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Cruiser im Februar 2016

Cruiser - das grösste Gay-Magazin geht in dieser Ausgabe der Frage nach: Wie ist es eigentlich, wenn man schwul und alt ist? Ausserdem: Alles über die CVP Initiative und...was bringt dir das Jahr 2016? Der grosse Test!

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28 Serie<br />

MANNSBILD 29<br />

Mannsbild – Berufsbild<br />

BERUFSBILD<br />

Der Physiker<br />

mit Konzertdiplom<br />

Oliver Fritz ist Naturwissenschaftler durch und durch, dessen täglich Brot<br />

hochkomplexe Fragestellungen sind. In einem Schweizer Weltkonzern<br />

leitet er ein Forschungsteam. Auf ebenfalls hohem Niveau lebt der gebürtige<br />

Basler aber zugleich seine musische Ader aus.<br />

VON andreas Faessler<br />

E<br />

s gehört wohl zu den Schulfächern, die<br />

man entweder liebt oder hasst: Physik.<br />

Der Autor der folgenden Zeilen gehörte<br />

an der Mittelschule zur zweiten Gruppe.<br />

Der von ihm leidenschaftlich verabscheute<br />

Physikunterricht war ihm stets zu zahlenlastig,<br />

zu komplex, zu Bahnhof – die Naturgesetze<br />

funktionieren ja auch einwandfrei ohne<br />

dieses Wissen, so die s<strong>im</strong>pel gestrickte Einstellung.<br />

Doch jedermann weiss, dass –<br />

wenn man nur einen einzigen Schritt weiter<br />

denkt –, in der <strong>im</strong>mer mehr automatisierten<br />

Welt kaum ein Handgriff <strong>im</strong> Alltag möglich<br />

wäre ohne studierte Wissenschaftler. Es sind<br />

Menschen wie Oliver Fritz, deren Berufung es<br />

ist, Technik zu entwickeln und zu verbessern,<br />

die unsere <strong>im</strong>mer stärker geforderte Infrastruktur<br />

am Laufen halten. Der gebürtige<br />

Riehener entdeckte sein Interesse an den Naturwissenschaften<br />

bereits zu Pr<strong>im</strong>arschulzeiten.<br />

Der Weg dahin war insofern bereits geebnet,<br />

als sein Vater Chemiker war und sein<br />

Bruder als Biologe ebenfalls den naturwissenschaftlichen<br />

Weg einschlug. Für Oliver Fritz<br />

war es schliesslich die Wissenschaft der Physik,<br />

für deren Studium er sich 1984 an der<br />

Universität Basel <strong>im</strong>matrikulierte. «Physik<br />

war eben meine Stärke», erinnert sich der<br />

heute 51-Jährige an seine Schulzeit. «Diese<br />

Wissenschaft lässt sich durch Logik und Zusammenhänge<br />

ergründen», erklärt er. «Eine<br />

andere Naturwissenschaft wie Medizin beispielsweise<br />

wäre für mich nicht in Frage gekommen,<br />

weil dieses Studium viel Auswendiglernen<br />

bedingt. Das ist nicht so meins.»<br />

Sekundärtechnik für Hochspannungseinrichtungen<br />

Nach dem Physikstudium war der Basler fünf<br />

«Hat man früher<br />

schadhaft gewordene<br />

Apparate einfach ersetzt,<br />

so wird heute vielmehr<br />

Wert auf Langlebigkeit<br />

und Service gelegt.»<br />

Jahre lang als Assistent und Doktorand am<br />

Institut für Physik seiner He<strong>im</strong>atuniversität<br />

angestellt. Anschliessend zog es ihn nach<br />

England, wo er rund eineinhalb Jahre am Rutherford<br />

Appleton Laboratory in Oxford arbeitete.<br />

«Eine grandiose Erfahrung, nicht nur<br />

was die Arbeit betrifft», wie Oliver Fritz rückblickend<br />

sagt. Zurückgekehrt in die Schweiz,<br />

arbeitete der Physiker für eine kurze Zeit am<br />

Paul Scherrer Institut in Villigen und wechselte<br />

danach zum ABB Forschungszentrum in<br />

Baden. Im November 2014 trat er zur ABB<br />

Niederlassung in Oerlikon über, wo er ein<br />

Forschungsteam auf dem Gebiet der Hochspannungstechnik<br />

leitet. Klingt nach einer<br />

komplexen Materie – und das ist sie auch.<br />

Fritz: «Wir entwickeln Sekundärtechnik für<br />

Hochspannungseinrichtungen wie beispielsweise<br />

Mess- oder Regelinstrumente.» Welche<br />

Messtechnik braucht es, um die Apparate zu<br />

kontrollieren und am Laufen zu halten? Welches<br />

sind die richtigen D<strong>im</strong>ensionen der Apparate?<br />

Wie müssen die Bestandteile beschaffen<br />

sein, um über die nötige Langlebigkeit zu<br />

verfügen? Die Sekundärapparaturen werden<br />

bis aufs kleinste Detail <strong>im</strong> Team durchgeplant,<br />

das Konzept mit Computerprogrammen erarbeitet<br />

und die Bestandteile anschliessend extern<br />

oder teils auch intern für die Produktion<br />

in Auftrag gegeben. «Ist alles fertig, bauen wir<br />

die Geräte zusammen», erklärt Oliver Fritz.<br />

Von der Idee bis zur seriellen, kostengünstigen<br />

Herstellung eines neu entwickelten<br />

Produktes vergehe oft viel Zeit, führt der<br />

Physiker aus. Aktuell arbeitet er mit seinem<br />

Team unter anderem an einem neuen, weiterentwickelten<br />

Produkt, mit dem sich die<br />

