08.01.2016 Aufrufe

ASO-Augsburg Süd-Ost, Januar 2016

Stadtteilmagazin für Augsburg-Hochzoll, -Herrenbach, -Spickel, -Textilviertel und Friedberg-West.

Stadtteilmagazin für Augsburg-Hochzoll, -Herrenbach, -Spickel, -Textilviertel und Friedberg-West.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>ASO</strong>! <strong>Januar</strong> <strong>2016</strong><br />

7<br />

Gebrüder Bernheim aus Hochzoll:<br />

Frühzeitig die Zeichen der Zeit erkannt<br />

Kurz vor der Schranke [an der Bahnlinie<br />

nach Ingolstadt], rechter Hand, war der<br />

Betrieb der Gebrüder Bernheim, Hartpapierwarenherstellung.<br />

Sie machten wasserdichte<br />

Behälter, Wannen und Eimer aus<br />

gepresster, verleimter und dann überlackierter<br />

Papiermasse. Die Gebrüder Bernheim<br />

waren jüdische Kaufleute, die später<br />

nach England auswanderten. Die Villa der<br />

Fabrikanten ist heute ein Mietshaus, Peterhofstraße<br />

33.<br />

So erinnerte sich Anna Haugg in einer Broschüre<br />

des Alt-Hochzoll-Kreises, die 1989<br />

zum Stadtteil fest erschienen ist. Ihr Artikel<br />

gibt einen der wenigen Hinweise darauf,<br />

dass auch in Hochzoll vor 1933 Juden lebten.<br />

Äußerlich dürfte sich das Haus Peterhofstraße<br />

33 seither kaum verändert haben.<br />

Die damaligen Fabrikanten, die Brüder<br />

Alfred und Friedrich (Fritz) Bernheim, sind<br />

in <strong>Augsburg</strong> geboren (29.10.1899 bzw.<br />

17.1.1901). Ihre Eltern, der Kaufmann Adolf<br />

Bernheim (1867-1934) und seine Frau Adelheid,<br />

geb. Schlesinger, hatten 1898 geheiratet.<br />

Sie wohnten zunächst in <strong>Augsburg</strong><br />

in der Bahnhof straße 5. Die Eltern zogen<br />

später nach München; sie kauften das Anwesen<br />

Peter hofstraße 33 im Jahre 1919. (Es<br />

gab auch eine Familie Bernheim in Pfersee,<br />

der die dortige Chemische Fabrik R. Bernheim<br />

gehörte; sie waren mit dieser Familie<br />

wohl nicht verwandt.)<br />

Die Gebrüder Bernheim in Hochzoll stellten<br />

laut Einwohnerbuch „Holzstoffwaren“<br />

her; Anna Haugg bezeichnet die Erzeugnisse<br />

wohl etwa gleich bedeutend als „Hartpapierwaren“.<br />

Was hat man sich darunter<br />

vorzustellen? Es geht um mit Kunstharz getränkte<br />

Papiere, die durch die Imprägnierung<br />

wasserfest und formbar werden. Über<br />

ein in Polen befind li ches Unter nehmen<br />

dieser Branche heißt es:<br />

In den 30-iger und 40-iger Jahren produzierten<br />

die fast 60 Mitarbeiter der Fabrik<br />

unter dem Firmennamen „Erich Frost <strong>Ost</strong>deutsche<br />

Holzstoffwerke“ die aus Holzschliff<br />

gepressten Becher, Eimer, Wannen,<br />

Eisbecher und Brotkörbchen sowie die aus<br />

Pappe gepressten Tabletts und verschiedene<br />

Untersätze. Insgesamt waren das ca. 70<br />

Produktsorten, die sowohl auf dem inländischen<br />

Markt als auch im Ausland unter<br />

dem Handelszeichen „Silesia Holzstoffwaren”<br />

verkauft wurden. (Damian Chamski)<br />

Der Verkauf des Anwesens am Peterhof<br />

fand am 14. November 1933 statt. Offenbar<br />

sahen Alfred und Fritz Bernheim schon zu<br />

diesem Zeitpunkt ziemlich klar, welche Gefahr<br />

die Herr schaft des Nationalsozialismus<br />

für Juden bedeutete. Sie verkauften die<br />

Maschinerie ihrer Firma an die u.a. in London<br />

tätige Papp machéfabrik Adt; vermutlich<br />

hofften sie, für diese Firma in England,<br />

wohin sie flohen, tätig werden zu können.<br />

Dorthin wollten sie dann auch die Eltern<br />

nach holen. Dieser Plan ließ sich jedoch<br />

nicht verwirklichen.<br />

Die Käufer der Immobilie am Peterhof<br />

waren Ludwig und Xaver Trieb, Bau unternehmer<br />

in Friedberg-West. Der Kaufpreis<br />

betrug 55 500 Reichsmark. Die Käufer<br />

über nahmen damit lediglich die in dieser<br />

Höhe bestehenden Hypo theken; Geld<br />

wurde nicht bezahlt. Nach Angaben des<br />

Anwalts, der nach dem Krieg den Antrag<br />

auf Rückerstattung formulierte, hätte der<br />

tatsächliche Wert damals etwa bei 100 000<br />

bis 120 000 Reichsmark gelegen. Der Verkauf<br />

umfasste: „Wohnhaus Peterhofstrasse<br />

33 in <strong>Augsburg</strong>-Hochzoll ‚der Peterhof‘ mit<br />

Eiskeller und Autohalle, Fabrikgebäude,<br />

Lagerhalle, Stall mit Remise und Hofraum“,<br />

ferner einen Obst- und Gemüsegarten mit<br />

