märkischen<br />
Volksstimme“.<br />
Stockholm: <strong>Der</strong> Fußballverband (DFV <strong>der</strong><br />
DDR) unterschreibt einen Vier-Jahres-<br />
Vertrag über Bandenwerbung und weltweite<br />
Vermarktung <strong>der</strong> Fernsehrechte mit <strong>der</strong><br />
Schweizer Agentur CWL.<br />
03.02.1990<br />
Potsdam/Berlin: Sportlerdemonstrationen<br />
organisiert vom DTSB.<br />
<strong>Der</strong> Arbeitsausschuss des <strong>Deutsche</strong>n Boxverbandes<br />
(DBV <strong>der</strong> DDR) erteilt eine<br />
generelle Gaststartgenehmigung für alle<br />
DDR-Boxer aus den Klubs und Betriebssportgemeinschaften<br />
(BSG) in Vereinen<br />
<strong>der</strong> Bundesrepublik.<br />
Cottbus: Energie Cottbus unterzeichnet<br />
Kontrakt mit <strong>der</strong> Schweizer Agentur CWL.<br />
04.02.1990<br />
Stockholm: Die DDR und die Bundesrepublik<br />
werden gemeinsam mit Wales, Belgien<br />
und Luxemburg in eine Qualifikationsgruppe<br />
<strong>zur</strong> Europameisterschaft 1992<br />
in Schweden gelost.<br />
Rehabilitierung des ehemaligen Diskuswerfers<br />
Wolfgang Schmidt. Wie<strong>der</strong>zulassung<br />
zu internationalen Meisterschaften.<br />
05.02.1990<br />
Berlin: Interview <strong>der</strong> „Berliner Zeitung“<br />
mit Günther Netzer (CWL). Schweizer<br />
Agentur möchte ganze DDR-Oberliga unter<br />
Vertrag nehmen.<br />
Im Sportgespräch des „Deutschlandfunks“<br />
for<strong>der</strong>t Dr. Rolf Donath, Direktor des<br />
Sportmedizinischen Dienstes <strong>der</strong> DDR die<br />
baldige Bildung einer gesamtdeutschen<br />
Olympiamannschaft.<br />
06./07.02.1990<br />
Berlin (West): Treffen <strong>der</strong> Vorstände <strong>der</strong><br />
Handballverbände <strong>der</strong> DDR und <strong>der</strong> Bundesrepublik,<br />
um einen umfangreichen<br />
Maßnahmenkatalog <strong>der</strong> gegenseitigen Zusammenarbeit<br />
zu beraten.<br />
07.02.1990<br />
Bonn: Die Bundesregierung bildet den<br />
Kabinettsausschuss "<strong>Deutsche</strong> Einheit".<br />
Berlin: Gründung des <strong>Deutsche</strong>n Gehörlosen–Sportverbandes<br />
<strong>der</strong> DDR. Präsident:<br />
Heinz Meurer. Generalsekretärin: Inge<br />
Mandrek.<br />
Als Vertretung von sporttreibenden Kin<strong>der</strong>n<br />
und Jugendlichen gegenüber staatlichen<br />
und gesellschaftlichen Institutionen<br />
konstituierte sich eine Initiativgruppe<br />
„Sportjugend <strong>der</strong> DDR“.<br />
Handballlän<strong>der</strong>spiel <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
gegen DDR vereinbart.<br />
Ludwigsfelde: Fußballfreundschaftsspiel<br />
Motor Ludwigsfelde gegen Hertha 03 Zehlendorf.<br />
27
28<br />
Go West! – Trainer und Spitzensportler wechseln in den „goldenen Westen“<br />
Go West!<br />
Trainer und Spitzensportler wechseln in<br />
den „goldenen Westen“<br />
von Jutta Braun<br />
Februar 1990. Die neue Freiheit wurde<br />
nicht nur zu innerdeutschen Wettkämpfen<br />
genutzt: Gleichzeitig setzte eine massive<br />
Westwan<strong>der</strong>ung von Sportlern, aber auch<br />
Trainern ein, die ihr persönliches und berufliches<br />
Heil in <strong>der</strong> Bundesrepublik suchten.<br />
Den ersten Trainer aus <strong>der</strong> DDR verpflichtete<br />
<strong>der</strong> westdeutsche Skiverband im<br />
Januar 1990 als Betreuer <strong>der</strong> Nordischen<br />
Kombinierer. Wie in kaum einem an<strong>der</strong>en<br />
Bereich <strong>der</strong> Wendephänomene wurde gegen<br />
diesen Exodus von verschiedener Seite<br />
polemisiert: Eher selten wurden die Wechsel<br />
als persönliche Entscheidung <strong>der</strong> Athleten<br />
respektiert. <strong>Der</strong> westdeutsche Sport<br />
wurde beschimpft ob seiner „Piratenakte“,<br />
so <strong>der</strong> Vorwurf des Cheftrainers <strong>der</strong> Männer<br />
von DDR-Handballmeister Vorwärts<br />
Frankfurt/O<strong>der</strong> gegenüber den Verantwortlichen<br />
<strong>der</strong> Handball-Bundesliga. Auch <strong>der</strong><br />
Generalsekretär des DDR-Boxverbandes<br />
Bernd Hönicke kritisierte die „Praktiken“<br />
<strong>der</strong> Bundesligavereine, nachdem über 60<br />
Amateurboxer von Dezember 1989 <strong>bis</strong><br />
März 1990 in die Bundesrepublik gewechselt<br />
waren. Zahlreiche westliche Funktionäre<br />
nutzten gezielt die Gunst <strong>der</strong> Stunde,<br />
um mit Hilfe <strong>der</strong> „Goldkin<strong>der</strong>“ den bundesdeutschen<br />
Sport aufzupolieren. Beispielhaft<br />
ist hierbei das Vorgehen des Managers<br />
des VfL Hameln, dem es noch im<br />
Dezember 1989 gelang, fast die gesamte<br />
männliche Handball-Auswahlmannschaft<br />
<strong>der</strong> DDR für den VfL zu verpflichten.<br />
Die DDR-Sportler traf wie<strong>der</strong>holt <strong>der</strong><br />
Vorwurf, sie seien „Verräter“ und folgten<br />
ausschließlich dem „Lockruf des Geldes“.<br />
Als „nicht fair“ beschimpfte <strong>der</strong> Kanu-<br />
Generalsekretär Werner Lempert den Abgang<br />
<strong>der</strong> Weltmeisterinnen Monika Bunke<br />
und Katrin Borchert und ihres Trainers<br />
Jutta Braun<br />
Kersten Neumann nach Essen. Spektakulär<br />
waren auch die Fälle im Radsport, praktisch<br />
die gesamte Nationalmannschaft<br />
wechselte nach dem Fall <strong>der</strong> Mauer ins<br />
Profilager. Olympiasieger wie Henry Maske,<br />
die im Westen Profi werden wollten,<br />
mussten in <strong>der</strong> DDR um ihren guten Ruf<br />
kämpfen.<br />
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble<br />
for<strong>der</strong>te im März 1990 die bundesdeutschen<br />
Vereine zu Zurückhaltung auf: Man<br />
könne nicht „mit dem großen Geldkoffer,<br />
wie es Bayer Leverkusen im Fußball gemacht<br />
hat, in <strong>der</strong> DDR Leute anheuern,<br />
sonst wirken wir doch wie die Pfeffersäcke.“<br />
Für deutsch-deutsche Maßnahmen im<br />
Spitzensport wurden im gleichen Jahr 1,8<br />
Millionen Mark <strong>zur</strong> Verfügung gestellt -<br />
mit diesem Geld wollte <strong>der</strong> Bundessausschuss<br />
Leistungssport unter an<strong>der</strong>em den<br />
Spitzensport in <strong>der</strong> DDR stabilisieren.<br />
Niemand könne daran interessiert sein, so<br />
<strong>der</strong> Direktor des BAL, Professor Rolf<br />
Andresen, dass DDR-Spitzenathleten weiterhin<br />
in die Bundesrepublik wechselten.<br />
Doch beim zweiten Sport-Spitzentreffen<br />
zwischen Hansen und Kilian am 18. April<br />
war die Abwan<strong>der</strong>ungswelle unverän<strong>der</strong>t<br />
ein zentrales Thema, das dem DTSB-<br />
Präsidenten Martin Kilian „schlaflose<br />
Nächte“ bereitete.<br />
<strong>Der</strong> Exodus war nicht allein eine Folge <strong>der</strong><br />
Magnetkraft <strong>der</strong> Westmark. In <strong>der</strong> ersten<br />
Zeit war es ebenso eine Flucht aus den<br />
Kommandostrukturen des DDR-Sports,<br />
später die Flucht vor dem wirtschaftlichen<br />
Nie<strong>der</strong>gang. Abgestoppt wurde die Welle<br />
erst mit <strong>der</strong> grundlegenden Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
politisch-wirtschaftlichen Rahmenbedingungen:<br />
Vor allem <strong>der</strong> Einführung <strong>der</strong><br />
Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion<br />
am 1. Juli 1990. Zu diesem Zeitpunkt hatte<br />
<strong>der</strong> DDR-Sport aber bereits einen beträchtlichen<br />
Teil seiner Substanz eingebüßt.
<strong>Chronik</strong> Februar 1990<br />
07.02.1990<br />
Crimmitschau: Gründung des ersten zivilen<br />
Eishockeyklubs <strong>der</strong> DDR nach dem<br />
<strong>Mauerfall</strong>: EHC Crimmitschau.<br />
08.02.1990<br />
Berlin: Richard Winkels, Präsident des<br />
Landessportbundes von Nordrhein-<br />
Westfalen, schließt eine gemeinsame deutsche<br />
Olympiamannschaft für 1992 aus:<br />
„Das kann man den Sportlern aus <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
nicht antun“.<br />
Oberhof: Offener Brief <strong>der</strong> Trainer des<br />
ASK Oberhof. For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Gründung<br />
eines Wintersportzentrums Thüringen.<br />
09.02.1990<br />
In einem Interview mit <strong>der</strong> „Jungen Welt“<br />
plädiert Dr. Heinze, Präsident des NOK<br />
<strong>der</strong> DDR, für eine eigenständige Olympiamannschaft<br />
1992.<br />
Die deutschen Handballverbände vereinbaren<br />
einen intensiven Spielverkehr.<br />
Leipzig: Das „Neue Forum“ stellt ein<br />
Sportprogramm vor.<br />
Stuttgart: Körperbehin<strong>der</strong>te Tischtennisspieler<br />
aus Cottbus, Sallgast und Jänschwalde<br />
sind zu Gast beim 1. deutschdeutschenTischtennis-Freundschaftsturnier<br />
<strong>der</strong> Körperbehin<strong>der</strong>ten.<br />
10.02.1990<br />
Rücktritt von Günter Erbach als Präsident<br />
des DFV <strong>der</strong> DDR; Günther Schnei<strong>der</strong><br />
wird zu seinem Nachfolger bestimmt. Ab<br />
sofort nimmt Hans-Georg Moldenhauer als<br />
Vertreter <strong>der</strong> Fußball-Basis an den Sitzungen<br />
des Präsidiums des DFV <strong>der</strong> DDR teil.<br />
Gran Canaria: Hamburger SV und Dynamo<br />
Dresden absolvieren ein gemeinsames<br />
Trainingslager.<br />
11.02.1990<br />
<strong>Der</strong> Schwimmausschuss des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Schwimmverbandes (DSV) sagt gemeinsame<br />
Weltmeisterschafts-Qualifikationen<br />
mit <strong>der</strong> DDR ab.<br />
Gründung einer Arbeitsgruppe Sport und<br />
Umwelt im DTSB.<br />
13.02.1990<br />
<strong>Der</strong> Cheftrainer des DDR-Leichtathletikverbandes,<br />
Dr. Ekkart Arbeit, reicht seinen<br />
Rücktritt ein.<br />
Berlin: Gert Barthelmes, Direktor <strong>der</strong><br />
Sporthochschule Kienbaum, teilt vor Pressevertretern<br />
mit, dass <strong>der</strong> DTSB die Unterdruckkammer<br />
in <strong>der</strong> Sporthochschule<br />
Kienbaum ausländischen Partnern <strong>zur</strong> Mitnutzung<br />
anbieten will.<br />
14.02.1990<br />
Run<strong>der</strong> Tisch des Sports tagt: Zustimmung<br />
für ein Paket von Sofortmaßnahmen des<br />
Amtes für Jugend und Sport <strong>zur</strong> unmittelbaren<br />
Unterstützung <strong>der</strong> sportlichen Basis.<br />
Sportler und Sportfunktionäre bei<strong>der</strong> deutscher<br />
Staaten sprechen sich gegen übereilte<br />
Schritte bei <strong>der</strong> Bildung einer gemeinsamen<br />
Olympiamannschaft aus.<br />
Gründung eines Alpenvereins durch Wan<strong>der</strong>er<br />
und Bergsteiger aus Jena.<br />
15.02.1990<br />
Bürgerinitiative Olympia 2000 berät mit<br />
Mitglie<strong>der</strong>n des DTSB-Arbeitssekretariats<br />
über die Vorbereitungen Olympischer<br />
Sommerspiele in beiden Teilen Berlins.<br />
16.02.1990<br />
Gründung des Fußballklubs Wismut Aue.<br />
Präsident: Günter Palme. Geschäftsführer:<br />
Herbert Ischt.<br />
17.02.1990<br />
Außerordentlicher Verbandstag des Boxsportverbandes<br />
<strong>der</strong> DDR. Manfred Bergs<br />
wird zum neuen Präsidenten gewählt.<br />
29
30<br />
Süddeutsche Zeitung 05.02.1990<br />
Erste Rufe nach gemeinsamen Olympiateam<br />
DDR-Sprecher: Schon 1992 unter einer Fahne / Sportlerdemonstration in Berlin und Potsdam<br />
Berlin (dpa/sid) – Die Pläne für mögliche<br />
gemeinsame Olympische Spiele in<br />
Berlin im Jahr 2000 o<strong>der</strong> 2004 werden<br />
jetzt auch in <strong>der</strong> DDR immer konkreter.<br />
Das Präsidium des Nationalen Olympischen<br />
Komitees (NOK) <strong>der</strong> DDR hat<br />
am Samstag auf einer Sitzung dem<br />
Magistrat von Ost-Berlin seine Hilfe<br />
bei <strong>der</strong> Ausarbeitung einer Machbarkeitsstudie<br />
angeboten, wie sie in West-<br />
Berlin schon vor knapp drei Wochen<br />
vorgelegt worden war. Außerdem soll<br />
die Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> „Gesellschaft<br />
<strong>zur</strong> För<strong>der</strong>ung des Olympischen<br />
Gedankens in <strong>der</strong> DDR“ intensiviert<br />
und vertraglich vereinbart werden.<br />
Das Thema Olympia stand auch auf<br />
<strong>der</strong> Tagesordnung des ersten Gesprächs<br />
zwischen dem West-Berliner Staatssekretär<br />
und Leiter des Olympia-Büros,<br />
Hans-Jürgen Kuhn, mit Wilfried Poßner,<br />
dem Vorsitzenden des neugegründeten<br />
Amtes für Jugend und Sport in<br />
<strong>der</strong> DDR. Beide Seiten vereinbarten<br />
auch Inspektionsreisen zu den für<br />
Olympia in Frage kommenden Sportstätten<br />
in beiden Teilen Berlins.<br />
Bis zum Mai sollen im NOK <strong>der</strong> DDR<br />
Entwürfe für ein neues Statut und eine<br />
Wahlordnung im Hinblick auf die<br />
nächste Mitglie<strong>der</strong>versammlung am 30.<br />
Juni ausgearbeitet werden. An diesem<br />
Tag steht in erster Linie die Neuwahl<br />
des nur vorläufig im Amt befindlichen<br />
NOK-Präsidiums bevor. Am 6. Januar<br />
dieses Jahres trat Manfred Ewald, <strong>der</strong><br />
seit 1973 mitverantwortlich für die<br />
Aufrüstung <strong>der</strong> DDR <strong>zur</strong> Weltmacht im<br />
Sport war, von <strong>der</strong> NOK-Spitze ab. Das<br />
IOC-Mitglied Günter Heinze, <strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />
letzten Woche zum erstenmal in seiner<br />
neuen Funktion mit dem NOK-<br />
Präsidenten Willi Daume in West-<br />
Berlin zu einem Meinungsaustausch<br />
zusammengetroffen war, trat Ewalds<br />
Nachfolge an.<br />
Süddeutsche Zeitung 5. Februar 1990<br />
Im Hinblick auf die bevorstehenden<br />
Olympischen Spiele 1992 in Barcelona<br />
schlug das NOK-Präsidium <strong>der</strong> DDR<br />
vor, gemeinsam mit dem <strong>Deutsche</strong>n<br />
Turn- und Sportbund <strong>der</strong> DDR (DTSB)<br />
und dem neugeschaffenen Amt für<br />
Jugend und Sport eine Kommission<br />
„Olympische Spiele“ zu bilden. Damit<br />
soll, wie die DDR-Nachrichtenagentur<br />
ADN meldete, die „Olympiavorbereitung<br />
und erfolgreiche Teilnahme einer<br />
DDR-Mannschaft“ gesichtet werden.<br />
Das Präsidium wandte sich an den<br />
DTSB und die Sportverbände mit <strong>der</strong><br />
Bitte, alle Möglichkeiten zu nutzen, um<br />
die DDR-Sportler zielgerichtet auf<br />
Barcelona vorbereiten zu können.<br />
Nach Ansicht von Werner Neumann,<br />
dem Sprecher des Arbeitskreises des<br />
<strong>Deutsche</strong>n Turn- und Sportbundes<br />
(DTSB), könnte es dagegen in Barcelona<br />
„etwas ganz Spektakuläres“ geben.<br />
„Es werden zwar zwei deutsche<br />
Mannschaften starten, aber sie werden<br />
unter einer Fahne einmarschieren“. Das<br />
war zuletzt 1968 bei den Spielen in<br />
Mexiko <strong>der</strong> Fall, als die gemeinsame<br />
deutsche Mannschaft erstmals aufgelöst<br />
worden war, aber noch unter einer<br />
Fahne einmarschieren mußte. Im<br />
„Sportgespräch“ des Deutschlandfunks<br />
for<strong>der</strong>te Rolf Donath, <strong>der</strong> Direktor des<br />
Zentralinstituts des sportmedizinischen<br />
Dienstes <strong>der</strong> DDR in Kreischa, die<br />
baldige Bildung von gesamtdeutschen<br />
Olympiamannschaften. Donath („1989<br />
hatten wir 14 positive Dopingproben in<br />
<strong>der</strong> DDR“) möchte, daß spätestens zu<br />
den zu erwartenden Spielen 2000 in<br />
Berlin wie<strong>der</strong> gesamtdeutsche Olympiamannschaften<br />
antreten.<br />
„1996 gibt es bestimmt bei den Olympischen<br />
Spielen eine gesamtdeutsche<br />
Mannschaft“, erklärte <strong>der</strong> Leiter<br />
des provisorischen Arbeitssekretariats<br />
des DTSB zum Stufenplan des<br />
DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow.<br />
„<strong>Vom</strong> Sport muß ein gesellschaftlicher<br />
Ruck auf alle Politbereiche ausstrahlen.<br />
Wir Sportler können Vorbild<br />
sein“. Zum Thema gesamtdeutsche<br />
Olympiamannschaft sagte dagegen<br />
Günter Heinze vom NOK: „Eine Bildung<br />
von gesamtdeutschen Olympiamannschaften<br />
für 1992 steht nicht auf<br />
<strong>der</strong> Tagesordnung“. Für 1996 wollte<br />
sich Heinze noch nicht festlegen.<br />
Mehr als 7000 Spitzensportler, Freizeitsportler,<br />
Trainer und Sympathisanten<br />
haben am Samstag in Ost-Berlin<br />
und Potsdam gegen Willkürmaßnahmen,<br />
einschneidende finanzielle Kürzungen<br />
und den Ausverkauf des Spitzensports<br />
in <strong>der</strong> DDR demonstriert.<br />
Kugelstoß-Olympiasieger und Athletensprecher<br />
Ulf Timmermann for<strong>der</strong>te<br />
dabei im Berliner Lustgarten von <strong>der</strong><br />
DDR-Regierung die Verabschiedung<br />
eines Sportgesetzes noch vor den<br />
Volkskammerwahlen am 18. März.<br />
„Die Regierung ist verpflichtet, dem<br />
Sport weiterhin ausreichend Geld <strong>zur</strong><br />
Verfügung zu stellen“, sagte Timmermann.<br />
Udo Beyer, <strong>der</strong> 1976 Kugelstoß-<br />
Olympiasieger war, warnte davor, „die<br />
Sportbasis sterben zu lassen“. Bei allen<br />
Bemühungen <strong>zur</strong> Eigenfinanzierung<br />
des Sports, zu <strong>der</strong> auch Aktive und<br />
Eltern bereit seien, bedürfe ein gesun<strong>der</strong><br />
Sport auch künftig <strong>der</strong> tatkräftigen<br />
Unterstützung durch den Staat. DTSB-<br />
Sprecher Werner Neumann sagte, daß<br />
im Jahr 1990 40 <strong>bis</strong> 45 Millionen Mark<br />
fehlen würden. Er for<strong>der</strong>te die sofortige<br />
Bereitstellung von 20 Millionen Mark<br />
aus einen Son<strong>der</strong>fonds: „Jetzt muß alles<br />
schnell und unbürokratisch gehen“.<br />
Timmermann und Beyer sprachen sich<br />
im übrigen für die Teilnahme des<br />
Sports am Runden Tisch aus.
<strong>Chronik</strong> Februar 1990<br />
17.02.1990<br />
Cottbus: Dem SC Dynamo Cottbus stehen<br />
rund ein Drittel weniger hauptamtliche<br />
Trainer, Übungsleiter und an<strong>der</strong>e Mitarbeiter<br />
als vor dem <strong>Mauerfall</strong> <strong>zur</strong> Verfügung.<br />
Stendal: Aus <strong>der</strong> Sektion Fußball <strong>der</strong> BSG<br />
Lok Stendal hat sich eine eigenständige<br />
Fußball-Spielvereinigung Altmark Stendal<br />
gegründet.<br />
17./18.02.1990<br />
Berlin: Tagung des Präsidiums des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Judoverbandes <strong>der</strong> DDR. Nach dem<br />
Rücktritt von Prof. Dr. Gerhard Lehmann<br />
wird Hans-Rüdiger Gach zum amtierenden<br />
Präsidenten gewählt.<br />
19.02.1990<br />
Hameln: Rostocks Handball-Rekordnationalspieler<br />
Frank Michael Wahl unterschreibt<br />
einen Profivertrag beim VfL Hameln.<br />
Bärbel Wöckel, Sprinterin <strong>der</strong> DDR, ist in<br />
die Bundesrepublik übergesiedelt.<br />
20.02.1990<br />
Fußball-Oberligist BFC Dynamo Berlin<br />
trennt sich von seinem alten Namen und<br />
heißt fortan FC Berlin. Ehemalige MfS-<br />
Angehörige verlassen die Klubleitung.<br />
21.02.1990<br />
Vereinigungsgesetz <strong>der</strong> DDR verabschiedet,<br />
nach dessen Inkrafttreten sich binnen<br />
weniger Wochen Tausende neue Vereinigungen<br />
anmelden, hierzu gehören auch die<br />
Sportvereine.<br />
25.02.1990<br />
Kienbaum: 18. Tagung des DTSB-Bundesvorstandes.<br />
Im Mittelpunkt steht weiterhin<br />
die Sicherung des Sports. <strong>Der</strong> Orientierungsläuferverband<br />
wird als eigenständige<br />
Fö<strong>der</strong>ation bestätigt. <strong>Der</strong> Fe<strong>der</strong>ballverband<br />
heißt ab sofort Badminton-Sportverband.<br />
26.02.1990<br />
Das Amt für Jugend und Sport hat 18 Millionen<br />
Mark aus Lottomitteln <strong>zur</strong> För<strong>der</strong>ung<br />
des Sports vom Wettspielbetrieb erhalten.<br />
Hennigsdorf: Rugby-Vergleich zwischen<br />
Stahl Hennigsdorf und VfR Döhren Hannover.<br />
Berlin (West): Boxvergleich zwischen<br />
TSC Berlin und Spandauer BC 26.<br />
Cottbus: Tischtennisvergleich zwischen<br />
Automation 86 Cottbus und SC Charlottenburg.<br />
27.02.1990<br />
DFB Präsident Herman Neuberger spricht<br />
sich in einem Interview mit „Die Welt“<br />
gegen eine sofortige Einglie<strong>der</strong>ung von<br />
DDR-Klubs in die Bundesligen und gegen<br />
eine gemeinsame Mannschaft für die Europameisterschaftsqualifikation<br />
1992 aus.<br />
Berlin: Vollversammlung aller Fußball-<br />
Oberligisten <strong>der</strong> DDR. Es wird ein Ligaausschuss<br />
im DFV gebildet. Vorsitzen<strong>der</strong>:<br />
Robert Pischke.<br />
Die „Lausitzer Rundschau“ schreibt: Von<br />
den 1989 dem DTSB <strong>zur</strong> Verfügung gestellten<br />
402,6 Millionen Mark wurden 62,8<br />
Prozent für den Leistungssport und 37,2<br />
Prozent für den Massensport ausgegeben.<br />
28.02.1990<br />
Die DTSB-Bezirksvorstände Cottbus,<br />
Frankfurt (O<strong>der</strong>) und Potsdam knüpfen<br />
erste Kontakte im Hinblick auf die zu diesem<br />
Zeitpunkt noch theoretische Überlegung<br />
<strong>der</strong> Bildung des Landes Brandenburg.<br />
31
32<br />
Februar 1990 – Eine Collage
<strong>Chronik</strong> März 1990<br />
März 1990<br />
01.03.1990<br />
Gründung <strong>der</strong> Treuhandgesellschaft.<br />
Bad Blankenburg: Gründung des Thüringer<br />
Fußballverbandes bestehend aus den<br />
Bezirksfachausschüssen Suhl, Erfurt und<br />
Gera.<br />
02.-04.03.1990<br />
Rückkehr auf die internationale Bühne:<br />
Nach Jahrzehnten <strong>der</strong> Unterdrückung<br />
nimmt die DDR-Tischtennis-Nationalmannschaft<br />
bei den Europameisterschaften<br />
in Göteborg teil (Platz 24). <strong>Der</strong> Tischtennisverband<br />
<strong>der</strong> DDR (DTTV) hatte sich<br />
nach internationalen Turnieren in Cottbus<br />
(1971) und Gera (1973) aus dem Leistungsgeschehen<br />
<strong>zur</strong>ückgezogen. Wettkämpfe<br />
waren nur noch mit Gegnern aus<br />
den sozialistischen Län<strong>der</strong>n erlaubt.<br />
03.03.1990<br />
Karlsruhe: Erster Tischtennislän<strong>der</strong>vergleich<br />
Bundesrepublik gegen DDR seit<br />
1961.<br />
Laucha: Erster offizieller Drachenflug auf<br />
dem Territorium <strong>der</strong> DDR.<br />
03.03.1990<br />
Adidas-Produkte sind nun im DDR-<br />
Einzelhandel erhältlich.<br />
03./04.03.1990<br />
Außerordentlicher Turn- und Sporttag des<br />
DTSB mit erstmals demokratischer Neuwahl<br />
des Präsidenten. <strong>Der</strong> ehemalige Präsident<br />
des Bobsportverbandes <strong>der</strong> DDR,<br />
Martin Kilian, wird zum neuen ehrenamtlichen<br />
Präsidenten gewählt. Generalsekretär<br />
wird Jochen Grunwald. Anwesend waren<br />
1.100 Delegierte.<br />
04.03.1990<br />
Erstes Treffen zwischen Willi Daume, Präsident<br />
des westdeutschen Nationalen Olympischen<br />
Komitees und Joachim Weiskopf,<br />
ab dem 16. Juni 1990 Präsident des<br />
ostdeutschen NOKs.<br />
05.03.1990<br />
Außerordentlicher Verbandstag des<br />
ADMV <strong>der</strong> DDR (Motorsport).<br />
Leipzig: DDR-Premiere für American<br />
Football.<br />
06.03.1990<br />
<strong>Der</strong> Präsident des <strong>Deutsche</strong>n Sportbundes,<br />
Hans Hansen, appelliert in einem dpa-<br />
Interview, nichts zu überstürzen.<br />
Das erste Cottbusser Fitnessstudio wird<br />
eröffnet.<br />
07.03.1990<br />
Mit einem 25:20 Sieg bei <strong>der</strong> Handball-<br />
Weltmeisterschaft in <strong>der</strong> CSSR sichert die<br />
DDR-Auswahl <strong>der</strong> gesamtdeutschen<br />
Mannschaft die Olympiaqualifikation für<br />
Barcelona. Die Auswahl des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Handball-Bundes (DHB) hingegen nahm<br />
an <strong>der</strong> drittklassigen C-WM in Finnland<br />
teil und hätte sich maximal für die B-WM<br />
1992 in Österreich qualifizieren können.<br />
33
34<br />
Befreiung von <strong>der</strong> Altlast – Am 31. März 1990 wurde im DDR-Fußball <strong>der</strong> Demokratisierungsprozess eingeleitet<br />
Befreiung von <strong>der</strong> Altlast<br />
Am 31. März 1990 wurde im DDR-<br />
Fußball <strong>der</strong> Demokratisierungsprozess<br />
eingeleitet<br />
von Michael Barsuhn<br />
März 1990. Dreizehn Tage nachdem die<br />
Mehrheit <strong>der</strong> DDR-Bevölkerung in den ersten<br />
freien und geheimen Volkskammerwahlen<br />
für eine schnelle Vereinigung votiert<br />
hatte, bereiteten die Delegierten des DFV <strong>der</strong><br />
DDR das Fundament für die Demokratisierung<br />
ihres Verbandes. Dabei geriet <strong>der</strong> erste<br />
unter Mitwirkung <strong>der</strong> Fußball-Basis vorbereitete<br />
Verbandstag in Strausberg bei Berlin<br />
zu einer hochemotionalen Veranstaltung.<br />
Heinz Krügel, ehemals Trainer des 1. FC<br />
Magdeburg, warf <strong>der</strong> alten Verbandsleitung<br />
in einer flammenden Ansprache Machtmissbrauch<br />
und Arroganz vor. Die Funktionäre<br />
hätten den "Dirigismus von ZK und Bezirksleitung<br />
<strong>der</strong> SED" ohne Wi<strong>der</strong>spruch geduldet<br />
und zeitweise sogar selbst in Trainingsprozesse<br />
eingegriffen.<br />
Die Stimmung war angeheizt. Das Plädoyer<br />
überzeugte die Delegierten. Basis-Kandidat<br />
Hans-Georg Moldenhauer setzte sich in freier<br />
und geheimer Wahl mit 55 Prozent gegen<br />
den amtierenden Präsidenten und langjährigen<br />
Spitzenfunktionär Günter Schnei<strong>der</strong> (44<br />
Prozent) durch. Dieser war zu tiefen DDR-<br />
Zeiten unter an<strong>der</strong>em in die Aburteilung <strong>der</strong><br />
Dresdener Spieler Peter Kotte und Matthias<br />
Müller involviert gewesen. Beide wurden<br />
1982 wegen versuchter Republikflucht gesperrt.<br />
Obwohl Hans Modrow als damaliger<br />
Sekretär <strong>der</strong> SED-Bezirksleitung Dresden für<br />
eine Begnadigung plädierte, ließ sich<br />
Schnei<strong>der</strong> trotz persönlicher Bitte <strong>der</strong> Spieler<br />
nicht erweichen. Die Anfrage wurde negativ<br />
beschieden. Erst als ihre Karriere schon zu<br />
Ende war - im Januar 1990 - erfolgte die<br />
Rehabilitierung <strong>der</strong> beiden Spieler durch den<br />
DFV. Für seine Fehlleistungen erhielt<br />
Schnei<strong>der</strong> nun nachträglich die Quittung.<br />
<strong>Der</strong> Machtwechsel war perfekt. Wenige Minuten<br />
nach <strong>der</strong> Wahl verweigerte Generalsekretär<br />
Wolfgang Spitzner <strong>der</strong> neuen Füh-<br />
Michael Barsuhn<br />
rung demonstrativ die Gefolgschaft: Er<br />
drückte dem verdutzten Moldenhauer einen<br />
Zettel in die Hand: "Hiermit erkläre ich meinen<br />
Rücktritt als Generalsekretär des DFV."<br />
Die abgewählte Führungsriege erschien nicht<br />
einmal mehr zum abendlichen Bankett, da<br />
sie sich, so die Beobachtung des damaligen<br />
Chefs <strong>der</strong> Neuen Fußballwoche, Jürgen<br />
Nöldner, als Opfer eines "Dolchstoßes" fühlte.<br />
Frustration auf <strong>der</strong> einen, Erleichterung auf<br />
<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite. Die Mehrheit <strong>der</strong> Delegierten<br />
freute sich über die lange Liste <strong>der</strong><br />
verabschiedeten Reformen. Sie umfasste<br />
eine neue Lizenzspielerordnung, eine modifizierte<br />
Wettkampfordnung, eine neue Satzung,<br />
die Wahl eines Liga-Ausschusses <strong>zur</strong><br />
Vertretung <strong>der</strong> Interessen <strong>der</strong> Lizenzvereine,<br />
die Umwandlung des Generalsekretariats <strong>zur</strong><br />
Geschäftsstelle - alles wichtige Schritte <strong>zur</strong><br />
Rechtsangleichung mit dem DFB. Auf dem<br />
Weg <strong>zur</strong> deutschen Fußball-Einheit galt ab<br />
dem 31. März 1990 die Losung Moldenhauers:<br />
"Je besser ich arbeite, um so kürzer bin<br />
ich im Amt."<br />
In zahlreichen Unterredungen bereitete er in<br />
den kommenden Monaten mit DFB-<br />
Präsident Neuberger die Vereinigung im<br />
Fußball vor. Neuberger rechnete aus "sporttechnischen<br />
und -rechtlichen Gründen" mit<br />
einem Zusammenschluss erst im Frühjahr<br />
1992. Moldenhauer hingegen erkannte die<br />
Dynamik <strong>der</strong> gesellschaftlichen Entwicklung.<br />
In einem Vier-Augen-Gespräch während<br />
<strong>der</strong> Fußball-WM in Italien appellierte er<br />
an DFB-Abteilungsleiter Horst R. Schmidt:<br />
"Haben Sie gesehen, wie die Mauer gefallen<br />
ist? Wissen Sie, dass ein ganzer Block zusammengebrochen<br />
ist? Armeen sind weggefegt,<br />
Armeen! Staatssicherheit, alles fällt und<br />
geht weg, und ich soll in diesem Ganzen<br />
ausgerechnet einen eigenständigen Fußballverband<br />
mit dem Begriff DDR <strong>bis</strong> 92 erhalten!?"<br />
Die Geschichte gab Moldenhauer Recht: Am<br />
21. November 1990 trat <strong>der</strong> als Nordostdeutscher<br />
Fußballverband neu gegründete DFV<br />
in Leipzig dem DFB bei: Die deutsche Fußball-Einheit<br />
war vollzogen.
