16 Michael Girsberger – www.girsberger.com
schon seit meiner frühesten Kindheit dreht sich in meinem Leben vieles ums Sitzen. Zwar geht es dabei weniger um Sofas als vielmehr um Stühle. Es war mein Urgrossvater Heinrich Girsberger, der 1889 in Zürich eine Drechslerei gründete und damit den Grundstein für das heutige Unternehmen Girsberger legte. Schon bald machte er sich Gedanken darüber, wie Kinder und Erwachsene beim Klavierspielen den gleichen Hocker benutzen könnten. Kurzerhand entwickelte er einen höhenverstellbaren Klavierstuhl. So wurde Girsberger zum Spezialisten für neuartige Sitzlösungen. Drei Generationen später ist daraus ein international agierendes mittelständisches Unternehmen geworden. ‚International‘ bedeutet in unserem Fall jedoch nicht, dass wir unsere Produktion in fernöstliche Billiglohnländer ver lagert hätten. Ganz im Gegenteil: Wir halten bewusst an der Produktion in der Schweiz und in Deutschland fest. Einfach ist das nicht. Wir alle wissen, wie prall gefüllt die Parkhäuser bei preisgünstigen Möbelhäusern an einem Samstag sind. Die Nachfrage nach zeitge mässen, erschwinglichen Möbelstücken mit einer überschaubaren Lebensdauer, so dass man sie scheinbar mit gutem Gewissen nach kurzer Zeit ersetzen kann, ist offensichtlich unge brochen. Dennoch gibt es eine gegenläufige Bewegung, die in meinen Augen an Bedeutung gewinnt. Immer mehr Menschen suchen unverwechselbare Produkte, deren Herstellung sich zurückverfolgen lässt. Ich bin mir nicht sicher, woher diese Bewegung kommt. Ermüdet uns die Vielfalt der Produkte, die wir der Globalisierung verdanken? Oder haben wir vielmehr genug davon, dass wir scheinbar in jeder Stadt der Welt die immer gleichen Markenartikel kaufen können? Wie dem auch sei, die Anzeichen, dass viele Menschen sich wieder auf die eigene Umgebung zurückbesinnen, sind unübersehbar. Der kleine Quartierladen um die Ecke hat trotz vergleichsweise hoher Preise wieder Kundschaft. Grossverteiler stecken viel Werbebudget in Kampagnen für ihre regionalen Produkte. Unter dem Namen ‚Urban Gardening‘ wird sogar in den Städten wieder Gemüse angepflanzt. Natürlich ist mir bewusst, dass es gutverdienende Menschen sind, die sich regionale Bioprodukte aus dem Quartierladen oder eben ein Möbelstück aus einer Schweizer Manufaktur leisten können. In Bützberg im Kanton Bern, wo unsere Wohnmöbel entstehen, betragen die Lohnkosten etwa das Dreissigfache von denen in China, dem mit Abstand weltgrössten Hersteller von Möbeln und Komponenten für deren Herstellung. Die Baumstämme für unsere Massivholztische suchen wir in der Schweiz und in den Wäldern und Sägereien der umliegenden europäischen Länder selber sorgfältig aus. Ein solches Möbelstück hat naturgemäss seinen Preis – dafür ist es mit Sicherheit bis ins Detail ökologisch einwandfrei und unter sozial gerechten Arbeitsbedingungen entstanden. Dass Girsberger diese Werte hochhält, ist übrigens nicht mein Verdienst. Ich bin mit dieser Haltung und Überzeugung gross geworden: Meine Vorfahren waren von Anfang an bestrebt, die richtige Balance zwischen ökonomischem Erfolg, sozialer Orientierung und ökologischer Verantwortung zu finden. Eine nachhaltige Unternehmensführung, die mehr ist als ein marketingwirksames Versprechen, erfordert manchmal beträchtlichen Durchhaltewillen. Der Verdrängungswettbewerb im Büromöbelmarkt, unserem Kern ge schäft, ist so unerbittlich, dass wir neue Nischen suchen mussten – und fanden. 17