Monatsinterview «Wir sind auf die Eltern angewiesen» In jedem Kanton gibt es Schulpsychologische Dienste. Ihr Angebot steht Kindern und Jugendlichen, ihren Eltern und Lehrpersonen kostenlos zur Verfügung. Doch was sind das für Fälle, bei denen Schulpsychologen hinzugezogen werden? Schulpsychologin Ruth Etienne Klemm über ihre Arbeit, auffällige Schüler und überforderte Eltern. Interview: Evelin Hartmann Bilder: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo Ein schön restauriertes Stadthaus im Zürcher Kreis 6. Im 3. Stock befinden sich die Räume des Schulpsychologischen Dienstes Waidberg. Im Gang eine Spielecke, im Büro der Schulpsychologin eine Sandkiste mit Sandspielzeug. Ruth Etienne Klemm lächelt, streicht über den Rock ihres Kostüms, setzt sich. Vor ihr auf dem Tisch liegen ausgebreitet Unterlagen. Sie hat sich gut vorbereitet auf das Gespräch mit der Journalistin. Frau Etienne Klemm, als Schulpsychologin arbeiten Sie mit Lehrpersonen, Schulleitern, der Schulpflege und Eltern eng zusammen. Mit welchen Sorgen kommen Eltern zu Ihnen? Wenn sich Eltern an den Schulpsychologischen Dienst wenden, geht es immer um Schwierigkeiten ihrer Kinder in der Schule und mit dem Lernen. Sie machen sich Sorgen, dass ihr Kind schulisch nicht recht vom Fleck kommt, denken, dass ihr Kind vom Lehrer nicht «richtig» gesehen, in seinen Fähigkeiten und seinem Bemühen nicht richtig eingeschätzt wird, oder sie sagen, dass sich das Kind in der Klasse nicht wohlfühlt. Was heisst das konkret? Machen wir ein Beispiel: Ein Kind ist in der 6. Klasse und möchte an die Aufnahmeprüfungen fürs Gymnasium gehen. Die Eltern sind überzeugt, dass diese Schule genau das Richtige für ihr Kind ist. Die Lehrpersonen hingegen sehen einige Schwierigkeiten beim Lernen und bei der Arbeitshaltung. Dann kann es sein, dass die Eltern mit der Idee «Manche Eltern delegieren ihre Träume an die Kinder. Und überfordern sie.» was? Ist diese Schwierigkeit den Lehrpersonen auch in den vorangegangenen Schuljahren aufgefallen? Wurden Massnahmen, wie spezielle Lese- oder Rechtschreibtrainings, ergriffen? Mit welchem Erfolg? Falls nicht, kann das Kind von uns abgeklärt werden. Dies muss natürlich sehr sorgfältig erfolgen, damit nicht der Verdacht aufkommt, die Eltern wollten dem Kind nur einen Vorteil verschaffen. Haben Sie ein weiteres Beispiel für uns? Ein anderes Mal haben mich Eltern kontaktiert, die der Meinung waren, ihr 8-jähriger Sohn sei sehr begabt und langweile sich im Unterricht. Sie hatten im Familienrat darüber gesprochen, ob der Junge vielleicht eine Klasse überspringen sollte. Er sei so lernbegierig und die Eltern wollten, dass er sich die Freude am Lernen erhält. Ich bin dann auf die Lehrerin zugegangen, die im Grunde gleicher Meinung war. Der Bub sei auf der kognitiven und sozialen Ebene sehr weit. Sie war sich aber nicht sicher, ob er auch schon von der emotionalen Reife in eine vierte Klasse passen würde. Wie sind Sie vorgegangen? zu uns kommen, ihr Sohn, ihre Tochter habe eine Rechtschreibschwäche, für die sie einen Nachteilsausgleich erwirken möchten. Das würde be deuten, dass das Kind zusätzliche Zeit bekommt oder gewisse Hilfsmittel, zum Beispiel einen Rechtschreibeduden, bei der Prüfung verwenden darf. Und der Schulpsychologische Dienst geht dem nach. Wir kontaktieren die Schule, die das Kind besucht. Hat man dort bereits Ich habe die ganze Familie zu Ge etwas unternommen, und, wenn ja, sprächen eingeladen. Ich woll >>> «Ich bedaure Jugendliche, die sich durchs Gymi quälen, weil sie für diese Schulform nicht geeignet sind», sagt Ruth Etienne Klemm. 30 Februar <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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