<strong>Chronik</strong> März 1990 35<br />
08.03.1990<br />
Henry Maske unterschreibt Profivertrag<br />
mit Manager Wilfried Sauerland.<br />
Die „Märkische Volkszeitung“ beklagt den<br />
Ausverkauf des DDR-Handballs.<br />
09.03.1990<br />
Bonn: Die Bundesregierung will die<br />
deutsch-deutschen Sportveranstaltungen<br />
im laufenden Jahr mit 7,8 Millionen D-<br />
Mark unterstützen.<br />
11.03.1990<br />
Im Interview mit dem „Deutschlandfunk“<br />
gibt sich <strong>der</strong> ehemalige DTSB- und NOK-<br />
Präsident <strong>der</strong> DDR ahnungslos bezüglich<br />
Doping- und Stasiverwicklungen im Sport.<br />
12.03.1990<br />
„Gib das mal den Mädels“ – <strong>der</strong> ehemalige<br />
DDR-Schwimmtrainer Michael Regner<br />
äußert sich über seine alltägliche Dopingpraxis<br />
im „Spiegel“.<br />
13.03.1990<br />
<strong>Der</strong> Innenminister <strong>der</strong> Bundesrepublik,<br />
Wolfgang Schäuble, spricht sich für eine<br />
gemeinsame Olympiamannschaft aus. Das<br />
Know-How des Leistungssports <strong>der</strong> DDR<br />
müsse bewahrt bleiben, so Schäuble.<br />
14.03.1990<br />
Beginn <strong>der</strong> 2+4 – Verhandlungen.<br />
Letzte Gespräche des Runden Tisches des<br />
Sports. Es wird eine Resolution an die<br />
Volkskammer verabschiedet.<br />
15.03.1990<br />
Reaktion auf Regners Anklage: DDR-<br />
Schwimmer weisen Dopingvorwürfe <strong>zur</strong>ück.<br />
Potsdam: westdeutsche Kanuten testen das<br />
Strömungsbecken <strong>der</strong> Potsdamer Kanuten.<br />
Frankfurt am Main: Terminvereinbarungen<br />
für die Qualifikationsspiele <strong>zur</strong> Europameisterschaft<br />
1992 in Schweden, Gruppe<br />
5, Bundesrepublik gegen DDR: Hinspiel<br />
am 21. November 1990 in Leipzig; Rückspiel<br />
im Dezember 1991 in München.<br />
Gründung <strong>der</strong> Potsdamer Ru<strong>der</strong>gesellschaft.<br />
Potsdam: Gründung <strong>der</strong> Leichtathletikgemeinschaft<br />
Luftschiffhafen.<br />
15.03.1990<br />
„ADN“: IOC-Mitglied Walther Tröger,<br />
zugleich IOC-Sportdirektor und NOK-<br />
Generalsekretär, erklärt zu den Plänen einer<br />
gesamtdeutschen Olympiamannschaft:<br />
„Die Politik müsse die Voraussetzungen<br />
schaffen. Nach einer staatlichen Vereinigung<br />
werde das IOC selbstverständlich<br />
dem deutschen Wunsch auf Anerkennung<br />
eines NOK nachkommen.“<br />
„ADN“: Eine schnellere deutsche Wie<strong>der</strong>vereinigung<br />
im Sport hält hingegen Primo<br />
Nebiolo, Präsident <strong>der</strong> Vereinigung <strong>der</strong><br />
Olympischen Sommersport-Fachverbände<br />
(ASIOF) und des Internationalen-<br />
Leichtathletik-Verbandes (IAAF), für<br />
möglich: „Auch ohne politische Einheit<br />
könnte bei unserer nächsten Weltmeisterschaft<br />
1991 in Tokio ein deutsches Team<br />
antreten. Es genügt, wenn sich die beiden<br />
Leichathletik-Verbände einigen und eine<br />
einzige Anmeldung vornehmen“, erklärte<br />
<strong>der</strong> Italiener.<br />
17.03.1990<br />
Rostock: Ein Ligaausschuss Handball aus<br />
Vertretern aller elf Oberliga-Männer-<br />
Mannschaften konstituiert sich. Sprecher:<br />
Ewald Astrath.
36<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 12.03.1990<br />
<strong>Der</strong> ehemalige Potsdamer Schwimm-Trainer berichtet<br />
Regner über Sportalltag in <strong>der</strong> DDR:<br />
Schon Jugendliche systematisch gedopt<br />
HAMBURG (sid/dpa). Im DDR-<br />
Schwimmsport wurde jahrelang mit<br />
Erfolg gedopt. Auch die sechsfache<br />
Olympiasiegerin Kristin Otto und<br />
Europameister Jörg Hoffmann sollen<br />
von ihren Trainern systematisch mit<br />
Anabolika versorgt worden sein. Das<br />
schreibt in <strong>der</strong> neuesten Ausgabe des<br />
Nachrichtenmagazins „<strong>Der</strong> Spiegel“<br />
<strong>der</strong> ehemalige Schwimmtrainer des<br />
ASK Vorwärts Potsdam, Michael<br />
Regner. Bei dem Medikament, das in<br />
allen Trainingsgruppen in <strong>der</strong> DDR<br />
verteilt worden sein soll, handelt es sich<br />
um das Anabolikum Oral-Turinabol.<br />
Das Präparat wird im VEB Jenapharm<br />
hergestellt und ist eine rezeptpflichtige<br />
muskelbildende Arznei. Wörtlich<br />
schreibt Regner: „Die Anwendung <strong>der</strong><br />
Anabolika wurde zentral gesteuert. In<br />
Ost-Berlin saß eine Kommission, die<br />
jedes Jahr ein ‚Programm für die<br />
sportmedizinische Unterstützung’ erstellte.<br />
Dies diente keinem an<strong>der</strong>en<br />
Zweck als dem systematischen Aufbau<br />
<strong>der</strong> Athleten mit Anabolika.“ Inzwischen<br />
sei durch die politischen Umwälzungen<br />
das Doping-Verfahren aber<br />
nicht mehr intakt.<br />
Die Trainer mußten nach Regners<br />
Worten über jeden Zyklus Protokoll<br />
führen. Nie sei ein Mitglied aus Potsdam<br />
während eines Wettkampfes des<br />
Dopings überführt worden. Um diese<br />
Gefahr auszuschließen, habe kein<br />
Sportler die DDR verlassen dürfen, <strong>der</strong><br />
sich nicht vorher einer Dopingprobe<br />
unterzogen hatte. Hierfür sei das Zentrale<br />
Dopinglabor des Sportmedizinischen<br />
Dienstes in Kreischa verantwortlich<br />
gewesen, in dem rund um die Uhr<br />
gearbeitet worden sei. Regner schreibt<br />
weiter, daß das Dopinglabor in Kreischa<br />
nach dem positiven Befund des<br />
kanadischen Sprinters Ben Johnson bei<br />
den Olympischen Spielen 1988 an<br />
neuen Dopingmitteln gearbeitet habe,<br />
die aus Nasenspray-Flaschen benutzt<br />
werden sollten. Das Experiment habe<br />
sich je doch nicht bewährt. Insge-<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 12. März 1990<br />
samt hat <strong>der</strong> Skandal um Ben Johnson<br />
nach Regners Auffassung an <strong>der</strong> Doping-Praxis<br />
in <strong>der</strong> DDR wenig verän<strong>der</strong>t.<br />
Nach den Sommerspielen 1988<br />
habe nur eine kurze Verunsicherung<br />
geherrscht. Bereits Anfang 1989 seien<br />
die Schwimmer <strong>der</strong> DDR von den<br />
Medizinern wie<strong>der</strong> in gewohntem<br />
Umfang mit Anabolika versorgt worden.<br />
Das erstemal war Regner im Juni<br />
1987 vom Potsdamer Schwimm-Arzt<br />
Dr. Jochen Neubauer mit Tabletten<br />
versorgt worden, die er an seine Gruppe<br />
mit zwölf- <strong>bis</strong> vierzehnjährigen<br />
Schwimmerinnen weiterreichen mußte.<br />
Zwölf Tage lang mußte er den jungen<br />
Mädchen jeweils eine halbe Pille in den<br />
Vitamintrank mischen. Wenig später<br />
mußte Regner eine Geheimhaltungs-<br />
Erklärung unterschreiben. Von Ende<br />
Oktober 1987 an hatte Regner die<br />
weibliche Spitzengruppe des ASK<br />
Vorwärts Potsdam trainiert, zu <strong>der</strong> auch<br />
Grit Müller und Diana Block gehörten.<br />
Das Anabolikum erhielt er jetzt als<br />
Tabletten in <strong>der</strong> Originalverpackung.<br />
Die Mädchen, die ebenfalls ein Geheimhaltungs-Formular<br />
unterschreiben<br />
mußten, wußten, was sie einnahmen.<br />
Regner schreibt weiter: „Bei entsprechendem<br />
Talent und entsprechendem<br />
Training haben Anabolika eine ungeheure<br />
Fahrstuhlwirkung. Jugendliche<br />
im Alter von 14 o<strong>der</strong> 15 Jahren werden<br />
damit systematisch aufgebaut und so in<br />
relativ kurzer Zeit auf Weltklasse-<br />
Niveau gehievt." Daß auch die sechsfache<br />
Olympiasiegerin von Seoul Kristin<br />
Otto, Anabolika zu sich genommen<br />
habe, beschreibt Regner im „Spiegel“<br />
so: „So erzählt er (Trainer Kollege<br />
Stefan Hetzer) mir beispielsweise, daß<br />
seine beiden Parade-Schwimmerinnen,<br />
Kristin Otto und Silke Hörner, im Zuge<br />
<strong>der</strong> allgemeinen Angst vor verschärften<br />
Kontrollen ‚erst mal <strong>bis</strong> zu den DDR-<br />
Meisterschaften sauber bleiben’ soll-<br />
ten.“ <strong>Der</strong> heute 37 Jahre alte Trainer<br />
lebt und arbeitet seit einigen Tagen in<br />
Neuseeland. Seit Dezember 1978 war<br />
er Schwimmtrainer in Potsdam. Im<br />
August 1989 war er über Ungarn aus<br />
<strong>der</strong> DDR geflüchtet und einige Monate<br />
beim 1. Offenbacher Schwimm-Club,<br />
dem Verein von Olympiasieger Michael<br />
Groß, tätig gewesen.<br />
Die Enthüllungen von Regner finden<br />
größtenteils Bestätigung. „Bis auf<br />
einige Unklarheiten ist viel Wahres<br />
dabei“, sagt <strong>der</strong> 22 Jahre alte Raik<br />
Hannemann aus Leipzig, Europameisterschaftszweiter<br />
über 200 Meter Lagen.<br />
Allerdings schränkte er ein: „Nicht<br />
alle DDR-Schwimmer waren o<strong>der</strong> sind<br />
gedopt.“ Christian Poswiat, im vergangen<br />
November aus <strong>der</strong> DDR nach<br />
Wuppertal übergesiedelt, sagt: „Die<br />
Sportler wurden zum Doping gezwungen,<br />
uns blieb nichts an<strong>der</strong>es übrig.<br />
Auch ich habe es kurzfristig ausprobiert.<br />
Aber ich habe gemerkt, daß es<br />
bei mir ohne besser ging.“ Verärgert<br />
reagierte die 20 Jahre alte Manuela<br />
Stellmach, dreifach Europameisterin<br />
aus Ost-Berlin. „Das hört sich so einfach<br />
an. Man geht jeden Tag zum<br />
Trainer, holt sich eine Pille, und schon<br />
ist man viel schneller als die an<strong>der</strong>en.“<br />
Unterstützung erhält sie von Michael<br />
Groß: „Wer die DDR-Mädchen einmal<br />
trainieren sah, kann die Leistungen<br />
nicht nur auf Doping <strong>zur</strong>ückführen. Ich<br />
glaube, die wären auch so überlegen<br />
gewesen“, sagt <strong>der</strong> dreimalige Olympiasieger.<br />
Das Vorgehen Regners<br />
verurteilt Groß. „Das ist nicht fair. Es<br />
könnte auch jemand behaupten, ich sei<br />
gedopt. Wie soll man sich dagegen<br />
wehren?“ <strong>Der</strong> gleichen Ansicht ist auch<br />
<strong>der</strong> Wuppertaler Frank Hoffmeister,<br />
<strong>der</strong> sich 1984 in Rom vom DDR-Team<br />
abgesetzt hatte. „Es gibt Leute, die<br />
kommen hierher und werden damit<br />
nicht fertig. Die wollen sich ins Gespräch<br />
bringen.“
<strong>Chronik</strong> März 1990 37<br />
18.03.1990<br />
Erste und einzige freie Parlamentswahlen<br />
in <strong>der</strong> DDR. Sieger ist die „Allianz für<br />
Deutschland“, die eine rasche Wie<strong>der</strong>vereinigung<br />
anstrebt.<br />
Cottbus: Ausrüstervertrag zwischen Puma<br />
AG Herzogenaurach und <strong>der</strong> Sektion<br />
Leichtathletik des SC Cottbus.<br />
19.03.1990<br />
Für das Amt des Präsidenten des Fußballverbandes<br />
(DFV <strong>der</strong> DDR) kandidieren<br />
Günter Schnei<strong>der</strong> und Dr. Hans-Georg<br />
Moldenhauer.<br />
21.03.1990<br />
Berlin: Pressekonferenz des neuen DTSB-<br />
Präsidenten Martin Kilian, <strong>der</strong> von <strong>der</strong><br />
DDR-Führung eine umfassende Unterstützung<br />
erwartet.<br />
Oslo: Die DDR wird auf <strong>der</strong> Jahrestagung<br />
des Europäischen Tennis-Verbandes als<br />
neues Mitglied aufgenommen.<br />
Berlin: <strong>Der</strong> Sportklub SC Dynamo Berlin<br />
nennt sich ab sofort 1. Polizei-Sportklub<br />
Berlin mit den Sportarten Boxen, Eiskunstlauf,<br />
Eisschnelllauf, Fechten, Handball,<br />
Judo, Leichtathletik, Radsport, Ru<strong>der</strong>n,<br />
Schwimmsport, Turnen und Volleyball.<br />
Die Sektion Eishockey formiert sich als<br />
selbstständiger Eishockeyklub unter dem<br />
Namen EHC Dynamo Berlin.<br />
23.03.1990<br />
Stuttgart: Projektgruppe <strong>der</strong> Handballverbände<br />
<strong>der</strong> beiden deutschen Staaten. DHB<br />
und DHV <strong>der</strong> DDR streben einheitlichen<br />
Handballverband an.<br />
Berlin (West): Otto Höhne wird zum neuen<br />
Präsidenten des Berliner Fußballverbandes<br />
(BFV) gewählt. Gemeinsam mit Uwe Piontek,<br />
Präsident des FVB (Ostberliner<br />
Fußballverband), organisierte er später die<br />
Vereinigung des Berliner Fußballs.<br />
24.03.1990<br />
Erste gemeinsame Präsidiumstagung <strong>der</strong><br />
Basketballverbände (DBV und DBB) in<br />
<strong>der</strong> Landessporthalle Westberlin.<br />
26.03.1990<br />
Radball-Vertretungen <strong>der</strong> DDR nehmen,<br />
nach 23jähriger Abstinenz am Europapokalwettbewerb<br />
teil.<br />
29.03.1990<br />
DTSB verkauft seine Yacht „Sturmvogel<br />
II“.<br />
31.03.1990<br />
Erster demokratisch vorbereiteter Verbandstag<br />
des ostdeutschen Fußballs, erste<br />
demokratische Wahl eines Verbandspräsidenten<br />
(Moldenhauer).<br />
Erster deutsch-deutscher Renntag auf <strong>der</strong><br />
Galopprennbahn Hoppegarten.
38<br />
März 1990 – Eine Collage
<strong>Chronik</strong> April 1990 39<br />
April 1990<br />
01.04.1990<br />
Potsdam: Anru<strong>der</strong>n und Anpaddeln gemeinsam<br />
mit Westberlinern.<br />
Bezirksfachausschuss Leichtathletik Berlin<br />
und SCC Berlin organisieren gemeinsam<br />
einen Lauf durch Berlin.<br />
05.04.1990<br />
<strong>Der</strong> Direktor des Bundesausschusses Leistungssport<br />
im <strong>Deutsche</strong>n Sportbund, Professor<br />
Rolf Andresen, erklärt in <strong>der</strong> neusten<br />
Ausgabe <strong>der</strong> Zeitschrift „NOK-<br />
Report“: „Gesamtdeutsches Team bei Olympia<br />
1992 möglich“.<br />
Duisburg: Die Kanusportverbände <strong>der</strong> beiden<br />
deutschen Staaten haben eine Arbeitsgruppe<br />
gebildet.<br />
Hannover: Erstes Treffen <strong>der</strong> Präsidenten<br />
des DTSB <strong>der</strong> DDR, Martin Kilian, und<br />
des DSB, Hans Hansen. Klare Konturen<br />
für den Vereinigungsprozess.<br />
Frankfurt (O<strong>der</strong>): U-20 Län<strong>der</strong>kampf im<br />
Ringen zwischen DDR und Bundesrepublik<br />
bei den 1. Frankfurter Ringertagen.<br />
07.04.1990<br />
<strong>Der</strong> Leipziger Handball-Nationalspieler<br />
Peter Hofmann wird in <strong>der</strong> nächsten Saison<br />
für Wallau/Massenheim starten.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Deutsche</strong> Seglerverband ist ab sofort<br />
bereit, Segel-Gemeinschaften aus <strong>der</strong> DDR<br />
sowie auch DDR-Landesverbände in seinen<br />
Reihen aufzunehmen.<br />
Frankfurt (O<strong>der</strong>): Gründung des Brandenburgischen<br />
Gewichtheber- und Fitnessverbandes.<br />
Präsident: Frank Wetzold.<br />
09.04.1990<br />
Berlin: <strong>Der</strong> Präsident des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Sportbundes, Hans Hansen, bietet im Gespräch<br />
mit Journalisten Unterstützung <strong>der</strong><br />
DDR Vereine an und verkündet zu diesem<br />
Zweck eine Vertretung in Westberlin<br />
gründen zu wollen.<br />
10.04.1990<br />
Potsdam: Erster Verbandstag des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Wasserskiverbandes <strong>der</strong> DDR.<br />
Potsdam: Diskussionen des Kreisvorstandes<br />
des DTSB <strong>der</strong> DDR mit allen Parteien,<br />
Massenorganisationen sowie politischen<br />
Gruppierungen.<br />
12.04.1990<br />
Lothar de Maiziere wird in <strong>der</strong> Volkskammer<br />
zum Ministerpräsidenten gewählt.<br />
Weißwasser: Gründung des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Eishockey-Verbandes <strong>der</strong> DDR. Präsident:<br />
Peter Kolbe.<br />
13.04.1990<br />
Hennigsdorf: Erstmals seit dem Zweiten<br />
Weltkrieg spielt eine englische Rugby-<br />
Mannschaft gegen Stahl Hennigsdorf.<br />
17.04.1990<br />
Hoppegarten: Gründung von sechs Pferdesport-Rennvereinen:<br />
Hoppegarten, Dresden,<br />
Leipzig, Halle, Magdeburg und Gotha-Boxberg.<br />
18.04.1990<br />
Berlin: Pressekonferenz <strong>zur</strong> zweiten Runde<br />
des deutsch-deutschen Sportgipfels. Die<br />
Präsidenten, Martin Kilian (DTSB <strong>der</strong><br />
DDR) und Hans Hansen (DSB), drängen<br />
auf Ministergespräch.<br />
Handball: Weitere Abgänge gen Westen:<br />
Rüdiger Traub, Olaf Peitz, Timo Pötzsch,<br />
Matthias Bölk, Kathrin Kohlhagen.<br />
Neubrandenburg: Sponsorenvertrag zwischen<br />
dem SC Neubrandenburg und <strong>der</strong><br />
Sportartikel-Firma Nike.
40<br />
„Gemeinsam sind wir die Größten“? – Olympia 1992 als Traum und Albtraum<br />
„Gemeinsam sind wir die Größten“?<br />
Olympia 1992 als Traum und Albtraum<br />
von Jutta Braun<br />
April 1990. Im Jahr 1964 hatte es letztmalig<br />
ein gesamtdeutsches olympisches Team gegeben.<br />
Damals noch unter den Bedingungen<br />
des Kalten Krieges: Mit deutsch-deutschen<br />
Qualifikationsspielen, die aufgrund <strong>der</strong> angespannten<br />
politischen Lage vor leeren Zuschauerrängen<br />
als Geisterspiele ausgetragen<br />
werden mussten. Und bestimmt von dem<br />
Bestreben <strong>der</strong> DDR, den kopfstärkeren Teil<br />
<strong>der</strong> gemeinsamen Mannschaft zu stellen.<br />
Nun im Jahr 1990, die deutsche Einheit vor<br />
Augen, stellte sich die Frage eines gemeinsamen<br />
olympischen Teams mit brennen<strong>der</strong><br />
Aktualität. Politik und Sport zeigten sich<br />
hierbei optimistisch: Bundesinnenminister<br />
Wolfgang Schäuble ging bereits im März<br />
1990 von <strong>der</strong> Bildung einer gemeinsamen<br />
Olympiamannschaft für die Olympischen<br />
Spiele in Albertville und Barcelona 1992<br />
aus; <strong>der</strong> ostdeutsche Ministerpräsident Lothar<br />
de Maziére plädierte ebenfalls bereits in<br />
seiner Regierungserklärung vom 20. April<br />
1990 für ein vereintes Team. Das IOC hielt<br />
sich freundlich bedeckt: Diese Frage sei allein<br />
Sache <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong>n, verkündete Antonio<br />
Samaranch. Weniger neutral wurde die<br />
Angelegenheit vom westlichen Ausland beäugt:<br />
Im März 1990 schürte die Sporttageszeitung<br />
L’ Equipe Ängste vor einem „deutschen<br />
Sportkoloss“, illustriert durch einen<br />
steinernen Muskelprotz <strong>der</strong> Nazi-Zeit auf <strong>der</strong><br />
Titelseite. Etwas höflicher, aber dennoch<br />
bestimmt bemerkte ein amerikanischer ABC-<br />
Reporter im April bei einer Pressekonferenz<br />
von DSB und DTSB, das Wichtigste für ihn<br />
als Amerikaner sei die Frage, ob ein vereinigtes<br />
Deutschland 1992 bei den Olympischen<br />
Spielen die „Weltmacht Nummer<br />
Eins“ werde.<br />
Während das Ausland also das Bild eines<br />
unbezwingbaren Monolithen beschwor, <strong>der</strong><br />
nur darauf wartete, mit vereinter Kraft sportlich<br />
loszuschlagen, waren zahlreiche ost- und<br />
Jutta Braun<br />
west-deutsche Spitzenathleten von <strong>der</strong> Idee<br />
eines gemeinsamen Teams alles an<strong>der</strong>e als<br />
begeistert. Bundesdeutsche Sportler fürchteten,<br />
gegenüber den DDR-Athleten ins Hintertreffen<br />
zu geraten, so erklärte Judo-<br />
Olympiasieger Frank Wieneke: „Ich bin gegen<br />
eine gemeinsame Mannschaft 1992. Die<br />
Sportler dort haben jahrzehntelang die besten<br />
Bedingungen geboten bekommen, und jetzt<br />
geht das einfach so weiter. Die sollen erst<br />
mal lernen, unter unseren, also reellen Bedingungen<br />
Sport zu treiben. Eine gemeinsame<br />
Mannschaft in naher Zukunft würde die<br />
Chancen <strong>der</strong> bundesdeutschen Sportler enorm<br />
einschränken.“ Auch Rodel-<br />
Weltmeister Georg Hackl sah „nicht ein,<br />
dass die DDR-Leute schon wie<strong>der</strong> bevorzugt<br />
werden sollten.“ In die Sorge um die eigene<br />
Karriere mischte sich hier ein offenbar seit<br />
längerer Zeit aufgestauter Unmut über die als<br />
besser eingeschätzten Rahmenbedingungen<br />
<strong>der</strong> DDR-Sportler. Auf ostdeutscher Seite<br />
kalkulierte man 1990 ebenfalls die Chancen<br />
in einem vereinten Team. Diskuswerfer und<br />
Olympiasieger Jürgen Schult rechnete vor, er<br />
sei für zwei Mannschaften, einfach „weil<br />
dann sechs Diskuswerfer starten können und<br />
nicht nur drei.“<br />
Stimmen für eine gemeinsame Mannschaft<br />
hörte man vorwiegend von Sportlern, die<br />
entwe<strong>der</strong> nicht mehr aktiv waren o<strong>der</strong> Dank<br />
ihres Ausnahmekönnens einen Startplatz so<br />
gut wie sicher hatten.<br />
Die Olympischen Spiele des Jahres 1992<br />
wurden für das vereinte Deutschland tatsächlich<br />
zu einer sportlichen Sensation: Maßgeblich<br />
aufgrund <strong>der</strong> herausragenden Leistungen<br />
<strong>der</strong> ostdeutschen Athleten im bundesdeutschen<br />
Ka<strong>der</strong> gewann die Bundesrepublik bei<br />
den Winterspielen in Albertville erstmals die<br />
Medaillenwertung. 63 Prozent <strong>der</strong> Winter-<br />
und 50 Prozent <strong>der</strong> Sommermedaillen wurden<br />
von Athleten aus <strong>der</strong> ehemaligen DDR<br />
erzielt; sie stellten im Sommer zwei Drittel<br />
aller olympischen Sieger, im Winter 60 Prozent.<br />
Dass die Sport-Welt dennoch nicht in<br />
Angst vor einer alles überstrahlenden Olympia-Großmacht<br />
Bundesrepublik erstarren<br />
musste, haben spätestens die Spiele von Athen<br />
2004 gezeigt.
<strong>Chronik</strong> April 1990 41<br />
18.04.1990<br />
Boxfachleute aus den Bezirken Potsdam,<br />
Frankfurt (O<strong>der</strong>) und Cottbus trafen sich<br />
<strong>zur</strong> Konstituierung des Arbeitsausschusses<br />
für die Bildung eines Landesverbandes<br />
Boxen im zukünftigen Land Brandenburg.<br />
19.04.1990<br />
Malta: UEFA-Kongress in Malta: Erstes<br />
Treffen <strong>der</strong> Präsidenten <strong>der</strong> beiden deutschen<br />
Fußballverbände Hans-Georg Moldenhauer<br />
und Hermann Neuberger.<br />
Potsdam: Tagung des Bezirkssportausschusses.<br />
Neuer Präsident: Professor Dr.<br />
Gerhard Junghähnel. <strong>Der</strong> <strong>bis</strong>herige DTSB-<br />
Bezirksvorstand stellt seine Tätigkeit ein.<br />
<strong>Der</strong> DTSB-Bezirksvorsitzende Helmut<br />
Klopp geht in den Vorruhestand.<br />
20.04.1990<br />
Witten: Ringer-Län<strong>der</strong>vergleich zwischen<br />
Luckenwalde und Witten.<br />
Berlin: Tagung des Präsidiums des NOK<br />
<strong>der</strong> DDR unter Vorsitz des amtierenden<br />
Präsidenten Dr. Günther Heinze. DDR-<br />
NOK plädiert für ein gesamtdeutsches<br />
Komitee.<br />
21.04.1990<br />
Cottbus: Erweiterte Bezirksvorstandssitzung.<br />
<strong>Der</strong> <strong>bis</strong>herige hauptamtliche Vorsitzende<br />
Alfons Hengstler geht in den Vorruhestand.<br />
Neuer ehrenamtlicher DTSB-<br />
Bezirksvorsitzen<strong>der</strong>: Günter Jentsch.<br />
Berlin: Gründung des Läuferbundes <strong>der</strong><br />
DDR.<br />
Günter Radowski, DDR-Boxtrainer, ist in<br />
die Bundesrepublik übergesiedelt.<br />
21./22.04.1990<br />
Dresden: Gründung des <strong>Deutsche</strong>n Golf-<br />
Verbandes <strong>der</strong> DDR. Präsident: Bernd Rudolph.<br />
Leipzig: Gründung eines Berufsverbandes<br />
<strong>der</strong> Trainer und Sportlehrer. Erster Vorsitzen<strong>der</strong>:<br />
Uwe Wiegand.<br />
Berlin: Außerordentlicher Verbandstag <strong>der</strong><br />
Pferdesportler. Neuer Präsident des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Pferdesportverbandes <strong>der</strong> DDR: Dr.<br />
Rudolf Fuchs.<br />
Bad Schmiedeberg: Außerordentlicher<br />
Verbandstag des <strong>Deutsche</strong>n Anglerverbandes<br />
<strong>der</strong> DDR. Neuer Präsident: Bernd Miukulin.<br />
Verbandstag Gewichtheber und Fitness.<br />
Neuer Präsident: Dr. Siegfried Schmücking.<br />
22.04.1990<br />
Güstrow: Nach 19 Jahren veranstaltet <strong>der</strong><br />
ADMV wie<strong>der</strong> einen WM-Lauf in Güstrow.<br />
In einem Rundfunkinterview plädiert Cordula<br />
Schubert, neue Ministerin für Jugend<br />
und Sport <strong>der</strong> DDR, für ein gemeinsames<br />
Olympiateam 1992.<br />
25.04.1990<br />
Berlin (West): Pressekonferenz des DSB-<br />
Präsidenten Hans Hansen. Die DSB-<br />
Führung strebe eine großzügige Zusammenarbeit<br />
mit dem DDR-Sport ohne voreilige<br />
Zusammenschlüsse an.<br />
Olaf Ludwig im Interview mit dem Magazin<br />
„Playboy“: „DDR-Sportsystem war<br />
gut“.<br />
Strausberg: Gründung des Brandenburgischen<br />
Judoverbandes e. V. aus Vertretern<br />
<strong>der</strong> drei Bezirke Frankfurt (O<strong>der</strong>), Potsdam<br />
und Cottbus. Präsident: Henry Hempel.<br />
Leipzig: Gründung des Judoverbandes<br />
Sachsen.
