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<strong>ZAP</strong><br />

Zeitschrift für die Anwaltspraxis<br />

6 2017<br />

15. März<br />

29. Jahrgang<br />

ISSN 0936-7292<br />

Herausgeber: Rechtsanwalt Dr. Egon Schneider (†), Much • Rechtsanwalt Ekkehart Schäfer, Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer<br />

• Rechtsanwalt beim BGH Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Karlsruhe • Rechtsanwalt Martin W. Huff, Köln •<br />

Prof. Dr. Martin Henssler, Institut für Anwaltsrecht, Universität zu Köln • Rechtsanwältin und Notarin Edith Kindermann,<br />

Bremen • Rechtsanwalt und Notar Herbert P. Schons, Duisburg • Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen •<br />

Rechtsanwalt Dr. Hubert W. van Bühren, Köln<br />

} Mit dem <strong>ZAP</strong> Gesetzgebungsreport<br />

Inklusive<br />

<strong>ZAP</strong> App!<br />

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AUS DEM INHALT<br />

Kolumne<br />

Rechtsstaat, Eigenverantwortung und politisches Gutdünken – Zur Kölner Knöllchen‐Affäre (S. 267)<br />

Anwaltsmagazin<br />

Neuregelungen im März (S. 268) • Verschärfung der Geldwäschevorschriften (S. 271) • Mehr Erledigungen<br />

bei der Schlichtungsstelle der Anwaltschaft (S. 273)<br />

Aufsätze<br />

Schmitt‐Gaedke, Der Anspruch auf Vertragsstrafe und seine Durchsetzung im Prozess (S. 299)<br />

Maaß, Der Aufhebungsvertrag (S. 309)<br />

Hillenbrand, Psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren (S. 319)<br />

Maaß, Aufhebungsvertrag – Muster für die Anwaltspraxis (S. 323)<br />

Eilnachrichten<br />

BGH: Ersatzfähigkeit der Kosten für eine Reparaturbestätigung (S. 290)<br />

BVerfG: Verwerfung einer Nichtzulassungsbeschwerde (S. 295)<br />

BFH: Personenbezogene Ermittlung des Höchstbetrags bei häuslichem Arbeitszimmer (S. 296)<br />

In Zusammenarbeit mit der<br />

Bundesrechtsanwaltskammer


Inhaltsverzeichnis Fach Fach/Seite Heft/Seite<br />

Kolumne – – 267–268<br />

Anwaltsmagazin – – 268–274<br />

Gesetzgebungsreport – – 275–286<br />

Eilnachrichten 1 47–58 287–298<br />

Schmitt‐Gaedke, Der Anspruch auf Vertragsstrafe und<br />

seine Durchsetzung im Prozess – Leichtes Spiel für den<br />

Gläubiger? 2 641–650 299–308<br />

Maaß, Der Aufhebungsvertrag 17 1221–1230 309–318<br />

Hillenbrand, Psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren<br />

22 875–878 319–322<br />

Maaß, Aufhebungsvertrag – Muster für die Anwaltspraxis<br />

26 173–178 323–328<br />

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Redaktionsbeirat<br />

Ass. jur. Dr. Helene Bubrowski, Frankfurt/M. (F 25) • RiOLG a.D. RA Detlef Burhoff, Münster/Augsburg (F 9, 21, 22, 22R) • Prof. Dr.<br />

Nikolaj Fischer, Frankfurt/M. (F 2) • RA Prof. Dr. Eckhard Flohr, Gasteig/Kirchdorf i.T. (F 6) • RA Dr. Lutz Förster, Brühl (F 12) • RA Dr.<br />

Andreas Geipel, München (F 13) • RA Dr. Peter Haas, Bochum (F 20) • VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin (F 24) • RAin Dr.<br />

Annegret L. Harz, München (F 4, 4R, 7) • RA Prof. Dr. Bernd Hirtz, Köln (F 15) • RA Martin W. Huff, Köln (F 23) • RA Daniel Krause,<br />

Braunschweig (F 5) • RAin Dr. Kirstin Maaß, Köln (F 17, 17R) • RA a.D. Ralf Rödel, Málaga (F 19, 19R) • RA Dr. Ulrich Sartorius,<br />

Breisach a.R. (F 18) • RA Volker Simmer (F 3) • RiAG a.D. Prof. Dr. Heinz Vallender, Erftstadt (F 14) • RA Dr. Hubert W. van Bühren,<br />

Köln (F 10) • RiAG a.D. Dr. Wolfram Viefhues, Gelsenkirchen (F 11, 11R) • RA Guido Vierkötter, Neunkirchen-Seelscheid (F 16) • RA<br />

beim BGH Dr. Christian Zwade, Karlsruhe (F 8).<br />

Ständige Mitarbeiter<br />

Prof. Dr. Wilfried Alt, Frankfurt/M. • VorsRiVG Prof. Dr. Bernd Andrick, Gelsenkirchen • RiAG Prof. Dr. Ulf Börstinghaus, Gelsenkirchen<br />

• RiSG Thomas Bubeck, Freiburg • RiOLG a.D. RA Detlef Burhoff, Münster/Augsburg • VorsRiOLG Dr. Christoph Eggert, Düsseldorf •<br />

Prof. Dr. Nikolaj Fischer, Frankfurt/M. • RA Prof. Dr. Eckhard Flohr, Gasteig/Kirchdorf i.T. • VorsRiLG a.D. Uwe Gottwald, Vallendar •<br />

RA Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Köln • RA Dr. Peter Haas, Bochum • VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin • RA Dr.<br />

Wolfgang Hartung, Mönchengladbach • Prof. Dr. Martin Henssler, Köln • RA, Justitiar Haus u. Grund Hans Reinold Horst,<br />

Langenhagen • RiAG Ralph Kossmann, Wuppertal • Notar Dr. Hans-Frieder Krauß, Hof • RAuN Dr. Wilhelm Krekeler, Dortmund • RA<br />

Günter Lange, Haltern • RA Dr. Jörg Lauer, Mannheim • PräsSG a.D. RA Dr. Klaus Louven, Geldern • RA Dietmar Mampel, Bonn • RA<br />

Prof. Dr. Volkmar Mehle, Bonn • RA Prof. Dr. Ralf Neuhaus, Dortmund • RA Kai-Jochen Neuhaus, Dortmund • RA Dr. Mark Niehuus,<br />

Mühlheim a.d.R. • RA Prof. Dr. Hermann Plagemann, Frankfurt/M. • RA Prof. Dr. Hans-Jürgen Rabe, Hamburg • RiOLG a.D. Heinrich<br />

Reinecke, Lehrte • RA beim BGH Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Karlsruhe • RA Dr. Kurt Reinking, Köln • RA Prof. Dr. Franz Salditt,<br />

Neuwied • RA Dr. Ulrich Sartorius, Breisach a.R. • PräsLG a.D. Kurt Schellhammer, Konstanz • RA Norbert Schneider, Neunkirchen •<br />

RiAG a.D. Kurt Stollenwerk, Bergisch Gladbach • RiAG a.D. Prof. Dr. Wilhelm Uhlenbruck, Köln • RiAG Prof. Dr. Heinz Vallender,<br />

Erftstadt • RA Dr. Hubert W. van Bühren, Köln • RA Prof. Dr. Hans-Friedrich Frhr. von Dörnberg, Dresden.<br />

Impressum<br />

Manuskripte: Der Verlag haftet nicht für unverlangt eingesandte Manuskripte. Die Annahme zur Veröffentlichung erfolgt<br />

schriftlich. Mit der Annahme überträgt der Autor dem Verlag das ausschließliche Verlagsrecht. Eingeschlossen sind insb. die<br />

Befugnis zur Einspeicherung in eine Datenbank sowie das Recht der weiteren Vervielfältigung. Haftungsausschluss: Verlag und<br />

Autor/en übernehmen keinerlei Gewähr für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der abgedruckten Inhalte. Insb. stellen<br />

(Formulierungs-)Hinweise, Muster und Anmerkungen lediglich Arbeitshilfen und Anregungen für die Lösung typischer Fallgestaltungen<br />

dar. Die Verantwortung für die Verwendung trägt der Leser. Urheber- und Verlagsrechte: Alle Rechte zur<br />

Vervielfältigung und Verbreitung sind dem Verlag vorbehalten. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen<br />

Einrichtungen. Anzeigenverwaltung: <strong>ZAP</strong> Verlag GmbH, Rochusstr. 2–4, 53123 Bonn, Telefon: 0228/91911-41, Telefax: 0228/91911-66,<br />

E-Mail: anzeigen@zap-verlag.de. Erscheinungsweise: zweimal im Monat. Bezugspreis: Jährlich 241,- € zzgl. MwSt. und<br />

Versandkosten. Der Abonnementsvertrag ist auf unbestimmte Zeit geschlossen; Preisänderungen bleiben vorbehalten. Abbestellungen<br />

müssen sechs Wochen zum Jahresende erfolgen. Verlag: <strong>ZAP</strong> Verlag GmbH, Rochusstr. 2–4, 53123 Bonn, Telefon: 0228/<br />

91911-62, Telefax: 0228/91911-66, E-Mail: info@zap-verlag.de. Redaktion: RAin Eva Maria Marzinkowski (V.i.S.d.P.) – verantwortliche<br />

Redakteurin; Maria Teresa Feldkirchner – Redaktionsassistentin, E-Mail: redaktion@zap-verlag.de.<br />

Druck: Appel & Klinger Druck und Medien GmbH, Schneckenlohe. ISSN 0936-7292


<strong>ZAP</strong><br />

Kolumne<br />

Kolumne<br />

Rechtsstaat, Eigenverantwortung und politisches Gutdünken<br />

– Zur Kölner Knöllchen-Affäre<br />

Die Bild-Zeitung sprach von einer „unglaublichen<br />

Posse um die Knöllchen des Abzockerblitzers“.<br />

Auch andere Medien gingen wie selbstverständlich<br />

davon aus, dass eine staatliche Ausgleichspflicht<br />

besteht. In der Folgezeit haben Behörden und<br />

Politik ein merkwürdiges Verständnis von der<br />

Rollenverteilung im Rechtsstaat an den Tag gelegt.<br />

Was war geschehen? Zwischen Februar und<br />

Dezember 2016 waren auf dem Kölner Autobahnring<br />

im Bereich des Heumarer Dreiecks 453.597<br />

Autofahrer fälschlicherweise wegen Geschwindigkeitsüberschreitung<br />

geblitzt worden. Dabei war die<br />

Messanlage auf eine Höchstgeschwindigkeit von<br />

60 km/h eingestellt, tatsächlich waren laut der<br />

Beschilderung aber 80 km/h erlaubt. Die Stadt Köln<br />

soll aus diesem Fehler mehr als 11 Mio. Euro<br />

eingenommen haben. Die fehlerhafte Beschilderung<br />

wurde erst durch eine Entscheidung des<br />

Amtsgerichts Köln bekannt. Im Februar 2017 kam<br />

es dann zu dem eingangs geschilderten Medienhype,<br />

dessen Kernbotschaft darauf hinauslief, dass<br />

hier selbstverständlich die entsprechenden Gelder<br />

an die Betroffenen zurückerstattet werden, ja,<br />

diese sogar entschädigt werden müssten.<br />

Bei nüchterner Betrachtung der Rechtslage ist das<br />

kaum nachzuvollziehen. Auch wenn es sich um<br />

einen erheblichen Fehler handelte, führt dies nicht<br />

zur Nichtigkeit der entsprechenden behördlichen<br />

Bescheide. Soweit die vermeintlichen Verstöße mit<br />

Verwarnungsgeldern geahndet wurden, ist nach<br />

Zahlung des Verwarnungsgeldes eine Anfechtung<br />

jedenfalls in diesen Fällen nicht mehr möglich.<br />

Auch die Regelung bei bestandskräftigen Bußgeldbescheiden<br />

ist eindeutig: Eine Wiederaufnahme<br />

des Verfahrens nach § 85 OWiG ist nur möglich,<br />

wenn eine Geldbuße von mehr als 250 € festgesetzt<br />

worden ist oder ein Fahrverbot angeordnet<br />

wurde. Außerhalb dessen kommt allenfalls ein<br />

Erlass im Gnadenwege in Betracht. Eine formlose<br />

oder in der Politikersprache gerne als „unbürokratisch“<br />

bezeichnete Rückzahlung der Gelder sieht<br />

das Gesetz nicht vor und läuft Gefahr, als strafbare<br />

Untreue gem. § 266 StGB beurteilt zu werden.<br />

Entschädigungsansprüchen nach dem Gesetz über<br />

die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen<br />

(§ 110 OWiG) dürfte – soweit nicht eine<br />

Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgt – schon<br />

die Bestandskraft der einschlägigen Bescheide<br />

entgegenstehen. Es bliebe nur der Gnadenweg.<br />

Gleichwohl sind von politischer Seite halbherzige,<br />

aber öffentlichkeitswirksam betriebene Versuche<br />

gestartet worden, eben jenen Ausgleich zu bewirken.<br />

Mitte Februar hat die Stadt Köln daher –<br />

abgesegnet durch den Rat der Stadt – ein „freiwilliges<br />

Ausgleichsprogramm“ zur Rückzahlung an<br />

die Betroffenen auf entsprechenden Antrag auf<br />

ihrer Homepage freigeschaltet. Im Rahmen des<br />

freiwilligen Ausgleichsprogramms sollen Verwarnungs-<br />

und Bußgelder bis 250 €, die wegen einer<br />

Geschwindigkeitsüberschreitung erhoben worden<br />

sind, ausgeglichen werden können. Die Löschung<br />

eines Punkteeintrags im Fahrerlaubnisregister<br />

bzw. die Aufhebung eines Fahrverbotes sind von<br />

der Maßnahme nicht erfasst; ein solches „Ausgleichsprogramm“<br />

kann hierauf keinerlei Auswirkung<br />

haben. Das hat auch die Stadt Köln – mit<br />

Verweis auf § 85 OWiG – erkannt.<br />

Auf den praktisch tätigen Juristen wirkt eine solche<br />

Vorgehensweise befremdlich. Um nicht missverstanden<br />

zu werden: Der ursprüngliche Fehler lag<br />

bei der Stadt Köln. Auch ist es nachvollziehbar, dass<br />

die Betroffenen eine Rückabwicklung wünschen.<br />

Nur: Der Rechtsstaat gibt durch seine Gesetze für<br />

diese Fälle eine klare Aufgabenverteilung vor.<br />

Staatliches Handeln hat grundsätzlich rechtsfehlerfrei<br />

anhand der Gesetze zu erfolgen. Ist dieses<br />

Handeln hingegen rechtsfehlerhaft, ohne nichtig zu<br />

sein, so gewährt der Rechtsstaat dem Betroffenen<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 267


Anwaltsmagazin<br />

<strong>ZAP</strong><br />

entsprechende Rechtsbehelfe, mit denen er gegen<br />

die fehlerhafte staatliche Entscheidung vorgehen<br />

kann. Spiegelbildlich bedeutet das aber zugleich die<br />

Verpflichtung des Betroffenen, sich gegen rechtswidrige<br />

staatliche Akte durch diese Rechtsbehelfe<br />

auch im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben entsprechend<br />

zur Wehr zu setzen. Tut er dies nicht,<br />

kann er bei einem bestandskräftigen bzw. rechtskräftigen<br />

staatlichen Akt später nicht mehr dessen<br />

Rechtswidrigkeit behaupten und entsprechende<br />

Ansprüche durchsetzen. Im Rahmen der Zulässigkeit<br />

muss er ggf. eine Wiederaufnahme des Verfahrens<br />

anstreben. Hinter dieser Aufgabenverteilung<br />

steht einerseits die Schutzpflicht des<br />

Rechtsstaates, durch entsprechende Rechtsschutzmöglichkeiten<br />

dem Bürger die Möglichkeit des<br />

Vorgehens gegen staatliches Verhalten an die<br />

Hand zu geben. Andererseits bedeutet dies zugleich<br />

eine Eigenverantwortlichkeit des Bürgers, tätig zu<br />

werden und diese Möglichkeiten auch zu nutzen.<br />

Diese Aufgabenverteilung gilt auch für die hier in<br />

Rede stehende „Knöllchen-Affäre“. Die erhebliche<br />

Quantität der Betroffenen ändert daran nichts,<br />

dass es sich qualitativ bei der fehlerhaften Beschilderung<br />

um ein staatliches Fehlverhalten handelt,<br />

das durchaus vorkommen kann, auch wenn es<br />

nicht vorkommen darf. Es ist also Sache des Betroffenen,<br />

die Justiz durch entsprechende Rechtsbehelfe<br />

einzuschalten. Aufgabe der Richter ist es,<br />

solche Fehler festzustellen. Es ist ureigenstes<br />

Metier von Anwälten, die Betroffenen entsprechend<br />

zu beraten und ggf. zu solchen Schritten zu<br />

führen. Wer all dies nicht nutzt, sondern passiv<br />

bleibt, muss auch mit den Folgen leben. Angesichts<br />

der in Justizkreisen nicht ganz selten anzutreffenden<br />

Ansicht, es herrsche ein gewisser Hang zu<br />

„Prozesshanselei“, ist es schon erstaunlich, dass<br />

sich nur einer von etwa 450.000 Betroffenen<br />

gerichtlich zur Wehr gesetzt hat.<br />

Es stellt eine Aushebelung und Missachtung<br />

rechtsstaatlicher Prinzipien und Aufgabenverteilungen<br />

dar, wenn seitens der Politik nunmehr<br />

versucht wird, diese Vorgaben zu umgehen, um<br />

einen „unbürokratischen“ Ausgleich zu schaffen.<br />

Letztlich wird hier das Gesetz durch politisches<br />

Gutdünken ersetzt. Dem Betroffenen wird die<br />

Eigenverantwortung abgenommen, sich gegen<br />

entsprechende Bescheide zu wenden.<br />

Auch stellt sich die Frage nach der Präzedenzwirkung<br />

einer solchen Vorgehensweise. Behörden<br />

und politische Institutionen werden geradezu<br />

ermuntert, die formelle Rechtskraft von staatlichen<br />

Bescheiden zu umgehen, wenn Medien und<br />

Öffentlichkeit das Ergebnis nicht gefällt. Überhaupt:<br />

Ob es eine solche Medienwirkung und ein<br />

„Ausgleichsprogramm“ auch gegeben hätte, wenn<br />

es nicht um ca. 450.000 Betroffene gegangen<br />

wäre, sondern nur um 45? Ich wage das zu<br />

bezweifeln. Ein Schelm, wer angesichts dessen<br />

einen Bezug zu der bevorstehenden Landtagswahl<br />

in Nordrhein-Westfalen am 14.5.2017 vermutet.<br />

Aber vielleicht schüttelt auch der umtriebige<br />

Bundesjustizminister noch fix eine Gesetzesinitiative<br />

zur rückwirkenden Änderung des § 85<br />

OWiG aus dem Ärmel.<br />

RiAG Dr. AXEL DEUTSCHER, Bochum<br />

Anwaltsmagazin<br />

Neuregelungen im März<br />

In diesem Monat treten einige Neuregelungen in<br />

Kraft: Ärzte können Schwerkranken künftig Cannabis-Arznei<br />

verordnen, wenn dies die Heilung<br />

begünstigt oder Schmerzen lindert. Fracking<br />

bleibt in Deutschland verboten. Urheber und<br />

Künstler können künftig ihren Anspruch auf<br />

268 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


<strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin<br />

angemessene Vergütung besser durchsetzen. Im<br />

Einzelnen:<br />

• Medizinisches Cannabis auf Rezept<br />

Ärzte können Schwerkranken künftig Cannabis-<br />

Arzneimittel verordnen, wenn dies voraussichtlich<br />

die Heilung begünstigt oder Schmerzen lindert. Die<br />

Kosten werden von den gesetzlichen Krankenkassen<br />

übernommen. Eine staatliche Cannabisagentur<br />

kümmert sich um Import, Qualitätskontrolle und<br />

Verteilung des Medikaments. Der Eigenanbau von<br />

Cannabis und seine Verwendung als Rauschgift<br />

bleiben weiterhin verboten. Das Gesetz steht<br />

derzeit zur Verkündung im BGBl an und soll noch<br />

im März in Kraft treten.<br />

• Gesetzliche Krankenversicherung<br />

Am 1. März ist das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz<br />

in Kraft getreten, mit dem die Kontrollrechte<br />

der Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane<br />

ausgebaut werden. Das Gesetz enthält<br />

klare Vorgaben für das Aufsichtsverfahren sowie<br />

für die Haushalts- und Vermögensverwaltung. Die<br />

Novelle stellt eine Reaktion auf die jahrelangen<br />

Kontroversen in der Führung der Kassenärztlichen<br />

Bundesvereinigung dar.<br />

• Urhebervertragsrecht<br />

Ebenfalls am 1. März ist eine Reform des Urhebervertragsrechts<br />

in Kraft getreten, mit der Urheber<br />

und Künstler künftig ihren Anspruch auf angemessene<br />

Vergütung besser durchsetzen können sollen.<br />

Ein Anspruch auf angemessene Vergütung wurde<br />

zwar bereits 2002 gesetzlich verankert, gleichwohl<br />

können insbesondere freiberuflich tätige Kreative<br />

ihren gesetzlichen Anspruch oft nicht realisieren.<br />

Sie müssen sich nicht selten auf Vertragsbedingungen<br />

einlassen, mit denen sie gegen eine Einmalzahlung<br />

alle Rechte an ihren Leistungen aus der<br />

Hand geben (sog. Total Buy-Out) oder sie riskieren<br />

einen faktischen Boykott (sog. Blacklisting). Nunmehr<br />

erhalten sie das Recht, ihr Werk nach Ablauf<br />

von zehn Jahren in jedem Fall auch anderweitig<br />

vermarkten zu dürfen. Zudem bekommen sie einen<br />

umfassenden Auskunftsanspruch gegen die Verwerter.<br />

Auch führt das Gesetz eine Verbandsklage<br />

für Urheberverbände ein.<br />

• Fracking von Schiefergas<br />

Bereits am 11. Februar ist eine gesetzliche Regelung<br />

in Kraft getreten, derzufolge kommerzielles<br />

Fracking zur Förderung von Schiefergas bis 2021<br />

vorerst verboten bleibt. Erlaubt sind bis dahin<br />

lediglich Probebohrungen zu wissenschaftlichen<br />

Zwecken. Nach 2021 muss der Bundestag neu<br />

entscheiden, ob Fracking in Deutschland auch<br />

künftig verboten bleibt.<br />

• Strom- und Gasnetze<br />

Am 3. Februar sind Änderungen im Energiewirtschaftsgesetz<br />

in Kraft getreten, mit denen die<br />

Nutzungsrechte für Strom- und Gasnetze neu<br />

geregelt werden. Öffentliche Straßen und Fußwege,<br />

die für die Verlegung und den Betrieb von<br />

Strom- und Gasleitungen genutzt werden können,<br />

werden künftig in einem Wettbewerbsverfahren<br />

ermittelt. Bei der Neuvergabe der Verteilnetze<br />

können die Nutzungsrechte zwischen<br />

verschiedenen Energieversorgungsunternehmen<br />

wechseln.<br />

[Quelle: Bundesregierung]<br />

Neuer Anlauf für freie WLAN-<br />

Hotspots<br />

Der letzte Versuch der Bundesregierung, den<br />

freien Internetzugang im öffentlichen Raum zu<br />

fördern, ohne die Anbieter einem unkalkulierbaren<br />

Abmahnrisiko auszusetzen, hat sich als<br />

Fehlschlag erwiesen. Zum einen war die Änderung<br />

des Telemediengesetzes im vergangenen<br />

Jahr mit handwerklichen Mängeln behaftet (vgl.<br />

dazu auch die <strong>ZAP</strong> Kolumne 22/2016, S. 1151,<br />

„Halbe Sachen“), zum anderen hat der EuGH<br />

zwischenzeitlich mit einer Entscheidung wieder<br />

ein neues Abmahnrisiko geschaffen (vgl. dazu <strong>ZAP</strong><br />

EN-Nr. 705/2016).<br />

Die Bundesregierung hat daher jetzt einen neuen<br />

Anlauf unternommen, die WLAN-Zugänge in<br />

Cafés, Restaurants und Geschäften auf das international<br />

übliche Niveau zu bringen. Aus<br />

dem Bundeswirtschaftsministerium wurde Ende<br />

Februar bekannt, dass an einem Gesetzentwurf<br />

gearbeitet wird, mit dem die Störerhaftung eindeutiger<br />

als bisher eingeschränkt wird.<br />

Mit einer weiteren Änderung des Telemediengesetzes<br />

soll festgeschrieben werden, dass Inhaber<br />

von Urheberrechten von den Hotspot-Betreibern<br />

weder Schadensersatz noch Abmahngebühren<br />

verlangen dürfen, wenn sie feststellen, dass über<br />

deren WLAN unerlaubt etwa Werke in Tauschbörsen<br />

hochgeladen werden. Zudem soll keine<br />

Pflicht zur Verschlüsselung der WLAN-Zugänge<br />

oder Registrierung der Nutzer bestehen.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 269


Anwaltsmagazin<br />

<strong>ZAP</strong><br />

Auf der anderen Seite werden auch die Rechteinhaber<br />

bei festgestellten Verstößen gegen<br />

Urheberrecht nicht ganz schutzlos gestellt.<br />

Sie sollen – allerdings auf eigene Kosten – die<br />

Befugnis erhalten, im Einzelfall per gerichtlicher<br />

Anordnung Zugangssperren gegen Urheberrechtsverletzer,<br />

z.B. illegale Tauschbörsen im<br />

Internet, durchzusetzen.<br />

Der Gesetzentwurf befindet sich zzt. noch in der<br />

Ressortabstimmung unter den Ministerien. Er soll<br />

in Kürze auf den parlamentarischen Weg gebracht<br />

werden.<br />

[Red.]<br />

Produktinformationen für<br />

Mobilfunk- und Internetkunden<br />

Wesentliche Inhalte von Festnetz- und Mobilfunkverträgen<br />

müssen den Verbrauchern gegenüber<br />

zukünftig in einer transparenten Übersicht<br />

dargestellt werden. Die Bundesnetzagentur hat<br />

hierzu Mitte Februar entsprechende Vorgaben<br />

veröffentlicht, die für alle Verträge gelten, die<br />

einen Zugang zum Internet ermöglichen.<br />

Danach müssen die Anbieter von Internetzugangsdiensten<br />

ab dem 1.6.2017 vor Vertragsschluss<br />

für jedes Produkt ein Produktinformationsblatt<br />

in leicht zugänglicher Form bereitstellen.<br />

Auf maximal einer Seite sollen alle wesentlichen<br />

Leistungs- und Vertragsinhalte übersichtlich und<br />

leicht verständlich dargestellt werden. Das Produktinformationsblatt<br />

muss insbesondere genaue<br />

Angaben über die verfügbaren Datenübertragungsraten,<br />

die Vertragslaufzeiten, die Voraussetzungen<br />

für die Verlängerung und Beendigung<br />

des Vertrags sowie über die Kosten enthalten.<br />

Die neuen Vorgaben basieren auf der sog. TK-<br />

Transparenzverordnung der Bundesnetzagentur<br />

vom 19.12.2016. Sie sind das Ergebnis einer<br />

öffentlichen Anhörung, an der sich neben den<br />

Anbietern insbesondere auch Verbraucherschutzverbände<br />

beteiligt hatten.<br />

Etwas später werden auch Bestandskunden in die<br />

erweiterte Informationspflicht miteinbezogen. So<br />

müssen ab Dezember 2017 alle Kunden während<br />

eines laufenden Vertrags transparent informiert<br />

werden, etwa indem in der monatlichen Rechnung<br />

u.a. das Ende der Mindestvertragslaufzeit,<br />

die Kündigungsfrist und der letzte Kalendertag<br />

mitgeteilt werden, an dem die Kündigung eingehen<br />

muss, um eine automatische Vertragsverlängerung<br />

zu verhindern.<br />

Verbraucher haben nach der Verordnung auch<br />

einen Anspruch auf Informationen über belastbare<br />

Messergebnisse zur Leistungsfähigkeit des Internetanschlusses.<br />

Die Anbieter müssen die auf<br />

Möglichkeiten zur Überprüfung der Geschwindigkeit,<br />

wie z.B. das Messangebot der Bundesnetzagentur<br />

(www.breitbandmessung.de), hinweisen. Hier<br />

können Verbraucher die Datenübertragungsrate<br />

ihres Breitbandanschlusses selbst überprüfen.<br />

Die verschärften Vorgaben sollen den Kunden<br />

helfen, sowohl unterschiedliche Angebote eines<br />

Anbieters als auch Angebote anderer Anbieter<br />

schnell miteinander vergleichen zu können. Sie<br />

sollen künftig nicht mehr „das Kleingedruckte<br />

studieren“ müssen, erläuterte JOCHEN HOMANN, Präsident<br />

der Bundesnetzagentur, die Neuregelung.<br />

[Quelle: Bundesnetzagentur]<br />

Zwangsbehandlung von Betreuten<br />

Eine Regelungslücke im Genehmigungsverfahren<br />

für lebenswichtige medizinische Zwangsbehandlungen<br />

von Personen, die selbst zu einer verantwortlichen<br />

Entscheidung nicht in der Lage sind, soll<br />

mit einem Gesetzentwurf der Bundesregierung<br />

geschlossen werden, der jetzt dem Bundestag<br />

zugegangen ist (vgl. BT-Drucks 18/11240). Die<br />

Lücke war durch einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts<br />

vom 26.7.2016 (1 BvL 8/15, vgl.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 635/2016) offenbar geworden.<br />

Es geht, wie die Bundesregierung ausführt, um<br />

betreute Personen, „die einer ärztlichen Maßnahme mit<br />

natürlichem Willen widersprechen, obgleich sie aufgrund<br />

einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder<br />

seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen<br />

Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser<br />

Einsicht handeln können“, die aber „ohne die medizinisch<br />

indizierte Behandlung einen schwerwiegenden gesundheitlichen<br />

Schaden erleiden oder sogar versterben“.<br />

Nach geltendem Recht kann der Betreuer eine<br />

solche Zwangsbehandlung nur im Rahmen einer<br />

freiheitsentziehenden Unterbringung, also in<br />

einer geschlossenen Anstalt, veranlassen. In den<br />

Fällen, in denen der Betreute nicht in der Lage<br />

oder willens ist, sich durch Flucht zu entziehen,<br />

eine freiheitsentziehende Unterbringung also<br />

nicht geboten ist, kann auch die notwendige<br />

270 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


<strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin<br />

Behandlung nicht erzwungen werden, wie die<br />

Regierung ausführt. Das Bundesverfassungsgericht<br />

habe nun entschieden, dass diese Schutzlücke<br />

mit der aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folgenden<br />

Schutzpflicht des Staates unvereinbar ist.<br />

Mit dem vorgeschlagenen „Gesetz zur Änderung<br />

der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von<br />

ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung<br />

des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten“ soll<br />

daher die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme<br />

von der freiheitsentziehenden Unterbringung<br />

entkoppelt werden. Im Übrigen sollen<br />

die Voraussetzungen so streng bleiben wie bisher.<br />

So soll die richterliche Genehmigung an eine<br />

stationäre Unterbringung in geeigneten Einrichtungen<br />

gebunden bleiben, eine ambulante<br />

Zwangsbehandlung also weiterhin nicht erlaubt<br />

sein. Durch einen ausdrücklichen Vorrang von<br />

Patientenverfügungen soll zudem das Selbstbestimmungsrecht<br />

von Betreuten gestärkt werden.<br />

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass das Gesetz<br />

drei Jahre nach Inkrafttreten evaluiert wird, u.a.<br />

im Hinblick auf die Wirksamkeit der Schutzmechanismen.<br />

[Quelle: Bundestag]<br />

Verschärfung der Geldwäschevorschriften<br />

Die Bundesregierung hat am 22. Februar den<br />

Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Vierten<br />

EU-Geldwäscherichtlinie, zur Ausführung der<br />

EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation<br />

der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen<br />

beschlossen. Damit sollen die<br />

Präventionsmaßnahmen gegen Geldwäsche und<br />

Terrorismusfinanzierung verstärkt werden.<br />

Unter anderem wird die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen<br />

– kurz FIU – umstrukturiert<br />

und erhält mehr Personal. Bislang war<br />

sie unter dem Namen „Zentralstelle für Verdachtsmeldungen“<br />

beim Bundeskriminalamt im Geschäftsbereich<br />

des Bundesinnenministeriums angesiedelt.<br />

Nun wird sie in die Generalzolldirektion,<br />

also in den Geschäftsbereich des Bundesministeriums<br />

der Finanzen, überführt. Zugleich werden ihre<br />

Aufgaben und Kompetenzen unter Berücksichtigung<br />

der Vorgaben der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie<br />

neu geregelt. Ein Schwerpunkt wird auf<br />

der Analyse liegen, zudem soll die FIU erstmals<br />

eine Filterfunktion erfüllen: Es werden künftig nur<br />

noch „werthaltige“ Verdachtsmeldungen an die<br />

Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet, um diese<br />

so zu entlasten.<br />

Der Gesetzentwurf schafft auch die Voraussetzungen<br />

für ein zentrales elektronisches Transparenzregister.<br />

Daraus werden sich Angaben zu<br />

den wirtschaftlich Berechtigten von Unternehmen<br />

ersehen lassen. Mit Hilfe dieses Registers soll<br />

der Missbrauch von Gesellschaften und Trusts zu<br />

Zwecken der Geldwäsche, ihrer Vortaten wie<br />

Steuerbetrug und Terrorismusfinanzierung erschwert<br />

werden. Neben Behörden und Verpflichteten<br />

erhalten bei berechtigtem Interesse auch<br />

andere Personen und Organisationen wie Nichtregierungsorganisationen<br />

und Fachjournalisten<br />

Zugang.<br />

Damit die geldwäscherechtlichen Vorgaben auch<br />

eingehalten werden, sollen die Sanktionen bei<br />

Verstößen verschärft werden. Der Bußgeldrahmen<br />

für schwerwiegende, wiederholte und systematische<br />

Verstöße wird deutlich angehoben, zudem<br />

veröffentlichen die Aufsichtsbehörden künftig unanfechtbar<br />

gewordene Bußgeldentscheidungen<br />

auf ihrer Internetseite. Das soll präventiv wirken<br />

und zur Befolgung der geldwäscherechtlichen<br />

Vorschriften anhalten.<br />

[Quelle: BMF]<br />

Gesetzentwurf zu Gesichtsverhüllungen<br />

Beamte und Soldaten sollen nach dem Willen der<br />

Bundesregierung verpflichtet werden, ihr Gesicht<br />

bei Ausübung ihres Dienstes oder bei Tätigkeiten<br />

mit unmittelbarem Dienstbezug nicht zu verhüllen.<br />

Ausnahmen sollen nur zu gesundheitlichen<br />

oder dienstlichen Zwecken wie beispielsweise<br />

zum Infektionsschutz bzw. zum Eigenschutz<br />

möglich sein, wie aus einem Gesetzentwurf der<br />

Bundesregierung „zu bereichsspezifischen Regelungen<br />

der Gesichtsverhüllung“ (vgl. BT-Drucks<br />

18/11180) hervorgeht.<br />

Danach soll zudem durch eine Änderung des<br />

Bundeswahlgesetzes ein entsprechendes Verbot<br />

auch für die Mitglieder der Wahlausschüsse und<br />

Wahlvorstände festgeschrieben werden. Eine<br />

Änderung der Bundeswahlordnung sieht zugleich<br />

vor, dass Wähler vom Wahlvorstand zurückgewiesen<br />

werden können, wenn sie sich nicht<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 271


Anwaltsmagazin<br />

<strong>ZAP</strong><br />

ausweisen oder die Feststellung ihrer Identität<br />

durch den Wahlvorstand unmöglich machen.<br />

Zur Durchsetzung gesetzlich vorgesehener Identifizierungspflichten<br />

ist darüber hinaus eine Änderung<br />

des Personalausweisgesetzes vorgesehen.<br />

Danach erfolgt die Identifizierung einer ihren<br />

Ausweis vorlegenden Person durch einen Abgleich<br />

des Lichtbilds mit ihrem Gesicht. „Dies<br />

erfordert, dass das Gesicht deutlich erkennbar ist, und<br />

zwar in demselben Umfang wie auf dem Lichtbild des<br />

Ausweises abgebildet“, heißt es in der Begründung<br />

des Gesetzentwurfs. [Quelle: Bundestag]<br />

Abschiebungen im Jahr 2016<br />

Im vergangenen Jahr ist es nach Angaben der<br />

Bundesregierung zu mehr als 25.000 Abschiebungen<br />

aus Deutschland gekommen. Wie sie in<br />

ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage im Bundestag<br />

ausführt (vgl. BT-Drucks 18/11112), wurden im<br />

Jahr 2016 insgesamt 23.886 Abschiebungen auf<br />

dem Luftweg vollzogen, 1.376 Abschiebungen auf<br />

dem Landweg und 113 Abschiebungen auf dem<br />

Seeweg. Hauptzielstaaten waren den Angaben<br />

zufolge Albanien mit 6.045 Menschen vor Kosovo<br />

mit 4.988 und Serbien mit 3.769.<br />

Zurückweisungen auf dem Luftweg betrafen<br />

4.233 Menschen, auf dem Seeweg 56 Personen<br />

und auf dem Landweg 16.562, wie aus der Vorlage<br />

weiter hervorgeht. Zurückschiebungen erfolgten<br />

demnach in 47 Fällen auf dem Luftweg, in zwölf<br />

Fällen auf dem Seeweg und in 1.220 Fällen auf<br />

dem Landweg.<br />

Die Zahl der ausweislich des Ausländerzentralregisters<br />

im vergangenen Jahr erfolgten Ausreisen<br />

abgelehnter Asylbewerber wird in der Antwort<br />

mit 67.060 beziffert (Albanien: 20.162,<br />

Serbien: 12.683, Kosovo: 9.780).<br />

[Quelle: Bundesregierung]<br />

Abschiebungen werden erleichtert<br />

Die Bundesregierung will die Abschiebung abgelehnter<br />

Asylbewerber erleichtern. Zudem möchte<br />

sie verstärkt gegen sog. Gefährder vorgehen. Zu<br />

diesem Zweck hat sie im Februar einen entsprechenden<br />

Gesetzentwurf auf den Weg gebracht.<br />

Sie setzt mit diesem Vorhaben einen Beschluss<br />

um, den die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten<br />

der Länder Anfang Februar gefasst<br />

hatten. Dort hatte man sich darauf verständigt,<br />

Maßnahmen zur besseren Durchsetzung der<br />

Ausreisepflicht einzuführen.<br />

Mit den nun geplanten Änderungen erhält u.a.<br />

das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge<br />

(BAMF) weitere Befugnisse zur Feststellung der<br />

Identität von Asylsuchenden. Sie gelten, wenn<br />

der Antragsteller keine gültigen Ausweispapiere<br />

vorlegt; in diesem Falle soll das Bundesamt die<br />

Herausgabe von Mobiltelefonen und anderen<br />

Datenträgern verlangen und diese auswerten<br />

können. Ziel ist es, beispielsweise Hinweise auf<br />

die Staatsangehörigkeit zu finden. Ausländerbehörden<br />

haben eine solche Befugnis bereits.<br />

Die Bundesländer können neu ankommende<br />

Asylsuchende verpflichten, für einen bestimmten<br />

Zeitraum in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu<br />

wohnen. Bei guter Bleibeperspektive werden sie<br />

auf die Kommunen verteilt. Für Asylsuchende<br />

ohne Bleibeperspektive gilt: Die Bundesländer<br />

können die Verpflichtung in einer Erstaufnahmeeinrichtung<br />

zu wohnen, verlängern. Die Person<br />

kann dann direkt aus der Erstaufnahmeeinrichtung<br />

zurückgeführt werden.<br />

Die Bundesregierung will zudem verstärkt auf<br />

freiwillige Ausreisen setzen. Betroffene, die wissen,<br />

dass es keine verpflichtende Rückführung in<br />

ihr Heimatland gibt, reisen jedoch oft nicht<br />

freiwillig aus. Bei einer freiwilligen Rückkehr<br />

sollen sie deshalb eine Starthilfe erhalten. Die<br />

deutschen Behörden arbeiten hier eng mit der<br />

Internationalen Organisation für Migration zusammen.<br />

Vorrang hätten die Angebote für eine<br />

freiwillige Rückkehr, betonte kürzlich Bundesinnenminister<br />

DE MAIZIÈRE. Doch für Ausreisepflichtige,<br />

die den Angeboten nicht nachkämen,<br />

müsse die Abschiebung „ein mögliches und richtiges<br />

Mittel sein“. In Anbetracht der für dieses Jahr zu<br />

erwartenden hohen Zahl an Ablehnungen sei es<br />

wichtig, die Ausreisepflicht durchzusetzen.<br />

Der Gesetzentwurf befasst sich zudem mit sog.<br />

Gefährdern, d.h. Personen, von denen eine erhebliche<br />

Gefahr für Leib und Leben oder die innere<br />

Sicherheit ausgeht. Sind diese Personen ausreisepflichtig,<br />

gelten zukünftig strengere Regeln: Diese<br />

Personen können leichter in Abschiebehaft genommen<br />

oder vor ihrer Abschiebung stärker überwacht<br />

werden. In manchen Fällen ist eine Ab-<br />

272 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


<strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin<br />

schiebung nicht möglich. Dann kann ein Gefährder<br />

verpflichtet werden, eine sog. elektronische Fußfessel<br />

zu tragen. Es sei „nicht zu viel verlangt“, dass<br />

in Deutschland Schutz Suchende Auskunft über<br />

ihren Namen und ihre Staatsangehörigkeit geben,<br />

begründete DE MAIZIÈRE diese Maßnahme.<br />

Zudem soll das Ausreisegewahrsam von vier auf<br />

zehn Tage verlängert werden. Jugendämter sollen<br />

schneller als bisher für unbegleitete minderjährige<br />

Flüchtlinge Asylanträge stellen. So könne frühzeitig<br />

geklärt werden, wie sich ihr Aufenthaltsstatus<br />

entwickele. [Quelle: Bundesregierung]<br />

Examensskandal in Niedersachsen<br />

weitgehend aufgearbeitet<br />

Die rechtliche Aufarbeitung des Skandals um<br />

gekaufte Jura-Examen (vgl. dazu zuletzt <strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin 6/2015, S. 285) ist weitgehend<br />

abgeschlossen. Dies teilte Niedersachsens Justizministerin<br />

ANTJE NIEWISCH-LENNARTZ kürzlich der<br />

Presse mit. In dem Fall war ein Richter und<br />

Referatsleiter im niedersächsischen Justizprüfungsamt<br />

überführt worden, Referendaren Klausurlösungen<br />

zugänglich gemacht und hierfür<br />

jeweils bis zu 20.000 € kassiert zu haben. Nach<br />

Aufdeckung dieser Taten war er nach Italien<br />

geflohen, wo er festgenommen werden konnte;<br />

in seinem Gepäck wurden u.a. 30.000 € in bar<br />

und eine geladene Pistole entdeckt.<br />

2015 wurde er vor dem Landgericht Lüneburg<br />

wegen Bestechlichkeit, Verrats von Dienstgeheimnissen<br />

und versuchter Nötigung zu fünf<br />

Jahren Haft verurteilt. Damit war der Fall aber<br />

noch nicht abgeschlossen. Das Landesjustizministerium<br />

sah sich veranlasst, 200 Sonderprüfer<br />

einzusetzen, die rund 2.000 verdächtige Examen<br />

untersuchen sollten, darunter allein 16.000 Klausuren.<br />

Sie stießen auf 15 Absolventen des zweiten<br />

Staatsexamens, die sie mit dem Fall des verurteilten<br />

Richters in Verbindung bringen konnten.<br />

14 von ihnen wurde inzwischen das Examen<br />

aberkannt, ein weiterer Fall ist noch nicht rechtskräftig.<br />

„Im Wesentlichen ist das Thema jetzt juristisch<br />

abgearbeitet“, so das Fazit von ANTJE NIEWISCH-<br />

LENNARTZ, die sich immer noch erschüttert zeigte:<br />

„Es war ein Kapitel, das mir damals arg zugesetzt hat.<br />

Es fiel mir schwer, so etwas für möglich zu halten“.<br />

[Red.]<br />

Mehr Erledigungen bei der<br />

Schlichtungsstelle der Anwaltschaft<br />

Die Anzahl der im vergangenen Jahr 2016 bei der<br />

Schlichtungsstelle der Anwaltschaft eingegangenen<br />

Anträge ist nur leicht gestiegen, dafür konnte<br />

die Zahl der den Parteien unterbreiteten Schlichtungsvorschläge<br />

deutlich gesteigert werden; sie<br />

stieg um 40 % im Vergleich zum Vorjahr. Dies<br />

meldete die Schlichtungsstelle kürzlich in ihrem<br />

jährlichen Tätigkeitsbericht.<br />

Die Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft<br />

vermittelt seit nunmehr sechs Jahren Streitigkeiten<br />

über das Rechtsanwaltshonorar und/oder<br />

Schadensersatzforderungen wegen vermeintlicher<br />

Schlechtleistung zwischen Rechtsanwälten<br />

und ihren (ehemaligen) Mandanten. Seit dem<br />

vergangenen Jahr ist sie auch Verbraucherschlichtungsstelle<br />

im Sinne des neuen Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes<br />

(VSBG). Sie unterbreitet<br />

den Parteien ihre Schlichtungsvorschläge<br />

i.d.R. innerhalb von 90 Tagen nach Eingang der<br />

vollständigen Beschwerdeakte, d.h. nach Eingang<br />

der Stellungnahmen beider Parteien und Vorliegen<br />

aller erforderlichen Angaben sowie Unterlagen<br />

für die rechtliche Beurteilung der Streitigkeit.<br />

Wenn ein Ablehnungsgrund im Sinne der Satzung<br />

der Schlichtungsstelle vorliegt, lehnt die Schlichtungsstelle<br />

die Durchführung des Schlichtungsverfahrens<br />

i.d.R. innerhalb von drei Wochen nach<br />

Antragseingang bzw. nach Kenntnis des Ablehnungsgrundes<br />

ab.<br />

Wie die neue Statistik ausweist, lag die Annahmequote<br />

der Schlichtungsvorschläge in 2016 bei<br />

ca. 61 %. Insgesamt sind von Januar bis Dezember<br />

1.010 Anträge auf Schlichtung gestellt worden,<br />

knapp 5 % mehr als im Vorjahr. Die überwiegende<br />

Anzahl der Anträge betraf das allgemeine Zivilrecht,<br />

gefolgt vom Familienrecht und dem Erbrecht,<br />

danach dem Miet- und WEG-Recht, Arbeitsrecht<br />

sowie Bank- und Kapitalmarktrecht.<br />

Die mit Abstand meisten Anträge (138) kamen aus<br />

dem Kammerbezirk Berlin, obwohl dieser nicht<br />

der mitgliederstärkste in Deutschland ist. Die<br />

mitgliederstärksten Kammern München und<br />

Frankfurt/M. verzeichneten 84 bzw. 58 Schlichtungsanträge.<br />

Wenig Arbeit bescherten der<br />

Schlichtungsstelle auch die Rechtsanwaltskammer<br />

des Saarlandes und diejenige beim BGH: Aus<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 273


