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Die meisten Funde sind für den<br />

Laien unscheinbar, für den Archäologen<br />

jedoch aufschlussreich.<br />

Würzburger Studenten haben<br />

ein Quadratmeter-Raster angelegt.<br />

Sorgfältig tragen sie die Erde ab.<br />

Ob der Berliner Goldhut<br />

vom Bullenheimer Berg<br />

stammt, ist ungewiss.<br />

Dr. Markus Schußmann<br />

erläutert die Geländearbeit<br />

der Archäologen.<br />

Vom berühmten Berliner Goldhut<br />

kann man beispielsweise nur vermuten,<br />

dass er im süddeutschen Raum<br />

gefunden wurde. Der Kalender-Hut<br />

wurde 1996 auf dem internationalen<br />

Kunstmarkt als bronzezeitliches Artefakt<br />

vom Berliner Museum für Vorund<br />

Frühgeschichte aufgekauft und<br />

ist seither ein Aushängeschild des<br />

Museums. Nach Angaben des Verkäufers<br />

stammte das Stück ursprünglich<br />

aus einer anonymen Schweizer<br />

Sammlung, die in den 50er und 60er<br />

Jahren des 20. Jahrhunderts aufgebaut<br />

worden sei. Der genaue Fundort<br />

wird sich wohl nie mehr bestimmen<br />

lassen – vereinzelt wird aber vermutet,<br />

dass der Goldhut möglicherweise<br />

vom Bullenheimer Berg stammt.<br />

Stadtähnliche Strukturen<br />

In den 80er Jahren wurden vorwiegend<br />

die Befestigungsanlagen<br />

von der Würzburger Außenstelle des<br />

Landesamts für Denkmalpflege erforscht<br />

und in Zusammenarbeit mit<br />

der Uni Würzburg wissenschaftliche<br />

Ausgrabungen durchgeführt. Daneben<br />

gab es jene privaten Sondengänger,<br />

die ihre Funde, wenn überhaupt,<br />

mit Verspätung an das Landesamt<br />

für Denkmalpflege meldeten.<br />

Dennoch können die Würzburger<br />

Wissenschaftler – heute das Team<br />

um Professor Frank Falkenstein –<br />

etliche gesicherte Aussagen zum<br />

Bullenheimer Berg treffen. Die Archäologen<br />

gehen davon aus, dass das<br />

Gemeinwesen in der Urnenfelderzeit<br />

stadtähnlichen Charakter hatte, ja<br />

ein Zentralort war. Die Funde deuten<br />

auf verschiedenste Handwerke<br />

hin. Zugleich ist von einem religiösen<br />

und herrschaftlichen Zentrum<br />

die Rede, dem möglicherweise ein<br />

Priester(-könig?) vorstand. Die Bronzeschmiede<br />

und andere Handwerker<br />

dieser prähistorischen „Stadt“ arbeiteten<br />

nicht nur für den lokalen Bedarf.<br />

Sie versorgten wohl auch die<br />

Landbevölkerung im weiten Umkreis<br />

mit ihren Waren.<br />

Falkenstein beschreibt im Band 5<br />

der Schriftenreihe des Städtischen<br />

Museums Kitzingen, dass im 9.<br />

Jahrhundert v. Chr. mehr als tausend<br />

Einwohner den Bullenheimer Berg<br />

besiedelten. An der Wende vom 9.<br />

zum 8. Jahrhundert hingegen verließen<br />

die Bewohner den Bullenheimer<br />

Berg, der damit das Schicksal der<br />

meisten anderen Höhensiedlungen<br />

Süddeutschlands in dieser Zeit teilt.<br />

Die Archäologen vermuten, dass<br />

eine anhaltende Klimaabkühlung die<br />

wirtschaftlichen Grundlagen der Siedlung<br />

empfindlich geschwächt hat.<br />

Digitales Geländemodell<br />

2010 begann der Lehrstuhl für vorund<br />

frühgeschichtliche Archäologie<br />

an der Universität Würzburg mit<br />

den aktuell andauernden Feldforschungen<br />

– auch im unmittelbaren<br />

Umland des Berges. Er kooperierte<br />

mit dem Archäologischen Netzwerk<br />

Kitzinger Land, einem Zusammenschluss<br />

von Laien unter Leitung des<br />

Städtischen Museums Kitzingen.<br />

Die erste archäologische Maßnahme<br />

war ein Airborne-Laserscanning. Ein<br />

Ultraleichtflugzeug mit einem GPSgesteuerten<br />

Laserscanner überflog<br />

das Untersuchungsgebiet. In kurzen<br />

Intervallen werden bei dieser Methode<br />

Impulse zum Boden gesandt.<br />

Durch die Laufzeit des Echos wird<br />

der Abstand zum Boden gemessen.<br />