42<br />
Süddeutsche Zeitung 06.04.1990<br />
Die Methode des Artikels 23 als Favorit<br />
Die Vereinigung <strong>der</strong> deutschen Sportverbände soll sich nach dem politischen Weg richten<br />
Hannover (dpa) – <strong>Der</strong> Fahrplan<br />
<strong>zur</strong> Einigung des deutschen Sports<br />
nimmt Konturen an. Schon <strong>bis</strong><br />
Ende Juni wollen <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong><br />
Sportbund (DSB) und <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong><br />
Turn- und Sportbund (DTSB) <strong>der</strong><br />
DDR verbindlich vereinbaren,<br />
unter welchen Bedingungen und in<br />
welcher Form sich <strong>der</strong> Zusammenschluß<br />
des Sports <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
und <strong>der</strong> DDR vollziehen<br />
soll. Darauf verständigten sich<br />
DSB-Präsident Hans Hansen und<br />
DTSB-Präsident Martin Kilian bei<br />
ihrem ersten Sportgipfel am Donnerstag<br />
in Hannover. „Wir haben<br />
beide auf das Tempo gedrückt. Bei<br />
<strong>der</strong> Klärung <strong>der</strong> Fragen darf es<br />
keinen Aufschub geben. Bis Ende<br />
Juni wollen wir das Konzept für die<br />
Einheit des Sports in Deutschland<br />
auf den Tisch legen“, erklärten<br />
Hansen und Kilian übereinstimmend.<br />
Beide Spitzenfunktionäre hielten<br />
schon für die Olympischen Spiele<br />
1992 in Albertville und Barcelona<br />
ein gemeinsames Olympiateam für<br />
möglich, wobei das Prinzip gelten<br />
soll: Zwei Län<strong>der</strong>, zwei Mannschaften<br />
– ein Land, eine Mannschaft.<br />
Kilian meinte dazu: „Sollte<br />
die staatliche Einheit in <strong>der</strong> Zeit<br />
Sommer/Herbst 1991 erfolgen,<br />
dann gebe ich zu bedenken, in<br />
Albertville noch mit zwei Mannschaften<br />
anzutreten.“ Hansen und<br />
Kilian verwiesen in diesem Zusammenhang<br />
auf die Zuständigkeit<br />
<strong>der</strong> beiden deutschen Nationalen<br />
Olympischen Komitees (NOK),<br />
denen sie wie den nationalen Fachverbänden<br />
<strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
Süddeutsche Zeitung 6. April 1990<br />
und <strong>der</strong> DDR empfahlen <strong>bis</strong> Jahresmitte<br />
die Konzepte ihrer Zusammenschlüsse<br />
zu vereinbaren.<br />
„Es war das wichtigste Zusammentreffen<br />
zwischen DSB und<br />
DTSB in den letzten Jahrzehnten.<br />
Bei dem hervorragenden Gespräch<br />
gab es weitgehende Übereinstimmung“,<br />
erklärte Hansen nach dem<br />
dreistündigen Treffen mit Kilian,<br />
an dem auch beide Generalsekretäre<br />
Norbert Wolf (DSB) und Jochen<br />
Grünwald (DTSB) teilnahmen.<br />
Hansen und Kilian vereinbarten<br />
schon für den 18. April in Ost-<br />
Berlin die ersten Verhandlungen<br />
von Präsidialkommissionen von<br />
DSB und DTSB. Die weiteren<br />
Spitzentreffen dieses Lenkungsausschusses,<br />
in dem Hansen und Kilian<br />
abwechselnd den Vorsitz übernehmen,<br />
wurden für den 23. März<br />
(West-Berlin) und den 28. Juni<br />
festgelegt. Für die Bereiche Leistungssport,<br />
Breitensport, Strukturen<br />
und Wissenschaft werden vier gemeinsame<br />
Kommissionen schon<br />
demnächst ihre Arbeit aufnehmen.<br />
„Zu unseren Übereinstimmungen<br />
gehörte auch, daß <strong>der</strong> künftige<br />
gesamtdeutsche Sport fö<strong>der</strong>ativ<br />
aufgebaut und von <strong>der</strong> Gemeinnützigkeit<br />
getragen sein muß“, berichtete<br />
Hansen. <strong>Der</strong> DTSB, <strong>der</strong> rund<br />
drei Millionen Mitglie<strong>der</strong> hat<br />
(DSB: 20 Millionen), war <strong>bis</strong> <strong>zur</strong><br />
politischen Wende in <strong>der</strong> DDR<br />
strikt zentralistisch ausgerichtet.<br />
<strong>Der</strong> Sport will sich jedoch nicht<br />
nur im Tempo <strong>der</strong> Vereinigung an<br />
<strong>der</strong> Politik ausrichten, son<strong>der</strong>n auch<br />
in <strong>der</strong> Methode. „Sollte die deut-<br />
sche Einheit nach Artikel 23 des<br />
Grundgesetzes erfolgen, also durch<br />
Beitritt <strong>der</strong> DDR <strong>zur</strong> Bundesrepublik,<br />
dann wird es auch im Sport<br />
eine Entsprechung geben“, sagte<br />
Hansen. Kilian meinte dazu:<br />
„Wenn Parlamente und Regierungen<br />
den Artikel 23 als Grundvoraussetzung<br />
annehmen, wird <strong>der</strong><br />
Sport in gleicher Weise reagieren.“<br />
Hansen war mit dem Ziel in diese<br />
erste Gesprächsrunde mit dem<br />
DTSB gegangen, „unter dem Dach<br />
des DSB das Bewährte des DDR-<br />
Sports einzubringen.“<br />
Kilian kündigte an, daß sich<br />
schon unmittelbar nach <strong>der</strong> Bildung<br />
<strong>der</strong> Län<strong>der</strong> in <strong>der</strong> DDR Landessportbünde<br />
nach dem Vorbild <strong>der</strong><br />
Bundesrepublik gründen würden.<br />
Er könne sich vorstellen, „daß<br />
Berlin sich nicht nur als gemeinsame<br />
Olympia-Stadt profilieren wird,<br />
son<strong>der</strong>n auch als eine Sportunion<br />
Berlin“, in <strong>der</strong> modellhaft die künftige<br />
Zusammenarbeit des deutschdeutschen<br />
Sports erfolgen sollte.<br />
Als „größtes Problem“ <strong>der</strong> deutschen<br />
Sportvereinigung bezeichnete<br />
Hansen den Bereich <strong>der</strong> Fachverbände.<br />
Ihr Zusammenwachsen<br />
sei auch abhängig von <strong>der</strong> Zustimmung<br />
<strong>der</strong> zuständigen internationalen<br />
Verbände, die darüber entscheiden<br />
würden, wann es <strong>zur</strong><br />
Bildung jeweiliger gemeinsamer<br />
Nationalmannschaften kommt.<br />
Kilian wagte als persönliche Prognose,<br />
daß es „in einem Jahr o<strong>der</strong> in<br />
eineinhalb Jahren“ einen einzigen<br />
deutschen Sportbund geben werde.
<strong>Chronik</strong> April 1990 43<br />
26.04.1990<br />
Vorschlag von NOK –Präsident Heinze für<br />
eine gemeinsames Olympisches Komitee.<br />
28.04.1990<br />
Gera: Die erste deutsch-deutsche Allkategorien-Meisterschaft<br />
<strong>der</strong> Gewichtheber.<br />
Leipzig: Deutsch-deutscher Tennisvergleich.<br />
Berlin: Gründung des BTSV, Bund technischer<br />
Sportverbände.<br />
Wendeverbandstage <strong>der</strong> Sportfachverbände<br />
<strong>der</strong> DDR<br />
Verbandstag Ru<strong>der</strong>n. Neuer Präsident:<br />
Alfred B. Neuman.<br />
Verbandstag Faustball. Neuer Präsident:<br />
Professor Dr. Heinz Frankiewicz.<br />
Verbandstag Rennschlitten/Bobsport. Präsident:<br />
Karl-Heinz Anschütz.<br />
Verbandstag Judo. Neuer Präsident: Dr.<br />
Erhard Buchholz.<br />
Verbandstag Ski in Wernigerode. Neuer<br />
ehrenamtlicher Präsident Ulrich Wehling.<br />
Verbandstag Radsport. Neuer Präsident:<br />
Wolfgang Schoppe.<br />
Verbandstag Ringen. Neuer Präsident:<br />
Heinz Weinhold.<br />
Verbandstag Segeln. Neuer Präsident:<br />
Walter Kaczmarczyk.<br />
Verbandstag Badminton. Neuer Präsident:<br />
Gerd Pigola.<br />
Verbandstag Leichtathletik. Neuer Präsident.<br />
Professor Dr. Gerd Schröter.<br />
28./29.04.1990<br />
Dresden: Gründung des <strong>Deutsche</strong>n Eishockeyverbandes<br />
<strong>der</strong> DDR. Präsident: Heinz<br />
Illing.<br />
28./29.04.1990<br />
„ND“-Gespräch mit Cordula Schubert <strong>zur</strong><br />
Finanzierung des Sports und über den<br />
Entwurf des DTSB zu einem Sportgesetz.<br />
28.04.-01.05.1990<br />
Rostock: Ost-West-Surf-Cup 90.<br />
29.04.1990<br />
Wer<strong>der</strong>/Potsdam: Erster deutsch-deutscher<br />
Vergleich zwischen Wasserskisportlern.<br />
30.04.1990<br />
Berlin (Ost): Neuer DTSB-Bezirksvorsitzen<strong>der</strong>:<br />
Dr. Wolfgang Schmahl.<br />
Westdeutsches Versicherungsunternehmen<br />
„Nürnberger“ wird neuer Hauptsponsor<br />
des <strong>Deutsche</strong>n Handballverbandes <strong>der</strong><br />
DDR.
44<br />
April 1990 – Eine Collage
<strong>Chronik</strong> Mai 1990 45<br />
Mai 1990<br />
01.05.1990<br />
Berlin: Olympiasieger bei<strong>der</strong> deutscher<br />
Staaten sprechen sich auf einem Treffen<br />
für ein gemeinsames deutsches Team aus.<br />
02.05.1990<br />
DDR-Handball-Auswahlspieler Fuhrig<br />
wird von Wallau-Massenheim unter Vertrag<br />
genommen.<br />
03.05.1990<br />
Die beiden DDR-Eishockey-Klubs EHC<br />
Dynamo Berlin und Dynamo Weißwasser<br />
werden ab <strong>der</strong> Saison 1990/91 am Spielbetrieb<br />
<strong>der</strong> zweiten westdeutschen Eishockey-Bundesliga<br />
teilnehmen.<br />
04.05.1990<br />
Verbandstag des DTTV <strong>der</strong> DDR (Tischtennis).<br />
Demokratisierung des Verbandes.<br />
05.05.1990<br />
Wendeverbandstage <strong>der</strong> Sportfachverbände<br />
<strong>der</strong> DDR<br />
Verbandstag Handball. Präsident Professor<br />
Dr. Hans-Georg Herrmann wird im Amt<br />
bestätigt.<br />
Verbandstag Schwimmen. Neuer Präsident:<br />
Wilfried Windolf.<br />
Verbandstag Kegeln. Neuer Präsident:<br />
Gerhard Rostalski.<br />
Verbandstag Tischtennis. Präsident Werrner<br />
Lü<strong>der</strong>itz wird in seinem Amt bestätigt.<br />
Verbandstag Hockey. Neuer Präsident: Dr.<br />
Günther Conradi.<br />
Verbandstag Bogenschießen. Präsident Dr.<br />
Günther Kohl wird in seinem Amt bestätigt.<br />
Verbandstag Billard. Präsident Rolf Weiß<br />
wird in seinem Amt bestätigt.<br />
Verbandstag Rollsport. Neuer Präsident:<br />
Horst Leonhardt.<br />
05.05.1990<br />
Zinnwald: Gründung eines selbstständigen<br />
Fachverbandes <strong>der</strong> Kunstläufer. Präsident:<br />
Reinhard Mirmseker.<br />
Berlin: Gründung eines selbstständigen<br />
Fachverbandes Eisschnelllauf.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Deutsche</strong> Boxverband <strong>der</strong> DDR beschließt<br />
die Bildung von Olympialeistungszentren<br />
in Schwerin, Berlin, Cottbus<br />
und Halle.<br />
Turnweltmeister Andreas Wecker kehrt<br />
zum 1. SC Berlin <strong>zur</strong>ück.<br />
Cottbus: Fußballfreundschaftsspiel <strong>der</strong><br />
Altinternationalen <strong>der</strong> Bundesrepublik und<br />
<strong>der</strong> DDR.<br />
07.05.1990<br />
Berlin: Gespräch zwischen DDR-<br />
Sportministerin Cordula Schubert und dem<br />
Präsidenten des Westberliner Landessportbundes,<br />
Manfred von Richthofen. Die<br />
Sportanlagen sollen dem Vereinsleben<br />
dienen.<br />
08.05.1990<br />
Berlin: Erstes Gespräch zwischen Cordula<br />
Schubert und dem in <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
für Sport zuständigen Innenminister, Dr.<br />
Wolfgang Schäuble, über das Zusammenwachsen<br />
des deutschen Sports.<br />
Königswinter/Bonn: Gemeinsame Tagung<br />
von ost- und westdeutschen Sportjournalisten.<br />
DFB-Schatzmeister Egidius Braun<br />
wird für das zögerliche Einheitstempo des<br />
DFB scharf attackiert.
46<br />
Tod einer Massenorganisation (II) – <strong>Der</strong> innere und äußere Machtverlust des DTSB<br />
Tod einer Massenorganisation (II)<br />
<strong>Der</strong> innere und äußere Machtverlust des<br />
DTSB<br />
von Jutta Braun<br />
Mai 1990. <strong>Der</strong> „Außerordentliche Turn- und<br />
Sporttag“ am 4. März 1990 sollte einen Neuanfang<br />
markieren. Doch hatten die ersten<br />
freien Wahlen im DTSB von Beginn an einen<br />
entscheidenden Geburtsfehler: Die Delegierten<br />
des Turn- und Sporttages selbst<br />
waren nicht aus einem demokratischen<br />
Wahlverfahren hervorgegangen, son<strong>der</strong>n<br />
nach altbekannter zentralistischer Manier<br />
delegiert worden; <strong>der</strong> Wahl eines neuen<br />
DTSB-Vorsitzenden fehlte damit von vornherein<br />
eine überzeugende Legitimation. Bedrückung<br />
und Untergangsstimmung prägten<br />
die Veranstaltung: Vergeblich bemühte sich<br />
das Präsidium, einen neuen Kapitän für das<br />
leckgeschlagene Flagschiff des Staatssports<br />
zu finden. Ein potentieller Kandidat nach<br />
dem an<strong>der</strong>en erläuterte schulterzuckend dem<br />
Plenum, weshalb er die Aufgabe nicht annehmen<br />
könne: <strong>der</strong> Präsident des Faustballverbandes<br />
„bedauerte außerordentlich“,<br />
Sportidol Täve Schur verwies unter dem<br />
Beifall <strong>der</strong> Delegierten auf sein Engagement<br />
bei <strong>der</strong> PDS als Entschuldigung. Schließlich<br />
erbarmte sich <strong>der</strong> Präsident des Schlitten-<br />
und Bobsportverbandes, <strong>der</strong> damals 61 Jahre<br />
alte Bürgermeister von Wernigerode, Martin<br />
Kilian. Als einziger Kandidat stellte er sich<br />
in Ost-Berlin den 1067 Delegierten – und<br />
wurde dankbar gewählt. <strong>Der</strong> „Hans Modrow<br />
des Sports“ war gefunden.<br />
Die kommenden Monate sollten für den letzten<br />
Präsidenten des DTSB nicht leicht werden:<br />
Mit einem rapiden Personalabbau lösten<br />
sich die hypertrophen Strukturen des mit<br />
über 10.000 Beschäftigten aufgeblähten Apparates<br />
bereits seit Frühjahr 1990 auf. <strong>Der</strong><br />
innere Zerfall war begleitet vom äußeren<br />
Bedeutungsverlust. Die wichtigste Maßnahme<br />
des ostdeutschen Sportministeriums war,<br />
wie <strong>der</strong> damalige Referent Karl Hans Pezold<br />
es formulierte, <strong>der</strong> Massenorganisation nicht<br />
länger „einen Geldkoffer vor die Tür zu stel-<br />
Jutta Braun<br />
len“. Mit <strong>der</strong> Entscheidung, dem DTSB die<br />
Finanzmittel zu entziehen und diese künftig<br />
direkt den Fachverbänden zuzuleiten, leistete<br />
die Ministerin Cordula Schubert im Mai<br />
1990 den entscheidenden Beitrag <strong>zur</strong> Herstellung<br />
<strong>der</strong> Autonomie des Sports. Bislang<br />
hatte <strong>der</strong> DTSB durch die dirigistische Verteilung<br />
<strong>der</strong> Mittel selbstherrlich über Wohl<br />
und Wehe vieler Sportarten entschieden –<br />
dies sollte nun ein Ende finden. Schubert<br />
wurde mit dieser Entscheidung allerdings zu<br />
einer <strong>der</strong> bestgehassten Personen <strong>der</strong> ostdeutschen<br />
Regierung. Auf <strong>der</strong> einer sozialistischen<br />
Wagenburg ähnelnden Tagung in<br />
Kienbaum Mitte Mai for<strong>der</strong>te <strong>der</strong> DTSB<br />
ihren Rücktritt, führende Tageszeitungen <strong>der</strong><br />
DDR stimmten ein. Aus <strong>der</strong> späteren Einsicht<br />
in Verstrickungen <strong>der</strong> Funktionäre und<br />
Pressevertreter mit <strong>der</strong> Staatssicherheit sieht<br />
Cordula Schubert diese Front rückblickend<br />
als gezielte Kampagne: „Die haben damals<br />
massiv gegen mich gehetzt, und ich weiß<br />
mittlerweile auch bewiesen, warum. Das war<br />
ihr Kampfauftrag.“<br />
<strong>Der</strong> DTSB spielte in den deutsch-deutschen<br />
Vereinigungsverhandlungen als Partner des<br />
DSB nur kurzzeitig eine Rolle. Schäuble und<br />
Schubert signalisierten jedoch dem <strong>Deutsche</strong>n<br />
Sportbund, dass nicht die Massenorganisation<br />
<strong>der</strong> alten SED-Ka<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n das<br />
Sportministerium <strong>der</strong> ersten demokratisch<br />
gewählten DDR-Regierung <strong>der</strong> angemessene<br />
Ansprechpartner sei. Mit dem Zusteuern auf<br />
die deutsche Einheit hatte <strong>der</strong> DTSB seinen<br />
sicheren organisatorischen Tod vor Augen.<br />
Als Massenorganisation hatte er die ideologisch<br />
zugeschriebene Aufgabe, als „Transmissionsriemen“<br />
<strong>der</strong> führenden Partei <strong>der</strong><br />
Arbeiterklasse zu wirken. In Ermangelung<br />
einer diktatorischen Einheitspartei erübrigte<br />
sich diese Mission. Eine „Massenorganisation<br />
des Sports“ war, ebenso wie diejenigen<br />
<strong>der</strong> Jugend und Gewerkschaft, dem staatlichen<br />
und sportlichen Gefüge einer westlichen<br />
Demokratie systemfremd und damit<br />
nicht integrierbar. Zum 5. Dezember 1990<br />
beschloss <strong>der</strong> ohnmächtige Riese DTSB seine<br />
Selbstauflösung.
<strong>Chronik</strong> Mai 1990 47<br />
09.05.1990<br />
Potsdam/Babelsberg: Erstes und einziges<br />
Fußball-Län<strong>der</strong>spiel <strong>der</strong> Frauen-<br />
Nationalmannschaft gegen die CSFR (0:3).<br />
Erklärung des DTSB: Das Präsidium übt<br />
Kritik an DDR-Sportministerin Cordula<br />
Schubert.<br />
10.05.1990<br />
<strong>Der</strong> Fußballverband <strong>der</strong> DDR (DFV <strong>der</strong><br />
DDR) hat eine Nachricht über den Verzicht<br />
seiner Nationalmannschaft für die<br />
kommende EM-Qualifikation dementiert.<br />
Die Fußballer Frank Rohde und Thomas<br />
Doll wechseln von FC Berlin zum Hamburger<br />
SV. Nach <strong>der</strong> Spielzeit 1989/90<br />
wechselten außerdem Ulf Kirsten, Matthias<br />
Sammer, Hans Uwe Pilz, Matthias<br />
Döschner, Andreas Trautmann (alle Dynamo<br />
Dresden), Wolfgang Steinbach (1.<br />
FC Magdeburg) und Joachim Streich<br />
(Trainer 1. FC Magdeburg) in die Bundesligen.<br />
11.05.1990<br />
Berlin: Gespräch zwischen Staatssekretär<br />
Dr. Horst Iske und DTSB-Präsident Martin<br />
Kilian. Missverständnisse über die Äußerungen<br />
von Sportministerin Cordula Schubert<br />
werden angeblich ausgeräumt.<br />
München: Außerordentlicher Verbandstag<br />
des <strong>Deutsche</strong>n Eishockeybundes (DEB).<br />
Die Vereinigung <strong>der</strong> Eishockeyverbände<br />
<strong>der</strong> beiden deutschen Staaten ist nahezu<br />
perfekt.<br />
12.05.1990<br />
Kienbaum: Auf <strong>der</strong> zweiten Bundesvorstandstagung<br />
des DTSB wird <strong>der</strong> Rücktritt<br />
von Sportministerin Cordula Schubert gefor<strong>der</strong>t.<br />
Gründung des Triathlonverbandes und des<br />
Karateverbandes <strong>der</strong> DDR.<br />
Frankfurt (O<strong>der</strong>): Gründung des Brandenburgischen<br />
Volleyballverbandes. Präsident:<br />
Gerhard Frommert.<br />
Hameln: Mit Matthias Hahn wechselt <strong>der</strong><br />
dritte Handballer von SC Empor Rostock<br />
zum VfL Hameln.<br />
Rundschreiben des Bezirksfachausschusses<br />
Fußball: Ab Herbst 1990 soll es eine Landesliga<br />
Brandenburg geben.<br />
Berlin: Erste Beratung <strong>der</strong> gemeinsamen<br />
Arbeitsgruppe DTSB/DSB. Es kommt zu<br />
einer Annäherung beim Thema Breitensport.<br />
Magdeburg: Präsidiumstagung des Basketballverbandes<br />
<strong>der</strong> DDR. Als neuer Präsident<br />
wird Dr. Volkard Uhlig gewählt.<br />
Eine engere Zusammenarbeit vereinbaren<br />
<strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong> Behin<strong>der</strong>tensportverband<br />
(DBS) und <strong>der</strong> Verband für Versehrtensport<br />
<strong>der</strong> DDR.<br />
13.05.1990<br />
<strong>Der</strong> Präsident des <strong>Deutsche</strong>n Sportbundes,<br />
Hans Hansen, rechnet erst nach Vollzug<br />
<strong>der</strong> staatlichen Einheit mit einer Vereinigung<br />
des Sports.<br />
14.05.1990<br />
Gründung des Landesverbandes Berlin-<br />
Brandenburg <strong>der</strong> Gehörlosensportler.<br />
15.05.1990<br />
Sportministerin Cordula Schubert spricht<br />
sich gegen eine weitere finanzielle Unterstützung<br />
des hauptamtlichen Apparates des<br />
DTSB aus. Ein vereinbartes Gespräch mit<br />
DTSB-Präsident Martin Kilian wird abgesagt.<br />
DSB-Präsident Hans Hansen bekräftigt<br />
dennoch die weitere Zusammenarbeit<br />
mit dem DTSB.<br />
16.05.1990<br />
Die besten Schwimmer <strong>der</strong> DDR und <strong>der</strong><br />
Bundesrepublik planen ein deutschdeutsches<br />
Anti-Doping-Pilotprojekt.
48<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 09.05.1990<br />
„Habe nie den Wunsch geäußert, gesamtdeutscher Präsident zu werden“<br />
DSB-Präsident dementiert Machtanspruch<br />
Hansen will Einheit ohne Vereinnahmung<br />
Jöh. KÖNIGSWINTER. „Ich habe<br />
nie den Wunsch geäußert, gesamtdeutscher<br />
Präsident zu werden.“ So<br />
hat Hans Hansen, Präsident des<br />
<strong>Deutsche</strong>n Sportbundes (DSB), am<br />
Dienstag entsprechende Meldungen<br />
<strong>zur</strong>ückgewiesen. Einen Tag nach<br />
einem Meinungsaustausch mit<br />
Bundesinnenminister Schäuble und<br />
Staatssekretär Walter Priesnitz vom<br />
Bundesministerium für Innerdeutsche<br />
Beziehungen sprach Hansen<br />
gestern in Königswinter bei <strong>der</strong><br />
dritten deutsch-deutschen Sportjournalisten-Tagung,<br />
<strong>der</strong> ersten<br />
nach <strong>der</strong> politischen Wende in <strong>der</strong><br />
DDR. <strong>Der</strong> DSB-Präsident bekräftigte<br />
seinen Standpunkt, die Vereinigung<br />
des Sports mit Ruhe, Sachlichkeit<br />
und Fingerspitzengefühl zu<br />
betreiben. Deshalb verzichte er<br />
darauf, Machtansprüche zu äußern,<br />
die einige im deutschen Sport gerne<br />
von ihm sähen. „Die Vereinigung<br />
des Sports muß nach Form und Zeit<br />
wie die staatliche Vereinigung<br />
ablaufen. Deshalb macht sich <strong>der</strong><br />
Sport aber nicht von <strong>der</strong> Politik<br />
abhängig“, sagte <strong>der</strong> DSB-<br />
Präsident.<br />
Bis Ende Juni, so Hansen, müsse<br />
aber die „grobe Richtung“ für die<br />
Vereinigung von <strong>Deutsche</strong>m Sportbund<br />
(21 Millionen Mitglie<strong>der</strong>) und<br />
<strong>Deutsche</strong>m Turn- und Sportbund<br />
(DTSB) <strong>der</strong> DDR (3 Millionen<br />
Mitglie<strong>der</strong>) feststehen. Eine bloße<br />
Vereinnahmung des kleineren Verbandes<br />
lehnt Hansen dabei ebenso<br />
ab wie Alleingänge von sich gründenden<br />
Fachverbänden in den künf-<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 9. Mai 1990<br />
tigen Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> DDR, die lieber<br />
heute als morgen die Einheit mit<br />
ihren westlichen Partnerorganisationen<br />
vollzögen. Bis Ende dieses<br />
Jahres erwartet Hansen die Gründung<br />
von Landessportbünden in <strong>der</strong><br />
DDR und somit neue Impulse für<br />
die Vereinigung.<br />
Bis dahin will Hansen keine falschen<br />
Hoffnungen wecken. Die<br />
Auszehrung des DDR-Sports durch<br />
die Übersiedlung zahlreicher Aktiver<br />
könne <strong>der</strong> DSB so wenig verhin<strong>der</strong>n,<br />
wie er bei einer sportlichen<br />
Einheit zum jetzigen Zeitpunkt<br />
auch nur in Ansätzen den<br />
Bestand des DDR-Sports finanzieren<br />
könnte. Schon die in die Höhe<br />
geschnellte Zahl von deutschdeutschen<br />
Sportbegegnungen stellt<br />
den DSB vor Schwierigkeiten. Das<br />
Ministerium für Innerdeutsche<br />
Beziehungen wird nicht mehr als<br />
fünf Millionen Mark <strong>zur</strong> Verfügung<br />
stellen; gleichgültig, wie hoch die<br />
Zahl <strong>der</strong> ursprünglich 4000 geschätzten<br />
Begegnungen am Ende<br />
dieses Jahres sein wird. Hansen<br />
erwartet etwa 6000 Begegnungen.<br />
Nicht alle werden nach dem <strong>bis</strong>herigen<br />
Muster unterstützt werden<br />
können, so daß zu erwarten ist, daß<br />
von einem bestimmten Zeitpunkt<br />
dieses Jahres an nur noch partiell<br />
finanzielle Hilfe geleistet werden<br />
kann. Zum Beispiel für Jugendbegegnungen.<br />
„Diesen Prozeß <strong>der</strong> Einheit zum<br />
Abschluß zu bringen, ist eine reizvolle<br />
Geschichte, deshalb werde<br />
ich im Dezember wie<strong>der</strong> kandidie<br />
ren“, sagte Hansen und deutete<br />
damit an, daß er doch <strong>der</strong> erste<br />
gesamtdeutsche Sportpräsident sein<br />
könnte. Sein am 18. März gewählter<br />
DTSB-Kollege Martin Kilian<br />
hat in seiner Antrittsrede ja herausgestellt,<br />
daß er sich nur als „Übergangspräsident“<br />
ansehe. Am 3. Mai<br />
war Hansen vier Jahr lang im Amt,<br />
für vier weitere Jahre wird er sich<br />
am 15. Dezember in Hannover <strong>zur</strong><br />
Wahl stellen. Über den Zeitpunkt<br />
dieses seit langem geplanten DSB-<br />
Bundestages will er nicht mit sich<br />
reden lassen. Die ohnehin aus organisatorischen<br />
Gründen schon um<br />
ein halbes Jahr verlängerte Amtszeit<br />
so lange auszudehnen, <strong>bis</strong> <strong>der</strong><br />
vereinte deutsche Sport seinen<br />
Präsidenten wählen kann, bereite<br />
ihm „rechtspolitische Bedenken“.<br />
Nach <strong>der</strong> Vereinigung, zu welchem<br />
Zeitpunkt auch immer, setzt Hansen<br />
auf „klare Verhältnisse“. Das<br />
heißt, er zieht in diesem Fall Präsidiumsneuwahlen<br />
<strong>der</strong> Möglichkeit<br />
vor, die Zahl <strong>der</strong> Vizepräsidenten<br />
im DSB zu erhöhen und dann ehemalige<br />
DDR-Funktionäre hinzuzuwählen.<br />
Am 15. Dezember, so<br />
Hansen, habe <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong> Sportbund<br />
die Möglichkeit zu Satzungsän<strong>der</strong>ungen<br />
im Hinblick auf die<br />
Einheit.<br />
„Die Vereinigung ist auch eine<br />
Chance für den DSB“, sagte Hansen<br />
in Köngiswinter. Reformbedürftig<br />
sei beispielsweise die Arbeit<br />
auf dem Gebiet Sport und<br />
Umwelt. Die Aufgaben verdienten<br />
den gleichen Stellenwert wie <strong>der</strong><br />
Leistungssport.
<strong>Chronik</strong> Mai 1990 49<br />
17.05.1990<br />
Im Magazin „Stern“ dementiert Katarina<br />
Witt Vorwürfe, sie habe für das Ministerium<br />
für Staatssicherheit gearbeitet.<br />
19.05.1990<br />
Berlin (West): Erste gemeinsame Präsidiumstagung<br />
von DFB und DFV am Rande<br />
des DFB-Pokalfinales: Vereinigung nicht<br />
vor März/April 1992 geplant. Gemeinsamer<br />
Spielbetrieb startet mit <strong>der</strong> Saison<br />
1992/93.<br />
Berlin (West): Badminton-Län<strong>der</strong>vergleich<br />
<strong>der</strong> beiden deutschen Staaten.<br />
Berlin (Ost): Arbeitstagung des NOK <strong>der</strong><br />
DDR. Neuwahlen am 16. Juni 1990 in<br />
Kienbaum.<br />
21.05.1990<br />
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“<br />
titelt: „ Fußballabteilung mit Verlängerung.<br />
DFB und DFV fusionieren erst 1992. Präsident<br />
Neuberger verzögert das Tempo <strong>der</strong><br />
Vereinigung.“<br />
22.05.1990<br />
Auf dem achten Verbandstag des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Turnverbandes (DTV) <strong>der</strong> DDR<br />
wird eine Erklärung <strong>zur</strong> baldigen Zusammenführung<br />
des DTV <strong>der</strong> DDR mit dem<br />
<strong>Deutsche</strong>n Turnerbund (DTB) verabschiedet.<br />
Präsident: Professor Dr. Günther<br />
Borrmann.<br />
Potsdam: Gründung des 1. Potsdamer<br />
Schwimmvereins.<br />
24./25.05.1990<br />
Berlin: Boxgipfel zwischen Delegationen<br />
des <strong>Deutsche</strong>n Boxverbandes (DBV) <strong>der</strong><br />
DDR und des <strong>Deutsche</strong>n Amateur-<br />
Boxverbandes (DABV) <strong>der</strong> Bundesrepublik.<br />
Vereinigung für 1991 vorgesehen,<br />
eine gemeinsame Boxliga aber bereits im<br />
laufenden Kalen<strong>der</strong>jahr.<br />
25.05.1990<br />
Köln: <strong>Der</strong> „Kölner Express“ berichtet, dass<br />
die Bundesregierung auf den DFB Druck<br />
ausüben wolle und eine schnellere Vereinigung<br />
<strong>der</strong> beiden deutschen Fußballverbände<br />
for<strong>der</strong>e.<br />
26.05.1990<br />
Bernau: Gründung des Brandenburgischen<br />
Basketballverbandes e. V.<br />
27.05.-03.06.1990<br />
Bochum/Dortmund: <strong>Deutsche</strong>s Turnfest.<br />
Die Teilnehmerzahl liegt bei 87.242, darunter<br />
zahlreiche Sportler aus <strong>der</strong> DDR.<br />
28.05.1990<br />
Bonn: Zweites Gespräch zwischen DDR-<br />
Sportministerin Cordula Schubert und<br />
Bundes-Innenminister Wolfgang Schäuble.<br />
29.05.1990<br />
Interview mit NOK-Mitglied Dr. Horst<br />
Meyer in „Neue Zeit“: Meyer spricht sich<br />
für frühzeitige Auswahlkriterien für ein<br />
gemeinsames Olympiateam 1992 aus.<br />
30.05.1990<br />
Madrid: DTSB-Präsident Martin Kilian<br />
und <strong>der</strong> Präsident des Obersten Sportrates<br />
von Spanien, Javier Gomez Navarro, unterzeichnen<br />
ein Abkommen <strong>zur</strong> Entwicklung<br />
<strong>der</strong> Sportbeziehungen bei<strong>der</strong> Län<strong>der</strong>.<br />
31.05.1990<br />
Bonn: Zum ersten Mal treffen sich die<br />
CDU-Sportausschüsse bei<strong>der</strong> deutscher<br />
Staaten.<br />
Berlin: Gründung des Turn- und Sportbundes<br />
Berlin e. V.<br />
Strausberg: Gründung eines Bundes deutscher<br />
Fußballtrainer. Präsident: Heinz<br />
Werner.
