einSteiger 2015
Regionaljournal einSteiger
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Die meisten Funde sind für den<br />
Laien unscheinbar, für den Archäologen<br />
jedoch aufschlussreich.<br />
Würzburger Studenten haben<br />
ein Quadratmeter-Raster angelegt.<br />
Sorgfältig tragen sie die Erde ab.<br />
Ob der Berliner Goldhut<br />
vom Bullenheimer Berg<br />
stammt, ist ungewiss.<br />
Dr. Markus Schußmann<br />
erläutert die Geländearbeit<br />
der Archäologen.<br />
Vom berühmten Berliner Goldhut<br />
kann man beispielsweise nur vermuten,<br />
dass er im süddeutschen Raum<br />
gefunden wurde. Der Kalender-Hut<br />
wurde 1996 auf dem internationalen<br />
Kunstmarkt als bronzezeitliches Artefakt<br />
vom Berliner Museum für Vorund<br />
Frühgeschichte aufgekauft und<br />
ist seither ein Aushängeschild des<br />
Museums. Nach Angaben des Verkäufers<br />
stammte das Stück ursprünglich<br />
aus einer anonymen Schweizer<br />
Sammlung, die in den 50er und 60er<br />
Jahren des 20. Jahrhunderts aufgebaut<br />
worden sei. Der genaue Fundort<br />
wird sich wohl nie mehr bestimmen<br />
lassen – vereinzelt wird aber vermutet,<br />
dass der Goldhut möglicherweise<br />
vom Bullenheimer Berg stammt.<br />
Stadtähnliche Strukturen<br />
In den 80er Jahren wurden vorwiegend<br />
die Befestigungsanlagen<br />
von der Würzburger Außenstelle des<br />
Landesamts für Denkmalpflege erforscht<br />
und in Zusammenarbeit mit<br />
der Uni Würzburg wissenschaftliche<br />
Ausgrabungen durchgeführt. Daneben<br />
gab es jene privaten Sondengänger,<br />
die ihre Funde, wenn überhaupt,<br />
mit Verspätung an das Landesamt<br />
für Denkmalpflege meldeten.<br />
Dennoch können die Würzburger<br />
Wissenschaftler – heute das Team<br />
um Professor Frank Falkenstein –<br />
etliche gesicherte Aussagen zum<br />
Bullenheimer Berg treffen. Die Archäologen<br />
gehen davon aus, dass das<br />
Gemeinwesen in der Urnenfelderzeit<br />
stadtähnlichen Charakter hatte, ja<br />
ein Zentralort war. Die Funde deuten<br />
auf verschiedenste Handwerke<br />
hin. Zugleich ist von einem religiösen<br />
und herrschaftlichen Zentrum<br />
die Rede, dem möglicherweise ein<br />
Priester(-könig?) vorstand. Die Bronzeschmiede<br />
und andere Handwerker<br />
dieser prähistorischen „Stadt“ arbeiteten<br />
nicht nur für den lokalen Bedarf.<br />
Sie versorgten wohl auch die<br />
Landbevölkerung im weiten Umkreis<br />
mit ihren Waren.<br />
Falkenstein beschreibt im Band 5<br />
der Schriftenreihe des Städtischen<br />
Museums Kitzingen, dass im 9.<br />
Jahrhundert v. Chr. mehr als tausend<br />
Einwohner den Bullenheimer Berg<br />
besiedelten. An der Wende vom 9.<br />
zum 8. Jahrhundert hingegen verließen<br />
die Bewohner den Bullenheimer<br />
Berg, der damit das Schicksal der<br />
meisten anderen Höhensiedlungen<br />
Süddeutschlands in dieser Zeit teilt.<br />
Die Archäologen vermuten, dass<br />
eine anhaltende Klimaabkühlung die<br />
wirtschaftlichen Grundlagen der Siedlung<br />
empfindlich geschwächt hat.<br />
Digitales Geländemodell<br />
2010 begann der Lehrstuhl für vorund<br />
frühgeschichtliche Archäologie<br />
an der Universität Würzburg mit<br />
den aktuell andauernden Feldforschungen<br />
– auch im unmittelbaren<br />
Umland des Berges. Er kooperierte<br />
mit dem Archäologischen Netzwerk<br />
Kitzinger Land, einem Zusammenschluss<br />
von Laien unter Leitung des<br />
Städtischen Museums Kitzingen.<br />
Die erste archäologische Maßnahme<br />
war ein Airborne-Laserscanning. Ein<br />
Ultraleichtflugzeug mit einem GPSgesteuerten<br />
Laserscanner überflog<br />
das Untersuchungsgebiet. In kurzen<br />
Intervallen werden bei dieser Methode<br />
Impulse zum Boden gesandt.<br />
Durch die Laufzeit des Echos wird<br />
der Abstand zum Boden gemessen.<br />
