Cruiser im Novemer 2016
30 Jahre Cruiser! Wir legen der aktuellen Ausgabe den Nachdruck der allerersten Ausgabe von 1986 bei. Ausserdem: Das grosse Interview mit Kathy Bates und...was macht eigentlich Rupert Everett?
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12<br />
KOLUMNE<br />
Bötschi klatscht<br />
Toilettengeschichten<br />
Kürzlich war ich in Spanien in einem WC<br />
eingeschlossen. Und weil in Zürich fast<br />
gleichzeitig eine noch viel spannendere<br />
Toilettengeschichte passierte, dreht sich<br />
heute alles um das stille Örtchen.<br />
VON BRUNO BÖTSCHI<br />
«<br />
Scheisse», dachte ich, aber da war es<br />
schon zu spät: Die Türe liess sich nicht<br />
öffnen. Der Drehknopf machte zwar<br />
hübsch seine Runde, aber das Schloss ging<br />
nicht auf. Ich stand in der Toilette und rüttelte<br />
an der Türe und rüttelte und rüttelte,<br />
aber diese Türe, diese verdammte Türe …<br />
diese Scheisstüre, diese … gopferdorri nochmals<br />
… tat KEINEN Wank. KEINEN!<br />
Eigentlich wäre mein klaustrophobischer<br />
Anfall auf der Toilette – es fing mit einem<br />
sanften Krüsele in den Füssen an - in<br />
einem Restaurant in Denia, Spanien, keiner<br />
Erwähnung wert, wenn ich nicht einen Tag<br />
später eine andere, durchaus bemerkenswerte<br />
WC-Geschichte gelesen hätte.<br />
Ja, ich bin nämlich irgendwann wieder<br />
aus der Restaurant-Toilette rausgekommen.<br />
Dazu später. Zuerst die andere, die WC-Geschichte<br />
vom Restaurant Coming soon. Das<br />
vietnamesische Lokal <strong>im</strong> Zürcher Langstrassen-Quartier<br />
setzte ein Zeichen für Offenheit<br />
und Rücksichtsnahme und hat seine geschlechterspezifischen<br />
Toiletten aufgehoben.<br />
Momoll, Mädchen, Buben und viele<br />
andere können <strong>im</strong> «Coming soon» selber<br />
entscheiden, in welchem WC sie ihr Geschäft<br />
erledigen wollen. Vielleicht können<br />
wir Männer jetzt endlich herausfinden,<br />
warum Frauen meistens zu zweit auf die<br />
CRUISER november <strong>2016</strong><br />
Toilette gehen. Stopp, das wäre ein anderes<br />
Thema.<br />
In der Schweiz finden sich praktisch<br />
nur öffentliche Toiletten, welche geschlechtergetrennt<br />
und entweder nur für Männer<br />
oder nur für Frauen sind. Grund: Das Gesetz<br />
«Es stehen <strong>im</strong>mer wieder<br />
Gäste vor den Türen.»<br />
schreibt es so vor. Im «Coming soon» ist das<br />
jetzt also anders: Eigens kreierte Schilder an<br />
den Klo-Türen erklären die Neuerung.<br />
«Es stehen <strong>im</strong>mer wieder Gäste vor den<br />
Türen», sagt Gastgeber Rico Fanchini, «weil<br />
sie nicht wissen, wo sie rein sollen.» Diese<br />
Ratlosigkeit ist gewollt. Die «Coming soon»-<br />
Verantwortlichen möchten eine Diskussion<br />
anregen.<br />
Denn für Personen, welche sich nicht<br />
ins binäre Geschlechtermodell einordnen<br />
können oder wollen, sind geschlechtergetrennte<br />
WCs mitunter problematisch. St<strong>im</strong>mt<br />
etwa das äusserliche nicht mit dem empfundenen<br />
Geschlecht überein, fühlen sich diese<br />
Menschen ausgeschlossen und diskr<strong>im</strong>iniert.<br />
Während das «Coming soon» für die<br />
Schweiz eine Vorreiterrolle einn<strong>im</strong>mt, gehört<br />
dies in anderen Ländern – etwa in den<br />
USA – bereits zum Alltag. In über 150<br />
US-amerikanischen Colleges existieren seit<br />
Jahren genderneutrale Toiletten. Und vergangenen<br />
Juni entschied der New Yorker<br />
Stadtrat, dass es ab Januar 2017 nur noch<br />
Unisex-Toiletten in der Stadt geben darf.<br />
Bin ja mal gespannt, wie der Zürcher<br />
Stadtrat auf den Vorstoss der «Coming soon»-<br />
Macher reagieren wird: Mit einer saftigen<br />
Geldbusse oder tun die Politiker Busse und<br />
ändern demnächst das WC-Gesetz? Bisher<br />
habe sich noch niemand gemeldet, so Fanchini.<br />
Ich bleibe dran.<br />
Drin bin ich ja zum Glück nicht mehr,<br />
<strong>im</strong> WC von diesem Restaurant in Spanien.<br />
Glücklicherweise bemerkte ein anderer<br />
Gast, dass ich nicht mehr rauskam und holte<br />
Hilfe. Eine Kellnerin und ein Koch wurden<br />
zu meinen Rettern. Die beiden bauten das<br />
kaputte Schloss aus, so dass ich nach zehn<br />
ewig langen Minuten wieder Tageslicht sah.<br />
Wahrscheinlich werde ich den beiden<br />
ewig dankbar sein. Hätte meine WC-Haft<br />
nur noch drei Sekunde länger gedauert, ich<br />
hätte die Toilette kurz und klein geschlagen.<br />
Ohne Scheiss.<br />
www.brunoboetschi.ch