KulturFenster Nr. 01|2013 - Februar 2013
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Das Thema<br />
was den Versuch betrifft, den kompositorischen<br />
Wert eines Werkes durch die Frage<br />
nach seiner vorweggenommenen Klassizität<br />
richtig einzuschätzen.<br />
Um Werke der klassischen Musik verstehen<br />
zu können, bedarf es also einer umfangreichen<br />
Bildung, deren größten Teil der<br />
Angehörige der westlichen Kultur präsent<br />
hat, auch wenn er sich nicht dezidiert mit<br />
Bach oder Mozart beschäftigt. Vom Kinderbis<br />
zum Kirchenlied, vom Schlager über<br />
den Gesellschaftstanz, Volks- und Blasmusik<br />
bis hin zur Popmusik: Alles baut<br />
auf Melodien und Harmonien auf, deren<br />
Fortschreitungen selbst dann geläufig sind,<br />
wenn sie analytisch nicht durchschaut werden.<br />
Zusätzlich zu diesem Basiswissen,<br />
das allein durch die Zugehörigkeit zu einer<br />
Kultur vermittelt wird, kommen über<br />
Schule, Musikunterricht und Medien noch<br />
ausreichend historische und musikalische<br />
Kenntnisse hinzu, sodass das Anhören einer<br />
Haydnsinfonie jedem halbwegs gebildeten<br />
Zeitgenossen keine, einer Mahlersinfonie<br />
hingegen durchaus bewältigbare<br />
Schwierigkeiten bereitet.<br />
Bach und Mozart<br />
Das Verweilen auf diesen Basiskenntnissen<br />
der durchschnittlich vermittelten Musikkultur<br />
reicht jedoch in der Regel nicht<br />
aus, um den Abstraktionssprung in das<br />
durch die Abgehobenheit des Kunstgesangs<br />
esoterische Fach der Oper oder die<br />
immer komplexeren Strukturen der klassischen<br />
Moderne zu bewältigen. Ja, zur<br />
Beurteilung einer um historische Korrektheit<br />
bemühten Aufführungspraxis ist bereits<br />
zusätzliches Wissen ebenso notwendig<br />
wie zur Fähigkeit, zwischen der Skylla<br />
einer misstönenden, subventionierten<br />
Avantgarde und der Charybdis trivial-harmonischer<br />
Minimalmusic jene substanziellen<br />
Werke heraus zu filtern, die ohne<br />
Abstriche als Musik der Gegenwart gelten<br />
können. Solche gleichsam sekundärmusikalische<br />
theoretische und formale Kenntnisse<br />
reichen jedoch nicht aus. Vergleichbar<br />
dem Üben am Instrument muss all<br />
dieses Wissen durch das intensive Anhören<br />
neuer Werke ergänzt werden.<br />
Entscheidende Qualifikation<br />
Dieses Hörwissen, das sich möglichst<br />
knapp bis an die Grenze der Zeitgenossenschaft<br />
heran arbeitet, ist sicherlich die<br />
entscheidende Qualifikation, um beurteilen<br />
zu können, was modern ist. Werke<br />
etwa, die mit einer aus aller Welt zusammen<br />
gestohlenen Polyrhythmik prunken,<br />
melodisch im Bereich der Schlagermusik<br />
stehen bleiben und sich gerade einmal in<br />
eine mäßig avancierte Jazzharmonik vorwagen,<br />
müssten dabei als pseudosymphonischer<br />
Kitsch umstandslos ausscheiden.<br />
Dass sie es gerade im Bereich der Musikpädagogik<br />
und des Amateurblasmusikwesens<br />
nicht tun, vielmehr den erfolgreichsten<br />
Teil der so genannten zeitgenössischen<br />
Literatur in diesem Bereich ausmachen,<br />
hängt damit zusammen, dass Hörwissen<br />
allein noch nicht zu einem sicheren Urteil<br />
befähigt, sondern dies erst durch die Modernität<br />
der Lebenswelt des Hörenden oder<br />
Musizierenden ermöglicht wird.<br />
Modernität des eigenen Lebens<br />
Die Frage, was modern sei, kehrt sich<br />
also auf Basis eines umfangreichen Wissens,<br />
