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Fritz + Fränzi

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Erziehung & Schule<br />

«Wir raten den Eltern, ihren<br />

Kindern die Freiheit zu<br />

lassen, lernen zu können»,<br />

sagt Stefan Marcec.<br />

Die Hürde liegt hoch<br />

Mohamed ist ein grosser, schlaksiger<br />

Junge, seine kurzen Locken sind<br />

schwarz, sein Teint ist dunkel. Seine<br />

Familie kommt aus Somalia, die seines<br />

Banknachbarn aus Afghanistan.<br />

Montenegro, Portugal, Marokko,<br />

Rumänien: Die Programmteilnehmer<br />

stammen aus aller Herren Länder.<br />

Was sie eint, ist ein hohes intellektuelles<br />

Potenzial sowie ein<br />

Elternhaus, in dem weder Mutter<br />

noch Vater die deutsche Sprache in<br />

die Wiege gelegt bekommen haben<br />

– und die nur über bescheidene<br />

finanzielle Mittel verfügen. Letzteres<br />

muss per Steuerausweis nachgewiesen<br />

werden. «Bei uns bewerben sich<br />

immer wieder ausländische Eltern,<br />

die alles andere als bedürftig sind»,<br />

sagt Stefan Marcec, Lehrer am Gymnasium<br />

Unterstrass und operativer<br />

Leiter des Programms. Er betont, wie<br />

hoch die Hürden sind, um überhaupt<br />

aufgenommen zu werden.<br />

Jeden April kontaktiert Stefan<br />

Marcec Sekundarschulen im Raum<br />

Zürich, Winterthur und Dietikon.<br />

Lehrer, die vom Potenzial eines oder<br />

mehrerer ihrer Achtklässler überzeugt<br />

sind, können diese per Empfehlungsschreiben<br />

vorschlagen.<br />

Zumeist leben diese Schüler in der<br />

ersten oder zweiten Generation bei<br />

uns. Auch sie müssen ein Motivationsschreiben<br />

verfassen.<br />

Was folgt, ist ein stufenweise<br />

durchgeführtes Aufnahmeverfahren,<br />

welches ein schriftliches Assessment,<br />

die Erfassung von psychologischen<br />

und intellektuellen Fähigkeiten<br />

und Fertigkeiten sowie, in einem<br />

weiteren Schritt, ein ausführliches<br />

Aufnahmegespräch umfasst. Wer<br />

dann immer noch dabei ist, hat gute<br />

Chancen, ausgewählt zu werden.<br />

Zwei Mal pro<br />

Woche gibt es<br />

Förderunterricht.<br />

Essay, Abhandlung, Erörterung<br />

– das sind Textformen,<br />

die Neuntklässler<br />

kennen sollten, wenn<br />

sie eine Mittelschule<br />

besuchen wollen. An diesem Mittwochnachmittag<br />

stehen diese<br />

Begriffe an der Schultafel des Gymnasiums<br />

Unterstrass in Zürich.<br />

Karolina Zegars Blick schweift zwischen<br />

der Tafel und ihren Schülern<br />

hin und her. «Welche weiteren Wörter<br />

sind euch fremd?», fragt die Lehrerin<br />

in die Runde. Mohamed<br />

Axmed Macow schaut auf sein Blatt,<br />

steht auf, geht zur Tafel und schreibt<br />

«Metaebene». Mohamed ist ein<br />

guter Schüler, ein sehr guter sogar.<br />

Nur Deutsch macht ihm Probleme.<br />

Dass der 16-Jährige am Mittwochnachmittag<br />

zum Unterricht kommen<br />

muss, während alle anderen<br />

seiner Kollegen freihaben, stört ihn<br />

nicht. Im Gegenteil. Mohamed ist<br />

froh, einer von 26 Teilnehmern des<br />

Migrationsprojekts ChagALL zu<br />

sein.<br />

«Es ist erwiesen, dass junge Migranten,<br />

die aus bescheidenen finanziellen<br />

Verhältnissen stammen,<br />

wenig Chancen auf einen höheren<br />

Bildungsabschluss haben», sagt Jürg<br />

Schoch, Direktor des Gymnasiums<br />

Unterstrass. Unabhängig davon, wie<br />

begabt sie seien. Aus diesem Grund<br />

wurde 2008 das Programm ChagALL,<br />

Chancengerechtigkeit durch<br />

Arbeit an der Lernlaufbahn, ins<br />

Leben gerufen. Seither wurden 137<br />

begabte jugendliche Migrantinnen<br />

und Migranten neben ihrem Regelunterricht<br />

gecoacht und geschult.<br />

Mit dem Ziel, sie für die Aufnahmeprüfung<br />

an einem Gymnasium,<br />

einer Berufsmittelschule oder Fachmittelschule<br />

fit zu machen. Träger<br />

des Programms ist – ebenso wie für<br />

das Gymnasium Unterstrass – der<br />

Verein für das Evangelische Lehrerseminar<br />

Zürich, finanziert wird es<br />

durch zwei Stiftungen.<br />

Mitra drohte Zwangsverheiratung<br />

Haben die Schüler den Sprung ins<br />

Programm geschafft, werden sie<br />

zusammen mit ihren Eltern an einem<br />

Informationsabend über den Verlauf,<br />

die Rechte und Pflichten im Programm<br />

informiert und gebeten,<br />

einen Ausbildungsvertrag zu unterschreiben.<br />

Erst danach gelten die<br />

Jugendlichen als aufgenommen.<br />

«Wir raten den Eltern, ihren Kindern<br />

die Freiheit zu lassen, lernen zu<br />

können», sagt Stefan Marcec. Das<br />

heisst, weniger auf die jüngeren<br />

Geschwister aufpassen oder im elterlichen<br />

Geschäft mithelfen – dafür<br />

mehr Zeit zum Lernen zu haben. «In<br />

der Regel sind diese Eltern sehr einsichtig<br />

und stolz auf ihre Kinder.»<br />

So wie Mutter und Vater von Mitra<br />

Karimi, 18 Jahre alt und >>><br />

«Das Elternhaus<br />

ist entscheidend»<br />

Kinder von Migranten sind an<br />

Gymnasien unterdurchschnittlich<br />

vertreten – weil sie häufig in<br />

sozioökonomisch benachteiligten<br />

Familien aufwachsen, sagt<br />

Bildungsforscher Urs Moser.<br />

Interview: Evelin Hartmann<br />

Herr Moser, welche Chancen haben junge<br />

Migranten an Schweizer Schulen?<br />

Das kommt darauf an, wie gut sie von<br />

ihren Eltern unterstützt werden können.<br />

Kinder von Akademikern haben unabhängig<br />

von ihrer kulturellen Herkunft<br />

54 Februar <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

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