50<br />
Mai 1990 – Eine Collage
<strong>Chronik</strong> Juni 1990 51<br />
Juni 1990<br />
01.06.1990<br />
Eigentumsrechte an Sportanlagen und<br />
Sportstätten <strong>der</strong> DDR sollen den Gemeinschaften<br />
und Vereinen übertragen werden<br />
(Gespräch zwischen Dr. Horst Iske, Staatsekretär<br />
im Ministerium für Jugend und<br />
Sport, und DTSB-Vizepräsidentin, Dr.<br />
Margitta Gummel).<br />
Bonn: Pressekonferenz mit DDR-Sportministerin<br />
Cordula Schubert. Kein Schulterschluss<br />
mit dem DTSB. Gemeinsamer<br />
Qualifikationsmodus für Olympia 1992<br />
gefor<strong>der</strong>t.<br />
01./02.06.1990<br />
Kienbaum: Die Vertreter <strong>der</strong> beiden deutschen<br />
Leichtathletikverbände vereinbaren,<br />
eine gemeinsame Vorbereitung für die zu<br />
erwartende gemeinsame Mannschaft zu<br />
den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona.<br />
Einig ist man sich darüber, dass die<br />
diesjährigen Europameisterschaften in<br />
Split und die im kommenden Jahr in Tokio<br />
auf dem Programm stehenden Weltmeisterschaften<br />
mit getrennten Mannschaften<br />
bestritten werden sollten.<br />
Professor Dr. Manfred Steinbach, Sportwart<br />
des DLV, wollte damit jeweils drei<br />
Athleten aus jedem Verband den Start ermöglichen,<br />
um dadurch eine starke Olympiamannschaft<br />
zu formieren.<br />
04.06.1990<br />
Unter <strong>der</strong> Überschrift „Westdeutsche<br />
Klubs plün<strong>der</strong>n den Amateursport <strong>der</strong><br />
DDR systematisch aus“ addiert <strong>der</strong> „Spiegel“<br />
die <strong>bis</strong>herigen Verluste <strong>der</strong> jetzt schon<br />
„Konkursreifen Medaillenfabrik DDR“.<br />
Durch den anhaltenden A<strong>der</strong>lass, so <strong>der</strong><br />
„Spiegel“, ist das konsequent auf Leistungssport<br />
ausgerichtete ostdeutsche Sport-<br />
system ein halbes Jahr nach Öffnung <strong>der</strong><br />
Mauer in vielen Bereichen praktisch zusammengebrochen.<br />
06.06.1990<br />
<strong>Der</strong> „Spiegel“ meldet, dass mehr als 200<br />
DDR-Spitzensportler in die Bundesrepublik<br />
übergesiedelt sind.<br />
08.06.1990<br />
Potsdam: Pressekonferenz mit DDR-<br />
Sportministerin Cordula Schubert. Im <strong>bis</strong>herigen<br />
Haushaltsentwurf seien nur neun<br />
Millionen Mark für Jugend und Sport vorgesehen.<br />
Ende des BSG-Sports: Regierung entbindet<br />
Betriebe von <strong>der</strong> „Alimentation“ des Betriebssports.<br />
10.06.1990<br />
Die „Berliner Morgenpost“ meldet:<br />
„Richthofen mahnt <strong>zur</strong> Eile, weil sonst<br />
Berlins Olympia-Chancen sinken.“<br />
11.06.1990<br />
Frankfurt am Main: <strong>Der</strong> <strong>Deutsche</strong> Ringerbund<br />
<strong>der</strong> Bundesrepublik bietet dem DDR-<br />
Ringerverband den Anschluss an.<br />
12.06.1990<br />
Bad Blankenburg: Mit dem „Thüringischen<br />
Fußballverband“ gründet sich <strong>der</strong><br />
erste Fußball-Landesverband auf dem Territorium<br />
<strong>der</strong> DDR. Dieser setzt sich aus<br />
den Bezirken Gera, Suhl und Erfurt zusammen.<br />
Präsident: Werner Triebel.<br />
13.06.1990<br />
Interview mit Willi Daume in <strong>der</strong> „FAZ“:<br />
„Deutschland über alles wird man vom<br />
Sport nicht hören.“
52 „Was ist lila und pfeift <strong>zur</strong> Halbzeitpause?“ – Sponsoring weckte große Hoffnungen, erfüllte aber nicht alle Erwartungen<br />
„Was ist lila und pfeift <strong>zur</strong> Halbzeitpause?“<br />
Sponsoring weckte große Hoffnungen,<br />
erfüllte aber nicht alle Erwartungen<br />
von Jutta Braun<br />
Juni 1990. Die Hoffnungen des DDR-Sports<br />
auf westdeutsche Sponsoren waren groß, jedoch<br />
lautete das Fazit nach einem halben Jahr<br />
offener Grenzen: vor allem DDR-<br />
Auswahlmannschaften und Top-Ereignisse<br />
wurden gesponsert. Vermarktungs- und Vermittlungsagenturen<br />
schossen aus dem Boden<br />
und überschütteten westdeutsche Unternehmen<br />
mit Angeboten, die vom Eiskunstlauf <strong>bis</strong> zu<br />
lokalen Sporttagen reichten. Volvo, international<br />
eher auf Golfsport konzentriert, sah in den<br />
DDR-Leichtathletinnen einen Werbepartner,<br />
die männlichen Leichtathleten erhielten Unterstützung<br />
von Grundig. Eberhard König, Trainer<br />
<strong>der</strong> DDR-Läuferinnen, wünschte sich, dass<br />
<strong>der</strong> Einfluss <strong>der</strong> Bundesrepublik „noch wesentlich<br />
deutlicher und energischer wird“, um wenigstens<br />
bewährte Strukturen aufrechterhalten<br />
zu können. Zum schnelleren Auftauen <strong>der</strong><br />
deutsch-deutschen Sportbeziehungen trug eine<br />
Tiefkühlfirma bei, indem sie die Bildung und<br />
Finanzierung einer deutsch-deutschen 4 mal<br />
400 Meter Staffel <strong>der</strong> Frauen sicherstellte. Das<br />
Unternehmen unterstützte die gemeinsame<br />
Vorbereitung <strong>der</strong> Läuferinnen in Trainingslagern<br />
mit Fahrzeugen, Lebensmitteln, Arznei,<br />
Geräten und Geld. Auch an<strong>der</strong>e Sportarten<br />
kooperierten mit West-Firmen: Die Trikots <strong>der</strong><br />
Volleyball-Nationalmannschaft zierte bald <strong>der</strong><br />
Wella–Schriftzug; die Handball-Männer<br />
schlossen nacheinan<strong>der</strong> Vereinbarungen mit<br />
Kaufhof, Henkel sowie <strong>der</strong> Nürnberger Versicherung.<br />
Eine beson<strong>der</strong>e Werbe-Mission hatten<br />
die Neubrandenburger Handball-Frauen zu<br />
erfüllen: Sie popularisierten auf ihren Trikotärmeln<br />
die Produkte <strong>der</strong> Firma Beate Uhse.<br />
Durch Sponsoren wurden auch neue Veranstaltungsformen<br />
ermöglicht, so finanzierte die<br />
Volkswagen AG das erste Grand Prix Turnier<br />
<strong>der</strong> DDR im September 1990 in Leipzig. Die<br />
Zuschauerkapazität in <strong>der</strong> Leipziger Messehalle<br />
wurde für diesen Event, an dem die Weltranglistenerste<br />
Steffi Graf und weitere internationale<br />
Spitzenspielerinnen teilnahmen, eigens<br />
Jutta Braun<br />
um 10.000 Plätze erweitert. „<strong>Der</strong> Tennissport<br />
wird in <strong>der</strong> DDR hierdurch einen Aufschwung<br />
nehmen, das Zuschauerinteresse ist schon jetzt<br />
riesengroß“ freute sich Hans Joachim Petermann,<br />
Präsident des Tennisverbandes <strong>der</strong><br />
DDR. <strong>Der</strong> jahrelang als Sport II klein gehaltene<br />
Tennisverband ernannte eigens einen „Generalbevollmächtigten<br />
für Sponsorenverhandlungen<br />
mit <strong>der</strong> Bundesrepublik,“ den Posten<br />
übernahm <strong>der</strong> siebzehnfache DDR-<br />
Einzelmeister Thomas Emmrich aus Magdeburg.<br />
Denn ein Traum war noch nicht verwirklicht:<br />
Man hoffte, dass mit Hilfe von Sponsoren<br />
endlich die erste Tennishalle in <strong>der</strong> DDR<br />
gebaut werden könne.<br />
<strong>Der</strong> Fußball war für Sponsoren ein beson<strong>der</strong>s<br />
attraktives Feld: Die Hamburger Film- und<br />
Fernsehgesellschaft Ufa erwarb die Vermarktungsrechte<br />
für die Bandenwerbung in den<br />
Fußball-Oberliga-Stadien von Dresden, Karl-<br />
Marx-Stadt, Jena und Erfurt. Vor allem Automobilfirmen,<br />
Versicherungen, Getränkehersteller,<br />
Reiseveranstalter und Warenhausketten<br />
engagierten sich. Jägermeister unterstützte den<br />
FC Magdeburg, die Vereinte Versicherung den<br />
Klub Lok Leipzig, TUI stieg bei Dynamo Berlin<br />
ein.<br />
Die skurrilen Seiten westlicher Vermarktungsstrategien<br />
mussten allerdings die Rostocker<br />
erleben. Für ein Freundschaftsspiel im Februar<br />
1990 zwischen Bremen und Rostock hatte <strong>der</strong><br />
Manager des SV Wer<strong>der</strong>, Willi Lemke, die<br />
Firma Milka als Sponsor gewonnen. Eine aufgeblasene<br />
Plastikkuh sorgte auf dem Rostocker<br />
Marktplatz für Aufsehen, insgesamt wurden<br />
eine Million Schokoriegel zu Dumpingpreisen<br />
an DDR-Bürger gebracht. Während diese Begleiterscheinungen<br />
noch freundlich aufgenommen<br />
wurden, sorgte ein weiterer Werbegag<br />
denn doch für Stirnrunzeln: Unter Lemkes<br />
Motto „Es muss mehr Farbe ins Spiel“ absolvierte<br />
<strong>der</strong> Fifa-Schiedsrichter Siegfried Kirschen<br />
aus Frankfurt (O<strong>der</strong>) die Begegnung im<br />
lila Dress. „Was ist lila, steht auf dem Rasen<br />
und pfeift <strong>zur</strong> Halbzeitpause?“ wurde daraufhin<br />
<strong>zur</strong> spöttischen Scherzfrage unter Rostocker<br />
Bürgern.
<strong>Chronik</strong> Juni 1990 53<br />
13./14.06.1990<br />
Die „Süddeutsche Zeitung titelt: „<strong>Sporteinheit</strong><br />
ein fließen<strong>der</strong> Prozess“. Die Einheit<br />
im deutschen Sport, so meint <strong>der</strong> Präsident<br />
des <strong>Deutsche</strong>n Sportbundes (DSB), Hans<br />
Hansen, „ wird zu verschiedenen Terminen<br />
hergestellt werden.“ Mit dieser Erklärung<br />
bezog Hansen Stellung zu den Positionen<br />
einiger bundesdeutscher Fachverbände in<br />
<strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> deutschen <strong>Sporteinheit</strong> und<br />
nahm gleichzeitig Abschied von dem Verhandlungsaktionismus<br />
des DSB-<br />
Präsidenten in den ersten fünf Monaten<br />
nach dem <strong>Mauerfall</strong>. „Es kann keine Rede<br />
davon sein, dass die Identität des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Sportbundes aufgelöst wird zugunsten<br />
einer <strong>Deutsche</strong>n Sport-Union als Dachverband<br />
über <strong>der</strong> zu schaffenden Einheit.“<br />
14.06.1990<br />
Berlin: Gerhard Mayer-Vorfel<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Vorsitzende<br />
des Bundesligaausschusses und<br />
Präsident des VfB Stuttgart, plädiert in<br />
einem Interview mit <strong>der</strong> „Stuttgarter Zeitung“<br />
für einen schnellen Zusammenschluss.<br />
Frankfurt (O<strong>der</strong>): 1. Meisterschaften Brandenburg/Berlin<br />
im Gewichtheben.<br />
16.06.1990<br />
Kienbaum: Mitglie<strong>der</strong>versammlung des<br />
NOK <strong>der</strong> DDR. Professor Dr. Dr. Joachim<br />
Weiskopf wird zum neuen Präsidenten<br />
gewählt. Das NOK <strong>der</strong> DDR stellt die<br />
Weichen für die Vereinigung. Weiskopf<br />
sieht seine Hauptaufgabe darin, eine gemeinsame<br />
Olympiamannschaft Deutschlands<br />
1992 in Albertville und Barcelona zu<br />
bilden. Eine frühest-mögliche Fusion <strong>der</strong><br />
beiden deutschen NOK solle deshalb angestrebt<br />
werden, wobei Weiskopf Ende dieses<br />
o<strong>der</strong> Anfang nächsten Jahres als realistische<br />
Termine ansieht. Deshalb sollten<br />
auch schon 1991 an Europa- und Welt-<br />
meisterschaften die <strong>Deutsche</strong>n gemeinsam<br />
starten.<br />
Düsseldorf: Gespräch des „Sportinformationsdienstes“<br />
mit dem Direktor des Forschungsinstituts<br />
für Körperkultur und<br />
Sport in Leipzig, Professor Harold Tünnemann.<br />
<strong>Der</strong> DDR-Sport wird sich bei <strong>der</strong><br />
deutschen Vereinigung an die bestehenden<br />
Sportstrukturen <strong>der</strong> Bundesrepublik anschließen,<br />
so Tünnemann.<br />
18.06.1990<br />
<strong>Der</strong> Fußballverband <strong>der</strong> DDR (DFV) will<br />
die Vereinigung vor 1992. In <strong>der</strong> Frankfurter<br />
Allgemeinen Zeitung erklärt DFV-<br />
Präsident Hans-Georg Moldenhauer: „Wir<br />
müssen jetzt das Vereinigungstempo anziehen.<br />
Die Integration des DDR-Fußballs<br />
in die bundesdeutschen Liga-Systeme<br />
muss <strong>zur</strong> Saison 1991/92 kommen.“<br />
19.06.1990<br />
<strong>Der</strong> DTSB kündigt eine umfassende Entlassungswelle<br />
an. Bis zum 30.6.90 werden<br />
8.000 Mitarbeiter entlassen – rund 2.500<br />
weitere Mitarbeiter werden folgen.<br />
Washington: Sportexperten aus den USA<br />
empfehlen dem NOK <strong>der</strong> USA den Kauf<br />
von ostdeutschem Sport Know-How.<br />
Die „Märkische O<strong>der</strong>zeitung“ meldet:<br />
„Ausverkauf des DDR-Handball geht weiter“.<br />
Die „Neue Fußballwoche“ schreibt, dass<br />
sich die DDR-Zweitliga-Teams Dynamo<br />
Fürstenwalde, KWO Berlin, Chemie Buna<br />
Schkopau und MSV Eisleben aus finanziellen<br />
Gründen aus dem Spielbetrieb <strong>zur</strong>ückziehen.
54<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 25.06.1990<br />
<strong>Der</strong> Hauptausschuß des <strong>Deutsche</strong>n Sportbundes präsentiert ein Fünf-Punkte-Programm<br />
Mit voller Fahrt und klarem Kurs Richtung <strong>Sporteinheit</strong><br />
TRAVEMÜNDE. Die Zonengrenze<br />
vor Augen, sprachen am Samstag die<br />
Delegierten des <strong>Deutsche</strong>n Sportbundes<br />
(DSB) über die deutsche Vereinigung.<br />
Nach Wochen <strong>der</strong> Unsicherheit und<br />
Konzeptionslosigkeit scheint <strong>der</strong> DSB<br />
auf <strong>der</strong> 37. Hauptausschußsitzung in<br />
Travemünde seinen Kurs gefunden zu<br />
haben. Vielleicht hat die maritime<br />
Umgebung dazu beigetragen, das<br />
schlingernde Schiff zu stabilisieren und<br />
auf Fahrt zu bringen. Nach lebendigen<br />
Diskussionen mit den Sportfachverbänden<br />
und Landessportbünden sowie<br />
einem fröhlichen Abend auf dem alten<br />
Windjammer Passat wirkte Segler Hans<br />
Hansen am Samstag vor dem kleinen<br />
Sportparlament endlich richtungsbewußt.<br />
Die Wochen, in denen <strong>der</strong> DSB-<br />
Präsident mit <strong>der</strong> Stange im Nebel<br />
herumstocherte, sind wohl vorbei. So<br />
etwas wie ein Konzept steht. Und dabei<br />
ist es sekundär, ob sich <strong>der</strong> Fahrplan<br />
<strong>zur</strong> <strong>Sporteinheit</strong> erst an den politischen<br />
Fakten sowie an dem Vorprellen <strong>der</strong><br />
Fachverbände und <strong>der</strong> Landessportbünde<br />
orientiert hat.<br />
Ein Fünf-Punkte-Programm soll das<br />
Vorgehen bestimmen:<br />
1. Nach den Landtagswahlen am 23.<br />
September werden in <strong>der</strong> DDR Län<strong>der</strong><br />
gebildet.<br />
2. im gleichen Zeitraum werden in<br />
<strong>der</strong> DDR Landessportbünde entstehen.<br />
<strong>Der</strong> Ostteil <strong>der</strong> Stadt schließt sich dem<br />
Landessportbund Berlin an.<br />
3. Hansen rechnet damit, daß die<br />
Landessportbünde <strong>der</strong> DDR nach ihrer<br />
Gründung umgehend einen Antrag auf<br />
Beitritt zum <strong>Deutsche</strong>n Sportbund<br />
stellen. Die Aufnahme würde dann mit<br />
dem Tage <strong>der</strong> staatlichen Vereinigung<br />
wirksam werden.<br />
4. Als Voraussetzung <strong>der</strong> Aufnahme<br />
<strong>der</strong> ostdeutschen Landessportbünde<br />
muß die Satzung des DSB geän<strong>der</strong>t<br />
werden.<br />
5. Die Spitzenverbände und die<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 25. Juni 1990<br />
weiteren Mitgliedsverbände des DSB<br />
vereinigen sich zu unterschiedlichen<br />
Zeiten und in unterschiedlicher Form.<br />
Hansen rief dabei zu einer schnellen<br />
Vereinigung auf.<br />
Das Proze<strong>der</strong>e orientiert sich an Artikel<br />
23 <strong>der</strong> Verfassung, einem Aufgehen<br />
<strong>der</strong> Län<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Bundesrepublik.<br />
Das Gespräch zwischen Hans Hansen<br />
und Martin Kilian, dem Präsidenten des<br />
einst so mächtigen Turn- und Sportbundes<br />
(DTSB) <strong>der</strong> DDR, am Donnerstag<br />
in West-Berlin läßt sich damit nicht<br />
mehr zum „Sportgipfel“ hochstilisieren.<br />
<strong>Der</strong> DTSB, dessen Vermögen gerade<br />
von <strong>der</strong> DDR-Regierung sichergestellt<br />
wurde, ist nur noch als Nachlaßverwalter<br />
Partner in <strong>der</strong> technischen Abwicklung.<br />
Inzwischen hätten, so Hansen,<br />
„die DDR-Vertreter auf allen Gesprächsebenen<br />
deutlich gemacht, daß<br />
sie die Rahmenbedingungen eines<br />
freien Sports, die <strong>der</strong> DSB und seine<br />
Mitgliedsorganisationen für unverzichtbar<br />
halten, ohne Einschränkung<br />
gutheißen“.<br />
Beschlüsse des DSB<br />
Die Neufassung <strong>der</strong> Rahmenrichtlinien<br />
für die Ausbildung wurde einstimmig<br />
angenommen.<br />
Ein Talentför<strong>der</strong>ungskonzept wurde<br />
mit großer Mehrheit akzeptiert.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Deutsche</strong> Baseball- und Softball-<br />
Verband wurde als 55. Spitzenverband<br />
in den <strong>Deutsche</strong>n Sportbund aufgenommen.<br />
<strong>Der</strong> Prozeß <strong>der</strong> Vereinigung ist auf<br />
<strong>der</strong> Fachverbandsebene schon in vollem<br />
Gange. <strong>Der</strong> <strong>Deutsche</strong> Verband für<br />
Freikörperkultur hat bereits Tatsachen<br />
geschaffen. Die Mo<strong>der</strong>nen Fünfkämpfer<br />
folgen im Herbst. Die Gewichtheber<br />
haben es ebenfalls eilig, wobei <strong>der</strong>en<br />
Modus, aus zwei gleichberechtigten<br />
Verbänden einen neuen zu schaffen,<br />
zunehmend als problematisch beurteilt<br />
wird.<br />
Denn damit müßten, wie Kritiker<br />
meinen, zu viele Altlasten und nach<br />
einer Quotenregelung zu viele Parteigänger<br />
des Honecker-Regimes übernommen<br />
werden. <strong>Der</strong> Weg <strong>zur</strong> Einheit<br />
dürfte vorwiegend über die Aufnahme<br />
von DDR-Landesverbänden führen.<br />
Bei <strong>der</strong> Vollversammlung <strong>der</strong> Spitzenverbände<br />
geriet übrigens <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong><br />
Fußball-Bund, <strong>der</strong> einen gemeinsamen<br />
Spielbetrieb mit <strong>der</strong> DDR erst für das<br />
Frühjahr 1992 anstrebt, zunehmend in<br />
die Isolation. <strong>Der</strong> späte Zeitpunkt wird<br />
von den meisten als nicht haltbar angesehen.<br />
Allgemein wird die notwendige<br />
Neuordnung des (gesamt-)deutschen<br />
Sports als vorzügliche Gelegenheit<br />
angesehen, Ballast über Bord zu werfen.<br />
Zu diesem Zwecke wurde jetzt<br />
eine Strukturkommission gebildet, die<br />
<strong>der</strong> Sportorganisation einen zeitgerechten<br />
Zuschnitt verpassen soll.<br />
Am 15. und 16. Dezember, dem voraussichtlichen<br />
Termin für gesamtdeutsche<br />
Wahlen, müßte <strong>der</strong> DSB-<br />
Bundestag in Hannover die Grundlage<br />
für einen allumfassenden <strong>Deutsche</strong>n<br />
Sportbund schaffen. Nach viereinhalb<br />
Jahren Amtszeit stünde Hans Hansen<br />
dann wohl vor einer Wie<strong>der</strong>wahl und<br />
wahrscheinlich bei einem außerordentlichen<br />
„Vereinigungs-Bundestag“ im<br />
Frühjahr 1991 vor <strong>der</strong> Wahl zum „Überpräsidenten“.<br />
Es sei denn, <strong>der</strong> Berliner<br />
„Landesfürst“ Manfred von Richthofen<br />
machte ihm beide Male als Herausfor<strong>der</strong>er<br />
die Palme streitig. Das<br />
DDR-Kommandounternehmen <strong>Deutsche</strong>r<br />
Turn- und Sportbund dürfte bald<br />
nur noch eine historische Reminiszenz<br />
sein. O<strong>der</strong> wie Roland Ma<strong>der</strong>, <strong>der</strong><br />
Sprecher <strong>der</strong> Spitzenverbände, es ausdrückte:<br />
„<strong>Der</strong> DTSB ist die Henne, die<br />
fünf Eier (sprich: Landessportbünde)<br />
legen muß und dann geschlachtet wird.<br />
STEFFEN HAFFNER
<strong>Chronik</strong> Juni 1990 55<br />
20.06.1990<br />
In <strong>der</strong> „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“<br />
for<strong>der</strong>t Engelbert Nelle, sportpolitischer<br />
Sprecher <strong>der</strong> CDU und Mitglied im DFB-<br />
Präsidium, den baldigen Beitritt des DDR-<br />
Verbandes: „<strong>Der</strong> Fußball muss sich <strong>der</strong><br />
Einigung anpassen.“<br />
Dem vernachlässigten Breitensport <strong>der</strong><br />
DDR soll nach dem Willen des Sportausschusses<br />
des Bundestags im großen Maße<br />
geholfen werden.<br />
21./22.06.1990<br />
Berlin: Beschlagnahme des DTSB-<br />
Vermögens und Unterstellung unter Treuhän<strong>der</strong>schaft.<br />
144,6 Millionen Mark werden<br />
für den Sport bereitgestellt und gehen<br />
ohne den Umweg DTSB direkt an die<br />
Fachverbände. Entlassung von 77 Prozent<br />
<strong>der</strong> hauptamtlichen Mitarbeiter <strong>der</strong> DTSB-<br />
Zentrale in Berlin.<br />
Berlin (Ost): Die DDR-Volkskammer billigt<br />
einen von <strong>der</strong> SPD eingebrachten Antrag<br />
<strong>zur</strong> Sportför<strong>der</strong>ung. Behin<strong>der</strong>te sollen<br />
dem Spitzensport rechtlich gleichgestellt<br />
werden .<br />
22.06.1990<br />
Berlin (Ost): Gründung des Fußballverbandes<br />
Berlin (FVB) im Casino des Stadions<br />
<strong>der</strong> Weltjugend. Uwe Piontek wird<br />
zum Präsidenten des Berliner Fußballverbandes<br />
(FVB) gewählt. <strong>Der</strong> Verband stellt<br />
die Weichen für die Vereinigung des Berliner<br />
Fußballs. In seinem Bericht <strong>zur</strong> Lage<br />
des Verbandes malt Piontek ein düsteres<br />
Bild: Von 818 Mannschaften in <strong>der</strong> letzten<br />
Saison ist die Zahl auf inzwischen unter<br />
650 gesunken. Den Ausweg sieht er nur in<br />
einer schnellen Vereinigung mit dem<br />
Westberliner Fußballverband (BFV).<br />
Letztes „<strong>Der</strong>by“ <strong>der</strong> DDR in Hoppegarten.<br />
25.06.1990<br />
Travemünde: Auf <strong>der</strong> 37. Sitzung des<br />
DSB-Hauptausschusses spricht sich DSB-<br />
Präsident Hansen für das „Modell“ des<br />
Beitritts des DDR-Sports aus.<br />
<strong>Der</strong> Boxverband <strong>der</strong> DDR kündigt an, unmittelbar<br />
nach einer staatlichen Vereinigung<br />
fusionieren zu wollen.<br />
Die Kanuverbände planen eine Vereinigung<br />
im April 1991.<br />
28.06.1990<br />
Vorstellung des Vereinigungspapiers von<br />
DTSB und DSB durch die Präsidenten<br />
Hans Hansen und Martin Kilian in Berlin<br />
(West). Berlin: Spitzentreffen DTSB/DSB.<br />
Die Präsidenten Martin Kilian und Hans<br />
Hansen vereinbaren eine Konzeption <strong>der</strong><br />
Vereinigung. <strong>Der</strong> Beitritt des DDR-Sports<br />
zum bundesrepublikanischen Sport soll<br />
nach dem politischen Modell (Artikel 23<br />
Grundgesetz) erfolgen. <strong>Der</strong> DTSB wird<br />
sich auflösen.<br />
30.06.1990<br />
Verordnung vom Ministerrat verabschiedet:<br />
Gemeinnützige Sportvereine können<br />
ab sofort unentgeltlich die öffentlichen<br />
Sportstätten <strong>der</strong> DDR nutzen.<br />
Potsdam: Gründung des Landesverbandes<br />
Brandenburg in <strong>der</strong> Sportart Fechten. Präsident:<br />
Klaus Knopf.