Anwaltsmagazin<br />

<strong>ZAP</strong><br />

dem Saarland kamen nur vier Anträge, vom BGH<br />

– wie schon im Jahr 2012 – gar keiner.<br />

In ihrem Tätigkeitsbericht weist die Schlichtungsstelle<br />

auch darauf hin, dass seit dem 1.2.2017 für<br />

alle Rechtsanwälte die Pflicht besteht, nach Entstehen<br />

einer vermögensrechtlichen Streitigkeit aus<br />

dem Mandatsverhältnis, also bei Streit über Gebührenrechnungen<br />

und/oder Schadensersatzforderungen<br />

wegen vermeintlicher Schlechtleistung,<br />

ihre Mandanten, die Verbraucher sind, in Textform<br />

auf die Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft<br />

und deren Anschrift sowie Website hinzuweisen,<br />

wenn eine Beilegung dieser Streitigkeit nicht ohne<br />

Hilfe gelingt (vgl. dazu auch schon <strong>ZAP</strong> Anwaltsmagazin<br />

3/2017, S. 95).<br />

Etwas ratlos zeigt sich die Schlichtungsstelle<br />

angesichts des Umstands, dass seit dem Inkrafttreten<br />

des VSBG die Anzahl der Fälle angestiegen<br />

ist, in denen die Antragsgegner – also i.d.R. die<br />

Rechtsanwälte – die Mitwirkung verweigern. Sie<br />

vermutet eine der Ursachen in den neuen ausführlichen<br />

Hinweispflichten der Schlichtungsstelle<br />

gegenüber den Parteien bei Beginn des Schlichtungsverfahrens.<br />

Insbesondere scheine der ausdrückliche<br />

Hinweis auf die Möglichkeit der Ablehnung<br />

des Schlichtungsverfahrens auf einige<br />

Beteiligte „fast wie eine Aufforderung zur Ablehnung<br />

der Mitwirkung“ zu wirken.<br />

[Quelle: Schlichtungsstelle der<br />

Rechtsanwaltschaft]<br />

Die Spanne der Erläuterungen und Ratschläge zu<br />

einzelnen Alltagsgeschäften (Stichwort: „Kein Tag<br />

ohne Vertrag“) reicht hierbei von den Kaufgeschäften<br />

des täglichen Lebens über Telefonund<br />

Internetverträge, Handwerker- und Arztdienstleistungen<br />

bis hin zu Bank- und Versicherungsverträgen.<br />

Verständlich wird z.B. erklärt,<br />

was bei Vertragsschluss zu beachten ist, ob<br />

Widerrufsrechte bestehen und wie Vertragsstörungen<br />

zu bewältigen sind.<br />

Einen breiten Raum nimmt auch die Rechtsdurchsetzung<br />

ein: So wird auf rund 30 Seiten<br />

auf die außergerichtliche Streitbeilegung und die<br />

Rechtsberatung durch Rechtsanwälte eingegangen,<br />

auf letztere allerdings ausschließlich unter<br />

dem Aspekt der voraussichtlich anfallenden Gebühren.<br />

Auch die Voraussetzungen der Beratungs-<br />

und der Prozesskostenhilfe werden kurz<br />

angerissen.<br />

Zurzeit ist die Broschüre ausschließlich als PDF-<br />

Version im Internet erhältlich (unter https://www.<br />

bundesregierung.de/Content/Infomaterial/BPA/Bestell-<br />

service/Ratgeber_Verbraucherschutz_2016.html?nn=6-<br />

94676); in Kürze soll sie nach Auskunft der Bundesregierung<br />

auch als (kostenlose) Printversion<br />

erhältlich sein. [Quelle: Bundesregierung]<br />

<strong>ZAP</strong> Verzeichnisse 2017<br />

Bestellen Sie die neuen <strong>ZAP</strong> Verzeichnisse zur<br />

Aktualisierung Ihres Grundwerks. Bitte nutzen Sie<br />

dazu das Formular am Anfang dieser <strong>ZAP</strong> Ausgabe.<br />

[Red.]<br />

Verbraucherratgeber in Neuauflage<br />

erschienen<br />

In der mittlerweile sechsten Auflage ist kürzlich die<br />

Broschüre „Verbraucherschutz kompakt – Guter<br />

Rat in Alltagsfragen“ erschienen. Auf 220 Seiten<br />

klärt der von der Bundesregierung herausgegebene<br />

Ratgeber Verbraucher über ihre Rechte<br />

insbesondere bei Alltagsgeschäften auf. Darüber<br />

hinaus nennt die Neuauflage kompetente Ansprechpartner<br />

wie etwa die Verbraucherschutzorganisationen,<br />

Ombudsleute und Schlichtungsstellen<br />

in Deutschland, und bietet zahlreiche<br />

Hinweise zu weiterführenden Informationsquellen.<br />

<strong>ZAP</strong> App<br />

Aufgrund einer Systemumstellung haben sich Ihre<br />

Zugangsdaten zur <strong>ZAP</strong> App, Ihrer digitalen Version<br />

der <strong>ZAP</strong>, geändert. Ihren neuen Aktivierungscode<br />

sowie Ihr neues Passwort finden Sie – wie<br />

gewohnt – auf dem Adressaufkleber der <strong>ZAP</strong>.<br />

Die <strong>ZAP</strong> App steht jedem Abonnenten der <strong>ZAP</strong><br />

kostenlos zur Verfügung: Lesen Sie Ihre neue <strong>ZAP</strong>-<br />

Ausgabe elektronisch auf dem PC, Smartphone<br />

oder Tablet und profitieren Sie von der intelligenten<br />

Archivierung der Inhalte sortiert nach dem<br />

jeweiligen Fach und Rechtsgebiet.<br />

Hinweise zur Installation der <strong>ZAP</strong> App entnehmen<br />

Sie unserer Website: www.zap-zeitschrift.de/app.<br />

[Red.]<br />

274 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


<strong>ZAP</strong><br />

Gesetzgebungsreport<br />

Drucksache<br />

Gesetzgebungsreport<br />

Zusammengestellt von Prof. Dr. MARTIN HENSSLER und Akademischer Rat Dr. CHRISTIAN DECKENBROCK,<br />

Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht an der Universität zu Köln<br />

Diese Ausgabe des Gesetzgebungsreports schließt<br />

an den in <strong>ZAP</strong> 6/2016, 271 ff. veröffentlichten<br />

Überblick an. Auch dieses Mal werden neben den<br />

wichtigsten der seitdem verabschiedeten oder in<br />

Kraft getretenen Gesetze die aus anwaltlicher<br />

Sicht besonders bedeutsamen Gesetzesvorhaben<br />

vorgestellt (Stand: 1.3.2017). Ihr Schicksal wird sich<br />

bald entscheiden: Da am 24.9.2017 die Wahlen zum<br />

19. Deutschen Bundestag anstehen, müssen die<br />

Gesetzgebungsverfahren bis zum Sommer zum<br />

Abschluss gebracht werden, wenn die Vorschläge<br />

nicht dem Grundsatz der Diskontinuität zum<br />

Opfer fallen sollen. Nicht mehr Gegenstand dieses<br />

Reports sind die Gesetze, die bereits in der letzten<br />

oder in früheren Ausgaben vorgestellt worden<br />

sind, aber erst im jetzigen Berichtszeitraum in<br />

Kraft getreten sind. Beispielhaft sei die zum 1.1.2017<br />

in Kraft getretene Neuregelung des § 49c BRAO<br />

genannt, die Rechtsanwälte verpflichtet, Schutzschriften<br />

ausschließlich zum Schutzschriftenregister<br />

nach § 945a ZPO einzureichen (eingefügt durch<br />

Art. 7 des Gesetzes zur Förderung des elektronischen<br />

Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom<br />

10.10.2013, BGBl I, S. 3786).<br />

I. Verkündete Gesetze<br />

1. Reglementierung von Leiharbeit und<br />

Werkverträgen<br />

Die Bundesregierung hat mit dem Gesetz zur<br />

Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes<br />

und anderer Gesetze vom 21.2.2017 (BGBl I,<br />

S. 258) ein weiteres ihrer in der Koalitionsvereinbarung<br />

fixierten großen arbeitsrechtlichen<br />

Reformprojekte zum Abschluss gebracht. Ziel<br />

der Neuregelung ist es, den zulasten der Stammbelegschaft<br />

gehenden „Fremdpersonaleinsatz“ in<br />

den Betrieben stärker zu regulieren. Das Gesetzgebungsverfahren<br />

war, nachdem der Bundesrat<br />

am 25.11.2016 grünes Licht für das vom Bundestag<br />

am 21.10.2016 beschlossene Gesetz gegeben hatte,<br />

noch im Jahr 2016 abgeschlossen worden. Auf<br />

Drängen der Arbeitgeberverbände tritt das Gesetz<br />

jedoch erst am 1.4.2017 in Kraft, um den<br />

Unternehmen eine hinreichende Vorbereitung<br />

auf die Änderungen zu ermöglichen.<br />

Das Reformgesetz umfasst zwei sachlich miteinander<br />

verbundene Regelungskomplexe, nämlich zum<br />

einen die stärkere Regulierung der Leiharbeit<br />

durch Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes<br />

(AÜG) und zum anderen die Eindämmung<br />

des Drittpersonaleinsatzes auf der Grundlage von<br />

Dienst- oder Werkverträgen. Zu den wichtigsten<br />

Änderungen im AÜG zählt die Einführung einer<br />

Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten, von<br />

der nur durch Tarifverträge der Tarifpartner der<br />

Einsatzbranche (nicht der Zeitarbeitsbranche!) abgewichen<br />

werden kann. Schon bei geringfügigen<br />

Überschreitungen wird ein Arbeitsverhältnis mit<br />

dem Entleiher fingiert. Allerdings darf der Arbeitnehmer<br />

nach einer Sperrzeit von drei Monaten<br />

wieder an seinen früheren Einsatzort entsandt<br />

werden. Außerdem wird in einem neuen § 8 AÜG<br />

der Grundsatz der Gleichstellung von Zeitarbeitnehmern<br />

und Stammarbeitnehmern konkretisiert.<br />

Abweichungen sind auch insoweit nur über Tarifverträge<br />

möglich, wobei Leiharbeitnehmer spätestens<br />

nach neun Monaten das gleiche Arbeitsentgelt<br />

(equal pay) erhalten müssen wie vergleichbare<br />

Stammbeschäftigte. Nur für Branchenzuschlagstarifverträge,<br />

die eine sukzessive Angleichung an<br />

das Entgelt der Stammbelegschaft vorsehen, greift<br />

eine Frist von 15 Monaten.<br />

Der von der Bundesregierung identifizierte „Missbrauch<br />

von Werkverträgen“ soll zum einen<br />

dadurch eingedämmt werden, dass in einem neu<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 275


Gesetzgebungsreport<br />

<strong>ZAP</strong><br />

in das BGB eingefügten § 611a nun mittelbar über<br />

eine Definition des Arbeitsvertrags klargestellt<br />

wird, wer Arbeitnehmer ist. Die Regelung lehnt<br />

sich auch im Wortlaut eng an die Rechtsprechung<br />

des BAG an. Auf einen Kriterienkatalog, wie ihn<br />

der erste Referentenentwurf noch vorsah (vgl.<br />

dazu den Gesetzgebungsreport 2016, <strong>ZAP</strong> 6/2016,<br />

271, 279 f.), wurde verzichtet. Zudem muss die<br />

Überlassung von Arbeitnehmern nach dem AÜG<br />

künftig ausdrücklich als solche bezeichnet werden.<br />

Verleiher und Entleiher begehen eine Ordnungswidrigkeit,<br />

wenn sie eine Arbeitnehmerüberlassung<br />

nicht offenlegen, sondern versuchen,<br />

diese durch Abschluss eines Scheinwerkvertrags<br />

zu verschleiern. Außerdem wird auch in diesem<br />

Fall ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher fingiert.<br />

Ausdrücklich verboten werden sog. Kettenarbeitnehmerüberlassungen,<br />

also die „Weiterverleihung“<br />

fremder Arbeitnehmer und der<br />

Einsatz von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher.<br />

Dagegen werden die Beteiligungsrechte des Betriebsrats<br />

entgegen ursprünglich weitergehenden<br />

Plänen lediglich durch eine Konkretisierung der<br />

Informationsrechte präzisiert.<br />

Zum neuen Recht siehe ausführlich HENSSLER/GRAU<br />

<strong>ZAP</strong> F. 17, S. 1231 (in der nächsten Ausgabe der <strong>ZAP</strong>)<br />

und DIES., Arbeitnehmerüberlassung und Werkverträge<br />

– Gesetzliche Neuregelung und Auswirkungen<br />

für die Praxis, Anwaltverlag 2017.<br />

2. Neuregelung des Sachverständigenrechts<br />

Mit Wirkung zum 15.10.2016 ist das Gesetz zur<br />

Änderung des Sachverständigenrechts und zur<br />

weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren<br />

in Familiensachen und in den Angelegenheiten<br />

der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie zur<br />

Änderung des Sozialgerichtsgesetzes, der Verwaltungsgerichtsordnung,<br />

der Finanzgerichtsordnung<br />

und des Gerichtskostengesetzes vom<br />

11.10.2016 (BGBl I, S. 2222) in Kraft getreten. Der<br />

Gesetzgeber verspricht sich von dieser Novelle<br />

vor allem, dass die Qualität der Sachverständigengutachten<br />

verbessert wird, dass das Vertrauen<br />

in die Unabhängigkeit und Neutralität<br />

gerichtlich bestellter Sachverständiger gestärkt<br />

wird sowie dass die Verfahren zur Erstattung<br />

der Gutachten unter Beachtung der Verfahrensgarantien<br />

beschleunigt werden (zu Einzelheiten<br />

LÜBLINGHOFF NJW 2016, 3329 ff.).<br />

Um diese Ziele zu erreichen, sieht das Gesetzespaket<br />

eine Stärkung der Beteiligungsrechte der<br />

Parteien bei der Auswahl des Sachverständigen<br />

vor. Um eine möglichst breite Entscheidungsgrundlage<br />

für das Gericht zu schaffen, kann das<br />

Gericht vor der Ernennung die Parteien zur Person<br />

des Sachverständigen anhören (§ 404 Abs. 2<br />

ZPO). Zur Verfahrensbeschleunigung ist das Gericht<br />

nach § 411 ZPO angehalten, dem Sachverständigen<br />

bei Anordnung der schriftlichen Begutachtung<br />

eine Frist zur Übermittlung des<br />

Gutachtens zu setzen. Wird diese missachtet,<br />

kann künftig gegen ihn ein Ordnungsgeld bis zur<br />

Höhe von 3.000 € festgesetzt werden. Der Sachverständige<br />

hat unverzüglich zu prüfen, ob er die<br />

Frist einhalten kann; ist dies nicht der Fall, muss er<br />

das Gericht unverzüglich verständigen (§ 407a<br />

Abs. 1 ZPO). Das Reformgesetz verpflichtet zudem<br />

den Sachverständigen, zur Gewährleistung seiner<br />

Neutralität unverzüglich zu prüfen, ob Gründe<br />

vorliegen, die geeignet sind, Zweifel an seiner<br />

Unparteilichkeit zu wecken, und diese dem Gericht<br />

unverzüglich mitzuteilen (§ 407a Abs. 2 ZPO).<br />

In Kindschaftssachen nach § 151 Nr. 1 bis 3 FamFG<br />

wurden zur Verbesserung der Qualität der Gutachten<br />

Qualifikationsanforderungen für Sachverständige<br />

gesetzlich vorgegeben: Festgeschrieben<br />

wurde, dass der Gutachter mindestens über<br />

eine psychologische, psychotherapeutische, kinder-<br />

und jugendpsychiatrische, psychiatrische,<br />

ärztliche, pädagogische oder sozialpädagogische<br />

Berufsqualifikation verfügen soll (§ 163 FamFG).<br />

Zudem wurde ein neuer, präventiv wirkender<br />

Rechtsbehelf bei überlanger Verfahrensdauer in<br />

bestimmten Kindschaftssachen eingeführt. Hiermit<br />

sollen die Vorgaben des EGMR (Urt. v. 15.1.2015<br />

– 62198/11, NJW 2015, 1433 – Kuppinger/Deutschland)<br />

umgesetzt werden.<br />

3. Zertifizierter Mediator<br />

Nachdem der Gesetzgeber mit dem am 26.7.2012<br />

in Kraft getretenen Mediationsgesetz (vgl. dazu<br />

HENSSLER/DECKENBROCK DB 2012, 159 ff.) den zertifizierten<br />

Mediator eingeführt (vgl. § 5 Abs. 2<br />

MediationsG) und ihm mit dem am 1.4.2016 in<br />

Kraft getretenen § 6 Abs. 2 VBSG (allgemein zu<br />

den Neuregelungen des VBSG RING <strong>ZAP</strong> F. 2,<br />

S. 623 ff.) die Rolle eines Streitmittlers zugewiesen<br />

hatte, wurde vom Bundesministerium für Justiz<br />

und Verbraucherschutz (BMJV) nunmehr endlich (!)<br />

auch die auf § 6 MediationsG gestützte Verordnung<br />

über die Aus- und Fortbildung von zertifizierten<br />

Mediatoren (Zertifizierte-Mediatoren-<br />

Ausbildungsverordnung – ZMediatAusbV) vom<br />

21.8.2016 (BGBl I, S. 1994) erlassen (dazu<br />

276 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


<strong>ZAP</strong><br />

Gesetzgebungsreport<br />

ausführlich RÖTHEMEYER ZKM 2016, 195 ff.). Um die<br />

Bezeichnung „zertifizierter Mediator“ zu führen,<br />

muss man eine Ausbildung im Umfang von 120<br />

Präsenzzeitstunden absolviert haben. Voraussetzung<br />

ist zudem die Durchführung einer Einzelsupervision<br />

im Anschluss an eine als Mediator<br />

oder Co-Mediator durchgeführte Mediation. Die<br />

in der Ausbildung abzudeckenden Themen sind im<br />

Anhang der Rechtsverordnung detailliert aufgelistet.<br />

Darüber hinaus müssen zertifizierte Mediatoren<br />

in den zwei Jahren nach Abschluss ihrer<br />

Ausbildung vier Mediationen leiten und in Einzelsupervisionen<br />

nachbereiten. Schließlich muss der<br />

zertifizierte Mediator alle vier Jahre Fortbildungen<br />

im Umfang von 40 Zeitstunden besuchen. Bemerkenswert<br />

ist, dass die Verordnung keine zentrale<br />

Prüfstelle mit der Zertifizierung von Mediatoren<br />

beauftragt, sondern es dem Mediator in<br />

eigener Verantwortung obliegt, ob er sich „zertifizierter<br />

Mediator“ nennen kann. Zu beachten ist,<br />

dass nach § 5 Abs. 1 MediationsG diejenigen, die<br />

nicht den Ausbildungsanforderungen der ZMediatAusbV<br />

entsprechen, weiterhin die Berufsbezeichnung<br />

„Mediator“ (nur eben ohne den Zusatz<br />

„zertifiziert“) verwenden dürfen. Die nun geschaffene<br />

Zertifizierung tritt zum 1.9.2017 in Kraft. Als<br />

zertifizierte Mediatoren können sich auch Personen<br />

bezeichnen, die ihre Fachkenntnisse im<br />

Ausland erworben haben. Erforderlich ist nach<br />

§ 6 ZMediatAusbV der Nachweis von mindestens<br />

90 Zeitstunden und die Durchführung von vier<br />

Mediationen.<br />

4. Keine Vereinbarung eines Schriftformerfordernisses<br />

in AGB<br />

Das Gesetz zur Verbesserung der zivilrechtlichen<br />

Durchsetzung von verbraucherschützenden Vorschriften<br />

des Datenschutzrechts vom 17.2.2016<br />

(BGBl I, S. 233) zielt nicht nur – durch verschiedene<br />

Änderungen des UKlaG und des UWG – auf einen<br />

verbesserten Schutz von Verbrauchern gegen die<br />

unzulässige Erhebung, Verarbeitung und Nutzung<br />

ihrer personenbezogenen Daten zu Zwecken der<br />

Werbung, der Markt- und Meinungsforschung, des<br />

Betreibens von Auskunfteien, des Erstellens von<br />

Persönlichkeits- und Nutzungsprofilen, des Adresshandels,<br />

des sonstigen Datenhandels oder zu vergleichbaren<br />

kommerziellen Zwecken. Es hat auch<br />

zum 1.10.2016 eine wichtige Änderung des AGB-<br />

Rechts mit sich gebracht. Nach § 309 Nr. 13 BGB ist<br />

nunmehr eine Bestimmung, durch die Anzeigen<br />

oder Erklärungen, die dem Verwender oder einem<br />

Dritten gegenüber abzugeben sind (z.B. eine<br />

Kündigung, eine Rücktritts- oder Anfechtungserklärung,<br />

eine Anzeige von Sachmängeln, Fristsetzungen<br />

oder Schadensmeldungen), an eine<br />

strengere Form als die Textform gebunden werden,<br />

unwirksam. Lediglich bei Verträgen, für die<br />

durch Gesetz notarielle Beurkundung vorgeschrieben<br />

ist, können auch bei vorformulierten Klauseln<br />

weiterhin Erklärungen in Schriftform verlangt<br />

werden. Damit kann ein Verbraucher jetzt etwa<br />

Verträge wie einen Fitnessstudio- oder Handyvertrag<br />

stets per E-Mail oder Fax kündigen. Zu<br />

beachten ist, dass auch nach der Gesetzesänderung<br />

besondere Schriftformerfordernisse, wie sie etwa<br />

für die Kündigung eines Mietverhältnisses (§ 568<br />

BGB) und eines Arbeitsvertrags (§ 623 BGB)<br />

bestehen, weiterhin zu beachten sind. Zu den<br />

Auswirkungen der Neuregelung auf arbeitsvertragliche<br />

Schriftformklauseln siehe HOLTHAUSEN <strong>ZAP</strong> F. 17,<br />

S. 1219 ff. und DZIDA/KROIS MDR 2016, 1357 ff.<br />

5. Zugang zum Basiskonto und erleichterter<br />

Kontenwechsel<br />

In Kraft getreten ist auch das Gesetz zur Umsetzung<br />

der Richtlinie über die Vergleichbarkeit von<br />

Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von Zahlungskonten<br />

sowie den Zugang zu Zahlungskonten<br />

mit grundlegenden Funktionen vom 11.4.2016<br />

(BGBl I, S. 720). Seit dem 19.6.2016 gewährt es<br />

jedem Verbraucher aus einem EU-Mitgliedstaat<br />

in Deutschland ein Recht auf Zugang zu einem<br />

Zahlungskonto mit grundlegenden Funktionen<br />

(Basiskonto = Konto auf Guthabenbasis). Hierunter<br />

fallen auch Obdachlose und Asylsuchende<br />

sowie Personen, die zwar keinen Aufenthaltsstatus<br />

haben, aber aus tatsächlichen oder rechtlichen<br />

Gründen nicht abgeschoben werden können (Geduldete).<br />

Das Recht auf Zugang zu einem solchen<br />

Zahlungskonto geht über die bisherige Selbstverpflichtung<br />

der Banken und Sparkassen weit hinaus,<br />

und zwar nicht nur hinsichtlich des Kreises der<br />

berechtigten Verbraucher, sondern auch hinsichtlich<br />

des Mindestumfangs der über das Zahlungskonto<br />

zu nutzenden Zahlungsdienste. Hierzu zählen<br />

die Dienste des Ein- oder Auszahlungsgeschäfts<br />

und das Zahlungsgeschäft ohne Kreditgeschäft unter<br />

Einschluss des Lastschrift-, Überweisungs- und<br />

Zahlungskartengeschäfts. Zudem wird festgeschrieben,<br />

dass Banken nur angemessene Entgelte<br />

erheben dürfen; die Kündigungsmöglichkeiten des<br />

Kreditinstituts sind deutlich eingeschränkt.<br />

Außerdem verpflichtet das Gesetz seit dem<br />

18.9.2016 die Banken, einen Kontenwechsel zu<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 277


Gesetzgebungsreport<br />

<strong>ZAP</strong><br />

erleichtern. Das neue Finanzinstitut muss – auch<br />

bei einem grenzüberschreitenden Kontenwechsel<br />

– die ein- und ausgehenden Überweisungen und<br />

Lastschriften des alten Kontos übernehmen. Zu<br />

diesem Zweck hat die bisherige Bank dem neuen<br />

Institut und dem Verbraucher binnen fünf Geschäftstagen<br />

eine Liste der bestehenden und zu<br />

übertragenden Daueraufträge und Lastschriften<br />

der letzten 13 Monate zu übermitteln. Die neue<br />

Bank muss wiederum innerhalb von fünf Geschäftstagen<br />

nach Erhalt der Informationen die<br />

gewünschten Daueraufträge einrichten sowie<br />

Zahlern, die Überweisungen auf das betreffende<br />

Konto tätigen, und Gläubigern von Lastschriftmandaten,<br />

die Geldbeträge vom Konto abbuchen,<br />

die neue Kontoverbindung mitteilen.<br />

Damit Kontoinhaber eine größere Transparenz<br />

über die Kosten ihres Kontos erhalten, müssen<br />

die Banken künftig zudem sowohl vor Vertragsschluss<br />

als auch während der Vertragslaufzeit<br />

über alle Gebühren nachvollziehbar informieren.<br />

6. Reform der Insolvenzanfechtung<br />

Am 16.2.2017 hat das Gesetz zur Verbesserung der<br />

Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung<br />

und nach dem Anfechtungsgesetz<br />

(BT-Drucks 18/7054 i.V.m. BT-Drucks 18/11199)<br />

nach langen Verhandlungen den Bundestag passiert;<br />

es wird nun dem Bundesrat zugeleitet.<br />

Gläubiger, die ihren Schuldnern Zahlungserleichterungen<br />

gewähren, sollen künftig allein aus diesem<br />

Grund keine Vorsatzanfechtung fürchten müssen.<br />

Künftig sind zudem Fälle, in denen Insolvenzverwalter<br />

Löhne von Arbeitnehmern zurückgefordert<br />

haben, ausgeschlossen. Vollstreckende Gläubiger<br />

sollen besser davor geschützt werden, dass sie<br />

einen errungenen Vollstreckungserfolg wieder herausgeben<br />

müssen. Schließlich wird die Verzinsung<br />

des Anfechtungsanspruchs neu geregelt.<br />

Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes werden<br />

Zinsen auf Insolvenzanfechtungsforderungen –<br />

auch für bereits eröffnete Verfahren – erst mit<br />

Eintritt des Verzugs entstehen.<br />

7. Abschaffung der Störerhaftung?<br />

Erklärtes Ziel des Zweiten Gesetzes zur Änderung<br />

des Telemediengesetzes vom 21.7.2016 (BGBl I,<br />

S. 1766), das am 27.7.2016 in Kraft getreten ist, ist<br />

es sicherzustellen, dass WLAN-Anbieter für<br />

Rechtsverletzungen von Nutzern ihres WLAN<br />

nicht schadensersatzpflichtig sind und sich auch<br />

nicht strafbar machen (BT-Drucks 18/8645, S. 10).<br />

Allgemein wird bezweifelt, dass das Gesetz gelungen<br />

ist. Es könne nicht ausgeschlossen werden,<br />

dass Unterlassungsansprüche und kostenpflichtige<br />

Abmahnungen weiterhin möglich seien<br />

(zu Einzelheiten SPINDLER NJW 2016, 2449 ff.).<br />

Zudem kann nach einem aktuellen EuGH-Urteil<br />

(Urt. v. 15.9.2016 – C-484/14, NJW 2016, 3503 –<br />

McFadden/Sony Music) einem Geschäftsinhaber,<br />

der der Öffentlichkeit kostenlos ein WLAN zur<br />

Verfügung stellt, durch eine Anordnung aufgegeben<br />

werden, sein Netz durch ein Passwort zu<br />

sichern, um Rechtsverletzungen von Nutzern zu<br />

beenden oder ihnen vorzubeugen. Diese bestehenden<br />

Rechtsunsicherheiten sollen – wie das<br />

Bundeswirtschaftsministerium Ende Februar erklärt<br />

hat – kurzfristig im Rahmen eines neuen<br />

Gesetzvorhabens beseitigt werden.<br />

8. Verbesserung des Schutzes der sexuellen<br />

Selbstbestimmung<br />

Am 10.11.2016 ist das 50. Gesetz zur Änderung des<br />

Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes<br />

der sexuellen Selbstbestimmung vom 4.11.2016<br />

(BGBl I, S. 2460) in Kraft getreten. Es bringt unter<br />

den Eindrücken der Ereignisse auf der Kölner<br />

Domplatte in der Silvesternacht 2015 eine grundlegende<br />

Neuausrichtung des Rechts der sexuellen<br />

Selbstbestimmung mit sich und erklärt<br />

sexuelle Handlungen bereits dann für strafbar,<br />

wenn sie gegen den erkennbaren entgegenstehenden<br />

Willen des Opfers unabhängig von Motivlage<br />

oder Verteidigungshaltung (Nichteinverständnislösung,<br />

„Nein-heißt-Nein“) erfolgen (§ 177 Abs. 1<br />

StGB). Darüber hinaus werden mit § 177 Abs. 2<br />

StGB im Wesentlichen Tathandlungen unter Strafe<br />

gestellt, bei denen das Opfer keinen entgegenstehenden<br />

Willen bilden oder äußern kann bzw.<br />

unter dem Eindruck einer Drohung ein „Ja“ erklärt<br />

hat. Mit dem neuen Straftatbestand der sexuellen<br />

Belästigung (§ 184i StGB) werden Sachverhalte<br />

erfasst, die keine sexuelle Handlung im Sinne des<br />

StGB darstellen, weil sie die dafür gem. § 184h Nr. 1<br />

StGB erforderliche Erheblichkeitsschwelle nicht<br />

erreichen. Ein solches strafbares „Begrapschen“<br />

kann z.B. beim zielgerichteten Berühren der weiblichen<br />

Brust oder des Hinterteils gegeben sein.<br />

Schließlich kann nach § 184j StGB – bei Betroffenheit<br />

der §§ 177 und 184i StGB – künftig auch<br />

derjenige strafrechtlich sanktioniert werden, der<br />

eine Straftat dadurch fördert, dass er sich an einer<br />

Personengruppe beteiligt, die eine andere Person<br />

zur Begehung einer Straftat an ihr bedrängt. Zu<br />

Einzelheiten des Gesetzespakets siehe RENZIKOWSKI<br />

NJW 2016, 3553 ff.<br />

278 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


<strong>ZAP</strong><br />

Gesetzgebungsreport<br />

9. Erweiterter Schutz gegen Stalking<br />

Das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes gegen<br />

Nachstellungen (BT-Drucks 18/9946 i.V.m. BT-<br />

Drucks 18/10654), das am 15.12.2016 vom Deutschen<br />

Bundestag verabschiedet worden ist und am<br />

10.2.2017 den Bundesrat passiert hat, wird in Kürze<br />

im BGBl verkündet werden und einen Tag später in<br />

Kraft treten. Der 2007 in Form des § 238 StGB<br />

geschaffene Stalkingtatbestand griff bislang nur,<br />

wenn die Tat (etwa durch ständiges Verfolgen<br />

oder Telefonterror) die Lebensgestaltung des<br />

Opfers schwerwiegend beeinträchtigt hat (Beispiel:<br />

Umzug, Jobwechsel). Diese Formulierung hat<br />

zu Strafbarkeitslücken geführt, wenn das Opfer auf<br />

die Handlung des Täters nicht reagiert hat,<br />

sondern in besonnener Selbstbehauptung aufgetreten<br />

ist und seine Lebensführung trotz der<br />

Nachstellungen nicht verändert hat. Künftig genügt<br />

es für die Strafbarkeit bereits, dass die<br />

Nachstellungen geeignet sind, das Leben des<br />

Opfers schwerwiegend zu beeinträchtigen.<br />

II. Aktuelle Gesetzesvorhaben<br />

1. BRAO-Novelle<br />

Umfangreiche Änderungen vor allem der Bundesrechtsanwaltsordnung<br />

(BRAO) sieht der Regierungsentwurf<br />

eines Gesetzes zur Umsetzung der<br />

Berufsanerkennungsrichtlinie und zur Änderung<br />

weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden<br />

Berufe (BT-Drucks 18/9521) vor. Ausgangspunkt<br />

des Gesetzgebungsvorhabens war die Erforderlichkeit,<br />

die durch die Richtlinie 2013/55/EU<br />

(ABl L 354 v. 28.12.2013, S. 132; L 268 v. 15.10.2015,<br />

S. 35; L 95 v. 9.4.2016, S. 20) erfolgten Änderungen<br />

der Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG (ABl<br />

L 255 v. 30.9.2005, S. 22; L 271 v. 16.10.2007, S. 18;<br />

L 93 v. 4.4.2008, S. 28; L 33 v. 3.2.2009, S. 49; L 305<br />

v. 24.10.2014, S. 115) im deutschen Recht umzusetzen.<br />

Neu gestaltet wurden die Regelungen über<br />

die Anerkennung von Berufsqualifikationen, die in<br />

anderen Mitgliedstaaten der EU erworben wurden.<br />

Außerdem sieht die Richtlinie für den Bereich<br />

der reglementierten Berufe erleichterte Voraussetzungen<br />

für die vorübergehende und gelegentliche<br />

grenzüberschreitende Erbringung von<br />

Dienstleistungen innerhalb der EU vor.<br />

Daneben widmet sich der Gesetzentwurf zahlreichen<br />

Einzelfragen aus dem Berufsrecht der rechtsberatenden<br />

Berufe (siehe bereits den Überblick bei<br />

HUFF <strong>ZAP</strong> 20/2016, 1043 f.). So soll der Satzungsversammlung<br />

der Bundesrechtsanwaltskammer<br />

(BRAK) auch die Kompetenz eingeräumt werden,<br />

die Pflichten bei der Zustellung von Anwalt zu<br />

Anwalt näher zu regeln. Dieser Vorschlag geht<br />

auf eine Entscheidung des BGH zurück (Urt. v.<br />

26.10.2015 – AnwSt (R) 4/15, NJW 2015, 3672),<br />

nach der die bisherige Fassung des § 14 BORA,<br />

anders als von den Rechtsanwaltskammern vertreten,<br />

mangels entsprechender Satzungskompetenz<br />

nicht für Zustellungen von Anwalt zu<br />

Anwalt nach § 195 ZPO gilt. Als Folge dieser<br />

Rechtsprechung stand zu befürchten, dass Zustellungen<br />

von Anwalt zu Anwalt künftig erheblich<br />

erschwert werden. Anwälte konnten diesen Zustellweg<br />

nicht mehr als sicher ansehen und<br />

mussten andere Wege überlegen. Auch hatten<br />

die Anwälte auf der Empfängerseite nunmehr zu<br />

prüfen, ob sie ihre Mitwirkung an einer für ihre<br />

Mandantschaft nachteiligen Zustellung zu verweigern<br />

haben. Die 6. Satzungsversammlung der<br />

BRAK hat in ihrer 3. Sitzung am 21.11.2016 bereits im<br />

Vorgriff auf die geplante Kompetenzerweiterung<br />

eine Änderung des § 14 BORA verabschiedet, die<br />

den Anwalt verpflichtet, bei Zustellungen von<br />

Anwalt zu Anwalt mitzuwirken. Dieser sog. Vorratsbeschluss<br />

soll dafür sorgen, dass die Neuregelung<br />

möglichst bald nach der Verabschiedung des<br />

Gesetzes in Kraft treten kann.<br />

Außerdem soll das Wahlrecht für die Wahlen<br />

zu den Vorständen der Anwaltskammern nicht<br />

mehr persönlich in der Kammerversammlung<br />

ausgeübt werden müssen. Künftig soll bundeseinheitlich<br />

in allen Rechtsanwaltskammern eine<br />

Briefwahl erfolgen, wobei auch eine elektronische<br />

Wahl erlaubt werden kann. Dabei kann die<br />

Briefwahl auch in der Form organisiert werden,<br />

dass die den Kammermitgliedern übersandten<br />

Stimmzettel auch in der Kammerversammlung<br />

abgegeben werden können. Die Kammerversammlung<br />

kann somit weiterhin die Wahl der<br />

Vorstandsmitglieder zum Gegenstand haben und<br />

Gelegenheit für eine Vorstellung der Kandidaten<br />

bieten. Mit der geplanten Änderung des § 64<br />

BRAO reagiert der Gesetzgeber auf die niedrige<br />

Wahlbeteiligung bei den Vorstandswahlen und<br />

will so die demokratische Legitimation der gewählten<br />

Vertreter steigern. Der Entwurf nimmt<br />

sich auch des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs<br />

(beA) an. Der Regierungsentwurf<br />

stellt nun klar, dass die BRAK die besonderen<br />

elektronischen Anwaltspostfächer empfangsbereit<br />

einzurichten hat. Zudem wird jeder Anwalt<br />

ab dem 1.1.2018 berufsrechtlich zur passiven<br />

Nutzung seines beA verpflichtet (§ 31 BRAO-E).<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 279


