B&C_JAHRESBERICHT_2015_web
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B & C | JAHRBUCH <strong>2015</strong><br />
„DIE<br />
WELT<br />
IN<br />
ASTRID SKALA-KUHMANN<br />
UNORDNUNG“<br />
GESPRÄCH MIT<br />
China-Expertin Astrid Skala-Kuhmann über die Veränderungen im globalen wirtschaftspolitischen<br />
Gleichgewicht und die Auswirkungen auf Europa<br />
Frau Skala-Kuhmann, als berufsbedingt<br />
Vielreisende haben Sie einen<br />
distanziert-differenzierten Blick<br />
auf gewisse Zusammenhänge.<br />
Wie beurteilen Sie denn die aktuellen<br />
geopolitischen Veränderungen in<br />
der Welt?<br />
SKALA-KUHMANN: Um es etwas<br />
zugespitzt zu formulieren: Die Welt<br />
ist in Unordnung geraten, und diesmal<br />
haben wir es nicht – und ich sage hier<br />
bewusst „nur“ – mit einer wirtschaftsund<br />
finanzpolitischen Krise wie etwa<br />
in den Jahren 2008/2009 zu tun.<br />
Neben den aktuellen Krisenherden<br />
zum Beispiel in der Ukraine oder im<br />
Nahen und Mittleren Osten können<br />
wir auch in Afrika – etwa in Nigeria,<br />
Kenia und Somalia – viele Unruheherde<br />
beobachten, die geopolitische<br />
Auswirkungen haben. Seit dem Ende<br />
der Block-Konfrontation Ost-West ist<br />
eine jahrzehntelange Ordnung – auch<br />
mit all ihren negativen Erscheinungen<br />
– untergegangen. Europa hat in jeder<br />
Hinsicht, politisch wie wirtschaftlich,<br />
durch die Öffnung Osteuropas und<br />
den Zerfall der Sowjetunion zunächst<br />
profitiert. Global betrachtet hat sich<br />
in den vergangenen zwei Jahrzehnten<br />
durch das Erstarken der Schwellenländer,<br />
insbesondere der BRICS, viel<br />
verändert und neue Pole haben sich<br />
gebildet. Wir leben inzwischen in<br />
einer multipolaren Weltordnung, die<br />
derzeit in Unordnung geraten ist.<br />
Wer kann diese Unordnung wieder in<br />
Ordnung bringen?<br />
SKALA-KUHMANN: Es ist aus meiner<br />
Sicht die vorrangige Aufgabe der<br />
G8- oder besser noch der G20-Länder,<br />
die fast 90 Prozent des weltweiten<br />
Bruttoinlandsprodukts repräsentieren,<br />
über diplomatische Mittel, die Regulierung<br />
von Handel und Finanzmärkten<br />
und insgesamt über die Schaffung<br />
von geeigneten wirtschaftspolitischen<br />
Rahmenbedingungen die vielen<br />
Interessenkonflikte auszugleichen.<br />
Damit könnte wieder und für alle verträglich<br />
„etwas Ordnung“ entstehen.<br />
Dabei geht es natürlich auch um die<br />
politische Neuordnung des Mittleren<br />
Ostens. Hier werden viele Länder, unter<br />
anderem auch Russland, mitreden<br />
wollen.<br />
Welche neuen geopolitischen Gleichgewichte<br />
bzw. Ungleichgewichte sind<br />
Ihrer Meinung nach im Entstehen?<br />
SKALA-KUHMANN: Dazu gibt es<br />
keine klare Antwort, vieles gerade<br />
auch in Europa und im Nahen und<br />
Mittleren Osten ist in Bewegung.<br />
In jedem Fall haben die Schwellenländer<br />
– allen voran die Volksrepublik<br />
China – die Weltbühne längst betreten<br />
und werden, auch wenn da und dort<br />
die Wirtschaftsdaten wenig Anlass<br />
zur Freude bieten, diese nicht mehr<br />
verlassen. China hat mit seinen Initiativen<br />
wie zum Beispiel der neuen<br />
Asiatischen Infrastruktur-Investmentbank<br />
oder der Neuen Entwicklungsbank<br />
der BRICS-Staaten Institutionen<br />
initiiert, die die internationale Finanzarchitektur,<br />
den Internationalen<br />
Währungsfonds und die Weltbank<br />
nachhaltig beeinflussen werden. Auch<br />
bei internationalen Verhandlungen,<br />
zum Beispiel im Klimabereich oder im<br />
Rahmen der G20, übernimmt China<br />
global politische Verantwortung<br />
und ist dabei, die Weltordnung mitzugestalten.<br />
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