02.11.2016 Aufrufe

Taxi Times Special 2016 - Kauf

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

ROLLSTUHLTAXIS<br />

ROLLSTUHLTAXIS<br />

DIE<br />

VERGESSENEN<br />

KUNDEN<br />

Warum sich <strong>Taxi</strong>unternehmer<br />

vor allen in Großstädten Gedanken<br />

über rollstuhltaugliche <strong>Taxi</strong>s<br />

machen müssen.<br />

Des <strong>Taxi</strong>fahrers liebster Fahrgast ist<br />

der, der am Straßenrand winkt,<br />

schnell ins <strong>Taxi</strong> reinspringt, eine<br />

Weile mitfährt, bezahlt, schnell wieder raus<br />

ist und somit Platz macht für den nächsten.<br />

Leider kommt der nur noch selten vor. Und<br />

es ist dieser Fahrgast, der am schnellsten<br />

wieder weg ist für unser Gewerbe – geködert<br />

von Uber, Car-Sharern oder von sonst einem<br />

Mobilitätsdealer. Der bewegliche, moderne,<br />

junge Kunde hat ein Smartphone, von dem<br />

er nicht gerne aufblickt. Damit kann er sich<br />

alles kommen lassen, sofort und per Fingerwisch.<br />

Geschäftsbindung an irgendeinen<br />

bestimmten Anbieter? Fehlanzeige!<br />

Das Werben um den Kunden reduziert<br />

sich derzeit nur noch auf den Kampf um<br />

Marktanteile. Etliche <strong>Taxi</strong>unternehmer<br />

nutzen die Angebote mehrerer Anbieter.<br />

Man will ja schließlich so viele Fahrten wie<br />

möglich bekommen. Koste es, was es wolle?<br />

Solange zwischen den Anbietern ein gesunder<br />

Wettbewerb vorherrscht, sind die Aufträge<br />

noch bezahlbar. Sobald jedoch einer<br />

eine marktbeherrschende Stellung einnimmt,<br />

werden sich die Vermittlungsgebühren<br />

verändern. Vor allen bei denjeni gen, die<br />

sich mit hohem Fremdkapital den Marktzugang<br />

teuer erkauft haben. Denn die Investition<br />

muss sich ja irgendwann auszahlen.<br />

Vielleicht wird also der eben beschriebene<br />

Smartphonekunde nicht mehr<br />

be zahlbar sein. Dann ist es gut, wenn <strong>Taxi</strong>unternehmer<br />

über eine breite Angebotspalette<br />

verfügen und Kundengruppen<br />

bedienen können, die von Uber, mytaxi & Co<br />

bisher völlig links liegen gelas sen wurden:<br />

die Rollstuhlfahrer. Doch dafür müssen<br />

sowohl noch logistische als auch gedank -<br />

liche Hürden überwunden werden.<br />

Noch sind die weniger beweglichen,<br />

gebrechlichen, behinderten, am Ende auch<br />

noch im Rollstuhl sitzenden Fahrgäste dem<br />

<strong>Taxi</strong>fahrer eher nicht so angenehm. Sie<br />

So wie der Berliner<br />

Dominik Peter<br />

wünschen sich viele<br />

Rollstuhlfahrer, ein <strong>Taxi</strong><br />

spontan heranwinken<br />

zu können.<br />

kos ten Zeit. Sie machen Arbeit über das<br />

reine Fahren hinaus. Aber diese Fahrgäste<br />

sind treu. Wenn sie einmal einen Fahrer<br />

gefun den haben, der auf ihre Bedürfnisse<br />

ein geht, dem das nicht alles zu viel ist,<br />

dann nehmen sie den gern als „ihren“ <strong>Taxi</strong>fahrer<br />

an und bestellen ihn gezielt immer<br />

wieder. Selbst längere Wartezeiten nehmen<br />

sie dafür in <strong>Kauf</strong>.<br />

ROLLIFAHRTEN SIND KEIN<br />

LEICHTES GESCHÄFT<br />

Für „ihren“ <strong>Taxi</strong>fahrer ist dieses Geschäft<br />

nicht leicht. Er macht lange Anfahrten und<br />

muss sich frühzeitig aus dem normalen<br />

Tagesgeschäft ausklinken, um die meist vorbestellten<br />

Fahrten pünktlich bedienen<br />

zu können.<br />

Notwendig wäre das alles nicht, wenn die<br />

Mehrzahl der <strong>Taxi</strong>fahrer bereit wäre, gelegentlich<br />