Gesetzgebungsreport<br />

<strong>ZAP</strong><br />

Bei (angehenden) Syndikusrechtsanwälten soll<br />

durch eine Änderung des § 46a Abs. 4 BRAO<br />

sichergestellt werden, dass ihnen aus einer etwaigen<br />

Verzögerung des berufsrechtlichen Zulassungsverfahrens<br />

keine Nachteile im Hinblick auf<br />

die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht<br />

entstehen. Künftig soll ein Syndikusrechtsanwalt<br />

mit der Zulassung rückwirkend zu dem Zeitpunkt<br />

Mitglied der Rechtsanwaltskammer werden, zu<br />

dem der Antrag auf Zulassung dort eingegangen<br />

ist – frühestens aber zum Zeitpunkt der Aufnahme<br />

der entsprechenden Tätigkeit. Damit soll zugleich<br />

gewährleistet werden, dass – entgegen der bisherigen<br />

Praxis der Deutschen Rentenversicherung<br />

Bund – auch die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht<br />

rückwirkend erfolgt und der<br />

Antragsteller nicht für einen Übergangszeitraum<br />

rentenversicherungspflichtig bleibt. Mithilfe einer<br />

Übergangsregelung soll zudem erreicht werden,<br />

dass auch alle bereits zugelassenen Syndikusrechtsanwälte<br />

von dieser Rückwirkung profitieren.<br />

Schließlich soll der (internationale) Anwendungsbereich<br />

des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG)<br />

erstmals gesetzlich definiert werden. Dieses Vorhaben<br />

wurde anfangs von der BRAK hart kritisiert,<br />

weil man eine zu weitgehende Liberalisierung<br />

befürchtete. Inzwischen soll man sich aber auf<br />

eine überarbeitete Fassung des § 1 Abs. 2 RDG-E<br />

verständigt haben. So sollen die Beschränkungen<br />

des RDG künftig für Rechtsdienstleistungen, die<br />

ausschließlich aus einem anderen Staat heraus<br />

erbracht werden, immer dann greifen, wenn<br />

Gegenstand der Rechtsdienstleistung deutsches<br />

Recht ist. Außerdem sollen die nationalen Schutzvorschriften<br />

des Berufsrechts der rechtsberatenden<br />

Berufe gelten, wenn sich der ausländische<br />

Rechtsdienstleister nicht in das Gebiet der Bundesrepublik<br />

Deutschland begibt. Nicht in den Anwendungsbereich<br />

des RDG sollen dagegen Beratungsleistungen<br />

im ausländischen Recht durch einen im<br />

Ausland ansässigen Rechtsdienstleister fallen.<br />

Der Regierungsentwurf sieht zudem umfangreiche<br />

Regelungen zur anwaltlichen Fortbildung vor.<br />

Geplant war es, der Satzungsversammlung der<br />

BRAK die Kompetenz einzuräumen, die allgemeine<br />

Fortbildungspflicht (§ 43a Abs. 6 BRAO) näher zu<br />

regeln. Auf ihrer letzten Sitzung hatte die Satzungsversammlung<br />

(letztlich ohne Ergebnis) überlegt,<br />

im Fall des Inkrafttretens der Kompetenzerweiterung<br />

eine Fortbildungspflicht im Umfang<br />

von 40 Stunden pro Jahr festzulegen und eine<br />

Nachweispflicht gegenüber der zuständigen<br />

Rechtsanwaltskammer für zehn Stunden vorzusehen.<br />

Nach bisherigem Recht sind nur Fachanwälte<br />

verpflichtet, der Rechtsanwaltskammer jährlich<br />

eine Fortbildung im Umfang von 15 Stunden nachzuweisen.<br />

Zudem sollte ein Rechtsanwalt verpflichtet<br />

werden, innerhalb des ersten Jahres<br />

nach seiner Zulassung an einer Lehrveranstaltung<br />

über das rechtsanwaltliche Berufsrecht, die mindestens<br />

zehn Zeitstunden dauern und die wesentlichen<br />

Bereiche des Berufsrechts umfassen soll,<br />

teilzunehmen. Um die zu erwartenden Verfahren<br />

bei Verletzung der Fortbildungspflichten effizient<br />

ohne Einschaltung von Staatsanwaltschaft und<br />

Gerichten bis hinauf zum BGH erledigen zu<br />

können, war es außerdem geplant, dem Kammervorstand<br />

die Kompetenz einzuräumen, die von ihm<br />

auszusprechende Rüge mit einer Geldbuße von<br />

bis zu 2.000 € zu verbinden.<br />

Dem Vernehmen nach will der Rechtsausschuss<br />

diese drei Änderungen aber – gegen den Willen der<br />

Berufsverbände – zumindest zurückstellen. Wegen<br />

der anhaltenden Diskussionen wurde im Dezember<br />

2016 sowie im Januar und Februar 2017 viermal die<br />

Beschlussfassung über das Vorhaben kurzfristig<br />

vertagt. Im März soll ein erneuter Anlauf genommen<br />

werden, um die BRAO-Novelle (oder das, was<br />

von ihr noch übrig bleibt) über die Ziellinie zu<br />

bringen. Die Zeit drängt: Immerhin hätte die dem<br />

Entwurf zum Teil zugrunde liegende EU-Richtlinie<br />

bereits zum 18.1.2016 umgesetzt werden müssen.<br />

2. Schutz von Geheimnissen bei Outsourcing<br />

von Dienstleistungen<br />

Am 15.2.2017 hat die Bundesregierung mit dem<br />

Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des<br />

Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung<br />

Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger<br />

Personen (BR-Drucks. 163/17) ein weiteres, auch<br />

das anwaltliche Berufsrecht betreffendes Gesetzesvorhaben<br />

auf den Weg gebracht. Berufsgeheimnisträger<br />

sind bei ihrer beruflichen oder dienstlichen<br />

Tätigkeit auf die Hilfeleistung anderer<br />

Personen angewiesen. In vielen Fällen ist es für sie<br />

wirtschaftlich sinnvoll, diese Tätigkeiten nicht durch<br />

eigene Angestellte ausführen zu lassen, sondern auf<br />

darauf spezialisierte Unternehmen oder selbstständig<br />

tätige Personen zurückzugreifen. Auch Einrichtung,<br />

Betrieb, Wartung und Anpassung der informationstechnischen<br />

Anlagen, Anwendungen und<br />

Systeme, die sich heute in der Arbeitswelt verbreitet<br />

finden, lassen sich ohne externe Hilfe oft<br />

nicht bewältigen. Bislang ist weitgehend ungeklärt,<br />

280 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


<strong>ZAP</strong><br />

Gesetzgebungsreport<br />

inwieweit sich diese Heranziehung dritter, außerhalb<br />

der eigenen Sphäre stehender Personen zu<br />

diesen Hilfstätigkeiten mit der straf- und berufsrechtlich<br />

sanktionierten Schweigepflicht des<br />

Berufsgeheimnisträgers verträgt. Lediglich für Anwälte<br />

gab es bislang auf der Ebene des Satzungsrechts<br />

eine nicht in jeder Hinsicht überzeugende<br />

Regelung (§ 2 BORA). Zugleich sind die Geheimnisse,<br />

die im Rahmen des Outsourcing bestimmter<br />

Dienstleistungen den dritten Personen anvertraut<br />

oder sonst beruflich bekannt geworden sind, derzeit<br />

strafrechtlich nicht geschützt.<br />

Der Entwurf schlägt vor, durch eine ausdrückliche<br />

Regelung in § 203 StGB sicherzustellen, dass<br />

künftig das Offenbaren von geschützten Geheimnissen<br />

gegenüber Personen, die an der beruflichen<br />

oder dienstlichen Tätigkeit des Berufsgeheimnisträgers<br />

mitwirken, nicht als strafbares Handeln zu<br />

qualifizieren ist, soweit dies für die Inanspruchnahme<br />

der Tätigkeit der mitwirkenden Personen<br />

erforderlich ist. Die damit verbundene Verringerung<br />

des Geheimnisschutzes soll dadurch kompensiert<br />

werden, dass mitwirkende Personen, die bei der<br />

Ausübung oder bei Gelegenheit ihrer Tätigkeit die<br />

Möglichkeit erhalten, von geschützten Geheimnissen<br />

Kenntnis zu erlangen, in die Strafbarkeit<br />

nach § 203 StGB einbezogen werden. Zudem sollen<br />

den Berufsgeheimnisträger bei der Einbeziehung<br />

dritter Personen in die Berufsausübung Sorgfaltspflichten<br />

treffen, deren Verletzung unter der Voraussetzung<br />

strafbewehrt ist, dass die mitwirkende<br />

Person unbefugt ein Geheimnis offenbart hat.<br />

Zugleich sieht der Entwurf flankierende Änderungen<br />

der BRAO, BNotO, PAO, des StBerG und der<br />

WPO vor, also von den Berufsgesetzen, für die der<br />

Bund die Gesetzgebungskompetenz hat. In das<br />

jeweilige Berufsgesetz sollen Befugnisnormen eingefügt<br />

worden, die die Voraussetzungen und<br />

Grenzen festlegen, unter denen Dienstleistern der<br />

Zugang zu fremden Geheimnissen eröffnet werden<br />

darf. Zudem wird die für Rechtsanwälte und für<br />

Patentanwälte bereits auf Ebene des Satzungsrechts<br />

bestehende Berufspflicht, Mitarbeiter zur<br />

Verschwiegenheit zu verpflichten, in das Gesetz<br />

transferiert.<br />

3. Entgeltgleichheit bei Tätigkeit von<br />

Frauen und Männern<br />

Am 16.2.2017 hat der Bundestag den Entwurf eines<br />

Gesetzes zur Förderung der Transparenz von<br />

Entgeltstrukturen (BT-Drucks 18/11133) in erster<br />

Lesung behandet. Mit dem geplanten Gesetz sollen<br />

die Verdienstunterschiede zwischen Frauen und<br />

Männern, die nach Berechnungen des Statistischen<br />

Bundesamtes durchschnittlich 21 % betragen, minimiert<br />

werden. Dieser sog. Gender Pay Gap sei nicht<br />

nur an unterschiedlichen Merkmalen der Erwerbsbeteiligung<br />

von Frauen und Männern hinsichtlich<br />

Beruf und Branche, Stellung im Beruf (Führungspositionen),<br />

Beschäftigungsumfang und -formen<br />

sowie Erwerbspausen festzumachen, sondern<br />

auch durch Rollenstereotype bei der Berufswahl<br />

und der Bewertung von Arbeit, unterschiedliche<br />

berufliche Chancen sowie eine zumeist mittelbare<br />

Benachteiligung aufgrund des Geschlechts beim<br />

Entgelt bedingt. Bei gleicher formaler Qualifikation<br />

und ansonsten gleichen Merkmalen betrage der<br />

statistisch messbare Entgeltunterschied nach Angaben<br />

des Statistischen Bundesamtes von 2016<br />

immer noch 7 % (sog. bereinigte Entgeltlücke). Vor<br />

diesem Hintergrund reicht nach Auffassung der<br />

Bundesregierung die bereits heute bestehende<br />

Verpflichtung, beim Lohn nicht zu diskriminieren<br />

und erwiesene Diskriminierung zu beseitigen, nicht<br />

aus.<br />

Der Gesetzentwurf definiert zunächst wesentliche<br />

Grundsätze und Begriffe zum Gebot der Entgeltgleichheit<br />

zwischen Frauen und Männern bei<br />

gleicher und gleichwertiger Arbeit. Kern der geplanten<br />

Neuregelung ist ein individueller Auskunftsanspruch<br />

für Beschäftigte in allen Betrieben<br />

mit mehr als 200 Beschäftigten, der durch<br />

Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei seiner<br />

Wahrnehmung flankiert wird. Beschäftigte sollen<br />

sich alle zwei Jahre nach den Kriterien und<br />

Verfahren der Entgeltfindung für das eigene Entgelt<br />

und für eine vergleichbare Tätigkeit erkundigen<br />

können. Für eine Übergangszeit von drei<br />

Jahren nach Inkrafttreten des Auskunftsanspruchs<br />

soll eine Wartefrist von drei Jahren für das nächste<br />

Auskunftsverlangen greifen. Private Arbeitgeber<br />

mit mehr als 500 Beschäftigten werden noch<br />

stärker belastet. Sie werden verpflichtet, betriebliche<br />

Verfahren zur Überprüfung und Herstellung<br />

von Entgeltgleichheit durchzuführen, und zur<br />

Gleichstellung und Entgeltgleichheit von Frauen<br />

und Männern zu berichten, wenn sie nach dem<br />

HGB einen Lagebericht erstellen müssen. In einer<br />

gemeinsamen Initiative mit den Tarifpartnern will<br />

die Bundesregierung schließlich strukturelle Entgeltungleichheit<br />

auch in Tarifverträgen erkennen<br />

und überwinden.<br />

Kritiker sprechen von Symbolpolitik, bemängeln<br />

den erheblichen bürokratischen Aufwand und<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 281


Gesetzgebungsreport<br />

<strong>ZAP</strong><br />

befürchten, dass durch den Lohnauskunftsanspruch<br />

Neid und Unfrieden in den Unternehmen<br />

geschaffen werde.<br />

4. Reform des Bauvertragsrechts und der<br />

kaufrechtlichen Mängelhaftung<br />

Das geplante Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts<br />

und zur Änderung der kaufrechtlichen<br />

Mängelhaftung (BT-Drucks 18/8486; zu Einzelheiten<br />

GLÖCKNER VuR 2016, 123 ff. und 163 ff.) hat –<br />

wie der Name schon verrät – zwei völlig verschiedene<br />

Regelungsschwerpunkte. Das bislang<br />

allgemein gehaltene Werkvertragsrecht soll um<br />

spezielle Regelungen für den Bauvertrag, den<br />

Verbraucherbauvertrag sowie den Architektenvertrag<br />

und den Ingenieurvertrag ergänzt werden.<br />

Der Regierungsentwurf sieht zudem die Einführung<br />

eines Anordnungsrechts des Bestellers einschließlich<br />

Regelungen zur Preisanpassung bei<br />

Mehr- oder Minderleistungen, die Änderung und<br />

Ergänzung der Regelungen zur Abnahme sowie<br />

die Normierung einer Kündigung aus wichtigem<br />

Grund vor. Um die Risiken für Verbraucher zu<br />

verringern, werden speziell für Bauverträge von<br />

Verbrauchern weitere Regelungen zur Einführung<br />

einer Baubeschreibungspflicht des Unternehmers,<br />

zur Pflicht der Parteien, eine verbindliche Vereinbarung<br />

über die Bauzeit zu treffen, zum Recht des<br />

Verbrauchers zum Widerruf des Vertrags und zur<br />

Einführung einer Obergrenze für Abschlagszahlungen<br />

vorgeschlagen.<br />

Der Regierungsentwurf sieht außerdem eine Erweiterung<br />

des verschuldensunabhängigen kaufrechtlichen<br />

Mängelhaftungsanspruchs vor: Handwerker<br />

und andere Unternehmer sollen nicht mehr<br />

pauschal auf den Folgekosten von Produktmängeln<br />

sitzen bleiben, die der Lieferant oder Hersteller zu<br />

verantworten hat. Hat der Käufer die mangelhafte<br />

Sache gemäß ihrer Art und ihrem Verwendungszweck<br />

in eine andere Sache eingebaut, soll der<br />

Verkäufer im Rahmen der Nacherfüllung verpflichtet<br />

sein, nach seiner Wahl entweder selbst den<br />

erforderlichen Ausbau der mangelhaften und den<br />

Einbau der nachgebesserten oder gelieferten mangelfreien<br />

Sache vorzunehmen oder dem Käufer die<br />

hierfür erforderlichen Aufwendungen zu ersetzen.<br />

Der Verkäufer soll lediglich dann auf den Aufwendungsersatz<br />

beschränkt sein, wenn dem Ausbau<br />

der mangelhaften und dem Einbau der nachgebesserten<br />

oder gelieferten mangelfreien Sache<br />

durch den Verkäufer ein berechtigtes Interesse des<br />

Käufers entgegensteht oder der Verkäufer nicht<br />

innerhalb einer vom Käufer bestimmten angemessenen<br />

Frist erklärt hat, dass er den Aus- und Einbau<br />

selbst vornehmen werde. Mit dieser Neuregelung<br />

des § 439 BGB sollen zugleich die Folgen der<br />

Entscheidung des EuGH vom 16.6.2011 (Az. C-65/09,<br />

C-87/09 – Gebr. Weber GmbH/Jürgen Wittmer;<br />

Ingrid Putz/Medianess Electronics GmbH,<br />

NJW 2011, 2269) durch den Gesetzgeber umgesetzt<br />

werden. Anders als es europäisches Recht voraussetzt,<br />

soll die Neuregelung nicht auf Verbrauchsgüterkaufverträge<br />

beschränkt bleiben. Zugleich<br />

soll der Anwendungsbereich der derzeit nur für<br />

Verbrauchsgüterkäufe bestehenden erleichterten<br />

Rückgriffsmöglichkeit des Unternehmers gegenüber<br />

seinem Lieferanten wegen des Ersatzes der<br />

Aufwendungen, die der Unternehmer im Verhältnis<br />

zum Verbraucher im Rahmen der Nacherfüllung zu<br />

tragen hat (§ 478 Abs. 2 BGB), künftig auch möglich<br />

sein, wenn der letzte Käufer in der Lieferkette ein<br />

Unternehmer ist (§§ 445a, 445b BGB-E).<br />

Die geplante Reform ist in beiden Teilen auf<br />

heftige Kritik gestoßen. Ende Februar ließen die<br />

Regierungsfraktionen allerdings verlauten, dass<br />

man sich auf eine abschließende Textfassung<br />

verständigt habe und dass das Gesetzespaket<br />

am 9.3.2017 den Deutschen Bundestag passieren<br />

soll. Zum Zeitpunkt des Manuskriptabschlusses<br />

waren die Einzelheiten des gefundenen Kompromisses<br />

noch nicht bekannt. Es heißt aber, dass<br />

das geplante Recht des Bauherrn, eine von den<br />

Vertragspartnern vereinbarte Bauleistung nachträglich<br />

einseitig zu verändern, modifiziert werden<br />

soll. Zwischen den Bauvertragsparteien soll<br />

eine einvernehmliche Vereinbarung für nachträgliche<br />

Änderungswünsche an einer vereinbarten<br />

Bauleistung angestrebt werden. Dabei sollen<br />

innerhalb einer Frist von 30 Tagen die Änderungen<br />

im Detail und die hierfür anfallenden Kosten<br />

festgehalten werden. Sollte dennoch keine Einigung<br />

möglich sein, soll zwar eine einseitige<br />

Anordnung durch den Auftraggeber möglich<br />

bleiben; im Gegenzug soll der Auftragnehmer<br />

jedoch das Recht auf eine 80-%ige Abschlagszahlung<br />

der zuvor angebotenen Vergütung haben.<br />

Im kaufrechtlichen Teil der Reform soll der<br />

Gesetzeswortlaut so angepasst werden, dass das<br />

neue Gewährleistungsrecht nicht nur „Ein- und<br />

Ausbau“-Fälle, sondern auch solche Sachverhalte<br />

erfasst, bei denen mangelhaftes Material angebracht<br />

wurde. Vom Tisch soll der Vorschlag sein,<br />

dass die Lieferanten grundsätzlich selbst den<br />

Schaden reparieren dürfen. Es sei nicht im<br />

Interesse der Verbraucher, dass nicht der beauf-<br />

282 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


<strong>ZAP</strong><br />

Gesetzgebungsreport<br />

tragte Handwerker ihres Vertrauens, sondern ein<br />

ihnen völlig Fremder Reparaturtätigkeiten in<br />

ihren Wohnungen ausübt. Dagegen sollen die<br />

§§ 305 ff. BGB nicht um eine Regelung ergänzt<br />

werden, die verhindert, dass die Lieferanten des<br />

Materials die neuen Regressansprüche in ihren<br />

AGB gleich wieder aushöhlen. Sie sei entbehrlich,<br />

weil die Rechtsprechung bereits jetzt entsprechende<br />

Haftungsausschlüsse von Lieferanten gegenüber<br />

kleineren und mittleren Handwerksbetrieben<br />

als unzulässig ansehe.<br />

5. Novellierung des Reisevertragsrechts<br />

Die Umsetzung der Richtlinie (EU) 2015/2302 des<br />

Europäischen Parlaments und des Rates vom<br />

25.11.2015 über Pauschalreisen und verbundene<br />

Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung<br />

(EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU<br />

des Europäischen Parlaments und des Rates<br />

sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG<br />

des Rates (ABl L 326 v. 11.12.2015, S. 1) erfordert bis<br />

zum 1.1.2018 u.a. eine vollständige Neufassung<br />

der §§ 651a ff. BGB, die der deutsche Gesetzgeber<br />

mit dem vom Bundestag am 19.1.2017 in erster<br />

Lesung beratenen Entwurf eines Dritten Gesetzes<br />

zur Änderung reiserechtlicher Vorschriften (BT-<br />

Drucks 18/10822) bewerkstelligen will. Ziel des<br />

Vorhabens ist es, den Schutz bei individuellen<br />

Reisen zu erhöhen und dem digitalen Wandel des<br />

Reisemarkts Rechnung zu tragen. Hindernisse für<br />

den Binnenmarkt sollen durch die EU-weite<br />

Angleichung der reiserechtlichen Bestimmungen<br />

beseitigt werden (Vollharmonisierungsansatz).<br />

Künftig sollen nicht mehr nur die selten gewordenen<br />

Pauschalreisen, sondern auch solche Reisen,<br />

die sich Urlauber über ein Reiseportal im Internet<br />

selbst zusammengestellt haben, reiserechtlichen<br />

Schutz genießen und gegen Insolvenzen von Reiseveranstaltern<br />

abgesichert sein. Eine Gesamthaftung<br />

besteht auch dann, wenn ein stationäres<br />

Reisebüro eine individuelle Reise mit mehreren<br />

Elementen (Flug, Hotel, Mietwagen etc.) zusammenstellt.<br />

In der am 23.1.2017 erfolgten öffentlichen<br />

Anhörung vor dem Rechtsausschuss wurde die<br />

Sorge vor allem von kleineren Reisevermittlern vor<br />

schwer abschätzbaren finanziellen Risiken deutlich.<br />

6. Heterologe Insemination<br />

Die frühere Praxis der anonymen Samenspende ist<br />

nicht in Einklang zu bringen mit dem verfassungsrechtlich<br />

geschützten Recht der mittels Samenspende<br />

gezeugten Kinder, ihre Abstammung zu<br />

kennen. Inzwischen ist anerkannt, dass eine Einigung<br />

zwischen den Eltern und dem behandelnden<br />

Arzt, die Anonymität des Samenspenders zu wahren,<br />

im Verhältnis zum ungeborenen Kind einen<br />

unzulässigen Vertrag zulasten Dritter darstellt. Den<br />

Folgen dieser Entwicklung will sich die Bundesregierung<br />

mit dem im Dezember 2016 auf dem<br />

Weg gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur<br />

Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung<br />

bei heterologer Verwendung von Samen<br />

(BT-Drucks. 18/11291) annehmen. Mit dem geplanten<br />

Gesetz soll es Personen, die durch eine<br />

heterologe Verwendung von Samen gezeugt wurden,<br />

ermöglicht werden, durch Nachfrage bei einer<br />

zentralen Stelle Kenntnis über ihre Abstammung<br />

zu erlangen. Zu diesem Zweck soll ein zentrales<br />

Samenspenderregister beim Deutschen Institut für<br />

Medizinische Dokumentation und Information<br />

(DIMDI) eingerichtet und geführt werden. Mit<br />

dem sog. Samenspenderregistergesetz (SaRegG)<br />

sollen die institutionellen einschließlich der organisatorischen<br />

Voraussetzungen für die Verwirklichung<br />

des Rechts auf Kenntnis der Abstammung<br />

geschaffen und der Zugang für eine durch heterologe<br />

Verwendung von Samen gezeugte Person zu<br />

den Daten des Samenspenders unter Wahrung des<br />

Datenschutzes erleichtert werden. Die Möglichkeit<br />

der Geltendmachung des von der Rechtsprechung<br />

entwickelten Anspruchs auf Kenntnis der Abstammung<br />

soll ausdrücklich gesetzlich verankert werden.<br />

Gleichzeitig soll die gerichtliche Feststellung<br />

der rechtlichen Vaterschaft des Samenspenders<br />

ausgeschlossen werden (§ 1600d Abs. 4 BGB-E)<br />

und so der Samenspender insbesondere von Ansprüchen<br />

im Bereich des Sorge-, Unterhalts- und<br />

Erbschaftsrechts freigestellt werden.<br />

7. Scheinvaterregress<br />

Mit dem geplanten Gesetz zur Reform des Scheinvaterregresses,<br />

zur Rückbenennung und zur Änderung<br />

des Internationalen Familienrechtsverfahrensgesetzes<br />

(BT-Drucks 18/10343) soll einer<br />

Entscheidung des BVerfG vom 24.2.2015 (Az. 1 BvR<br />

472/14, NJW 2015, 1506) Rechnung getragen werden.<br />

Nach § 1607 BGB-E soll der sog. Scheinvater<br />

künftig einen Auskunftsanspruch gegen die Mutter<br />

des Kindes auf Benennung des mutmaßlichen<br />

leiblichen Vaters des Kindes erhalten. Im Hinblick<br />

auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mutter<br />

soll eine Auskunft ausnahmsweise dann nicht<br />

erteilt werden müssen, wenn sie für die Mutter<br />

aufgrund besonderer Umstände unzumutbar wäre.<br />

Zudem soll der Scheinvater die Erfüllung des<br />

Regressanspruchs nur für den Zeitraum von<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 283


Gesetzgebungsreport<br />

<strong>ZAP</strong><br />

zwei Jahren vor Einleitung des Vaterschaftsanfechtungsverfahrens<br />

bis zum Abschluss dieses<br />

Verfahrens verlangen können (§ 1613 Abs. 3 BGB-E).<br />

Diese Begrenzung trägt dem Umstand Rechnung,<br />

dass es sich aus Sicht des Scheinvaters bis zum<br />

Zeitpunkt der ersten Zweifel an der Vaterschaft<br />

typischerweise um ein gewöhnliches Familienleben<br />

handelt. Es sei unangemessen, dieses Familienleben<br />

über viele Jahre finanziell rückabzuwickeln. Der<br />

Gesetzentwurf sieht darüber hinaus Änderungen<br />

im Namens- und Adoptionsrecht vor: Unter<br />

anderem sollen Personen, denen der Name des<br />

Stiefelternteils erteilt wurde, mit ihrer Volljährigkeit<br />

diesen Namen wieder ablegen und ihren früheren<br />

Namen annehmen können.<br />

8. Automatisches Vertretungsrecht für<br />

Ehegatten<br />

Die Bundesregierung hat eine Initiative des Bundesrats<br />

aufgegriffen, die zum Ziel hat, dass sich<br />

Ehegatten und Lebenspartner bei Unfall oder<br />

schwerer Krankheit künftig automatisch vertreten<br />

dürfen. Bislang ist hierfür die schriftliche Erteilung<br />

einer Vorsorgevollmacht oder die Bestellung eines<br />

rechtlichen Betreuers durch gerichtliche Entscheidung<br />

notwendig. Das Kabinett beschloss am<br />

15.2.2017 eine sog. Formulierungshilfe für einen<br />

Änderungsantrag der Regierungskoalition zu dem<br />

vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes<br />

zur Verbesserung der Beistandsmöglichkeiten<br />

unter Ehegatten und Lebenspartnern in<br />

Angelegenheiten der Gesundheitssorge und in<br />

Fürsorgeangelegenheiten (BT-Drucks 18/10485).<br />

Danach soll sich die geplante Vertretungsmacht<br />

ausdrücklich auf Gesundheitsangelegenheiten<br />

beschränken. Partner könnten dann über Untersuchungen,<br />

Behandlungen oder ärztliche Eingriffe<br />

für den jeweils anderen entscheiden, wenn dieser<br />

dazu selbst nicht in der Lage ist. Zudem will die<br />

Bundesregierung den Vorstoß der Länder zum<br />

Anlass nehmen, die seit 2005 unveränderte Vergütung<br />

der Berufsbetreuer und -vormünder um<br />

etwa 15 % zu erhöhen.<br />

9. Erweiterung der Medienöffentlichkeit in<br />

Gerichtsverfahren<br />

Für den 29.3.2017 ist im Rechtsausschuss eine<br />

öffentliche Sachverständigenanhörung zum Entwurf<br />

eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit<br />

in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung<br />

der Kommunikationshilfen für Menschen<br />

mit Sprach- und Hörbehinderungen (Gesetz über<br />

die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren<br />

– EMöGG; BT-Drucks 18/10144)<br />

anberaumt. Mit diesem Vorhaben soll das in § 169<br />

S. 2 GVG verankerte Verbot von Ton- und Fernseh-<br />

Rundfunkaufnahmen während der Verhandlungen<br />

einschließlich der Entscheidungsverkündungen des<br />

Gerichts moderat gelockert werden. Der veränderten<br />

Medienlandschaft und dem zunehmenden<br />

Informationsbedürfnis der Allgemeinheit soll dadurch<br />

Rechnung getragen werden, dass künftig in<br />

besonderen Fällen Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen<br />

sowie Ton- und Filmaufnahmen zum<br />

Zweck der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung<br />

ihres Inhalts von Entscheidungsverkündungen<br />

(nicht: sonstiger Teile der Verhandlung)<br />

oberster Gerichtshöfe des Bundes (nicht:<br />

anderer Gerichte) ermöglicht werden. Insoweit soll<br />

das Gericht eine nicht anfechtbare Ermessensentscheidung<br />

treffen. Zur Wahrung schutzwürdiger<br />

Interessen der Beteiligten oder Dritter sowie eines<br />

ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens können<br />

die Aufnahmen oder deren Übertragung teilweise<br />

untersagt oder von der Einhaltung von Auflagen<br />

abhängig gemacht werden (§ 169 Abs. 3 GVG-E).<br />

Der Gesetzgeber beabsichtigt zudem, eine gerichtsinterne<br />

Audio-Übertragung zuzulassen. Das<br />

Gericht kann es nach dem Entwurf in Verfahren<br />

mit besonders großem Medienandrang ermöglichen,<br />

dass eine Tonübertragung (nicht: Bildübertragung)<br />

der Verhandlung in Arbeitsräumen<br />

für Medienvertreter erfolgt (§ 169 Abs. 1 S. 3 bis 5<br />

GVG-E). Schließlich sieht der Entwurf die ausdrückliche<br />

Zulassung von audio-visuellen Dokumentationen<br />

von Gerichtsverfahren von herausragender<br />

zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik<br />

Deutschland (die BT-Drucks nennt als<br />

Beispiel den aktuellen NSU-Prozess) vor (§ 169<br />

Abs. 2 GVG-E). Diese Aufnahmen sollen nicht der<br />

Information der gegenwärtigen Öffentlichkeit oder<br />

gar Verfahrenszwecken dienen, sondern in ferner<br />

Zukunft dem Kreis von historisch Interessierten zur<br />

Verfügung stehen. Zu diesen wissenschaftlichen<br />

Zwecken sollen die Aufnahmen dem Bundesarchiv<br />

oder dem jeweiligen Landesarchiv zur Verfügung<br />

gestellt werden. Damit kommt eine Herausgabe<br />

der Aufnahme erst nach Ablauf langer Sperrfristen<br />

in Betracht (nach § 5 Abs. 2 BArchG greift grundsätzlich<br />

eine Sperrfrist von 30 Jahren nach dem Tod<br />

des Betroffenen).<br />

Ferner sollen mit dem geplanten Gesetz im Rahmen<br />

der barrierefreien Zugänglichmachung des<br />

Gerichtsverfahrens Verbesserungen für Personen<br />

mit Sprach- und Hörbehinderungen bei der Inanspruchnahme<br />

von Gebärdensprachdolmetschern<br />

284 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


<strong>ZAP</strong><br />

Gesetzgebungsreport<br />

oder anderen geeigneten Kommunikationshilfen in<br />

gerichtlichen Verfahren erreicht werden.<br />

10. Strafbarkeit von Sportwettbetrug und<br />

Spielmanipulation<br />

Zum Zeitpunkt des Manuskriptabschlusses stand<br />

die zweite und dritte Lesung des Entwurfs eines …<br />

Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches –<br />

Strafbarkeit von Sportwettbetrug und der Manipulation<br />

von berufssportlichen Wettbewerben (BT-<br />

Drucks 18/8831) am 9.3.2017 auf der Tagesordnung<br />

im Deutschen Bundestag. Mit dem Vorhaben will<br />

der Gesetzgeber – wie schon mit dem Ende 2015 in<br />

Kraft getretenen Anti-Doping-Gesetz (s. dazu den<br />

Gesetzgebungsreport 2016, <strong>ZAP</strong> 6/2016, S. 271, 278)<br />

– der enormen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen<br />

Bedeutung des Sports Rechnung tragen und<br />

dessen Glaubwürdigkeit schützen. Der Gesetzentwurf<br />

schlägt die Einführung der Straftatbestände<br />

des Sportwettbetrugs (§ 265c StGB-E) und der<br />

Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben<br />

(§ 265d StGB-E) vor, weil sich die bisherigen<br />

Sanktionsmöglichkeiten als unzureichend erwiesen<br />

hätten. Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf für<br />

beide Straftatbestände die Einführung von Regelbeispielen<br />

für besonders schwere Fälle (§ 265e<br />

StGB-E) vor und unter bestimmten Voraussetzungen<br />

(§ 265f StGB-E) die Anwendbarkeit des erweiterten<br />

Verfalls (§ 73d StGB). Zudem soll für diese<br />

Fälle eine Befugnis zur Überwachung der Telekommunikation<br />

geschaffen werden (§ 265e S. 2<br />

StGB-E). Kritiker meinen, dass der Sport seine<br />

Integrität selbst gewährleisten müsse, und halten<br />

das geplante Gesetz schlicht für überflüssig.<br />

11. Fahrverbot bei allen Straftaten<br />

Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des<br />

Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der<br />

Strafprozessordnung und weiterer Gesetze (BT-<br />

Drucks. 18/11272) soll erstmals am 9.3.2017 im<br />

Bundestag beraten werden. Künftig sollen Gerichte<br />

ein Fahrverbot als Nebenstrafe bei allen Straftaten<br />

verhängen können und nicht wie bislang nur<br />

bei solchen, die bei oder im Zusammenhang mit<br />

dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung<br />

der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers<br />

begangen wurden. Eine Ausweitung des Anwendungsbereichs<br />

des Fahrverbots soll den Gerichten<br />

auch jenseits von verkehrsbezogenen Delikten ein<br />

zusätzliches Mittel an die Hand geben, zielgenau,<br />

spürbar und schuldangemessen auf den Täter<br />

einzuwirken, und zugleich der Vermeidung insbesondere<br />

kurzer Freiheitsstrafen dienen. Zudem<br />

soll die Höchstdauer des Fahrverbots – mit<br />

Ausnahme des Jugendstrafrechts – von drei auf<br />

sechs Monate angehoben werden. Um taktische<br />

Anfechtungen allein wegen des aus Sicht des<br />

Verurteilten zu frühen Beginns des Fahrverbots zu<br />

vermeiden, soll das Fahrverbot erst einen Monat<br />

nach Rechtskraft des Urteils wirksam werden. Die<br />

Absicht der Bundesregierung, das Fahrverbot als<br />

Sanktion für alle Straftaten zu erweitern, ist zum<br />

Teil auf heftige Kritik gestoßen. So ist etwa auf<br />

dem 55. Deutschen Verkehrsgerichtstag, der Ende<br />

Januar 2017 in Goslar stattgefunden hat, für diese<br />

Änderung kein praktisches Bedürfnis gesehen<br />

worden. Soweit der Vorschlag damit begründet<br />

werde, anderenfalls zu vollstreckende Freiheitsstrafen<br />

abzuwenden, würde dies zu einer sachlich<br />

nicht zu rechtfertigenden Privilegierung der Fahrerlaubnisinhaber<br />

führen. Siehe zum Stand der<br />

Diskussion auch BODE NZV 2017, 1 ff.<br />

Der Entwurf sieht zudem vor, für bestimmte<br />

Straßenverkehrsdelikte eine Ausnahme von der<br />

vorrangigen richterlichen Anordnungskompetenz<br />

für die Entnahme von Blutproben zu schaffen und<br />

die Anordnungskompetenz insoweit auf Staatsanwaltschaft<br />

und Polizei zu übertragen. Dabei soll<br />

die Möglichkeit der nachträglichen richterlichen<br />

Überprüfung der Anordnung unberührt bleiben.<br />

Außerdem ist es u.a. beabsichtigt, organisierte<br />

Formen von Schwarzarbeit strenger zu bestrafen<br />

und die Strafzurückstellung bei betäubungsmittelabhängigen<br />

Mehrfachtätern zu erleichtern.<br />

12. Effektivere Ausgestaltung des Strafprozesses<br />

Die Bundesregierung hat im Dezember 2016 den<br />

Entwurf eines Gesetzes zur effektiveren und<br />

praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens<br />

(BT-Drucks. 18/11277) beschlossen. Der<br />

Gesetzentwurf sieht verschiedene Regelungen<br />

vor, die der Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung<br />

dienen, zugleich aber die<br />

Rechte aller Verfahrensbeteiligten wahren sollen.<br />

Vorgesehen ist u.a. eine Pflicht für Zeugen, bei<br />

der Polizei (und nicht wie bislang nur bei der<br />

Staatsanwaltschaft) zu erscheinen. Mit Änderungen<br />

im Befangenheitsrecht und der geplanten<br />

Möglichkeit einer Fristsetzung im Beweisantragsrecht<br />

sollen Verfahrensverzögerungen vermieden<br />

werden. Im Ermittlungsverfahren sollen audiovisuelle<br />

Aufzeichnungen von Beschuldigtenvernehmungen<br />

verstärkt vorgenommen werden<br />

können und so die Wahrheitsfindung optimiert<br />

werden; bei vorsätzlichen Tötungsdelikten und in<br />

Fällen besonderer Schutzbedürftigkeit des Beschuldigten<br />

sieht der Entwurf sogar eine grund-<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 285


Gesetzgebungsreport<br />

<strong>ZAP</strong><br />

sätzliche Pflicht zur Aufzeichnung von Beschuldigtenvernehmungen<br />

vor.<br />

Darüber hinaus enthält der Entwurf Vorschläge, das<br />

Strafverfahren durch eine Stärkung der in der StPO<br />

bereits angelegten Möglichkeiten zur transparenten<br />

und kommunikativen Verfahrensführung effektiver<br />

zu gestalten. Die Beschuldigtenrechte sollen<br />

durch die Möglichkeit einer Pflichtverteidigerbestellung<br />

bei richterlichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren<br />

gestärkt werden. Zudem soll mit den<br />

vorgeschlagenen Änderungen der §§ 81e, 81h StPO<br />

sichergestellt werden, dass aus dem Abgleich der<br />

DNA-Identifizierungsmuster künftig auch solche<br />

Erkenntnisse verwertet werden dürfen, die auf ein<br />

nahes Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem<br />

Spurenverursacher und dem Probengeber hindeuten<br />

(sog. DNA-Beinahetreffer). Schließlich soll der<br />

Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 bis 3 StGB) in<br />

den Katalog der Privatklagedelikte (§ 374 Abs. 1 Nr. 5<br />

StPO-E) aufgenommen werden.<br />

13. Stärkung der Verfahrensrechte von<br />

Beschuldigten<br />

Mit dem geplanten Zweiten Gesetz zur Stärkung<br />

der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren<br />

und zur Änderung des Schöffenrechts<br />

(BT-Drucks 18/9534) sollen die Vorgaben der<br />

Richtlinie 2013/48/EU des Europäischen Parlaments<br />

und des Rates vom 22.10.2013 über das<br />

Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in<br />

Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung<br />

des Europäischen Haftbefehls sowie über das<br />

Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei<br />

Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation<br />

mit Dritten und mit Konsularbehörden während<br />

des Freiheitsentzugs (ABl L 294 v. 6.11.2013, S. 1)<br />

umgesetzt werden, soweit sie nicht ohnehin schon<br />

deutscher Standard waren. Der Entwurf war am<br />

14.12.2016 Gegenstand einer öffentlichen Sachverständigenanhörung<br />

im Rechtsausschuss.<br />

Durch eine Ergänzung des § 163a Abs. 4 StPO soll<br />

erreicht werden, dass ein Anwesenheitsrecht des<br />

Verteidigers künftig nicht nur für richterliche und<br />

staatsanwaltschaftliche, sondern auch für polizeiliche<br />

Beschuldigtenvernehmungen besteht. Damit<br />

der Rechtsbeistand wirksam an der Befragung<br />

teilnehmen kann, soll dem Verteidiger nach der<br />

Vernehmung des Beschuldigten Gelegenheit gegeben<br />

werden, sich dazu zu erklären oder Fragen<br />

an den Beschuldigten zu stellen (§ 168c Abs. 1<br />

StPO-E). Für Gegenüberstellungen mit dem Beschuldigten<br />

soll ausdrücklich klargestellt werden,<br />

dass dem Verteidiger die Anwesenheit gestattet<br />

ist; er ist über den Termin vorher zu informieren.<br />

Zudem sollen die anlässlich der RAF-Offensive im<br />

Herbst 1977 eingeführten „Kontaktsperreregeln“<br />

(§§ 31 ff. EGGVG) künftig uneingeschränkt nur noch<br />

gegenüber Mitgefangenen und Dritten zur Anwendung<br />

kommen, gegenüber einem Verteidiger<br />

jedoch nur noch in ganz engen Grenzen.<br />

Im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) soll für ehrenamtliche<br />

