02/2017
Fritz + Fränzi
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Dossier<br />
>>> der Kinder- und Jugendpsych<br />
ia ter Michael Schulte-Markwort.<br />
«Früher hatten Eltern oft Sorge, dass<br />
aus ihrem Kind nichts wird. Heute<br />
wollen sie wissen, wie ihre Kinder<br />
weniger angestrengt leben und lernen<br />
können.»<br />
Schulte-Markwort ist ärztlicher<br />
Direktor der Klinik für Kinder- und<br />
Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum<br />
Hamburg-Eppendorf und<br />
der Kinder- und Jugendpsychosomatik<br />
am Altonaer Kinderkrankenhaus.<br />
2016 hat er ein viel beachtetes<br />
Buch veröffentlicht. Es heisst «Burnout-Kids.<br />
Wie das Prinzip Leistung<br />
unsere Kinder überfordert».<br />
Der effekthascherische Titel passt<br />
nicht zu den leisen Tönen, die der<br />
60-Jährige im Gespräch anschlägt.<br />
«Ich mag es nicht, wenn man übertreibt»,<br />
sagt er. «Es gehört zu meinen<br />
Aufgaben, Kinder zu verstehen,<br />
nicht, sie krank zu reden.»<br />
Schulte-Markwort betont, dass<br />
psychische Erkrankungen bei Kin<br />
Ein Krankheitsbild aus der<br />
Erwachsenenwelt verschiebt<br />
sich zu den Kindern:<br />
die Erschöpfungsdepression.<br />
dern und Jugendlichen in den vergangenen<br />
30 Jahren nicht zugenommen<br />
hätten – mit einer Ausnahme,<br />
wie er vermutet. «Ich begegne<br />
Jugendlichen, meistens Mädchen,<br />
die sich als traurig, antriebslos, weinerlich<br />
und niedergeschlagen be <br />
schreiben. Sie haben Schlafstörungen<br />
und zeigen das Vollbild einer<br />
Depression, passen bei genauerer<br />
Diagnostik aber nicht in die gängigen<br />
Kategorien.»<br />
Burnout bei Kindern? «Die Diagnose<br />
kam mir zunächst nicht in<br />
den Sinn, weil ich davon ausgegangen<br />
war, dass sie im<br />
>>><br />
Kindes<br />
«Ich kann mich<br />
nicht festlegen»<br />
Shakur, 17, hat manchmal Angst,<br />
sein Leben nicht auf die Reihe zu<br />
kriegen. Er will später den Betrieb<br />
seiner Eltern übernehmen, steht<br />
aber ohne Lehrstelle da.<br />
«Manchmal bereue ich es, dass ich die<br />
Schule auf die leichte Schulter genommen<br />
habe. Leider habe ich mich mehr auf meine<br />
Freunde konzentriert statt aufs Lernen.<br />
Meine Noten waren ganz gut, aber es<br />
haperte beim Betragen: Zuverlässigkeit,<br />
Pünktlichkeit – in meinem Zeugnis stehen<br />
die Kreuzchen am falschen Ort.<br />
Ich bin zwar nicht so der Schultyp, konnte<br />
es mir aber auch nicht vorstellen, nach<br />
der Sek schon mit Arbeiten anzufangen.<br />
Unserer Sek-Lehrerin war die Anzahl verschickter<br />
Bewerbungen wichtiger als das,<br />
was drinstand. Auch im zehnten Schuljahr<br />
bot der Klassenlehrer wenig Unterstützung<br />
beim Inhalt. Ich fand, das bringe wenig –<br />
und ging. Die Vereinbarung mit meinen<br />
Eltern war, dass ich im Pizzakurier mithelfe,<br />
den sie betreiben, und mich nebenher um<br />
eine Lehrstelle kümmere. Letzteres hat<br />
nicht wirklich funktioniert. Darum besuche<br />
ich neu eine Handwerksschule, ich gehe<br />
einmal die Woche in den Unterricht und<br />
muss mich um ein Praktikum bemühen. In<br />
der neuen Schule bereiten wir uns gezielt<br />
vor: Ich habe zwei Bewerbungen verschickt<br />
und bereits die Zusage für eine Schnupperlehre<br />
als Lüftungsmechaniker.<br />
Ich habe mir schon als Kind die Frage<br />
gestellt, was ich einmal arbeiten will. Bloss<br />
eine eindeutige Antwort fand ich nie. Ich<br />
habe so viele Inter essen, bin immer offen<br />
für Neues. Ich habe in viele Berufe hineingeschnuppert,<br />
fast überall hat es mir<br />
gefallen – aber ich konnte mir in keinem<br />
Fall vorstellen, nur noch diese eine Arbeit<br />
zu machen. Ich kann mich nicht festlegen.<br />
Mein Bruder macht eine KV-Lehre auf der<br />
Bank. Ich glaube, meine Mutter hätte mich<br />
auch gerne in so einem Beruf gesehen.<br />
Später würde ich gerne den Pizzaservice<br />
vom Vater übernehmen, ich bin mit dem<br />
Betrieb gross geworden, er bedeutet mir<br />
viel. Die Arbeit ist vielseitig: Man besorgt<br />
den Einkauf, kocht, macht das Büro, er -<br />
ledigt die Auslieferungen. Die mache ich<br />
besonders gerne, so sehe ich immer neue<br />
Gesichter. Mein Vater sagt, ich hätte noch<br />
viel vor mir, wenn ich den Betrieb übernehmen<br />
wolle. Es reiche nicht, von allem<br />
eine Ahnung zu haben, man müsse dahintersehen,<br />
im Detail Bescheid wissen.<br />
Ich habe einen guten Draht zu Menschen,<br />
ich glaube, man erreicht viel, wenn man<br />
ihnen mit Anstand begegnet. Aber ich habe<br />
Angst, dass ich nichts auf die Reihe bringe,<br />
weil ich mich so leicht ablenken lasse. Ich<br />
arbeite wirklich daran, mich zu verbessern.<br />
Ich hoffe, dass ich eine Lehrstelle finde und<br />
es schaffe, drei Jahre durchzubeissen, auch<br />
wenn es mal eintönig wird.»<br />
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