PTB-Mitteilungen 2012 Heft 2
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<strong>PTB</strong>-<strong>Mitteilungen</strong> 122 (<strong>2012</strong>), <strong>Heft</strong> 2<br />
könne“, führt er schließlich nationale Argumente<br />
an, für die der Adressat empfänglich ist: „Dem<br />
Reiche würden aus einer naturwissenschaftlichen<br />
Arbeitsstätte, wie sie geplant ist, sowohl materielle<br />
wie ideelle Vortheile von großem Gewichte<br />
erwachsen. Bei dem jetzt so lebhaft geführten<br />
Konkurrenzkampfe der Völker hat das Land ein<br />
entschiedenes Übergewicht, welches neue Bahnen<br />
zuerst betritt und die auf dieselben zu gründenden<br />
Industriezweige zuerst ausbildet. Fast ohne<br />
Ausnahme sind es naturwissenschaftliche Entdeckungen,<br />
oft sehr unscheinbarer Art, welche solche<br />
neuen Bahnen eröffnen und wichtige Industriezweige<br />
neu erschaffen oder beleben. … Darum<br />
darf der wissenschaftliche Fortschritt nicht von<br />
materiellen Interessen abhängig gemacht werden.“<br />
Die Intention von Werner Siemens und seinen<br />
Mitstreitern zielt auf eine staatlich finanzierte<br />
außeruniversitäre Großforschungseinrichtung<br />
– die erste ihrer Art in Deutschland, die sowohl<br />
der von materiellen Interessen freien Grundlagenforschung<br />
verpflichtet ist als auch die Industrie<br />
bei aktuellen Problemen u. a. mit „Maasbestimmungen“<br />
und Prüfungen unterstützt. So tritt<br />
die Physikalisch-Technische Reichsanstalt am<br />
28. März 1887 mit der Verabschiedung des Etats<br />
1887/1888 des Reichsamts des Inneren ins Leben,<br />
der Grundintention entsprechend gegliedert in<br />
eine Physikalische und eine Technische Abteilung.<br />
„Der Gedanke schien gut zu sein, denn heute gibt<br />
es viele außeruniversitäre Forschungseinrichtungen“,<br />
so Bundeskanzlerin Merkel 2007 anerkennend,<br />
von denen sich 2001 eine ganze Reihe<br />
unter dem Namen des Mitinitiators und ersten<br />
Präsidenten der PTR, Hermann von Helmholtz,<br />
zusammengeschlossen haben. Die PTR mit ihrem<br />
Aufgabenspektrum und in ihrer Folge die <strong>PTB</strong><br />
sind allerdings einmalig geblieben und ihr Auftrag,<br />
zwar vielfach erweitert und präzisiert, aber immer<br />
orientiert an der Siemens’schen Vision, ist heute<br />
im Grundgesetz verankert.<br />
Die Intention dieses <strong>Heft</strong>es<br />
Die Intention �<br />
Auch dieses <strong>Heft</strong> der <strong>PTB</strong>-<strong>Mitteilungen</strong> verfolgt eine Intention, nämlich<br />
die in den vergangenen 125 Jahren der Geschichte und noch heute wirksamen<br />
Siemens’schen Absichten hinter den dargestellten Fakten durchscheinen<br />
zu lassen. Es sollte keine weitere Geschichte von PTR und <strong>PTB</strong><br />
geschrieben werden, weil dazu bereits eine Reihe von Monografien von<br />
kompetenten Autoren erschienen ist, die zur Lektüre wärmstens empfohlen<br />
wird (siehe S. 68).<br />
Im Vordergrund werden Ereignisse und Ergebnisse längs der Zeitachse<br />
aufgereiht dargestellt, um dem Leser ein Gefühl der Turbulenz<br />
oder der Stagnation mancher Epochen zu vermitteln. Angereichert wird<br />
diese Aufzählung durch biografische Notizen der handelnden Personen,<br />
weil – wie überall – Institutionen von den sie tragenden und gestaltenden<br />
