Taxi Times Special 2016 - Kauf
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ROLLSTUHLTAXIS<br />
ROLLSTUHLTAXIS<br />
DIE<br />
VERGESSENEN<br />
KUNDEN<br />
Warum sich <strong>Taxi</strong>unternehmer<br />
vor allen in Großstädten Gedanken<br />
über rollstuhltaugliche <strong>Taxi</strong>s<br />
machen müssen.<br />
Des <strong>Taxi</strong>fahrers liebster Fahrgast ist<br />
der, der am Straßenrand winkt,<br />
schnell ins <strong>Taxi</strong> reinspringt, eine<br />
Weile mitfährt, bezahlt, schnell wieder raus<br />
ist und somit Platz macht für den nächsten.<br />
Leider kommt der nur noch selten vor. Und<br />
es ist dieser Fahrgast, der am schnellsten<br />
wieder weg ist für unser Gewerbe – geködert<br />
von Uber, Car-Sharern oder von sonst einem<br />
Mobilitätsdealer. Der bewegliche, moderne,<br />
junge Kunde hat ein Smartphone, von dem<br />
er nicht gerne aufblickt. Damit kann er sich<br />
alles kommen lassen, sofort und per Fingerwisch.<br />
Geschäftsbindung an irgendeinen<br />
bestimmten Anbieter? Fehlanzeige!<br />
Das Werben um den Kunden reduziert<br />
sich derzeit nur noch auf den Kampf um<br />
Marktanteile. Etliche <strong>Taxi</strong>unternehmer<br />
nutzen die Angebote mehrerer Anbieter.<br />
Man will ja schließlich so viele Fahrten wie<br />
möglich bekommen. Koste es, was es wolle?<br />
Solange zwischen den Anbietern ein gesunder<br />
Wettbewerb vorherrscht, sind die Aufträge<br />
noch bezahlbar. Sobald jedoch einer<br />
eine marktbeherrschende Stellung einnimmt,<br />
werden sich die Vermittlungsgebühren<br />
verändern. Vor allen bei denjeni gen, die<br />
sich mit hohem Fremdkapital den Marktzugang<br />
teuer erkauft haben. Denn die Investition<br />
muss sich ja irgendwann auszahlen.<br />
Vielleicht wird also der eben beschriebene<br />
Smartphonekunde nicht mehr<br />
be zahlbar sein. Dann ist es gut, wenn <strong>Taxi</strong>unternehmer<br />
über eine breite Angebotspalette<br />
verfügen und Kundengruppen<br />
bedienen können, die von Uber, mytaxi & Co<br />
bisher völlig links liegen gelas sen wurden:<br />
die Rollstuhlfahrer. Doch dafür müssen<br />
sowohl noch logistische als auch gedank -<br />
liche Hürden überwunden werden.<br />
Noch sind die weniger beweglichen,<br />
gebrechlichen, behinderten, am Ende auch<br />
noch im Rollstuhl sitzenden Fahrgäste dem<br />
<strong>Taxi</strong>fahrer eher nicht so angenehm. Sie<br />
So wie der Berliner<br />
Dominik Peter<br />
wünschen sich viele<br />
Rollstuhlfahrer, ein <strong>Taxi</strong><br />
spontan heranwinken<br />
zu können.<br />
kos ten Zeit. Sie machen Arbeit über das<br />
reine Fahren hinaus. Aber diese Fahrgäste<br />
sind treu. Wenn sie einmal einen Fahrer<br />
gefun den haben, der auf ihre Bedürfnisse<br />
ein geht, dem das nicht alles zu viel ist,<br />
dann nehmen sie den gern als „ihren“ <strong>Taxi</strong>fahrer<br />
an und bestellen ihn gezielt immer<br />
wieder. Selbst längere Wartezeiten nehmen<br />
sie dafür in <strong>Kauf</strong>.<br />
ROLLIFAHRTEN SIND KEIN<br />
LEICHTES GESCHÄFT<br />
Für „ihren“ <strong>Taxi</strong>fahrer ist dieses Geschäft<br />
nicht leicht. Er macht lange Anfahrten und<br />
muss sich frühzeitig aus dem normalen<br />
Tagesgeschäft ausklinken, um die meist vorbestellten<br />
Fahrten pünktlich bedienen<br />
zu können.<br />
Notwendig wäre das alles nicht, wenn die<br />
Mehrzahl der <strong>Taxi</strong>fahrer bereit wäre, gelegentlich<br />
