PTB-Mitteilungen 2012 Heft 2
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<strong>PTB</strong>-<strong>Mitteilungen</strong> 122 (<strong>2012</strong>), <strong>Heft</strong> 2<br />
Selbständigkeit alle ihre Rechte wahren. Am 20. Juli<br />
stimmte die Reichsregierung zu. Am 26. September<br />
unterzeichnete der Reichspräsident ein entsprechendes<br />
Gesetz, womit die RMG mit Wirkung vom<br />
1. Oktober 1923 in die PTR eingegliedert und die<br />
Verschmelzung formal innerhalb weniger als eines<br />
Jahres abgeschlossen war. Ob die anstehende Pensionierung<br />
von Fritz Plato die Eingliederung der<br />
RMG beschleunigt hat, ist nicht bezeugt, im Wege<br />
stand sie ihr jedenfalls nicht.<br />
An dieser Stelle scheint eine kurze Rückblende<br />
auf die Reichsanstalt für Maß und Gewicht<br />
angezeigt, deren Entstehung und Entwicklung<br />
erheblich weiter zurückreicht als die der PTR. Ein<br />
explizites Gründungsdatum der RMG und ihrer<br />
Vorläufer gibt es zwar nicht, aber zwei Entwicklungen<br />
wiesen die Richtung: 1806 die „Flurbereinigung“<br />
der deutschen politischen Landschaft durch<br />
Napoleon und die in der Folge der Französischen<br />
Revolution am Erdumfang orientierte Meterdefinition<br />
von 1793.<br />
Am 30. November 1806 wurde in Württemberg<br />
die alte „Maas-Ordnung“ von 1557 durch die<br />
neue „Maasordnung für die Königlich-Württembergischen<br />
Staaten“ abgelöst. Zehn Jahre später<br />
gründete Preußen eine eher lockere institutionelle<br />
Struktur, die spätere Königlich-Preußische Normal-<br />
Eichungs-Commission zu Berlin zur Kalibrierung<br />
von Eichnormalen und zur Prüfung von Probemaßen<br />
und -gewichten anderer Eichungskommissionen<br />
sowie zum Vergleich mit den neufranzösischen<br />
Maßen nach dem metrischen System.<br />
Nach der Vereinheitlichung der Maße innerhalb<br />
der deutschen Länder wurde die Vereinheitlichung<br />
der Maße in ganz Deutschland angestrebt.<br />
Denn noch 1860 beschrieb eine von der Bundesversammlung<br />
des Deutschen Bundes in Frankfurt<br />
eingesetzte Kommission die Zustände sehr<br />
plastisch: „In Deutschland kann man vielerwärts<br />
nicht 10 oder 20 Meilen weit reisen, ohne anderes<br />
Fußmaß, eine andere Elle, ein anderes Feldmaß,<br />
Getränk- oder Fruchtmaß anzutreffen. Größen und<br />
Namen sind verschieden, in der Einteilung herrscht<br />
bunteste, grundsatzloseste Mannigfaltigkeit.“<br />
Unter der Regie des 1866 entstandenen Norddeutschen<br />
Bundes wurde am 17. August 1868<br />
eine Maß- und Gewichtsordnung eingeführt, die<br />
ab dem 1. Januar 1870 erstmals für einen größeren<br />
Bereich Deutschlands das metrische System<br />
etablierte. Mit diesem Gesetz wurde eine „Normal-Eichungs-Kommission<br />
des Norddeutschen<br />
Bundes“ (NEK) installiert, zu deren Direktor der<br />
Astronom Wilhelm Foerster ernannt wurde. Er war<br />
die treibende Kraft, die einerseits die Metrologie<br />
im Bereich der Längen- und Gewichtsmessung<br />
zunächst innerhalb der NEK und ab 1871 als<br />
Direktor der „Kaiserlichen Normal-Eichungs-<br />
Kommission“ (KNEK) vorantrieb, andererseits aber<br />
auch seit 1872 eine tragende Rolle bei der Grün-<br />
Die „Verschmelzung“ von RMG und PTR �<br />
dung der PTR spielte, indem er u. a. die Aufgaben und die Organisation<br />
der Technischen Abteilung ausgearbeitet hat.<br />
International war die wichtigste Aufgabe der KNEK die deutsche<br />
Mitarbeit an der 1875 von 17 Staaten ins Leben gerufenen Meterkonvention.<br />
Foersters überragende Bedeutung für die Metrologie lässt sich am<br />
einfachsten daran ablesen, dass er von der Gründung an bis zu seinem<br />
Tode 1921 unangefochten deutsches Mitglied des Comité international<br />
des poids et mesures (CIPM), des Lenkungsgremiums der Meterkonvention,<br />
war und von 1891 bis 1920 – also auch während des Ersten<br />
Weltkriegs – sein Vorsitzender.<br />
1887 gab die KNEK einige Prüfaufgaben und das gesamte Arbeitsgebiet<br />
der Thermometrie an die neu gegründete PTR ab, was einer der<br />
wenigen Berührungspunkte zu ihr blieb. Am 5. September 1918 in<br />
den letzten Tagen des Kaiserreichs wurde die KNEK in Reichsanstalt<br />
für Maß und Gewicht umbenannt. Sie bestand inzwischen aus acht<br />
Abteilungen (Längenmaße; Gewichte; Waagen und Wägemaschinen;<br />
Flüssigkeitsnormale und Messwerkzeuge für Flüssigkeiten; Fässer und<br />
Hohlmaße; Gas-, Wasser- und Dampfmesser, Dosier- Paketier- und<br />
Abfüllmaschinen; Aräometer; Chemische Arbeiten) und hatte am<br />
Schluss 72 Mitarbeiter.<br />
Die von Präsident Emil Warburg 1914 durchgeführte Neustrukturierung<br />
der PTR erleichterte eine einfache organisatorische Eingliederung<br />
der RMG als neue Abteilung I. Von kleineren Veränderungen<br />
abgesehen musste sich nur die bisherige Abteilung I Optik an die neue<br />
Positionierung als Nummer IV gewöhnen. Die Konsequenzen für die<br />
PTR und ihren Präsidenten wurden durch das erweiterte Aufgabenprofil<br />
allerdings merklich. Besonders die gesetzlichen Verpflichtungen<br />
der RMG im Eichwesen, überdies föderal strukturiert, verstärkten den<br />
Behördencharakter.<br />
So verspürte gerade Nernst, der durch seine zupackende Politik die<br />
Verschmelzung klug befördert hatte, die Zunahme der ungeliebten<br />
Verwaltungsarbeit und die Einschränkung seiner wissenschaftlichen<br />
Entfaltungsmöglichkeiten besonders schmerzlich. Ende Februar 1924<br />
reichte er schließlich sein Rücktrittsgesuch ein und schied zum 30. April<br />
dieses Jahres aus dem Amt. Man weiß eben nicht, ob der ganze Mantel<br />
zu einem passt, wenn man seinen Zipfel ergreift, weil sich die Dinge<br />
manchmal anders entwickeln. Nernst leistete den zentralen Beitrag<br />
„zum zweiten grundsätzlichen Ereignis innerhalb eines Jahrzehnts nach<br />
der Neugliederung von 1914“, das „das Gesicht der PTR entscheidend<br />
veränderte, und vielleicht eines der wichtigsten Ereignisse in ihrer<br />
Geschichte überhaupt“ war (U. Kern). �<br />
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