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COMPACT-Spezial 10

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<strong>COMPACT</strong> <strong>Spezial</strong><br />

_ Die islamische Expansion<br />

Zweierlei Maß<br />

Die Männer des ersten Kreuzzuges<br />

standen im Sommer <strong>10</strong>99<br />

vor ihrem ersehnten Ziel Jerusalem.<br />

Nach fünfwöchiger verlustreicher<br />

Belagerung wurde<br />

die Stadt am 15. Juli eingenommen.<br />

Danach kam es zu einem<br />

wahllosen Massaker an der Bevölkerung,<br />

was zu damaligen<br />

Zeiten keineswegs ungewöhnlich<br />

war, aber heutzutage gern<br />

als «beispiellose» Grausamkeit<br />

verzerrt wird. Das größte Blutbad<br />

der Kreuzzugsära fand jedoch<br />

1268 statt, nachdem der<br />

Mameluken-Sultan Baibars I.<br />

die christliche Stadt Antiochia<br />

erobert hatte. Danach schrieb<br />

er an ihren Grafen Bohemund einen<br />

höhnischen Brief: «Du hättest<br />

sicher gern gesehen, wie<br />

deine muslimischen Feinde den<br />

Mönchen, Priestern und Diakonen<br />

auf den Altären die Kehle<br />

durchschnitten, den Patriarchen<br />

einen plötzlichen Tod brachten<br />

und die königlichen Prinzen in<br />

die Sklaverei führten. Du hättest<br />

sicher auch gern das Feuer<br />

in euren Häusern und eure Toten<br />

verbrannt gesehen.» Antiochia<br />

war nach der Eroberung völlig<br />

entvölkert und unbewohnbar,<br />

ganz anders als Jerusalem. (JvF)<br />

Der Journalist und Historiker Jan<br />

von Flocken ist Autor zahlreicher<br />

geschichtswissenschaftlicher<br />

Bücher und schreibt seit der<br />

ersten Ausgabe für <strong>COMPACT</strong>. In<br />

Ausgabe 5/2016 erklärte er die<br />

Bedeutung des Sykes-Picot-Abkommens<br />

von 1916.<br />

Fotos: Public domain, Wikimedia<br />

Commons<br />

rung) in Spanien setzte Mitte des 11. Jahrhunderts<br />

ein erstes Zeichen. Hier kämpfte der kastilische<br />

Nationalheld «El Cid» erfolgreich mit seinen Rittern<br />

gegen fanatische Dschihadisten aus Nordafrika und<br />

konnte die Städte Toledo und Valencia besetzen.<br />

Wenig später begann die Ära der Kreuzzüge in<br />

den Nahen Osten. Hier waren die heiligsten Stätten<br />

der Christenheit in Palästina nach der Eroberung<br />

Jerusalems schon 637 unter muslimische Herrschaft<br />

gefallen. Doch während anfangs noch eine<br />

gewisse Duldsamkeit gegenüber den zahlreichen<br />

christlichen Pilgern geübt wurde, änderte sich das<br />

zu Beginn des 11. Jahrhunderts dramatisch. Unter<br />

dem doktrinären Kalifen al-Hakim kam es zu Plünderungen<br />

und Enteignungen christlicher Kirchen.<br />

Es durften keine öffentlichen Prozessionen mehr<br />

durchgeführt werden und alle christlichen Beamten<br />

wurden zur Annahme des Islams gezwungen.<br />

Im Jahre <strong>10</strong>09 befahl al-Hakim die Zerstörung<br />

der Kirche vom heiligen Grab in Jerusalem. Christen<br />

und Juden waren während der folgenden Jahrzehnte<br />

immer größeren Verfolgungen ausgesetzt.<br />

So berichtet der Geschichtsschreiber Wilhelm von<br />

Tyrus: «Selbst in ihren Häusern waren sie nicht in<br />

Frieden und Sicherheit; man bewarf sie mit großen<br />

Steinen, und durch die Fenster warf man Kot<br />

und Schmutz und allerlei Unrat. Wenn es geschah,<br />

dass ein Christ ein einziges Wort sagte, das diesen<br />

Ungläubigen missfiel, wurde er sogleich, als habe<br />

er einen Mord begangen, ins Gefängnis geworfen<br />

und verlor deswegen Fuß oder Hand (…). Oft<br />