ein paar zusätzliche Dienstleistungen<br />

zu erbringen. Wenn der einge schränkt<br />

Eine Initiative in Berlin kämpft<br />

um eine ausreichende Anzahl<br />

„berollbarer“ Großraumtaxis.<br />

bewegliche Mensch sicher sein könnte, dass<br />

ihm jeder <strong>Taxi</strong>fahrer behilflich ist, könnte<br />

er spontan ein <strong>Taxi</strong> bestellen und bräuchte<br />

nicht auf „seinen“ Kutscher warten.<br />

Ein schöner Traum? Er ist umsetzbar<br />

und er geht noch weiter. Bisher war hier<br />

die Rede von Menschen, die zwar mit Unterstützung,<br />

aber ohne technische Hilfsmittel<br />

ins <strong>Taxi</strong> gelangen können. Ein großer<br />

potenzieller Kundenkreis sitzt aber im<br />

Rollstuhl fest und kann nicht umgesetzt<br />

werden. Er will aber ebenfalls am gesell -<br />

schaftlichen Leben teilnehmen und sich<br />

spontan fortbewegen. Hierfür ist eine hin -<br />

reichende Anzahl rollstuhlgerechter <strong>Taxi</strong>s<br />

erforderlich – also <strong>Taxi</strong>s, in die man im<br />

Roll stuhl sitzend hineinfahren kann.<br />

Solche barrierefreien <strong>Taxi</strong>s müssen größer<br />

sein als die üblichen Limousinen und<br />

Familienvans. Sie benötigen mehr Kopffreiheit<br />

und genügend Stellfläche für einen<br />

Rollstuhl. Um den Höhenunterschied zum<br />

Fahrzeug zu überwinden, müssen Schienen,<br />

eine Rampe oder ein Lift vorhanden<br />

sein. Kleinere Lieferwagen (vom VW Caddy<br />

aufwärts) sind geeignet. Für die notwendigen<br />

Ein- und Umbauten gibt es erfahrene<br />

Fachbetriebe. Natürlich ist das eine zusätzliche<br />

Investition. Aber sie bringt auch<br />

zusätzliches Geschäft in Form einer dankbaren<br />

und finanzkräftigen Kundschaft ins<br />

<strong>Taxi</strong>gewerbe, die aufgrund starker Verbandsstrukturen<br />

darüber hinaus den nötigen<br />

politischen Druck aufbauen kann, um<br />

ihre Mobilitätsinteressen einzufordern.<br />

In München beispielsweise fanden auf<br />

Initiative eines Behindertenverbands<br />

bereits erste Gespräche mit der Stadtverwaltung,<br />

der IHK und den <strong>Taxi</strong>verbänden<br />

statt, in denen die Dringlichkeit einer<br />

spontanen <strong>Taxi</strong>bestellmöglichkeit dargelegt<br />

wurde. Etwa, dass bei den im Moment<br />

zur Verfü gung stehenden Fahrdiensten die<br />

»Die zusätzliche<br />

Investition bringt<br />

finanzkräftige<br />

Kundschaft ins<br />

<strong>Taxi</strong>gewerbe.«<br />

Rollstuhlfahrer bis zu zwei Wochen im<br />

Vor aus ihre Fahrten bestellen müssten. Der<br />

spon tane Kino- oder Restaurantbesuch ist<br />

damit nicht möglich.<br />

In Berlin fungiert der Landesverband<br />

Berlin-Brandenburg des Sozialverbands<br />

Deutschland e. V. (SoVD) als Initiator des<br />

Projekts „Inklusionstaxi – <strong>Taxi</strong> für Alle“<br />

und kümmert sich darum, dass die Bedürfnisse<br />

der Behinderten mit den Interessen<br />

der <strong>Taxi</strong>unterneh mer, der Auto hersteller<br />

und der Umrüs ter sowie den politischen<br />

Instan zen, die letztlich auch für eine realistische<br />

Finan zierung sorgen müssen, unter<br />

einen Hut gebracht werden. Dem nächst<br />

werden in der Hauptstadt ein Volks wagen<br />

T6 und ein Opel Vivaro als Referenzmo delle<br />

für das Inklu sionstaxi in Betrieb gehen.<br />

Menschen mit Behinderung haben –<br />

auch wenn sie auf einen Rollstuhl angewiesen<br />

sind – dasselbe Mobilitätsbedürfnis wie<br />

Menschen ohne Behinderung. Ein Bedürfniss,<br />

das von besonderen Fahr diensten<br />