Richter in der Strafrechtspflege die<br />

verpflichtende Unterbrechung der Schöffentätigkeit<br />

nach zwei aufeinanderfolgenden Amtsperioden<br />

entfallen. Gleichzeitig sollen die Möglichkeiten,<br />

das Schöffenamt ablehnen zu können, um<br />

eine entsprechende Variante erweitert werden.<br />

Aktiven Senioren wird es möglich sein, ohne<br />

Einschränkung bis zur Altersgrenze – also je nach<br />

Berufungszeitpunkt bis höchstens zum 75. Lebensjahr<br />

– ein Schöffenamt wahrzunehmen.<br />

14. Maßnahmenpaket zur inneren Sicherheit<br />

Als Konsequenz des Terroranschlags auf dem<br />

Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 hat<br />

die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket zur<br />

inneren Sicherheit beschlossen, das kurzfristig<br />

durch verschiedene Gesetzesvorhaben umgesetzt<br />

werden soll. So soll mit dem geplanten Gesetz zur<br />

besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht (BR-<br />

Drucks. 179/17) u.a. die Einführung einer Residenzpflicht<br />

und damit eine Verschärfung der bisherigen<br />

Wohnsitzauflagen für Asylbewerber, die über ihre<br />

Identität getäuscht haben, erleichterte Voraussetzungen<br />

für die Abschiebehaft sowie die Verlängerung<br />

des Ausreisegewahrsams auf zehn Tage<br />

ermöglicht werden. Vorgesehen sind zudem schärfere<br />

Überwachungsauflagen für ausreisepflichtige<br />

Ausländer, wenn die öffentliche Sicherheit gefährdet<br />

ist. Schließlich soll durch das ebenfalls bereits<br />

auf den Weg gebrachte Gesetz zur Neustrukturierung<br />

des Bundeskriminalamtgesetzes (BT-Drucks<br />

18/11163) die elektronische Fußfessel bereits auch<br />

für Gefährder eingesetzt werden können. Bereits<br />

im Gesetzgebungsverfahren befindet sich auch<br />

der Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des<br />

Strafgesetzbuches – Ausweitung des Maßregelrechts<br />

bei extremistischen Straftätern (BT-Drucks<br />

18/11162), der die Einführung der elektronischen<br />

Fußfessel für wegen schwerer Staatsschutzdelikte<br />

verurteilter Straftäter vorsieht, sofern sie eine<br />

Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verbüßt<br />

haben. Fußfesseln seien zwar kein Allheilmittel,<br />

aber ein wichtiges Instrument zur Erleichterung<br />

der Überwachung von Personen.<br />

286 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


Eilnachrichten 2017 Fach 1, Seite 47<br />

Eilnachrichten<br />

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Allgemeines Zivilrecht<br />

Schlichtungsstelle: Verjährungshemmung bei deliktischen Ansprüchen<br />

(BGH, Urt. v. 17.1.2017 – VI ZR 239/15) • Macht ein Patient gegen den ihn behandelnden Arzt<br />

Schadensersatzansprüche bei einer von den Ärztekammern eingerichteten Schlichtungsstelle geltend,<br />

so setzt der Eintritt der Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB a.F. nicht voraus, dass sich der<br />

Arzt oder der hinter diesem stehende Haftpflichtversicherer auf das Schlichtungsverfahren einlässt. Die<br />

Verjährung kann infolge eines vom Patienten bei der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der<br />

norddeutschen Ärztekammern eingereichten Güteantrags – rechtzeitig – gehemmt worden sein.<br />

Hinweis: Nach der hier vom BGH vertretenen Ansicht ist es außerdem für die Frage nach dem Eintritt<br />

der Hemmungswirkung nicht von Bedeutung, dass der Haftpflichtversicherer des Beklagten die<br />

Durchführung des Schlichtungsverfahrens abgelehnt hat. § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB a.F. erfordert ein<br />

entsprechendes Einvernehmen des hinter dem Schuldner stehenden Haftpflichtversicherers von<br />

vornherein nicht. Dies gilt auch dann, wenn ein Schlichtungsverfahren nach der Verfahrensordnung<br />

der jeweiligen Schlichtungsstelle nur dann durchgeführt wird, wenn Arzt und Haftpflichtversicherer der<br />

Durchführung des Verfahrens zustimmen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 171/2017<br />

Arzthaftung: Großer Ermessensspielraum bei medizinischen Grenzfällen<br />

(OLG Hamm, Urt. v. 4.11.2016 – 26 U 2/16) • In den Grenzfällen der Medizin, in denen es keine<br />

ausreichende Erfahrungswerte gibt, haben die Ärzte einen großen Ermessensspielraum. Ein solcher<br />

Ermessensspielraum besteht für die Ärzte, wenn bei einem Kleinkind, dass auf der Herztransplantationsliste<br />

steht, zur Überbrückung ein sog. Berlin Heart einzusetzen ist. Es muss in solch einem<br />

Grenzfall der Medizin den Ärzten ein großer Ermessensspielraum eingeräumt werden, ob sie überhaupt<br />

das Unterstützungssystem einbauen und wann für sie der geeignete Zeitpunkt ist. Auch wenn Ärzte<br />

grds. verpflichtet sind, ihr Wissen und Können für die Patienten einzusetzen, besteht diese Verpflichtung<br />

nicht um jeden Preis, wenn es sich um einen Grenzfall der Medizin handelt, bei dem die Ärzte quasi ohne<br />

ausreichendes Wissen und entsprechende Erkenntnisse tätig werden müssen und ihr Handeln nahezu<br />

einem reinen Glücksspiel gleicht. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 172/2017<br />

Kaufvertragsrecht<br />

Fernabsatz: Widerrufs- und Rückgaberecht<br />

(BGH, Urt. v. 12.10.2016 – VIII ZR 55/15) • Der Einbau des Katalysators in das Fahrzeug eines Käufers und<br />

sein anschließender Gebrauch im Rahmen einer kurzen Probefahrt gehen zwar über eine nach § 357<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 287


Fach 1, Seite 48 Eilnachrichten 2017<br />

Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB a.F. gestattete bloße Prüfung seiner Eigenschaften und seiner Funktionsweise hinaus<br />

und können zu einer Verschlechterung der Kaufsache in Form von deutlichen Gebrauchs- und<br />

Einbauspuren führen. Allerdings hängt ein Wertersatzanspruch des Verkäufers gem. § 357 Abs. 3 S. 1 Nr. 2<br />

BGB a.F. zusätzlich davon ab, dass der Verbraucher spätestens bei Vertragsschluss in Textform auf die<br />

Rechtsfolge einer möglichen Wertersatzverpflichtung hingewiesen worden ist bzw. ein solcher Hinweis<br />

nachträglich erfolgt ist. Der Wertersatzanspruch darf nicht um den Gewinnanteil des Verkäufers gekürzt<br />

werden. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 173/2017<br />

Grundstückskaufvertrag: Anforderung an vorvertragliche Pflichtverletzung<br />

(LG Bonn, Urt. v. 23.9.2016 – 1 O 468/15) • Grundsätzlich können bereits aufgenommene Vertragsverhandlungen<br />

ein Schuldverhältnis der Parteien mit daraus resultierenden Obhuts- und Verhaltenspflichten<br />

begründen. So können Verhandlungen über privatrechtliche Grundstückskaufverträge u.U. zu<br />

einer zivilrechtlichen Haftung führen. Allerdings fehlt es an einem von einer Partei gesetzten<br />

Vertrauenstatbestand im haftungsrechtlichen Sinne, wenn schon der klare Inhalt der Ausschreibung<br />

des Grundstücksverkaufs mit der Aufteilung konkreter Flächen einer bestimmten baulich zulässigen<br />

Nutzung in zwei Lose einem auf den zeitnahen Abschluss eines einheitlichen Rechtsgeschäfts über alle<br />

streitgegenständlichen Grundstücke gerichteten Vertrauenstatbestand widerspricht. Dies ist der Fall,<br />

wenn es sich bei den Flächen um für jeden verständigen Bieter erkennbar selbstständige Grundstücke<br />

handelt, für die separate Angebote abgegeben und folglich voneinander unabhängige Kaufverträge<br />

geschlossen werden können. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 174/2017<br />

Miete/Nutzungen<br />

Leasingvertrag: Rückgabeklausel in formularmäßigen Leasingbedingungen<br />

(BGH, Urt. v. 18.1.2017 – VIII ZR 263/15) • Bei Fehlen einer vertraglichen Bestimmung ist der<br />

Leistungsort für die Pflicht des Leasingnehmers, den Leasinggegenstand zurückzugeben, nach der<br />

Auslegungsregel des § 269 Abs. 1, 2 BGB zu bestimmen. Über Allgemeine Geschäftsbedingungen darf<br />

ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Leasinggebers für den Rückgabeort nur bei Vorliegen<br />

eines berechtigten Interesses vereinbart werden. Hinweis: Leasingnehmer können nicht über<br />

Allgemeine Geschäftsbedingungen verpflichtet werden, nach Ablauf des Leasingvertrags den Leasinggegenstand<br />

an einem Ort nach Wahl des Leasinggebers zurückzugeben, wenn nicht ein<br />

berechtigtes Interesse des Leasinggebers vorliegt. Das dürfte z.B. dann von besonderer Bedeutung<br />

sein, wenn größere Gegenstände verleast werden, bei denen für den Transport zu einem Händler,<br />

Verwerter oder anderen Vertragspartner Transportkosten in nennenswertem Umfang entstehen.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 175/2017<br />

Maklervertrag: Kein Provisionsanspruch bei wirksamem Widerruf<br />

(OLG München, Urt. v. 12.12.2016 – 21 U 3086/15) • Einem Makler steht kein Provisionsanspruch aus der<br />

Vermittlung eines Hauses zu, wenn zwar zwischen ihm und dem Kaufinteressenten ein Maklervertrag<br />

zustande gekommen ist und auch ein kongruenter Kaufvertrag abgeschlossen wurde, der<br />

Maklervertrag aber wirksam widerrufen wurde. Ein Kaufinteressent geht nicht bereits dadurch eine<br />

Verpflichtung zur Zahlung einer Maklerprovision ein, dass er sich an einen Makler wendet und ein<br />

Angebot anfordert. Denn grds. kann er davon ausgehen, dass der Makler das Objekt von dem<br />

Verkäufer an die Hand bekommen hat und deshalb eine Leistung für diesen erbringen will. Ein<br />

Maklervertrag, der ausschließlich mit Fernkommunikationsmitteln geschlossen worden ist, ist ein<br />

Fernabsatzgeschäft i.S.v. § 312b BGB a.F. Widerruft der Verbraucher seine Vertragserklärung, so ist er<br />

grds. zum Wertersatz für die erbrachte Dienstleistung verpflichtet. Dies setzt jedoch voraus, dass er<br />

vor Abgabe seiner Vertragserklärung hierauf hingewiesen worden ist und ausdrücklich zugestimmt<br />

hat, dass der Makler vor Ende der Widerrufsfrist mit der Ausführung der Dienstleistung beginnt.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 176/2017<br />

288 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


Eilnachrichten 2017 Fach 1, Seite 49<br />

Bauvertragsrecht<br />

Mängelbeseitigung: Nicht vor Abnahme<br />

(BGH, Urt. v. 19.1.2017 – VII ZR 301/13) • Der Besteller kann Mängelrechte nach § 634 BGB grds. erst nach<br />

Abnahme des Werks geltend machen. Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn ein reines<br />

Abrechnungs- und Abwicklungsverhältnis besteht. Dies ist für den Fall anzunehmen, dass der Besteller<br />

vom Unternehmer nur noch Schadensersatz statt der Erfüllung verlangt, jedoch nicht bei Forderung<br />

eines Kostenvorschusses zur Mängelbeseitigung. Hinweis: Bislang hat der BGH die umstrittene Frage,<br />

ob vor Abnahme Mängelansprüche geltend gemacht werden können, offen gelassen. Mit vorliegender<br />

Entscheidung entschließt sich der BGH zu einer Klarstellung: Mängelrechte nach § 634 BGB sind grds.<br />

nur nach Abnahme möglich. Dies ist zu begrüßen, da die Interessen beider Vertragsparteien gewahrt<br />

bleiben. Die Abnahme stellt die entscheidende Zäsur dar, bis zu der die Nacherfüllung möglich bleibt.<br />

Danach kann sich der Besteller auf Mängelrechte berufen. Der BGH hält aber ausnahmsweise die<br />

Abnahme zur Geltendmachung von Mängelrechten für den Fall entbehrlich, dass ein reines Abrechnungsverhältnis<br />

vorliegt. Ein solches ist anzunehmen, wenn der Besteller vom Unternehmer nur noch<br />

Schadensersatz statt der Erfüllung verlangt. Das Verlangen nach einem Kostenvorschuss zur Mängelbeseitigung<br />

führt jedoch nicht zu einem bloßen Abrechnungsverhältnis, da der Besteller weiterhin<br />

berechtigt ist, Nacherfüllung zu verlangen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 177/2017<br />

Bauhandwerkersicherung: Sicherung der Vergütungsansprüche<br />

(OLG Brandenburg, Urt. v. 8.12.2016 – 12 U 192/15) • § 648a Abs. 1 S. 1 BGB gewährt dem Unternehmer<br />

eines Bauwerks einen Anspruch auf Sicherheitsleistung, der auch im Wege der Klage geltend gemacht<br />

werden kann. Der Anspruch wird dem Unternehmer auch für den Fall eingeräumt, dass die Abnahme<br />

bereits erklärt worden ist. Für einen solchen Anspruch reicht es aus, dass dem Unternehmer noch ein<br />

Vergütungsanspruch zusteht, den er schlüssig darlegen muss. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 178/2017<br />

Sonstiges Vertragsrecht<br />

Speditionsrecht: Übernahme zur Beförderung von Transportgut<br />

(OLG Hamburg, Urt. v. 29.9.2016 – 6 U 218/15) • Voraussetzung für die Übernahme zur Beförderung i.S.v.<br />

§ 425 Abs. 1 HGB ist, dass der Frachtführer willentlich selbst oder durch seine Gehilfen aufgrund eines<br />

wirksamen Frachtvertrags den unmittelbaren oder mittelbaren Besitz an dem zu befördernden Gut<br />

erwirbt. Dies gilt im Hinblick auf die Regelsituation, bei der der Frachtführer die Ware beim Absender auf<br />

seinem fahrbereiten Beförderungsmittel übernimmt, um nach der Beladung das Gelände des Absenders<br />

zu verlassen. Etwas anderes gilt jedoch für den Fall während der Beladung eines Containers, wenn in<br />

dieser Zeit kein Fahrer des Frachtführers anwesend ist und der Container nach Abschluss der Beladung<br />

durch Dritte zu einem Stellplatz gebracht wird, wo der Frachtführer ihn einige Stunden später zum<br />

Transport übernehmen soll. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 179/2017<br />

Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht<br />

Sondernutzungsrechte: Befugnis zur Änderung durch Wohnungseigentümer<br />

(BGH, Urt. v. 21.10.2016 – V ZR 78/16) • Der teilende Eigentümer kann die in der Teilungserklärung zum<br />

Inhalt des Sondereigentums bestimmten Sondernutzungsrechte durch eine weitere einseitige Verfügung<br />

und deren Eintragung in das Grundbuch ändern, solange er noch Eigentümer aller Sondereigentumsrechte<br />

und noch keine Auflassungsvormerkung für einen Erwerber eingetragen ist. Danach<br />

bedarf er der Zustimmung der Berechtigten der eingetragenen Vormerkungen. Eine solche Änderung<br />

scheidet erst aus, wenn die werdende Wohnungseigentümergemeinschaft entstanden ist. Nach den<br />

Vorgaben des Wohnungseigentumsgesetzes müssen Sondernutzungsrechte stets einem Sondereigentum<br />

zugewiesen sein. Isolierte Sondernutzungsrechte ohne eine solche Zuordnung sind ebenso<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 289


Fach 1, Seite 50 Eilnachrichten 2017<br />

unzulässig wie isolierte Sondereigentumsrechte, die entgegen der Vorschrift des § 6 WEG nicht mit<br />

einem Miteigentumsanteil verbunden sind. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 180/2017<br />

Nachbarrecht: Anspruch auf Beseitigung von Überwachungskameras<br />

(OLG Köln, Urt. v. 22.9.2016 – 15 U 33/16) • Die Installierung von auf das Nachbargrundstück gerichteten<br />

Überwachungskameras verletzt wegen des hiervon ausgehenden Überwachungsdrucks das allgemeine<br />

Persönlichkeitsrecht des Nachbarn, so dass nicht nur ein Anspruch auf Unterlassung der Überwachung,<br />

sondern auch auf Entfernung der Kameras besteht. Neben der Entfernung der Kameras gibt es keine<br />

alternativen, für den Nachbarn milderen Maßnahmen, die die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts<br />

beseitigen. Darüber hinaus besteht jedoch kein Anspruch auf eine billige Entschädigung in Geld,<br />

sofern die mittels der Kameras gefertigten Bilder nicht an die Öffentlichkeit gelangt sind und den<br />

Nachbarn auch sonst nicht weiter beeinträchtigen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 181/2017<br />

Bank- und Kreditwesen<br />

Zahlungs- und Überweisungsverkehr: Anforderungen an steuerfreie Umsätze<br />

(BFH, Urt. v. 16.11.2016 – XI R 35/14) • Ein Kreditinstitut, das gegen Entgelt für andere Kreditinstitute im<br />

Rahmen der Abwicklung deren „beleghaften“ Zahlungs- und Überweisungsverkehrs Schecks, Überweisungen<br />

sowie Lastschriften im Wesentlichen lediglich technisch bearbeitet, führt keine steuerfreien<br />

Umsätze im Zahlungs- und Überweisungsverkehr aus. Solche Leistungen eines Kreditinstituts bewirken<br />

weder eine Übertragung von Geldern noch führen sie zu einer Änderung der bestehenden rechtlichen<br />

und finanziellen Situation zwischen dem Auftraggeber und dem Empfänger auf der einen Seite und<br />

zwischen diesen und ihren jeweiligen Banken auf der anderen Seite oder zwischen den beteiligten<br />

Banken. Auch stellen solche Tätigkeiten kein spezifisches wesentliches Element des Überweisungsverkehrs<br />

dar. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 182/2017<br />

Verbraucherdarlehensvertrag: Widerrufsbelehrung<br />

(OLG Frankfurt, Urt. v. 12.10.2016 – 17 U 227/15) • Eine Widerrufsbelehrung in einem Verbraucherdarlehensvertrag<br />

weicht nicht deshalb von den gesetzlichen Vorgaben ab, wenn sie nur eine Großkundenpostleitzahl<br />

als Anschrift des Widerrufsadressaten enthält. Auch eine Postfachanschrift ist als<br />

ladungsfähige Anschrift i.S.v. § 14 Abs. 4 BGB-InfoV a.F. anzusehen. Maßgeblich ist die zweifelsfreie<br />

postalische Erreichbarkeit des Widerrufsadressaten unter der angegebenen Anschrift. Hinweis: Das OLG<br />

nimmt zur Begründung auf das Urteil des BGH (v. 12.7.2016 – XI ZR 564/15) Bezug, wonach die Angabe<br />

einer Postfachanschrift auch nach Einführung des § 14 Abs. 4 BGB-InfoV in der bis zum 10.6.2010<br />

geltenden Fassung den gesetzlichen Anforderungen an eine Belehrung des Verbrauchers über sein<br />

Widerrufsrecht genüge. Nach der hier vom OLG vertretenen Ansicht hat die Widerrufsbelehrung den<br />

Verbraucher und Darlehensnehmer darüber zu informieren, dass und wie er seine auf den Vertragsschluss<br />

gerichtete Willenserklärung widerrufen kann. Dazu gehört auch die Angabe der Anschrift des<br />

Widerrufsempfängers. Sie ist erforderlich, damit der Verbraucher, insb. wenn der am Verbrauchervertrag<br />

beteiligte Unternehmer einen Dritten als Empfangsvertreter oder Empfangsboten benannt hat,<br />

keinem Zweifel unterliegt, an wen er den Widerruf zu richten hat (BGH, Urt. v. 11.4.2002 – I ZR 306/99).<br />

Diesen Anforderungen genügt aus Sicht des OLG auch die Angabe der Großkundenpostleitzahl des<br />

Widerrufsempfängers. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 183/2017<br />

Straßenverkehrsrecht<br />

Fiktive Schadensabrechnung: Ersatzfähigkeit der Kosten für eine Reparaturbestätigung<br />

(BGH, Urt. v. 24.1.2017 – VI ZR 146/16) • Wählt der Geschädigte den Weg der fiktiven Schadensabrechnung,<br />

sind die im Rahmen einer tatsächlich erfolgten Reparatur angefallenen Kosten einer<br />

Reparaturbestätigung für sich genommen nicht ersatzfähig. Eine Kombination von fiktiver und kon-<br />

290 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


Eilnachrichten 2017 Fach 1, Seite 51<br />

kreter Schadensabrechnung ist insoweit unzulässig. Der Geschädigte muss sich vielmehr an der<br />

gewählten Art der Schadensabrechnung festhalten lassen. Übersteigen die konkreten Kosten der – ggf.<br />

nachträglich – tatsächlich vorgenommenen Reparatur einschließlich der Nebenkosten wie tatsächlich<br />

angefallener Umsatzsteuer den aufgrund der fiktiven Schadensabrechnung zustehenden Betrag, bleibt<br />

es dem Geschädigten – im Rahmen der rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Schadensabrechnung<br />

und der Verjährung – i.Ü. unbenommen, zu einer konkreten Berechnung auf der Grundlage<br />

der tatsächlich aufgewendeten Reparaturkosten überzugehen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 184/2017<br />

Fahrverbot: Lange Verfahrensdauer<br />

(OLG Stuttgart, Beschl. v. 19.1.2017 – 2 Ss 762/16) • Wann bei langer Verfahrensdauer der Zeitablauf<br />

entweder allein oder zusammen mit anderen Umständen ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen<br />

kann, ist zwar grds. eine Frage des Einzelfalls, die einen gewissen Beurteilungsspielraum eröffnet. In der<br />

Regel wird aber der Sinn eines Fahrverbots in Frage zu stellen sein, wenn die zu ahnende Tat mehr als<br />

zwei Jahre zurückliegt. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 185/2017<br />

Versicherungsrecht<br />

Private Unfallversicherung: Kausalitätszusammenhang bei Vorschäden<br />

(BGH, Urt. v. 19.10.2016 – IV ZR 521/14) • In der privaten Unfallversicherung genügt es für einen adäquaten<br />

Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsbeeinträchtigung, dass das Unfallereignis<br />

an der eingetretenen Funktionsbeeinträchtigung mitgewirkt hat, wenn diese Mitwirkung nicht gänzlich<br />

außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liegt. Eine wesentliche oder richtungsgebende Mitwirkung ist – anders<br />

als im Sozialversicherungsrecht – nicht zu verlangen. Daher schließt das Vorhandensein von Vorschäden<br />

für sich genommen die Kausalität nicht aus. Hinweis: Mit seiner Entscheidung hat der BGH klargestellt,<br />

dass in der privaten Unfallversicherung nicht von einem eigenständigen unfallversicherungsrechtlichen<br />

Kausalbegriff auszugehen sei, sondern eine ausreichende Adäquanz schon bei einer nicht gänzlich<br />

außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liegenden Mitwirkung vorliege. Anders als im Sozialversicherungsrecht,<br />

wo eine wesentliche oder richtungsgebende Mitwirkung verlangt werde. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 186/2017<br />

Leistungsfreiheit des Versicherers: Täuschung über Schadenshöhe<br />

(OLG Dresden, Beschl. v. 13.12.2016 – 4 U 1353/16) • Eine Täuschung des Versicherungsnehmers über den<br />

Umfang eines Haushaltsversicherungsschadens führt regelmäßig zum vollständigen Wegfall des<br />

Leistungsanspruches. Eine nur teilweise Leistungsfreiheit würde allenfalls dann in Betracht kommen,<br />

wenn sich die Berufung des Versicherers auf vollständige Leistungsfreiheit als unzulässige Rechtsausübung<br />

darstellen würde. Dies ist regelmäßig nur dann anzunehmen, wenn die Täuschung lediglich einen<br />

geringen Teil des versicherten Schadens betrifft und bei der Billigkeitsprüfung weitere Gesichtspunkte<br />

zugunsten des Versicherungsnehmers ins Gewicht fallen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 187/2017<br />

Familienrecht<br />

Betreuungsrecht: Aufhebung einer Betreuung<br />

(BGH, Beschl. v. 7.12.2016 – XII ZB 346/16) • Nach § 1908d BGB ist eine Betreuung aufzuheben, wenn ihre<br />

Voraussetzungen weggefallen sind. Da nach § 1896 Abs. 1a BGB gegen den freien Willen eines Volljährigen<br />

ein Betreuer nicht bestellt werden darf, ist eine bestehende Betreuung aufzuheben, wenn sich der<br />

Betroffene mit freiem Willen gegen die Betreuung entscheidet. Nichts Anderes kann gelten, wenn ein<br />

Betroffener, der in der Lage ist, seinen Willen frei zu bestimmen, zwar grds. mit der Fortführung einer für<br />

ihn eingerichteten Betreuung einverstanden ist, dies aber mit der Bedingung verknüpft, dass eine Person<br />

zum Betreuer bestellt wird, die aus Sicht des Betreuungsgerichts für die Übernahme des Betreueramtes<br />

ungeeignet ist. Wird der bisherige Betreuer auf seinen Wunsch entlassen, hat die Auswahl des nach<br />

§ 1908c BGB zu bestellenden neuen Betreuers zu erfolgen. Eine von dem volljährigen Betreuten als<br />

Betreuer vorgeschlagene Person kann deshalb nur dann abgelehnt werden, wenn deren Bestellung dem<br />

Wohl des Volljährigen zuwiderlaufen würde. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 188/2017<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 291


Fach 1, Seite 52 Eilnachrichten 2017<br />

Ehevertrag: Auslegung einer Abtretungserklärung<br />

(OLG München, Beschl. v. 13.12.2016 – 34 Wx 82/16) • Die Auslegung einer Abtretungserklärung in einem<br />

der umfassenden Vermögensauseinandersetzung dienenden Ehevertrag, wonach „Eigentümerrechte an<br />

Grundpfandrechten“ an den jeweiligen künftigen Eigentümer der belasteten Immobilie übertragen<br />

werden, kann ergeben, dass sich die Abtretung auch auf Eigentümergrundschulden erstreckt. Sinn und<br />

Zweck eines Ehevertrags kann die Aufhebung und Auseinandersetzung der Gütergemeinschaft im Weg<br />

der Realteilung ohne Ausgleichszahlung sein. Führt die Vorbemerkung als Vertragsziel zudem eine<br />

endgültige Entflechtung der vermögensrechtlichen Beziehungen auf, so kann eine solche nur erreicht<br />

werden, wenn die Eheleute nicht mehr Gesamtberechtigte der Eigentümergrundschulden sind.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 189/2017<br />

Nachlass/Erbrecht<br />

Behindertentestament: Beurteilung der Sittenwidrigkeit<br />

(OLG Hamm, Urt. v. 27.10.2016 – 10 U 13/16) • Für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines sog.<br />

Behindertentestaments ist nicht danach zu differenzieren, wie groß das dem behinderten Kind<br />

hinterlassene Vermögen ist. Es ist weder eine klar umrissene Wertung des Gesetzgebers noch eine<br />

allgemeine Rechtsauffassung festzustellen, dass Eltern einem behinderten Kind ab einer gewissen Größe<br />

ihres Vermögens einen über den Pflichtteil hinausgehenden Erbteil hinterlassen müssen, damit es nicht<br />

ausschließlich der Allgemeinheit zur Last fällt. Hinweis: Einem Erblasser ist es im Rahmen seiner<br />

verfassungsrechtlich gem. Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG garantierten Testierfreiheit gestattet ein behindertes Kind<br />

bei der Erbfolge zu benachteiligen. Die im Rahmen der Erbrechtsgarantie gewährleistete Privatautonomie<br />

findet ihre Grenze lediglich im sozialstaatlich und durch Art. 6 Abs. 1 GG legitimierten Pflichtteilsrecht, das<br />

den nächsten Angehörigen eines Erblassers einen Mindestanteil an seinem Vermögen sichert. Die daneben<br />

geltende Schranke des § 138 Abs. 1 BGB kann eine erbrechtliche Zurücksetzung nächster Angehöriger in<br />

dem Bereich unterhalb der Schwelle des Pflichtteilsrechts nur in besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen<br />

abwehren. Eine Sittenwidrigkeit lässt sich auch nicht mit dem Grundsatz des Nachrangs der<br />

Sozialhilfe begründen. Das sozialrechtliche Subsidiaritätsprinzip, das im Sozialhilferecht selbst in erheblichem<br />

Maße durchbrochen und für die unterschiedlichen Leistungsarten verschieden ausgestaltet ist,<br />

betrifft lediglich das Verhältnis des Sozialhilfeempfängers zum Sozialhilfeträger. Die Vorschriften der<br />

§ 2 SGB XII, § 9 SGB I stellen allein darauf ab, ob der Sozialhilfeberechtigte zum Bestreiten seines<br />

Lebensunterhalts Geld- oder Sachmittel von Dritten erhält. Nur tatsächlich dem Sozialhilfeberechtigten<br />

zugewandte Mittel sind nach den Wertungen des Gesetzgebers vorrangig vor der gewährten staatlichen<br />

Hilfe einzusetzen. Hieraus lässt sich weder eine Verpflichtung des zuwendenden Dritten zur weiteren<br />

Unterstützung des Sozialhilfeberechtigten noch eine Beschränkung in seiner verfassungsrechtlich<br />

garantierten Testierfreiheit herleiten. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 190/2017<br />

Zivilprozessrecht<br />

Beschwerdebegründungsschrift: Fristgerechter Eingang bei Angabe eines falschen Aktenzeichens<br />

(BGH, Beschl. v. 25.1.2017 – XII ZB 567/15) • Die Angabe eines falschen erstinstanzlichen Aktenzeichens<br />

steht dem fristgerechten Eingang einer Beschwerdebegründungsschrift nicht entgegen, wenn aufgrund<br />

der sonstigen erkennbaren Umstände die Zuordnung zu dem Beschwerdeverfahren zweifelsfrei möglich<br />

ist. Das Gesetz schreibt weder in § 64 FamFG noch in §§ 129 Abs. 1, 130 ZPO, die gem. § 113 Abs. 1<br />

S. 2 FamFG auf Familienstreitsachen Anwendung finden, die Angabe eines bereits zugeordneten und<br />

mitgeteilten Aktenzeichens vor. Wurde durch die Angabe eines falschen Aktenzeichens eine Unsicherheit<br />

darüber herbeigeführt, in welcher Sache die Beschwerdebegründung eingereicht wurde, ist<br />

diese nach dem Inhalt der schriftsätzlichen Ausführungen des Rechtsanwalts dem richtigen Verfahren<br />

zuzuordnen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 191/2017<br />

Terminsverlegung: Ablehnung eines Antrags bei Prozessvollmacht einer Sozietät<br />

(BFH, Beschl. v. 18.11.2016 – IX B 70/16) • Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die<br />

Verhinderung eines Prozessvertreters nicht als erheblicher Grund i.S.d. § 227 Abs. 1 ZPO anzusehen,<br />

292 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


Eilnachrichten 2017 Fach 1, Seite 53<br />

wenn die Prozessvollmacht einer Sozietät erteilt worden ist und der betreffende Termin durch ein<br />

anderes Mitglied der Sozietät sachgerecht wahrgenommen werden kann. Ob im Einzelfall eine<br />

Terminsverlegung gerechtfertigt ist, hat das Finanzgericht anhand sämtlicher ihm bekannter Umstände<br />

zu beurteilen. Dabei kann es auch das Verhalten des Prozessbevollmächtigten während des Verfahrens<br />

und die Erfüllung bzw. Nichterfüllung von Mitwirkungspflichten oder andere Umstände berücksichtigen,<br />

die auf das Bestehen einer Prozessverschleppungsabsicht schließen lassen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 192/2017<br />

Zwangsvollstreckung/Insolvenz<br />

Zwangsverwaltungsverfahren: Heilung eines Zustellungsmangels<br />

(BGH, Beschl. v. 27.10.2016 – V ZB 48/15) • Fehlt es bei der Anordnung des Zwangsverwaltungsverfahrens<br />

an einer wirksamen Zustellung des Vollstreckungstitels, kann der Mangel durch Nachholung der<br />

Zustellung geheilt werden, sofern die übrigen Voraussetzungen für die Anordnung der Zwangsverwaltung<br />

weiterhin vorliegen. Insoweit gilt nichts anderes als im Zwangsversteigerungsverfahren. Allgemein macht<br />

die entgegen § 750 Abs. 1 ZPO fehlende Zustellung eine Vollstreckungsmaßnahme nur anfechtbar, und<br />

zwar gerade deshalb, weil ein solcher Mangel durch Nachholung der Zustellung geheilt werden kann. Mit<br />

der Vornahme der Zustellung entfällt der Grund für die Aufhebung des Verfahrens. Rechte des Schuldners<br />

werden hierdurch regelmäßig nicht beeinträchtigt. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 193/2017<br />

Verbraucherinsolvenz: Persönliche Beratung durch Berufsträger per Telefon<br />

(LG Landshut, Beschl. v. 24.10.2016 – 33 T 1670/16) • Besteht zwischen dem zur Ausstellung der<br />

Bescheinigung zur außergerichtlichen Verhandlungen nach § 305 InsO berechtigenden Berufsträger<br />

(hier. Rechtsanwalt) ein tatsächlicher Kontakt zum Schuldner zumindest per Telefon und liegen dem<br />

Berufsträger dabei sämtliche zur Analyse der Finanzsituation und Berstung des Schuldners relevanten<br />

Unterlagen vor, die eine umfassende Aufklärung über die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten,<br />

einschließlich eines außergerichtlichen Einigungsversuchs, eines Schuldenbereinigungs- bzw. Insolvenzplans<br />

ermöglichen, dann wird damit die in § 305 InsO geforderte „höchstpersönliche Beratung“ erfüllt.<br />

Eine Verpflichtung zur körperlichen Anwesenheit beider Beteiligten ist der gesetzlichen Regelung nicht<br />

zu entnehmen. Hinweis: Ob die persönliche Beratung i.S.v. § 305 InsO zwingend in Gengenwart des<br />

Schuldners erfolgen kann bzw. muss, ist bislang nicht abschließend geklärt; neben dem LG Landshut hat<br />

unlängst auch das LG Düsseldorf mit Beschl. v. 20.6.2016 – 25 T 334/16, ZInsO 2016, 1703 entschieden,<br />

dass kein (Missbrauchs-)Fall im Sinne eines sog. Stempelanwalts vorliegt, wenn zumindest ein<br />

höchstpersönliches Telefonat, sei es mit Bild (z.B. per Skype) oder ohne (per Telefon) vorliegt (a.A. aber<br />

u.a: AG Göttingen, Beschl. v. 17.5.2016 – 74 IK 113/16, ZInsO 2016, 1387; LG Düsseldorf, Beschl. v. 26.6.2015 –<br />

25 T 410/15, ZVI 2015, 335 sowie zustimmend: FRIND ZInsO 2016, 307 ff.). <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 194/2017<br />

Handelsrecht/Gesellschaftsrecht<br />

Beendigung der Gesellschaft: Anspruch auf Zahlung des Auseinandersetzungsguthabens<br />

(BGH, Urt. v. 6.12.2016 – II ZR 140/15) • Der Anspruch auf Zahlung eines Auseinandersetzungsguthabens<br />

eines stillen Gesellschafters entsteht ebenso wie der Verlustausgleichsanspruch mit der Beendigung der<br />

stillen Gesellschaft und kann nach seiner Fälligkeit geltend gemacht bzw. mit einer Klage durchgesetzt<br />

werden. Dieser Anspruch kann regelmäßig erst nach der Auseinandersetzung in Form der Durchführung<br />

einer Gesamtabrechnung fällig, die der Geschäftsinhaber allerdings nicht ungebührlich hinauszögern darf.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 195/2017<br />

Wirtschafts-/Urheber-/Medien-/Marken-/Wettbewerbsrecht<br />

Produktwerbung: Fundstellenangabe bei der Werbung mit Test-Emblemen<br />

(BGH, Beschl. v. 8.12.2016 – I ZR 88/16) • Die mangelnde Lesbarkeit einer Testfundstelle ist nicht mit dem<br />

Fehlen jeglicher Testfundstellenangabe gleichzusetzen. Im Bereich der Werbung ist nicht die Schaltung<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 293


Fach 1, Seite 54 Eilnachrichten 2017<br />

eines elektronischen Verweises (Links) zum Testergebnis zu verlangen. Vielmehr reicht die Angabe einer<br />

Internetseite aus. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 196/2017<br />

Irreführung: Warenangebot muss Werbeanzeige entsprechen<br />

(OLG Frankfurt, Urt. v. 2.2.2017 – 6 U 209/16) • Eine Werbeanzeige kann geeignet sein, bei dem<br />

angesprochenen Publikum eine relevante Fehlvorstellung über die Qualität des über diesen Link<br />

erreichbaren Warenangebots hervorzurufen. Dies ist der Fall, wenn bei Eingabe einer Marke als<br />

Suchwort in der „google“-Trefferliste eine Anzeige mit einem Linkhinweis erscheint, der als Subdomain<br />

diese Marke enthält, der Link jedoch auf eine Webseite führt, in der überwiegend Waren anderer Marken<br />

angeboten werden. So werden die Nutzer in relevanter Weise irregeführt. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 197/2017<br />

Arbeitsrecht<br />

Betriebliche Altersversorgung: Geltung des Gleichbehandlungsgesetzes<br />

(BAG, Urt. v. 13.10.2016 – 3 AZR 439/15) • Sieht eine Versorgungsordnung bei der Inanspruchnahme der<br />

Betriebsrente vor Erreichen einer festen Altersgrenze Abschläge vor, liegt darin keine unerlaubte<br />

Benachteiligung wegen einer Behinderung. Eine unmittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 1 AGG<br />

scheidet aus, weil die Abschläge nicht an die Behinderteneigenschaft anknüpfen. Auch andere Arbeitnehmer<br />

können früher in Rente gehen. Ebenso scheidet eine mittelbare Benachteiligung nach § 3<br />

Abs. 2 AGG aus. Liegen die Voraussetzungen eines frühen Renteneintritts auch bei nicht schwerbehinderten<br />

Arbeitnehmern vor, müssen diese ebenfalls Abschläge hinnehmen. Es ist allerdings darüber hinaus<br />

zu prüfen, ob für die Änderung einer Versorgungsordnung sachlich-proportionale Gründe vorlagen und<br />

damit die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit gewahrt sind. Hinweis: Bei<br />

langfristig wirkenden Betriebsvereinbarungen über die betriebliche Altersversorgung kann sich die Situation<br />

ergeben, dass diese späteren Gegebenheiten und veränderten Wertvorstellungen nicht mehr<br />

entsprechen und es zu Fehlentwicklungen in der betrieblichen Altersversorgung kommen kann. Die<br />

Betriebsparteien, denen durch § 87 Abs. 1 Nr. 8, 10 BetrVG ein Gestaltungsauftrag erteilt wurde, müssen<br />

daher die Möglichkeit haben, auf solche Änderungen für die Zukunft zu reagieren. Voraussetzung ist<br />

jedoch, dass der Dotierungsrahmen im Wesentlichen zumindest gleich hoch bleibt und der Eingriff für die<br />

nachteilig betroffene Arbeitnehmergruppe zumutbar ist. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 198/2017<br />

Betriebliches Eingliederungsmanagement: Krankheitsbedingte Kündigung<br />

(LAG Düsseldorf, Urt. v. 20.10.2016 – 13 Sa 356/16) • Eine krankheitsbedingte Kündigung kann<br />

unverhältnismäßig und damit unwirksam sein, wenn der Arbeitgeber es unterlassen hat, vor ihrem Ausspruch<br />

ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) anzubieten, der Arbeitnehmer zwar ein<br />

solches etwa anderthalb Jahre zuvor abgelehnt hatte, danach jedoch erneut die Voraussetzungen für die<br />

Durchführung eines bEM eingetreten sind. Das Erfordernis eines bEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX besteht für<br />

alle Arbeitnehmer, nicht nur für behinderte Menschen. Zwar ist die Durchführung des bEM keine formelle<br />

Wirksamkeitsvoraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung und für sich genommen auch kein<br />

milderes Mittel als diese. § 84 Abs. 2 SGB IX konkretisiert aber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 199/2017<br />