Gewächshaus, Garten-Gebäude, Gärtnerei,<br />

mehrere Gartengrundstücke und eine<br />

„Lechfeldwiese“, insgesamt 3,5 Hektar.<br />

Aus dem <strong>Augsburg</strong>er Einwohnerbuch 1932<br />

(Staats- und Stadtbibliothek)<br />

Die Mutter Adele Bernheim floh später<br />

nach London und starb dort im Juli 1946.<br />

Es gibt ein Schreiben von Fritz Bernheim<br />

1936 aus London an den neuen Eigentümer,<br />

Herrn Trieb, dem er über die familiäre<br />

Situation fol gen des mitteilt:<br />

Herrn A. Bernheim geht es soweit ganz gut,<br />

jedenfalls besser als letztes Jahr & lässt er Ihnen<br />

für Ihre Erkundigung bestens danken.<br />

Er hat noch keinerlei Beschäftigung finden<br />

können, da es hier ja auch sehr schwierig<br />

ist, auch mit der Sprache etc. Sonst gehts<br />

allen alten Hochzollern gut soweit.<br />

Das lässt vermuten, dass damals mehrere<br />

Hoch zoller nach London ausgewandert<br />

sind, nicht nur die Brüder Bernheim; darüber<br />

ist aber derzeit nichts bekannt. Alfred<br />

Bernheim verstarb am 4.6.1946.<br />

Im Staatsarchiv <strong>Augsburg</strong> liegt die nach<br />

dem Krieg entstandene Wiedergutmachungsakte,<br />

der auch der zitierte Brief<br />

an Herrn Trieb (in Abschrift) beiliegt. Der<br />

überlebende Fritz Bernheim bean tragte<br />

nach dem Krieg eine Rücker stattung des<br />

Anwesens Peterhofstraße 33, weil der<br />

Kaufpreis vor dem Hintergrund der bereits<br />

begonnenen Verfolgung viel zu niedrig<br />

war. Der Rechtsanwalt von Fritz Bernheim<br />

Blick auf das Gebäude Peterhofstraße 33<br />

Foto: Friedrichs (2013)<br />

führte zur Begründung unter anderem aus<br />

(Schreiben vom 17.12.1948):<br />

Die Eheleute Bernheim waren Juden. Sie<br />

hatten das Grundstück ihren Söhnen zum<br />

Wohnen und zum Betreiben einer Holzstoffwarenfabrik<br />

überlassen. Die Firma bekam<br />

im Laufe des Jahres 1933 erhebliche<br />

geschäftliche und persönliche Schwierigkeiten<br />

wegen der jüdischen Abstammung<br />

ihrer Inhaber. Es wurde sogar eine Demonstration<br />

der SA inszeniert. Die Familie<br />

Bernheim erkannte daher, daß sie sich<br />

nicht länger in Deutschland halten konnte,<br />

und der Antragsteller entschloss sich, nach<br />

England auszuwandern. Sobald die Söhne<br />

in England Fuß gefasst hatten, sollten die<br />

Eltern nachkommen und da die Firma auf<br />

dem Gelände Hochzoll nicht mehr weiter<br />

betrieben werden konnte, musste das<br />

Grundstück so rasch als möglich verkauft<br />

werden.<br />

Dieses Verfahren endete am 28. November<br />

1949 mit einem Vergleich. Auch vor 1933<br />

war offenbar die Geschäftslage der Gebrüder<br />

Bernheim bereits schwierig, was angesichts<br />

der Wirtschaftskrise von 1929 nicht<br />

über raschen kann. Außerdem konnte die<br />

Erbin der Bauunternehmer Trieb das zitierte<br />

Schreiben von 1936 aus London vorlegen,<br />

in dem die Gebrüder Probleme bei<br />

der Nutzung des Anwesens Peterhofstraße<br />

33 aner kannt hatten. Die Rück erstattung<br />

konnte Fritz Bernheim nicht durch setzen;<br />

der Vergleich sah vor, dass er eine Nachzahlung<br />

von 4 500 DM erhalten würde,<br />

zahlbar in monatlichen Raten zu 100 DM.<br />

Aus den verfügbaren Unterlagen gewinnt<br />

man den Eindruck, dass die Gebrüder<br />

Bernheim frühzeitig die Zeichen der Zeit<br />

erkannten. Sie reagierten rasch auf die<br />

Machtübernahme der National sozialisten<br />

und verließen Hochzoll noch 1933. Sie erlitten<br />

auf diese Weise erhebliche finanzielle<br />

Einbußen, konnten aber ihr Leben retten.<br />

M. Friedrichs<br />

Quellen:<br />

Anna Haugg, „Die Oberau: Erinnerungen aus meiner<br />

Schulzeit“, in: Alte Hochzoller erzählen von ihrem<br />

Stadtteil, einst und jetzt, hrsg. vom Alt-Hochzoll-Kreis<br />

1989.<br />

Familienbögen im Stadtarchiv <strong>Augsburg</strong><br />

Adressbücher in der Staats- und Stadtbibliothek <strong>Augsburg</strong><br />

Wiedergutmachungsakte Bernheim im Staatsarchiv<br />

<strong>Augsburg</strong><br />

Umfangreicher Wikipedia-Eintrag zu „Pappmachédynastie<br />

Adt“<br />

Damian Chamski, „Geschichte der Fabrik für imprägnierte<br />

Gefäße aus Holzschliff in Wilkanów“,<br />

http://rocznik.muzpap.pl/pdfy/rocznik1niem.pdf

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!