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Das Artland-Magazin.<br />
Das Wolfsgemälde wurde von Dorothee Ahrens<br />
nach einem Titelbild der Jagdzeitschrift „Wild und Hund“ gefertigt.<br />
Der Wolf zwischen Mythos<br />
und Wahrheit<br />
Seit Jahrtausenden spielt der<br />
Wolf eine Rolle in Mythen<br />
und Märchen aller Völker.<br />
Dichtung und Wahrheit lassen<br />
sich darin kaum voneinander<br />
unterscheiden und spuken bis<br />
heute in vielen Köpfen herum.<br />
So kennt fast jeder die Märchen<br />
„Rotkäppchen“ und „Der<br />
Wolf und die sieben Geißlein“,<br />
in denen Isegrim ein wahres<br />
Schlachtfeld hinterläßt. Geradezu<br />
gruselig erscheinen auch<br />
Filmszenen, in denen Wölfe<br />
den Mond anheulen oder gar<br />
zu Wehrwölfen mutieren. Im<br />
Gegensatz zu dem prämierten<br />
Hollywood-Film „Der mit dem<br />
Wolf tanzt“: Er zeigt die enge<br />
Verbindung zwischen Mensch<br />
und Wolf, der im Laufe der Jahrhunderte<br />
zum domestizierten<br />
Begleiter des Menschen wurde.<br />
Trotz der daraus entwickelten<br />
Hunderassen hat der Wolf seine<br />
ursprüngliche Faszination vor<br />
allem für Naturschützer nicht<br />
eingebüßt. Seine eindrucksvolle<br />
Erscheinung und die herausragenden<br />
Jagdeigenschaften<br />
machen ihn zum Herrscher der<br />
Wildnis. Mit sicherem Instinkt<br />
spürt er kranke, schwache Tiere<br />
auf und sorgt für Ordnung in<br />
seinem großen Revier, das er<br />
mit niemandem teilen will. Hier<br />
kann es in einem eng besiedelten,<br />
land- und forstwirtschaftlich<br />
genutzten Gebiet zu Interessenskonflikten<br />
und Problemen<br />
kommen. Ein Blick in die Historie<br />
verrät, dass der Wolf auch in<br />
unserer Region solange verfolgt<br />
und gejagd wurde, bis er angeblich<br />
vor 200 Jahren ausgestorben<br />
ist. Doch der letzte Wolf soll<br />
1956 im Kreis Gifhorn bei einer<br />
Treibjagd erschossen worden<br />
sein. Ein Einzelfall? Nach langer<br />
Zeit ist dieses Raubtier nun von<br />
Osten in Richtung Nordwesten<br />
nach Mauerfall und Grenzöffnung<br />
zu Polen verstärkt in<br />
Deutschland eingewandert.<br />
Er findet in unseren Wäldern<br />
ein breites Nahrungsangebot.<br />
Inzwischen leben auch in<br />
Niedersachsen mehrere Rudel,<br />
die für Diskussionen unter Laien<br />
und Experten sorgen. Seit einem<br />
Jahr rauschen die Wolfsschlagzeilen<br />
durch den Medienwald,<br />
in dem die kleinsten Vorkommnisse<br />
dokumentiert werden.<br />
„Kann ich noch gefahrlos Pilze<br />
sammeln, joggen oder radeln?<br />
Wie verhalte ich mich, wenn ich<br />
plötzlich einem Wolf begegne?<br />
Hat er genauso viel Angst vor<br />
uns Menschen, wie wir vor<br />
ihm?“ Alle diese Fragen sollen<br />
die landesweit eingesetzten<br />
Wolfsberater klären, damit der<br />
Wolf bei uns wieder heimisch<br />
werden kann. „Wild ist im Überfluss<br />
vorhanden, da braucht der<br />
Wolf keine Menschen angreifen“,<br />
meinen die Einen. „Aber<br />
was passiert, wenn er seine<br />
natürliche Scheu vor Menschen<br />
verliert?“ wollen Andere wissen.<br />
Doch auf viele Fragen können<br />
selbst Naturschützer oder<br />
Jäger keine sicheren Antworten<br />
geben. Besonders betroffen von<br />
der Gegenwart des Wolfes sind<br />
(wie auch früher) die Nutztierhalter<br />
von Fohlen, Kälbern und<br />
Schafen. In erster Linie sind aber<br />
Schäfer die Leidtragenden bei<br />
Wolfsübergriffen wie sie schon<br />
häufiger im Raum Vechta/Diepholz<br />
