17.05.2017 Aufrufe

Globale Risiken managen - UmweltDialog Nr 7 (Mai 2017)

Ob Trump oder Brexit, Terroranschläge oder Klimawandel: Die Welt ist seit geraumer Zeit im permanenten Krisenmodus. Wirtschaftliches Handeln wirkt wie Segeln im Sturm. Das rückt den Aspekt des Risikomanagemnets in deb Blickpunkt. Die aktuelle Ausgabe des UmweltDialog-Magazins „Globale Risiken managen“ widmet sich daher diesem Thema. Themen dieser Ausgabe: Was haben globale Risiken mit CSR zu tun? / Standortrisiko Trump? / Albtraum Rückruf / Transparente Lieferketten / Kein Platz für Kinderarbeit u.v.m.

Ob Trump oder Brexit, Terroranschläge oder Klimawandel: Die Welt ist seit geraumer Zeit im permanenten Krisenmodus. Wirtschaftliches Handeln wirkt wie Segeln im Sturm. Das rückt den Aspekt des Risikomanagemnets in deb Blickpunkt. Die aktuelle Ausgabe des UmweltDialog-Magazins „Globale Risiken managen“ widmet sich daher diesem Thema. Themen dieser Ausgabe:
Was haben globale Risiken mit CSR zu tun? / Standortrisiko Trump? / Albtraum Rückruf / Transparente Lieferketten / Kein Platz für Kinderarbeit u.v.m.

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Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | umweltdialog.de | 9,00 EUR<br />

Das CSR-<br />

Magazin<br />

<strong>Globale</strong><br />

TITEL<br />

<strong>managen</strong><br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

DE / A 9,00 EUR<br />

Foto: alexemanuel / iStockphoto.com


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<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />

Liebe Leserinnen<br />

und Leser,<br />

Immanuel Kant, einer unserer großen Denker<br />

und moralischen Vorbilder, hat einmal gesagt:<br />

„Wir denken selten beim Licht an Finsternis,<br />

beim Glück an Elend; bei der Zufriedenheit an<br />

Schmerz; aber umgekehrt jederzeit.“ Wenn wir<br />

diesen Satz auf Manager-Sprache übertragen,<br />

so kann man sagen: Wenn der Laden läuft, denken<br />

die wenigsten Manager an <strong>Risiken</strong> und Gefahren.<br />

Dabei ist Risikomanagement technisch<br />

betrachtet einfach: Es geht um das vorzeitige<br />

und frühzeitige Erkennen von Einflüssen, z.B.<br />

auf das Unternehmen. Und es geht auch um<br />

Auswirkungen, die das Unternehmen selbst auf<br />

sein Umfeld hat. Diese Faktoren können die<br />

Sünden der Vergangenheit oder die Fehler von<br />

Morgen sein. Früher oder später fallen sie dem<br />

Unternehmen krachend vor die Füße. Wer dann<br />

erst anfängt nachzudenken, der betreibt reines<br />

Krisenmanagement.<br />

Die Frage lautet daher: Wie geht man Risikomanagement<br />

an, bevor das Kind in den Brunnen<br />

fällt? Im Alltag tun sich viele Unternehmenslenker<br />

mit der Antwort schwer, denn sie<br />

verlangt doppelte Abstraktion: Sowohl das Ereignis<br />

als auch der Zeitpunkt sind in einer solchen<br />

Gleichung immer unscharf. Dann lieber<br />

abwarten, argumentieren viele und berechnen<br />

den voraussichtlichen Schaden. Ist der nämlich<br />

eingetreten, hat man zumindest einen ganz<br />

konkreten Ansatzpunkt.<br />

Heutzutage ist die Welt voller <strong>Risiken</strong>: Ob nun<br />

politischer Art – Stichwörter sind Brexit, Trump,<br />

Putin, Erdogan, und die ganze Bagage der Populisten<br />

– oder die wachsenden Auswirkungen des<br />

Klimawandels (Dürre, Flut, Migration) und natürlich<br />

die Klassiker wie Betriebsunterbrechung,<br />

Rückruf, Rechtsstreit und Reputationsrisiken.<br />

Unsere aktuelle Ausgabe gibt Ihnen einen strukturierten<br />

Überblick über einige der wichtigsten<br />

Facetten beim Thema Risikomanagement und<br />

zeigt, welche Rolle CSR dabei spielt.<br />

Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen Ihr<br />

Dr. Elmer Lenzen<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

3


<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />

Inhalt<br />

Das CSR-<br />

Magazin<br />

<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />

6<br />

10<br />

12<br />

14<br />

18<br />

20<br />

Was haben globale <strong>Risiken</strong> mit CSR<br />

zu tun?<br />

Ob Trump oder Brexit, Terroranschläge<br />

oder Klimawandel: Welchen Beitrag<br />

leistet CSR in Risikofragen?<br />

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist<br />

besser<br />

Risikomanagement als Unterrichtsfach<br />

– Interview mit Prof. Dr. Albers<br />

Risikomanagement<br />

Die wichtigsten Handlungsfelder,<br />

Aktionen und Maßnahmen<br />

Standortrisiken<br />

Standortrisiko Trump<br />

Was ist der optimale Standort für<br />

Unternehmen? Der, der Vorteile verschafft.<br />

Und wie steht es dann heute<br />

um Mexiko?<br />

Auf einen Blick: Wichtigste<br />

Unternehmensrisiken in aller Welt<br />

Ein Steuerungsinstrument in<br />

unruhigen Zeiten?<br />

Die einen igeln sich auf ihrer Insel<br />

ein, der andere will Mauern bauen –<br />

die Welt ist unsicherer geworden.<br />

Was nun? Wir haben einen Experten<br />

gefragt.<br />

Rechtliche <strong>Risiken</strong><br />

22<br />

26<br />

Rohstoffrisiken<br />

28<br />

34<br />

38<br />

Perspektivwechsel: Klassisches<br />

Compliance-Verständnis als Risiko<br />

Fehler vermeiden klingt gut, aber wie<br />

organisiert man das im Unternehmen?<br />

Milliardenschäden durch Produktund<br />

Markenpiraterie<br />

Alles fake – nein, es geht nicht um<br />

News, sondern um Waren. Der<br />

Schaden ist immens.<br />

<strong>Globale</strong> Rohstoffumbrüche<br />

erfordern Umdenken<br />

Der globale Rohstoffhunger ist<br />

gigantisch. Lange Zeit fragte keiner,<br />

wo die Rohstoffe herkommen. Das<br />

ändert sich jetzt endlich.<br />

Glimmer-Lieferkette:<br />

Kein Platz für Kinderarbeit<br />

Alle Welt braucht Glimmer. In Indien<br />

schuften dafür Tag für Tag kleine<br />

Kinder. Merck will das ändern.<br />

Klimarisiken<br />

44<br />

Ein „Weiter so“ funktioniert nicht<br />

Der Klimawandel und all seine Folgen<br />

sind hausgemacht. Also kann man<br />

auch selbst etwas dagegen tun, erläutert<br />

NRW-Umweltminister Johannes<br />

Remmel.<br />

Wissenschaftlichen Zielen<br />

verpflichtet<br />

Tetra Pak will seine CO 2-Emissionen<br />

reduzieren und setzt auf wissenschaftliche<br />

Methoden.<br />

4 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />

Produktrisiken<br />

46<br />

50<br />

52<br />

53<br />

56<br />

Albtraum Rückruf<br />

Ein Produkt hat Mängel und muss zurückgerufen<br />

werden – der Super-GAU<br />

für jeden Betrieb!<br />

Lebensmittel – Die Branche mit dem<br />

höchsten Reputationsrisiko<br />

Gegessen wird immer – und gepanscht<br />

auch, möchte man am liebsten sagen,<br />

wenn man sich die ganzen Lebensmittelskandale<br />

betrachtet.<br />

<strong>Risiken</strong> gehören zum Geschäft<br />

Die Foodbranche ist so zugeknöpft wie<br />

kaum eine andere, weiß der Kommunikationsberater<br />

Manfred Godek.<br />

Klagewelle in Amerika gegen<br />

Lebensmittelindustrie<br />

Sammelklagen – ein lukratives Geschäft<br />

für amerikanische Anwälte<br />

Transparente Lieferketten<br />

Lebensmittelbetrug ist fast so lukrativ<br />

wie Drogenhandel. Wie lässt sich das<br />

kontrollieren?<br />

38<br />

6<br />

Reputationsrisiken<br />

58<br />

Wenn Innovationen Marken<br />

schwächen<br />

Viele Produkte sind nicht innovativ<br />

und führen zu Reputationsrisiken.<br />

46<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

5


<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />

Foto: bambi / bambi street artist, all rights reserved<br />

6 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />

Was haben globale<br />

mit CSR zu tun?<br />

Die Furcht macht selbst aus Engeln Teufel, hat William Shakespeare einmal gesagt.<br />

Das gibt einem zu denken in Zeiten, in denen Populisten und Autokraten boomen und<br />