56<br />
Juni 1990 – Eine Collage
<strong>Chronik</strong> Juli 1990<br />
Juli 1990<br />
01.07.1990<br />
Bonn: <strong>Der</strong> Staatsvertrag über die Wirtschafts-,<br />
Währungs- und Sozialunion <strong>der</strong><br />
beiden deutschen Staaten tritt in Kraft.<br />
West- und Ostdeutschland bilden nun ein<br />
gemeinsames Währungsgebiet mit <strong>der</strong><br />
Bundesbank als Zentralbank und <strong>der</strong> Mark<br />
als alleinigem Zahlungsmittel.<br />
Rom: In einem Interview <strong>der</strong> „<strong>Deutsche</strong>n<br />
Presseagentur“ sagt DFB-Präsident Herman<br />
Neuberger, er habe keine Eile bei <strong>der</strong><br />
Vereinigung des Fußballs.<br />
04.07.1990<br />
Gipfeltreffen <strong>der</strong> NOK-Präsidenten <strong>der</strong><br />
DDR, Professor Dr. Dr. Joachim Weiskopf,<br />
und <strong>der</strong> Bundesrepublik, Willi Daume.<br />
Verhandlungen über die Modalitäten<br />
<strong>der</strong> Vereinigung. Ziel: ein gesamtdeutsches<br />
Team zu Olympia 1992.<br />
Cottbus: Gründung des Tennisclubs Cottbus<br />
e. V.<br />
07.07.1990<br />
Kienbaum: 3. Bundesvorstandssitzung des<br />
DTSB. Verabschiedung eines neuen<br />
DTSB-Statuts mit fö<strong>der</strong>ativen Strukturen<br />
und dem Ziel, eigenständige Spitzenverbände/LSB<br />
zu ermöglichen, Legislative<br />
und Exekutive zu trennen sowie demokratische<br />
Organe auszubilden.<br />
Gründung eines Vereins deutscher Olympiasieger,<br />
die sich gegen den Nie<strong>der</strong>gang<br />
des Sports in Ostdeutschland stark machen<br />
wollen.<br />
Kleinmachnow: Gründung des Landesschwimmverbandes<br />
Brandenburg e. V.<br />
Präsident: Bernhard Preßler.<br />
08.07.1990<br />
Rom: Franz Beckenbauer führt die Fußball-Nationalmannschaft<br />
durch einen 1:0<br />
Finalsieg über Argentinien zum dritten<br />
Weltmeistertitel.<br />
09.07.1990<br />
Berlin: Gründung <strong>der</strong> „Arbeitsgruppe Olympia<br />
2000“. Das Gremium soll die Fe<strong>der</strong>führung<br />
für die Olympiabewerbung<br />
Berlins übernehmen.<br />
Frauke Rupprecht, Vorsitzende <strong>der</strong> Sportjugend,<br />
appelliert, den Sport für die Jugend<br />
in Ostdeutschland nicht zu gefährden.<br />
Berlin: Fusionsgespräche zwischen dem<br />
<strong>Deutsche</strong>n Judobund und dem <strong>Deutsche</strong>n<br />
Judoverband <strong>der</strong> DDR. Vereinigung am 1.<br />
Januar 1991.<br />
Erste Sitzung des Lenkungsausschusses.<br />
10.07.1990<br />
Die „Süddeutsche Zeitung meldet: Bei <strong>der</strong><br />
Erfassung <strong>der</strong> Ost-Berliner Leistungssportstrukturen<br />
stößt Armin Baumert, Chef des<br />
Olympiastützpunktes Berlin, auf einen<br />
verblüffend hohen Personalaufwand bei<br />
<strong>der</strong> Betreuung <strong>der</strong> Höchstleister. Beim SC<br />
Dynamo standen 328 Sportlern <strong>der</strong> Ka<strong>der</strong><br />
A <strong>bis</strong> C (nach bundesdeutschen Kriterien)<br />
188 Trainer <strong>zur</strong> Verfügung, 161 zu 130<br />
war die Relation beim TSC Berlin, 51 zu<br />
37 bei den Ru<strong>der</strong>ern und Kanuten in Grünau.<br />
Im Westen hingegen: Für 118 Ka<strong>der</strong>mitglie<strong>der</strong><br />
23 Landestrainer; kein einziger<br />
hauptamtlicher Bundestrainer.<br />
„Das muss sich rapide än<strong>der</strong>n“, for<strong>der</strong>t <strong>der</strong><br />
Berliner OSP-Chef und nennt als vertretbare<br />
Position 80 Landestrainer.<br />
57
58 Einheit und Zwietracht – Während Deutschland 1990 in Rom Fußball-Weltmeister wurde, stritten die Funktionäre um<br />
die Zukunft des gesamtdeutschen Fußballs<br />
Einheit und Zwietracht<br />
Während Deutschland 1990 in Rom<br />
Fußball-Weltmeister wurde, stritten die<br />
Funktionäre um die Zukunft des gesamtdeutschen<br />
Fußballs<br />
von Michael Barsuhn<br />
Juli 1990. Deutschland wurde am 8. Juli<br />
1990 zum dritten Mal Fußball-Weltmeister.<br />
Die Partys nach dem Spiel gerieten in Berlin<br />
zum vorgezogenen Fest <strong>der</strong> deutschen Einheit.<br />
Autokorsos zogen durch die Stadt.<br />
Freudetrunken feierten Ost- und Westberliner<br />
Arm in Arm ihren Weltmeister.<br />
Hinter den Kulissen aber brodelte es. Seit<br />
Wochen hatten sich die Funktionäre des<br />
<strong>Deutsche</strong>n Fußball-Bundes (DFB) und des<br />
<strong>Deutsche</strong>n Fußball-Verbandes <strong>der</strong> DDR<br />
(DFV) in einen Machtkampf um die Zukunft<br />
des gesamtdeutschen Fußballs verstrickt.<br />
Streitpunkte waren das Tempo <strong>der</strong> Vereinigungsbestrebungen<br />
sowie die Frage nach <strong>der</strong><br />
Anzahl <strong>der</strong> zu integrierenden Ostvereine.<br />
„Wir wollen das Gebäude vom Keller an<br />
aufbauen,“ argumentierte DFB-<br />
Schatzmeister Egidius Braun noch am 9. Mai<br />
auf einer Sportjournalistentagung in Königswinter.<br />
„Keine Vereinigung <strong>der</strong> Verbände<br />
vor <strong>der</strong> Spielzeit 1992/93.“<br />
Hans-Georg Moldenhauer, seit dem 31.<br />
März 19990 als erster frei gewählter Präsident<br />
des DFV <strong>der</strong> DDR im Amt, verstand die<br />
Welt nicht mehr. Die Währungsunion nahte,<br />
die staatliche Einheit war absehbar, nur <strong>der</strong><br />
Fußball sollte sich gedulden? Aus ostdeutscher<br />
Sicht eine Katastrophe. Noch immer<br />
überquerten jeden Monat mehr als 20.000<br />
DDR-Bürger die Grenzen Richtung Bundesrepublik,<br />
darunter auch zahlreiche Fußballer<br />
wie Thomas Doll, Matthias Sammer o<strong>der</strong> Ulf<br />
Kirsten. Dramatisch war <strong>der</strong> Spielerschwund<br />
in den unteren Ligen. Ganze Mannschaften<br />
hatten das Land verlassen. „Nur ein gemeinsamer<br />
Spielbetrieb in einem vereinigten<br />
Deutschland kann den Verfallsprozess aufhalten.<br />
Zumindest abmil<strong>der</strong>n“, appellierte<br />
Moldenhauer an DFB-Präsidenten Hermann<br />
Neuberger. Dieser aber blieb stur. <strong>Der</strong> Grund<br />
Michael Barsuhn<br />
für sein zögerliches Verhalten war wirtschaftlicher<br />
Natur. Im Februar 1990 waren<br />
die Bundesrepublik und die DDR in eine<br />
Qualifikationsgruppe <strong>zur</strong> Europameisterschaft<br />
92 in Schweden gelost worden. Die<br />
Vermarktung <strong>der</strong> deutsch-deutschen Spiele –<br />
im November 1990 in Leipzig und Dezember<br />
1991 in München – hatte bereits begonnen.<br />
Engelbert Nelle, Mitglied im DFB-<br />
Präsidium, rückte nun öffentlich von seinem<br />
Chef ab: “<strong>Der</strong> politische Druck wird immer<br />
stärker. <strong>Der</strong> Fußball muss sich <strong>der</strong> Einigung<br />
anpassen.“ Seit dem 1. Juli gab es im Osten<br />
und Westen nur noch eine Währung: Die D-<br />
Mark. Die ersten gesamtdeutschen Wahlen<br />
würden am 2. Dezember 1990 stattfinden.<br />
Neuberger konnte <strong>der</strong> politischen Realität<br />
nicht länger ausweichen. Wenige Tage nach<br />
dem WM-Finale erhielt Moldenhauer einen<br />
Brief, in dem <strong>der</strong> DFB-Präsident sein Einverständnis<br />
für eine schnellere Vereinigung<br />
<strong>der</strong> beiden deutschen Fußballverbände gab.<br />
Diese fand am 21. November 1990 statt.<br />
Bei <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> einzuglie<strong>der</strong>nden Lizenzvereine<br />
einigte man sich auf einen<br />
Kompromiss. Moldenhauer wollte alle 14<br />
DDR-Oberligisten in den Profibereich integrieren,<br />
konnte jedoch nur acht beim DFB<br />
durchsetzen. <strong>Der</strong> Meister und Zweite <strong>der</strong><br />
Oberligaspielzeit 1990/91 sollten sich demnach<br />
direkt für die erste Bundesliga qualifizieren,<br />
die sechs Zweitligisten würden in<br />
einer internen Ausscheidung in <strong>der</strong> DDR<br />
ermittelt. „Die Zwei-plus-sechs-Regelung<br />
war von Anfang an <strong>der</strong> Kurs des DFB. Wie<br />
überall auf <strong>der</strong> Welt setzte sich <strong>der</strong> Stärkere<br />
durch“, kommentierte Hans Meyer als damaliger<br />
Trainer des Chemnitzer FC die Entscheidung<br />
von Frankfurt. 15 Jahre später<br />
zeigt Moldenhauer hingegen Verständnis für<br />
die Regelung: „Angesichts <strong>der</strong> unterschiedlichen<br />
Wirtschaftskraft von ost- und westdeutschem<br />
Fußball war die Entscheidung nachvollziehbar,<br />
lieber weniger Vereine mit einer<br />
soliden finanziellen Perspektive als alle Vereine<br />
um jeden Preis zu integrieren.“
<strong>Chronik</strong> Juli 1990<br />
10.07.1990<br />
Nach Gesprächen mit dem Ministerium für<br />
Jugend und Sport erhält <strong>der</strong> Fußballverband<br />
(DFV <strong>der</strong> DDR) ohne den Umweg<br />
über den DTSB 152.000 D-Mark für seine<br />
Nachwuchsarbeit.<br />
11.07.1990<br />
Berlin: Auf einem Treffen mit acht DDR-<br />
Olympiasiegern räumt DDR-Sportministerin<br />
Cordula Schubert Missverständnisse<br />
aus. Sie wolle den DDR-Sport nicht<br />
demontieren.<br />
Berlins regieren<strong>der</strong> Bürgermeister Walter<br />
Momper entbindet den 35 Jahre alten<br />
Sport-Staatssekretär Hans-Jürgen Kuhn<br />
vom Amt des Olympiabeauftragten. Neuer<br />
Leiter des Ost/West-Berliner-Olympiabüros<br />
ist Senatsrat Jürgen Kießling (49),<br />
als Abteilungsleiter Sport Kuhns Untergebener.<br />
Am 3. Juli hatte Willi Daume in<br />
einem Vier-Augen-Gespräch Momper gebeten<br />
die Olympiabewerbung <strong>zur</strong> Chefsache<br />
zu machen.<br />
12.07.1990<br />
Frankfurt am Main: Bei einer Zusammenkunft<br />
<strong>der</strong> Spitzenverbände und <strong>der</strong> Landessportbünde<br />
<strong>der</strong> Bundesrepublik mit dem<br />
Bundesausschuss Leistungssport des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Sportbundes wird über Strategien<br />
beraten, wie ein Zusammenbruch des<br />
DDR-Spitzensports verhin<strong>der</strong>t werden<br />
kann.<br />
12.07.1990<br />
Herzogenaurach: Pressekonferenz des<br />
DDR-Fußballverbandes. <strong>Der</strong> DFV strebt<br />
die sportliche Wie<strong>der</strong>vereinigung mit<br />
schnelleren Schritten an als <strong>der</strong> DFB. <strong>Der</strong><br />
DFV unterbreitet den Vorschlag einer gemeinsamen<br />
Deutschlandliga ab <strong>der</strong> Saison<br />
1991/92.<br />
13.07.1990<br />
Engelbert Nelle (Mitglied im Sportausschuss<br />
<strong>der</strong> CDU und im DFB-Präsidium)<br />
kritisiert DFB-Präsident Neuberger in <strong>der</strong><br />
„Bild-Zeitung“ als „Bremser <strong>der</strong> Einheit“<br />
und for<strong>der</strong>t eine Vereinigung des Fußballs<br />
vor 1992.<br />
Frankfurt am Main: Auf einer Vorstandssitzung<br />
des DFB wird erstmals ein Denkmodell<br />
erörtert, wie eine Vereinigung<br />
schon 1991 möglich wäre.<br />
14.07.1990<br />
Laut einer Umfrage <strong>der</strong> „<strong>Deutsche</strong>n Presseagentur“<br />
vereinigen sich die Turner zuerst,<br />
die Fußballer zuletzt.<br />
Potsdam: Gründung des Landeskanuverbandes<br />
Brandenburg e. V. Präsident: Manfred<br />
Glöckner.<br />
14./15.07.1990<br />
Kaiserau: Tagung einer gesamtdeutschen<br />
Handballarbeitsgruppe: Gesamtdeutsche<br />
Handballmeisterschaften ab <strong>der</strong> Saison<br />
1991/92 geplant.<br />
15.07.1990<br />
Sportgespräch des „Deutschlandfunks“ mit<br />
DTSB-Geschäftsführer Werner Neumann.<br />
<strong>Der</strong> DDR-Sport sei an <strong>der</strong> Schmerzgrenze.<br />
Von 10.500 fest angestellten DTSB-<br />
Mitarbeitern sind bereits 1.500 entlassen<br />
worden.<br />
15./16.07.1990<br />
Treffen von Bundeskanzler Kohl mit sowjetischem<br />
Staatschef Michael Gorbatschow<br />
im Kaukasus.<br />
16.07.1990<br />
Interessensverband <strong>der</strong> Trainer und Sportlehrer<br />
ruft in allen Städten <strong>der</strong> DDR zu<br />
Demonstrationen auf.<br />
17.07.1990<br />
München: Vereinigungsverhandlungen<br />
zwischen beiden deutschen Eisschnelllaufverbänden.<br />
59
60<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.07.1990<br />
Die Athleten profitieren vom westlichen Interesse am östlichen Know-how im Fechten<br />
„<strong>Der</strong> Emil Beck will sich den DDR-Sport angeln“<br />
LYON. Im Ausverkauf des DDR-<br />
Sports sind die Fechter <strong>der</strong> Ladenhüter.<br />
Was nicht heißt, daß sie keine<br />
Angebote bekämen. Die letzte<br />
Mannschaft, die für die DDR bei<br />
einer Fecht-Weltmeisterschaft gestartet<br />
ist, das Degen-Team, hat alle<br />
Chancen gehabt, sich vor <strong>der</strong> Rückreise<br />
nach Berlin materiell zu verbessern.<br />
Die Kanadier haben ihnen<br />
neue Taschen, Anzüge, Schuhe und<br />
Fechtsäcke „sogar mit Rollen“<br />
geboten, im Tausch „für alles, wo<br />
DDR drauf steht“.<br />
Aber dieses wohlfeile Angebot<br />
<strong>zur</strong> Resteverwertung hat bei <strong>der</strong><br />
Mannschaft, die am Samstag nach<br />
Nie<strong>der</strong>lagen gegen Ungarn und die<br />
Schweiz auf ihr letztes Gefecht<br />
wartete, eher <strong>zur</strong> Melancholie beigetragen.<br />
„Ein ulkiges Gefühl“<br />
empfand Gordon Lösser, zum ersten<br />
Mal bei einer Weltmeisterschaft<br />
dabei. Und zum letzten Mal, „da<br />
sind wir realistisch“. Denn wenn im<br />
nächsten Jahr die Qualifikation<br />
gemeinsam mit den viel erfolgreicheren<br />
Westdeutschen erfolgen<br />
wird, mit Olympiasieger Arnd<br />
Schmitt o<strong>der</strong> Weltmeister Thomas<br />
Gerull, „dann haben wir kaum einen<br />
Chance“. Das sagt Uwe Proske, mit<br />
28 Jahren <strong>der</strong> Erfahrenste im Team.<br />
Die Furcht vor <strong>der</strong> Einheit, die<br />
sportliche Platz-Angst ist im Fechten<br />
an<strong>der</strong>s verteilt als etwa im<br />
Schwimmen o<strong>der</strong> Turnen.<br />
Aus dem westlichen Interesse am<br />
östlichen Know-how schöpfen aber<br />
auch diejenigen Hoffnungen, die<br />
nur an dessen Rand stehen. „<strong>Der</strong><br />
Emil Beck will sich den DDR-Sport<br />
angeln“, sagte Uwe Proske, „und<br />
davon profitieren auch wir.“<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 16. Juli 1990<br />
<strong>Der</strong> Cheftrainer <strong>der</strong> Fechter bemüht<br />
sich darum, den Nachlaß des früheren<br />
PSV Dynamo Ost-Berlin, <strong>der</strong><br />
heute 1. SC heißt, in einen noch zu<br />
gründenden „großen Olympiastützpunkt“<br />
zu überführen. Zwischen<br />
dem Verein und <strong>der</strong> „Fechtmarketing<br />
Tauber<strong>bis</strong>chofsheim“, einer<br />
GmbH mit Becks Sohn René als<br />
Geschäftsführer, ist bereits ein Kooperationsvertrag<br />
abgeschlossen.<br />
Für Gordon Lösser heißt das,<br />
„daß <strong>der</strong> Beck da Geld reingesteckt<br />
hat“. Und daß es dem quirligen<br />
Cheftrainer, <strong>der</strong> sich gern als Vordenker<br />
im Leistungssport darstellt,<br />
vor allem um Ru<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> Leichtathletik,<br />
Schwimmen o<strong>der</strong> Turnen<br />
gehe. Und nicht so sehr ums Fechten.<br />
Aber, so sagt Uwe Proske, „es<br />
gibt ihm die Möglichkeit, in <strong>der</strong><br />
Hauptstadt präsent zu sein“. Natürlich<br />
verrät Beck seine Motive nicht<br />
so leicht, aber die Gerüchte, die<br />
kursieren, verraten einiges an Unsicherheit<br />
und schüren noch mehr an<br />
Hoffnung.<br />
„Erstmal abwarten“ ist die Devise,<br />
die Uwe Proske stellvertretend<br />
für die Mannschaft ausspricht. Was<br />
soll jemand auch sonst tun, <strong>der</strong> von<br />
seinem „Brötchengeber Volkspolizei<br />
nicht mehr lang bezahlt wird“,<br />
<strong>der</strong> nicht weiß, wie und mit wem er<br />
künftig trainieren wird – mindestens<br />
neun von dreizehn Trainern des<br />
früheren Dynamo-Klubs ist zum<br />
Ende des Jahres gekündigt worden –<br />
und <strong>der</strong> nicht einmal sicher sein<br />
kann, daß sein Sportlehrer-Diplom<br />
demnächst noch anerkannt wird –<br />
„obwohl wir im Leistungssport <strong>der</strong><br />
BRD deutlich überlegen waren“.<br />
Aber, sagt Proske, „wir müssen uns<br />
ja in so vielem nach <strong>der</strong> BRD richten“.<br />
Abwarten und weiterfechten. Aber<br />
in Berlin und nicht in Tauber<strong>bis</strong>chofsheim,<br />
trotz eines Angebots,<br />
dort zu trainieren. „Es ist ja nicht so,<br />
daß man ein Zigeuner ist“, sagte<br />
Proske, <strong>der</strong> in Berlin seine Frau und<br />
seine kranke Tochter hat. „Wer geht<br />
schon freiwillig von Berlin nach<br />
Tauber<strong>bis</strong>chofsheim?“ fragt <strong>der</strong> 22<br />
Jahre alte Elektromonteur Oliver<br />
Falter, <strong>der</strong> an seiner Heimat- und<br />
Weltstadt hängt. Und <strong>der</strong> 20 Jahre<br />
alte Gordon Lösser „mag das Klima<br />
dort nicht“ – und meint nicht das<br />
Wetter in <strong>der</strong> mainfränkischen Provinz.<br />
„Die Identifikation ist nicht so<br />
einfach“, sagt Uwe Proske. „Jahrelang<br />
sind wir so erzogen worden,<br />
daß das unser Hauptgegner ist, und<br />
jetzt sollen wir vielleicht selber<br />
dafür antreten?“ Ihn irritiert, daß<br />
dieselben, die das eine gepredigt<br />
haben, nun das an<strong>der</strong>e sagen. „Komisch“<br />
wird ihm jedenfalls bei dem<br />
Gedanken, wenn über den Lautsprecher<br />
zum erstenmal „Proske, BRD“<br />
gerufen werde. Vielleicht deshalb<br />
hängt man so an seinen Erinnerungsstücken.<br />
Kurz bevor die Degen-Fechter<br />
sich mit dem letzten<br />
Sieg eines DDR-Teams, einem 9:1<br />
gegen Taiwan, von <strong>der</strong> Weltmeisterschaft<br />
in Lyon verabschieden, versucht<br />
es eine Kanadierin noch einmal<br />
mit <strong>der</strong> Souvenir-Suche. Diesmal<br />
wird sogar Whisky geboten, als<br />
Wegzehrung für die lange Zugfahrt<br />
nach Berlin. Aber Gordon Lösser<br />
behält seinen Trainingsanzug mit<br />
<strong>der</strong> Aufschrift „DDR“.<br />
CHRISTIAN EICHLER
<strong>Chronik</strong> Juli 1990<br />
19.07.1990<br />
Frankfurt am Main: Tag <strong>der</strong> Entscheidung.<br />
Gemeinsame Sitzung <strong>der</strong> Präsidien des<br />
DFB und des DFV <strong>der</strong> DDR. Zusammenführung<br />
<strong>der</strong> beiden deutschen Fußballverbände<br />
im Profibereich wird von 1992 auf<br />
1991 vorgezogen.<br />
In <strong>der</strong> „Jungen Welt“ äußert sich DTSB-<br />
Generalsekretär Jochen Grünwald: „Je<strong>der</strong><br />
wird mehr investieren müssen“. <strong>Der</strong> DTSB<br />
solle <strong>bis</strong> <strong>zur</strong> Vereinigung erhalten bleiben.<br />
<strong>Der</strong> Präsident des <strong>Deutsche</strong>n Eissportverbandes<br />
<strong>der</strong> Bundesrepublik, Dr. Herbert<br />
Kunze, ist über den Zuwachs <strong>der</strong> Sportler<br />
aus <strong>der</strong> DDR erfreut.<br />
Deutsch-deutsche Seglercrew holt den<br />
WM-Titel.<br />
Leipzig: Auf einem Polizeisportfest äußern<br />
sich DDR-Innenminister Peter-Michael<br />
Diestel und DTSB-Präsident Martin Kilian<br />
<strong>zur</strong> Situation des DDR-Sports. Diestel:<br />
„Wir müssen die Durststrecke überwinden.“<br />
Kilian: „DDR-Sport wird in diesem<br />
Jahr wie<strong>der</strong> an die Spitze kommen und<br />
zwar in einem gesamtdeutschen Team.“<br />
20.07.1990<br />
Oberhof: Sitzung <strong>der</strong> Arbeitsgruppe Leistungssport<br />
des <strong>Deutsche</strong>n Skiläuferverbandes<br />
<strong>der</strong> DDR und des <strong>Deutsche</strong>n Skiverbandes.<br />
Ab dem 1. Oktober 1990 wird es<br />
nur noch eine Nationalmannschaft geben.<br />
Das Führungsgremium des DSLV wird<br />
dem DSV angepasst.<br />
23.07.1990<br />
Fö<strong>der</strong>ale Fußballstrukturen entwickeln sich<br />
in <strong>der</strong> DDR.<br />
Erste Sitzung <strong>der</strong> Arbeitsgruppe Leistungssport<br />
in Frankfurt am Main.<br />
24.07.1990<br />
Kommentar <strong>zur</strong> Situation des DDR-<br />
Fußballs von Hans Meyer (Trainer FC<br />
Karl-Marx-Stadt): „Die Vereinigungsbeschlüsse<br />
sind für uns eine Zumutung.“<br />
26.07.1990<br />
Die Vereine <strong>der</strong> zweiten Fußball-<br />
Bundesliga kritisieren die Vereinigungspläne<br />
<strong>der</strong> beiden deutschen Verbände.<br />
Vorstandssitzung des DFV <strong>der</strong> DDR: Endgültige<br />
Einigung über den Qualifikationsmodus<br />
<strong>zur</strong> Einglie<strong>der</strong>ung von DDR-Klubs<br />
in die Bundesligen. Danach qualifizieren<br />
sich <strong>der</strong> Meister und Vizemeister <strong>der</strong> Oberliga-Spielzeit<br />
1990/1991 direkt für die erste<br />
Bundesliga. Die Klubs auf den Plätzen<br />
drei <strong>bis</strong> sechs qualifizieren sich direkt für<br />
die zweite Bundesliga. Die Plätze sieben<br />
<strong>bis</strong> zwölf spielen gemeinsam mit den beiden<br />
Meistern <strong>der</strong> zweiten DDR-Ligen in<br />
zwei Vierer-Gruppen weitere zwei Mannschaften<br />
aus, die 1991/92 in die zweite<br />
Bundesliga integriert werden.<br />
27.07.1990<br />
Gründung des Lausitzer Behin<strong>der</strong>tensportverbandes.<br />
28.07.1990<br />
<strong>Der</strong> DTSB erhält weitere 30 Millionen D-<br />
Mark <strong>zur</strong> Sicherung <strong>der</strong> Finanzen durch<br />
das Ministerium für Jugend und Sport.<br />
Cottbus: Gründung des Brandenburgischen<br />
Radsportverbandes e. V. durch die Vereinigung<br />
<strong>der</strong> Bezirksfachausschüsse Frankfurt<br />
(O<strong>der</strong>), Cottbus und Potsdam. Präsident:<br />
Walter Rösler.<br />
Potsdam: Gründung des Landesfußballverbandes<br />
Brandenburg aus den Bezirken<br />
Frankfurt (O<strong>der</strong>), Cottbus und Potsdam.<br />
Präsident: Siegfried Kirschen.<br />
28./29.07.1990<br />
Kienbaum: Willi Klein, DSB Vize-<br />
Präsident für Breitensport, übergibt die<br />
ersten DSB-Sportabzeichen an DDR-<br />
Bürger.<br />
61
62<br />
Juli 1990 – Eine Collage
<strong>Chronik</strong> August 1990<br />
August 1990<br />
01.08.1990<br />
Berlin: Pressekonferenz mit DTSB-<br />
Präsident Martin Kilian nach einem Gespräch<br />
mit Staatssekretär Horst Iske. Finanzfragen<br />
werden nun endgültig im Ministerium<br />
für Jugend und Sport geklärt.<br />
<strong>Der</strong> DTSB benötige für das zweite Halbjahr<br />
1990 120 Millionen Mark, so Kilian.<br />
Ein verstärkter Personalabbau sei notwendig.<br />
02.08.1990<br />
Berlin: Pressekonferenz von DDR-<br />
Sportministerin Cordula Schubert. Insgesamt<br />
stünden für den Sport im zweiten<br />
Halbjahr 1990 124 Millionen D-Mark <strong>zur</strong><br />
Verfügung. Davon erhält <strong>der</strong> DTSB 103<br />
Millionen, <strong>der</strong> BTSV 20,8 Millionen und<br />
das NOK <strong>der</strong> DDR 0,2 Millionen D-Mark.<br />
Kommentar DTSB-Generalsekretär Jochen<br />
Grünwald: „Dieser Betrag ist viel zu gering.“<br />
Leipzig: Gründung des FC Sachsen Leipzig<br />
1990 e. V.<br />
Gründung des Turnvereins ATV 90 in <strong>der</strong><br />
Armeesportvereinigung e. V. Präsident:<br />
Dr. Günter Beier.<br />
03.08.1990<br />
Berlin: <strong>Der</strong> Landessportbund Berlin for<strong>der</strong>t<br />
die generelle Rückgabe von ehemaligen<br />
Grundstücken und Immobilien Westberliner<br />
Sportvereine auf dem Territorium <strong>der</strong><br />
DDR.<br />
Gründung eines <strong>Deutsche</strong>n Olympiaclubs<br />
e. V. in <strong>der</strong> DDR. Motto: „Leistung durch<br />
Leistungssport.“<br />
07.08.1990<br />
Berlin: Tagung des Präsidiums und <strong>der</strong><br />
Geschäftsleitung des DTSB. Beschluss <strong>der</strong><br />
Maßnahmen zum Einsatz <strong>der</strong> finanziellen<br />
Mittel für den DDR-Sport. Durch die Kürzungen<br />
komme <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- und Jugendbereich<br />
teilweise zum Erliegen.<br />
Baden-Baden: Treffen <strong>der</strong> beiden deutschen<br />
NOK. Beratung über Struktur- und<br />
Personalfragen im Zusammenhang mit <strong>der</strong><br />
bevorstehenden Vereinigung. Die DDR-<br />
Seite war durch den Präsidenten Professor<br />
Dr. Dr. Joachim Weiskopf und Generalsekretär<br />
Wolfgang Gitter vertreten. Für die<br />
bundesdeutsche Seite verhandelten Vizepräsidenten<br />
August Kirsch und Generalsekretär<br />
Walther Tröger.<br />
08.08.1990<br />
Düsseldorf: Im Interview mit dem „Sportinformationsdienst“<br />
spricht sich <strong>der</strong> Vorsitzende<br />
des Sportausschusses des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Bundestags, Ferdi Tillmann, für eine<br />
weitgehende Übernahme des DDR-Sportsystems<br />
in ein vereinigtes Deutschland aus:<br />
„Die Struktur <strong>der</strong> <strong>bis</strong>her 35 Sportklubs in<br />
<strong>der</strong> heutigen DDR soll erhalten und zeitgemäß<br />
erneuert werden. Es geht darum,<br />
möglichst schnell die Olympiastützpunkte<br />
in <strong>der</strong> DDR ein<strong>zur</strong>ichten und mit den dort<br />
vorhandenen jahrzehntelangen Erfahrungen<br />
zu verbinden.“<br />
Potsdam: Gründung des Landesverbandes<br />
Brandenburg <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nen Fünfkämpfer.<br />
Präsident: Klaus Petrikowsky.<br />
09.08.1990<br />
Auf einer außerordentlichen Tagung des<br />
Präsidiums des DTSB werden Konsequenzen<br />
aus <strong>der</strong> Kürzung <strong>der</strong> finanziellen Mittel<br />
um 33 Prozent beschlossen. Bis zum<br />
Jahresende muss die Zahl <strong>der</strong> hauptamtlichen<br />
Mitarbeiter auf 2.300 reduziert werden.<br />
Von den 9.000 Beschäftigten waren<br />
bereits 3.009 zum 30. September gekündigt<br />
worden. Viele Sportschulen und Trainingszentren<br />
müssen stillgelegt werden.<br />
63
64<br />
„Geheimnisse“ des DDR-Sports – Die Nachwirkungen <strong>der</strong> Repression im DDR-Sport sind <strong>bis</strong> heute spürbar<br />
„Geheimnisse“ des DDR-Sports<br />
Die Nachwirkungen <strong>der</strong> Repression im<br />
DDR-Sport sind <strong>bis</strong> heute spürbar<br />
von Jutta Braun<br />
August 1990. Im Schatten <strong>der</strong> Goldkin<strong>der</strong> lagen<br />
die verdeckten Seiten des DDR-<br />
Sportsystems: die Überwachung durch die<br />
Staatssicherheit, flächendeckendes Doping<br />
und geheim gehaltene Forschungsstätten<br />
und -labors.<br />
Bereits seit Sommer 1989 hatten die Dopingenthüllungen<br />
des Skisprung-Weltmeisters und<br />
Olympiasiegers Hans-Georg Aschenbach, <strong>der</strong><br />
sein Insi<strong>der</strong>-Wissen als Sportarzt des ASK<br />
Oberhof nach seiner Republikflucht in <strong>der</strong><br />
„Bild Zeitung“ ausgebreitet hatte, in <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
für Aufmerksamkeit gesorgt. Mit<br />
dem Eingeständnis, es habe auch in <strong>der</strong> DDR<br />
im Jahre 1988 14 positive Fälle gegeben, brach<br />
<strong>der</strong> Sportmedizinische Dienst <strong>der</strong> DDR zwar<br />
Anfang November 1989 die <strong>bis</strong>herige Veröffentlichungssperre,<br />
versuchte aber den Eindruck<br />
zu erwecken, es habe sich um individuelle<br />
Verfehlungen gehandelt. <strong>Der</strong> DTSB verharrte<br />
in rigi<strong>der</strong> Abwehrposition, Präsident<br />
Eichler präsentierte den DTSB noch als Gegner<br />
des Doping, als die Öffentlichkeit bereits<br />
Zutritt zum geheimen Doping-Labor Kreischa<br />
erhielt. Noch im Dezember erging ein Beschluss<br />
des DTSB-Sekretariats, die Arbeit mit<br />
den Geheimnisträgern zu verbessern, um „ihren<br />
Geheimhaltungswillen zu festigen“. Das<br />
Schweigekartell <strong>der</strong> involvierten SMD- und<br />
DTSB-Angehörigen funktionierte, solange die<br />
Regierung Modrow im Amt war. Seit März<br />
1990 jedoch, als deutlich wurde, dass das alte<br />
Sportsystem nicht weiter fortbestehen würde,<br />
offenbarten immer zahlreichere beteiligte Wissenschaftler<br />
ihre Kenntnisse gegenüber westlichen<br />
Medien. Trotz dieser Informationen dauerte<br />
es noch Jahre, <strong>bis</strong> das staatliche Zwangsdoping<br />
<strong>der</strong> DDR in vollem Umfang erkannt<br />
wurde – ein später Sieg des perfekten Geheimhaltungssystems<br />
<strong>der</strong> DDR, in dem das Ministerium<br />
für Staatssicherheit ein wichtige Rolle<br />
spielte.<br />
Auch die Funktion dieses Geheimdienstes<br />
wurde früh im Wendeprozess thematisiert, im<br />
Januar 1990 wurden erste „Stasi-Untaten“ im<br />
DDR-Sport bekannt, dabei ging es um die Ver-<br />
Jutta Braun<br />
folgung des später ausgereisten Diskuswerfers<br />
Wolfgang Schmidt. Auch an<strong>der</strong>e republikflüchtige<br />
Sportler beklagten ihre „Angst“ vor<br />
<strong>der</strong> Staatssicherheit, so im August 1990 die<br />
Bundesligaspieler Norbert Nachtweih und<br />
Robert Pahl, die nach ihrer Flucht 1976 längere<br />
Zeit observiert wurden. Aus Furcht vor einer<br />
möglichen Entführung schlugen sie ein Vertragsangebot<br />
in Westberlin aus. „Wir haben<br />
uns schon ausgerechnet, dass wir in Berlin<br />
schnell mal eine Pille ins Bierglas bekommen<br />
und dann am Alexan<strong>der</strong>platz aufwachen würden.“<br />
Auch die strukturelle Überwachung <strong>der</strong><br />
linientreuen Sportka<strong>der</strong> wurde angeklagt: <strong>Der</strong><br />
langjährige DDR-Auswahlspieler Peter Ducke<br />
(Jena) beschuldigte Ende August 1990 im<br />
Deutschlandfunk den Vize des DDR-<br />
Fußballverbandes, Günther Schnei<strong>der</strong>, jahrelanger<br />
Stasi-Mitarbeiter zu sein. „Er trat immer<br />
dort auf, wo es galt, Fußballer zu bespitzeln.<br />
Wir wurden auf Schritt und Tritt beschattet. Es<br />
war grauenhaft und wi<strong>der</strong>lich.“ Ebenso kamen<br />
langsam die unlauteren Methoden gegenüber<br />
dem „Klassenfeind“ ans Licht. <strong>Der</strong> Magdeburger<br />
Erfolgstrainer Heinz Krügel berichtete<br />
empört auf dem ersten demokratischen Fußballverbandstag,<br />
wie vor einem Europapokalspiel<br />
gegen den FC Bayern München ein Stasi-<br />
Offizier zu ihm kam und anbot: „Sie können in<br />
<strong>der</strong> Pause mithören, was da in <strong>der</strong> Bayern-<br />
Kabine gesprochen wird“. Was Krügel <strong>zur</strong>ückwies<br />
und daraufhin karrieretechnisch von<br />
<strong>der</strong> Nomenklatura ausgebootet wurde.<br />
Trotz dieser ersten Einblicke in die repressiven<br />
Seiten des DDR-Systems trat das volle Ausmaß,<br />
in dem die Krake Staatssicherheit den<br />
DDR-Sport durchdrang, erst mit den Jahren zu<br />
Tage. Verantwortung für diese verzögerte Erkenntnis<br />
trägt auch <strong>der</strong> Sport selbst, da nur<br />
sieben <strong>der</strong> 35 Sportfachverbände sich <strong>der</strong><br />
schwierigen Vergangenheitsbewältigung stellten<br />
und eine freiwillige Überprüfung durch die<br />
Gauck-Behörde anstrengten. So ist auch das<br />
heutige Sportgeschehen noch immer von Enthüllungen<br />
über die Verstrickung von Sportlern,<br />
Trainern, Funktionären und Journalisten begleitet.
