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LayoutHeft 25-1.pmd - Das Magazin für Kunst, Architektur und Design

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Rainer Unruh<br />

Der Esoteriker<br />

Typologie der Vernissagen-Besucher - Folge 7<br />

Gerade haben Sie sich in die Betrachtung eines schimmernden<br />

<strong>und</strong> schwingenden Farbfeldes eingegroovt <strong>und</strong> denken voller<br />

Sehnsucht an den letzten Urlaub auf Sardinien, als sich eine knochige<br />

Hand in Ihren Arm bohrt <strong>und</strong> Sie ruppig von dem Gemälde<br />

wegstößt. Haben Sie nicht den roten Punkt gesehen, zischt es<br />

neben ihnen. Sie dürfen ruhig danke sagen. Ich habe Ihnen wahrscheinlich<br />

das Leben gerettet. Ein Paar stechender Augen blickt<br />

sie an, als seien Sie ein Selbstmörder, der kurz vor dem Sprung<br />

von der Brücke noch mal die Chancen auf einen Lottogewinn<br />

ausrechnet. Schade, denken Sie <strong>für</strong> einen Moment, dass Sie nicht<br />

James Bond sind <strong>und</strong> ihnen kein Q eine Armbanduhr mit Giftpfeilen<br />

zur sofortigen Lähmung des Sprachzentrums ihres Gegenübers<br />

mitgegeben hat, da bricht auch schon der Wortschwall<br />

wie eine Lawine über Ihnen zusammen. Kennen Sie nicht die<br />

roten Markierungen? Die bringt die Bruderschaft der Auktionatis<br />

neben jedem Gemälde an, dessen geistige Energien die Welt aus<br />

dem Gleichgewicht bringen können. Tatsächlich, Ihr Gegenüber<br />

schwankt. Es liegt der Duft von Picassos blauer Periode in der<br />

Luft. Sie dürfen hier nicht verharren. Sie könnten wahnsinnig<br />

werden. Der Griff an ihrem Arm verstärkt sich. Ich bin da eine<br />

Ausnahme. Ich habe <strong>Kunst</strong> studiert. Damals noch, bei Beuys.<br />

Der Wahnsinn, das sage ich ihnen. Wir sahen überall verborgene<br />

Bedeutungen, sogar auf der Tiefkühlpizza. Sie sollten mich mal<br />

besuchen. Aber rufen Sie vorher an. Dann entferne ich die roten<br />

Punkte. Einer muss ja schließlich den Überblick behalten.<br />

Kleines <strong>Kunst</strong>lexikon<br />

Rainer Unruh erklärt die Begriffe - Folge 24<br />

I wie Ironie<br />

Sigmar Polke, der den Geniekult mit dem Hinweis „Höhere Wesen<br />

befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!“ so genial verspottete,<br />

weilt nicht mehr unter uns. Aber die Ironie, eines seiner<br />

Markenzeichen, gedeiht prächtig. Zdenek Felix, Ex-Direktor<br />

der Hamburger Deichtorhallen, <strong>und</strong> der ebenfalls lange in<br />

Hamburg aktive Kurator <strong>und</strong> Kritiker Ludwig Seyfarth haben in<br />

Düsseldorf unter dem Titel „The Fate of Irony“ eine blitzgescheite<br />

<strong>und</strong> <strong>für</strong> den Betrachter höchst vergnügliche Ausstellung organisiert.<br />

Einer der dort gezeigten Künstler ist Christian Jankowski.<br />

Er lässt in „Strip the auctioneer“ einen Auktionator von Christie’s<br />

seine eigenen Kleidungsstücke versteigern, <strong>und</strong> man denkt sich,<br />

unmöglich wäre das nicht. Schließlich ist der <strong>Kunst</strong>markt neben<br />

der Börse <strong>und</strong> dem TV-Programm von RTL der einzige Bereich,<br />

in dem sich der Wahnsinn außerhalb geschlossener Anstalten<br />

ungeniert austoben darf. Als vor einigen Jahren auf der Art Basel<br />

Miami Beach ein Gemälde von Merlin Carpenter angeboten<br />

wurde, das aus wenig mehr als dem Schriftzug „Die Collector<br />

Scum“ bestand, wurde es gleich am ersten Tag von einem der als<br />

Abschaum beschimpften Sammler gekauft. Wer hat da gesiegt:<br />

das Geld, die Ironie oder die Dummheit? Man kann sich auch zu<br />

Tode siegen, <strong>und</strong> im Fall der Ironie träte der Exitus ein, wenn<br />

alle nur noch ironisch sein wollten. Dann gäbe es nichts mehr,<br />

über dessen Haltung sich lustig zu machen lohnte. Da muss man<br />

direkt dankbar <strong>für</strong> die Politik sein.<br />

o.T. ium<br />

| Simon Waßermann, Zeichnung <strong>für</strong> o.T, Esoteriker, 2010<br />

o.T. 21

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