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PTB-Mitteilungen 2012 Heft 2

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<strong>PTB</strong>-<strong>Mitteilungen</strong> 122 (<strong>2012</strong>), <strong>Heft</strong> 2<br />

experimentell beikommen will. Ich bekomme in<br />

meinen alten Tagen noch eine Leidenschaft für das<br />

Experiment.“<br />

Über ihre erfolgreichen Versuche berichtete Einstein<br />

bereits am 19. Februar 1915 im Kolloquium<br />

der Physikalischen Gesellschaft, und weitere<br />

Vorträge folgten zu diesem Thema in den nächsten<br />

Monaten. Allerdings zeigte sich schon bald, dass<br />

das Experiment zwar prinzipiell gelungen, doch<br />

die Bestimmung der gyromagnetischen Konstante,<br />

des Verhältnises aus der Änderung des Drehimpulses<br />

und der Magnetisierung, viel zu ungenau<br />

war. Man war bei der behaupteten Übereinstimmung<br />

zwischen Theorie und Experiment wohl<br />

mehr einem theoretischen Vorurteil gefolgt als<br />

den gemessenen Daten. Die richtige Erklärung<br />

ließ sich erst mit der Entdeckung des Elektronenspins<br />

im Jahre 1925 geben, der bekanntlich für<br />

den Ferromagnetismus maßgebend ist. Dennoch<br />

kommt Einstein und de Haas das Verdienst der<br />

ersten (qualitativen) Bestätigung der Ampère’schen<br />

Molekularstromhypothese zu.<br />

Diese Gastrolle sollte aber nicht die einzige<br />

Beziehung Einsteins zur Physikalisch-Technischen<br />

Reichsanstalt bleiben. Im Dezember 1916 wird<br />

er „mittels allerhöchsten Erlasses“ durch Kaiser<br />

Wilhelm II. zum Mitglied des Kuratoriums der<br />

Reichsanstalt ernannt. Der Berufungsvorschlag für<br />

den Kaiser stellt Einsteins herausragende wissenschaftliche<br />

Verdienste heraus: „In der Tat ist er<br />

zweifellos einer der scharfsinnigsten und originellsten<br />

unter den lebenden theoretischen Physikern;<br />

die von ihm in bahnbrechenden Arbeiten<br />

entwickelten Theorien dienen zahlreichen Experimentatoren<br />

des In- und Auslandes als Grundlagen<br />

und Leitsätze ihrer Forschungen. Auch als Experimentator<br />

hat er sich betätigt und insbesondere<br />

an der Reichsanstalt vor kurzem in einer höchst<br />

wichtigen Arbeit einen experimentellen Beweis für<br />

die Existenz der Ampère’schen Molekularströme<br />

in Magneten geliefert. Er interessiert sich auch für<br />

praktische Fragen, so dass man sich von seiner<br />

Mitwirkung an den Arbeiten der Reichsanstalt<br />

besonders viel versprechen kann.“<br />

Das Kuratorium tagte einmal jährlich im<br />

Frühjahr, sodass die Aufsichtsfunktion über die<br />

Tätigkeit der Reichsanstalt natürlich nur eine sehr<br />

allgemeine sein konnte. An den meist dreitägigen<br />

Kuratoriumssitzungen hat sich Einstein relativ<br />

regelmäßig beteiligt – erst gegen Ende seiner<br />

Berliner Wirkungszeit lässt sich auch hier eine<br />

Abkühlung seines Interesses und Engagements<br />

feststellen. Seine beiden letzten Kuratoriumssitzungen<br />

sind für das Jahr 1927 bzw. 1930 protokolliert,<br />

wobei er 1930 wohl nur noch stiller<br />

Zuhörer der Beratungen war – zumindest hielt<br />

das Protokoll keine Diskussionsbemerkungen von<br />

ihm fest. In den Anfangsjahren war dies anders.<br />

Einstein beteiligte sich in dieser Zeit häufig und<br />

Der Fall Einstein �<br />

pointiert an den<br />

Aussprachen des<br />

Kuratoriums.<br />

Dabei wurde<br />

deutlich, dass er<br />

nicht nur theoretischer<br />

Physiker<br />

par excellence<br />

war, sondern in<br />

vielfältiger Weise<br />

mit konkreten<br />

Hinweisen auf<br />

die experimentellen<br />

Arbeiten<br />

der Reichsanstalt<br />

Einfluss zu<br />

nehmen versuchte.<br />

Darüber<br />

hinaus bezog er<br />

zu wissenschaftspolitischen<br />

und<br />

-organisatorischen<br />

Fragen<br />

Stellung – beispielsweise<br />

zum Recht der PTR-Mitarbeiter, Patente zu nehmen.<br />

Im Jahr 1921/22 scheint Einstein sogar nochmals de facto wissenschaftlicher<br />

Gast der Anstalt gewesen zu sein. Obwohl dazu in den<br />

offiziellen Dokumenten konkrete Belege fehlen, liefert sein Briefwechsel<br />

entsprechende Hinweise. Im Sommer 1921 hatte sich Einstein „ein sehr<br />

interessantes und simples Experiment über die Natur der Lichtemission<br />

ausgedacht“, mit dem er in die damals hochaktuelle Diskussion über den<br />

Welle- bzw. Teilchencharakter des Lichts klärend eingreifen wollte. Zur<br />

Ausführung des diffizilen Experiments, das den Charakter der Lichtemission<br />

an Kanalstrahlteilchen untersuchen sollte, versicherte er sich<br />

wieder der ausgewiesenen Kompetenz und der ausgezeichneten apparativen<br />

Möglichkeiten der Reichsanstalt. Diesmal waren seine kongenialen<br />

Partner Hans Geiger und Walther Bothe vom Laboratorium für Radioaktivität,<br />

mit deren „vorzüglicher Mitarbeit“ schon bald das Experiment<br />

realisiert werden konnte. Es war für ihn – wie er in einem Brief an Max<br />

Born bekennt – „mein stärkstes wissenschaftliches Erlebnis seit Jahren“.<br />

Allerdings hielt der Optimismus nicht allzu lange an, denn schon<br />

wenige Wochen später musste er bekennen: „Auch ich habe vor einiger<br />

Zeit einen monumentalen Bock geschossen (Experiment über Lichtemission<br />

mit Kanalstrahlen). Aber man muss sich trösten. Gegen das<br />

Böcke-Schießen hilft nur der Tod.“<br />

Als Anfang 1933 die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland<br />

übernahmen und Einstein in die Emigration zwangen, brach auch<br />

seine Beziehung zur Reichsanstalt ab. Im April verfügte das für die PTR<br />

zuständige Reichsministeriums des Inneren, ihn aus der Liste der Kuratoriumsmitglieder<br />

zu streichen, da er „zu der nationalen Erneuerung<br />

Deutschlands in einer Weise Stellung genommen hat, die seine weitere<br />

Zugehörigkeit in dem Kuratorium der Physikalisch-Techn. Reichsanstalt<br />

unmöglich macht.“<br />

Damit endet die Beziehung Einsteins zur Reichsanstalt, die auch nach<br />

dem Krieg, als das Institut als Physikalisch-Technische Bundesanstalt in<br />

Braunschweig neu gegründet wurde, nicht wieder aufgenommen wurde.<br />

Mit dem abrupten Ende gehört auch für diese Institution der „Fall<br />

Einstein“ nicht zu den Ruhmesblättern ihrer insgesamt so erfolgreichen<br />

Geschichte. �<br />

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