So wurde ein digitales Geländemodell,<br />

eine hochpräzise dreidimensionale<br />

Karte, erstellt. Finanziert wurde<br />

der Geländescan von den Gemeinden<br />

Seinsheim und Ippesheim, vom<br />

Landratsamt Kitzingen, der unter-<br />

fränkischen Kulturstiftung, dem<br />

Bezirk Mittelfranken sowie durch<br />

die Sparkassenstiftungen Kitzingen<br />

und Neustadt/Aisch.<br />

Auf dieser Grundlage haben Studenten<br />

der Universität Würzburg<br />

das 32 Hektar große Bergplateau<br />

begangen und alle Funde mit einem<br />

GPS-Empfänger zentimetergenau<br />

eingemessen.<br />

Natürliches Vakuum für<br />

die Konservierung<br />

Mit diesen Daten arbeiten die<br />

Archäologen in der Innenfläche<br />

unter der Leitung von Privatdozent<br />

Dr. Markus Schußmann seit 2012.<br />

So sollen an verschiedenen Stellen<br />

des Plateaus die vorgeschichtlichen<br />

Siedlungsstrukturen und -abläufe erhellt<br />

werden. Über ein interessantes<br />

Lagerungsverfahren von Getreide berichtete<br />

Schußmann während eines<br />

Besuchs der <strong>einSteiger</strong>-Redaktion<br />

an der Grabungsstelle im Sommer<br />

2014: Das Getreide, das man in<br />

erster Linie für die nächstjährige<br />

Aussaat brauchte, wurde in einer<br />

Grube luftdicht mit Erde bedeckt,<br />

so dass nach einem Auskeimen des<br />

Korns am Grubenrand ein natürliches<br />

Vakuum entstand. Da wo kein<br />

Sauerstoff mehr war, gab es auch keine<br />

Mäuse und keinen Schimmel, die<br />

die Saat hätten verderben können.<br />

Diese Art von prähistorischer<br />

Vorratshaltung erkennen die Archäologen<br />

anhand ihrer detaillierten<br />

Bodenbeobachtungen, bei denen der<br />

Laie höchstens unterschiedlich gefärbte<br />

Erde sieht. Als angebaute Getreidearten<br />

ließen sich Gerste, Weizen,<br />

Emmer, Einkorn und Dinkel<br />

sowie Hirse belegen. Hülsenfrüchte<br />

wie Erbsen, Linsen und Ackerbohnen<br />

kommen hinzu. Tierknochen<br />

hingegen haben sich aufgrund des<br />

sauren Bodens kaum erhalten und<br />

nur das Rind konnte daher bislang<br />

zweifelsfrei als Haustier nachgewiesen<br />

werden. Ob die Versorgung aus<br />

dem Umland erfolgte oder die Bauern<br />

auch innerhalb der Mauern saßen,<br />

muss allerdings erst durch zukünftige<br />

Forschungen geklärt werden.<br />

Mit einem Intermezzo im Mittelalter,<br />

in dem die Hochfläche<br />

kurzzeitig unter dem Pflug stand,<br />

ist der Bullenheimer Berg seit dem<br />

vorgeschichtlichen Siedlungsende<br />

bewaldet. Dies schützte ihn nicht<br />

nur vor größeren menschlichen Bodeneingriffen,<br />

sondern auch vor Erosion.<br />

Anders als auf vielen anderen<br />

Höhensiedlungen in Nordbayern ist<br />

daher großflächig eine prähistorische<br />

Siedlungsschicht erhalten. Deswegen<br />

gibt es dort mehr Funde als anderswo,<br />

wenn auch kaum noch einen aus<br />

Metall. Nur so ist es den Forschern<br />

des 21. Jahrhunderts überhaupt<br />

möglich, bis in 70 Zentimeter Tiefe<br />

Quadratmeterraster anzulegen<br />

und die Siedlung systematisch<br />

und detailliert zu erforschen.<br />

Frühe Handwerkskunst<br />

In den bisher untersuchten<br />

Bereichen des Plateaus gab sich<br />

eine aus aufgereihten Einzelhöfen<br />

bestehende Grundstruktur zu erkennen.<br />

Um einen freien Hofplatz gruppieren<br />

sich dabei ein etwas größeres<br />

Wohn- und ein oder vielleicht auch<br />

zwei kleinere Wirtschaftsgebäude<br />

(Scheune, Speicher etc.). Sogenannte<br />

Trittpflanzen wie etwa Spitzwegerich<br />

und Vogelknöterich lassen auf<br />

ein fest etabliertes Wegenetz schließen.<br />

Die Häuser waren aus in regelmäßiger<br />

Anordnung in den Boden<br />

eingegrabenen Holzpfosten aufgerichtet<br />

worden. Ihre Wände bestanden<br />

aus Holzplanken oder aus<br />

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