Sozialrecht<br />

Unterhaltsrückstände: Keine Absetzung vom Einkommen nach SGB II<br />

(BSG, Urt. v. 12.10.2016 – B 4 AS 38/15 R) • Es ist nicht möglich, Zahlungen auf Unterhaltsrückstände, auch<br />

von tituliertem Unterhalt aus der Vergangenheit, als Absetzbeträge vom Einkommen nach dem SGB II<br />

abzusetzen. Eine Auslegung des § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 7 SGB II, die eine Zahlung auf Schulden für die<br />

Vergangenheit miteinbezieht, die nicht von dem aktuell fälligen Titel umfasst sind, würde über das<br />

gesetzgeberische Ziel hinausgehen. Auch kann im Gegensatz zur Vermögensberücksichtigung nach § 12<br />

294 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


Eilnachrichten 2017 Fach 1, Seite 55<br />

Abs. 3 S. 1 Nr. 6 SGB II eine Anrechnung von Einkommen nicht schon deshalb unterbleiben, weil dies eine<br />

besondere Härte darstellen könnte. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 200/2017<br />

Sozialversicherung: Öffnungsklauselbescheinigung des Rentenversicherungsträgers<br />

(LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 12.10.2016 – L 2 R 572/12) • Der gesetzliche Rentenversicherungsträger<br />

kann (und darf) im Rahmen der von ihm erteilten Bescheinigung „Mitteilung Öffnungsklausel –<br />

Zur Vorlage an das Finanzamt“ über geleistete über der Beitragsbemessungsgrenzen liegende Beiträge,<br />

auch nur solche Beiträge aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht bestätigen, die (aktuell) tatsächlich<br />

einen Rentenanspruch begründen und zu entsprechenden Zahlbeträgen führen können. Denn auch<br />

(nur) insoweit greifen die steuerlichen Vergünstigungsregelungen des § 22 EStG zur Vermeidung einer<br />

Doppelbesteuerung. Diese Besteuerung sowohl der Beiträge selbst als auch der Rente aufgrund dieser<br />

Beiträge droht dabei aber nur bzgl. solcher Beiträge, aufgrund derer die Rente überhaupt gezahlt wird.<br />

Ungeachtet dessen, wird durch die Bescheinigung ohnehin nicht eine zutreffende steuerliche<br />

Sachbehandlung der Beiträge erklärt. Dies ist allein Aufgabe der Finanzbehörde. Hinweis: Die Zahlungen<br />

von Beiträgen jenseits der Beitragsbemessungsgrenze, die auch durch zusätzliche Zahlung an ein<br />

berufsständisches Versorgungswerk erst überschritten sein kann, hätten deshalb zur entsprechenden<br />

Berücksichtigung in der gesetzlichen Rentenversicherung (neben Pflicht oder freiwilligen Beiträgen)<br />

streitvermeidend im Rahmen der Höherversicherung oder unter Beachtung der Nachzahlungsvoraussetzung<br />

erfolgen müssen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 201/2017<br />

Verfassungsrecht/Verwaltungsrecht<br />

Verfassungsbeschwerde: Zulässigkeit nach Verwerfung einer Nichtzulassungsbeschwerde<br />

(BVerfG, Beschl. v. 23.12.2016 – 1 BvR 1723/14) • Eine Verfassungsbeschwerde ist i.d.R. unzulässig, wenn<br />

ein Rechtsmittel – hier: die Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision –, durch dessen<br />

Gebrauch die behaupteten Grundrechtsverstöße hätten ausgeräumt werden können, aus prozessualen<br />

Gründen erfolglos bleibt. Ein Beschwerdeführer, der trotzdem eine Verfassungsbeschwerde erhebt,<br />

muss darin seinen damaligen Vortrag jedenfalls im Wesentlichen mitteilen, so dass für das BVerfG<br />

nachvollziehbar wird, ob das Rechtsmittel offenbar unzulässig war und ob der Beschwerdeführer die<br />

verfassungsrechtliche Problematik zumindest der Sache nach dem Rechtsmittelgericht unterbreitet<br />

hatte. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 202/2017<br />

Beamtenrecht: Verfassungswidrigkeit der „Stichtagsregelung“ in Rheinland-Pfalz<br />

(BVerfG, Beschl. v. 17.1.2017 – 2 BvL 1/10) • Die im Besoldungsrecht des Landes Rheinland-Pfalz<br />

vorgesehene „Wartefrist“, wonach ein Beamter oder Richter, dem ein Amt ab den Besoldungsgruppen<br />

B 2 oder R 3 übertragen wird, für die Dauer von zwei Jahren das Grundgehalt der nächstniedrigeren<br />

Besoldungsgruppe erhält, ist mit Art. 33 Abs. 5 GG unvereinbar und nichtig. Die Regelung verstößt gegen<br />

hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums und lässt sich auch vor dem Hintergrund des dem<br />

Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsspielraums nicht rechtfertigen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 203/2017<br />

Gaststättenerlaubnis: Widerruf wegen Unzuverlässigkeit<br />

(OVG NRW, Beschl. v. 28.11.2016 – 4 B 1127/16) • Gibt es eine den Außengastronomiebereich einer<br />

Gaststätte bezogene Sperrzeitregelung, hat der Gastwirt durch geeignete Vorkehrungen dafür Sorge zu<br />

tragen, dass sich während der Sperrzeit keine Gäste in dem Außengastronomiebereich aufhalten. Das<br />

hat der Antragsteller an den fraglichen Tagen nicht getan. Liegen mehrere Sperrzeitverstöße vor,<br />

obwohl der Betreiber von Außendienstmitarbeiter jeweils darauf aufmerksam gemacht wurde, fällt dies<br />

im Rahmen der Zuverlässigkeitsprognose negativ ins Gewicht. Bereits diese Sperrzeitverstöße sowie die<br />

mehrfache Missachtung des Verbots von Live-Veranstaltungen können die Prognose rechtfertigen, dass<br />

das Gewerbe auch künftig nicht ordnungsgemäß ausgeübt wird. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 204/2017<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 295


Fach 1, Seite 56 Eilnachrichten 2017<br />

Steuerrecht<br />

Häusliches Arbeitszimmer: Personenbezogene Ermittlung des Höchstbetrags<br />

(BFH, Urt. v. 15.12.2016 – VI R 53/12) • Nutzen mehrere Steuerpflichtige ein häusliches Arbeitszimmer<br />

gemeinsam, kann jeder Nutzende die Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer, die er getragen<br />

hat, einkünftemindernd geltend machen, sofern die Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b S. 2 EStG<br />

in seiner Person vorliegen. Der Abzug der Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer setzt voraus,<br />

dass dem jeweiligen Steuerpflichtigen in dem Arbeitszimmer ein Arbeitsplatz in einer Weise zur<br />

Verfügung steht, dass er ihn für seine betriebliche/berufliche Tätigkeit in dem konkret erforderlichen<br />

Umfang und in der konkret erforderlichen Art und Weise tatsächlich nutzen kann. Nutzen Ehegatten bei<br />

hälftigem Miteigentum ein häusliches Arbeitszimmer gemeinsam, sind die Kosten jedem Ehepartner<br />

grds. zur Hälfte zuzuordnen. Hinweis: Der erkennende Senat weicht mit dieser Entscheidung von seiner<br />

bisherigen Auffassung ab, wonach der Höchstbetrag nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b S. 3 Hs. 1 EStG für ein<br />

häusliches Arbeitszimmer nur einmal gewährt werden könne. Der 4. Senat ist nunmehr – ebenso wie<br />

der erkennende Senat – der Auffassung, dass der Höchstbetrag jedem Steuerpflichtigen zusteht, der die<br />

persönlichen Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b S. 2 EStG erfüllt, Aufwendungen für das<br />

Arbeitszimmer trägt und darin einen eigenen Arbeitsplatz hat. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 205/2017<br />

Steuersachen: Keine Hilfeleistung durch gewerblich tätigen Schuldenberater<br />

(OLG Frankfurt, Urt. v. 8.12.2016 – 6 U 51/16) • Eine den Angehörigen der steuerberatenden Berufe nach<br />

§ 1 StBerG vorbehaltene „Hilfeleistung in Steuersachen“ liegt nicht vor, wenn ein gewerblich tätiger<br />

Schuldnerberater mit Blick auf das für seine Kunden angestrebte außergerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren<br />

an das Finanzamt herantritt und dieses um entsprechende Stundung der Forderung<br />

bzw. Erlass von Säumniszuschlägen sowie um Aussetzung der von ihr betriebenen Zwangsvollstreckung<br />

bittet. Insoweit fehlt es bereits an einem hinreichend engen Zusammenhang mit der Verwirklichung von<br />

Steuertatbeständen. Hinweis: Auch eine verfassungskonforme Auslegung des § 1 StBerG würde gegen<br />

eine Einschränkung der Berufsausübung des Schuldnerberaters in diesem Sinne sprechen: Denn damit<br />

wäre dessen Kerntätigkeit, nämlich Verhandlung mit Gläubigern über Zahlungsmodalitäten und<br />

Schuldenerlasse zu treffen, quasi grds. ausgeschlossen, wenn es sich bei einem der Gläubiger um das<br />

Finanzamt handeln würde, diese Tätigkeit erfordert zudem auch keine spezifischen steuerlichen<br />

Kenntnisse und es droht insoweit deshalb auch keine Gefahr einer (steuerlichen) Falschberatung, was<br />

insgesamt für eine Vorbehaltsaufgabe zugunsten des Steuerberaters sprechen würde (zu den<br />

Vorbehaltsaufgaben nach EU-Recht s. MANN/FONTANA DStR 2016, 73 ff.). <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 206/2017<br />

Strafsachen/Ordnungswidrigkeiten<br />

Sexueller Missbrauch: Einführen von Gegenständen<br />

(BGH, Urt. v. 8.12.2016 – 4 StR 389/16) • Das sexuell motivierte Einführen eines Thermometers, von<br />

Zäpfchen und des Daumens in den Anus stellt jeweils ein „Eindringen in den Körper“ i.S.d. § 176a Abs. 2<br />

Nr. 1 StGB dar. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 207/2017<br />

Augenblicksversagen: Tatsächliche Feststellungen<br />

(OLG Jena, Beschl. v. 16.11.2016 – 1 OLG 121 SsBs 50/16) • Lässt sich der Betroffene bei dem Vorwurf einer<br />

Geschwindigkeitsüberschreitung dahin ein, er habe wahrscheinlich die Beschilderung der Geschwindigkeitsbegrenzung<br />

nicht gesehen, so dass es sich um ein Augenblicksversagen gehandelt habe, muss der<br />

Tatrichter die Art und Weise der Beschilderung feststellen und sodann – im zweiten Schritt – erörtern,<br />

ob von einem „Augenblicksversagen“ des Betroffenen ausgegangen werden kann oder ob das<br />

Nichtwahrnehmen der Beschilderung grob pflichtwidrig war und zur Anordnung des Fahrverbots<br />

führen kann. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 208/2017<br />

296 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


Eilnachrichten 2017 Fach 1, Seite 57<br />

Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug<br />

Bundeszentralregister: Verurteilung in Spanien<br />

(BVerfG, Beschl. v. 23.1.2017 – 2 BvR 2584/12) • Soweit ein Gericht dazu aufgerufen ist, die Entscheidung<br />

über eine Eintragung ins Bundeszentralregister auf ihre Vereinbarkeit mit den einschlägigen grundrechtlichen<br />

Mindeststandards hin zu überprüfen, darf es seinen Prüfungsauftrag nicht dadurch<br />

verengen, dass es die Feststellungen des Urteils auch dann ohne Weiteres übernimmt, wenn der<br />

Vortrag des Antragstellers konkret Anlass zur Prüfung gegeben hätte. Hinweis: Im vorliegenden Fall hat<br />

das BVerfG einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die sich gegen die Eintragung einer spanischen<br />

Schnellverurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung in das Bundeszentralregister<br />

richtete. Das Ausgangsgericht, so die Begründung, sei der vom Beschwerdeführer angeführten Kritik an<br />

der rechtlichen Ausgestaltung und praktischen Handhabung des spanischen Schnellverfahrens nicht<br />

nachgegangen und habe die gebotene Aufklärung unterlassen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 209/2017<br />

Beweiswürdigung: Wahllichtbildvorlage mit Fotos von Zwillingen<br />

(OLG Brandenburg, Beschl. v. 25.1.2017 – (1) 53 Ss 74/16) • Bei Verurteilung eines Angeklagten kann die<br />

Beweiswürdigung fehlerhaft sein, wenn eine Wahllichtbildvorlage mit ungleich alten und ungleich<br />

kontrastreichen Fotos eineiiger Zwillinge durchgeführt wurde und der Angeklagte in der Hauptverhandlung<br />

von dem angeblichen Opfer nicht wiedererkannt wurde. In einem solchen Fall kann der Angeklagte<br />

freizusprechen sein, wenn die im Ermittlungsverfahren liegenden Fehler, dass zum einen nicht die<br />

gegenüber der Wahllichtbildvorlage zuverlässigere und bei eineiigen Zwillingen als Tatverdächtigte auch<br />

gebotene Wahlgegenüberstellung, zum anderen auch nicht die zuverlässigere sequentielle (sukzessive)<br />

Wahllichtbildvorlage gewählt wurde und schließlich fast drei Jahre auseinanderliegende Fotos der<br />

tatverdächtigen Zwillinge der Zeugin vorgelegt wurden, nicht mehr korrigiert oder ausgeglichen werden<br />

können. Ein Nichtwiedererkennen in der Hauptverhandlung spricht zudem gegen die Zuverlässigkeit der<br />

früheren Identifizierung im Ermittlungsverfahren. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 210/2017<br />

Zustellung: Wirksamkeit<br />

(LG Berlin, Beschl. v. 19.8.2016 – 537 Qs 47/16) • Eine Zustellung an einen Angeklagten ist unwirksam,<br />

wenn das zuzustellende Schriftstück dem Angeklagten nicht persönlich übergeben wurde, sondern in<br />

den Briefschlitz einer Wohnung eingeworfen wird, in der er nicht seinen Lebensmittelpunkt (§§ 37 ff.<br />

StPO) hatte. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 211/2017<br />

Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />

Anwaltshaftung: Verjährung eines Schadensersatzanspruchs gegen einen Rechtsanwalt<br />

(BGH, Urt. v. 2.2.2017 – IX ZR 91/15) • Der Schadensersatzanspruch gegen einen Rechtsanwalt, der<br />

pflichtwidrig eine Forderung des Mandanten hat verjähren lassen, verjährt unabhängig von der Verjährung<br />

eines Anspruchs auf Ersatz des Kostenschadens gegen denselben Rechtsanwalt wegen pflichtwidrigen<br />

Führens eines aussichtslosen Prozesses gegen einen Dritten. Damit liegen zwei materiell-rechtliche<br />

Ansprüche vor. Die Verjährung des Anspruchs hinsichtlich des Kostenschadens muss gesondert geprüft<br />

werden. Der Grundsatz der Schadenseinheit besagt nur, dass derjenige Schaden, der aus einem<br />

bestimmten Ereignis erwachsen ist, als einheitliches Ganzes aufzufassen ist. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 212/2017<br />

Syndikusrechtsanwalt: Zulassung einer Schadenanwältin einer Versicherung<br />

(AGH NRW, Urt. v. 28.10.2016 – 1 AGH 34/16) • Auch ein bisher „nur“ als Volljurist beschäftigter<br />

Rechtsanwalt kann durch entsprechende Erklärungen die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt erhalten,<br />

wenn nachträglich die fachliche Weisungsunabhängigkeit bestätigt wird und die weiteren Voraussetzungen<br />

vorliegen. Die qualifizierte Schadensbearbeitung bei einer Versicherung erfüllen i.d.R. alle vier<br />

Merkmale des § 46 Abs. 3 BRAO. In diesen Fällen prägt die anwaltliche Tätigkeit auch. Das Argument,<br />

dass durch eine Kodifizierung durch Versicherungsbedingungen kein Beurteilungsspielraum für den<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 297


Fach 1, Seite 58 Eilnachrichten 2017<br />

Anwalt mehr besteht, lehnt der Senat deutlich ab: „Es handelt sich dabei um tatsächlich und rechtlich<br />

komplexe und anspruchsvolle Tätigkeiten“. Auch die Tarifeinbindung hindert die Zulassung nicht, weil es<br />

alleine auf die konkrete Tätigkeitsbeschreibung und nicht auf Merkmale des Tarifvertrags ankommt.<br />

Hinweis: Gegen diese Entscheidung kann die Deutsche Rentenversicherung Bund mit der Nichtzulassungsbeschwerde<br />

vorgehen. Ebenso hat der AGH Hamm entschieden (vgl. AGH Hamm, Urt. v.<br />

28.10.2016 – 1 AGH 33/16, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 168/2017) – dieses Urteil ist bereits rechtskräftig, da die Deutsche<br />

Rentenversicherung Bund die mögliche Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH nicht eingelegt hat.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 213/2017<br />

Gebührenrecht<br />

Gegenstandswert: Erbscheinsverfahren<br />

(OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.1.2017 – I-25 Wx 78/16) • Bei der Ermittlung des nach § 40 Abs. 1 Nr. 2<br />

GNotKG maßgeblichen Nachlasswertes ist auf den objektiven Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des<br />

Erbfalles abzüglich der vom Erblasser herrührenden Verbindlichkeiten abzustellen. Dieser ist von Amts<br />

wegen zu ermitteln. Im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind die Gerichte zwar von Amts<br />

wegen gehalten, die relevanten Tatsachen zu ermitteln. Jedoch kann das Gericht von weiteren<br />

Ermittlungen absehen, wenn ein Beteiligter bei der Sachverhaltsaufklärung nicht mitwirkt oder auch<br />

sonst kein Anlass zu weiteren erfolgversprechenden Ermittlungen besteht. Daher verletzt das Gericht<br />

die ihm obliegende Aufklärungspflicht nicht, wenn es davon ausgeht, dass die Beteiligten ihnen<br />

vorteilhafte Umstände von sich aus vorbringen, und wenn es annehmen darf, dass die Beteiligten sich<br />

dieser Umstände auch bewusst sind. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 214/2017<br />

Rahmengebühren: Gebühren des Wahlverteidigers<br />

(AG Köthen, Beschl. v. 22.11.2016 – 13 OWi 31/16) • Die Gebühren des Wahlverteidigers sind im Fall des<br />

Freispruchs in der Höhe der einem Pflichtverteidiger ggf. zustehenden gesetzlichen Gebühren festzusetzen<br />

(§ 14 RVG). <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 215/2017<br />

EU-Recht/IPR<br />

Luganer Übereinkommen: Wahrung des Schriftformerfordernisses<br />

(BGH, Urt. v. 25.1.2017 – VIII ZR 257/15) • Zur Wahrung des in Art. 23 Abs. 1 S. 3 Buchst. a des revidierten<br />

Luganer Übereinkommens geregelten Schriftformerfordernisses bedarf es nicht notwendig einer<br />

Unterschrift aller Vertragsschließenden. Es genügt eine Niederlegung der Gerichtsstandsabrede in<br />

Textform, wenn sich aus den Gesamtumständen (Unterschrift nur des Käufers unter den bereits<br />

ausgehandelten und anschließend beiderseits zeitnah vollzogenen Vertrag) ergibt, dass es sich bei den<br />

zu dieser Einigung abgegebenen Willenserklärungen um einen von den Vertragsschließenden autorisierten<br />

Text handelt. Insofern ist die wechselseitige Vertragsdurchführung jedenfalls geeignet, die<br />

erzielte Willensübereinstimmung hinsichlich der Gerichtsstandsklausel in einer Weise zu belegen, die<br />

dem Zweck des Schriftformerfordernisses und dem damit einhergehenden Bedürfnis nach Rechtsklarheit<br />

und Rechtssicherheit gerecht wird. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 216/2017<br />

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298 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


Allgemeines Zivilrecht Fach 2, Seite 641<br />

Vertragsstrafen<br />

Vertragsrecht<br />

Der Anspruch auf Vertragsstrafe und seine Durchsetzung im Prozess<br />

– Leichtes Spiel für den Gläubiger?<br />

Von Rechtsanwalt Dr. GERNOT SCHMITT-GAEDKE, LL.M. Eur., Frankfurt/M.<br />

Inhalt<br />

I. Vorbemerkung<br />

II. Vertragsstrafe/Vertragsstrafeversprechen<br />

1. Rechtsnatur<br />

2. Notwendige Vertragserklärungen von<br />

Gläubiger und Schuldner<br />

3. Auswirkung auf die Wiederholungsgefahr,<br />

Entstehung des Anspruchs auf Vertragsstrafe<br />

III. Erscheinungsformen von Vertragsstrafeversprechen<br />

1. Festes Vertragsstrafeversprechen<br />

2. Vertragsstrafeversprechen nach<br />

Hamburger Brauch<br />

3. Tituliertes Vertragsstrafeversprechen<br />

IV. Praxisrelevante Probleme im Vertragsstrafeprozess<br />

1. Reichweite der Unterlassungsverpflichtung<br />

2. Inhaltskontrolle von Vertragsstrafeversprechen<br />

nach §§ 305 ff. BGB<br />

3. Bestimmung der Höhe<br />

V. Prozessuale Durchsetzung des Vertragsstrafeanspruchs<br />

1. Zuständiges Gericht<br />

2. Prozessuale Vorgehensweise<br />

VI. Fazit<br />

I. Vorbemerkung<br />

Die Vertragsstrafe ist ein im Rahmen einer Vereinbarung abgegebenes Versprechen des Schuldners, bei<br />

Nicht- oder Schlechterfüllung einer Hauptverbindlichkeit eine Geldsumme an den Gläubiger zu zahlen.<br />

Häufig treffen in Vertragsstrafeprozessen Kläger mit überzogenen Erwartungen auf Beklagte, die nicht<br />

einsehen wollen, für eine „Bagatelle“ „absurd hohe Beträge“ zahlen zu sollen. Der Prozessanwalt befindet<br />

sich hier auf einem psychologisch besonders schwierigen Terrain. Angesichts der Entwicklung der<br />

höchstrichterlichen Rechtsprechung in den vergangenen beiden Jahrzehnten sind Vertragsstrafestreitigkeiten<br />

aber auch juristisch deutlich anspruchsvoller geworden. Dieser Beitrag soll verdeutlichen, was<br />

bei der Vereinbarung einer Vertragsstrafe zu beachten ist, welche Verteidigungsmöglichkeiten für den<br />

Beklagten bestehen und wie der Kläger böse Überraschungen im Prozess vermeiden kann. Vertragsstrafen<br />

kommen auf unterschiedlichen Gebieten des Zivilrechts, wie z.B. im Urheberrecht, Presserecht, Äußerungsrecht,<br />

Arbeitsrecht, Mietrecht, Baurecht und im gewerblichen Rechtsschutz, in Betracht. Vorliegende<br />

Darstellung orientiert sich überwiegend an der in der Praxis häufigsten Konstellation, nämlich der<br />

Vertragsstrafe zur Sicherung eines Unterlassungsanspruchs.<br />

II.<br />

Vertragsstrafe/Vertragsstrafeversprechen<br />

1. Rechtsnatur<br />

Die Vertragsstrafe ist in den §§ 339–345 BGB geregelt. Nach der Definition des § 339 BGB setzt die<br />

Vertragsstrafe das Versprechen der Zahlung von Geld für den Fall der ausbleibenden oder unzureichenden<br />

Erfüllung einer Hauptverbindlichkeit voraus. Der Vertragsstrafeanspruch ist also stets auf die Zahlung<br />

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Fach 2, Seite 642<br />

Vertragsstrafen<br />

Allgemeines Zivilrecht<br />

von Geld gerichtet. In diesem Inhalt des Anspruchs unterscheidet er sich von Konstellationen, in denen –<br />

z.B. für den Fall rechtzeitiger Zahlung – eine Belohnung in Form eines Teilverzichts vereinbart wird<br />

(„Verfallklausel mit Belohnungscharakter“, vgl. BGH NJW 2010, 859; OLG München NJW-RR 1998, 1663);<br />

allerdings sind die Regeln über die Vertragsstrafe, z.B. die Herabsetzung gem. § 343 BGB, wegen der<br />

weitgehend gleichläufigen Interessenlage zumindest stellenweise auf Verfallklauseln anzuwenden (BGH<br />

NJW 1968, 1625; NJW-RR 1993, 464, 465). Das Vertragsstrafeversprechen ist stets unselbstständig,<br />

nämlich von einer Hauptverbindlichkeit abhängig, wobei die Hauptverbindlichkeit auf ein Tun oder auf ein<br />

Unterlassen gerichtet sein kann. Ist die Hauptverbindlichkeit, z.B. wegen Formmangels, nicht gegeben, so<br />

besteht auch der akzessorische Vertragsstrafeanspruch nicht (§ 344 BGB). Diese Akzessorietät trennt die<br />

Vertragsstrafe vom Reugeld (§ 353 BGB), das gerade nicht auf die Erfüllung einer Hauptverbindlichkeit<br />

zielt, sondern dem Schuldner die Möglichkeit gewähren soll, sich von einer Verbindlichkeit zu lösen.<br />

Praxishinweis:<br />

Bei der Prüfung, ob eine Vertragsstrafeklausel vorliegt, sollte der Praktiker nicht am Wortlaut haften.<br />

Insbesondere sollte er nicht isoliert darauf abstellen, ob eine Zahlung versprochen wird, sondern die<br />

Interessenlage ergründen. Zeigt diese Parallelen zum Vertragsstrafeversprechen, so ergeben sich aus<br />

den besonderen Schutzvorschriften der Vertragsstrafe, wie z.B. den §§ 343 und 555 BGB, zusätzliche<br />

Verteidigungsmöglichkeiten.<br />

2. Notwendige Vertragserklärungen von Gläubiger und Schuldner<br />

Wie schon aus der Stellung der Vertragsstrafe im 3. Abschnitt des Allgemeinen Teils des Schuldrechts<br />

deutlich wird, entsteht der Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe nicht durch eine einseitige<br />

Erklärung des Schuldners, sondern durch einen zwischen Schuldner und Gläubiger geschlossenen<br />

Vertrag. § 339 BGB und § 12 UWG, wo nur von einem „Versprechen“ bzw. der „Abgabe einer Unterlassungsverpflichtung“<br />

die Rede ist, sollen also nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Zustandekommen<br />

einer rechtswirksamen Vertragsstrafevereinbarung auch eine Erklärung des Gläubigers voraussetzt.<br />

Gläubiger und Schuldner können sich grundsätzlich formfrei erklären. Im praktisch wichtigsten<br />

Fall, nämlich im Zusammenspiel mit einem Unterlassungsversprechen, bedarf die Gesamterklärung des<br />

Schuldners (aber nicht des Gläubigers!) der Schriftform, da das Unterlassungsversprechen ein<br />

abstraktes Schuldversprechen ist und somit nach § 780 BGB der Schriftform bedarf.<br />

Hinweis:<br />

Anderes gilt nur für Kaufleute, die sich nach §§ 350, 343 HGB formfrei unterwerfen können, das Versprechen<br />

aber auf Verlangen des Gläubigers schriftlich bestätigen müssen (BGH NJW 1990, 3147 – Unterwerfung<br />

durch Fernschreiben).<br />

3. Auswirkung auf die Wiederholungsgefahr, Entstehung des Anspruchs auf Vertragsstrafe<br />

Trotz der Notwendigkeit der Vertragserklärung des Gläubigers kommt bereits dem alleinigen Vertragsstrafeversprechen<br />

des Schuldners in bestimmt gelagerten Fällen eine rechtliche Wirkung zu:<br />

Obwohl mit ihr noch kein Unterlassungsvertrag zustande kommt, lässt bereits die einseitige mit einer<br />

Vertragsstrafe bewehrten Unterwerfungserklärung als solche die Wiederholungsgefahr entfallen (BGH<br />

GRUR 2006, 878, Rn 20 – Vertragsstrafevereinbarung). Die Geltendmachung eines Anspruchs auf<br />

Zahlung einer Vertragsstrafe setzt hingegen das rechtswirksame Zustandekommen eines Unterlassungsvertrags<br />

durch Erklärungen beider Parteien voraus.<br />

Praxishinweis:<br />

Gläubiger sollten deshalb darauf achten, die – ggf. modifizierte – Unterlassungserklärung des Schuldners<br />

nachweisbar anzunehmen; problematisch kann aus Nachweisgründen insbesondere die Annahme per<br />

Telefax sein, da hier durch den OK-Vermerk kein Zugangsnachweis zu führen ist (vgl. BGH NJW 2013, 2514;<br />

BGH, Urt. v. 21.7.2011 – IX ZR 148/10).<br />

300 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


Allgemeines Zivilrecht Fach 2, Seite 643<br />

Vertragsstrafen<br />

Ein Anspruch auf Zahlung von Vertragsstrafe besteht grundsätzlich, d.h. wenn der Unterlassungsvertrag<br />

dies nicht ausnahmsweise anders regelt, erst für solche Verstöße, die nach dem Zustandekommen des<br />

Unterlassungsvertrags erfolgt sind (BGH GRUR 2006, 878, Rn 20 – Vertragsstrafevereinbarung). Wird im<br />

Unterlassungsvertrag hingegen eine Rückwirkung vorgesehen, kann dies eine Einordnung als Garantieversprechen<br />

oder eine ihm ähnliche Erklärung nahelegen (BGH NJW 1988, 2536, 2537).<br />

III. Erscheinungsformen von Vertragsstrafeversprechen<br />

In der Praxis haben sich unterschiedliche Formulierungen für Vertragsstrafeversprechen durchgesetzt.<br />

1. Festes Vertragsstrafeversprechen<br />

Am häufigsten ist das Vertragsstrafeversprechen über eine bestimmte Summe anzutreffen – wie<br />

nachfolgendes Beispiel verdeutlicht.<br />

Beispiel (BGH GRUR 1983, 127):<br />

Hier verpflichtete sich die Schuldnerin dazu, „es bei Meidung einer Vertragsstrafe von 5.000 DM für jeden Fall<br />

der Zuwiderhandlung zu unterlassen, in ihrer Werbung die kostenlose Bespannung von Tennisschlägern anzubieten.“<br />

Wie noch zu zeigen sein wird, darf nicht allein aus der Zuwiderhandlung darauf geschlossen werden,<br />

dass der Schuldner tatsächlich zur Zahlung der fest versprochenen Vertragsstrafe in voller Höhe<br />

verpflichtet ist. Schwierigkeiten bringen feste Vertragsstrafeversprechen zudem mit sich, wenn fraglich<br />

ist, ob mehrere Handlungen bzw. Einzelakte einen Verstoß oder mehrere Verstöße gegen ein<br />

Vertragsstrafeversprechen darstellen.<br />

2. Vertragsstrafeversprechen nach Hamburger Brauch<br />

Im Gegensatz zu einem solchen festen Vertragsstrafeversprechen steht das Vertragsstrafeversprechen<br />

nach Hamburger Brauch, bei dem die Höhe der Vertragsstrafe nach billigem Ermessen festzusetzen ist,<br />

sei es durch das Gericht („alter Hamburger Brauch“) oder durch den Gläubiger bzw. einen Dritten<br />

(„neuer Hamburger Brauch“). Mit einem solchen Vertragsstrafeversprechen nach Hamburger Brauch<br />

hatte sich der BGH in nachfolgendem Beispiel „Kostenlose Schätzung“ zu befassen.<br />

Beispiel „Kostenlose Schätzung“ (BGH GRUR 2014, 498):<br />

Hier hatte sich der Schuldner dazu verpflichtet, „es bei Meidung einer von der Klägerin im Einzelfall festzusetzenden<br />

und auf Angemessenheit durch das zuständige Gericht überprüfbaren Vertragsstrafe zu unterlassen, ab dem<br />

4.11.2011 im geschäftlichen Verkehr beim Goldankauf mit der Formulierung ‚kostenlose Schätzung‘ zu werben.“<br />

Diese Formulierung der Vertragsstrafevereinbarung, der sog. neue Hamburger Brauch, gestattet es dem<br />

Gläubiger, die Höhe der Vertragsstrafe im Falle der Zuwiderhandlung gem. § 315 Abs. 1 BGB nach<br />

billigem Ermessen zu bestimmen. Verbindlich ist die Bestimmung aber nur dann, wenn sie der Billigkeit<br />

entspricht. Ist dies nicht der Fall oder verzögert der Gläubiger die Bestimmung, so wird die Bestimmung<br />

durch das Urteil getroffen (§ 315 Abs. 3 BGB). Regelmäßig erfolgt die Anrufung des Gerichts hierbei durch<br />

eine Leistungsklage des Gläubigers, da der Schuldner die Zahlung der festgesetzten Vertragsstrafe unter<br />

Berufung auf deren Unbilligkeit verweigert. Der Schuldner ist aber sowohl im Falle der von ihm<br />

angenommenen Billigkeit als auch im Falle der Untätigkeit des Gläubigers dazu berechtigt, eine<br />

gerichtliche Ersatzleistungsbestimmung im Wege der Gestaltungsklage anzustreben (STAUDINGER/RIEBLE,<br />

BGB, § 315 Rn 410 ff.).<br />

Die Bestimmung der Höhe der Vertragsstrafe kann gem. § 317 BGB auch grundsätzlich wirksam einem<br />

Dritten überlassen werden. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass durch ein solches Vertragsstrafeversprechen<br />

zugunsten eines Dritten – z.B. zugunsten einer karitativen Einrichtung – die durch eine<br />

vorangegangene Zuwiderhandlung gesetzte Wiederholungsgefahr bzw. die Gefahr der Erstbegehung<br />

einer Zuwiderhandlung (vgl. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB) beseitigt werden kann. Ob dies der Fall ist, ist im<br />

Rahmen einer Einzelfallabwägung zu bestimmen (BGH GRUR 1987, 748, 749 – Getarnte Werbung II), die<br />

i.d.R. zu Lasten des Schuldners ausfallen wird (vgl. LG Köln WRP 2013, 123, KÖHLER/BORNKAMM/BORNKAMM,<br />

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, § 12 UWG Rn 1.202).<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 301


Fach 2, Seite 644<br />

Vertragsstrafen<br />

Allgemeines Zivilrecht<br />

Nach der Rechtsprechung des BGH (GRUR 1978, 192) und des BAG (NJW 1981, 1799) ist es grundsätzlich<br />

unzulässig, dem Gericht von vornherein die Bestimmung der Vertragsstrafe zu überlassen, wie dies der<br />

sog. alte Hamburger Brauch vorsah. In seiner Entscheidung „Hamburger Brauch“ (GRUR 1978, 192) hatte<br />

sich der BGH mit folgendem Vertragsstrafeversprechen zu befassen:<br />

1. „Die Firma B. Stoffe in Gießen verpflichtet sich Ihnen gegenüber, es zu unterlassen, mit der Ankündigung „Großer<br />

Stoffverkauf nach Ostern“ zu werben.<br />

2. Für jeden Fall zukünftiger Zuwiderhandlung gegen die unter Ziff. 1 aufgeführte Verpflichtung zahlt meine Mandantin<br />

eine Vertragsstrafe, deren Höhe in jedem Einzelfall von der 6. Zivilkammer des LG Frankfurt am Main festzusetzen ist.“<br />

Der BGH sah dieses Vertragsstrafeversprechen als unwirksam an, da es dem Gericht die Aufgabe<br />

übertrage, für die Parteien den Inhalt eines Vertrags durch eine vertragsgestaltende Tätigkeit zu ergänzen<br />

(BGH GRUR 1978, 192, 193; Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung<br />

des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs [im Folgenden: RGRK], § 317 BGB Anm. 3).<br />

Praxishinweis:<br />

Im Rahmen eines Abmahnverfahrens sollte ein Vertragsstrafeversprechen zugunsten eines Dritten nur<br />

dann abgegeben werden, wenn der Gläubiger dem zugestimmt hat. Von einem Vertragsstrafeversprechen<br />

nach neuem Hamburger Brauch ist insgesamt abzuraten.<br />

Es ist möglich, das nach billigem Ermessen zu bestimmende Vertragsstrafeversprechen der Höhe nach<br />

zu begrenzen (z.B. „verpflichtet sich dazu, eine vom Gläubiger nach billigem Ermessen festzusetzende und im<br />

Streitfall gerichtlich zu überprüfende Vertragsstrafe von nicht mehr als 10.000 € zu zahlen“). Auch wenn dem<br />

Schuldner selbstverständlich zu empfehlen ist, sich um die Vereinbarung einer solchen Beschränkung zu<br />

bemühen (vgl. KÖHLER/BORNKAMM/BORNKAMM, a.a.O., § 12 UWG Rn 1.195), sind relative Vertragsstrafen in<br />

der Praxis nur relativ selten anzutreffen. Dies ergibt sich aus der Schwierigkeit der Beurteilung, ob der in<br />

der Unterlassungserklärung genannte Höchstbetrag ausreichend ist und ob sich die Unterlassungserklärung<br />

deshalb im konkreten Einzelfall zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr eignet: Die<br />

Beschränkung der Vertragsstrafe ist nur dann zulässig, wenn sie sich unter Berücksichtigung der<br />

Umstände des Einzelfalls als angemessen erweist, insbesondere wenn sie sich dazu eignet, zukünftige<br />

noch schwerere Verstöße zu verhindern (vgl. BGH GRUR 1985, 937 – Vertragsstrafe bis zu …); als<br />

Richtschnur wird hierbei regelmäßig das Doppelte einer ansonsten ausreichenden festen Vertragsstrafe<br />

genannt (vgl. KÖHLER/BORNKAMM/BORNKAMM, a.a.O., § 12 UWG Rn 1.195).<br />

Praxishinweis:<br />

Auch insoweit ist dem Schuldner also zur Zurückhaltung zu raten: Eine Unterwerfung mit Höchstbetrag<br />

sollte nur dann erfolgen, wenn der Gläubiger zuvor einen festen Betrag vorgegeben hat, der dann zum<br />

Höchstbetrag verdoppelt werden kann, oder aber wenn der Höchstbetrag mit dem Gläubiger abgestimmt<br />

ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, dann überwiegt das Risiko, das die Unsicherheit über die<br />

Beseitigung der Wiederholungsgefahr mit sich bringt, den in der Praxis ohnehin überschaubaren Nutzen<br />

der Beschränkung.<br />

3. Tituliertes Vertragsstrafeversprechen<br />

In der Praxis werden einfache Unterlassungserklärungen regelmäßig nicht von titulierten, d.h.<br />

insbesondere im Rahmen eines Prozessvergleichs abgegebenen, Unterlassungserklärungen unterschieden.<br />

Diese Gleichsetzung ist ebenso falsch wie gefährlich:<br />

Hat sich der Schuldner nämlich in einem gerichtlichen Vergleich zur Unterlassung verpflichtet, so kann<br />

der Gläubiger nämlich grundsätzlich auch dann eine gerichtliche Androhung von Ordnungsmitteln gem.<br />

§ 890 Abs. 2 ZPO beantragen, wenn der Vergleich vertragsstrafebewehrt ist (BGH WRP 2014, 861 –<br />

Ordnungsmittelandrohung nach Prozessvergleich). Der Prozessvergleich führt daher im Regelfall zu einer<br />

Kumulation von vertraglichen und vollstreckungsrechtlichen Sanktionen, der der Schuldner entgehen<br />

kann, indem er ein Vertragsstrafeversprechen verweigert (der Gläubiger kann das Unterlassungsgebots<br />

302 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


Allgemeines Zivilrecht Fach 2, Seite 645<br />

Vertragsstrafen<br />

dann nach einem separat zu beantragenden Androhungsbeschluss gem. § 890 Abs. 2 ZPO im Wege der<br />

Zwangsvollstreckung durchsetzen) oder aber indem er im Zusammenhang mit dem Vertragsstrafeversprechen<br />

klarstellt, dass eine zusätzliche Vollstreckung des Unterlassungsgebots nach § 890 Abs. 1 ZPO<br />

nicht stattfinden soll.<br />

Praxishinweis:<br />

Es kann sich für den Schuldner empfehlen, die Unterlassungserklärung nicht im Rahmen des Vergleichs,<br />

sondern zur Aufnahme in das Sitzungsprotokoll zu erklären. Eine solche Protokollerklärung ist nicht ohne<br />

weiteres als Prozessvergleich anzusehen (vgl. TEPLITZKY/KESSEN, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren,<br />

11. Aufl. 2016, Kap. 12 Rn 4), so dass sich die mit einem Prozessvergleich verbundenen Probleme bei<br />

ihnen nicht stellen.<br />

Darüber hinaus sind Prozessvergleiche auch deshalb sorgfältig zu behandeln, weil die Bestimmung ihrer<br />

Reichweite noch problematischer ist als der ohnehin schon schwierige Normalfall der Urteilsauslegung<br />

bzw. der Auslegung der strafbewehrten Unterlassungserklärung. Wird der Unterlassungsantrag des<br />

Klägers in den Vergleich übernommen, so ist es im Interesse beider Parteien, im Vergleich klarzustellen,<br />

ob auf ihn die Regeln über die Titelauslegung („Kerntheorie“) Anwendung finden sollen oder nicht.<br />

IV.<br />

Praxisrelevante Probleme im Vertragsstrafeprozess<br />

1. Reichweite der Unterlassungsverpflichtung<br />

Im Vertragsstrafeprozess stellt sich regelmäßig die Frage, ob ein neues, gegenüber der ersten<br />

Zuwiderhandlung leicht geändertes Verhalten einen Anspruch auf Zahlung von Vertragsstrafe auslöst.<br />

Die Problematik kann durch nachfolgenden aktuellen Beispielfall veranschaulicht werden.<br />

Beispiel nach LG Darmstadt, Urt. v. 11.11.2016 – 20 O 99/16:<br />

Die Klägerin begehrt Zahlung von Vertragsstrafe wegen des Vertriebs von Wermut ohne Hinweis auf die<br />

darin enthaltenen Sulfite. Grundlage ist eine Verpflichtung des Beklagten, es bei Meidung einer Vertragsstrafe<br />

zu unterlassen, „im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs mit Letztverbrauchern Fernabsatzverträge<br />

betreffend Wein bzw. Schaumwein zu schließen, ohne dabei auf enthaltene Sulfite hinzuweisen (…)“. Diese<br />