Qualität und Funktionstüchtigkeit eines Gerätes,<br />

beispielsweise einer Schaltanlage über<br />

Jahre messen lässt. «Hat man früher schadhaft<br />

gewordene Apparate einfach ersetzt, so<br />

wird heute vielmehr Wert auf Langlebigkeit<br />

und Service gelegt.»<br />

Auch die Naturwissenschaft<br />

kennt Modeströmungen<br />

Spannend ist, dass, obschon die Physik pr<strong>im</strong>är<br />

unumstössliche Gesetzmässigkeiten der Natur<br />

definiert, diese Wissenschaft ebenfalls einem<br />

Zeitgeist folgt – zumindest in der Wahrnehmung<br />

der Gesellschaft. «In den 1980er-Jahren<br />

etwa waren Festkörper und Flüssigkeiten und<br />

deren Wechselwirkungen in Mode», sagt Oliver<br />

Fritz. «Danach galt das allgemeine Interesse<br />

vor allem dem Weltall. Teleskope weckten<br />

das Interesse an Theorien um den Urknall.<br />

Aber auch Teilchenforschung wie sie am Cern<br />

betrieben wird.» All das könne sich bald wieder<br />

ändern. «Als ich jung war, faszinierte mich<br />

vor allem die Biophysik», fügt der Basler an.<br />

Angesichts all dieser sehr hochstehend<br />

klingenden und für Laien kaum ergründlichen<br />

Materie mag sich das landläufige Klischee<br />

aufdrängen, dass Naturwissenschaftler<br />

engstirnige, bünzlige, verschlossene und allgemein<br />

eher seltsame Kauze sind. «Dieses Vorurteil<br />

trifft nicht zu», winkt Oliver Fritz ab und<br />

n<strong>im</strong>mt sein eigenes berufliches Umfeld bei der<br />

ABB als Beispiel, wo man <strong>im</strong> Team sehr offen<br />

und auch kameradschaftlich miteinander umgeht.<br />

«Und die sexuelle Orientierung des anderen<br />

etwa interessiert hier erst recht keinen. Das<br />

soll auch so sein», findet er und würdigt die<br />

weltweit geltende Firmenpolicy der ABB, die<br />

jegliche Diskr<strong>im</strong>inierung untersagt.<br />

«Auch Musik sollte meine Zukunft<br />

prägen»<br />

Angesprochen auf seine Einstellung gegenüber<br />

Religion, antwortet Oliver Fritz, wie<br />

man es von einem Naturwissenschaftler erwarten<br />

würde: «Zwischen dem religiösen und<br />

dem naturwissenschaftlichen Weltbild gibt es<br />

fundamentale Unterschiede. Ich vertrete das<br />

naturwissenschaftliche. In der Physik werden<br />

alte Erkenntnisse regelmässig über den Haufen<br />

geworfen. In der Religion findet so etwas<br />

nicht statt.» Spirituell <strong>im</strong> religiösen Sinne ist<br />

der Basler also kaum, aber seiner Berufung<br />

als Physiker steht etwas anderes, weithin<br />

Konträres gegenüber: Oliver Fritz ist leidenschaftlicher<br />

Musiker. Dazu war er gekommen<br />

«Ich betrachte die Musik<br />

nicht unbedingt als<br />

Ausgleich zu meinem<br />

naturwissenschaftlichen<br />

Beruf.»<br />

wie die Jungfrau zum Kinde – von einem<br />

Schlüsselerlebnis spricht er heute. «Nach einem<br />

Jahr Physikstudium verbrachte ich ein<br />

Wochenende mit Musikstudenten. Dann war<br />

mir wie angeworfen klar: Musik wird meine<br />

Zukunft ebenfalls prägen.» Er trat in die<br />

Hochschule für Musik in Basel ein – vier Jahre<br />

später schloss er das Musikstudium erfolgreich<br />

ab. Mit Konzertdiplom Klavier. Danach<br />

nahm er das Physikstudium wieder auf und<br />

schloss ein Jahr später auch dieses ab.<br />

«Ich betrachte die Musik nicht unbedingt<br />

als Ausgleich zu meinem naturwissenschaftlichen<br />

Beruf», sagt Oliver Fritz. Es sei<br />

vielmehr die handwerkliche Tätigkeit be<strong>im</strong><br />

Musizieren, die ihn reize, und die Tatsache,<br />

dass sich beispielsweise bei einem Konzert alles<br />

auf einen Moment konzentriere. «Obschon<br />

die Physik be<strong>im</strong> Musizieren an sich<br />

ganz weg ist, so bleibt dennoch ein gewisser<br />

rationaler Teil der Musik übrig, bei dem einige<br />

Aspekte physikalisch und mathematisch<br />

erklärbar sind. Diesen analytischen Teil habe<br />

ich dann zuweilen auch be<strong>im</strong> Musizieren vor<br />

Augen.» Bis heute ist die Musik ebenso präsent<br />

in Oliver Fritz’ Leben wie die Physik.<br />

Auftritte mit Kammermusikensemble oder<br />

als Begleiter am Klavier von Instrumentaloder<br />

Gesangssolisten und gemeinsam mit<br />

Kabarett- und Kleinkunstproduktionen stehen<br />

regelmässig in seiner Agenda.<br />

Und auch in der Liebe hat sich unlängst<br />

etwas getan be<strong>im</strong> 51-jährigen Physiker mit<br />

Piano-Konzertdiplom: Seit knapp über einem<br />

Jahr lebt er in einer Partnerschaft.<br />

«Mein Freund hat zwar auch andere Interessen»,<br />

sagt er, «aber wir ergänzen uns sehr.»<br />

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CRUISER FEBRUAR <strong>2016</strong> CRUISER FEBRUAR <strong>2016</strong>

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