vorgekommen sind. Selbst<br />
Schutzhunde und ein hoher<br />
Zaum bieten keine 100-prozentige<br />
Sicherheit. Auch wenn<br />
bei einem nachgewiesenen<br />
Wolfsriss eine Entschädigung<br />
gezahlt wird, bleibt die emotionale<br />
Belastung beim Anblick der<br />
verendeten Tiere auf der Seite<br />
des Schäfers. Weitaus größer<br />
wäre der Verlust bei kleinen<br />
Hobby- und Nebenerwerbsfarmern,<br />
wenn der Wolf mal<br />
Appetit auf Ziege, Minischwein,<br />
Alpaka oder Gans verspürt.<br />
Geradezu alarmierend erschien<br />
Vielen die Nachricht, dass ein<br />
Wolf in der Nähe des Goldenstedter<br />
Waldkindergartens<br />
(Kreis Vechta) gesichtet worden<br />
ist. Die Erzieherinnen dort<br />
bewahrten die Ruhe und verschreckten<br />
den Wolf mit einem<br />
Flatterband. Doch was ist, wenn<br />
das eines Tages nicht mehr<br />
reicht und die Wölfe die Scheu<br />
verlieren? In Italien suchen die<br />
Raubtiere nach Nahrung in<br />
Städten und Dörfern, weshalb<br />
sie als „Pizzawölfe“ bzw. „Spaghettiwölfe“<br />
betitelt werden.<br />
Auch die Geschichte zeigt, dass<br />
unregulierte Wolfsbestände<br />
(Rußland) bei Nahrungsmangel<br />
nicht nur Haustiere, sondern<br />
auch Menschen, vorzugsweise<br />
Kinder erbeutet haben. Die größere<br />
Gefahr von Wolfsattacken<br />
besteht zwar im Sommer, wenn<br />
der Streß der Welpenaufzucht<br />
und eine Vielzahl an Ausflüglern<br />
aufeinandertreffen (www.wolfszone.de).<br />
Trotzdem hat es in den<br />
letzten 60 Jahren in Westeuropa,<br />
Russland und Nordamerika<br />
bei über 100 000 Wölfen nur<br />
30 tödliche Wolfsattacken auf<br />
Menschen gegeben. Die Gefahr<br />
im Wolfsrachen zu enden, ist<br />
also sehr gering. Anfang des<br />
18. Jahrhunderts soll übrigens<br />
ein Mädchen in Menslage beim<br />
Kirchgang von Wölfen zerrissen<br />
worden sein. Laut der Naturkundlichen<br />
Chronik Niedersachsen<br />
der einzige Vorfall dieser Art<br />
in rund 1000 Jahren.<br />
Laut Umweltministerium sollen<br />
sich Wölfe bundesweit verbreiten<br />
dürfen. Seit 1979 wird der<br />
Wolf europaweit als strenggeschützte<br />
Art geführt. Nach dem<br />
Bundesnaturschutzgesetz soll<br />
eine Populationsgröße von rd.<br />
1000 geschlechtsreifen Wölfen<br />
erreicht werden. Aber ist eine<br />
Kontrolle der Vermehrung<br />
überhaupt möglich? Niemand<br />
kann die Entwicklung zwischen<br />
Wolf und Mensch wirklich voraussehen.<br />
Wir alle müssen wohl<br />
damit leben lernen, dass dieses<br />
Raubtier in unseren Lebensraum<br />
zurückgekehrt ist. Denn ethisch<br />
gesehen haben sie das gleiche<br />
Recht wie wir hier zu sein. In<br />
vielen anderen Ländern gibt<br />
es Krododile, Haie, Bären, Tiger,<br />
Löwen und giftige Spinnen, also<br />
auch dort, wo Menschen zu<br />
Hause sind. Als Tourist mögen<br />
wir es, eine Abenteuerreise zu<br />
wilden Tieren zu buchen. Jetzt<br />
haben wir ein Stück Wildnis im<br />
eigenen Land: Wölfe, Luchse<br />
und Wildkatzen finden es seit<br />
einiger Zeit wieder schön in<br />
Deutschland. Vielleicht sollten<br />
wir es ihnen einfach nachmachen!<br />
In der nächsten Ausgabe des<br />
<strong>MQ</strong>-Magazins wird der Bericht<br />
über Wölfe mit Interviews und<br />
neuen Infos über sein Aussehen,<br />
sein Sozialverhalten und seine<br />
Verbreitung fortgesetzt. Dazu<br />
gibt es Verhaltenstipps zum<br />
Umgang mit dem vierbeinigen<br />
Jäger.<br />
62 | mq Ausgabe Frühjahr <strong>2016</strong>