Verpflichtung war der Beklagte eingegangen, nachdem er unter Verweis auf die Lebensmittelinformations-<br />

Verordnung wegen des Vertriebs unzureichend gekennzeichneter Weine und Schaumweine abgemahnt<br />

worden war.<br />

In derartigen Konstellationen rankt sich die Diskussion immer wieder darum, ob die Unterlassungserklärung<br />

über ihren Wortlaut hinaus auf wesensgleiche Sachverhalte ausgedehnt werden kann.<br />

Ausgangspunkt ist dabei die vom BGH entwickelte Kerntheorie, nach der es angezeigt ist, gerichtliche<br />

Unterlassungsgebote in der Zwangsvollstreckung über ihren Wortlaut hinaus auf solche Verstöße<br />

anzuwenden, in denen das „Charakteristische der Zuwiderhandlung“ erneut zum Ausdruck kommt (im<br />

Detail vgl. TEPLITZKY/FEDDERSEN, a.a.O., Kap. 57 Rn 11 ff.). Wie der BGH in seiner Rechtsprechung klargestellt<br />

hat, kann dieses in der gerichtlichen Praxis geprägte Verständnis des Unterlassungsanspruchs auch der<br />

Auslegung von Unterlassungsverträgen zugrunde gelegt werden:<br />

„Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass von der Verpflichtungserklärung<br />

der Beklagten über den Wortlaut der Erklärung hinaus auch im Kern gleichartige<br />

Verletzungsformen erfasst werden sollten. Diese Auslegung entspricht dem Zweck des Unterlassungsvertrags,<br />

der regelmäßig darin liegt, nach einer Verletzungshandlung die Vermutung der Wiederholungsgefahr auszuräumen<br />

und die Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens entbehrlich zu machen. Die Vermutung der<br />

Wiederholungsgefahr greift jedoch nicht allein für die identische Verletzungsform ein, sondern umfasst auch alle<br />

im Kern gleichartigen Verletzungshandlungen.“ (BGH GRUR 2003, 899 (899 f.) – Olympiasiegerin).<br />

Auch Unterlassungsverträge können also über ihren Wortlaut hinausgehen (vgl. TEPLITZKY/KESSEN, a.a.O.<br />

Kap. 8 Rn 16 ff.). Eine solche Auslegung ist jedoch nicht per se angezeigt, sondern muss auf einem<br />

erkennbaren Willen beider Parteien beruhen (BGH GRUR 1997, 931 – Sekundenschnell). Unterlassungsverträge<br />

sind keine Titel, sondern Verträge. Die für die Titelauslegung entwickelten Grundsätze gelten<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 303


Fach 2, Seite 646<br />

Vertragsstrafen<br />

Allgemeines Zivilrecht<br />

für sie nicht. Stattdessen ist ihre Reichweite von Unterlassungserklärungen nach den allgemeinen<br />

Vorschriften über die Vertragsauslegung zu bestimmen (BGH GRUR 2001, 758, 759 – Trainingsvertrag;<br />

GRUR 2006, 878, Tz. 18 – Vertragsstrafevereinbarung). Damit ist vorrangig auf den Wortlaut abzustellen<br />

(BGH GRUR 2003, 545, 546 – Hotelfoto). Nur wo der Wortlaut nicht eindeutig ist, kann eine Auslegung<br />

unter Berücksichtigung des objektiven Parteiwillens erfolgen (BGH GRUR 2001, 758, 759 – Trainingsvertrag),<br />

der in besonders gelagerten Fällen zu der Annahme führen kann, dass eine Erstreckung über<br />

den Wortlaut hinaus auf kerngleiche Sachverhalte gewünscht war (BGH GRUR 1997, 931 – Sekundenschnell);<br />

zur Auslegung können hierbei auch begleitende Äußerungen der Parteien herangezogen<br />

werden (BGH GRUR 1998, 483 – Der M.-Markt packt aus). Das Postulat, vom Gläubiger auf die konkrete<br />

Verletzungsform beschränkte Unterlassungserklärungen seien im Zweifel auch ohne ausdrückliche<br />

Einbeziehung auf kerngleiche Erweiterungsformen zu erstrecken (TEPLITZKY/KESSEN, a.a.O., Kap. 8 Rn 16a),<br />

läuft den allgemeinen Grundsätzen der Vertragsauslegung zuwider und ist auch nicht durch die<br />

Interessenlage gerechtfertigt. Der Gläubiger hat es in der Hand, im Abmahnverfahren auf eine<br />

unmissverständliche Formulierung der Unterlassungsverpflichtung hinzuwirken. Versäumt er dies, so<br />

mag die Unklarheit zu seinen Lasten berücksichtigt werden; eine Berücksichtigung zu seinen Gunsten –<br />

wie dies z.B. im Vertragsstrafeprozess gegeben wäre – ist indes nicht angezeigt.<br />

Hinweise:<br />

• Außerhalb des Patentrechts sind Unterlassungserklärungen grundsätzlich anders zu formulieren als<br />

Klageanträge.<br />

• Sofern auf die konkrete Verletzungsform beschränkte Unterlassungsverpflichtungen formuliert<br />

werden („Kopieranträge“), sollte sichergestellt werden, dass die Anwendung der sog. Kerntheorie mitvereinbart<br />

wird.<br />

• Besondere Vorsicht ist geboten bei Unterlassungserklärungen, die im Rahmen eines Prozessvergleichs<br />

geschlossen werden. Hier werden häufig die auf die konkrete Verletzungsform zugeschnittenen Klageanträge<br />

übernommen. Zwar liegt dann die Annahme nahe, dass die Auslegung entsprechend einem<br />

Unterlassungstitel gewollt war. Dies sollte aber vom Gläubiger zur Sicherheit klargestellt werden.<br />

2. Inhaltskontrolle von Vertragsstrafeversprechen nach §§ 305 ff. BGB<br />

a) Anwendungsbereich des AGB-Rechts<br />

Unterlassungsverträge unterliegen wie andere Verträge auch der AGB-Kontrolle, sofern sie bzw. die<br />

jeweiligen Klauseln „vorformuliert“ und „gestellt“ wurden (§ 305 Abs. 1 BGB). Dies ist aufgrund eines<br />

eklatanten Mangels der Formularpraxis praktisch immer dann der Fall, wenn die Unterlassungserklärung<br />

auf Grundlage einer Abmahnung abgegeben wurde. Durch diese schlechte Vertragspraxis<br />

wird dem Schuldner ein zusätzliches Arsenal an Verteidigungsmöglichkeiten gegeben. Sowohl in der<br />

Rechtspraxis als auch in den einschlägigen Formularbüchern sind Formulierungen verbreitet, die ohne<br />

weiteres und völlig unnötig zur Annahme eines Stellens i.S.d. § 305 Abs. 1 S. 3 BGB führen.<br />

Beispiele:<br />

• „Ich weise darauf hin, dass nur durch die Abgabe der vorstehenden Erklärungen, für deren Eingang ich<br />

mir den (…) vorgemerkt habe, die Wiederholungsgefahr für den meiner Mandantin zustehenden Unterlassungsanspruch<br />

und damit auch das Rechtsschutzbedürfnis für die Einleitung gerichtlicher<br />

Schritte ausgeräumt werden können.“<br />

• „Unsere Mandantin gibt Ihnen letztmalig Gelegenheit, die streitige Auseinandersetzung durch Abgabe<br />

klaglos stellender Erklärungen außergerichtlich zu bereinigen. Namens und in Vollmacht unserer Mandantin<br />

haben wir Sie daher aufzufordern, die beigefügte und vorformulierte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung<br />

abzugeben. Wir sehen dem Eingang der vorstehenden Verpflichtungserklärung –<br />

rechtsverbindlich unterzeichnet und unverändert – bis zum (…) entgegen.“<br />

Diese zwei Beispiele aus weit verbreiteten Formularbüchern lassen nicht erkennen, dass der Gläubiger<br />

dazu bereit ist, den Inhalt der Verpflichtungserklärung zur Disposition zu stellen (§ 305 Abs. 1 S. 3 BGB).<br />

Sie genügen den von der Rechtsprechung gestellten Anforderungen an ein „Stellen“ bzw. „Aushandeln“<br />

304 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


Allgemeines Zivilrecht Fach 2, Seite 647<br />

Vertragsstrafen<br />

(vgl. BGH NJW 2016, 1230) nicht annähernd. Werden diese Aufforderungen zusammen mit den in den<br />

Formularbüchern vorgeschlagenen, vulgo: vorformulierten, Vertragsstrafeklauseln verwendet, so haben<br />

sie zu deren AGB-rechtliche Kontrolle zur Folge.<br />

Hinweis:<br />

Im Abmahnverfahren ist bei der Verwendung von Formularbüchern besondere Vorsicht geboten. Es ist<br />

dringend anzuraten, in der Abmahnung klarzustellen, dass die beigelegte Unterlassungserklärung nur als<br />

Vorschlag zu verstehen ist und es dem Schuldner freisteht, eine selbst formulierte Unterlassungserklärung<br />

abzugeben, die sich zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr eignet.<br />

b) Fortsetzungszusammenhang<br />

Die Formularpraxis ist durchzogen von Fällen, in denen der Gläubiger sich – wie im nachfolgenden<br />

Beispiel – um einen Ausschluss der „Einrede des Fortsetzungszusammenhangs“ bemüht:<br />

Beispiel:<br />

„Die Schuldnerin verpflichtet sich dazu, an die Gläubigerin für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung<br />

gegen die vorstehende Verpflichtung eine von der Gläubigerin nach billigem Ermessen festzusetzende<br />

und im Streitfall vom Landgericht Hamburg zu überprüfende Vertragsstrafe. Die Einrede des Fortsetzungszusammenhangs<br />

sowie der Einwand, dass mehrere Verstöße zu einer rechtlichen Einheit zusammenzufassen<br />

sind, sind jeweils ausgeschlossen.“<br />

Bei nüchterner rechtlicher Betrachtung erweist sich diese Klauselpraxis als kontraproduktiv. Der<br />

Ausschluss der Einrede des Fortsetzungszusammenhangs ist verständlich und an sich sinnvoll, da er<br />

die Anreize für Wiederholungshandlungen reduziert und damit eine Privilegierung von besonders hartnäckigen<br />

und dreisten Schuldnern verhindert. Allerdings birgt ein Ausschluss der Einrede die Gefahr, dass<br />

rechtlich zusammengehörige Einzelstrafen stupide aufaddiert werden und dadurch eine unangemessen<br />

hohe Vertragsstrafe entsteht. Deshalb hat der BGH schon vor langem derartigen – auch nicht<br />

formularmäßig vereinbarten – Klauseln eine Absage erteilt, da sie mit dem Gerechtigkeitsgedanken im<br />

Allgemeinen nicht zu vereinbaren sein und zu seiner unangemessenen Benachteiligung des Schuldners<br />

führen (BGH NJW 2016, 1230 Rn 39; GRUR 2001, 758, 760 – Trainingsvertrag; NJW 1993, 721, 722 –<br />

Fortsetzungszusammenhang). Dieser Umstand bringt es mit sich, dass der Ausschluss des Fortsetzungszusammenhangs<br />

– auch nicht formularmäßig vereinbarten Vertragsstrafeklauseln – unzulässig ist<br />

(BGH NJW 1993, 721, 722 – Fortsetzungszusammenhang). Zumindest im Anwendungsbereich des AGB-<br />

Rechts hat dies regelmäßig die Unwirksamkeit der Vertragsstrafeklausel als ganze zur Folge (Verbot<br />

der geltungserhaltenden Reduktion, vgl. PALANDT/GRÜNEBERG, BGB, § 306 Rn 6).<br />

Wirksam ist eine Klausel, mit der eine Zusammenfassung von Einzelverstößen zu einer rechtlichen<br />

Einheit ausgeschlossen wird, hingegen dann, wenn sie nur auf vorsätzlich begangene Verstöße bezieht<br />

(BGH NJW 1993, 721, 723 – Fortsetzungszusammenhang). Richtigerweise sollte eine Vertragsstrafeklausel<br />

daher aus Gläubigersicht wie folgt formuliert werden:<br />

„Der Schuldner verpflichtet sich dazu, für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung<br />

aus Ziff. 1 eine Vertragsstrafe i.H.v. 5.100 € zu zahlen. Für vorsätzlich begangene Zuwiderhandlungen wird die<br />

Einrede des Fortsetzungszusammenhangs ausgeschlossen.“<br />

c) Kumulierung von Schadensersatz und Vertragsstrafe<br />

Vertragsstrafevereinbarungen haben bekanntlich eine doppelte Zielrichtung: Sie sollen den Schuldner<br />

zur Erfüllung der Hauptverbindlichkeit motivieren und dem Gläubiger im Falle einer Zuwiderhandlung<br />

den Schadensnachweis ersparen (BGH NJW 1988, 2536). Diesem charakteristischen Merkmal des<br />

Vertragsstraferechts trägt § 340 Abs. 2 BGB Rechnung, indem er vorsieht, dass Zahlungen von<br />

Vertragsstrafen auf den Schadensersatzanspruch angerechnet werden. Klauseln, die ausschließen, dass<br />

Zahlungen von Vertragsstrafen auf den Schadensersatzanspruch angerechnet werden, laufen diesem<br />

gesetzlichen Leitbild zuwider. Sie stellen eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners,<br />

§ 307 Abs. 1 BGB, dar und sind auch im Verhältnis unter Kaufleuten unwirksam (BGH NJW 2016, 1230<br />

Rn 39; WM 2009, 1811 Rn 12).<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 305


Fach 2, Seite 648<br />

Vertragsstrafen<br />

Allgemeines Zivilrecht<br />

Hinweis:<br />

Häufig anzutreffen, aber zumindest als AGB unzulässig sind daher folgende Formulierungen in Vertragsstrafeklauseln:<br />

„schuldet unabhängig von etwaigen Schadensersatzansprüchen“ oder „Schadensersatzansprüche<br />

bleiben hiervon unberührt“. Mangels Möglichkeit einer geltungserhaltenden Reduktion führen auch solche<br />

Regelungen üblicherweise zur Nichtigkeit der Vertragsstrafeklauseln als ganze, so dass ein Anspruch auf<br />

Zahlung von Vertragsstrafe nicht besteht.<br />

Bis dato ist noch unklar, ob solche Klauseln zulässig sind, in denen nicht ausdrücklich klargestellt wird, ob<br />

eine Anrechnung erfolgt. Nach Auffassung des Verfassers sind – insbesondere solche in Formularbüchern<br />

vorgeschlagenen – Unterlassungserklärungen problematisch, in denen neben der Verpflichtung zur<br />

Zahlung der Vertragsstrafe auch eine Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz vorgesehen wird,<br />

ohne klarzustellen, dass der Schadensersatz nur für bis zur Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung<br />

erfolgten Verstöße zu leisten ist bzw. dass eine Anrechnung erfolgt. Um allen Diskussionen<br />

vorzubeugen und eine klare Grundlage für die Durchsetzung von Vertragsstrafeansprüchen zu schaffen,<br />

sollten Gläubiger in ihren Unterlassungserklärungen deklaratorisch klarstellen, dass eine wechselseitige<br />

Anrechnung von Vertragsstrafe und Schadensersatz erfolgt.<br />

d) Vertragsstrafe ohne Verschulden<br />

Im Falle des § 339 S. 1 BGB setzt die Verwirkung der Vertragsstrafe den Verzug des Schuldners und daher<br />

mittelbar über § 286 Abs. 4 BGB dessen Verschulden voraus. Dies gilt ebenso für den Unterlassungsanspruch,<br />

obwohl der Wortlaut von § 339 S. 2 BGB hier scheinbar nur eine Zuwiderhandlung und kein<br />

Verschulden verlangt (BGH-Rechtsprechung seit 1972, vgl. BGH NJW 1972, 1893). Der Schuldner wird also<br />

stets von der Verpflichtung zur Zahlung einer Vertragsstrafe frei, wenn er gem. § 286 Abs. 4 BGB<br />

nachweisen kann, dass es zu der Zuwiderhandlung aufgrund eines Umstands gekommen ist, den er<br />

nicht zu vertreten hat. Diese vom Gesetzgeber vorgesehene Lösung wird durch Vertragsstrafeklauseln<br />

unterlaufen, die eine verschuldensunabhängige Haftung vorsehen. Solche Klauseln laufen dem wesentlichen<br />

Grundgedanken der gesetzlichen Regelung zuwider und sind daher als nichtig anzusehen<br />

(BGH NJW 1998, 2600, 2600 – Treuhand).<br />

Dem Gläubiger ist also davon abzuraten, eine verschuldensunabhängige Unterwerfung zu fordern,<br />

zumal der Schuldner einer solchen Aufforderung ohnehin nicht nachkommen muss. Problematisch<br />

können auch Klauseln sein, die sich überhaupt nicht zum Verschulden äußern und insofern der Formulierung<br />

des § 339 S. 2 BGB ähneln. Die Frage, wie mit einer solchen „schweigenden“ Klausel umzugehen<br />

ist, hat der BGH im Treuhand-Urteil (NJW 1998, 2600) ausdrücklich offen gelassen. Zumindest, soweit die<br />

Vertragsstrafeklausel „gestellt“ wird, sollte der Praktiker das Verschulden ausdrücklich erwähnen. Dies<br />

kann erfolgen, indem der Vertragsstrafeanspruch ausdrücklich nur für den Fall der „schuldhaften Zuwiderhandlung“<br />

vorgesehen wird. Auch wenn nach Abgabe einer Unterlassungserklärung grundsätzlich<br />

strenge Sorgfaltsmaßstäbe gelten, kann es sinnvoll sein, die Beweislast – ebenso wie dies in § 286 Abs. 4<br />

BGB erfolgt – zulasten des Schuldners umzukehren, was wie folgt aussehen könnte:<br />

„Der Schuldner verpflichtet sich dazu, für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung<br />

aus Ziff. 1 eine Vertragsstrafe i.H.v. 5.100 € zu zahlen. Der Schuldner ist nicht zur Zahlung einer Vertragsstrafe<br />

verpflichtet, solange die Zuwiderhandlung infolge eines Umstands erfolgt ist, den er nicht zu vertreten hat. Für<br />

vorsätzlich begangene Zuwiderhandlungen wird die Einrede des Fortsetzungszusammenhangs ausgeschlossen.“<br />

e) Höhe der Vertragsstrafe<br />

Eine unangemessene Benachteiligung des Schuldners kann sich aus der Höhe der Vertragsstrafe<br />

ergeben (BGH NJW 2016, 1230 Rn 34). Dies ist vor allem dann gegeben, wenn die Sanktion in einem<br />

Missverhältnis zur Schwere des Vertragsverstoßes und seinen Folgen für den Gläubiger steht (BGH NJW<br />

1994, 1060; in BGH NJW 2016, 1230 Rn 34 ist insoweit wohl aufgrund eines Schreibfehlers vom<br />

„Vertragsstrafenschuldner“ statt vom „Vertragsstrafengläubiger“ die Rede). Problematisch sind insoweit<br />

feste Vertragsstrafeklauseln, die sich nicht nach Art, Schwere und Dauer richten. Nach der Recht-<br />

306 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


Allgemeines Zivilrecht Fach 2, Seite 649<br />

Vertragsstrafen<br />

sprechung des BGH sind solche festen Vertragsstrafeklauseln – zumindest außerhalb des Wettbewerbsrechts<br />

(vgl. TEPLITZKY/KESSEN, a.a.O., Kap. 8 Rn 28a) – nur dann zulässig, wenn die Strafe auch angesichts<br />

des typischerweise geringsten Verstoßes angemessen wäre (BGH NJW 2016, 1230; NJW 1997, 3233). Ist<br />

dies nicht der Fall, so ist die Klausel nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. Angesichts dessen ist es Gläubigern<br />

zumindest bei nicht ausgehandelten Vertragsstrafen nach dem Gebot des sichersten Wegs nahezulegen,<br />

ein Vertragsstrafeklausel nach Hamburger Brauch anzustreben.<br />

3. Bestimmung der Höhe<br />

Die Bestimmung der Höhe der Vertragsstrafe bringt regelmäßig besonders große Schwierigkeiten mit<br />

sich. Diese Schwierigkeiten sind je nach Art des Vertragsstrafeversprechens unterschiedlicher Natur.<br />

a) Festes Vertragsstrafeversprechen<br />

Beim festen Vertragsstrafeversprechen erfolgt die Bestimmung der Höhe im Ausgangspunkt durch die<br />

Multiplikation der Vertragsstrafe mit der Zahl der Zuwiderhandlungen. Als „Zuwiderhandlung“ ist<br />

hierbei aber nicht der Einzelakt – z.B. der Verkauf – im tatsächlichen Sinne, sondern die Handlung im<br />

Rechtssinne zu verstehen; so liegt insbesondere bei einer natürlichen Handlungseinheit nur eine<br />

Handlung im Rechtssinne vor (vgl. BGH GRUR 2015 Rn 29 – Kopfhörerkennzeichnung). Gelangt man<br />

nach Prüfung zu dem Ergebnis, dass mehrere Handlungen im Rechtssinne bestehen, so ist auf nächster<br />

Stufe festzustellen, ob mehrere Zuwiderhandlungen, d.h. mehrere Handlungen im Rechtssinne, zu einer<br />

rechtlichen Einheit zusammenzufassen sind; ob dies der Fall ist, ist seit der Aufgabe der Rechtsfigur des<br />

Fortsetzungszusammenhangs im Zivilrecht (BGH GRUR 2001, 758 – Trainingsvertrag) im Rahmen einer<br />

am Unterlassungsvertrag orientierten Einzelfallbetrachtung festzustellen. Diese kann bzw. wird<br />

regelmäßig ergeben, dass mehrere fahrlässig begangene und zeitlich nicht zu weit auseinanderliegende<br />

Zuwiderhandlungen, die gleichartig und unter Außerachtlassung derselben Pflichtenlage begangen<br />

worden sind, nur als ein Verstoß zu sehen sind und daher auch nur zu einem einzigen Vertragsstrafeanspruch<br />

führen (BGH GRUR 2015 Rn 29 – Kopfhörerkennzeichnung).<br />

Führt auch dieser zweite Prüfungsschritt zur Annahme mehrerer Handlungen, kann – wie auch sonst –<br />

auf dritter Stufe eine Herabsetzung der Vertragsstrafe nach § 343 BGB angezeigt sein. Auf das<br />

Vertragsstrafeversprechen eines Kaufmanns findet § 343 BGB bekanntlich keine Anwendung. Dies<br />

ändert aber nichts daran, dass – gewissermaßen auf vierter Stufe – eine Herabsetzung der<br />

Vertragsstrafe über § 242 BGB möglich ist, sofern diese in einem außerordentlichen Missverhältnis<br />

zur Bedeutung der Zuwiderhandlung steht (BGH GRUR 2009, 181 – Kinderwärmekissen).<br />

Prüfungsschema zur Höhe des Vertragsstrafeanspruchs:<br />

1. Liegt trotz mehrerer Einzelakte eine Handlung im Rechtssinne vor?<br />

2. Bei mehreren Handlungen im Rechtssinne: Sind die Handlungen zu einer rechtlichen Einheit zusammenzufassen,<br />

z.B. wie sie unter Außerachtlassung der gleichen Pflichtenlage begangen worden sind?<br />

3. Ist die Vertragsstrafe nach § 343 BGB – Achtung, nach § 348 HGB nicht auf Kaufleute anwendbar –<br />

herabzusetzen?<br />

4. Kommt eine Herabsetzung nach § 242 BGB in Betracht?<br />

Reizt der Schuldner seine Verteidigungsmöglichkeiten aus, so ist die Geltendmachung einer festen<br />

Vertragsstrafe in der Praxis sehr viel schwieriger als dies der erste Anschein erwarten lässt; insbesondere<br />

spielen hier Wertungsgesichtspunkte eine viel größere Rolle als dies beiden Parteien bei Abschluss der<br />

Vertragsstrafevereinbarung bekannt ist.<br />

Zumindest bei individuell ausgehandelten Vertragsstrafevereinbarungen macht es Sinn, im Einzelnen<br />

festzuhalten, wie die Zahl der Einzelhandlungen bestimmt werden soll. Gegebenenfalls kann die Höhe<br />

der Vertragsstrafe auch an „Rechenbeispielen“, die zum Vertragsinhalt werden, illustriert werden.<br />

b) Vertragsstrafeversprechen nach Hamburger Brauch<br />

Bei der Bestimmung der Vertragsstrafe nach Hamburger Brauch muss der Gläubiger alle Umstände des<br />

Einzelfalls, insbesondere die Zahl, die Art, die Schwere und die Folgen der Zuwiderhandlungen sowie den<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 307


Fach 2, Seite 650<br />

Vertragsstrafen<br />

Allgemeines Zivilrecht<br />

Verschuldensgrad berücksichtigen. Im Gegensatz zu einem festen Vertragsstrafeversprechen darf das<br />

Gericht seine eigene Ermessensentscheidung nicht an die Stelle derer des Gläubigers setzen. Es ist also<br />

an die Bestimmung des Betrags durch den Gläubiger gebunden, sofern diese nicht unbillig ist.<br />

Hinweis:<br />

Kommt es zum Verstoß, so ist Bemessung nach Umständen des Einzelfalls, wie z.B. Art, Umfang, Schwere<br />

und Folgen der Zuwiderhandlung und Verschuldensgrad, erforderlich. Um dem gerecht werden zu können,<br />

ist es im Regelfall ratsam, den Schuldner vor der Bemessung der Vertragsstrafe dazu aufzufordern, Auskunft<br />

über Art und Umfang der Rechtsverletzung zu geben und die Umstände anzugeben, die aus seiner Sicht für<br />

eine niedrige Vertragsstrafe sprechen. Da die Zuwiderhandlung eine vertragliche Pflichtverletzung darstellt,<br />

hat der Gläubiger gem. §§ 242, 259 BGB einen sog. unselbstständigen Auskunftsanspruch über alle ihm<br />

unbekannten Umstände, die ihm eine billige Festsetzung der Vertragsstrafe ermöglichen.<br />

Die Festsetzung der angemessenen Vertragsstrafe erweist sich immer wieder als Stolperstein für die<br />

Gläubiger. Häufig liegt dies daran, dass der Gläubiger die Bestimmung der Vertragsstrafe überhastet,<br />

nämlich vor der Kenntnis sämtlicher Umstände des Einzelfalls, die er seine Ermessensentscheidung<br />

einbezieht trifft. Darüber hinaus stellt sich die Ermessensentscheidung auch deshalb als problematisch,<br />

weil es nur schwer einzuschätzen ist, von welchem Orientierungsrahmen auszugehen ist und welches<br />

Gewicht hierbei welchem Faktor zukommt. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit sollte die<br />

Parteien dazu veranlassen, zumindest bei individuell ausgehandelten Vertragsstrafeklauseln über die<br />

Vereinbarung von Kriterien nachzudenken, die die spätere Vertragsstrafebestimmung leiten können.<br />

V. Prozessuale Durchsetzung des Vertragsstrafeanspruchs<br />

1. Zuständiges Gericht<br />

Mit einem Hinweisbeschluss vom 19.10.2016 (WRP 2017, 179) hat der BGH die seit langem schwelende<br />

Streitfrage geklärt, ob sich die sachliche Sonderzuständigkeit der Landgerichte für Streitigkeiten im<br />

Wettbewerbs-, Marken-, Design- und Patentrecht auch auf Vertragsstrafeansprüche erstreckt, zugunsten<br />

der Zuständigkeit der Landgerichte geklärt. Dies spricht dafür, dass insoweit auch die Sondervorschriften für<br />

die örtliche Zuständigkeit Anwendung finden; der fliegende Gerichtsstand des § 14 Abs. 2 UWG sollte also<br />

auch für den Anspruch auf Vertragsstrafe bestehen (LG Frankfurt/M., Urt. v. 10.2.2016 – 2-06 O 344/15,<br />

WRP 2017, 250). Ferner ist aus gleichen Gründen in Wettbewerbs-, Patent-, Design- und Markensachen von<br />

der Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen auszugehen (OLG Schleswig GRUR-RR 2015, 358, 359).<br />

2. Prozessuale Vorgehensweise<br />

Im Falle der Geltendmachung einer Vertragsstrafe nach Hamburger Brauch kann sich der Gläubiger<br />

nicht darauf beschränken, auf Bestimmung der Vertragsstrafe zu klagen. Vielmehr ist die Vertragsstrafe<br />

im Wege der Zahlungsklage geltend zu machen.<br />

Praxishinweis:<br />

Um das Risiko einer Teilabweisung zu vermeiden, ist es sinnvoll, den Schuldner zur Auskunftserteilung<br />

aufzufordern und – sofern keine oder keine vollständige Auskunft erfolgt – zunächst eine reine Auskunftsklage<br />

zu erheben. Erfahrungsgemäß ist es im Rahmen des so initiierten Verfahrens möglich, einen<br />

Anhaltspunkt für eine aus Sicht des Gerichts realistische Vertragsstrafe zu bekommen und auf diese Weise<br />

den Streit gütlich beizulegen.<br />

VI. Fazit<br />

Vertragsstrafeverfahren sind für den Gläubiger kein leichtes Spiel, sondern verlangen eine realistische<br />

Einschätzung und eine umsichtige Vorgehensweise. Auch wenn Gläubigern regelmäßig zur Vereinbarung<br />

einer „festen Vertragsstrafe“ geraten wird, sprechen gute Gründe dafür, einer Vertragsstrafevereinbarung<br />

nach neuem Hamburger Brauch den Vorzug zu geben.<br />

308 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1221<br />

Aufhebungsvertrag<br />

Individualarbeitsrecht<br />

Der Aufhebungsvertrag<br />

Von Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht Dr. KIRSTIN MAAß, Köln<br />

Inhalt<br />

I. Vorbemerkung<br />

II. Begriff<br />

III. Wesentliche Vertragsklauseln<br />

1. Abfindung<br />

2. Ausgleichs- bzw. Erledigungsklausel<br />

3. Betriebliche Altersversorgung<br />

4. Dienstwagen<br />

5. Freistellung bzw. Urlaub<br />

6. Herausgabe- und Rückgabeverpflichtung<br />

7. Sprinterklausel/Vorzeitiges Ausscheiden<br />

8. Verschwiegenheitsverpflichtung<br />

9. Zeugnis<br />

IV. Anfechtung<br />

V. Sozialversicherungsrechtliche Auswirkungen<br />

I. Vorbemerkung<br />

Die Kunst des Rechtsanwalts bei der Gestaltung eines Aufhebungsvertrags besteht darin, die Interessen<br />

trennungswilliger Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit den unterschiedlichen juristischen Parametern des<br />

Arbeits-, Arbeitsförderungs-, Sozialversicherungs- und Steuerrechts in Einklang zu bringen. Außerdem<br />

muss er die von der Rechtsprechung beständig entwickelten und nach wie vor im Fluss befindlichen<br />

Formulierungsnuancen der Vereinbarung stets im Blick haben, die zum Teil höchst unterschiedliche<br />

ökonomische Auswirkungen für alle Beteiligten besitzen können.<br />

Hinweis:<br />

Ein Muster eines Aufhebungsvertrags enthält Fach 26 – <strong>ZAP</strong> Anwaltsformulare, vgl. MAAß <strong>ZAP</strong> F. 26, S. 173.<br />

II. Begriff<br />

Durch einen Aufhebungsvertrag kann das Arbeitsverhältnis jederzeit ohne Beachtung von Kündigungsschutzbestimmungen<br />

– sowohl des allgemeinen als auch des besonderen Kündigungsschutzes – und<br />

Kündigungsfristen beendet werden. Das Arbeitsverhältnis wird einvernehmlich von den Parteien<br />

beendet, ohne dass zuvor von dem Arbeitgeber eine Kündigung ausgesprochen wurde. Durch den<br />

Aufhebungsvertrag wird das Arbeitsverhältnis zu dem vereinbarten Auflösungszeitpunkt beendet.<br />

Rechtlicher Beendigungstatbestand ist folglich die Vereinbarung von Arbeitnehmer und Arbeitgeber.<br />

Nach § 623 BGB (der von einem „Auflösungsvertrag“ spricht) ist Wirksamkeitsvoraussetzung für einen<br />

Aufhebungsvertrag die Einhaltung der Schriftform des § 126 BGB unter Ausschluss der elektronischen<br />

Form. Mündliche Absprachen, Faxe oder E-Mails reichen nicht aus.<br />

Zwar können die Parteien den Beendigungszeitpunkt frei vereinbaren. Mit Rückwirkung ist ein<br />

Aufhebungsvertrag jedoch nur zulässig, wenn sich die Rückwirkung lediglich auf einen Zeitraum bezieht,<br />

in dem das Arbeitsverhältnis noch nicht in oder bereits wieder außer Vollzug gesetzt war (BAG, Urt. v.<br />

17.12.2009 – 6 AZR 242/09, NZA 2010, 273).<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 309


Fach 17, Seite 1222<br />

Aufhebungsvertrag<br />

Arbeitsrecht<br />

Hinweis:<br />

Der Aufhebungsvertrag ist vom Abwicklungsvertrag abzugrenzen. Im Gegensatz zu einem Aufhebungsvertrag<br />

regeln Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit dem Abwicklungsvertrag nicht einvernehmlich die<br />

Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Sein Zweck ist es vielmehr, die zumeist durch eine Kündigung des<br />

Arbeitgebers bereits herbeigeführte Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Ausgestaltung der<br />

Beendigungsmodalitäten einvernehmlich zu vereinbaren.<br />

III.<br />

Wesentliche Vertragsklauseln<br />

1. Abfindung<br />

Eine Abfindung entschädigt den Arbeitnehmer für den Verlust des Arbeitsplatzes und des sozialen<br />

Besitzstandes sowie für dadurch entgangene oder zukünftig entgehende Einnahmen (vgl. § 24 Nr. 1<br />

EStG). In neueren Entscheidungen des BAG (Urt. v. 13.7.2005 – 5 AZR 578/04, NZA 2005, 1349) hat die –<br />

jedenfalls in Sozialplänen vorgesehene – Abfindung auch eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und<br />

Überbrückungsfunktion (BAG, Urt. v. 11.11.2008 – 1 AZR 475/07, NZA 2009, 210 ff.).<br />

Bei der Höhe der durch eine freie Aufhebungsvereinbarung geregelten Abfindung hat sich die Faustformel<br />

„ein halbes Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr“ eingebürgert (vgl. auch § 1a Abs. 2 KSchG). Sie<br />

unterliegt keinen arbeitsrechtlichen Beschränkungen. Gleichwohl gelten in vielen Fällen, insbesondere bei<br />

leitenden Angestellten, andere Regeln. Bei leitenden Angestellten, vor allem in größeren Unternehmen,<br />

hat sich als Abfindungsregel „ein Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr“ etabliert. Letztlich wird die<br />

konkrete Höhe der Abfindung durch verschiedene Parameter im Rahmen der Verhandlungen zwischen<br />

Arbeitnehmer und Arbeitgeber bestimmt. Hierbei handelt es sich insbesondere um folgende Gesichtspunkte:<br />

• die Risiken eines etwaigen Kündigungsschutzprozesses,<br />

• ein zu beachtender Sonderkündigungsschutz des Arbeitnehmers,<br />

• die vertraglich vereinbarte Laufzeit des Arbeitsverhältnisses bzw. vertraglich vereinbarte (längere)<br />

Kündigungsfristen,<br />

• die Stellung des Arbeitnehmers im Unternehmen,<br />

• der Verlust betrieblicher Sozialleistungen,<br />

• die persönliche Lebenssituation des Arbeitnehmers (Betriebszugehörigkeit, Alter, Unterhaltspflichten,<br />

Rentennähe, Chancen auf dem Arbeitsmarkt, etc.),<br />

• die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers.<br />

Hinweis:<br />

Anders als vielfach vermutet, existiert im deutschen Arbeitsrecht, mit Ausnahme von Abfindungsansprüchen<br />

nach § 1a KSchG oder nach einem Sozialplan, keine Anspruchsgrundlage für die Zahlung einer Abfindung.<br />

Zu berücksichtigen ist weiter, dass neben der Höhe auch die Fälligkeit, die Vererbbarkeit sowie die<br />

steuerliche Behandlung der Abfindung wegen ihrer wirtschaftlichen Bedeutung zentrale Punkte eines<br />

jeden Aufhebungsvertrags bilden.<br />

Die Fälligkeit der Abfindung ist gesetzlich nicht geregelt, gleichwohl aber von durchaus praktischer<br />

Bedeutung, beispielsweise im Hinblick auf das Entstehen von Schadensersatzansprüchen bei Zahlungsverzug<br />

oder hinsichtlich der Steuerpflicht des Arbeitnehmers. Soweit in dem Aufhebungsvertrag selbst<br />

keine Fälligkeitsvereinbarung getroffen wird, wird die Abfindung regelmäßig mit der rechtlichen Beendigung<br />

des Arbeitsverhältnisses fällig, d.h. nicht schon mit Abschluss des Aufhebungsvertrags oder der<br />

tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Da die Abfindung i.d.R. als Gesamtbetrag ausgekehrt<br />

wird, sollte im Falle einer beabsichtigten Ratenzahlung eine solche abweichende Ratenzahlungsvereinbarung<br />

zwingend in dem Aufhebungsvertrag verankert werden, ggf. mit einer Verfallsklausel und<br />

Zinsregelung.<br />

310 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1223<br />

Aufhebungsvertrag<br />

Geregelt werden sollte im Rahmen eines Aufhebungsvertrags auch die Vererblichkeit der Abfindung.<br />

Vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Aufhebungsvereinbarung die Beendigung des<br />

Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes, stirbt der<br />

Arbeitnehmer jedoch vor dem vereinbarten Beendigungszeitpunkt, so geht der Abfindungsanspruch<br />

nicht auf die Erben über, es sei denn, die Parteien haben eine andere Regelung vereinbart (BAG, Urt. v.<br />

26.8.1997 – 9 AZR 227/96, AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 8).<br />

Der Zusatz, dass die Abfindung ohne Abzug von Sozialversicherungsabgaben gezahlt wird, ist<br />

gerechtfertigt, wenn kein für die Vergangenheit geschuldetes, verstecktes Arbeitsentgelt in der Abfindung<br />

enthalten ist. Eine verdeckte Arbeitsvergütung liegt bei einer Zahlung, die an Stelle der vertraglich<br />

zustehenden Ansprüche auf Arbeitslohn geleistet wird, vor. In diesem Fall stellt sich dann – ggf. auch erst<br />

nachfolgend bei einer Prüfung durch die Steuer- bzw. Sozialversicherungsbehörden – die Frage, wer die<br />

Sozialversicherungsbeiträge zu tragen hat. Findet sich kein Anhaltspunkt in der Aufhebungsvereinbarung,<br />

verbleibt es bei der allgemeinen Rechtslage der Einstandspflicht für die Zahlung der Arbeitnehmer- und<br />

Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung. Ansonsten sind „echte“ Abfindungen sozialversicherungsfrei.<br />

Hinweisen zur Sozialversicherungsfreiheit kommt dann nur deklaratorische Bedeutung zu.<br />

In steuerrechtlicher Hinsicht wird die Abfindung nach dem Zuflussprinzip in dem Jahr der Auszahlung<br />

besteuert. Für die Höhe der Steuer kommt es darauf an, ob die Abfindung als Ausgleich für Einnahmeverluste<br />

gezahlt wird. Abfindungen werden steuerlich nur noch nach dem ermäßigten Steuersatz, der sog.<br />

Fünftelungsregelung nach § 24 EStG i.V.m. § 34 EStG, begünstigt. Der frühere Steuerfreibetrag nach § 3<br />

Nr. 9 EStG wurde ersatzlos gestrichen.<br />

2. Ausgleichs- bzw. Erledigungsklausel<br />

Eine Ausgleichsklausel sollte mit in den Aufhebungsvertrag aufgenommen werden, um Folgestreitigkeiten<br />

zu vermeiden. Als Ausgleichsklausel (auch Erledigungsklausel genannt) bezeichnet man daher<br />

eine Regelung, durch die das Arbeitsverhältnis abschließend bereinigt und offene Ansprüche erledigt<br />

werden sollen. Da die Parteien bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Abschluss eines<br />

Aufhebungsvertrags regelmäßig das Ziel verfolgen, ihre wechselseitigen Rechtsbeziehungen umfassend<br />

und abschließend zu regeln (sog. Befriedungsfunktion, vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 25.11.2013 –<br />

5 Sa 330/13), legt das BAG derartige Regelungen gem. §§ 133, 157 BGB grundsätzlich weit aus. Sie können<br />

sich auf Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, auf sämtliche Ansprüche oder auf alle finanziellen<br />

Ansprüche zwischen den Parteien beziehen.<br />

Hinweis:<br />

Vor der Vereinbarung einer Ausgleichs- bzw. Erledigungsklausel ist stets zu prüfen, welche Ansprüche<br />

möglicherweise noch bestehen. Solche, die nicht abgegolten werden sollen, sind in der Vereinbarung konkret<br />

zu regeln, andernfalls können sie nach Abschluss des Aufhebungsvertrags nicht mehr geltend gemacht<br />

werden. Wollen die Parteien bestimmte Ansprüche von der Erledigung ausnehmen, ist darauf zu achten,<br />

dass diese nicht einseitig den Arbeitgeber begünstigen. Sonst benachteiligt die Ausgleichsklausel den Mitarbeiter<br />

unangemessen und ist damit unwirksam (BAG, Urt. v. 21.6.2011 – 9 AZR 203/10, NZA 2011, 1338).<br />