was bisher Klassik als das, was übrig<br />
bleibt, war, gegen den Fragenden selbst,<br />
indem sie nunmehr lautet: Wie ist es um<br />
die Modernität deines eigenen Lebens beschaffen?<br />
Glaubst du an einen oder an viele<br />
Götter oder an keinen? Glaubst du an ein<br />
Leben nach dem Tod oder an das Privileg<br />
des kurzen Jetzt? Erschreckt dich die<br />
Vorstellung einer multisexuellen Gesellschaft?<br />
Bist du der Ansicht, Menschenrechte<br />
seien eine Marotte des Abendlands<br />
und nur dort gültig? Erschrickst du vor der<br />
Leere des Nichtwissens, das uns umgibt,<br />
oder tröstest du dich mit den Segnungen<br />
des Glaubens? Hast du nach einer Stunde<br />
Volksmusik das dringende Bedürfnis, dich<br />
in die schrillen Ausbrüche einer Corigliano-<br />
Symphonie zu versenken?<br />
Modern ist, was kompositionstechnisch<br />
vor dem Hintergrund des Kanons der klassischen<br />
Musik bestehen kann und zugleich<br />
emotional den Menschen auf der Höhe der<br />
Zeit in seinem Innersten trifft. Damit ist klar,<br />
dass es niemals eine Liste jener Werke geben<br />
wird, die von einer Priesterschaft von<br />
Redakteuren in den Tempel gültiger Zeitgenossenschaft<br />
zugelassen werden, wie es in<br />
vielen Rundfunkanstalten leider dennoch<br />
geschieht, sondern dass es über diese Liste<br />
immer nur eine intensive Debatte geben<br />
kann: einerseits über die zu billige oder zu<br />
fundamentalistische Handhabung kompositorischer<br />
Regeln und andererseits über<br />
die Qualität dessen, was heute als authentische,<br />
verweigerte oder verfehlte Zeitgenossenschaft<br />
zu bezeichnen ist.<br />
Laptop und Lederhose<br />
Letzteres ist denn auch der Fluch vieler<br />
Blasmusikkonzerte und äußert sich in<br />
Werken, die als modern zelebriert werden,<br />
um die in nationalromantisch ruraler Einfalt<br />
auf der Bühne versammelten Trachtenträger<br />
und ihre künstlerisch leitenden<br />
Obertrachtenträger davor zu bewahren,<br />
als gestrig enttarnt zu werden, obgleich sie<br />
doch alle von der Vereinbarkeit von Laptop<br />
und Lederhose, Wissenschaft und Hildegard<br />
von Bingen, Religion und, um zu<br />
Kant zurückzukehren, Aufklärung träumen.<br />
Immerhin: Sie träumen noch und<br />
lassen Neues zu, auch wenn aufgrund<br />
der unüberbrückbaren Widersprüche ihrer<br />
Lebensentwürfe nur Halbgares dabei<br />
herauskommen kann. Sie äußern damit<br />
zumindest eine Sehnsucht nach Befreiung<br />
aus der Enge überholter Sitten und<br />
Weltbilder. Ganz im Gegensatz zu jenen,<br />
die zum nächstbesten Wagner- und/oder<br />
Verdifestival reisen, um dort jeden Preis zu<br />
bezahlen und ihre schrottreifen Seelen in<br />
den abgelebten Germanen- oder Conte-<br />
Träumen von Hochkultur wieder aufzumöbeln:<br />
Sie, die das Bad im klassischen<br />
Kanon ohne Interesse am Gegenwärtigen<br />
als kulturelles Engagement bezeichnen,<br />
sind die wahren distinktionsgeilen Modernitätsverweigerer.<br />
Und sie sind durch die fast maßlose<br />
Subventionierung ihrer antiquierten Lüste<br />
auch verantwortlich dafür, dass die<br />
Frage, was modern sei, überhaupt erst<br />
gestellt werden muss. Denn durch ihre<br />
Ignoranz wurde, zumindest in der Musik,<br />
die Moderne nahezu flächendeckend aus<br />
dem Konzert- und Opernbetrieb verdrängt<br />
und in die Reservate einer publikumslosen<br />
Avantgarde verbannt.<br />
Alois Schöpf<br />
6<br />
<strong>KulturFenster</strong>