<strong>Chronik</strong> August 1990 65<br />
11.08.1990<br />
Berlin: Beratungen des Präsidiums des<br />
NOK <strong>der</strong> DDR über die Vereinigung <strong>der</strong><br />
beiden deutschen NOK, die noch im laufenden<br />
Jahr angestrebt wird.<br />
Wien: Gespräche zwischen den Präsidenten<br />
<strong>der</strong> beiden deutschen Handballverbände<br />
mit dem Präsidenten <strong>der</strong> Internationalen<br />
Handball-Fö<strong>der</strong>ation: Beratungen über<br />
offene Fragen hinsichtlich einer gesamtdeutschen<br />
Mannschaft <strong>der</strong> Männer bei Olympia<br />
1992 in Barcelona, da sich nur die<br />
DDR-Nationalmannschaft sportlich qualifizieren<br />
konnte.<br />
Startschuss <strong>zur</strong> letzten Saison <strong>der</strong> DDR<br />
Fußball-Oberliga.<br />
13.08.1990<br />
München: Im Skisport gibt es die erste<br />
gemeinsame Nationalmannschaft. <strong>Der</strong><br />
<strong>Deutsche</strong> Skiverband und <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong><br />
Skiläuferverband <strong>der</strong> DDR bilden eine<br />
nordische Nationalmannschaft. Von Einsparungen<br />
sind über 50 Skisporttrainer <strong>der</strong><br />
DDR betroffen.<br />
Berlin: <strong>Der</strong> Präsident des NOK <strong>der</strong> DDR<br />
erklärt: „Wir werden die Vereinigung unabhängig<br />
von dem Fahrplan den die Politik<br />
vorgibt, vollziehen, und gehen davon aus,<br />
dass das NOK <strong>der</strong> DDR zum 31. Dezember<br />
seine Tätigkeit einstellt.“ Für den Start<br />
von DDR-Sportlern zum Beispiel bei den<br />
Ru<strong>der</strong>-Weltmeisterschaften in Australien<br />
und in sozialen Härtefällen wurden NOK-<br />
Gel<strong>der</strong> zugesagt. Bislang wurden 1,9 Millionen<br />
D-Mark verausgabt.<br />
14.08.1990<br />
Nach Vorstellungen von Horst Bredemeier,<br />
bundesdeutscher Auswahltrainer, soll sich<br />
die künftige gesamtdeutsche Auswahl aus<br />
dem Kern des DHB-Teams sowie etwa<br />
sechs DDR-Spielern zusammensetzen.<br />
Berlin: DDR-Handball-Präsident Professor<br />
Dr. Hans-Georg Hermann reagiert auf<br />
Bredemeier und wirft ihm vor, dass seine<br />
Aussagen dem Vereinigungsprozess schaden<br />
würden.<br />
DDR-Abrüstungsminister Rainer Eppelmann<br />
sieht die Zukunft des Leistungssports<br />
in <strong>der</strong> Armee.<br />
15.08.1990<br />
Die GST-Nachfolgeorganisation, BTSV,<br />
löst sich stufenweise auf. Am 31. August<br />
werden sämtliche Bezirksstellen geschlossen.<br />
<strong>Der</strong> Generalsekretär des NOK für Deutschland<br />
spricht sich für einen schnellen Zusammenschluss<br />
des deutschen Sports aus.<br />
16.08.1990<br />
Berlin: Gespräche <strong>der</strong> Präsidialkommission<br />
bei<strong>der</strong> deutscher Leichtathletikverbände.<br />
Bis zum Jahresbeginn 1991 soll die Vereinigung<br />
vollzogen werden.<br />
In <strong>der</strong> „Märkischen O<strong>der</strong>zeitung“ plädiert<br />
<strong>der</strong> Präsident des Fußballlandesverbandes<br />
Brandenburg, Siegfried Kirschen, für einen<br />
starken und unabhängigen Landesfußballverband.<br />
17.08.1990<br />
Berlin: Die beiden deutschen NOK erzielen<br />
weitgehende Einigkeit über den Weg<br />
zu ihrer Vereinigung, die am 17. November<br />
1990 in Berlin vollzogen werden soll.<br />
IOC-Präsident Samaranch betont, dass das<br />
IOC je<strong>der</strong> Lösung <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong>n im Hinblick<br />
auf eine Olympiamannschaft zustimmen<br />
werde: „Das IOC traut Deutschland,<br />
Deutschland kann dem IOC trauen.“
66<br />
Süddeutsche Zeitung 18.08.1990<br />
“Es ging um das nackte Menschliche“<br />
Im gesamtdeutschen Leichtathletikverband finden von 592 DDR-Trainern nur noch 50 Arbeit<br />
Berlin (dpa) – Die Vereinigung <strong>der</strong><br />
deutschen Leichtathletik am 24.<br />
November in Salzgitter ist beschlossene<br />
Sache. Doch sie for<strong>der</strong>t<br />
viele Opfer, vor allem auch unter<br />
den Trainern und Funktionären in<br />
<strong>der</strong> DDR. „Zum Schluß ging es um<br />
das nackte Menschliche“, schil<strong>der</strong>te<br />
Jan Kern, <strong>der</strong> Generalsekretär<br />
des <strong>Deutsche</strong>n Leichtathletik-<br />
Verbandes (DLV), die Stimmung<br />
beim Berliner Verhandlungsmarathon<br />
mit dem <strong>Deutsche</strong>n Verband<br />
für Leichtathletik (DVfL) <strong>der</strong> DDR<br />
am Donnerstagabend. Und Sportwart<br />
Manfred Steinbach ergänzte:<br />
„Es ist schon schlimm, wenn man<br />
bedenkt, wer da alles über die<br />
Klinge springen muß.“<br />
Wenn <strong>der</strong> DLV ab dem 25. November<br />
die Alleinverantwortung<br />
für die deutsche Leichtathletik<br />
übernimmt – bei einem außerordentlichen<br />
Verbandstag am Tag<br />
zuvor stellen die Landesverbände<br />
in den fünf neuen Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />
DDR ihren Aufnahmeantrag, <strong>der</strong><br />
DVfL hört auf zu existieren – werden<br />
von einstmals 592 festangestellten,<br />
vom Staat bezahlten DDR-<br />
Trainern nur noch rund 50 einen<br />
Arbeitsplatz haben, vom Bundes-<br />
<strong>bis</strong> zum Honorartrainer. „Das Ergebnis<br />
ist unbefriedigend, ich bin<br />
ernüchtert und enttäuscht“, sagte<br />
DVfL-Präsident Gerd Schröter,<br />
„die Hälfte <strong>der</strong> Trainer hätte man<br />
abspecken können, ohne an die<br />
Substanz zu gehen.“ Er erwartet<br />
Verluste für die gesamte deutsche<br />
Leichtathletik und die Abwan<strong>der</strong>ung<br />
guter Fachleute ins Ausland.<br />
„Es wäre schön, wenn aus einer<br />
Leichtathletik und noch einer<br />
Leichtathletik eine zweimal stärkere<br />
Leichtathletik würde. Aber ich<br />
Süddeutsche Zeitung 18. August 1990<br />
fürchte, das wird nichts.“ Steinbach<br />
allerdings meinte: „Angesichts<br />
meiner 16 Bundestrainer<br />
kommt <strong>der</strong> DVfL in einer Kosten-<br />
Nutzen-Relation gut weg.“<br />
Auch die Funktionäre werden<br />
Posten verlieren. „Wir werden in<br />
jede Kommission, jede Arbeitsgruppe<br />
und auch in Präsidium<br />
Mitarbeiter aus <strong>der</strong> DDR einglie<strong>der</strong>n“,<br />
unterstrich DLV-Präsident<br />
Helmut Meyer, „aber etwa im<br />
Verhältnis <strong>der</strong> Stimmen beim Verbandstag.“<br />
Das sind nicht übermäßig<br />
viele. Die sollen nach Meyers<br />
Worten aber möglicherweise schon<br />
nach <strong>der</strong> Aufnahme <strong>der</strong> DDR-Landesverbände<br />
noch in Salzgitter<br />
beim Verbandstag Sitz und Stimme<br />
erhalten und schon am nächsten<br />
Tag beim Verbandsrat dabei sein.<br />
Was aus den verbleibenden Mitarbeitern<br />
des DVfL-Generalsekretariats<br />
– von ehedem 44 bleiben<br />
fünf Funktionäre, von einst 18<br />
Mitarbeitern im Wissenschaftlichen<br />
Zentrum Leipzig vier übrig –<br />
wird, steht in den Sternen. Meyer:<br />
„Es ist wie mit den Trainern: Woher<br />
soll das Geld kommen.“ Schröter,<br />
Professor für Theorie und Methodik<br />
an <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong>n Hochschule<br />
für Körperkultur (DHfK) in<br />
Leipzig, will sich auch im neuen<br />
DLV um Position und Einfluß<br />
bewerben.<br />
Für die DDR-Leichtathletik gilt<br />
auch auf an<strong>der</strong>en Gebieten das<br />
„Prinzip Hoffnung“. „Vielleicht<br />
können wir weitere Trainerstellen<br />
über die Län<strong>der</strong> erschließen“, sagt<br />
Schröter, „und wir werden uns<br />
bemühen, alle <strong>bis</strong>herigen Leistungszentren,<br />
also die Sportclubs<br />
zu erhalten, wenn auch nicht mehr<br />
mit 20 Trainern, son<strong>der</strong>n vielleicht<br />
nur einem hauptamtlichen.“ Unterstützung<br />
hat <strong>der</strong> DLV bei dem Streben<br />
zugesagt, das ehemalige Gebiet<br />
<strong>der</strong> DDR nicht ganz von Leichtathletikveranstaltungen<br />
zu entblößen.<br />
Wenn möglich, sollen auch deutsche<br />
Meisterschaften dort ausgetragen<br />
werden. Primo Nebiolo, <strong>der</strong><br />
Präsident des Internationalen<br />
Leichtathletik-Verbandes (IAAF),<br />
hat zudem zugesagt, daß neben dem<br />
ISTAF im Olympiastadion auch <strong>der</strong><br />
Olympische Tag in (Ost-)Berlin als<br />
zweites Grand-Prix-Meeting in<br />
Berlin erhalten bleibt.<br />
Die IAAF will im übrigen die<br />
vereinten <strong>Deutsche</strong>n finanziell<br />
unterstützen, wenn sie künftig mit<br />
einer größeren Mannschaft bei<br />
internationalen Meisterschaften<br />
aufkreuzen. <strong>Vom</strong> 1. Januar 1991<br />
wird ein Verband, eine Nationalmannschaft<br />
die deutsche Leichtathletik<br />
bei <strong>der</strong> IAAF vertreten. Nebiolo<br />
erwartet „eine große deutsche<br />
Mannschaft“. <strong>Der</strong> Italiener schlug<br />
am Donnerstag in Berlin zudem<br />
eine „Wie<strong>der</strong>vereinigungsfeier“<br />
vor.<br />
Nach fast 40 Jahren <strong>der</strong> Konfrontation<br />
<strong>bis</strong> hin <strong>zur</strong> offenen Gegnerschaft<br />
auch in <strong>der</strong> Leichtathletik ist<br />
für manch einen, <strong>der</strong> die siebte<br />
Verhandlungsrunde zwischen DLV<br />
und DVfL am Donnerstag in Berlin<br />
mitmachte, die nunmehr beschlossene<br />
Vereinigung auch fast ein Jahr<br />
nach dem 9. November noch immer<br />
ein Wun<strong>der</strong>. „So viele Verhärtungen<br />
von 40 Jahren lassen sich in ein<br />
paar Stunden entknoten“, sagte<br />
Prof. Georg Wieczisk, <strong>der</strong> nach <strong>der</strong><br />
„Wende“ als DVfL-Präsident abgelöst<br />
wurde, „dafür war das heute<br />
eine lange, aber erfolgreiche Sitzung.
<strong>Chronik</strong> August 1990 67<br />
18.08.1990<br />
Berlin: Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz<br />
erklären IAAF, DVFL <strong>der</strong> DDR und<br />
<strong>der</strong> DLV, dass die Vereinigung <strong>der</strong> Leichathleten<br />
am 24. November 1990 erfolgen<br />
wird.<br />
19.08.1990<br />
Dresden: Letzte DDR-Meisterschaften <strong>der</strong><br />
Leichtathletik.<br />
20.08.1990<br />
Das Präsidium des <strong>Deutsche</strong>n Schwimmverbandes<br />
beschließt nach einer zweitägigen<br />
Sitzung in Münster bei den Weltmeisterschaften<br />
im Schwimmen und Wasserspringen<br />
im Januar 1991 in<br />
Perth/Australien mit einer deutschen<br />
Mannschaft an den Start zu gehen. <strong>Der</strong><br />
Präsident des DDR-Schwimmsport-<br />
Verbandes (DSSV), Wilfried Windolf,<br />
hatte mitgeteilt, dass die teilweise noch zu<br />
gründenden DDR-Landesverbände Ende<br />
September um Beitritt zum DSV ersuchen<br />
werden.<br />
21.08.1990<br />
<strong>Der</strong> Westdeutsche Schwimmstar Michael<br />
Groß for<strong>der</strong>t im Vereinigungsprozess tragbare<br />
Lösungen für beide Seiten, gerechte<br />
Qualifikationsnormen. Er befürchtet eine<br />
große Rücktrittswelle.<br />
Im Interview mit dem „Deutschlandfunk“<br />
beklagt <strong>der</strong> Sprecher <strong>der</strong> DDR-Athleten,<br />
Ulf Timmermann, dass <strong>der</strong> DDR-Sport von<br />
den Entwicklungen überrollt worden sei.<br />
Reibereien seien vorprogrammiert. Zudem<br />
befürchtet er Probleme bei <strong>der</strong> Aufstellung<br />
einer gemeinsamen Olympiamannschaft.<br />
23.08.1990<br />
Zweite Sitzung <strong>der</strong> Arbeitsgruppe Strukturfragen<br />
in Frankfurt am Main.<br />
27.08.1990<br />
Split: Bei den Leichtathletik-Europameisterschaften<br />
tritt die DDR zum letzten<br />
Mal international auf. Ihre Medaillenbilanz<br />
12/10/10.<br />
Frankfurt am Main: Die deutschen Ru<strong>der</strong>er<br />
nehmen an <strong>der</strong> Weltmeisterschaft vom<br />
29.10.-3.11. mit zwei getrennten Mannschaften<br />
teil.<br />
Freyburg: Turnfestival zum ersten Mal mit<br />
Gästen aus dem Osten und Westen<br />
Deutschlands.<br />
SPD-Bundestagsfraktion kritisiert, dass im<br />
Entwurf des Einigungsvertrages <strong>der</strong> Vereins-<br />
und Breitensport ausgeklammert<br />
wird.<br />
28.08.1990<br />
Die Gewichtheber <strong>der</strong> DDR beantragen<br />
beim Internationalen Gewichthebe-<br />
Verband, bei den Weltmeisterschaften im<br />
November noch mit einer eigenen Mannschaft<br />
antreten zu können.<br />
30.08.1990<br />
Erklärung <strong>der</strong> Volkskammerfraktion und<br />
des Vorstands <strong>der</strong> SPD <strong>der</strong> DDR: „Ohne<br />
schnelle Hilfe droht dem DDR-Sport das<br />
Aus.“ SPD for<strong>der</strong>t eine Übergangsfinanzierung<br />
durch den Bund.<br />
31.08.1990<br />
Berlin (Ost)/Frankfurt am Main: Verbandstagssitzungen<br />
<strong>der</strong> beiden deutschen Fußballverbände,<br />
DFV und DFB. Einigung auf<br />
einen neuen vorgezogenen Termin für die<br />
„Fußball-Einheit“: 21. November 1990.
68<br />
August 1990 – Eine Collage
<strong>Chronik</strong> September 1990 69<br />
September 1990<br />
01.09.1990<br />
Bonn: Beim Spitzengespräch von Vertretern<br />
<strong>der</strong> Sportverbände mit Innenminister<br />
Wolfgang Schäuble spricht dieser sich für<br />
eine Globalfinanzierung aus, um das Zusammenwachsen<br />
in vernünftiger Weise zu<br />
ermöglichen. Damit soll auch <strong>der</strong> Ausverkauf<br />
des DDR-Sports gestoppt werden.<br />
Stiftung <strong>Deutsche</strong> Sporthilfe benötigt für<br />
1991 kurzfristig 19 Millionen D-Mark,<br />
damit auch die Versorgung <strong>der</strong> <strong>bis</strong>herigen<br />
DDR-Sportler ab dem 1. Januar 1991 gewährleistet<br />
ist.<br />
Leimen: <strong>Der</strong> Internationale Gewichtheberverband<br />
stimmt dem Antrag des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Verbandes für Gewichtheben und Fitness<br />
<strong>der</strong> DDR zu, dass deutsche Gewichtheber<br />
getrennt <strong>zur</strong> WM fahren.<br />
Oberhof: Raimund Bethge, Klubtrainer<br />
beim ASK Vorwärts Oberhof, wird Bob-<br />
Bundestrainer.<br />
Kassel: Boxgipfel, Verbände aus Ost und<br />
West treffen sich zu Vereinigungsverhandlungen.<br />
02.09.1990<br />
Leipzig: Fußball-Freundschaftsspiel zwischen<br />
1. FC Lok Leipzig und Bayern München<br />
vereinbart.<br />
Gründung des Amateurboxverbandes des<br />
Landes Brandenburg. Präsident: Knut Batavia.<br />
03.09.1990<br />
Die Mo<strong>der</strong>nen Fünfkämpfer aus <strong>der</strong> DDR<br />
sind dem <strong>Deutsche</strong>n Verband für Mo<strong>der</strong>nen<br />
Fünfkampf beigetreten.<br />
04.09.1990<br />
Radsportler benennen gesamtdeutsche<br />
Auswahl-A-Ka<strong>der</strong>.<br />
Königs Wusterhausen: Gründung des Landesverbandes<br />
Tischtennis im Land Brandenburg.<br />
Präsident: Klaus Lehmann.<br />
05.09.1990<br />
Bonn: Die CDU/CSU-Fraktion des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Bundestags for<strong>der</strong>t Anschubfinanzierung<br />
des Breitensports <strong>der</strong> DDR.<br />
06.09.1990<br />
Frankfurt am Main: Willi Daume, u. a.<br />
Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong>n Sporthilfe teilt<br />
mit, dass <strong>der</strong> Sporthilfe 25 Millionen D-<br />
Mark fehlen, um nach <strong>der</strong> Vereinigung<br />
auch die Spitzensportler <strong>der</strong> DDR zu för<strong>der</strong>n.<br />
07.09.1990<br />
Bonn: Gespräche zwischen Bundeskanzler<br />
Helmut Kohl, DSB-Präsident Hans Hansen,<br />
NOK-Präsident Willi Daume und Innenminister<br />
Wolfgang Schäuble. Fragen<br />
des Beitritts <strong>der</strong> DDR <strong>zur</strong> Bundesrepublik<br />
und die Auswirkungen auf den Sport. Kohl<br />
will sich für die Aufrechterhaltung des<br />
hohen Niveaus des Leistungssports in <strong>der</strong><br />
DDR einsetzen.<br />
<strong>Der</strong> Weltru<strong>der</strong>verband genehmigte den<br />
Start zweier deutscher Mannschaften bei<br />
<strong>der</strong> Ru<strong>der</strong>-WM im November 1990.<br />
Pressemitteilung des Fußballverbandes<br />
(DFB <strong>der</strong> DDR): Es habe keine Zusammenarbeit<br />
mit dem Ministerium für Staatsicherheit<br />
gegeben.<br />
08.09.1990<br />
Aue: Letzte DDR-Meisterschaften im Bogenschießen.
70<br />
Schussfahrt in die Einheit – Im September 1990 begann die Vereinigung <strong>der</strong> Fachverbände<br />
Schussfahrt in die Einheit<br />
Im September 1990 begann die Vereinigung<br />
<strong>der</strong> Fachverbände<br />
von Michael Barsuhn<br />
September 1990. Die Dynamik und Härte<br />
eines Eishockeyspiels ist von an<strong>der</strong>en<br />
Sportarten kaum zu übertreffen. Schon gar<br />
nicht vom Golfen, das eher bedächtig daher<br />
kommt. Im Vereinigungsprozess des<br />
deutschen Sports waren jedoch ausgerechnet<br />
die Golfer (ebenso wie die Turner)<br />
schneller als die Kufenflitzer auf dem Eis.<br />
Knapp einen Monat vor dem Beitritt <strong>der</strong><br />
DDR <strong>zur</strong> Bundesrepublik, am 3. Oktober<br />
1990, und zwei Tage bevor sich die Eishockeyverbände<br />
<strong>der</strong> DDR und <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
am 11. September 1990 vereinigten,<br />
schlossen sich die Golfer und Turner als<br />
erste Sportfachverbände <strong>der</strong> beiden deutschen<br />
Staaten am 9. September 1990 zusammen.<br />
Während das Turnen zu DDR-Zeiten als<br />
olympische Sportart beson<strong>der</strong>s hofiert<br />
wurde, war <strong>der</strong> <strong>Mauerfall</strong> für Golf und<br />
Eishockey eine Befreiung von <strong>bis</strong>heriger<br />
staatlicher Unterdrückung.<br />
"Golf wurde erst seit 1987 gespielt. Vorher<br />
war hier rein gar nichts los", erzählt Bernd<br />
Rudolph aus Dresden, <strong>der</strong> im Oktober<br />
1989 die "Erste allgemeine Sportgruppe<br />
Golf <strong>der</strong> DDR" ins Leben rief, aus <strong>der</strong> im<br />
April 1990 <strong>der</strong> "<strong>Deutsche</strong> Golfverband <strong>der</strong><br />
DDR" hervorging. Es gab keine Klubs,<br />
weniger als dreißig Aktive und keine Plätze.<br />
"Wir mussten in die Tschechoslowakei<br />
fahren. Da gab es eine ungebrochene Golftradition.<br />
Die Anlagen in Brünn o<strong>der</strong> Prag<br />
waren für DDR-Bürger zugänglich." <strong>Der</strong><br />
letzte Golfplatz in Oberhof war schon 1951<br />
mit den Worten "Gemüse statt Golf" in<br />
einen Acker verwandelt worden.<br />
Wer aber dachte, nach <strong>der</strong> Wende würde<br />
alles einfacher, täuschte sich. "Am liebsten<br />
hätte <strong>der</strong> DGV (<strong>Deutsche</strong>r Golf Verband)<br />
die Gründung eines ostdeutschen Verbandes<br />
ganz verhin<strong>der</strong>t", empört sich Rudolph.<br />
Michael Barsuhn<br />
Tatsächlich lag es nicht im Interesse des<br />
DGV, wenige Monate vor <strong>der</strong> staatlichen<br />
Vereinigung einen eigenständigen DDR-<br />
Verband entstehen zu lassen. Die Integration<br />
des aktiven Häufchens hätte aus West-<br />
Sicht ohne diesen Zwischenschritt vollzogen<br />
werden können. Die Ehe hielt denn<br />
auch nicht lange. Nach endlosen Querelen<br />
gingen Ossis und Wessis ab 1993 wie<strong>der</strong><br />
getrennte Wege. <strong>Der</strong> Golfför<strong>der</strong>verband<br />
Ost löste sich vom DGV. Klubs und Sportler<br />
sind aber weiterhin Mitglie<strong>der</strong> im<br />
Dachverband.<br />
Die Vereinigung des Eishockeys verlief<br />
unkomplizierter. "Nach dem <strong>Mauerfall</strong><br />
ging alles ganz schnell", sagt Hartmut Nickel,<br />
von 1976 <strong>bis</strong> 1990 Cheftrainer des<br />
SC Dynamo Berlin (heute EHC Eisbären).<br />
Im Januar 1990 löste sich Eishockey aus<br />
den Fesseln des <strong>Deutsche</strong>n Eislaufverbandes<br />
<strong>der</strong> DDR. Bereits im Mai 1990 wurden<br />
die DDR-Klubs Dynamo Weißwasser und<br />
Dynamo Berlin in den <strong>Deutsche</strong>n Eishockey-Bund<br />
(DEB) aufgenommen. Im September<br />
1990 war Eishockey die erste<br />
Sportart, die in einer gesamtdeutschen Liga<br />
ausgeübt wurde. Fortan kreuzten Weißwasser<br />
und Berlin die Schläger mit Köln<br />
und Düsseldorf.<br />
Gegenwärtig spielt Weißwasser in <strong>der</strong><br />
zweiten Liga, unter dem Namen Lausitzer<br />
Füchse. <strong>Der</strong> EHC Eisbären ist neben den<br />
Handballspielern des SC Magdeburg <strong>der</strong><br />
einzige große Klub aus <strong>der</strong> DDR, <strong>der</strong> einen<br />
gesamtdeutschen Titel erringen konnte. In<br />
ihrer Freizeit zieht es die Mannschaft hin<br />
und wie<strong>der</strong> auf den Golfplatz. "Sie werden<br />
jetzt grinsen o<strong>der</strong> lachen, aber ich finde<br />
Golf toll," sagt Eisbären-Assistenztrainer<br />
Nickel. Er lebt in Brandenburg. Dass man<br />
nun in <strong>der</strong> früheren DDR ungehin<strong>der</strong>t Golf<br />
spielen kann, lässt selbst einen Eisbären<br />
nicht kalt.
<strong>Chronik</strong> September 1990<br />
08./09.09.1990<br />
Hannover: Auf dem <strong>Deutsche</strong>n Turntag<br />
erfolgt die Vereinigung <strong>der</strong> beiden deutschen<br />
Turnverbände. Die Turner, Sportgymnastinnen,<br />
Faustballer, Orientierungsläufer<br />
und Spielleute treten dem bundesdeutschen<br />
Turnerbund (DTB) bei. Am<br />
3.10. endet die Mitgliedschaft <strong>der</strong> DDR-<br />
Verbände in <strong>der</strong> internationalen Turnfö<strong>der</strong>ation.<br />
Potsdam: Gründung des Handballverbandes<br />
des Landes Brandenburg. Präsident:<br />
Wolfgang Hartisch.<br />
09.09.1990<br />
Strausberg: Gründung des Brandenburgischen<br />
Verbands für Leichtathletik. Präsident:<br />
Günther Möbius.<br />
10.09.1990<br />
Bonn: Streit in <strong>der</strong> Politik um die Zukunft<br />
<strong>der</strong> Finanzierung des Spitzensports <strong>der</strong><br />
DDR.<br />
11.09.1990<br />
München: Zusammenschluss <strong>der</strong> beiden<br />
deutschen Eishockeyverbände.<br />
Schleife: Letztes Län<strong>der</strong>spiel <strong>der</strong> DDR-<br />
Handballerinnen gegen Norwegen.<br />
12.09.1990<br />
Moskau: Die Außenminister <strong>der</strong> UdSSR,<br />
<strong>der</strong> USA, Großbritanniens, Frankreichs<br />
und bei<strong>der</strong> deutscher Staaten unterzeichnen<br />
das Abschlussdokument <strong>der</strong> Zwei-plus-<br />
Vier-Gespräche, die den Weg <strong>zur</strong> deutschen<br />
Einheit geebnet haben. Beide deutsche<br />
Staaten erkennen die O<strong>der</strong>-Neiße-<br />
Grenze mit Polen an.<br />
Brüssel: Letztes Län<strong>der</strong>spiel <strong>der</strong> Fußballnationalmannschaft<br />
<strong>der</strong> DDR in Brüssel<br />
gegen Belgien. Die DDR siegt trotz zahlreicher<br />
Absagen <strong>der</strong> Bundesligaprofis mit<br />
2:0, beide Treffer erzielt Matthias Sammer.<br />
Berlin: Dem vereinten NOK für Deutschland<br />
sollen 13 Mitglie<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> DDR<br />
angehören.<br />
Ein gemeinsames deutsches Ringer-Team<br />
fährt <strong>zur</strong> Klassiker-WM nach Rom.<br />
Potsdam: Gründung <strong>der</strong> Brandenburgischen<br />
Sportjugend. Präsidentin: Frauke<br />
Rupprecht.<br />
Karlsruhe: Treffen <strong>der</strong> Vertreter bei<strong>der</strong><br />
deutscher Boxverbände. Aufstellung <strong>der</strong><br />
ersten gesamtdeutschen Kernmannschaft.<br />
13-köpfiger A-Ka<strong>der</strong> mit sieben Boxern<br />
aus <strong>der</strong> DDR.<br />
13.09.1990<br />
Spremberg: Erster Golfplatz soll in <strong>der</strong><br />
Region Cottbus entstehen.<br />
14.09.1990<br />
Hamburg: Tagung des DSB-Präsidiums.<br />
Erste Vorbereitungen eines Vereinigungsbundestages.<br />
Berlin: Das Ministerium für Jugend und<br />
Sport stellt 22,2 Millionen D-Mark <strong>zur</strong><br />
Absicherung des Sportbetriebs <strong>zur</strong> Verfügung.<br />
Bonn: Sportpolitische Debatte im Bundestag.<br />
Die Bundesregierung will sich künftig<br />
beson<strong>der</strong>s für die Wie<strong>der</strong>belebung <strong>der</strong><br />
Sportvereine in <strong>der</strong> DDR engagieren.<br />
Cottbus: Ulrich Wagner, ein Unternehmer<br />
aus Stuttgart, wird zum neuen Präsidenten<br />
beim FC Energie Cottbus gewählt.<br />
15.09.1990<br />
Gründung des ersten – ostdeutschen – LSB<br />
Brandenburg. Präsident: Professor Dr.<br />
Junghähnel; Gründung <strong>der</strong> weiteren vier<br />
LSB (Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt,<br />
Sachsen und Thüringen) <strong>bis</strong><br />
zum 27.9.1990.<br />
71
72<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 25.09.1990<br />
<strong>Der</strong> Sportausschuß-Vorsitzende Tillmann erwartet einen großen Aufschwung<br />
90 000 Sportvereine und 400 Leistungszentren<br />
eds. BONN. <strong>Der</strong> Vorsitzende des<br />
Sportausschusses des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Bundestages, Ferdi Tillmann<br />
(CDU), erwartet einen großen Aufschwung<br />
im Sportvereinswesen des<br />
vereinten Deutschlands. Tillmann<br />
geht davon aus, daß es am Ende<br />
dieses Jahrzehnts <strong>bis</strong> zu 90 000<br />
Sportvereine in Deutschland geben<br />
wird. In einer Pressekonferenz zum<br />
Abschluß <strong>der</strong> 11. Legislaturperiode<br />
des Parlaments sagte <strong>der</strong> Sportausschuß-Vorsitzende,<br />
zu den gegenwärtig<br />
66 000 Sportvereinen im<br />
Bundesgebiet kämen in wenigen<br />
Jahren sicherlich <strong>bis</strong> zu 20 000<br />
Vereine in den neuen östlichen<br />
Bundeslän<strong>der</strong>n hinzu, die sich aus<br />
den <strong>der</strong>zeit 10 000 Betriebssportgemeinschaften<br />
bilden würden.<br />
In einer „Übersicht <strong>der</strong> leistungssportlichen<br />
Einrichtungen“ hat <strong>der</strong><br />
Sportausschuß erstmals die Planungen<br />
für die künftigen Bundeslän<strong>der</strong><br />
Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt,<br />
Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern<br />
und den<br />
Berliner Raum veröffentlicht. Zu<br />
den 27 Bundesleistungszentren, 15<br />
Olympiastützpunkten, 66 Landes-<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 25. September 1990<br />
leistungszentren und 160 Bundesstützpunkten<br />
sollen in den künftigen<br />
Bundeslän<strong>der</strong>n noch sechs<br />
Olympiastützpunkte, 10 <strong>bis</strong> 15<br />
Bundesleistungszentren und 100-<br />
130 Bundesstützpunkte eingerichtet<br />
werden. Das wären mehr als 400<br />
Leistungszentren in Deutschland.<br />
Tillmann regte zudem einen<br />
Sportentwicklungsplan nach dem<br />
Vorbild des „Goldenen Plans“ an.<br />
Vorrangig sei es, den Verkauf und<br />
den Verfall von Sportanlagen auf<br />
dem gegenwärtigen Gebiet <strong>der</strong><br />
DDR zu stoppen. Einen „kritischen<br />
Appell“ richtet <strong>der</strong> CDU-Politiker<br />
an die Bundeslän<strong>der</strong> und die Landessportbünde,<br />
die er auffor<strong>der</strong>te,<br />
verstärkte Hilfe bei <strong>der</strong> Entwicklung<br />
des Sportbildungswesens im<br />
östlichen Teil Deutschlands zu<br />
leisten. Dazu gehöre vor allem <strong>der</strong><br />
Erhalt und die sport- und bildungspolitische<br />
Reformierung <strong>der</strong> 25<br />
Kin<strong>der</strong>- und Jugendsportschulen,<br />
für <strong>der</strong>en Erhalt sich Tillmann<br />
nachdrücklich aussprach. „<strong>Der</strong><br />
Bund kann nicht alles machen“,<br />
kritisierte <strong>der</strong> Sportausschuß-<br />
Vorsitzende, <strong>der</strong> von den Län<strong>der</strong>n<br />
<strong>der</strong> Bundesrepublik ein größeres<br />
Engagement im Breitensport erwartet,<br />
um die „positiven Ansätze bei<br />
<strong>der</strong> Breitensportentwicklung in <strong>der</strong><br />
gegenwärtigen DDR“ zu unterstützen.<br />
Nach dem Stand <strong>der</strong> Haushaltsberatungen<br />
wird <strong>der</strong> Bund 10<br />
Millionen Mark als „Anschubfinanzierung<br />
für den Breitensport“ in<br />
den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n bereitstellen.<br />
Nach dem Sportgespräch bei<br />
Bundeskanzler Kohl kann die Stiftung<br />
<strong>Deutsche</strong> Sporthilfe in den<br />
nächsten beiden Jahren mit insgesamt<br />
40 Millionen Mark rechnen.<br />
Für die Einrichtung <strong>der</strong> fünf <strong>bis</strong><br />
sechs Olympiastützpunkte in den<br />
östlichen Bundeslän<strong>der</strong>n werden<br />
aus Bonn mindestens sechs Millionen<br />
Mark benötigt. Mit <strong>bis</strong> zu 50<br />
Millionen Mark muß zudem für die<br />
Bildung eines „Trainerfonds“ sowie<br />
für die Sportmedizin und den<br />
Erhalt von sportwissenschaftlichen<br />
Instituten und Hochschulen gerechnet<br />
werden. Um mehr Flexibilität<br />
im Trainerwesen zu erreichen,<br />
sprach sich Tillmann für die völlige<br />
Abschaffung <strong>der</strong> „Vergütungsordnung<br />
für Trainer“ aus.