nicht angemessen bedient werden kann.<br />

Dem <strong>Taxi</strong>gewerbe bieten sich hier enorme<br />

Marktchancen, die bislang zu wenig aufgegriffen<br />

wurden, aber auch eine Her -<br />

ausforderung darstellen. Behinderte<br />

Menschen haben nach der UN-Behindertenrechtskonvention<br />

ein Anrecht auf Barrierefreiheit<br />

im öffent lichen Bereich. <strong>Taxi</strong>s als<br />

Teil des öffentli chen Personennahverkehrs<br />

gehören zweifellos zu diesem Bereich.<br />

Im Rahmen der Umsetzung der UN-<br />

Behindertenrechtskonvention gibt es Wege,<br />

das <strong>Taxi</strong>gewerbe zu seinem Glück zu<br />

zwingen und ihm eine Anzahl barriere -<br />

freier <strong>Taxi</strong>s vorzuschreiben. Bisher will das<br />

niemand. Soweit muss es nicht kommen.<br />

Das „<strong>Taxi</strong> für Alle“ ist einvernehmlich<br />

machbar. In London sind von jeher alle<br />

<strong>Taxi</strong>s barrierefrei. <br />

jh / wh<br />

DAS RECHT AUF SPONTANE MOBILITÄT UND DER RECHTSANSPRUCH AUF BARRIEREFREIE ZUGÄNGE<br />

In Deutschland haben sich fast überall<br />

separate (Mietwagen-)Unternehmen<br />

auf die Beförderung von Personen<br />

im Rollstuhl spezialisiert. Sie machen<br />

einen guten Job, haben aber fast alle<br />

eine große Schwäche: die spontane<br />

Bedienung. Der Wunsch der Betroffenen<br />

nach einer schnell verfügbaren<br />

<strong>Taxi</strong>-Alternative wächst.<br />

Beispiel Berlin: Dominik Peter, Vorsitzender<br />

des Berliner Behindertenverbands<br />

e. V., schlägt in der<br />

Regionalausgabe von <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong> Berlin<br />

vor, die finanzielle Förderung von jährlich<br />

7,6 Millionen Euro, die man derzeit<br />

dem dortigen Sonderfahrdienst SFD<br />

zur Verfügung stellt, zur Hälfte in<br />

das <strong>Taxi</strong>konto fließen zu lassen. Dazu<br />

bräuchte man aber genügend rollstuhlgerechte<br />

<strong>Taxi</strong>s. „Alleine in unserem<br />

Vorstand würden von vier Leuten drei<br />

sofort ein <strong>Taxi</strong> nehmen, wenn es zu<br />

bestellen wäre. Nur beim Vierten von<br />

uns könnte es problematisch werden,<br />

da er in einem sehr schweren Elektro -<br />

rollstuhl unterwegs ist”, sagt Peter. Er<br />

fordert die Politik dazu auf, die Unternehmer<br />

bei der Anschaffung eines<br />

rollstuhlgerechten <strong>Taxi</strong>s zu unterstüt -<br />

zen. Eine staatliche Förderung ist „ein<br />

notwendiger und dem <strong>Taxi</strong>gewerbe<br />

zustehender Nachteilausgleich, für<br />

den meines Erachtens ein rechtlicher<br />

Anspruch besteht“.<br />

Jener rechtliche Anspruch lässt sich<br />

aus dem Artikel 9 der UN-Behin -<br />

derten rechtskonvention ableiten, in<br />

dem Barrierefreiheit im öffentlichen<br />

Bereich gefordert wird. Sobald ein<br />

Bundesland oder eine Kommune<br />

das Schaffen von Barrierefreiheit bei<br />

den Trägern des ÖPNV fördert, muss<br />

auch das <strong>Taxi</strong> finanziell unterstützt<br />

werden. Das wäre sonst eine „Diskriminierung<br />

des Verkehrsmittels <strong>Taxi</strong>“,<br />

sagen Dominik Peter und Dr. Jürgen<br />

Schneider, Landesbehindertenbeauftragter<br />

von Berlin. Wer solche<br />

prominenten Fürsprecher hat, sollte<br />

sich diese Chance auf ein Zusatz -<br />

geschäft nicht entgehen lassen. <br />

FOTOS: Wilfried Hochfeld / <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong><br />

20 SEPTEMBER / <strong>2016</strong> TAXI

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!