02/2017
Fritz + Fränzi
Fritz + Fränzi
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Dossier<br />
>>> Es scheinen weder Eltern,<br />
Lehrer noch Berufsbildner zu sein,<br />
die den Nachwuchs mit ihren An <br />
sprüchen überfordern. In der Juvenir-Studie<br />
gaben 80 Prozent der<br />
Gestressten an, nicht andere, sondern<br />
sie selbst setzten sich unter<br />
Druck. Als Grund dafür führen Forscher<br />
die starke Leistungsorientierung<br />
und die Zukunftsangst vieler<br />
Jugendlichen an; Eigenschaften, die<br />
bereits in vorhergehenden Umfragen<br />
festgestellt worden seien. Bezeichnenderweise<br />
hätten 80 Prozent der<br />
Vier von fünf gestressten<br />
Jugendlichen geben an, nicht<br />
andere, sondern sie selbst<br />
setzten sich unter Druck.<br />
Jugendlichen, die sich gestresst fühlten,<br />
auch Angst um ihre berufliche<br />
Zukunft.<br />
Alain Di Gallo, Leiter der Kinderund<br />
Jugendpsychiatrischen Klinik<br />
der Universitären Psychiatrischen<br />
Kliniken Basel, kennt das Phänomen.<br />
«Unser Bildungssystem ist<br />
durchlässiger geworden», sagt er,<br />
«das ist eine grosse Errungenschaft,<br />
die nicht nur Chancen bietet, sondern<br />
auch Druck erzeugen kann.<br />
Man kann immer noch eine Stufe<br />
höher steigen, sich noch besser qualifizieren.<br />
Als Kehrseite drohen der<br />
Fall, Gefühle von Ungenügen und<br />
nagende Selbst zweifel.»<br />
Burnout bei Kindern?<br />
«Es kommt so gut wie nicht mehr<br />
vor, dass Eltern mich fragen, was sie<br />
tun sollen, damit ihr Kind die Schule<br />
endlich ernst nimmt», sagt >>><br />
«Ich will<br />
nicht Coiffeuse<br />
werden»<br />
Yara, 14, setzt alles daran, es ins<br />
Gymnasium zu schaffen. Die<br />
Sekschülerin hat Angst, dass ihre<br />
Zukunftschancen sonst schwinden.<br />
«Manchmal habe ich das Gefühl, über mir<br />
schwebe eine dunkle Wolke. Dann blicke<br />
ich nicht mehr durch. Ich gebe mir in der<br />
Schule allergrösste Mühe, was sich kaum<br />
auf meine Noten auswirkt. Ich besuche die<br />
zweite Sekundarklasse und bereite mich<br />
auf die Aufnahmeprüfung ins Gymnasium<br />
vor, wie die Hälfte der Schüler in meiner<br />
Klasse. Nach der sechsten Klasse hatten<br />
es ausser drei Schülern alle versucht, ich<br />
inklusive. Ich hoffe, diesmal klappt es.<br />
Manchmal zweifle ich an mir: Bin ich<br />
nicht klug genug? Sollte ich mich besser für<br />
eine Lehrstelle bewerben? Ich weiss, dass<br />
dies für mich nicht das Richtige wäre. Die<br />
Matura öffnet einem viele Türen. Berufe, die<br />
mich interessieren, setzen sie voraus: Ich<br />
könnte mir vorstellen, Anwältin zu werden<br />
oder Journalistin – aber nicht Coiffeuse.<br />
Gerade kommt alles auf einmal. In der<br />
Schule steht die Berufswahl im Zentrum,<br />
dabei bräuchte ich meine Energie, um mich<br />
auf die Gymiprüfung vorzubereiten. Im Vorbereitungskurs,<br />
den die Schule anbietet,<br />
musste ich mir meinen Platz erkämpfen.<br />
Der Klassenlehrer wollte meine Teilnahme<br />
verhindern, ich sei nicht geeignet. Nun kann<br />
ich doch hingehen, weil sich meine Eltern<br />
für mich eingesetzt haben: Für sie ist meine<br />
Motivation wichtiger als die Schulnoten.<br />
Ich war in der Primarschule aus den USA<br />
in die Schweiz gezogen, meine Eltern sind<br />
Ingenieure und hatten hier ein Jobangebot.<br />
Deutschlernen war anspruchsvoll, doch die<br />
grösste Umstellung bedeutete das Schulsystem.<br />
In Amerika war der Unterricht an <br />
schaulicher, aktiver. Hier hält der Lehrer<br />
einen Monolog. In den USA war der Stundenplan<br />
nicht für alle gleich, man ging ein<br />
auf die individuellen Stärken der Schüler.<br />
Freizeit habe ich kaum. An Abenden und<br />
Wochenenden lerne ich, die Hausaufgaben<br />
dauern oft bis spät. Vor ein paar Monaten ist<br />
mir alles über den Kopf gewachsen, ich war<br />
müde, verlor meine Motivation und war nur<br />
noch gereizt. Oft habe ich aus dem Nichts<br />
heraus angefangen zu weinen. Meine Mutter<br />
ermutigte mich, die Jugendberatungsstelle<br />
aufzusuchen. Viele haben Hemmungen,<br />
Hilfe in Anspruch zu nehmen; ich kann es<br />
nur empfehlen. Meine Beraterin brachte<br />
mir Entspannungsübungen bei, aber auch<br />
Strategien, um Druck abzubauen.<br />
Tagebuchschreiben hilft gegen Stress,<br />
Lesen ebenso. Ich lege jetzt öfter mal das<br />
Handy weg, schlafe besser, habe mehr<br />
Energie für die Schule. Und doch gerate<br />
ich immer wieder unter Druck, den ich<br />
mir selbst mache. Meine Eltern schimpfen<br />
nicht, wenn ich schlechte Noten habe, und<br />
sie hören nicht auf, mich immer wieder aufs<br />
Neue zu motivieren. Dafür bin ich ihnen<br />
dankbar.»<br />
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