<strong>Chronik</strong> September 1990<br />
15.09.1990<br />
Leipzig: Das Forschungsinstitut für Körperkultur<br />
und Sport wird in den Dienst des<br />
gesamtdeutschen Sports gestellt. Im Zuge<br />
<strong>der</strong> Umstrukturierungsmaßnahmen wird<br />
die Zahl <strong>der</strong> Mitarbeiter von 625 auf 200<br />
reduziert.<br />
Berlin (Ost): Auf einem Treffen von Vertretern<br />
<strong>der</strong> beiden deutschen Tischtennisverbände<br />
werden die Weichen für die Vereinigung<br />
gestellt.<br />
Schwarzheide: Gesamtdeutsches Luftsportfest.<br />
Leipzig: Deutsch-deutsche Tennisbegegnung.<br />
16.09.1990<br />
Dortmund: Das Präsidium des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Handball-Bundes (DHB) entscheidet, dass<br />
auch nach <strong>der</strong> Vereinigung Horst Bredemeier<br />
Cheftrainer <strong>der</strong> Männer-<br />
Nationalmannschaft bleibt. Begründung:<br />
<strong>Der</strong> bestehende Vertrag solle nicht aufgelöst<br />
werden.<br />
Leuthen: Letzte DDR-Meisterschaften im<br />
Billard.<br />
18.09.1990<br />
Erste Sitzung <strong>der</strong> Arbeitsgruppe Finanzen<br />
in München.<br />
21.09.1990<br />
Berlin: Fußball-Benefizspiel Volkskammer<br />
gegen Bundestag im Sportforum.<br />
22.09.1990<br />
<strong>Der</strong> DTSB-Bundesvorstand beschließt die<br />
Auflösung <strong>der</strong> eigenen Organisation zum<br />
5.12.1990.<br />
27.09.1990<br />
Potsdam: Gründung des Olympischen<br />
Sportclubs Potsdam Luftschiffhafen. Präsident:<br />
Dr. Wulf Preising.<br />
Sitzung <strong>der</strong> Arbeitsgruppe Leistungssport.<br />
28.09.1990<br />
Cottbus: Nachdem das Sportzentrum zwischenzeitlich<br />
als Einkaufzentrum vermietet<br />
worden war, steht es nun wie<strong>der</strong> dem Sport<br />
<strong>zur</strong> Verfügung.<br />
29.09.1990<br />
Leipzig: Gemeinsamer Kongress <strong>der</strong> beiden<br />
deutschen Schachverbände. Die neu<br />
gegründeten Landesverbände werden in<br />
den <strong>Deutsche</strong>n Schachbund eintreten.<br />
Zäsur: Sitzung des Lenkungsausschusses<br />
in Leipzig. Dort wurden sämtliche Ergebnisse<br />
des Lenkungsausschusses und <strong>der</strong><br />
Arbeitsgruppen textlich überprüft, zusammengefasst<br />
und als Grundlage für die Vereinigung<br />
bestätigt.<br />
30.09.1990<br />
Berlin: Erster gesamtdeutscher Berlin-<br />
Marathon nach dem <strong>Mauerfall</strong>.<br />
München: Erstmalig fährt eine gesamtdeutsche<br />
Männer-Turn-Riege zum Län<strong>der</strong>kampf,<br />
mit neutralen Trainingsanzügen,<br />
auf dem Rücken <strong>der</strong> Aufdruck: „Gesamtdeutsche<br />
Mannschaft 1990 – DTB-DTV.“<br />
73
74<br />
September 1990 – Eine Collage
<strong>Chronik</strong> Oktober 1990<br />
Oktober 1990<br />
02.10.1990<br />
Frankfurt am Main: Auf einer Tagung des<br />
Bundesausschusses Leistungssport wird<br />
über die Vergabe <strong>der</strong> Olympiastützpunkte<br />
entschieden. Im Land Brandenburg erhält<br />
zunächst Frankfurt (O<strong>der</strong>) den Zuschlag.<br />
Später Korrektur: Cottbus erhält den Zuschlag.<br />
03.10.1990<br />
Vollendung <strong>der</strong> staatlichen Einheit auf <strong>der</strong><br />
Grundlage des Art. 23 Satz 2 GG. <strong>Der</strong> Beitritt<br />
<strong>der</strong> DDR vollzieht sich formal durch<br />
die Aufnahme <strong>der</strong> am 22. Juli neugegründeten<br />
Län<strong>der</strong> Brandenburg, Mecklenburg-<br />
Vorpommern, Sachsen, Thüringen und<br />
Sachsen-Anhalt in den Geltungsbereich<br />
des Grundgesetzes.<br />
06.10.1990<br />
Darmstadt: Die Vorsitzenden <strong>der</strong> fünf neu<br />
gegründeten Leichtathletik-Landesverbände<br />
Thüringen, Mecklenburg-<br />
Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und<br />
Sachsen-Anhalt geben in <strong>der</strong> Geschäftsstelle<br />
ihren Antrag auf Aufnahme in den<br />
DLV ab. Die Mitglie<strong>der</strong>zahl des DLV wird<br />
sich bei <strong>der</strong> Vereinigung am 24.11. um<br />
75.000 auf 900.005 erhöhen.<br />
07.10.1990<br />
Interview mit Willi Daume in „Die Welt“:<br />
<strong>Der</strong> Finanzbedarf <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong>n Sporthilfe<br />
wird durch die Vereinigung nun doppelt so<br />
groß – also 50 Millionen Mark.<br />
08.10.1990<br />
Die <strong>Deutsche</strong> Olympische Gesellschaft<br />
und die Gesellschaft <strong>zur</strong> För<strong>der</strong>ung des<br />
Olympischen Gedankens in <strong>der</strong> DDR beschließen,<br />
sich zum 1. Januar 1991 zu vereinigen.<br />
Die Geschäftsstelle im Ostteil<br />
Berlins soll neben <strong>der</strong> Frankfurter Zentrale<br />
erhalten beiben und künftig den Aufbau<br />
von rund 20 DOG-Stadtgruppen in den<br />
fünf neuen Bundeslän<strong>der</strong>n koordinieren.<br />
10.10.1990<br />
Die Eintrittskarten für das „Fest des deutschen<br />
Fußballs“ gehen in den Vorverkauf.<br />
12.10.1990<br />
Cottbus: Gründung des ersten Sport- und<br />
Gesundheitszentrums e. V. in den neuen<br />
Bundeslän<strong>der</strong>n.<br />
19.10.1990<br />
Beitritt <strong>der</strong> Ostdeutschen Schwimmverbände<br />
<strong>der</strong> Län<strong>der</strong> Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Sachsen, Sachsen-<br />
Anhalt, und Thüringen in den DSV. Zahl<br />
<strong>der</strong> Landesverbände steigt von 13 auf 18<br />
und die Mitglie<strong>der</strong>zahl von 517.000 auf<br />
rund 540.000.<br />
20./21.10.1990<br />
Heilbronn: <strong>Deutsche</strong> Judomeisterschaften.<br />
Absage an ostdeutsche Athleten. „Wir sind<br />
ja noch zwei Verbände.“ (Romenrath,<br />
Sportdirektor des DJB); Vereinigung DJB<br />
und DJV am 2. Februar 1991.<br />
Die neu gegründeten Regionalvereine <strong>der</strong><br />
Sportjournalisten <strong>der</strong> fünf ostdeutschen<br />
Län<strong>der</strong> treten dem VDS bei.<br />
23.10.1990<br />
Frankfurt am Main: Die Landesverbände<br />
Tischtennis <strong>der</strong> fünf ostdeutschen Bundeslän<strong>der</strong><br />
treten dem <strong>Deutsche</strong>n Tischtennis-<br />
Bund bei.<br />
26.10.1990<br />
Antrag auf Beitritt <strong>der</strong> LSB zum DSB.<br />
26.-28.10.1990<br />
München: Gesamtdeutsche Meisterschaften<br />
<strong>der</strong> Wasserspringer.<br />
28.10.1990<br />
Nürnberg: Die Triathleten aus den fünf<br />
ostdeutschen Bundeslän<strong>der</strong>n treten <strong>der</strong><br />
<strong>Deutsche</strong>n Triathlon-Union bei.<br />
Erste Rate <strong>der</strong> Anschubfinanzierung ist<br />
eingetroffen. Brandenburgs Landessportbund<br />
erhält 2,3 Millionen D-Mark.<br />
75
76 „Ostdeutsch o<strong>der</strong> westdeutsch Ru<strong>der</strong>n?“ – Bei <strong>der</strong> Vereinigung <strong>der</strong> Fachverbände erkannten ost- und westdeutsche<br />
Athleten schnell, dass sie künftig in einem Boot sitzen<br />
„Ostdeutsch o<strong>der</strong> westdeutsch<br />
Ru<strong>der</strong>n?“<br />
Bei <strong>der</strong> Vereinigung <strong>der</strong> Fachverbände<br />
erkannten ost- und westdeutsche Athleten<br />
schnell, dass sie künftig in einem<br />
Boot sitzen<br />
von Jutta Braun<br />
Oktober 1990. <strong>Der</strong> Systemkampf <strong>der</strong> beiden<br />
deutschen Staaten fand seine Entsprechung<br />
jahrzehntelang in <strong>der</strong> sportlichen<br />
Arena. Die beiden Staaten konkurrierten<br />
um das bessere Sportsystem, um Medaillen,<br />
um internationale staatliche Anerkennung.<br />
Die DDR trainierte ihre Athleten<br />
nicht allein auf Punktsieg, son<strong>der</strong>n auch<br />
auf Abgrenzung gegen den „Klassenfeind“.<br />
In umfangreichen Schulungen vor deutschdeutschen<br />
Vergleichskämpfen wurden die<br />
Sportler auf eine feste Linie gegenüber den<br />
Westdeutschen eingeschworen: nur die<br />
notwendigsten Kontakte, keine persönlichen<br />
Gespräche. Es ist lange spekuliert<br />
worden, welche tatsächliche Wirkung diese<br />
Rotlichtbestrahlungen auf die Athleten<br />
hatten. Ließen sie sich indoktrinieren, o<strong>der</strong><br />
prallte die offensichtliche Propaganda an<br />
ihnen ab?<br />
Im Zuge <strong>der</strong> deutschen Wie<strong>der</strong>vereinigung<br />
ergab sich für die ehemaligen politischen<br />
und sportlichen Gegner eine überraschende<br />
Situation: Sie mussten nun plötzlich nicht<br />
nur ausführlich miteinan<strong>der</strong> sprechen, son<strong>der</strong>n<br />
auch den schwierigen Prozess <strong>der</strong><br />
Vereinigung gemeinsam bewältigen. Henrik<br />
Lotz vom westdeutschen Ru<strong>der</strong>sportverband<br />
konzediert rückblickend, es sei<br />
anfangs immer eine „Distanz drin“ gewesen,<br />
denn „wir waren ja <strong>der</strong> Klassenfeind<br />
und die waren für uns die An<strong>der</strong>en“. Mit<br />
einem Briefwechsel im November 1989<br />
begann dann jedoch eine vertrauensvolle<br />
Kooperation, die den Weg in die Einheit<br />
ebnete – ohne Dokumente, alles per Handschlag.<br />
Dass dies alles reibungsarm vonstatten<br />
ging, ermöglichte <strong>der</strong> Sport, <strong>der</strong> das<br />
entsprechende Verständnis füreinan<strong>der</strong><br />
Jutta Braun<br />
herstellte. Lotz erläutert: „Wer einmal einen<br />
Männerspind im Bootshaus gerochen<br />
hat, wer einmal nasses Holz und Lack und<br />
all das riecht, <strong>der</strong> kommt von dem Ru<strong>der</strong>n<br />
nicht mehr los und das ist eine Eigenschaft,<br />
die sich nicht nach Ost und West aufteilt,<br />
son<strong>der</strong>n das ist vorhanden und deshalb<br />
ging auch vieles so glatt.“<br />
Doch gab es auch viele Holprigkeiten, auf<br />
<strong>der</strong> Ebene grundlegen<strong>der</strong> Fragen ebenso<br />
wie bei Spezialaspekten einzelner Sportarten.<br />
So wollten einige Fachverbände den<br />
an <strong>der</strong> <strong>Deutsche</strong>n Hochschule für Körperkultur<br />
und Sport ausgebildeten Trainern<br />
zunächst nur die B-Lizenz zuerkennen –<br />
ein Vorhaben, das insbeson<strong>der</strong>e die Trainer<br />
von Olympiasiegern und Weltmeistern<br />
düpierte. In den Spielsportarten stellte die<br />
Schaffung eines einheitlichen Spielsystems<br />
und die Integration <strong>der</strong> Ost-Klubs in die<br />
Bundesligen das größte Problem <strong>der</strong> Einheit<br />
dar. Insbeson<strong>der</strong>e im Fußball wurden<br />
zahlreiche ostdeutsche Hoffnungen enttäuscht,<br />
die sich auf eine höhere Anzahl<br />
<strong>der</strong> Ost-Vereine in <strong>der</strong> Ersten und Zweiten<br />
Liga gerichtet hatten. Mit technischen Angleichungsproblemen<br />
hatte <strong>der</strong> Ru<strong>der</strong>sport<br />
zu kämpfen, woran sich DDR-<br />
Olympiasiegerin Kathrin Boron noch heute<br />
gut erinnert: Es gab „halt zwei verschiedene<br />
Techniken. Die Ostdeutschen, die ru<strong>der</strong>ten<br />
so, rechts vor links; und die Westdeutschen<br />
ru<strong>der</strong>ten links vor rechts. Wenn man<br />
dann zusammen im Boot saß, musste man<br />
sich ja irgendwie angleichen. Na ja, und<br />
dann wurde halt festgelegt, die Ostdeutschen<br />
ru<strong>der</strong>n dann so wie die Westdeutschen<br />
irgendwann. Das fand ich damals<br />
nicht so gut.“ Trotz <strong>der</strong> anfänglichen Verärgerung<br />
über dieses westdeutsche sportliche<br />
Diktat herrschte doch bald ein gutes<br />
zwischenmenschliches Verhältnis unter<br />
den Athleten. „Weil wir einfach miteinan<strong>der</strong><br />
ru<strong>der</strong>n mussten. Wenn wir zusammen<br />
im Boot saßen, dann ist man nur schnell,<br />
wenn man auch miteinan<strong>der</strong> auskommt.“
Frankfurter Allgemeine Zeitung 06.10.1990 77<br />
Nun auch noch Geldsorgen / Gesetz soll Ausverkauf verhin<strong>der</strong>n<br />
Sporthallen klein, kalt und ohne Duschen:<br />
Freizeitsportler haben im Osten kaum Platz<br />
Berlin (dpa). „Tennisplätze selbstgemacht“.<br />
Mit dieser Broschüre<br />
versuchten die Sportstättenplaner<br />
in <strong>der</strong> ehemaligen DDR Ende <strong>der</strong><br />
achtziger Jahre, dem sich abzeichnenden<br />
Tennisboom zu begegnen.<br />
Die Maßnahme, die mangels Material<br />
scheiterte, offenbarte die Hilflosigkeit<br />
eines Systems, das jährlich<br />
100 Millionen Mark für Sportstätten<br />
in den olympischen Sportarten<br />
bereitstellte, gegenüber den<br />
Bedürfnissen des Breitensports.<br />
Trotz des Bekundens <strong>der</strong> DDR-<br />
Volkskammer nach <strong>der</strong> Wende,<br />
den Breitensport verstärkt zu för<strong>der</strong>n,<br />
werden aufgrund <strong>der</strong> Sportstätten-Situation<br />
in Ostdeutschland<br />
die Freizeitsportler auch weiterhin<br />
die Stiefkin<strong>der</strong> des Sports bleiben.<br />
Die statistische Erhebung des ehemaligen<br />
Ministeriums für Jugend<br />
und Sport stellt die Sportlandschaft<br />
zunächst gar nicht schlecht dar: 37<br />
243 Sportstätten existieren auf dem<br />
Gebiet <strong>der</strong> früheren DDR. Das ist<br />
eine Zahl, die sich etwa mit Nordrhein-Westfalen<br />
vergleichen läßt,<br />
das eine ähnlich hohe Bevölkerungszahl<br />
aufweist. In <strong>der</strong> Summe<br />
enthalten sind 15460 Sportplätze,<br />
8428 Sporthallen, 373 Hallenbä<strong>der</strong><br />
und 1294 Tennisfel<strong>der</strong>. Aber wenn<br />
sich für die Freizeitsportler die<br />
<strong>bis</strong>her verschlossenen Türen vieler<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 6. Oktober 1990<br />
Leistungssportanlagen öffnen,<br />
finden sie oft Sportanlagen vor, die<br />
selbst Mindestanfor<strong>der</strong>ungen nicht<br />
entsprechen. „Die Sportstätten<br />
waren fast ausschließlich für den<br />
Leistungssport konzipiert, ihre<br />
Ausstattung ist in vielen Fällen<br />
spartanisch“, sagt Ulrich Schmied,<br />
von 1987 <strong>bis</strong> 1989 Abteilungsleiter<br />
für Sportbauten im Amt für Jugend<br />
und Sport.<br />
So zeichnet denn auch die Studie<br />
des Ministeriums ein eher düsteres<br />
Bild: 13 Prozent aller Schulsporthallen<br />
haben keine Heizung, 17<br />
Prozent sind ohne Sanitäreinrichtungen,<br />
92 Prozent aller Hallen sind<br />
zu klein für Ballsportarten. „Beson<strong>der</strong>s<br />
im Winter ist <strong>der</strong> Bedarf an<br />
Hallen bei weitem nicht gedeckt“,<br />
sagt Bernd Hermann, <strong>bis</strong> vor zwei<br />
Tagen Referatsleiter für Sportfinanzierung<br />
und Rechtsangelegenheit<br />
im Ministerium für Jugend und<br />
Sport. Auf die maroden Sportanlagen<br />
im Osten Deutschlands kommt<br />
nach <strong>der</strong> Vereinigung noch das<br />
Finanzierungsproblem zu. Viele<br />
sind im Besitz von Betrieben, die<br />
sie den Betriebsportgruppen <strong>bis</strong>her<br />
kostenlos <strong>zur</strong> Verfügung gestellt<br />
hatten. Aufgrund <strong>der</strong> angespannten<br />
Lage wird sich dies än<strong>der</strong>n. Ein<br />
Sicherungsgesetz hat den Verkauf<br />
von Sportstätten an private Nutzer<br />
<strong>bis</strong>her unterbunden, doch es wurde<br />
im Einigungsvertrag nicht übernommen.<br />
„Wir hoffen, daß das<br />
Gesetz weiter gilt und freiwerdende<br />
Sportanlagen zunächst den Kommunen<br />
angeboten werden“, sagt<br />
Hermann.<br />
Gesichert ist zunächst <strong>der</strong> Erhalt<br />
<strong>der</strong> Anlagen, die <strong>bis</strong>her dem Ministerium<br />
für Inneres unterstanden. Sie<br />
gehen in den Besitz des Bundes<br />
über. Ein Teil <strong>der</strong> DDR-<br />
Sportschulen wie in Leipzig, Lindow<br />
o<strong>der</strong> Zinnowitz soll für den<br />
gesamtdeutschen Leistungssport<br />
erhalten bleiben. Für an<strong>der</strong>e Sportstätten,<br />
die teilweise in besten<br />
Stadtlagen angesiedelt sind, interessieren<br />
sich in zunehmendem<br />
Maß private Investoren. So soll ein<br />
Teil <strong>der</strong> Sportschule Kienbaum bei<br />
Berlin in ein Rehabilitationszentrum<br />
umgewandelt werden. <strong>Der</strong>weil<br />
versuchen die Betreiber von Sportanlagen,<br />
die durch den Wegfall von<br />
staatlicher Unterstützung gerissenen<br />
Finanzierungslöcher mit ungewöhnlichen<br />
Einfällen zu stopfen. In<br />
Chemnitz wurde die Eishalle im<br />
Sommer an einen bundesdeutschen<br />
Handelsriesen als Lagerraum vermietet.<br />
In <strong>der</strong> Laufhalle <strong>der</strong> Leichtathleten<br />
des SC Cottbus kann <strong>zur</strong><br />
Zeit eingekauft werden: hier hat ein<br />
Supermarkt für unbestimmte Zeit<br />
Quartier bezogen.
78<br />
Oktober 1990 – Eine Collage
<strong>Chronik</strong> November 1990 79<br />
November 1990<br />
03.11.1990<br />
Leipzig: <strong>Der</strong> Berliner Hooligan Mike Polley<br />
stirbt nach Ausschreitungen durch eine<br />
Polizeikugel.<br />
Hürth: „Tag <strong>der</strong> Hockey-Einheit“. Auf<br />
dem außerordentlichen Bundestag des<br />
<strong>Deutsche</strong>n Hockey-Bundes (DHB) vollziehen<br />
die fünf ostdeutschen Landesverbände<br />
den Beitritt.<br />
08.11.1990<br />
Potsdam: Potsdam wird Bundesstützpunkt<br />
Ru<strong>der</strong>n.<br />
08.11.-11.11.1990<br />
München: 102. <strong>Deutsche</strong> Schwimmmeisterschaften<br />
als erste gesamtdeutsche Meisterschaften<br />
seit 1948.<br />
13.11.1990<br />
Leipzig: Nach einem Treffen von DFV und<br />
DFB, dem sächsischen Innenminister Dr.<br />
Rudolf Krause, sowie den Polizeibehörden,<br />
wird das für den 21. November geplante<br />
Län<strong>der</strong>spiel DFV – DFB abgesagt.<br />
17.11.1990<br />
Berlin: Vereinigung des NOK <strong>der</strong> DDR<br />
und des NOK für Deutschland.<br />
Vereinigung des Berliner Fußballs. Die<br />
Präsidenten <strong>der</strong> Berliner Fußballverbände,<br />
Otto Höhne (West) und Uwe Piontek (Ost),<br />
besiegeln den Zusammenschluss im Hotel<br />
„Interconti“. Gemeinsamer Spielbetrieb ab<br />
<strong>der</strong> Saison 1991/92.<br />
Im Amateurboxen startet eine gemeinsame<br />
Deutschlandliga.<br />
18.11.1990<br />
Berlin (Ost): „Tag <strong>der</strong> Badminton-<br />
Einheit“. Im Kongresszentrum werden die<br />
fünf ostdeutschen Landesverbände mit<br />
Wirkung vom 1. Januar 1991 in den DBV<br />
aufgenommen.<br />
20.11.1990<br />
Leipzig: Außerordentlicher Verbandstag<br />
des DFV <strong>der</strong> DDR: Selbstauflösung des<br />
DFV <strong>der</strong> DDR und Neukonstituierung als<br />
Regionalverband Nord/Ost.<br />
21.11.1990<br />
Leipzig: „Tag <strong>der</strong> Fußball-Einheit“. Außerordentlicher<br />
Bundestag des DFB. In <strong>der</strong><br />
Leipziger Oper tritt <strong>der</strong> Regionalverband<br />
Nord/Ost (NOFV) dem DFB bei.<br />
22.11.1990<br />
DDR-Fußballer sind für den DFB spielberechtigt.<br />
24.11.1990<br />
Hagen: „Tag <strong>der</strong> Basketball-Einheit“. Auf<br />
dem Außerordentlichen DBB-Bundestag<br />
vollziehen die fünf ostdeutschen Landesverbände<br />
den Beitritt zum DBB.<br />
Salzgitter: Die Leichtathletik-Landesverbände<br />
<strong>der</strong> fünf neuen Bundeslän<strong>der</strong> treten<br />
dem DLV bei.<br />
Vereinigung <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nen Fünfkämpfer.<br />
29.11.1990<br />
„Stern“: Wie die DDR Sieger machte/Doping<br />
– <strong>der</strong> Beweis.<br />
„Frankfurter Rundschau“: „Stern“ enthüllt<br />
Dopingskandal in <strong>der</strong> früheren DDR. Harte<br />
Vorwürfe gegen Stars.<br />
„Bild“: Die Dopingsün<strong>der</strong>! Ihre Medaillen<br />
dürfen sie behalten.<br />
„FAZ“: Die Maske fällt.<br />
30.11.1990<br />
Bonn for<strong>der</strong>t schnelle Untersuchung. Innenministerium:<br />
Doping-Vorwürfe Sache<br />
des Sports.<br />
<strong>Der</strong> sportpolitische Sprecher <strong>der</strong> SPD<br />
Bundestagsfraktion, Peter Büchner: „Nur<br />
ein humaner, und das heißt drogenfreier<br />
Leistungssport ist för<strong>der</strong>ungswürdig.“
80<br />
Die olympische Einheit – Ein schneller Zusammenschluss mit langfristigen Folgen<br />
Die olympische Einheit<br />
Ein schneller Zusammenschluss mit<br />
langfristigen Folgen<br />
von Michael Barsuhn und Jutta Braun<br />
November 1990. Das NOK <strong>der</strong> DDR symbolisierte<br />
als „Medaillenkollektiv“ die internationalen<br />
Erfolge des ostdeutschen Sportwun<strong>der</strong>landes.<br />
Manfred Ewald verkörperte als<br />
Präsident des DTSB und NOK (seit 1973)<br />
die machtpolitische Doppelspitze des DDR-<br />
Sports. Während er bereits im November<br />
1988 gegen seinen Willen als DTSB-<br />
Präsident verabschiedet worden war, gelang<br />
es ihm zunächst noch eine Weile, seine Position<br />
im NOK zu verteidigen. Allerdings lag<br />
auch hier, so erinnert sich Joachim Weiskopf,<br />
Ewalds Rücktritt in <strong>der</strong> Luft, wurde<br />
aber „verschoben, verschoben, verschoben“.<br />
Eine für den 3. November 1989 vorgesehene<br />
Mitglie<strong>der</strong>versammlung des NOK sagte <strong>der</strong><br />
Sportchef kurzfristig ab. Mit dem Fall <strong>der</strong><br />
Mauer spitzte sich die öffentliche Kritik am<br />
Staatssport jedoch immer weiter zu. Eine<br />
völlig ungewohnte Situation für die DDR-<br />
Sportführung: Das ehemalige Hätschelkind<br />
des SED-Regimes sah sich ungeschützt harscher<br />
Schelte ausgesetzt. Die Bürgerrechtler<br />
des Neuen Forums Leipzig for<strong>der</strong>ten: „Stasi,<br />
Armee und Leistungssport müssen weg!“<br />
Am 20. November hielt <strong>der</strong> enge Weggefährte<br />
Ewalds und NOK-Schatzmeister Franz<br />
Rydz dem öffentlichen Druck nicht mehr<br />
stand. Er machte sich auf den Weg in den<br />
Kraftraum <strong>der</strong> Sportschule Kienbaum, beschwerte<br />
sich mit Gewichten und ertränkte<br />
sich im benachbarten Liebenwer<strong>der</strong> See. Im<br />
Zuge <strong>der</strong> nachfolgenden Ermittlungen kam<br />
ein von ihm und Ewald unter Verschluss<br />
gehaltener Valutafonds mit Schwarzeinnahmen<br />
ans Licht. Nun brach auch bei vielen<br />
Genossen ein Sturm <strong>der</strong> Entrüstung los.<br />
Ewald stand am Abgrund. Auf einer für den<br />
6. Januar 1990 per Telegramm einberufenen<br />
Mitglie<strong>der</strong>versammlung erklärte er, unter<br />
strengem Ausschluss <strong>der</strong> Öffentlichkeit, seinen<br />
Rücktritt. Sein Nachfolger, Dr. Günther<br />
Heinze, sollte nur übergangsweise amtieren<br />
<strong>bis</strong> <strong>zur</strong> freien Wahl eines neuen NOK-<br />
Michael Barsuhn und Jutta Braun<br />
Präsidenten am 16. Juni 1990 in Kienbaum.<br />
Ebenso wie bei den ersten freien Wahlen im<br />
DTSB drei Monate zuvor gab es hier nur<br />
einen Kandidaten. <strong>Der</strong> parteilose Kanuverbandspräsident<br />
Professor Dr. Dr. Joachim<br />
Weiskopf hatte sich als einziger bereit erklärt,<br />
in <strong>der</strong> schwierigen Zeit anzutreten. 44<br />
von 47 Delegierten sprachen ihm das Vertrauen<br />
aus. Von nun an begann <strong>der</strong> Endspurt<br />
<strong>zur</strong> olympischen Einheit im deutschen Sport.<br />
Willi Daume erklärte am 1. März im NOK-<br />
Report. „Respekt vor <strong>der</strong> Gemeinsamkeits-<br />
Bereitschaft im Sport <strong>der</strong> DDR! Lange haben<br />
wir darauf gewartet. Wir wollen sie nach wie<br />
vor. Uns braucht man nicht zu überzeugen.“<br />
Am 4. Juli trafen sich Daume und Weiskopf<br />
zu einem Vier-Augen-Gespräch im Berliner<br />
Palace-Hotel. Die vertraglichen und technischen<br />
Einzelheiten wurden einem Lenkungsausschuss<br />
mit drei Arbeitsgruppen übertragen.<br />
NOK-Generalsekretär Walther Tröger<br />
betont das gute Einvernehmen bei<strong>der</strong> Parteien<br />
in den Verhandlungen „Die liefen sehr<br />
freundschaftlich ab, weil wir eben von einer<br />
echten Verschmelzung, nicht von einer<br />
feindlichen Übernahme gesprochen haben.“<br />
<strong>Der</strong> 17. November 1990, <strong>der</strong> als Tag <strong>der</strong><br />
Vereinigung <strong>der</strong> beiden deutschen olympischen<br />
Brü<strong>der</strong> begangen wird, sah nicht eine,<br />
son<strong>der</strong>n zwei Zeremonien. Im Wappensaal<br />
des Roten Rathauses in Berlin fasste die<br />
Mitglie<strong>der</strong>versammlung des NOK <strong>der</strong> DDR<br />
den historischen Beschluss, sich mit Wirkung<br />
vom 1. Januar 1991 mit dem NOK für<br />
Deutschland zum Nationalen Olympischen<br />
Komitee für Deutschland zu vereinigen. Im<br />
Reichstag fand anschließend ein gemeinsamer<br />
Festakt mit dem westdeutschen NOK<br />
statt.<br />
Ein Satz im Vereinigungs-Beschluss sollte<br />
noch langfristige Bedeutung erlangen: „Eine<br />
Rechtsnachfolge zum NOK <strong>der</strong> DDR findet<br />
nicht statt.“ Inwieweit dies gilt, wird noch<br />
heute von Juristen im Zuge <strong>der</strong> Dopingopferprozesse<br />
diskutiert. Unstrittig hingegen<br />
ist, dass das Nationale Olympische Komitee<br />
in <strong>der</strong> historischen Verantwortung <strong>der</strong> olympischen<br />
Tradition bei<strong>der</strong> deutscher Staaten<br />
steht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung 22.11.1990 81<br />
Bundeskanzler betont die Autonomie des Sports<br />
Helmut Kohl sagt dem Sport Geld und Rat zu<br />
“Staat darf vor Gewalt nicht <strong>zur</strong>ückweichen“<br />
BONN (sid). Bundeskanzler Helmut<br />
Kohl sagt dem deutschen Sport<br />
umfassende finanzielle und beratende<br />
Unterstützung zu, falls seine<br />
Regierung bei <strong>der</strong> Bundestagswahl<br />
am 2. Dezember bestätigt wird. In<br />
einem Gespräch mit dem Sport-<br />
Informations-Dienst schloß Kohl<br />
dabei den gesamten Spitzensport<br />
ein, den strukturellen Aufbau <strong>der</strong><br />
Verbände in den fünf neuen Bundeslän<strong>der</strong>n,<br />
den Erhalt und die<br />
Sanierung <strong>der</strong> dortigen Leistungszentren,<br />
die Integration qualifizierter<br />
Trainer aus <strong>der</strong> ehemaligen<br />
DDR und den deutschen Olympiabewerber<br />
für die Sommerspiele im<br />
Jahr 2000.<br />
Zur Gewaltszene im Umfeld des<br />
Fußballs stellte <strong>der</strong> Bundeskanzler<br />
fest: „<strong>Der</strong> Staat darf vor <strong>der</strong> Gewalt<br />
in und um Sportstätten ebensowenig<br />
<strong>zur</strong>ückweichen wie vor politisch<br />
motivierten gewalttätigen<br />
Ausschreitungen.“ Kohl betonte,<br />
daß „die Ursachen für diese Gewaltausbrüche“,<br />
die unter an<strong>der</strong>em<br />
<strong>zur</strong> Absage <strong>der</strong> für den Buß- und<br />
Bettag geplanten Fußballgala geführt<br />
hatten, „nicht im Fußballsport<br />
liegen. Wir begegnen diesen Kriminellen<br />
ebenso in <strong>der</strong> Hausbesetzerszene<br />
wie bei manchen politischen<br />
Großdemonstrationen.“ Die<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 22. November 1990<br />
Polizei sei in <strong>der</strong> Lage, diese Szene<br />
„bei Sportveranstaltungen im großen<br />
und ganzen unter Kontrolle zu<br />
halten“. Er sehe „die Erwartung<br />
begründet, daß <strong>der</strong> Ausbruch von<br />
Gewalttätigkeiten bei Sportveranstaltungen<br />
in den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n<br />
ein vorübergehendes Phänomen<br />
bleiben wird“.<br />
Im internationalen Vergleich<br />
sieht <strong>der</strong> Kanzler die deutschen<br />
Sportler „wie <strong>bis</strong>her in <strong>der</strong> Weltspitze“.<br />
Gleichzeitig warnt er vor<br />
übertriebenen Erwartungen: „Man<br />
sollte jetzt nicht einfach die Medaillen<br />
<strong>der</strong> Bundesrepublik und <strong>der</strong><br />
früheren DDR addieren, da ja auch<br />
zahlreiche Startplätze wegfallen.“<br />
Ein Unbehagen des Auslands gegenüber<br />
einer neuen „Sportgroßmacht“<br />
Deutschland hat Helmut<br />
Kohl <strong>bis</strong>her nicht gespürt.<br />
Kohl verweist auf die Autonomie<br />
des Sports und seiner Organisationen<br />
beim Aufbau neuer Strukturen<br />
in den fünf neuen Bundeslän<strong>der</strong>n:<br />
„Sport ist Sache des Sports.“ Er<br />
bietet aber die Hilfe <strong>der</strong> Bundesregierung<br />
bei <strong>der</strong> Bewältigung dieser<br />
Aufgabe an. Gleichzeitig sagte er<br />
„erhebliche Mittel für die Sicherung<br />
<strong>der</strong> erhaltenswerten Spitzensporteinrichtungen“<br />
zu. „Dazu<br />
gehören Mittel für die Trainer und<br />
die Leistungssportzentren, unter<br />
an<strong>der</strong>em auch für den Behin<strong>der</strong>tensport.“<br />
Nach den Kenntnissen des Bundeskanzlers<br />
werde eine Vielzahl<br />
guter Trainer aus <strong>der</strong> ehemaligen<br />
DDR von den Fachverbänden übernommen.<br />
„Hierfür stellt die<br />
Bundesregierung übrigens 13 Millionen<br />
Mark <strong>zur</strong> Verfügung.“<br />
Eine denkbare Alternative sei die<br />
Beschäftigung qualifizierter ehemaliger<br />
Trainer an Schulen und Berufsschulen.<br />
„Ich hielte das für eine<br />
gute Sache“, meinte <strong>der</strong> Bundeskanzler,<br />
„aber dies ist eine Sache,<br />
die die Län<strong>der</strong> betrifft.“<br />
Daß <strong>der</strong> Sport den Partner Wirtschaft<br />
braucht steht für Kohl außer<br />
Frage. Aber: „<strong>Der</strong> Akzent muß auf<br />
Partnerschaft liegen. <strong>Der</strong> Geldgeber<br />
darf den Sport nicht beherrschen<br />
und umwandeln wollen. Es darf<br />
auch nicht sein, daß wegen <strong>der</strong><br />
Kommerzialisierung die Ethik im<br />
Sport <strong>zur</strong> Disposition gestellt wird.<br />
Dann muß <strong>der</strong> Sport auf die finanzielle<br />
Unterstützung verzichten.“<br />
Auf Mißstände könne die Bundesregierung<br />
nur in Bereichen reagieren,<br />
wo sie den Sport unmittelbar<br />
selbst för<strong>der</strong>t und grobe Verstöße<br />
gegen Ethik und Moral feststellt.<br />
Das betreffe zum Beispiel das gesamte<br />
Thema Doping.
