COMPACT SPEZIAL 8 "Asyl das Chaos"

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Von Kairo bis Köln _ von Karel Meissner Proteste nach der Absetzung des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi in Kairo am 11. Oktober 2013. Foto: picture alliance / AP Photo 56 Überall, wo der Dschihad vorbereitet wird, finden sich Emissäre eines Geheimbundes: der Muslimbrüder. In Deutschland reicht ihr Einfluss bis in die höchsten islamischen Gremien. Die Staatsschutzorgane sind alarmiert, doch die Politik zieht keine Konsequenzen. Mursi vor Gericht im Juni 2015. Der den Muslimbrüdern nahestehende Ex-Präsident wurde zum Tode verurteilt. Foto: Facebook «Erdogan, der ewige Muslimbruder». Die Welt Am 6. Januar 2015 gedachte Berlin der Opfer der islamistischen Anschläge, die kurz zuvor Paris und Frankreich in Schrecken versetzt hatten. 10.000 Menschen waren einem Aufruf des Zentralrats der Muslime (ZdM) gefolgt, der seinerseits von der Bundesregierung mehr oder weniger kräftig animiert worden war. Redner war unter anderem der ZdM-Vorsitzende Aiman Mazyek. Wie wenig populär die Veranstaltung bei Mazyeks Leuten gewesen ist, zeigt eine genauere Untersuchung. Das RTL-Nachtjournal merkt an: «Für eine muslimische Veranstaltung waren es zu wenige Muslime. Vielleicht 2.000. Doppelt so viele kommen, wenn Erdogan Wahlkampf macht in Berlin.» Stern.de resümierte: «Bei dieser Mahnwache waren fast mehr Minister als Moslems.» Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland, äußerte im Vorfeld Unverständnis, dass mit Islamisten gegen Terrorismus demonstriert werden sollte: «Wissen die deutschen Parteien, mit wem sie am Dienstag demonstrieren? Muslimbrüder und Atib, eine Abspaltung der türkischen Grauen Wölfe, sind Mitglied des Zentralrats der Muslime. Das sind Fundamentalisten und Islamo-Faschisten. Wie kann man einerseits Pegida verteufeln, aber mit ihren muslimischen und türkischen Gesinnungsgenossen eine Mahnwache gegen Extremismus machen?» Bomben gegen Nasser Während die Grauen Wölfe eine spezifisch osmanische Vereinigung sind, hat die Muslimbruderschaft (MB) weltweite Bedeutung: Sie gilt als Impulsgeber des islamischen Terrorismus auf allen Kontinenten und hat heute nach eigenen Angaben 100 Millionen Mitglieder, die in nationalen Sektionen in über 70 Ländern organisiert sind. Gegründet wurde die MB 1928 in Ägypten von dem Grundschullehrer Hasan al-Banna (1906– 1949). Berühmt und berüchtigt wurde die Organisation zu Beginn der 1950er Jahre, als der ägyptische König von patriotischen Offizieren unter Gamal abdel Nasser gestürzt wurde. Die MB kritisierte die mangelnde Frömmigkeit der neuen Führung und reagierte mit Bombenanschlägen und Attentaten. Nasser konterte und ließ die MB mehrfach verbieten und ihren wichtigsten Theoretiker Seyyid Qutb 1966 in Kairo hinrichten. Dessen Bruder flüchtete nach Saudi-Arabien, unterrichtete dort als Professor an der Universität von Dschidda und verbreitete die verbotenen Schriften weiter – unter anderem an einen jungen Studenten namens Osama bin Laden. Der hingerichtete Qutb war «der intellek-
COMPACT Spezial _ Die Drahtzieher tuelle Held aller Gruppen, die später bei al-Qaida mitmachten, ihr Karl Marx, ihr Führer», fasst Paul Berman in der New York Times zusammen. Jedenfalls gingen aus der Muslimbruderschaft Organisationen wie die Hamas in Palästina und die Gruppe Islamischer Dschihad in Ägypten hervor. In Syrien (1982) und in Algerien (in den 1990er Jahren) waren sie an blutigen Aufständen gegen die Staatsmacht beteiligt. Vorstoß nach Europa Der Anführer der ägyptischen MB, Aywan al- Zawahiri, schickte in den 1990er Jahren, ebenso wie bin Laden, seine Gotteskrieger auf den Balkan. Ziel war die Einführung der Scharia in Bosnien-Herzegowina, das