Individuen leben. Alle diese Informationen sind der Lesbarkeit<br />
wegen sehr knapp gehalten, um die Leser zu eigenständigem Literaturstudium<br />
zu animieren. Verfasst wurden diese „Textschnipsel“ von vielen<br />
Kollegen aus allen Bereichen der <strong>PTB</strong>, denen ich an dieser Stelle herzlich<br />
für ihre Unterstützung danken möchte.<br />
Der Erläuterung einzelner besonders gewichtiger Schritte und Entwicklungen<br />
sind Doppelseiten gewidmet, die den Fortgang der Zeitachse<br />
unterbrechen. Hier haben Kollegen aus der Wissenschaftsgeschichte und<br />
aus wichtigen Aufgabenbereichen der <strong>PTB</strong> – auch ihnen sei herzlich<br />
gedankt – Hintergründe und Entwicklungslinien dargestellt und analysiert.<br />
Das beginnt mit der Persönlichkeit des ersten Präsidenten und<br />
„Reichskanzlers der Wissenschaft“ Hermann von Helmholtz, gefolgt<br />
von einem Bericht über den spektakulärsten Erfolg der Experimentierkunst<br />
der PTR: die präzise Bestimmung des Spektrums der Strahlung<br />
des Schwarzen Körpers. Sie hat Max Planck zu seiner Strahlungsformel<br />
und damit zur Quantentheorie geführt. Anlass war der Bedarf eines<br />
präziseren Lichtstärkenormals zur Entscheidung für die wirtschaftlichere<br />
Energie für die Berliner Straßenbeleuchtung: Elektrizität oder Gas.<br />
Das Kuratorium, damals wie heute besetzt mit wichtigen Vertretern<br />
aus Wissenschaft und Wirtschaft, ist von Anfang an ein prägendes<br />
Element für die Kursbestimmung der Anstalt und die Vertretung ihrer<br />
Anliegen gegenüber Politik und Öffentlichkeit. Präsident Warburg setzte<br />
die PTR durch die Hinwendung zur Neuen Physik, durch neue Geldquellen<br />
und durch eine neue Abteilungsstruktur noch vor dem Ersten<br />
Weltkrieg auf eine bis heute tragende Zukunftsschiene. Unter Präsident<br />
Nernst konnte die klassische Metrologie von Maß und Gewicht eingegliedert<br />
werden. Die Zeit des Nationalsozialismus und des 2. Weltkriegs<br />
waren gekennzeichnet durch einen allgemeinen Niedergang der Wissenschaft<br />
in Deutschland, dem sich auch die PTR nicht entziehen konnte.<br />
Die Stunde Null danach erzwang – ebenfalls durch die politische<br />
Situation – eine getrennte Entwicklung in beiden deutschen Nachkriegsstaaten.<br />
Das Engagement beider Systeme u. a. beim gesetzlichen<br />
Messwesen brachte auf dem Umweg über internationale Organisationen<br />
wie die OIML erste Kontakte zustande. Die deutsche Wiedervereinigung<br />
ermöglichte die gemeinsame Neuausrichtung der Metrologie auf die<br />
Zukunft, was besonders am Berliner Standort im Osten wie im Westen<br />
Konsequenzen hatte. Die Antwort der nationalen Metrologieinstitute auf<br />
die zunehmende Integration Europas hat der <strong>PTB</strong> viele Chancen, aber<br />
auch neue Verantwortung beschert. Auch innerhalb Deutschlands ist<br />
die aktuelle Bedeutung der Metrologie und der <strong>PTB</strong> als wissenschaftsbasierte<br />
Dienstleisterin gewachsen und in mittlerweile zwei Evaluationen<br />
glänzend bestätigt. Das <strong>Heft</strong> endet mit einer Bestandsaufnahme und der<br />
sich heute bietenden Vision für die nächsten Dekaden. Diese zeigen,<br />
dass die 125-jährige Intention von Werner von Siemens die Zukunft<br />
auch heute noch kraftvoll gestalten hilft. �<br />
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