Ansprüche aus vorsätzlichen Schädigungen verfallen nicht aufgrund der Ausgleichsklausel. Vereinbaren<br />

Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einer einvernehmlichen Beendigung ihres<br />

Arbeitsverhältnisses, dass sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung<br />

vollständig ausgeglichen und endgültig erledigt sind und werden danach bis dahin nicht bekannte<br />

vorsätzlich begangene Vermögensdelikte des Arbeitnehmers aufgedeckt (z.B. Untreue, Betrug), stellt es<br />

einen Rechtsmissbrauch und eine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn der Arbeitnehmer sich bei<br />

entsprechendem Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers auf die mit ihm vereinbarte Ausgleichsklausel<br />

beruft.<br />

Zu beachten ist weiter, dass ein Verzicht auf bestimmte Ansprüche nicht uneingeschränkt erfolgen<br />

kann. Dies gilt insbesondere für vertraglich vereinbarte Ansprüche aufgrund von Tarifverträgen<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 311


Fach 17, Seite 1224<br />

Aufhebungsvertrag<br />

Arbeitsrecht<br />

oder Betriebsvereinbarungen. Hierbei handelt es sich um sog. unverzichtbare Ansprüche (vgl. § 4<br />

Abs. 4 TVG, § 77 Abs. 4 BetrVG).<br />

Hinweis:<br />

Von einer Ausgleichsklausel nicht erfasst werden ferner der gesetzliche Urlaubsanspruch, der Anspruch<br />

auf ein Zeugnis, auf die Arbeitspapiere und auf Zahlung einer betrieblichen Altersversorgung.<br />

3. Betriebliche Altersversorgung<br />

Angesichts ihrer hohen wirtschaftlichen Bedeutung sollte der Vereinbarung des Anspruchs bzw. der<br />

Anwartschaft des Arbeitnehmers auf seine betriebliche Altersversorgung im Aufhebungsvertrag<br />

ebenfalls mit großer Sorgfalt begegnet werden. Dabei ist zu unterscheiden:<br />

Besteht zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch keine unverfallbare Anwartschaft<br />

des Arbeitnehmers, so besteht an sich kein Regelungsbedarf. Gleichwohl können die Parteien<br />

hierzu im Aufhebungsvertrag Vereinbarungen treffen.<br />

Hinweis:<br />

Anwartschaften auf eine betriebliche Altersversorgung bleiben nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

erhalten, sofern sie vertraglich oder gesetzlich unverfallbar sind. Eine gesetzlich unverfallbare<br />

Anwartschaft entsteht gem. § 1b Abs. 1 BetrAVG, wenn die Versorgungszusage nach Vollendung des<br />

25. Lebensjahres (ab dem 1.1.2018: des 21. Lebensjahres) und vor Eintritt des Versorgungsfalls mindestens<br />

fünf Jahre (ab dem 1.1.2018: mindestens drei Jahre) bestanden hat. Das bedeutet, dass der Anspruch beim<br />

Ausscheiden des Arbeitnehmers vor Erreichen der Altersgrenze nicht ersatzlos wegfällt, sondern mit<br />

einem Teilwert, der mit der Beschäftigungsdauer ansteigt, aufrechterhalten bleibt.<br />

Besteht zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hingegen eine unverfallbare Anwartschaft<br />

des Arbeitnehmers auf eine betriebliche Altersversorgung, können die Parteien hierüber nicht<br />

mehr frei verfügen. Unverfallbare Anwartschaften unterliegen generell einem Abfindungsverbot. Sie<br />

können nur in den engen Grenzen des § 3 BetrAVG abgefunden werden. Eine Übertragung von<br />

unverfallbaren Anwartschaften und laufenden Leistungen ist nur unter den Voraussetzungen des § 4<br />

BetrAVG möglich.<br />

Schließlich sollte der Aufhebungsvertrag entsprechend § 4a BetrAVG und dem berechtigten Interesse<br />

des Arbeitnehmers auch die Verpflichtung des Arbeitgebers regeln, dem Arbeitnehmer zeitnah zu<br />

seinem Ausscheiden, eine schriftliche Auskunft über die genaue Höhe der unverfallbaren Anwartschaften<br />

zu erteilen. Auf diese Weise wird einem späteren Streit bzw. einer Fehlvorstellung der Parteien<br />

über diesen Punkt bzw. die Höhe der dem Arbeitnehmer zustehenden Betriebsrente entgegengewirkt<br />

(vgl. LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 13.2.2015 – 12 Sa 68/14).<br />

Literaturhinweis:<br />

Zur Unverfallbarkeit von Anwartschaften s. LANGOHR-PLATO <strong>ZAP</strong>, F. 17, S. 1153 ff. und 1187 ff.<br />

4. Dienstwagen<br />

Auch wenn Fragen in Bezug auf die Zurverfügungstellung und Nutzung eines Dienstwagens üblicherweise<br />

bereits gesondert im Arbeitsvertrag oder einer eigenständigen Dienstwagenordnung geregelt werden,<br />

sollte im Aufhebungsvertrag aus Gründen der Klarstellung rechtssicher vereinbart werden, ob überhaupt<br />

und ggf. unter welchen Voraussetzungen der Dienstwagen von dem Arbeitnehmer weiter genutzt<br />

werden darf. Dabei sind der Umfang der Nutzung, die Übernahme der mit ihr verbundenen Kosten, die<br />

Herausgabepflicht des Arbeitnehmers und etwaige Kauf- sowie Übereignungstatbestände festzulegen.<br />

Ist das Dienstfahrzeug dem Arbeitnehmer ausschließlich zu dienstlichen Zwecken überlassen, darf der<br />

Arbeitgeber jederzeit die Herausgabe des Dienstwagens verlangen. Der Dienstwagen ist insoweit<br />

312 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1225<br />

Aufhebungsvertrag<br />

lediglich Arbeitsmittel. Ein Zurückbehaltungsrecht des Arbeitnehmers besteht nicht und kann von ihm<br />

auch nicht wegen rückständiger Vergütungsforderungen geltend gemacht werden.<br />

Ist hingegen die Überlassung eines Dienstwagens „auch zur privaten Nutzung“ erfolgt, stellt sie einen<br />

geldwerten Vorteil und Sachbezug dar. Die Gebrauchsüberlassung ist eine zusätzliche Gegenleistung<br />

für die geschuldete Arbeitsleistung. Bei der Gestaltung des Aufhebungsvertrags sind vor allem bei einer<br />

erst in weiterer Zukunft liegenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses Störfälle im Zusammenhang mit<br />

einer Freistellung oder einer längeren, den Entgeltfortzahlungszeitraum übersteigenden, Krankheit zu<br />

bedenken und zu regeln.<br />

Ist im Arbeitsvertrag bzw. der Dienstwagenordnung der Rückgabezeitpunkt nicht bzw. nicht<br />

wirksam geregelt, hat der Arbeitnehmer grundsätzlich einen Anspruch darauf, den Dienstwagen bis<br />

zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu nutzen, selbst wenn er freigestellt ist. Etwas<br />

anderes gilt im Falle einer entsprechenden Vereinbarung eines sog. Widerrufsvorbehalts, der den<br />

Rückgabeanspruch des Arbeitgebers regelt. Unter bestimmten Voraussetzungen kann der Widerruf<br />

der privaten Nutzung eines Dienstwagens auch ohne Nutzungsentschädigung zulässig vereinbart<br />

werden (BAG, Urt. v. 21.3.2012 – 5 AZR 651/10, NZA 2012, 616). Für die Wirksamkeit einer solchen<br />

Regelung bedarf es in jedem Fall eines sachlichen Grundes, der bereits im Vertrag genannt werden<br />

muss (z.B. eine wirksame Freistellung), und der geldwerte Vorteil des Dienstwagens darf 25 % des<br />

Gesamtverdienstes nicht überschreiten (BAG, Urt. v. 19.12.2006 – 9 AZR 294/06, NZA 2007, 809).<br />

Entzieht der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den Dienstwagen unberechtigt, ist er zum Schadensersatz<br />

in Gestalt einer Nutzungsentschädigung nach den §§ 249 S. 1, 251 BGB verpflichtet (BAG, Urt. v.<br />

19.12.2006 – 9 AZR 294/06, NZA 2007, 809). Anerkannt ist die Berechnung auf der Grundlage der<br />

steuerlichen Bewertung der privaten Nutzungsmöglichkeit (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG) mit monatlich 1 %<br />

des Listenpreises des Dienstwagens im Zeitpunkt der Erstzulassung.<br />

Der Arbeitnehmer kann sich selbstverständlich auch verpflichten, den Dienstwagen sofort oder zu<br />

einem späteren Zeitpunkt zurückzugeben. Als Gegenleistung für eine vorzeitige Rückgabe kann eine<br />

pauschale Entschädigung vereinbart werden. Gelegentlich möchte der Arbeitnehmer den Dienstwagen<br />

vom Arbeitgeber kaufen, der Kaufpreis kann dann mit dem Nettobetrag der Abfindung verrechnet<br />

werden. Ist der Kaufpreis allerdings niedriger als der Händlerverkaufswert (Marktwert), so entsteht in<br />

Höhe der Differenz ein steuerpflichtiger geldwerter Vorteil des Arbeitnehmers. Dann muss geregelt<br />

werden, wer die dadurch anfallenden Steuern trägt.<br />

Ist der Dienstwagen zurückzugeben, sollten im Aufhebungsvertrag schließlich der Übergabetermin<br />

örtlich und zeitlich genau festgelegt werden. Unterbleibt eine diesbezügliche Regelung, ist Erfüllungsort<br />

für die Rückgabeverpflichtung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich die Betriebsstätte<br />

des Arbeitgebers. Zudem sollte die Rückgabe sämtlichen zusammen mit dem Dienstwagen<br />

herauszugebenden Zubehörs, z.B. Schlüssel, Tankkarte, Navigationsgerät, Fahrzeugpapiere, so vollständig<br />

und genau wie möglich aufgeführt werden.<br />

5. Freistellung bzw. Urlaub<br />

Die Arbeitsvertragsparteien können sich in einem Aufhebungsvertrag auf eine Freistellung des<br />

Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht verständigen. Hierbei sollte eindeutig geregelt werden, ob die<br />

Freistellung widerruflich oder unwiderruflich erfolgt.<br />

Hinweis:<br />

Während der Arbeitgeber bei der widerruflichen Freistellung jederzeit vom Arbeitnehmer die Wiederaufnahme<br />

der Arbeit verlangen kann, kann der Arbeitgeber bei der unwiderruflichen Freistellung den<br />

Arbeitnehmer nicht mehr gegen seinen Willen während der Freistellungsphase zur Arbeit zurückrufen.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 313


Fach 17, Seite 1226<br />

Aufhebungsvertrag<br />

Arbeitsrecht<br />

Ferner sollte in der Vereinbarung eindeutig die finanzielle Abwicklung während der Freistellung<br />

aufgenommen werden. Hierbei ist zunächst zu regeln, dass die Freistellung unter Fortzahlung der<br />

Vergütung erfolgt. In diesem Zusammenhang sollte auch festgehalten werden, welche Vergütungsbestandteile<br />

die Parteien hierunter fassen – die Fixvergütung, Sachbezüge, die variable Vergütung etc.<br />

Der Formulierung variabler Vergütungsbestandteile, die von der Leistung des Arbeitnehmers beeinflusst<br />

werden, ist besondere Aufmerksamkeit zu schenken, da die Freistellung insoweit einen Störtatbestand<br />

darstellt. Aufgrund der Freistellung von der Arbeit können von der Leistung abhängige Ziele naturgemäß<br />

nicht mehr erreicht werden. Es sollte deshalb klar geregelt werden, welcher Zielerreichungsgrad besteht,<br />

welche variablen Ansprüche des Arbeitnehmers sich im Beendigungszeitpunkt ergeben und wann diese<br />

Ansprüche zur Auszahlung fällig sind. Um nachlaufende Fragen in Hinblick auf Sonderzahlungen, wie<br />

insbesondere Weihnachtsgeld oder andere Gratifikation von vornherein zu vermeiden, kann sich ebenfalls<br />

anbieten, einen entsprechenden oder teilweisen Zahlungsanspruch, vor allem im Falle bestehender<br />

Rückzahlungspflichten, konkret der Höhe nach im Aufhebungsvertrag zu regeln oder auszuschließen.<br />

Weiter ist zu regeln, ob der Arbeitnehmer in der Freistellungszeit erzielte anderweitige Einkünfte<br />

(„Zwischenverdienst“) gem. § 615 S. 2 BGB angerechnet erhält oder nicht.<br />

Im Interesse des Arbeitgebers wird es regelmäßig liegen, etwaige Rest-Urlaubsansprüche mit der<br />

Freistellung zu verrechnen, um eine Urlaubsabgeltung zu vermeiden. Zu beachten ist allerdings, dass der<br />

Anspruch auf den gesetzlichen Urlaub von vornherein nicht Gegenstand einer in einem Aufhebungsvertrag<br />

vorgesehenen Abgeltung sein kann, da der Arbeitnehmer auf diesen nicht vertraglich verzichten<br />

kann (vgl. § 13 BUrlG). Jedoch kann in der Aufhebungsvereinbarung ausdrücklich vorgesehen werden, dass<br />

die Freistellung unter Anrechnung der restlichen Urlaubstage erfolgt. Dies muss allerdings ausdrücklich<br />

geschehen, da nach Meinung des BAG (Urt. v. 10.2.2015 – 9 AZR 455/13, NJW 2015, 2520) nicht davon<br />

ausgegangen werden kann, dass eine Freistellung alleine den Zweck hat, den Anspruch auf Resturlaub zu<br />

erfüllen. Die Erfüllung von Urlaubsansprüchen und damit die Anrechnung von Resturlaubsansprüchen<br />

bedürfen grundsätzlich der unwiderruflichen Freistellung des Arbeitnehmers. Im Fall der widerruflichen<br />

Freistellung empfiehlt es sich daher, die noch ausstehenden Urlaubstage im Aufhebungsvertrag konkret<br />

festzulegen und ihre Anrechnung mit der widerruflichen Freistellung zu vereinbaren.<br />

6. Herausgabe- und Rückgabeverpflichtung<br />

Der Arbeitnehmer ist gem. §§ 861, 985 BGB, dem Arbeitsvertrag und den §§ 666, 667, 665 BGB zur<br />

Herausgabe sämtlicher Firmengegenstände und Firmenunterlagen verpflichtet. Gleichwohl sollten im<br />

Aufhebungsvertrag die Rückgabepflichten des Arbeitnehmers – sofern der Arbeitnehmer die Sachen<br />

noch im Besitz hat – klarstellend und mit Blick auf Ort (z.B. Firmensitz des Arbeitsgebers) und Zeit (z.B.<br />

mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses) ausdrücklich geregelt werden.<br />

Hat der Arbeitnehmer die Firmengegenstände und Firmenunterlagen bereits herausgegeben, bietet sich<br />

die Aufnahme einer Erklärung an, in dem der Arbeitnehmer versichert, dass er diese bereits herausgegeben<br />

hat. Sowohl die Verpflichtung als auch die Erklärung sollten sich dabei auf sämtliche dem<br />

Arbeitgeber gehörende Unterlagen erstrecken und/oder einzelne, konkret bezeichnete Firmenunterlagen,<br />

einschließlich aller die geschäftliche Tätigkeit betreffenden Aufzeichnungen des Arbeitnehmers einbeziehen.<br />

Schließlich bietet es sich aus Arbeitgebersicht an, eine Löschungsverpflichtung des Arbeitnehmers<br />

aufzunehmen, d.h. den Arbeitnehmer ausdrücklich zu verpflichten, alles zu löschen bzw. zu vernichten,<br />

was er auf privaten oder sonstigen firmenfremden Datenträgern gespeichert hat. Zudem sollte der<br />

Arbeitnehmer etwaige auf einem in seinem Besitz oder Eigentum befindlichen Computer aufgespielte<br />

Programme, für welche die Gesellschaft die Lizenz hat, löschen.<br />

7. Sprinterklausel/Vorzeitiges Ausscheiden<br />

Die Vereinbarung einer sog. Sprinter- oder Turboklausel ist äußerst praxisrelevant. Sie räumt dem<br />

Arbeitnehmer das Recht ein, durch eine einseitige schriftliche Erklärung unter Einhaltung einer im<br />

Einzelfall auszuhandelnden, den betrieblichen Bedürfnissen entsprechenden Ankündigungsfrist gegen-<br />

314 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1227<br />

Aufhebungsvertrag<br />

über dem Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis vor dem in dem Aufhebungsvertrag vorgesehenen<br />

rechtlichen Beendigungstermin aufzulösen. Dadurch entfällt das für diesen Zeitraum ansonsten von<br />

dem Arbeitgeber an den Arbeitnehmer zu zahlende Entgelt. Infolgedessen sieht die vorzeitige<br />

Ausscheidensregelung i.d.R. eine Kapitalisierung (z.B. 50 % oder 100 %) der durch das vorzeitige<br />

Ausscheiden des Arbeitnehmers ersparten Vergütung und dementsprechend eine Erhöhung der vom<br />

Arbeitgeber zu zahlenden Abfindung vor. Die Mindestkündigungsfristen des § 622 BGB sind – entsprechend<br />

dem Rechtsgedanken des § 12 KSchG – bei einer solchen Regelung des vorzeitigen Ausscheidens<br />

nicht anwendbar (BAG, Urt. v. 17.12.2015 – 6 AZR 709/14, NZA 2016, 361).<br />

Für beide Parteien ist die Vereinbarung einer solchen Sprinterklausel grundsätzlich von Vorteil: Der<br />

Arbeitgeber spart im Fall des vorzeitigen Ausscheidens des Arbeitnehmers die Beiträge zur Sozialversicherung,<br />

da die Abfindung anders als die Gehaltszahlung nicht sozialversicherungspflichtig ist. Für<br />

den Arbeitnehmer bietet die Sprinterklausel den Anreiz, zeitnah ein neues Arbeitsverhältnis einzugehen,<br />

um sowohl die ersparte Vergütung als Abfindung als auch das Entgelt bei dem neuen Arbeitgeber zu<br />

erhalten und damit gewissermaßen „doppelt“ zu verdienen. Zudem bietet ihm die Klausel eine gewisse<br />

zeitliche Flexibilität.<br />

Hinweis:<br />

Nach der aktuellen Entscheidung des BAG vom 17.12.2015 (Urt. v. 6 AZR 709/14, NZA 2016, 361) unterfällt die<br />

Erklärung des vorzeitigen Ausscheidens zwingend der Schriftform des § 623 BGB. Die Praxis hat daher<br />

dieses nicht disponible Formerfordernis bei jeder Vereinbarung einer Sprinterklausel und der Ausübung<br />

des Lösungsrechts zu berücksichtigen.<br />

8. Verschwiegenheitsverpflichtung<br />

Auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitnehmer verpflichtet, Stillschweigen über<br />

Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse seines bisherigen Arbeitgebers zu wahren. Die nachwirkende<br />

Pflicht zur Verschwiegenheit erstreckt sich auf sämtliche Tatsachen, die im Zusammenhang mit dem<br />

Geschäftsbetrieb stehen, nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt, nicht offenkundig sind und<br />

nach dem Willen des Arbeitgebers aufgrund eines berechtigten wirtschaftlichen Interesses geheim<br />

gehalten werden sollen (BAG, Urt. v. 15.12.1987 – 3 AZR 474/86, NZA 1988, 502). Dementsprechend<br />

kommt Klauseln, in denen der Arbeitnehmer auf die Nachwirkung seiner Verschwiegenheitspflicht<br />

hingewiesen wird, grundsätzlich nur deklaratorische Bedeutung zu.<br />

Allerdings hängt für viele Arbeitgeber, wegen ihres Know-how-Vorsprungs gegenüber ihren Wettbewerbern,<br />

der Unternehmenserfolg auch davon ab, dass der durch teure Forschungsarbeiten erzielte<br />

Wissensvorsprung gesichert und ihre Betriebsgeheimnisse gewahrt bleiben. Ihr wirtschaftliches<br />

Interesse geht daher vor allem bei hoch qualifizierten und/oder im Entwicklungs-, Verkaufs- bzw.<br />

Einkaufsbereich beschäftigten Arbeitnehmern dahin, deren Kenntnisse über betriebliche Abläufe,<br />

Kunden- und Lieferantenbeziehungen sowie Betriebsgeheimnisse auch nach dem Ausscheiden aus<br />

dem Arbeitsverhältnis geheim zu halten. Aus diesem Grund ist es grundsätzlich geboten, im<br />

Aufhebungsvertrag eine Geheimhaltungsklausel bzw. Verschwiegenheitsverpflichtung zu vereinbaren.<br />

Hinweis:<br />

Zu berücksichtigen ist, dass eine nachvertragliche Verschwiegenheitspflicht für den Arbeitgeber gegen<br />

den ausgeschiedenen Arbeitnehmer regelmäßig keine Ansprüche auf Unterlassung von Wettbewerbshandlungen<br />

begründet. Insoweit müsste der Arbeitgeber über die Aufnahme eines sog. nachvertraglichen<br />

Wettbewerbsverbots nachdenken. Ein solches nachträgliches Wettbewerbsverbot unterliegt allerdings<br />

hohen Zulässigkeitsvoraussetzungen.<br />

9. Zeugnis<br />

Um auch insoweit späteren Streit zu vermeiden, sollte in dem Aufhebungsvertrag der konkrete Inhalt<br />

bzw. die Note oder sogar der Wortlaut eines noch zu erteilenden Arbeitszeugnisses genau festgelegt<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 315


Fach 17, Seite 1228<br />

Aufhebungsvertrag<br />

Arbeitsrecht<br />

werden. Das ausformulierte Zeugnis kann beispielsweise als Anlage zu dem Aufhebungsvertrag<br />

genommen werden.<br />

Qualifizierte Zeugnisse enthalten eine Gesamtbeurteilung des Arbeitnehmers in Bezug auf seine<br />

Leistung und sein Verhalten. Diese Schlussnote muss mit der Beurteilung der einzelnen Leistungen<br />

vereinbar sein. Das Gebot der Zeugnisklarheit verbietet es, dass ein Zeugnis in sich widersprüchliche<br />

Aussagen enthält. In der arbeitsrechtlichen Praxis haben sich Standardformulierungen eingebürgert, die<br />

in der Praxis einer Notenskala bzw. sog. Zufriedenheitsskala (vgl. BAG, Urt. v. 18.11.2014 – 9 AZR 584/13,<br />

NZA 2015, 435) von „sehr gut“ bis „unzureichend“ entsprechen.<br />

Der Arbeitgeber ist gesetzlich nicht verpflichtet, das Arbeitszeugnis mit Formulierungen abzuschließen,<br />

in denen er dem Arbeitnehmer für die gute Zusammenarbeit dankt, sein Ausscheiden bedauert und ihm<br />

für die Zukunft beruflich und persönlich alles Gute und weiterhin viel Erfolg wünscht (sog. Dankes- und<br />

Wunsch-/Bedauern-Formel, vgl. BAG, Urt. v. 11.12.2012 – 9 AZR 227/11, NZA 2013, 324). Wünscht der<br />

Arbeitnehmer folglich eine derartige Formulierung in seinem Arbeitszeugnis, sollte diese konkret in der<br />

Aufhebungsvereinbarung verankert werden.<br />

Angesichts dessen, dass der Aufhebungsvertrag das Arbeitsverhältnis i.d.R. unter Einhaltung der<br />

ordentlichen Kündigungsfrist beendet, ist es üblich, bei einer längeren Kündigungsfrist zu Bewerbungszwecken<br />

die zeitnahe Erteilung eines Zwischenzeugnisses zu vereinbaren, dem nach Beendigung des<br />

Arbeitsverhältnisses ein entsprechendes Endzeugnis folgt.<br />

Zu berücksichtigen ist weiter, dass Regelungen zum Zeugniswortlaut unvollständig bleiben, wenn in<br />

dem Aufhebungsvertrag keine Vereinbarung über die Behandlung von Anfragen über den ausgeschiedenen<br />

Arbeitnehmer getroffen wird. Da der Arbeitgeber Auskünfte an andere Arbeitgeber über den<br />

ausgeschiedenen oder ausscheidenden Arbeitnehmer ohne Zustimmung des Betroffenen erteilen kann,<br />

empfiehlt es sich, in dem Aufhebungsvertrag zu vereinbaren, dass sich der Arbeitgeber verpflichtet, nur<br />

solche Auskünfte zu geben, die inhaltsgleich mit dem Wortlaut des vereinbarten Zeugnisses sind.<br />

IV. Anfechtung<br />

Die Annahme des Angebots auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags kann nach den allgemeinen<br />

Grundsätzen der §§ 119, 123 BGB angefochten werden. Die Beweislast für das Vorliegen des Anfechtungstatbestands<br />

trägt der Anfechtende, d.h. regelmäßig der Arbeitnehmer. Er muss bei einer Anfechtung des<br />

Aufhebungsvertrags wegen arbeitgeberseitiger Täuschung oder Drohung gem. § 123 Abs. 1 BGB darlegen<br />

und beweisen, von dem Arbeitgeber „hinters Licht geführt“ oder einer Drohung ausgesetzt worden zu<br />

sein. „Klassischer Fall“ der Anfechtung eines Aufhebungsvertrags ist die widerrechtliche Drohung des<br />

Arbeitsgebers durch das unbegründete In-Aussicht-Stellen einer Kündigung für den Fall der Nichteinwilligung<br />

in das Aufhebungsvertragsangebot. Wird der Arbeitnehmer von dem Arbeitgeber vor die<br />

Alternative gestellt, entweder einen Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen (bzw. eine Eigenkündigung zu<br />

erklären) oder gekündigt zu werden, ggf. auch mit einer Strafanzeige rechnen zu müssen, liegt ein zur<br />

Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB berechtigendes Fehlverhalten des Arbeitgebers allerdings nur dann vor,<br />

wenn ein verständiger Arbeitgeber in der konkreten Situation eine Kündigung/eine Strafanzeige nicht<br />

ernsthaft in Erwägung gezogen hätte (BAG, Urt. v. 30.1.1986 – 2 AZR 196/85, NZA 1987, 91; v. 27.11.2003 –<br />

2 AZR 135/03, NZA 2004, 597).<br />

Nicht zur Anfechtung des Aufhebungsvertrags berechtigt der sog. Rechtsfolgenirrtum, es sei denn, die<br />

Rechtsfolgen sind zum Inhalt der Erklärung gemacht worden. Irrt sich also der Erklärende über die<br />

rechtlichen Folgen seiner Erklärung, die sich aufgrund der Gesetzeslage oder der Rechtsprechung ergeben,<br />

berechtigt dies regelmäßig nicht zur Anfechtung. Insbesondere ein Irrtum des Arbeitnehmers über die<br />

sozialversicherungsrechtlichen Nachteile des Aufhebungsvertrags oder über seinen kündigungsrechtlichen<br />

Bestandsschutz, berechtigt nicht zu einer Anfechtung nach § 119 Abs. 1 oder 2 BGB (BAG, Urt. v. 6.2.1992 –<br />

2 AZR 408/91; LAG München BB 1992, 1286 bzgl. des entsprechenden Falls einer Eigenkündigung). Kommt<br />

der Aufhebungsvertrag auf Betreiben des Arbeitgebers zustande, fordert die Rechtsprechung von ihm<br />

allerdings als Nebenpflicht gem. § 241 Abs. 2 BGB, einen erkennbar unwissenden Arbeitnehmer über die<br />

Rechtslage angemessen aufzuklären, vor allem über Einbußen bei der betrieblichen Altersversorgung und<br />

316 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1229<br />

Aufhebungsvertrag<br />

die Nachteile einer Sperrzeit beim Bezug von Arbeitslosengeld. Bei schuldhafter Verletzung von<br />

Aufklärungspflichten haftet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auf Schadensersatz nach § 280 Abs. 1<br />

BGB i.V.m. §§ 241 Abs. 2, 311 BGB in Gestalt des finanziellen Ausgleichs entstandener Vermögensnachteile,<br />

aber nicht auf Wiedereinstellung.<br />

V. Sozialversicherungsrechtliche Auswirkungen<br />

In sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht sind für den Arbeitnehmer insbesondere die Folgen für einen<br />

künftigen Arbeitslosengeldanspruch von elementarer Bedeutung. Muss sich der Arbeitnehmer im<br />

Anschluss an den Aufhebungsvertrag arbeitslos melden und Arbeitslosengeld beantragen, sind zuvor<br />

folgende Gesichtspunkte genau zu prüfen:<br />

• die Anwartschaft auf das Arbeitslosengeld,<br />

• die Höhe des Arbeitslosengeldes,<br />

• der Eintritt einer Sperrzeit und<br />

• die Anrechnung einer Abfindung auf das Arbeitslosengeld.<br />

Die Gewährung von Arbeitslosengeld ist zwingend an die Erfüllung einer Mindestzeit des Bestehens von<br />

sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen gekoppelt. Wenn ein Arbeitnehmer Arbeitslosengeld<br />

bezieht, muss er demzufolge eine gewisse Mindestzeit Beiträge zur Arbeitslosenversicherung<br />

abgeführt haben. Nach § 142 SGB III i.V.m. § 143 SGB III muss der Arbeitnehmer zur Erlangung der<br />

Anwartschaft auf Arbeitslosengeld in den letzten zwei Jahren mindestens zwölf Monate in einem<br />

Versicherungspflichtverhältnis (vgl. §§ 24 ff. SGB III) gestanden haben. Hierauf sollte vor allem bei der<br />

Festlegung des Beendigungstermins des Arbeitsverhältnisses in dem Aufhebungsvertrag geachtet werden.<br />

Auch ist in Bezug auf den Beendigungstermin zu beachten, dass sich dieser ebenso auf die Anspruchsdauer<br />

des Arbeitslosengeldbezugs auswirken kann. Denn insoweit sind der Umfang der Beschäftigungszeiten<br />

in den letzten fünf Jahren einerseits und das Lebensalter des Arbeitnehmers andererseits von<br />

Bedeutung.<br />

Die Höhe des Arbeitslosengeldes richtet sich grundsätzlich nach dem wöchentlichen Bruttoarbeitsentgelt,<br />

das der Berechtigte regelmäßig im Durchschnitt des letzten Jahres, d.h. in den letzten 52<br />

Wochen vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, verdient hat (Bemessungsentgelt). Daher ist der<br />

im Aufhebungsvertrag vorgesehene Beendigungszeitpunkt auch in dieser Hinsicht von Belang.<br />

Äußerst praxisrelevant ist bei dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags die Frage nach einer Sperrzeit<br />

durch die Arbeitsagentur. In der Regel verhängt die Arbeitsagentur eine Sperrfrist von zwölf Wochen, in<br />

denen der Arbeitnehmer kein Arbeitslosengeld erhält (vgl. § 159 SGB III). In besonderen Härtefällen kann<br />

die Sperrzeit kürzer ausfallen. Hintergrund für die Sperrzeitregelung ist der Umstand, dass der<br />

Arbeitnehmer durch den Abschluss des Aufhebungsvertrags selbst zum Verlust seines Arbeitsplatzes<br />

beigetragen hat.<br />

Der Eintritt der Sperrzeit hat zur Konsequenz, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitslosengeld<br />

während dieser Zeit ruht (§ 159 Abs. 1 S. 1 SGB III). Grundsätzlich führt ein Ruhen des<br />

Anspruchs auf Arbeitslosengeld zwar zu keiner Verkürzung der Anspruchsdauer, bei einer Sperrzeit nach<br />

§ 159 SGB III ist dies jedoch ausnahmsweise anders. Zu beachten ist hierbei, dass sich bei einer Sperrzeit<br />

wegen Arbeitsaufgabe die Anspruchsdauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld um die Tage der<br />

Sperrzeit mindert; in Fällen einer Sperrzeit von zwölf Wochen mindestens jedoch um ein Viertel der<br />

gesamten Anspruchsdauer (§ 148 Abs. 1 Nr. 4 SGB III).<br />

Hinweis:<br />

Die Kürzung der Anspruchsdauer führt insbesondere für ältere Arbeitnehmer zu einer über zwölf Wochen<br />

hinausgehenden Schmälerung ihrer Ansprüche. Bei einem Anspruch von 24 Monaten kann eine Leistungskürzung<br />

um sechs Monate eintreten.<br />

Hiervon gibt es wiederum eine nicht unerhebliche Ausnahme: Eine Minderung der Anspruchsdauer tritt<br />

bei den Sperrzeiten wegen Arbeitsaufgabe dann nicht ein, wenn zwischen dem die Sperrzeit<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 317


Fach 17, Seite 1230<br />

Aufhebungsvertrag<br />

Arbeitsrecht<br />

begründenden Ereignis und der Entstehung des Anspruchs mehr als ein Jahr verstrichen ist (§ 148<br />

Abs. 2 S. 2 SGB III).<br />

Eine Sperrzeit wird ausnahmsweise nicht verhängt, wenn der Arbeitnehmer vorbringen kann, dass er für<br />

die Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen wichtigen Grund hatte. Als wichtiger Grund für die<br />

Arbeitsaufgabe ist beispielsweise anerkannt, wenn der Arbeitgeber nachhaltig zwingende Vorschriften<br />

des Arbeitsschutzes nicht einhält oder die Arbeit dem Arbeitnehmer körperlich oder geistig nicht mehr<br />

zugemutet werden kann. Im Einzelfall können auch persönliche Gründe, wie z.B. gesundheitliche<br />

Gründe oder ein Familiennachzug, anerkannt werden.<br />

Hinweis:<br />

Sperrzeitunschädlich ist hingegen das bloße Unterlassen der Klageerhebung gegen eine Kündigung, ebenso<br />

wie die Rücknahme einer bereits erhobenen Kündigungsschutzklage. Dies gilt selbst dann, wenn die Kündigung<br />

für Fachkundige offensichtlich rechtswidrig ist.<br />

Entgegen einer landläufigen Meinung werden Abfindungen nicht auf das Arbeitslosengeld angerechnet.<br />

Abfindungen können jedoch zu einem zeitweisen Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs führen, wenn der<br />

Arbeitnehmer ohne Einhaltung der für sein Arbeitsverhältnis grundsätzlich maßgebenden ordentlichen<br />

Kündigungsfrist ausgeschieden ist. In diesem Falle verschiebt sich der Beginn der Arbeitslosengeldzahlung<br />

zeitlich nach hinten, ohne dass jedoch allein hierdurch die Gesamtdauer des Anspruchs berührt wird.<br />

Hinweis:<br />

Als Entlassungsentschädigung gilt beispielweise auch die finanzielle Abgeltung des noch verbleibenden<br />

Resturlaubs.<br />

In Anbetracht der mitunter sehr gravierenden Auswirkungen eines Aufhebungsvertrags in sozialversicherungsrechtlicher<br />

Hinsicht ist es ratsam, dass der Arbeitnehmer mit der für ihn zuständigen<br />

Agentur für Arbeit Rücksprache hinsichtlich der möglichen Folgen auf seinen Arbeitslosengeldanspruch<br />

und damit auch hinsichtlich des Fortbestands seiner Kranken- und Pflegeversicherung hält.<br />

Für den Arbeitgeber empfiehlt es sich – angesichts der weitreichenden wirtschaftlichen und finanziellen<br />

Folgen für den Arbeitnehmer – dringend, den Arbeitnehmer deutlich darauf hinzuweisen, dass sozialversicherungsrechtliche<br />

Nachteile drohen können und der Arbeitnehmer insofern entsprechende<br />

Auskünfte einholen soll. Zwar muss sich der Arbeitnehmer i.d.R. selbst Klarheit darüber verschaffen,<br />

welche Konsequenzen der Abschluss des Aufhebungsvertrags für ihn haben wird (BAG, Urt. v. 3.7.1990 –<br />

3 AZR 382/89, NZA 1990, 971), denn jeder Vertragspartner hat grundsätzlich selbst für die Wahrnehmung<br />

seiner eigenen Interessen zu sorgen (BAG, Urt. v. 11.12.2011 – 3 AZR 339/00, NZA 2002, 1150). Hat der<br />

Arbeitgeber allerdings die Initiative zum Abschluss des Aufhebungsvertrags ergriffen, können sich für<br />

ihn – je nach den Umständen des Einzelfalls – Aufklärungspflichten aus den Grundsätzen von Treu und<br />

Glauben (§ 242 BGB) ergeben. Allerdings dürfen die vertraglichen Schutz- und Fürsorgepflichten des<br />

Arbeitgebers auch in diesem Fall nicht überspannt werden (BAG, Urt. v. 22.1.2009 – 8 AZR 161/08, NZA<br />

2009, 608; v. 11.12.2011 – 3 AZR 339/00, NZA 2002, 1150). Je größer die drohende Gefahr für den<br />

Arbeitnehmer und je größer das erkennbar und berechtigterweise von diesem in den Arbeitgeber gesetzte<br />

Vertrauen ist, umso eher wird man eine Aufklärungspflicht des Arbeitgebers annehmen müssen (BAG, Urt.<br />

v 11.12.2011 – 3 AZR 339/00, NZA 2002, 1150).<br />

Hinweis<br />

Soweit es sich nicht um Auskünfte zu betriebsinternen Regelungen handelt, sollte der Arbeitgeber den<br />

Arbeitnehmer vor dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags an die jeweils zuständige Stelle (Rentenversicherung,<br />

Arbeitsagentur etc.) verweisen, um dort Auskünfte über die sozialversicherungsrechtlichen<br />

Folgen eines solchen Abschlusses einzuholen.<br />

318 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug Fach 22, Seite 875<br />

Psychosoziale Prozessbegleitung<br />

Strafverfahren<br />

Psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren<br />

Von RiLG THOMAS HILLENBRAND, Stuttgart<br />

Inhalt<br />

I. Einführung<br />

II. Zielrichtung<br />

III. Anspruch des Verletzten<br />

IV. Beiordnung<br />

1. Zwingende Beiordnung<br />

2. Ermessensentscheidung<br />

V. Rechte und Pflichten des Prozessbegleiters<br />

1. Grundsätze<br />

2. Anwesenheitsrechte/Trennungsgebot<br />

VI. Kosten<br />

I. Einführung<br />

Die psychosoziale Prozessbegleitung ist eine besondere Form der Betreuung sog. Opferzeugen. Sie war<br />

bis Ende 2016 in der StPO lediglich in § 406h Abs. 1 Nr. 5 StPO a.F. erwähnt. Hiernach war der Verletzte<br />

auf die Möglichkeit einer psychosozialen Prozessbegleitung hinzuweisen. Mit dem Inkrafttreten des<br />

zweiten Teils des 3. Opferrechtsreformgesetzes zum 1.1.2017 hat sich dies grundlegend geändert: Der<br />

neu gefasste § 406g StPO verschafft jedem Verletzten einen Rechtsanspruch auf den Beistand eines<br />

psychosozialen Prozessbegleiters. Zeitgleich sind die Grundsätze der psychosozialen Prozessbegleitung,<br />

die Stellung des Prozessbegleiters und dessen Aufgaben sowie die für seine Tätigkeit zu erfüllenden<br />

Voraussetzungen im Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung (PsychPbG) umfassend geregelt<br />

worden.<br />

II. Zielrichtung<br />

Die vom Bundesjustizminister als „Meilenstein“ gefeierten Vorschriften sind zuvorderst auf die Interessen<br />

des Verletzten ausgerichtet. Ziel ist es insbesondere, seine individuelle Belastung zu reduzieren und eine<br />

Sekundärviktimisierung zu vermeiden, § 2 Abs. 1 S. 2 PsychPbG. Zudem soll ein erheblicher Nutzen für die<br />

Justiz erzielt werden, da die Aussagetüchtigkeit der Zeugen durch ihre Stabilisierung bei psychosozialer<br />

Prozessbegleitung erheblich steige (BT-Drucks 18/4621, S. 30).<br />

Der Beschuldigte/Angeklagte hingegen wird den „Meilenstein“ mit eher ungutem Gefühl betrachten.<br />

Es scheint sich das Kräfteverhältnis im Verfahren zu verschieben, wenn sich der (mutmaßlich!)<br />

Geschädigte – unter den Voraussetzungen des § 406g Abs. 3 StPO sogar kostenfrei – zusätzlicher<br />

Unterstützung bedienen kann, während sich der Angeklagte mit dem von ihm in aller Regel als<br />

Gegenspieler empfundenen Staatsanwalt, dem Nebenklägervertreter und dem psychosozialen Prozessbegleiter<br />

einer zahlenmäßigen Übermacht ausgesetzt sieht.<br />

Zudem wird in der Praxis nicht zu Unrecht die Gefahr der unbewussten Einflussnahme auf das<br />

Aussageverhalten der begleiteten Opferzeugen gesehen (so z.B. der DAV in seiner Stellungnahme 51/2016<br />

zum BWPsychPbGAG). Schlussendlich führen die Regelungen auch zu einer Erhöhung des Kostenrisikos<br />

für den Angeklagten.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 319


Fach 22, Seite 876<br />

Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug<br />

Psychosoziale Prozessbegleitung<br />

III. Anspruch des Verletzten<br />

§ 406g Abs. 1 StPO verschafft jedem Verletzten einen Anspruch auf Beistand durch einen psychosozialen<br />

Prozessbegleiter. Der Anspruch ist nicht auf Fälle besonders schwerwiegender Straftaten oder auf<br />

nebenklagefähige Delikte beschränkt und besteht über § 2 Abs. 2 JGG auch im Verfahren gegen<br />

Jugendliche. Eine Beiordnung durch das Gericht ist im Rahmen des § 406g Abs. 1 StPO allerdings nicht<br />

vorgesehen.<br />

Wer Verletzter ist, hat der Gesetzgeber weder in der StPO noch im PsychPbG bestimmt. Es gibt im<br />