sich 1991 von Jugoslawien abgespalten hatte. In Sarajevo wurden die 5.000 arabischen Dschihadisten 1992 bereitwillig von Alija Izetbegovic empfangen, der sich als Präsident an die Spitze der Sezessionsrepublik gesetzt hatte. Die serbische Volksgruppe kämpfte erbittert gegen die Abspaltung – auch deswegen, weil sie die Entrechtung aller Nicht-Muslime befürchtete. Ein dreijähriger Bürgerkrieg mit 100.000 Toten war die Folge. «Das Weiße Haus sah die Muslimbrüder als stillen Alliierten.» CIA-Agent Robert Baer des öffentlichen Lebens: «Die Erziehung des Volkes und besonders die Massenmedien – Presse, Radio, TV und Film – sollten in den Händen von Leuten sein, deren islamische Moral und intellektuelle Autorität unzweifelhaft sind. Die Medien dürfen nicht, wie so oft, in die Hände verdorbener und degenerierter Leute fallen, die dann die Ziellosigkeit und Leere ihres eigenen Lebens auf andere übertragen.» Trotz dieser extremistischen Ansichten, die Izetbegovic in Jugoslawien eine Haftstrafe eingebracht hatten, und trotz seines Schulterschlusses mit bin Laden und al-Zawahiri erfreute sich der Politiker während des bosnischen Bürgerkrieges der geschlossenen Unterstützung der NATO-Staaten. Dieses perverse Bündnis war nicht neu. Der Islamwissenschaftler Robert Dreyfuss weist in seinem Buch Devil‘s Game (Des Teufels Spiel; New York, 2005) nach, dass der Westen sich immer wieder der Muslimbruderschaft für eigene Interessen bedient hat – vor allem als Rammbock gegen arabische Nationalisten wie Nasser, die mit Enteignungen gegen anglo amerikanische Ölinteressen vorgingen. Auch die Hamas erfreute sich in der Frühphase kräftiger Unterstützung aus Israel – die Zionisten wollten in den 1980er Jahren die damals noch allmächtige PLO von Jassir Arafat schwächen. Der ehemalige CIA-Agent Robert Baer spricht in seinem Buch Sleeping with the Devil (Mit dem Teufel schlafen; New York, 2003) von einem «schmutzigen kleinen Geheimnis»: «Das Weiße Haus sah die Brüder als stillen Alliierten, eine Geheimwaffe gegen (was sonst?) den Kommunismus.» Tatsächlich nutzte die US-Außenpolitik die MB auch zur Anzettelung von Unruhen in den zentralsiatischen Sowjetrepubliken. Der bosnische Präsident Alija Izetbegovic war bereits als junger Mann während des Zweiten Weltkrieges in extremistischen Kreisen aktiv. 1970 forderte er eine «Islamisierung der säkularisierten Muslime». Foto: klix.ba Das gelbe Stirnband war Symbol der von Muslimbrüdern organisierten Proteste gegen den Militärputsch gegen Mursi vom Juli 2013. Hier eine vollverschleierte Demonstrantin im gutsituierten Kairoer Vorort Helwan. Foto: picture alliance/ AP Photo Wie sehr Izetbegovic selbst von der Muslimbruderschaft beeinflusst war, kann man seinem Hauptwerk Islamische Deklaration entnehmen. Im Mittelpunkt steht «das Prinzip der islamischen Ordnung, das heißt die Einheit von Religion und Politik». Das Buch ist eine Kampfansage an andere Religionen: «Es kann keinen Frieden und keine Koexistenz zwischen dem Islamischen Glauben und nicht-islamischen Gemeinschaften und politischen Institutionen geben.» Izetbegovic befürwortete «den Kampf zur Schaffung einer großen islamischen Föderation von Marokko bis Indonesien, von Schwarzafrika bis Mittelasien». Dafür müssten auch Gesellschaften mit nicht-islamischen Bevölkerungsteilen erobert werden. «Die islamische Bewegung sollte und muss die Macht übernehmen, sobald sie moralisch und numerisch stark genug ist, um nicht nur die vorhandene nicht-islamische Herrschaft zu stürzen, sondern auch eine neue islamische aufzubauen (...) .» Um den verderblichen westlichen Einfluss zurückzudrängen, empfahl Izetbegovic eine fundamentalistische Gleichschaltung 57
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