82<br />
November 1990 – Eine Collage
<strong>Chronik</strong> Dezember 1990 83<br />
Dezember 1990<br />
02.12.1990<br />
Berlin (Ost): Außerordentlicher Verbandstag<br />
des DTTV in Berlin-Grünau beschließt<br />
die Verbandsauflösung zum<br />
31.12.1990 und die Bildung einer einheitlichen<br />
Tischtennis-Organisation.<br />
03.12.1990<br />
Die „FAZ“ schreibt: Einen Tag nach <strong>der</strong><br />
Auflösung des Turn- und Sportbundes Berlin<br />
(TSB) vollzieht <strong>der</strong> Landessportbund<br />
Berlin durch die Zuwahl weiterer Vorstandsmitglie<strong>der</strong><br />
die formale Vereinigung.<br />
Die Mitglie<strong>der</strong>versammlung des LSB findet<br />
in einer aufgeheizten Atmosphäre statt,<br />
die sich an <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> bezirklichen<br />
Sportgemeinschaften entzündet.<br />
05.12.1990<br />
Auflösung des DTSB.<br />
Flensburger Tageblatt: Sport – Zukunft<br />
ohne Schatten? Doping und kein Ende.<br />
DSB-Präsident Hans Hansen for<strong>der</strong>t eine<br />
unabhängige Kommission von Experten.<br />
08.12.1990<br />
Dortmund: Auf dem 3. Außerordentlichen<br />
Bundestag des <strong>Deutsche</strong>n Handball-<br />
Bundes treten die fünf ostdeutschen Landesverbände<br />
dem DHB bei.<br />
08.-09.12.1990<br />
Leipzig: Tag <strong>der</strong> Einheit im Radsport –<br />
Auf <strong>der</strong> außerordentlichen Bundeshauptversammlung<br />
werden die fünf ostdeutschen<br />
Landesverbände in den Bund <strong>Deutsche</strong>r<br />
Radfahrer (BDR) aufgenommen.<br />
Nach dem Beitritt 20 Landesverbände mit<br />
132.000 Mitglie<strong>der</strong>n.<br />
09.12.1990<br />
Bonn: Aufnahme <strong>der</strong> Landesverbände <strong>der</strong><br />
Fechter <strong>der</strong> fünf neuen Bundeslän<strong>der</strong> in<br />
den <strong>Deutsche</strong>n Fechterbund.<br />
10.12.1990<br />
Potsdam: Die neue Ministerin für Bildung,<br />
Jugend und Sport im Land Brandenburg<br />
Marianne Birthler und <strong>der</strong> Landessportbund-Präsident<br />
Professor Dr. Gerhard<br />
Junghähnel verständigen sich über die<br />
künftige Zusammenarbeit.<br />
13.12.1990<br />
Die „FAZ“ meldet: In <strong>der</strong> neuesten Ausgabe<br />
des „Stern“ werden 324 aktuelle und<br />
ehemalige DDR-Leistungssportler des Dopings<br />
bezichtigt, die namentlich aufgelistet<br />
werden.<br />
13.-16.12.1990<br />
Berlin: Gemeinsame deutsche Meisterschaften<br />
im Eiskunstlaufen. <strong>Der</strong> Beitritt<br />
<strong>der</strong> Landesverbände des <strong>Deutsche</strong>n Eislaufverbandes<br />
(DELV) in die <strong>Deutsche</strong><br />
Eislauf-Union (DEU) erfolgt am 1. Januar<br />
1991.<br />
15.12.1990<br />
Hannover: Hauptausschusssitzung des<br />
<strong>Deutsche</strong>n Sportbundes: Aufnahme <strong>der</strong><br />
fünf neuen Landessportbünde in den<br />
DSB. <strong>Der</strong> mit 502 Ja- bei 33 Nein-<br />
Stimmen wie<strong>der</strong>gewählte DSB-Präsident<br />
Hans Hansen spricht vor den Delegierten,<br />
dass noch viel Arbeit warte: „Beim<br />
Aufbau demokratischer Strukturen, bei<br />
<strong>der</strong> Sanierung und Erneuerung von<br />
Sportanlagen und bei <strong>der</strong> Bewältigung<br />
von Umweltfragen in <strong>der</strong> ehemaligen<br />
DDR.“ Martin Kilian wird zum DSB-<br />
Vizepräsidenten gewählt.<br />
19.12.1990<br />
Mit Matthias Sammer und Andreas Thom<br />
debütieren beim 4:0 gegen die Schweiz die<br />
ersten ehemaligen DDR-Spieler im DFB-<br />
Team. Den Fifa-Regeln ist damit Rechnung<br />
getragen: Erst muss sich das Land,<br />
für das man spielte, auflösen, ehe die neue<br />
Identität gilt.
84<br />
Rückblick – Die deutsche <strong>Sporteinheit</strong> – eine Zwischenbilanz nach 15 Jahren<br />
Rückblick<br />
Die deutsche <strong>Sporteinheit</strong> – eine Zwischenbilanz<br />
nach 15 Jahren<br />
von Michael Barsuhn und Jutta Braun<br />
Dezember 1990. Konkurrenz belebt das<br />
Geschäft – auch im Sport. Im Wendejahr<br />
1989/1990 waren die ungewohnten Gesetze<br />
<strong>der</strong> freien Marktwirtschaft jedoch zunächst<br />
<strong>der</strong> Genickbruch für zahlreiche ostdeutsche<br />
Sportvereine. Bis <strong>zur</strong> Vereinigung<br />
des deutschen Sports im<br />
Herbst/Winter 1990 reduzierte sich allein<br />
die Zahl <strong>der</strong> Berliner Fußballklubs von 818<br />
auf 650. Die radikale Umstellung auf den<br />
freien Wettbewerb for<strong>der</strong>te ihren Tribut.<br />
Dem Untergang ostdeutscher Unternehmen<br />
folgte oftmals die Bankrotterklärung <strong>der</strong><br />
anhängenden Betriebssportgemeinschaften.<br />
Bislang staatlich alimentierte Leistungssportklubs,<br />
wie <strong>der</strong> ASK Vorwärts Potsdam,<br />
mussten ihre Budgets westlichen<br />
Standards angleichen. Bundesdeutsche<br />
Spitzenklubs bedienten sich ungehemmt<br />
am Reservoir ostdeutscher Talente. Allein<br />
Handball-Bundesligist VfL Hameln verstärkte<br />
sich im Wendejahr mit sechs DDR-<br />
Nationalspielern. Den Sportlern selber war<br />
es nicht zu verübeln, dass sie nach 28 Jahren<br />
Mauer-Regime nun von ihrer Reisefreiheit<br />
Gebrauch machten.<br />
Zu den positiven Schlagzeilen <strong>der</strong> sportlichen<br />
Vereinigung zählte die gute Zusammenarbeit<br />
<strong>der</strong> Verbände. So unterstützte<br />
<strong>der</strong> DFB den DFV <strong>der</strong> DDR 1989/90 mit<br />
knapp einer Million D-Mark. Patenschaftsverträge<br />
auf Ebene <strong>der</strong> Landessportbünde<br />
ermöglichten den strukturellen Umbau<br />
vom zentralistisch organisierten DDR-<br />
Sport zum fö<strong>der</strong>al aufgebauten Sportsystem<br />
<strong>der</strong> alten Bundesrepublik. Zudem<br />
schlug durch die Entmachtung des DTSB<br />
die Stunde zahlreicher unterdrückter<br />
Sportarten, wie Golf, Tennis o<strong>der</strong> Windsurfen.<br />
Mit ihrer Fixierung auf olympische<br />
Medaillen hatte die DDR diese Disziplinen<br />
Michael Barsuhn und Jutta Braun<br />
jahrelang finanziell und organisatorisch<br />
massiv behin<strong>der</strong>t.<br />
15 Jahre nach <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung<br />
bleibt jedoch noch viel Arbeit. Während in<br />
den westlichen Bundeslän<strong>der</strong>n nahezu je<strong>der</strong><br />
Dritte im Sportverein aktiv ist, liegt die<br />
Zahl im Osten bei ungefähr zwölf Prozent.<br />
Hingegen stammen 80 Prozent <strong>der</strong> deutschen<br />
Sieger bei „Jugend trainiert für Olympia“<br />
aus den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n. Die<br />
Nachwuchsarbeit ostdeutscher Vereine ist<br />
vorbildhaft. Das wissen auch die Manager<br />
<strong>der</strong> Fußball-Bundesligaklubs. „Mit 15 Jahren<br />
spielen in den Auswahlmannschaften<br />
des DFB Talente aus Halle o<strong>der</strong> Leipzig,<br />
mit 18 o<strong>der</strong> 19 steht hinter den selben Namen<br />
Leverkusen o<strong>der</strong> München“; umreißt<br />
Hans-Georg Moldenhauer, als DFB-<br />
Vizepräsident zuständig für die Zukunftsentwicklung<br />
des deutschen Fußballs, die<br />
gegenwärtigen Probleme. „Die Hauptsponsoren<br />
sitzen nach wie vor im Westen.“<br />
Ihren Sitz im Westen haben ebenso die<br />
Fachverbände und Dachorganisationen des<br />
deutschen Sports – nach 15 Jahren Einheit<br />
ist diese geografische Verteilung immer<br />
noch streng asymmetrisch.<br />
Natürlich ist auch zu fragen, inwieweit<br />
1989/90 Chancen zu einer Mo<strong>der</strong>nisierung<br />
des bundesdeutschen Sportsystems verspielt<br />
wurden. So gab <strong>der</strong> Präsident des<br />
Nationalen Olympischen Komitees Willi<br />
Daume im Juni 1990 zu bedenken: „Niemals<br />
wird eine so günstige Gelegenheit<br />
wie<strong>der</strong>kommen, das ganze Gefüge <strong>der</strong><br />
Spitzenorganisationen des deutschen<br />
Sports mal gründlich zu durchdenken und<br />
zu überprüfen. Unsere Organisationen bestehen<br />
mehr o<strong>der</strong> weniger seit Jahrzehnten.<br />
Da sammelt sich Rost und Schwamm an.<br />
Da kommt es zu Betriebsblindheit. Braucht<br />
man überhaupt so viele Organisationen?“<br />
Wie die bevorstehende Fusion von NOK<br />
und DSB zeigt, wurden in den Wende- und<br />
Vereinigungsmonaten im Sport Grundsatzfragen<br />
gestellt, die <strong>bis</strong> heute ihre Aktualität<br />
und Brisanz behalten haben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.12.1990<br />
Überzeugendes Votum für Hans Hansen als Präsidenten<br />
Vereinigung des deutschen Sports ohne Pathos und Hurra<br />
HANNOVER. „Wir krempeln die<br />
Ärmel hoch und packen an“, rief <strong>der</strong><br />
Präsident. „Die Ärmel bleiben weiter<br />
hochgekrempelt“, rief auch <strong>der</strong> ehemalige<br />
Präsident. Bei <strong>der</strong> Vereinigung des<br />
deutschen Sports in Hannover, dem<br />
Beitritt <strong>der</strong> neuen Landessportbünde<br />
zum <strong>Deutsche</strong>n Sportbund (DSB) in<br />
einer vorgezogenen Hauptausschußsitzung<br />
am frühen Morgen, wehte <strong>der</strong><br />
Geist <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong>zeit durch den Kuppelsaal.<br />
Hans Hansen, mit dem überzeugenden<br />
Votum von 502 Ja- bei 33<br />
Nein-Stimmen wie<strong>der</strong>gewählter DSB-<br />
Präsident, vermied jeden Anflug von<br />
Pathos und Hurra-Stimmung. Er kündigte<br />
den Delegierten seines nun 24<br />
Millionen Mitglie<strong>der</strong> starken Verbandes<br />
statt dessen an, daß noch viel Arbeit<br />
warte; beim Aufbau demokratischer<br />
Strukturen, bei <strong>der</strong> Sanierung und<br />
Erneuerung von Sportanlagen und bei<br />
<strong>der</strong> Bewältigung von Umweltfragen in<br />
<strong>der</strong> ehemaligen DDR.<br />
Auch Martin Kilian, <strong>der</strong> letzte Präsident<br />
des <strong>Deutsche</strong>n Turn- und Sportbundes<br />
(DTSB) <strong>der</strong> DDR, angetreten<br />
im März als Demokratisierer und Liquidator,<br />
mochte nicht viel Aufhebens<br />
machen um den Sport in Deutschland<br />
von einst und jetzt, von hüben und<br />
drüben und um die einstimmige Aufnahme<br />
<strong>der</strong> Landessportbünde von<br />
Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Sachsen-Anhalt, Sachsen und<br />
Thüringen. Erst nachdem er auch zum<br />
Vizepräsidenten gewählt war, ergriff er<br />
das Wort und sagte, daß er, 27 Jahre<br />
lang Bürgermeister von Wernigerode<br />
im Harz, sich von <strong>der</strong> SED gelöst habe<br />
und im Ort immer noch freundlich<br />
gegrüßt werde – keine Gefahr also, das<br />
Präsidium mit politischer Altlast zu<br />
befrachten. Schnell ging <strong>der</strong> Blick<br />
wie<strong>der</strong> nach vorn. Kilian versprach vor<br />
allem fleißige Arbeit.<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung 17. Dezember 1990<br />
Den Blick hatte man beim DSB<br />
schon am Donnerstagabend <strong>zur</strong>ück<br />
gewandt. Klaus Kotter, Präsident des<br />
Bob- und Schlittensportverbandes, gab<br />
in <strong>der</strong> Ständigen Konferenz <strong>der</strong> Spitzenverbände<br />
eine Ehrenerklärung für<br />
Kilian ab, <strong>der</strong> einst dem entsprechenden<br />
Verband in <strong>der</strong> DDR vorgestanden<br />
hatte. Günter Meinen, Präsident des<br />
Tanzsportverbandes, berichtete, daß<br />
seiner Verwandtschaft in Wernigerode<br />
nichts Nachteiliges über Kilian bekanntgeworden<br />
sei. Manfred von<br />
Richthofen, als Präsident des Landessportbundes<br />
Berlin mitten in den Turbulenzen<br />
<strong>der</strong> Vereinigung, lobte Kilian<br />
in Hannover des weiteren als einen<br />
seiner besten Verhandlungspartner. Die<br />
beiden werden weiterhin miteinan<strong>der</strong><br />
zu tun haben. Auch von Richthofen<br />
wurde als Vizepräsident ins erweiterte<br />
DSB-Präsidium gewählt.<br />
Die deutlichsten Worte wurden beim<br />
Bundestag des Sportbundes außerhalb<br />
<strong>der</strong> Vollversammlung gesprochen. Als<br />
<strong>der</strong> Baron aus Berlin mit scharfen<br />
Worten bemerkte, es sei erstaunlich,<br />
mit welcher Ignoranz dem Sport begegnet<br />
werde in den neuen Län<strong>der</strong>n,<br />
beson<strong>der</strong>s von Neu-Politikern und ihren<br />
Stützen aus dem Westen, da waren im<br />
Arbeitskreis „Sportpolitik“ nur einige<br />
Handvoll Gesprächspartner und Zuhörer<br />
anwesend. So entging den meisten<br />
auch, wie dem Konservativen die SPD-<br />
Sportdezernentin <strong>der</strong> Stadt Frankfurt<br />
am Main, Sylvia Schenk, beisprang:<br />
„Diese Ignoranz ist nicht überraschend,<br />
son<strong>der</strong>n typisch.“ Nicht nur die beiden<br />
streitbaren Sportpolitiker waren sich<br />
einig, nun mit Macht auf Gehör und<br />
Geltung und die Beteiligung an Lotto-<br />
und Toto-Gel<strong>der</strong>n zu pochen. „Je<br />
schwächer <strong>der</strong> Sport in den neuen<br />
Län<strong>der</strong>n wird“, sagte Sylvia Schenk,<br />
„desto schwächer wird er in Deutschland.“<br />
85<br />
<strong>Der</strong> Physiker Professor Gerhard<br />
Junghähnel, Präsident des Landessportbundes<br />
Brandenburg, beklagte,<br />
daß er noch keinen Termin bei Ministerpräsident<br />
Stolpe bekommen habe –<br />
„obwohl wir ihn bereits dreimal öffentlich<br />
kritisiert und die Zeitungen das<br />
sogar gebracht haben“. Hansen verriet,<br />
daß er sich bereits mit allen neuen<br />
Regierungschefs verabredet habe und<br />
gedenke, Sportführer aus den alten und<br />
neuen Län<strong>der</strong>n mitzunehmen zu den<br />
Besuchen. Er wolle die Chance nutzen,<br />
die die Regierungsbildung in Bonn und<br />
<strong>der</strong> Neubeginn in den fünf Län<strong>der</strong>n<br />
dem Sport böten.<br />
Trotzdem fand die ehemalige Mittelstreckenläuferin<br />
Sylvia Schenk Zustimmung,<br />
als sie konstatierte, dem<br />
DSB fehle es an Streitkultur. Bestätigt<br />
wurde sie vom DSB-Bundestag, als<br />
dieser den Antrag ablehnte, im neuen<br />
Statut endlich Formulierungen auch in<br />
<strong>der</strong> weiblichen Form zu verwenden,<br />
nicht nur von Sportlern und Präsidenten<br />
zu schreiben, son<strong>der</strong>n auch von Sportlerinnen<br />
und Präsidentinnen. Nicht<br />
inhaltlich wurde <strong>der</strong> seit Jahren immer<br />
wie<strong>der</strong>kehrende Antrag diskutiert,<br />
son<strong>der</strong>n man stritt über das Verfahren.<br />
Weil schließlich eine Zweidrittelmehrheit<br />
notwendig war und die Delegierten<br />
diese mit acht Stimmen verweigerten,<br />
wird <strong>der</strong> Frauenantrag auch beim<br />
nächsten Bundestag wie<strong>der</strong> behandelt<br />
werden.<br />
Viele Worte mag Hans Hansen auch<br />
nicht um seinen jüngste Entscheidung<br />
machen. Im neuen Jahr wird er sein<br />
Büro von Frankfurt am Main nach<br />
Berlin in das alte Gebäude des DTSB<br />
verlegen. „Das soll auch ein Zeichen<br />
für die neuen Verbände sein“, sagt<br />
Hansen, „daß sich mit ihrem Beitritt<br />
etwas verän<strong>der</strong>t hat.“ Da gilt es tatsächlich,<br />
die Ärmel hochzukrempeln.<br />
MICHAEL REINSCH
86<br />
Dezember 1990 – Eine Collage
Dezember 1990 – Eine Collage<br />
87
88<br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS<br />
ADAC Allgemeiner <strong>Deutsche</strong>r Automobilclub<br />
ADMV Allgemeiner <strong>Deutsche</strong>r Motorsport-Verband <strong>der</strong> DDR<br />
ADN Allgemeiner <strong>Deutsche</strong>r Nachrichtendienst <strong>der</strong> DDR<br />
ARD Arbeitsgemeinschaft <strong>der</strong> öffentlich-rechtlichen<br />
Rundfunkanstalten <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland<br />
ASK Armeesportklub<br />
ASV Armeesportvereinigung<br />
BDS Bund deutscher Segler <strong>der</strong> DDR<br />
BFA Bezirksfachausschuss<br />
BFC Berliner Fußballclub<br />
BFV Berliner Fußballverband (West)<br />
BRD Bundesrepublik Deutschland<br />
BSG Betriebssportgemeinschaft<br />
BTZ Bezirkstrainingszentrum<br />
CSSR Tschechoslowakische Sozialistische Republik<br />
DAV <strong>Deutsche</strong>r Anglerverband <strong>der</strong> DDR<br />
DBB <strong>Deutsche</strong>r Basketball Bund<br />
DBSV <strong>Deutsche</strong>r Bogenschützen-Verband <strong>der</strong> DDR<br />
DBV <strong>Deutsche</strong>r Box-Verband <strong>der</strong> DDR<br />
DDR <strong>Deutsche</strong> Demokratische Republik<br />
DELV <strong>Deutsche</strong>r Eislauf-Verband <strong>der</strong> DDR<br />
DFV <strong>Deutsche</strong>r Fußball-Verband <strong>der</strong> DDR<br />
DFB <strong>Deutsche</strong>r Fußball Bund<br />
DGV <strong>Deutsche</strong>r Gewichtheber-Verband <strong>der</strong> DDR<br />
DHB <strong>Deutsche</strong>r Handball-Bund<br />
DHfK <strong>Deutsche</strong> Hochschule für Körperkultur und Sport<br />
DHSV <strong>Deutsche</strong>r Hockey-Sportverband <strong>der</strong> DDR<br />
DJV <strong>Deutsche</strong>r Judo-Verband <strong>der</strong> DDR<br />
DKBV <strong>Deutsche</strong>r Kraftsport- und Bodybuilding-Verband<br />
DKSV <strong>Deutsche</strong>r Kanu-Sport-Verband <strong>der</strong> DDR<br />
DKV <strong>Deutsche</strong>r Kegler-Verband <strong>der</strong> DDR<br />
DLV <strong>Deutsche</strong>r Leichtathletik-Verband<br />
dpa <strong>Deutsche</strong> Presseagentur<br />
DPV <strong>Deutsche</strong>r Pferdesport-Verband <strong>der</strong> DDR<br />
DRSV <strong>Deutsche</strong>r Rugby-Sportverband <strong>der</strong> DDR<br />
DRV <strong>Deutsche</strong>r Rollsport-Verband <strong>der</strong> DDR
Abkürzungsverzeichnis 89<br />
DS <strong>Deutsche</strong>r Sportausschuss<br />
DSA <strong>Deutsche</strong>r Sportausschuss<br />
DSB <strong>Deutsche</strong>r Sportbund<br />
DSBV <strong>Deutsche</strong>r Schlitten- und Bobsportverband <strong>der</strong> DDR<br />
DSLV <strong>Deutsche</strong>r Skiläufer-Verband <strong>der</strong> DDR<br />
DSSV <strong>Deutsche</strong>r Segelsport-Verband<br />
DSVB <strong>Deutsche</strong>r Sportverband Volleyball <strong>der</strong> DDR<br />
DTSB <strong>Deutsche</strong>r Turn- und Sportbund <strong>der</strong> DDR<br />
DTTV <strong>Deutsche</strong>r Tischtennis-Verband <strong>der</strong> DDR<br />
DTU <strong>Deutsche</strong> Triathlon-Union<br />
DTV <strong>Deutsche</strong>r Turn-Verband <strong>der</strong> DDR<br />
DVB <strong>Deutsche</strong>r Boxverband<br />
DVfL <strong>Deutsche</strong>r Verband für Leichtathletik<br />
DVfV <strong>Deutsche</strong>r Verband für Versehrtensport <strong>der</strong> DDR<br />
DVV <strong>Deutsche</strong>r Volleyball-Verband<br />
DWBO <strong>Deutsche</strong>r Verband für Wan<strong>der</strong>n, Bergsteigen und Orientierungslauf<br />
<strong>der</strong> DDR<br />
DWBV <strong>Deutsche</strong>r Wan<strong>der</strong>er- und Bergsteigerverband<br />
e. V. eingetragener Verein<br />
EM Europameisterschaft<br />
FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung<br />
FC Fußballclub<br />
FDJ (fdj) Freie <strong>Deutsche</strong> Jugend<br />
FES Freizeit- und Erholungssport<br />
FIFA Fédération Internationale de Football Association.<br />
Internationaler Fußballverband.<br />
FKS Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport<br />
FR Frankfurter Rundschau<br />
FVB Fußballverband Berlin (Ost)<br />
geb. geboren(e)<br />
GST Gesellschaft für Sport und Technik<br />
KFA Kreisfachausschuss<br />
KJS Kin<strong>der</strong> und Jugendsportschule<br />
LSB Landessportbund<br />
MfS Ministerium für Staatssicherheit
90<br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
ND Neues Deutschland<br />
NF Neues Forum<br />
NOFV Nordostdeutscher Fußballverband<br />
NOK Nationales Olympisches Komitee<br />
PSV Polizeisportverein<br />
SC Sportclub<br />
SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands<br />
SED/PDS Sozialistische Einheitspartei Deutschlands/ Partei des Demokratischen Sozialismus<br />
sid Sportinformationsdienst<br />
SMD Sportmedizinischer Dienst<br />
Stasi Staatssicherheit<br />
SV Sportverein<br />
SZ Süddeutsche Zeitung<br />
TSC Turn- und Sportclub<br />
TZ Trainingszentrum<br />
UdSSR Union <strong>der</strong> Sozialistischen Sowjetrepubliken<br />
UEFA Europäische Fußball-Union o<strong>der</strong> Union <strong>der</strong> Europäischen Fußball-Verbände<br />
USA United States of America (Vereinigte Staaten von Amerika)<br />
VEB Volkseigener Betrieb<br />
WM Weltmeisterschaft<br />
WZ Wissenschaftliches Zentrum<br />
ZK Zentralkomitee