ein paar zusätzliche Dienstleistungen<br />
zu erbringen. Wenn der einge schränkt<br />
Eine Initiative in Berlin kämpft<br />
um eine ausreichende Anzahl<br />
„berollbarer“ Großraumtaxis.<br />
bewegliche Mensch sicher sein könnte, dass<br />
ihm jeder <strong>Taxi</strong>fahrer behilflich ist, könnte<br />
er spontan ein <strong>Taxi</strong> bestellen und bräuchte<br />
nicht auf „seinen“ Kutscher warten.<br />
Ein schöner Traum? Er ist umsetzbar<br />
und er geht noch weiter. Bisher war hier<br />
die Rede von Menschen, die zwar mit Unterstützung,<br />
aber ohne technische Hilfsmittel<br />
ins <strong>Taxi</strong> gelangen können. Ein großer<br />
potenzieller Kundenkreis sitzt aber im<br />
Rollstuhl fest und kann nicht umgesetzt<br />
werden. Er will aber ebenfalls am gesell -<br />
schaftlichen Leben teilnehmen und sich<br />
spontan fortbewegen. Hierfür ist eine hin -<br />
reichende Anzahl rollstuhlgerechter <strong>Taxi</strong>s<br />
erforderlich – also <strong>Taxi</strong>s, in die man im<br />
Roll stuhl sitzend hineinfahren kann.<br />
Solche barrierefreien <strong>Taxi</strong>s müssen größer<br />
sein als die üblichen Limousinen und<br />
Familienvans. Sie benötigen mehr Kopffreiheit<br />
und genügend Stellfläche für einen<br />
Rollstuhl. Um den Höhenunterschied zum<br />
Fahrzeug zu überwinden, müssen Schienen,<br />
eine Rampe oder ein Lift vorhanden<br />
sein. Kleinere Lieferwagen (vom VW Caddy<br />
aufwärts) sind geeignet. Für die notwendigen<br />
Ein- und Umbauten gibt es erfahrene<br />
Fachbetriebe. Natürlich ist das eine zusätzliche<br />
Investition. Aber sie bringt auch<br />
zusätzliches Geschäft in Form einer dankbaren<br />
und finanzkräftigen Kundschaft ins<br />
<strong>Taxi</strong>gewerbe, die aufgrund starker Verbandsstrukturen<br />
darüber hinaus den nötigen<br />
politischen Druck aufbauen kann, um<br />
ihre Mobilitätsinteressen einzufordern.<br />
In München beispielsweise fanden auf<br />
Initiative eines Behindertenverbands<br />
bereits erste Gespräche mit der Stadtverwaltung,<br />
der IHK und den <strong>Taxi</strong>verbänden<br />
statt, in denen die Dringlichkeit einer<br />
spontanen <strong>Taxi</strong>bestellmöglichkeit dargelegt<br />
wurde. Etwa, dass bei den im Moment<br />
zur Verfü gung stehenden Fahrdiensten die<br />
»Die zusätzliche<br />
Investition bringt<br />
finanzkräftige<br />
Kundschaft ins<br />
<strong>Taxi</strong>gewerbe.«<br />
Rollstuhlfahrer bis zu zwei Wochen im<br />
Vor aus ihre Fahrten bestellen müssten. Der<br />
spon tane Kino- oder Restaurantbesuch ist<br />
damit nicht möglich.<br />
In Berlin fungiert der Landesverband<br />
Berlin-Brandenburg des Sozialverbands<br />
Deutschland e. V. (SoVD) als Initiator des<br />
Projekts „Inklusionstaxi – <strong>Taxi</strong> für Alle“<br />
und kümmert sich darum, dass die Bedürfnisse<br />
der Behinderten mit den Interessen<br />
der <strong>Taxi</strong>unterneh mer, der Auto hersteller<br />
und der Umrüs ter sowie den politischen<br />
Instan zen, die letztlich auch für eine realistische<br />
Finan zierung sorgen müssen, unter<br />
einen Hut gebracht werden. Dem nächst<br />
werden in der Hauptstadt ein Volks wagen<br />
T6 und ein Opel Vivaro als Referenzmo delle<br />
für das Inklu sionstaxi in Betrieb gehen.<br />
Menschen mit Behinderung haben –<br />
auch wenn sie auf einen Rollstuhl angewiesen<br />
sind – dasselbe Mobilitätsbedürfnis wie<br />
Menschen ohne Behinderung. Ein Bedürfniss,<br />