schleppten die Ungläubigen die Söhne und Töchter<br />

der Christen in ihre Häuser und vergewaltigten sie.»<br />

Kampf um das Heilige Land<br />

Auf diese Provokationen musste der seit <strong>10</strong>88<br />

regierende Papst Urban II., ein gebürtiger Franzose,<br />

reagieren. Auf der Synode von Clermont, der bis<br />

dato größten Kirchenversammlung des Abendlandes,<br />

rief er im November <strong>10</strong>95 zum Kreuzzug gegen<br />

die Moslems auf. Urban erzählte von «schlimmen<br />

Nachrichten» aus Nahost: «Ein fremdes Volk, ein<br />

gottfernes Volk hat die Länder der dortigen Christen<br />

überfallen, durch Mord, Raub und Brand verwüstet,<br />

die Gefangenen verschleppt oder abgeschlachtet,<br />

die Kirchen Gottes entweder völlig zerstört oder<br />

für seinen Kult beschlagnahmt (…). Wem anders<br />

kommt die Aufgabe zu, dieses alles zu rächen und<br />

das Land zu befreien, als Euch?» Wie der Chronist<br />

und Synodenteilnehmer Fulcher von Chartres<br />

berichtet, wurde die Rede von einer tausendköpfigen<br />

Menge begeistert aufgenommen, die spontan<br />

in den Ruf «Deus lo vult!» (Gott will es) ausbrach.<br />

«Versuche, die Muslime als aufgeklärte<br />

Anhänger eines Multikulturalismus<br />

hinzustellen, sind<br />

bestenfalls ignorant.»<br />

Religionswissenschaftler Stark<br />

Der im folgenden Jahr unternommene Kreuzzug<br />

war keine unbegründete Aggression beutegieriger<br />

Strauchritter, wie heute gern dargestellt, sondern<br />

eine von einflussreichen Adligen vorbereitete und<br />

geführte Gegenreaktion: Es waren «die Versuche<br />

zur Rückgewinnung oder Verteidigung der Heiligen<br />

Stätten Palästinas insbesondere Jerusalems», wie<br />

der Mittelalter-Experte Nikolas Jaspert in seinem<br />

Buch Die Kreuzzüge (2008) urteilt. «Zwar ziehen<br />

auch Frauen, Kinder, Bauern und Kleriker mit, doch<br />

ist zum einen der ritterliche Anteil unter den Kämpfern<br />

höher, zum anderen unterstehen die Truppen<br />

der Leitung hochrangiger, kampferfahrener Fürsten.»<br />

Die Sorge um ihr Seelenheil sei ein wichtiges<br />

Motiv der Kreuzfahrer gewesen.<br />

Nach Ende der Kreuzzüge im 13. Jahrhundert<br />

war die Kette muslimischer Aggressionen gegen<br />

Europa noch lange nicht vorüber. Das osmanische<br />

Türkenreich eroberte Konstantinopel (1453), um<br />

danach als erklärtes Ziel den gesamten Kontinent<br />

zu unterwerfen.<br />

34<br />

<strong>10</strong>95 <strong>10</strong>99 1187 1291 1453 1492 1683<br />

Mit dem Aufruf «Gott<br />

will es» durch Papst<br />

Urban II. auf der Synode<br />

von Clermont beginnen<br />

die Kreuzzüge.<br />

Nach der Eroberung<br />

Jerusalems werden<br />

in der Levante vier<br />

Kreuzfahrerstaaten<br />

gegründet.<br />

In der Schlacht von<br />

Hattin nimmt der muslimische<br />

Heerführer<br />

Saladin Jerusalem<br />

ein.<br />

Mit Akkon fällt die<br />

letzte Festung der<br />

Kreuzfahrer im Heiligen<br />

Land in die Hände<br />

der Mamelucken.<br />

Mit der Eroberung<br />

Konstantinopels durch<br />

die Türken unter Mehmed<br />

II. endet das<br />

christliche Byzantinische<br />

Reich.<br />

Mit der Kapitulation<br />

von Granada fällt<br />

die letzte muslimische<br />

Enklave in Spanien.<br />

Die Reconquista ist<br />

abgeschlossen.<br />

Am Kahlenberg beendet<br />

ein europäisches<br />

Heer unter Führung<br />

Johann III. Sobieski<br />

die Belagerung Wiens<br />

durch die Türken.

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