Festspielzeit Frühling 2017
Das Magazin der Bregenzer Festspiele
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LAND DER SCHMUGGLER<br />
Maßregeln, die bisher schon gegen<br />
das Schmuggelwesen ergriffen<br />
wurden, vergebens sein.« Und<br />
hundert Jahre später, im Jahr 1935,<br />
wurde in der Wochenbeilage der<br />
Vorarlberger Landeszeitung für<br />
Volkstum festgestellt: »Aus der<br />
Charakteristik des Vorarlbergers<br />
treten neben mehreren schönen<br />
Eigenschaften auch einige nicht<br />
unbedeutende moralische Fehler<br />
hervor. Zu diesen gehören der<br />
fast allgemein gewordene Genuß<br />
geistiger Getränke im Übermaß,<br />
[sowie] ein bedenkliches Umsichgreifen<br />
des Schwärzerwesens.«<br />
EINE CARMEN AUS DEM<br />
MONTAFON?<br />
Die eingangs beschriebene Szene<br />
aus Carmen könnte in ähnlicher<br />
Form auch auf Vorarlberg zugetroffen<br />
haben, denn auch das Gebirge<br />
war ein wichtiger Schauplatz professionellen<br />
Schmuggelns. Für die<br />
häufig armen Montafoner Bauern<br />
beispielsweise war es wichtig, zusätzliche<br />
Verdienstmöglichkeiten<br />
zu finden. Sie konnten durch viele<br />
Tage Arbeit nicht annähernd das<br />
verdienen, was sie in einer einzigen<br />
Nacht durch Schmuggel erwirtschafteten.<br />
Eine bis heute bekannte<br />
Schmugglerpersönlichkeit war<br />
Meinrad Juen (1886–1949), der<br />
schon als Bauernjunge Anfang des<br />
20. Jahrhunderts zu schmuggeln<br />
begann, was ihm bald bescheidenen<br />
Wohlstand bescherte. Bis heute<br />
sind rund um seine Person zahlreiche<br />
Anekdoten überliefert, was<br />
auch auf Juens Schleppertätigkeit<br />
während des Zweiten Weltkriegs<br />
zurückzuführen ist, als er zahlreiche<br />
Flüchtlinge über die Grenze<br />
im Gebirge brachte. 1942 wurde er<br />
deshalb festgenommen, konnte allerdings<br />
entkommen und versteckte<br />
sich bis Kriegsende in St. Gallenkirch<br />
im Montafon.<br />
Wenig überraschend war das<br />
Schmuggeln in gebirgigen Regionen<br />
Sache junger Männer, schon weil<br />
das Tragen kiloschwerer Kaffeesäcke<br />
oder anderer Waren, sowie<br />
das Zurücklegen großer Strecken<br />
(meist bei Nacht und schlechter<br />
Witterung) große Kraft erforderte.<br />
Frauen war es in traditionellen Gesellschaften<br />
auch schwerer möglich,<br />
sich nachts derart frei zu bewegen.<br />
Im Montafon wird allerdings bis<br />
heute von einer Schmugglerin<br />
berichtet, die im Übrigen eine<br />
Klassenkameradin Meinrad Juens<br />
war: Romana Brugger (1887–1975)<br />
wird als schlau, verwegen, reich<br />
und nicht zuletzt als verrückt und<br />
suchtkrank beschrieben. Sie ist<br />
eine Figur, die große Aufmerksamkeit<br />
erregte. Eine Carmen aus dem<br />
Montafon? – Brugger war jedenfalls<br />
ein deutlich längeres Leben<br />
beschert als der aus Eifersucht<br />
ermordeten Carmen, wenn dieses<br />
auch von Schmerzen in den Beinen<br />
aufgrund einer Nervenkrankheit<br />
geprägt war. Ältere Montafoner und<br />
Prättigauer erinnern sich bis heute<br />
an sie: Wie Romana Brugger häufig<br />
am Straßenrand saß und sich die<br />
schmerzenden Beine massierte;<br />
dass sie in der »Juppa¹« eingenähte<br />
Taschen gehabt habe, in die sie den<br />
Kaffee zum Schmuggeln einfüllte;<br />
oder wie sie einen Zöllner aufgrund<br />
ihrer Schmerzen in den Beinen dazu<br />
brachte, sie mitsamt dem Kaffee<br />
auf dem Rücken ins Tal zu tragen –<br />
um danach mit ihrer Klugheit und<br />
ihrem Vorwitz zu prahlen.<br />
KAFFEE, ZUCKER, AUTOREIFEN<br />
Am häufigsten geschmuggelt<br />
wurde im 19. Jahrhundert und bis<br />
Mitte des 20. Jahrhunderts Tabak<br />
in verschiedenen Varianten, außerdem<br />
Zucker und Kaffee, letzterer<br />
vor allem in Form ungerösteter, weil<br />
geruchloser Kaffeebohnen. Darüber<br />
hinaus wurden Gebrauchsgegenstände<br />
oder Materialien geschmuggelt,<br />
die – meist auf der österreichischen<br />
Seite der Grenze – rar oder<br />
sehr teuer waren. Vom ebenfalls<br />
weithin bekannten Schweizer<br />
Schmuggler »Klusthöny« wird<br />
überliefert, dass er während des<br />
Ersten Weltkrieges sogar Auto-<br />
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