das von besonderen Fahr diensten<br />
nicht angemessen bedient werden kann.<br />
Dem <strong>Taxi</strong>gewerbe bieten sich hier enorme<br />
Marktchancen, die bislang zu wenig aufgegriffen<br />
wurden, aber auch eine Her -<br />
ausforderung darstellen. Behinderte<br />
Menschen haben nach der UN-Behindertenrechtskonvention<br />
ein Anrecht auf Barrierefreiheit<br />
im öffent lichen Bereich. <strong>Taxi</strong>s als<br />
Teil des öffentli chen Personennahverkehrs<br />
gehören zweifellos zu diesem Bereich.<br />
Im Rahmen der Umsetzung der UN-<br />
Behindertenrechtskonvention gibt es Wege,<br />
das <strong>Taxi</strong>gewerbe zu seinem Glück zu<br />
zwingen und ihm eine Anzahl barriere -<br />
freier <strong>Taxi</strong>s vorzuschreiben. Bisher will das<br />
niemand. Soweit muss es nicht kommen.<br />
Das „<strong>Taxi</strong> für Alle“ ist einvernehmlich<br />
machbar. In London sind von jeher alle<br />
<strong>Taxi</strong>s barrierefrei. <br />
jh / wh<br />
DAS RECHT AUF SPONTANE MOBILITÄT UND DER RECHTSANSPRUCH AUF BARRIEREFREIE ZUGÄNGE<br />
In Deutschland haben sich fast überall<br />
separate (Mietwagen-)Unternehmen<br />
auf die Beförderung von Personen<br />
im Rollstuhl spezialisiert. Sie machen<br />
einen guten Job, haben aber fast alle<br />
eine große Schwäche: die spontane<br />
Bedienung. Der Wunsch der Betroffenen<br />
nach einer schnell verfügbaren<br />
<strong>Taxi</strong>-Alternative wächst.<br />
Beispiel Berlin: Dominik Peter, Vorsitzender<br />
des Berliner Behindertenverbands<br />
e. V., schlägt in der<br />
Regionalausgabe von <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong> Berlin<br />
vor, die finanzielle Förderung von jährlich<br />
7,6 Millionen Euro, die man derzeit<br />
dem dortigen Sonderfahrdienst SFD<br />
zur Verfügung stellt, zur Hälfte in<br />
das <strong>Taxi</strong>konto fließen zu lassen. Dazu<br />
bräuchte man aber genügend rollstuhlgerechte<br />
<strong>Taxi</strong>s. „Alleine in unserem<br />
Vorstand würden von vier Leuten drei<br />
sofort ein <strong>Taxi</strong> nehmen, wenn es zu<br />
bestellen wäre. Nur beim Vierten von<br />
uns könnte es problematisch werden,<br />
da er in einem sehr schweren Elektro -<br />
rollstuhl unterwegs ist”, sagt Peter. Er<br />
fordert die Politik dazu auf, die Unternehmer<br />
bei der Anschaffung eines<br />
rollstuhlgerechten <strong>Taxi</strong>s zu unterstüt -<br />
zen. Eine staatliche Förderung ist „ein<br />
notwendiger und dem <strong>Taxi</strong>gewerbe<br />
zustehender Nachteilausgleich, für<br />
den meines Erachtens ein rechtlicher<br />
Anspruch besteht“.<br />
Jener rechtliche Anspruch lässt sich<br />
aus dem Artikel 9 der UN-Behin -<br />
derten rechtskonvention ableiten, in<br />
dem Barrierefreiheit im öffentlichen<br />
Bereich gefordert wird. Sobald ein<br />
Bundesland oder eine Kommune<br />
das Schaffen von Barrierefreiheit bei<br />
den Trägern des ÖPNV fördert, muss<br />
auch das <strong>Taxi</strong> finanziell unterstützt<br />
werden. Das wäre sonst eine „Diskriminierung<br />
des Verkehrsmittels <strong>Taxi</strong>“,<br />
sagen Dominik Peter und Dr. Jürgen<br />
Schneider, Landesbehindertenbeauftragter<br />
von Berlin. Wer solche<br />
prominenten Fürsprecher hat, sollte<br />
sich diese Chance auf ein Zusatz -<br />
geschäft nicht entgehen lassen. <br />
FOTOS: Wilfried Hochfeld / <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong><br />
20 SEPTEMBER / <strong>2016</strong> TAXI