Strafverfahrensrecht keinen einheitlichen Verletztenbegriff, die Definition ist jeweils aus dem Funktionszusammenhang<br />

heraus zu bestimmen (KK-ZABECK, 7.Aufl. 2013, vor § 406d, Rn 3). Im Rahmen der<br />

§§ 406d ff. StPO ist der Begriff weit auszulegen, auch der mittelbar Geschädigte kann Verletzter sein<br />

(OLG Hamburg NStZ-RR 2012, 320). Eine solche weite Auslegung erscheint auch beim neuen § 406g<br />

StPO sachgerecht; schließlich können auch Zeugen, die durch die Tat „nur“ mittelbar beeinträchtigt sind,<br />

besonders schutzbedürftig sein (man denke an zivilrechtlich Anspruchsberechtigte aus den §§ 844, 845<br />

BGB bei einem Tötungsdelikt, vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.12.2008 – 2 BvR 1043/08).<br />

Hinweis:<br />

Für die Zuerkennung des Verletztenstatus i.S.d. § 406g StPO genügt es, wenn die betroffene Person durch<br />

die dem Beschuldigten/Angeklagten zur Last gelegten Straftat geschädigt sein könnte. Ob die im Raum<br />

stehende Straftat tatsächlich begangen wurde, ist nach wie vor ausschließlich in der Hauptverhandlung zu<br />

klären.<br />

IV. Beiordnung<br />

Mit dem neuen § 406g Abs. 3 StPO hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, dem Verletzten in<br />

bestimmten Fällen einen psychosozialen Prozessbegleiter durch das Gericht beizuordnen. In diesen<br />

Fällen ist die Tätigkeit des Begleiters für den Verletzten kostenfrei. Die Beiordnung, die für das gesamte<br />

Verfahren gilt, erfolgt stets nur auf Antrag. Zuständig ist der Vorsitzende; im Vorverfahren entscheidet<br />

das nach § 162 StPO zuständige Gericht (§ 406g Abs. 3 S. 4, 5 StPO). Eine Anhörung des Beschuldigten/<br />

Angeklagten ist nicht vorgeschrieben (a.A. NEUHAUS StV 2017, 55), aber zweckmäßig.<br />

Hinweis:<br />

Eine Beschwerdebefugnis des Angeklagten gegen die Beiordnung besteht nicht (a.A. NEUHAUS StV 2017, 55).<br />

Die Beiordnung des Prozessbegleiters, dem jede Einflussnahme auf den Verfahrensausgang gesetzlich<br />

ausdrücklich verboten ist, beschwert ihn nicht unmittelbar (vgl. auch OLG Hamm NJW 2006, 2057, für<br />

die Beiordnung eines Beistands gem. § 397a StPO).<br />

Voraussetzung für die Beiordnung ist zunächst, dass das Verfahren eine der in § 397a StPO aufgeführten<br />

Taten betrifft und insoweit zumindest ein Anfangsverdacht besteht. Fehlt es bereits hieran, besteht für<br />

die Bestellung eines Begleiters kein Anlass. Zudem muss eine Zeugenvernehmung des Verletzten oder<br />

eine andere Ermittlungshandlung, die die Anwesenheit eines Begleiters erfordert, anberaumt oder<br />

zumindest zu erwarten sein. In einem weiteren Schritt hat das Gericht außerdem zu prüfen, ob der<br />

Prozessbegleiter, der beigeordnet werden soll, über die erforderliche Anerkennung nach den jeweiligen<br />

Landesgesetzen verfügt.<br />

1. Zwingende Beiordnung<br />

Gemäß § 406g Abs. 3 S. 1 StPO ist dem Verletzten unter den in § 397a Abs. 1 Nr. 4, 5 StPO bezeichneten<br />

Voraussetzungen auf Antrag ein psychosozialer Prozessbegleiter beizuordnen. Ein Entscheidungsspielraum<br />

des Gerichts besteht in diesem Fall nicht („ist [ … ] beizuordnen“). Die Vorschrift hat in besonderer Weise<br />

das Wohl kindlicher und jugendlicher Opfer von Sexual- und Gewaltdelikten im Blick und schafft für<br />

minderjährige Opfer einer der Katalogtaten einen Rechtsanspruch auf kostenlose Beiordnung.<br />

Ihr Anwendungsbereich ist aber nicht auf minderjährige Zeugen beschränkt. § 406g Abs. 3 S. 1 StPO<br />

verweist seinem Wortlaut nach vollumfänglich auf § 397a Abs. 1 Nr. 4, 5 StPO, wonach die Bestellung<br />

320 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug Fach 22, Seite 877<br />

Psychosoziale Prozessbegleitung<br />

eines Beistands nicht nur zulässig ist, wenn der Verletzte zur Zeit der Tat das 18. Lebensjahr noch nicht<br />

vollendet hat, sondern alternativ auch dann, wenn er seine Interessen selbst nicht ausreichend<br />

wahrnehmen kann. Zwar war eine Erstreckung des Beiordnungsanspruchs auf Erwachsene vom<br />

Gesetzgeber wohl nicht gewollt, nachdem die Begründung des Gesetzentwurfs ausführt, dass nur<br />

minderjährige Opfer einen Anspruch auf kostenlose Prozessbegleitung hätten (BT-Drucks 18/4621, S. 31);<br />

der – eindeutige – Gesetzeswortlaut gibt indes für eine Beschränkung auf Minderjährige nichts her. Es<br />

wird eben nicht nur teilweise, sondern umfassend auf § 397a Abs. 1 Nr. 4, 5 StPO verwiesen.<br />

Zudem ist eine solche Einschränkung auch sachlich nicht gerechtfertigt. Eine besondere Schutzbedürftigkeit<br />

setzt – gerade bei Opfern schwerer Gewalt- oder Sexualdelikte – keine Minderjährigkeit voraus. Ein<br />

weitreichender Ausschluss volljähriger Verletzter liefe daher dem Zweck der Neuregelungen zuwider.<br />

2. Ermessensentscheidung<br />

Liegt ein Fall des § 397a Abs. 1 Nr. 1–3 StPO vor, so kann dem Verletzten bzw. Hinterbliebenen ebenfalls ein<br />

Prozessbegleiter beigeordnet werden, sofern er besonders schutzbedürftig ist, § 406g Abs. 3 S. 2 StPO.<br />

Hier ist die Beiordnung im Gegensatz zu Satz 1 nicht zwingend, sondern es besteht ein Ermessensspielraum.<br />

Die besondere Schutzbedürftigkeit kann sich im konkreten Einzelfall aus der tatsächlichen Belastung bzw.<br />

Beeinträchtigung des Verletzten ergeben. Als besonders schutzbedürftig kommen Menschen mit einer<br />

Behinderung oder psychischen Beeinträchtigungen, Betroffene von Sexualstraftaten, Gewalttaten mit<br />

schweren physischen, psychischen oder finanziellen Folgen oder längerem Tatzeitraum sowie Betroffene<br />

von vorurteilsmotivierter Gewalt und sonstiger Hasskriminalität und Betroffene von Menschenhandel in<br />

Betracht (BT-Drucks 18/4621, 32).<br />

V. Rechte und Pflichten des Prozessbegleiters<br />

1. Grundsätze<br />

Die Grundsätze der psychosozialen Prozessbegleitung sind in § 2 PsychPbG geregelt. Hiernach handelt<br />

es sich um eine besondere Form der nicht rechtlichen Begleitung im Strafverfahren für besonders<br />

schutzbedürftige Verletzte vor, während und nach der Hauptverhandlung.<br />

Die erforderlichen fachlichen Qualifikationen der psychosozialen Prozessbegleiter regelt § 3 PsychPbG,<br />

der einen Hochschulabschluss im Bereich Sozialpädagogik, Soziale Arbeit, Pädagogik, Psychologie oder<br />

eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem dieser Bereiche sowie zusätzlich den Abschluss einer von<br />

einem Bundesland anerkannten Aus- oder Weiterbildung zum psychosozialen Prozessbegleiter verlangt.<br />

Die Einzelheiten zur Anerkennung von Personen als psychosoziale Prozessbegleiter, die auch in den<br />

anderen Bundesländern gelten, sind in den jeweiligen Ausführungsgesetzen der Länder geregelt. Diese<br />

setzen für eine Anerkennung einer Aus- und Weiterbildung i.d.R. Kenntnisse der rechtlichen Grundlagen<br />

und Grundsätze des Strafverfahrens sowie weiterer, für die Opfer von Straftaten relevanter Rechtsgebiete,<br />

der Viktimologie, Kenntnisse zu den besonderen Bedürfnissen spezieller Opfergruppen, der Psychologie<br />

und Psychotraumatologie, der Theorie und Praxis der psychosozialen Prozessbegleitung und der Methoden<br />

und Standards der Qualitätssicherung und Eigenvorsorge voraus (so § 2 Abs. 2 BWPsychPbGAG).<br />

2. Anwesenheitsrechte/Trennungsgebot<br />

Der Prozessbegleiter darf bei Vernehmungen und während der Hauptverhandlung gemeinsam mit<br />

dem Verletzten anwesend sein, § 406g Abs. 1 S. 2 StPO. Es ist jedoch weder seine Aufgabe noch seine<br />

Befugnis, im Sinne des Verletzten auf den Ausgang des Verfahrens Einfluss zu nehmen oder dessen<br />

Aussage besonderes Gewicht zu verschaffen. Die Stellung des psychosozialen Prozessbegleiters<br />

unterscheidet sich somit wesentlich von der des Nebenklägervertreters. Seine Tätigkeit soll, so die<br />

unmissverständliche Regelung in § 2 Abs. 2 S. 1 PsychPbG, geprägt sein von Neutralität gegenüber dem<br />

Strafverfahren und der Trennung von Beratung und Begleitung (Trennungsgebot). Die psychosoziale<br />

Prozessbegleitung umfasst weder die rechtliche Beratung noch die Aufklärung des Sachverhalts und sie<br />

darf nicht zu einer Beeinflussung des Zeugen oder einer Beeinträchtigung seiner Aussage führen.<br />

Hierüber ist der Verletzte zu Beginn der Prozessbegleitung zu informieren, § 2 Abs. 2 S. 3 PsychPbG.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 321


Fach 22, Seite 878<br />

Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug<br />

Psychosoziale Prozessbegleitung<br />

Hinweis:<br />

Aus dem Trennungsgebot folgt insbesondere, dass mit dem Verletzten nicht über den Sachverhalt<br />

gesprochen werden darf. Erfolgt dies dennoch, ist dies nach dem Willen des Gesetzgebers zu dokumentieren<br />

(BT-Drucks 18/4621, 30).<br />

Die Einhaltung dieses Verbots ist zur Vermeidung einer Erschwerung der Wahrheitsfindung unverzichtbar.<br />

Dementsprechend haben die Gerichte darüber zu wachen, dass der Prozessbegleiter nur<br />

innerhalb des ihm vom Gesetzgeber gesteckten Rahmens tätig wird und das Gebot, die Aussage des<br />

Zeugen inhaltlich nicht zu beeinflussen, befolgt. Anhaltspunkten für eine Beeinflussung des Aussageverhaltens<br />

muss konsequent nachgegangen werden.<br />

Die Überwachung bzw. die Einhaltung des Trennungsgebots stellt das Gericht, aber auch den<br />

psychosozialen Prozessbegleiter, freilich vor erhebliche Herausforderungen. Für die Gespräche<br />

zwischen dem Prozessbegleiter und dem Zeugen besteht keine generelle Dokumentationspflicht<br />

(nach der Gesetzesbegründung soll erst dokumentiert werden, wenn gegen das Trennungsgebot<br />

verstoßen wurde), so dass Beeinflussungen des Aussageverhaltens, seien sie bewusst oder unbewusst,<br />

oftmals nur schwer zu erkennen sein werden.<br />

Darüber hinaus werden die Zeugen in aller Regel die (menschlich nachvollziehbare) Erwartung hegen,<br />

mit dem Prozessbegleiter über das Erlebte sprechen zu können und entsprechend enttäuscht sein,<br />

wenn ihnen dies verwehrt wird. Hier wird der Prozessbegleiter oftmals mit sehr viel Fingerspitzengefühl<br />

agieren müssen, wenn er die Grenzen seiner Möglichkeiten vermittelt. Einen Spielraum hat er jedoch<br />

unter keinen Umständen, er muss das Trennungsgebot einhalten.<br />

Hinweis:<br />

Bestehen Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Trennungsgebot, kommt der Prozessbegleiter als<br />

Zeuge in Betracht. Ein Zeugnisverweigerungsrecht besteht nicht. Auch hierüber ist der Verletzte zu<br />

Beginn der Prozessbegleitung zu informieren, § 2 Abs. 2 S. 3 PsychPbG.<br />

Zudem hat der Verteidiger bei Verstößen gegen das Trennungsgebot die Möglichkeit, den Ausschluss<br />

des nicht beigeordneten Prozessbegleiters von Vernehmungen des Zeugen gem. § 406g Abs. 4 StPO zu<br />

beantragen. Besteht die Gefahr einer gesetzeswidrigen Beeinflussung der Aussage des Verletzten,<br />

gefährdet dies den Untersuchungszweck. Zuständig für die Untersagung der Anwesenheit ist die, die<br />

Vernehmung leitende Person; ihre Entscheidung ist unanfechtbar.<br />

Für beigeordnete Prozessbegleiter gilt über § 406g Abs. 3 S. 4 StPO die Regelung des § 142 Abs. 1 StPO<br />

entsprechend. Die Gefährdung des Untersuchungszwecks stellt einen wichtigen Grund im Sinne dieser<br />

Vorschrift dar (FERBER NJW 2016, 279).<br />

VI. Kosten<br />

Die Kosten für die Mitwirkung eines psychosozialen Prozessbegleiters werden durch eine Erhöhung der<br />

Gerichtsgebühren pauschal abgegolten. Hierzu ist ein neuer Abschnitt im GKG geschaffen worden<br />

(Gebührennummern 3150–3152). Die Gebühren erhöhen sich, je nach Verfahrensstadium, um 210–520 €.<br />

Das Gericht kann aber gem. § 465 Abs. 2 S. 4 StPO anordnen, dass die Erhöhung der Gerichtsgebühren<br />

ganz oder teilweise unterbleibt, wenn es unbillig wäre, den Angeklagten damit zu belasten. Dies wird<br />

insbesondere in Fällen in Betracht kommen, in denen sich während des Verfahrens die rechtliche<br />

Bewertung der Tat ändert (FERBER NJW 2016, 279, 281).<br />

Für den nicht beigeordneten Prozessbegleiter sieht zudem § 472 Abs. 1 S. 2 StPO vor, dass die für dessen<br />

Hinzuziehung notwendigen Auslagen des Nebenklägers dem Angeklagten nur bis zu der Höhe auferlegt<br />

werden können, in der sich im Falle der Beiordnung des psychosozialen Prozessbegleiters die<br />

Gerichtsgebühren erhöhen würden.<br />

322 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


<strong>ZAP</strong> Anwaltsformulare Fach 26, Seite 173<br />

Arbeitsrecht – Aufhebungsvertrag<br />

<strong>ZAP</strong> Anwaltsformular<br />

Aufhebungsvertrag – Muster für die Anwaltspraxis<br />

Von Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht Dr. KIRSTIN MAAß, Köln<br />

I. Vorbemerkung<br />

Durch einen Aufhebungsvertrag kann das Arbeitsverhältnis jederzeit ohne Beachtung von Kündigungsschutzbestimmungen<br />

und Kündigungsfristen beendet werden. Das Arbeitsverhältnis wird einvernehmlich<br />

von den Parteien beendet, ohne dass zuvor von dem Arbeitgeber eine Kündigung ausgesprochen wurde.<br />

Rechtlicher Beendigungstatbestand ist folglich die Vereinbarung von Arbeitnehmer und Arbeitgeber.<br />

Nach § 623 BGB ist Wirksamkeitsvoraussetzung für einen Aufhebungsvertrag die Einhaltung der<br />

Schriftform des § 126 BGB unter Ausschluss der elektronischen Form. Mündliche Absprachen, Faxe oder<br />

E-Mails reichen nicht aus.<br />

Literaturhinweis:<br />

Ausführlich zum Aufhebungsvertrag s. MAAß <strong>ZAP</strong> F. 17, S. 1221 ff.<br />

II.<br />

Muster: Aufhebungsvertrag<br />

zwischen:<br />

Aufhebungsvertrag<br />

(1) (…) (Name und Adresse des Arbeitnehmers)<br />

– nachfolgend „Arbeitnehmer“ –<br />

(2) (…) (Name und Adresse des Unternehmens)<br />

– nachfolgend „Arbeitgeber“ –<br />

§ 1 Beendigung<br />

Die Parteien sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen seit dem (…) bestehende Arbeitsverhältnis<br />

auf Veranlassung des Arbeitgebers aus betrieblichen/betriebsbedingten Gründen mit Ablauf des (…) sein<br />

Ende finden wird.<br />

Gestaltungshinweise:<br />

• Üblicherweise vereinbaren die Parteien den Beendigungszeitpunkt unter Einhaltung der vertraglichen<br />

bzw. gesetzlichen Kündigungsfrist. Gebunden sind sie hieran allerdings nicht. Jedoch kann aus<br />

verschiedenen Gründen, z.B. wegen der Suche nach einer neuen adäquaten Beschäftigung oder mit<br />

Blick auf Dauer und Höhe eines ggf. in Anspruch zu nehmenden Arbeitslosengeldes, ein im Vergleich<br />

zur Kündigungsfrist später liegender Beendigungstermin vereinbart werden.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 323


Fach 26, Seite 174<br />

Arbeitsrecht – Aufhebungsvertrag<br />

<strong>ZAP</strong> Anwaltsformulare<br />

• Der Hinweis, dass die Beendigung „auf Veranlassung des Arbeitgebers“ erfolgt, dient dazu, gegenüber den<br />

Behörden zu dokumentieren, dass es sich bei der Abfindung um eine Entschädigung für die von dem<br />

Arbeitgeber veranlasste, endgültige Beendigung des Arbeitsverhältnisses i.S.d. § 24 Nr. 1 EStG handelt.<br />

§ 2 Vergütung und Abwicklung<br />

1. Bis zu dem unter § 1 genannten Beendigungszeitpunkt zahlt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer sein<br />

monatliches Fixgehalt i.H.v. (…) € brutto. Bei untermonatigem Ausscheiden (nach § 5) wird das<br />

monatliche Fixgehalt zeitanteilig auf den Tag genau gekürzt.<br />

2. Der Arbeitgeber zahlt dem Arbeitnehmer ferner bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses die<br />

erdiente variable Vergütung i.H.v. (…) € brutto.<br />

Gestaltungshinweise:<br />

• Die Feststellung der verdienten variablen Vergütung sowie weiterer finanzieller (Rest-)Ansprüche, z.B.<br />

Provisionen, Umsatzbeteiligung, Boni etc., stellt beim unterjährigen Ausscheiden regelmäßig ein Problem<br />

der Beendigung dar. Es empfiehlt sich, eine klare Regelung der Berechnung der entsprechenden anteiligen<br />

Vergütungen zu treffen, um spätere Streitigkeiten, evtl. lange nach dem Auseinandergehen der Parteien,<br />

zu vermeiden. Es kann beispielsweise auch ein Pauschalbetrag zur Abgeltung vereinbart werden. Eine<br />

solche Klausel könnte wie folgt lauten: „Die Parteien sind sich darüber einig, dass die variable Vergütung des<br />

Arbeitnehmers mit Zahlung eines Pauschalbetrages i.H.v. (…) € brutto abgegolten ist. Die Zahlung der variablen<br />

Vergütung ist zum (…) fällig.“<br />

• Sind sich die Parteien einig, dass neben dem Festgehalt keine weitere Vergütung gezahlt werden soll,<br />

sollte auch dies explizit in den Aufhebungsvertrag aufgenommen werden.<br />

§3Abfindung<br />

1. Der Arbeitgeber zahlt an den Arbeitnehmer für den Verlust seines Arbeitsplatzes und des sozialen<br />

Besitzstandes eine Abfindung in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG i.H.v. (…) € brutto (in<br />

Worten: (…) Euro brutto).<br />

Gestaltungshinweise:<br />

• Eine Abfindung entschädigt den Arbeitnehmer für den Verlust des Arbeitsplatzes und des sozialen<br />

Besitzstandes sowie dadurch entgangene oder zukünftig entgehende Einnahmen (vgl. § 24 Nr. 1 EStG).<br />

• Bei der Höhe der durch eine freie Aufhebungsvereinbarung geregelten Abfindung hat sich die<br />

Faustformel „ein halbes Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr“ eingebürgert (vgl. auch § 1a Abs. 2<br />

KSchG). Die konkrete Höhe der Abfindung wird allerdings durch verschiedene Parameter im Rahmen<br />

der Verhandlungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bestimmt (vgl. MAAß <strong>ZAP</strong> F. 17, S. 1221 ff.).<br />

2. Der Anspruch auf Zahlung der Abfindung entsteht sofort mit Abschluss dieser Vereinbarung und ist<br />

ab diesem Zeitpunkt sofort vererblich. Die Abfindung wird mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

(nach § 1 bzw. im Fall der vorzeitigen Beendigung nach § 5) sofort zur Zahlung fällig. Sie wird<br />

nach Maßgabe der dann gültigen steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben<br />

bargeldlos zur Auszahlung gebracht. Etwaige anfallende Steuern auf die Abfindung sind von dem<br />

Arbeitnehmer zu tragen.<br />

Gestaltungshinweise:<br />

• Ein Anspruch auf Abfindung ist grundsätzlich, wenn die Parteien dazu in dem Aufhebungsvertrag nichts<br />

anderes vereinbart haben, zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig. Die Fälligkeit<br />

der Abfindung kann jedoch auf einen Zeitpunkt vor oder nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

vereinbart werden. Dies bietet sich ggf. aus steuerlichen Gründen an. Hierbei wird der Arbeitnehmer<br />

aber prognostizieren müssen, wie sich seine Einkommenssituation zukünftig entwickeln wird.<br />

324 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


<strong>ZAP</strong> Anwaltsformulare Fach 26, Seite 175<br />

Arbeitsrecht – Aufhebungsvertrag<br />

• Zu beachten ist, dass mit der Vereinbarung der Fälligkeit nicht automatisch auch die Vererblichkeit der<br />

Abfindung geregelt wird, d.h., stößt dem Arbeitnehmer vor dem vereinbarten Fälligkeitstermin bzw.<br />

im Falle einer fehlenden Fälligkeitsvereinbarung vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses etwas zu,<br />

geht der Abfindungsanspruch nicht zwangsläufig auf die Erben übergeht (vgl. BAG AP ZPO § 767 Nr. 8;<br />

BAG NZA 1998, 643). Es empfiehlt sich daher eine entsprechende ausdrückliche Vereinbarung.<br />

Zur Behandlung der Abfindungszahlung in sozialversicherungs- und steuerrechtlicher Hinsicht vgl.<br />

MAAß <strong>ZAP</strong>, F. 17, S. 1221 ff.<br />

§ 4 Freistellung<br />

Der Arbeitnehmer wird mit Abschluss dieser Vereinbarung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter<br />

Fortzahlung der in § 2 genannten Vergütung unwiderruflich von der Erbringung seiner Arbeitsleistung<br />

freigestellt. Auf die Zeiten der Freistellung werden zunächst alle etwaigen Urlaubsansprüche und<br />

anschließend alle sonstigen Freizeitausgleichsansprüche unmittelbar ab Beginn der Freistellung angerechnet,<br />

womit sie abgegolten sind. Während der Zeit der Freistellung findet § 615 S. 2 BGB keine Anwendung.<br />

Gestaltungshinweise:<br />

• Die Arbeitsvertragsparteien können sich in einem Aufhebungsvertrag auf eine Freistellung des<br />

Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht verständigen. Hierbei sollte eindeutig geregelt werden, ob die<br />

Freistellung widerruflich oder unwiderruflich erfolgt. Während der Arbeitgeber bei der widerruflichen<br />

Freistellung jederzeit von dem Arbeitnehmer die Wiederaufnahme der Arbeit verlangen kann, kann der<br />

Arbeitgeber bei der unwiderruflichen Freistellung den Arbeitnehmer nicht mehr gegen seinen Willen<br />

während der Freistellungsphase zur Arbeit zurückrufen.<br />

• Ferner sollte in der Vereinbarung eindeutig die finanzielle Abwicklung (Fixvergütung, variable Vergütung,<br />

Boni, Sonderzahlungen etc.) während der Freistellung aufgenommen werden, um Unklarheiten insbesondere<br />

bei einer stark variierenden Vergütungshöhe zu vermeiden (vgl. MAAß <strong>ZAP</strong> F. 17, S. 1221 ff.).<br />

• Weiter ist zu regeln, ob der Arbeitnehmer in der Freistellungszeit erzielte anderweitige Einkünfte<br />

(„Zwischenverdienst“) gem. § 615 S. 2 BGB angerechnet erhält oder nicht.<br />

• Die Abgeltung von Urlaubsansprüchen ist möglich, muss aber ausdrücklich festgehalten werden. Es<br />

sollte klargestellt werden, in welchem Zeitraum der Urlaub gewährt wird (vgl. MAAß <strong>ZAP</strong> F. 17, S. 1221 ff.).<br />

• Alternativ oder auch zusätzlich können die Parteien eines Aufhebungsvertrags einen Tatsachenvergleich<br />

schließen, dass der dem Arbeitnehmer zustehende Urlaub in natura gewährt und von ihm<br />

genommen wurde. Eine entsprechende Klausel könnte wie folgt lauten: „Die Parteien stimmen darin<br />

überein, dass der dem Arbeitnehmer zustehende Urlaub vollumfänglich in natura gewährt wurde und deshalb<br />

weitergehende Urlaubsansprüche nicht bestehen.“<br />

§ 5 Vorzeitige Auflösung<br />

1. Der Arbeitnehmer ist berechtigt, das Arbeitsverhältnis auch vor dem in § 1 genannten Beendigungszeitpunkt<br />

mit einer Ankündigungsfrist von einer Woche durch einseitige schriftliche Erklärung<br />

gegenüber dem Arbeitgeber vorzeitig zu beenden.<br />

2. Im Fall der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhöht sich die Abfindung gem. § 3 dieser<br />

Vereinbarung für jeden Monat der vorzeitigen Beendigung vor dem (…) um einen Betrag i.H.v. (…) %<br />

der ersparten Bruttofixgehälter nach § 2 ausschließlich der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung.<br />

Bei untermonatiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird zeitanteilig auf den Tag genau<br />

abgerechnet. Die Abrechnung erfolgt mit dem nächsten regulären Gehaltslauf.<br />

Gestaltungshinweis:<br />

Der Vorteil der vorzeitigen Beendigung liegt häufig bei beiden Parteien: Ziel ist es, einerseits für den<br />

Arbeitnehmer einen Anreiz zu schaffen, schneller aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden, andererseits<br />

für den Arbeitgeber Lohn- und Gehaltskosten eines Arbeitsverhältnisses einzusparen, denen häufig wegen<br />

Freistellung des Arbeitnehmers keine Dienstleistung mehr gegenüber steht (vgl. MAAß <strong>ZAP</strong> F. 17, S. 1221 ff.).<br />

§ 6 Dienstwagen<br />

Die Parteien sind sich darüber einig, dass der Arbeitnehmer das ihm bis zur Beendigung des<br />

Arbeitsverhältnisses zustehende Dienst-Kfz – ein (…) mit dem amtlichen Kennzeichen (…) – auch während<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 325


Fach 26, Seite 176<br />

Arbeitsrecht – Aufhebungsvertrag<br />

<strong>ZAP</strong> Anwaltsformulare<br />

der Freistellung (§ 4) – nach den geltenden Bedingungen des Arbeitgebers für Dienstwagenberechtigte<br />

weiterhin privat nutzen darf; dies gilt auch für die Nutzung der dem Arbeitnehmer ausgehändigten<br />

Tankkarte. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, den Dienstwagen nebst Fahrzeugpapieren, Schlüsseln,<br />

Tankkarte und sonstigem Zubehör zum Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses an den Arbeitgeber<br />

an dessen Firmensitz in (…) in ordnungsgemäßem Zustand zurückzugeben. Zurückbehaltungsrechte sind<br />

ausgeschlossen. Es wird ein Übergabeprotokoll erstellt.<br />

Gestaltungshinweise:<br />

• Ist das Dienstfahrzeug dem Arbeitnehmer ausschließlich zu dienstlichen Zwecken überlassen, darf der<br />

Arbeitgeber jederzeit die Herausgabe des Dienstwagens verlangen. Der Dienstwagen ist insoweit lediglich<br />

Arbeitsmittel. Für diesen Fall könnte die Vertragsklausel wie folgt lauten: „Der Arbeitnehmer ist<br />

verpflichtet, den Dienstwagen unverzüglich nach Abschluss des Aufhebungsvertrags an den Arbeitgeber an dessen<br />

Firmensitz zurückzugeben. Dem Arbeitnehmer steht aufgrund der Rückgabe des Dienstwagens keine Nutzungsentschädigung<br />

zu.“<br />

• Erfolgt die Überlassung eines Dienstwagens „auch zur privaten Nutzung“, stellt sie einen geldwerten<br />

Vorteil und Sachbezug dar. Die Gebrauchsüberlassung ist eine zusätzliche Gegenleistung für die<br />

geschuldete Arbeitsleistung. In diesem Fall darf der Arbeitgeber auch bei bezahlter Freistellung des<br />

Arbeitnehmers den Dienstwagen nicht vor dem rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses herausverlangen.<br />

Verlangt er den Dienstwagen gleichwohl vor Vertragsende von dem Arbeitnehmer zurück, hat<br />

der Arbeitnehmer grundsätzlich einen Anspruch auf Ersatz des ihm entgehenden geldwerten Vorteils<br />

der privaten Nutzung. Der Arbeitnehmer kann abstrakt als Schaden 1 % des Listenpreises im Zeitpunkt<br />

der Erstzulassung des Dienstwagens zzgl. der Kosten für Sonderausstattungen einschließlich Umsatzsteuer<br />

verlangen (vgl. BAG NJW 2012, 1756).<br />

§ 7 Zeugnis<br />

1. Der Arbeitgeber stellt dem Arbeitnehmer mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein<br />

qualifiziertes, wohlwollendes, ihn in seiner beruflichen Entwicklung förderndes Endzeugnis mit der<br />

Leistungsbeurteilung (…) und der Verhaltensbeurteilung (…) aus. Das Zeugnis enthält eine<br />

leistungsangemessene Schluss- und Dankesformel.<br />

oder:<br />

1. Der Arbeitnehmer erhält das als Anlage zu dieser Vereinbarung beigefügte qualifizierte Zeugnis.<br />

Gestaltungshinweis:<br />

Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Erteilung eines Zeugnisses ergibt sich aus § 109 GewO. Das Zeugnis<br />

muss Art und Dauer der Tätigkeit beschreiben und Angaben zu Leistung und Verhalten enthalten.<br />

Qualifizierte Zeugnisse enthalten eine Gesamtbeurteilung des Arbeitnehmers in Bezug auf seine Leistung<br />

und sein Verhalten. In der arbeitsrechtlichen Praxis haben sich Standardformulierungen eingebürgert, die<br />

in der Praxis einer Notenskala bzw. sog. Zufriedenheitsskala (vgl. BAG NZA 2015, 435) von „sehr gut“ bis<br />

„unzureichend“ entsprechen (vgl. MAAß <strong>ZAP</strong> F. 17, S. 1221 ff.).<br />

2. Unverzüglich nach dem Abschluss dieser Vereinbarung wird der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein<br />

dem Inhalt des Endzeugnisses entsprechendes Zwischenzeugnis erteilen, damit sich dieser zeitnah<br />

bewerben kann.<br />

Gestaltungshinweis:<br />

Angesichts dessen, dass der Aufhebungsvertrag das Arbeitsverhältnis i.d.R. unter Einhaltung der ordentlichen<br />

Kündigungsfrist beendet, ist es üblich, bei einer längeren Kündigungsfrist zu Bewerbungszwecken<br />

die zeitnahe Erteilung eines Zwischenzeugnisses zu vereinbaren, dem nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

ein entsprechendes Endzeugnis folgt.<br />

3. Der Arbeitgeber wird mündliche und schriftliche Auskünfte über den Arbeitnehmer nur im Sinne des<br />

Endzeugnisses erteilen.<br />

326 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017


<strong>ZAP</strong> Anwaltsformulare Fach 26, Seite 177<br />

Arbeitsrecht – Aufhebungsvertrag<br />

§ 8 Betriebliche Altersversorgung<br />

1. Zu Gunsten des Arbeitnehmers besteht eine unverfallbare betriebliche Altersversorgung in Gestalt<br />

einer (…) bei der (…)-Versicherung mit der Versicherungsschein-Nr. (…). Der Arbeitgeber stimmt –<br />

sofern erforderlich – einer Übertragung dieser Versicherung auf den Arbeitnehmer bereits jetzt zu<br />

und wird die dazu notwendigen Erklärungen gegenüber dem Versicherer unter Übernahme der<br />

damit verbundenen Kosten abgeben.<br />

2. Binnen eines Monats nach seinem Ausscheiden wird der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über die<br />

Höhe der von ihm erworbenen unverfallbaren Anwartschaften schriftlich informieren.<br />

Gestaltungshinweise:<br />

• Anwartschaften auf eine betriebliche Altersversorgung bleiben nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

erhalten, sofern sie vertraglich oder gesetzlich unverfallbar sind. Eine gesetzlich unverfallbare<br />

Anwartschaft entsteht gem. § 1b Abs. 1 BetrAVG, wenn die Versorgungszusage nach Vollendung des<br />

25. Lebensjahres (ab dem 1.1.2018: des 21. Lebensjahres) und vor Eintritt des Versorgungsfalls mindestens<br />

fünf Jahre (ab dem 1.1.2018: mindestens drei Jahre) bestanden hat. Besteht zum Zeitpunkt der Beendigung<br />

des Arbeitsverhältnisses eine unverfallbare Anwartschaft des Arbeitnehmers auf eine betriebliche Altersversorgung<br />

können die Parteien hierüber nicht mehr frei verfügen. Unverfallbare Anwartschaften<br />

unterliegen generell einem Abfindungsverbot, vgl. § 3 BetrAVG.<br />

• Gemäß § 4a BetrAVG besteht die Verpflichtung des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer zeitnah zu seinem<br />

Ausscheiden eine schriftliche Auskunft über die genaue Höhe der unverfallbaren Anwartschaften zu<br />

erteilen.<br />

§ 9 Herausgabe<br />

Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, auf Verlangen unverzüglich, spätestens aber am Tage der<br />

Beendigung des Arbeitsverhältnisses alle sich noch in seinem Besitz befindlichen oder ihm von dem<br />

Arbeitgeber überlassenen Gegenstände des Arbeitgebers, insbesondere Daten und Datenträger sowie<br />

sämtliche Abschriften und Arbeitsmittel vollständig an den Arbeitgeber und dessen Firmensitz in (…) zu<br />

übergeben. Der Arbeitnehmer wird dem Arbeitgeber auf Verlangen, spätestens aber an dem Tag der<br />

Beendigung des Arbeitsverhältnisses bzw. am letzten Arbeitstag vor einer Freistellung eine Aufstellung<br />

aller Passwörter, Schreibschutzcodes oder ähnlicher Zugangscodes, die er auf den von ihm im Betrieb<br />

genutzten PCs verwendet hat, zur Verfügung stellen. Ein Zurückbehaltungsrecht besteht nicht.<br />

Gestaltungshinweis:<br />

Der Arbeitnehmer ist nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses – auch ohne eine entsprechende Vereinbarung<br />

– verpflichtet, sämtliche ihm überlassene Arbeitsmittel an den Arbeitgeber herauszugeben. Gleichwohl<br />

sollten im Aufhebungsvertrag die Rückgabepflichten des Arbeitnehmers bzw. die zurückzugebenden<br />

Gegenstände möglichst genau und vollständig bezeichnet werden und auch Ort (z.B. Firmensitz des Arbeitsgebers)<br />

und Zeit (z.B. mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses) ausdrücklich geregelt werden.<br />

§ 10 Geheimhaltung<br />

1. Der Arbeitnehmer versichert, dass er auch über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus über<br />

sämtliche ihm bekannt gewordenen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Arbeitgebers sowie über<br />

alle sonstigen betrieblichen Angelegenheiten vertraulicher Natur, die als solche von dem Arbeitgeber<br />

bezeichnet waren oder offensichtlich als solche zu erkennen sind, Stillschweigen bewahren wird.<br />

2. Diese Verschwiegenheitspflicht gilt nicht, soweit eine gesetzliche Pflicht zur Auskunft besteht oder<br />

die Informationsweitergabe mit Zustimmung des durch die Verschwiegenheit zu Schützenden<br />

erfolgt oder in seinem Interesse zweifelsfrei erforderlich ist.<br />

3. Die Parteien verpflichten sich, über diese Vereinbarung und dessen Inhalt Stillschweigen zu bewahren.<br />

Der Arbeitnehmer ist berechtigt, die Vereinbarung gegenüber amtlichen Stellen vorzulegen, soweit er<br />

hierzu aus rechtlichen Gründen verpflichtet oder die Vorlage zur Wahrnehmung eigener berechtigter<br />

Interessen erforderlich ist.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017 327


Fach 26, Seite 178<br />

Arbeitsrecht – Aufhebungsvertrag<br />

<strong>ZAP</strong> Anwaltsformulare<br />

Gestaltungshinweis:<br />

Die Verpflichtung, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse geheim zu halten, ist eine gesetzliche Nebenverpflichtung<br />

des Arbeitsverhältnisses. Sie gilt daher grundsätzlich auch ohne eine entsprechende<br />

Vereinbarung.<br />

§ 11 Erledigung<br />

Mit Erfüllung der in dieser Vereinbarung geregelten, wechselseitigen Pflichten sind sämtliche finanziellen<br />

Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich ob bekannt oder<br />

unbekannt, erledigt und abgegolten. Über die in dieser Vereinbarung geregelten Absprachen und<br />

Ansprüche hinausgehende Verpflichtungen bestehen nicht. Von dieser Ausgleichsklausel unberührt bleiben<br />

gesetzliche unverzichtbare Ansprüche sowie unverfallbare Ansprüche bzw. Anwartschaften. Die Parteien<br />

sind sich darüber einig, dass gegeneinander keine gesetzlichen unverzichtbaren Ansprüche bestehen.<br />

Gestaltungshinweis:<br />

Eine Ausgleichs- oder Erledigungsklausel sollte mit in den Aufhebungsvertrag aufgenommen werden, um<br />

Folgestreitigkeiten zu vermeiden. Vor der Vereinbarung einer Erledigungsklausel ist stets zu prüfen,<br />

welche Ansprüche möglicherweise noch bestehen. Solche, die nicht abgegolten werden sollen, sind in der<br />

Vereinbarung konkret zu regeln, andernfalls können sie nach Abschluss des Aufhebungsvertrags nicht<br />

mehr geltend gemacht werden (vgl. MAAß <strong>ZAP</strong> F. 17, S. 1221 ff.).<br />

§ 12 Belehrung über die Rechtsfolgen der Vereinbarung<br />

Der Arbeitgeber weist den Arbeitnehmer darauf hin, dass mit Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags<br />

steuerrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Folgen zu berücksichtigen sind; der Arbeitnehmer ist<br />

insbesondere auf die Möglichkeit einer Verhängung einer Sperr- und Ruhenszeit durch die Bundesagentur<br />

für Arbeit hingewiesen worden. Darüber hinaus ist dem Arbeitnehmer bekannt, dass verbindliche Auskünfte<br />

über die sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Konsequenzen dieser Vereinbarung nur das<br />

zuständige Finanzamt bzw. die Bundesagentur für Arbeit erteilen kann.<br />

Gestaltungshinweise:<br />

• Der Abschluss eines Aufhebungsvertrags kann für den Arbeitnehmer weitreichende steuer- und<br />

sozialversicherungsrechtliche Nachteile mit sich bringen. Diese Nachteile können aber auch die betriebliche<br />

Altersversorgung betreffen und/oder sonstiger Natur sein Es ist daher üblich und ratsam, den<br />

Arbeitnehmer im Aufhebungsvertrag ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass verbindliche Auskünfte<br />

über die steuer- und sozialrechtlichen Folgen des Aufhebungsvertrags nur das zuständige Finanzamt,<br />

die Agentur für Arbeit und/oder die sonstigen Träger der Sozialversicherung erteilen können.<br />

• Bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags droht regelmäßig die Verwirklichung eines Sperrzeit- und/oder<br />

Ruhenstatbestandes nach dem SGB III. Der Abschluss eines Aufhebungsvertrags stellt regelmäßig ein<br />

versicherungswidriges Verhalten i.S.d. § 159 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Alt. 1 SGB III dar, weshalb dem Arbeitnehmer<br />

gegenüber eine Sperrzeit „verhängt“ wird, sofern ihm kein wichtiger Grund hierfür zugutekommt. Grundsätzlich<br />

führt ein Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld zwar zu keiner Verkürzung der Anspruchsdauer,<br />

bei einer Sperrzeit nach § 159 Abs. 1 SGB III ist dies jedoch ausnahmsweise anders. Zu beachten ist<br />

hierbei, dass sich bei einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe die Anspruchsdauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld<br />

um die Tage der Sperrzeit mindert; in Fällen einer Sperrzeit von zwölf Wochen mindestens<br />

jedoch um ein Viertel der gesamten Anspruchsdauer (§ 148 Abs. 1 Nr. 4 SGB III).<br />

(…), den (…)<br />

(Arbeitgeber)<br />

(Arbeitnehmer)<br />

328 <strong>ZAP</strong> Nr. 6 15.3.2017

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