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„Tasten Sie<br />
keine<br />
einzige Note<br />
mehr an!“<br />
Ravels Streichquartett<br />
Längst hatte sich Maurice Ravel einen Namen als Komponist<br />
gemacht, da ging er im Oktober 1896 nochmals als Schüler<br />
ans Conservatoire de Paris. Gabriel Fauré war dem aus<br />
Altersgründen zurückgetretenen Massenet als Kompositionslehrer<br />
gefolgt. Doch war es letztlich nicht Fauré, sondern<br />
André Gédalge, bei dem Ravel wirklich etwas dazulernen<br />
konnte. „In diesen Tagen hatten wir Fortschritte gemacht“,<br />
so resümierte Ravels Freund Georges Enescu die Zeit bei<br />
Fauré einigermaßen sarkastisch; Gédalge aber galt unser<br />
seinen Schülern als Koryphäe in Sachen Kontrapunkt und<br />
Orchestrierung (Enescu widmete ihm sein Oktett – vgl. Text<br />
zum Abschlusskonzert). Ravel schrieb 1928 in seiner Esquisse<br />
biographique: „Ich bin glücklich zu sagen, daß ich<br />
die kostbarsten Elemente meines Metiers André Gédalge<br />
verdanke.“ – und Fauré?: „Er erschien in der Klasse mit Dreiviertelstunden<br />
Verspätung, und er wußte nicht recht, was er<br />
seinen Jüngern erzählen sollte“, so überliefert es uns eine<br />
mündliche Äußerung eines einstigen Schülers.<br />
Maurice Ravel am<br />
Ufer der Nivelle in<br />
den Pyrenäen,<br />
Fotografie um 1901<br />
(Paris, Bibliothèque<br />
Nationale)<br />
Nichtsdestotrotz: Ravel widmete seinem Lehrer neben<br />
seinem berühmten Klavierstück „Jeu d’eau“ auch sein einziges<br />
Streichquartett („à mon cher maître Gabriel Fauré“) – er<br />
selbst empfand das Werk als Abschluss seiner Studienzeit.<br />
Die ersten beiden Sätze waren im Dezember 1902, die beiden<br />
anderen im April 1903 vollendet. Roland-Manuel, belgischer<br />
Musikwissenschaftler, Schüler und enger Freund<br />
Ravels, beschreibt das Werk auch im Bezug auf Äußerungen<br />
Ravels, nach denen dieser daran zweifelte, dass ihm das<br />
Experiment wirklich geglückt sei, folgendermaßen scharfsinnig:<br />
„Diese ernste und zugleich jugendliche Musik erscheint<br />
in ihrer eindringlichen Lieblichkeit als die spontanste,<br />
die Ravel je geschaffen hat. Die mächtigen lyrischen<br />
Aufwallungen durchbrechen aber den unverrückbar klassizistischen<br />
Rahmen nicht; sie bewegen sich dennoch mit<br />
einer so großen Freiheit, daß der Komponist mitunter an<br />
dem Gelingen des Werkes zweifelte. Je stärker ihn diese verborgenen<br />
Kräfte, die ihn unbewußt beherrschten, anzogen,<br />
desto mehr mißtraute er ihnen.“<br />
Die Uraufführung durch das Heyman-Quartett (Heyman,<br />
De Bruyne, Marchet, De Bruyn) fand in einem Konzert der<br />
Pariser Societé Nationale im Saal der Schola Cantorum am<br />
5. März 1904 statt. Die Klassizisten, die den Rom-Preis zu<br />
vergeben hatten (Ravel hatte sich mehrfach vergeblich um<br />
die attraktive Auszeichnung bemüht), konnten gar nichts<br />
damit anfangen, der Widmungsträger Fauré „sparte nicht<br />
mit Kritik. Er hielt den vierten Satz für verkümmert, unausgewogen<br />
– kurz, für mißlungen. Schließlich wurde Debussy<br />
um seine Meinung gebeten. Er beruhigte und beglückwünschte<br />
den Jüngeren und schrieb ihm feierlich beschwörend:<br />
»Im Namen der Götter der Musik und in dem<br />
meinigen, tasten Sie keine einzige Note, die Sie in diesem<br />
Quartett geschrieben haben, mehr an!«“ (Roland-Manuel)<br />
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