So wurde ein digitales Geländemodell,<br />
eine hochpräzise dreidimensionale<br />
Karte, erstellt. Finanziert wurde<br />
der Geländescan von den Gemeinden<br />
Seinsheim und Ippesheim, vom<br />
Landratsamt Kitzingen, der unter-<br />
fränkischen Kulturstiftung, dem<br />
Bezirk Mittelfranken sowie durch<br />
die Sparkassenstiftungen Kitzingen<br />
und Neustadt/Aisch.<br />
Auf dieser Grundlage haben Studenten<br />
der Universität Würzburg<br />
das 32 Hektar große Bergplateau<br />
begangen und alle Funde mit einem<br />
GPS-Empfänger zentimetergenau<br />
eingemessen.<br />
Natürliches Vakuum für<br />
die Konservierung<br />
Mit diesen Daten arbeiten die<br />
Archäologen in der Innenfläche<br />
unter der Leitung von Privatdozent<br />
Dr. Markus Schußmann seit 2012.<br />
So sollen an verschiedenen Stellen<br />
des Plateaus die vorgeschichtlichen<br />
Siedlungsstrukturen und -abläufe erhellt<br />
werden. Über ein interessantes<br />
Lagerungsverfahren von Getreide berichtete<br />
Schußmann während eines<br />
Besuchs der <strong>einSteiger</strong>-Redaktion<br />
an der Grabungsstelle im Sommer<br />
2014: Das Getreide, das man in<br />
erster Linie für die nächstjährige<br />
Aussaat brauchte, wurde in einer<br />
Grube luftdicht mit Erde bedeckt,<br />
so dass nach einem Auskeimen des<br />
Korns am Grubenrand ein natürliches<br />
Vakuum entstand. Da wo kein<br />
Sauerstoff mehr war, gab es auch keine<br />
Mäuse und keinen Schimmel, die<br />
die Saat hätten verderben können.<br />
Diese Art von prähistorischer<br />
Vorratshaltung erkennen die Archäologen<br />
anhand ihrer detaillierten<br />
Bodenbeobachtungen, bei denen der<br />
Laie höchstens unterschiedlich gefärbte<br />
Erde sieht. Als angebaute Getreidearten<br />
ließen sich Gerste, Weizen,<br />
Emmer, Einkorn und Dinkel<br />
sowie Hirse belegen. Hülsenfrüchte<br />
wie Erbsen, Linsen und Ackerbohnen<br />
kommen hinzu. Tierknochen<br />
hingegen haben sich aufgrund des<br />
sauren Bodens kaum erhalten und<br />
nur das Rind konnte daher bislang<br />
zweifelsfrei als Haustier nachgewiesen<br />
werden. Ob die Versorgung aus<br />
dem Umland erfolgte oder die Bauern<br />
auch innerhalb der Mauern saßen,<br />
muss allerdings erst durch zukünftige<br />
Forschungen geklärt werden.<br />
Mit einem Intermezzo im Mittelalter,<br />
in dem die Hochfläche<br />
kurzzeitig unter dem Pflug stand,<br />
ist der Bullenheimer Berg seit dem<br />
vorgeschichtlichen Siedlungsende<br />
bewaldet. Dies schützte ihn nicht<br />
nur vor größeren menschlichen Bodeneingriffen,<br />
sondern auch vor Erosion.<br />
Anders als auf vielen anderen<br />
Höhensiedlungen in Nordbayern ist<br />
daher großflächig eine prähistorische<br />
Siedlungsschicht erhalten. Deswegen<br />
gibt es dort mehr Funde als anderswo,<br />
wenn auch kaum noch einen aus<br />
Metall. Nur so ist es den Forschern<br />
des 21. Jahrhunderts überhaupt<br />
möglich, bis in 70 Zentimeter Tiefe<br />
Quadratmeterraster anzulegen<br />
und die Siedlung systematisch<br />
und detailliert zu erforschen.<br />
Frühe Handwerkskunst<br />
In den bisher untersuchten<br />
Bereichen des Plateaus gab sich<br />
eine aus aufgereihten Einzelhöfen<br />
bestehende Grundstruktur zu erkennen.<br />
Um einen freien Hofplatz gruppieren<br />
sich dabei ein etwas größeres<br />
Wohn- und ein oder vielleicht auch<br />
zwei kleinere Wirtschaftsgebäude<br />
(Scheune, Speicher etc.). Sogenannte<br />
Trittpflanzen wie etwa Spitzwegerich<br />
und Vogelknöterich lassen auf<br />
ein fest etabliertes Wegenetz schließen.<br />
Die Häuser waren aus in regelmäßiger<br />
Anordnung in den Boden<br />
eingegrabenen Holzpfosten aufgerichtet<br />
worden. Ihre Wände bestanden<br />
aus Holzplanken oder aus<br />
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