Globalisierung zum Synonym für alles wird, was schief läuft. Das größte Problem daran<br />

ist, dass auf die Art die echten Probleme unserer Zeit aufgeschoben werden.<br />

Von Dr. Elmer Lenzen<br />

Was ist eigentlich ein Risiko? Ein Umstand, dass<br />

etwas gefährliche oder schädliche Folgen haben<br />

kann, informiert uns das Lexikon. Dabei<br />

interessiert uns in dem Kontext nicht so sehr<br />

der Grund dafür, sondern vielmehr die Fragen:<br />

Wie wahrscheinlich ist das Eintreten? Welche<br />

Folgen und Konsequenzen hätte es (Stichwort<br />

Schadensschwere)?<br />

Dieser fast schon versicherungstechnische Ansatz<br />

beschäftigte auch zu Anfang des Jahres die<br />

wichtigsten Wirtschaftslenker beim Weltwirtschaftsforum<br />

in Davos. Alljährlich wirft man<br />

dort in den verschneiten Schweizer Bergen einen<br />

Blick in die nahe und ferne Zukunft.<br />

Und selten waren Prognosen und Stimmung<br />

so düster wie <strong>2017</strong>. „Wir wissen nicht, was der<br />

Plan ist – wenn es so etwas wie einen Plan überhaupt<br />

gibt“, sagte Christine Lagarde, die Chefin<br />

des Internationalen Währungsfonds (IMF), und<br />

sprach vielen dort aus der Seele.<br />

Dabei war es selten so wichtig wie heute, einen<br />

Plan zu haben. Die Zahl der Konflikte auf der<br />

Erde hat sich verdoppelt, die politischen und<br />

wirtschaftlichen <strong>Risiken</strong> wachsen täglich. Hinzu<br />

kommen langfristige Herausforderungen wie<br />

Klimawandel, Wassermangel und Überbevölkerung.<br />

Der französische Kreditversicherer Coface<br />

hat kürzlich einen globalen Gefahrenindex erstellt,<br />

er zeigt eine Welt am Rande des Kollapses:<br />

c Ob nun Trump, der Brexit oder die Autokraten<br />

am östlichen Rand Europas (Putin, Erdogan,<br />

Lukaschenko) – der politische Kompass zeigt<br />

vielerorts längst nicht mehr Richtung Demokratie.<br />

c London, St. Petersburg, Berlin, Paris, Nizza,<br />

Istanbul, Boston, Stockholm – Terroranschläge<br />

machen vor keinem Ort halt. Der Funke<br />

einer kleinen Gruppe von Fanatikern im September<br />

2001 ist zu einem Weltbrand und zu<br />

einem globalen Glaubenskrieg angewachsen.<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

7


<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />

c Der Klimawandel, lange als „Expertenthema“<br />

belächelt, zeigt immer deutlicher Wirkung:<br />

Extremwetterlagen führen zu verheerenden<br />

Überschwemmungen wie derzeit in Peru oder<br />

zu biblischer Dürre wie in Afrika. Millionenfache<br />

Flucht und Migration sind unausweichlich.<br />

c Ein Dauergast beim Thema globale <strong>Risiken</strong><br />

ist die Überbevölkerung. Auch wenn das in<br />

Deutschland angesichts einer vergreisenden<br />

Gesellschaft gern vergessen wird – Millionen<br />

junger Menschen in anderen Ländern drängen<br />

auf den Arbeitsmarkt und wollen auch ihre<br />

Chance im Leben haben. Es kann durchaus<br />

als Erfolg der Entwicklungspolitik angesehen<br />

werden, dass diese jungen Leute heute auch<br />

gut ausgebildet sind, wobei das für den Frust<br />

des einzelnen sicher noch mal ein Extra-Boost<br />

ist.<br />

c Arbeitslosigkeit bzw. die tradierte Kopplung<br />

von Einkommen und Arbeit ist sowieso ein<br />

Megathema der Zukunft. Immer mehr Branchen<br />

durchlaufen einen Transformationsprozess<br />

von industrieller zu digitaler Ökonomie.<br />

Das verläuft sehr disruptiv und ungemütlich,<br />

und am Ende stehen immer super attraktive<br />

Geschäftsmodelle mit extrem wenig Mitarbeitern.<br />

Die Energiewirtschaft hat das bereits<br />

erfahren, der Bankensektor ist mittendrin<br />

und der Automobilsektor hat es noch vor sich.<br />

Wenn dann noch die Industrie 4.0 kommt und<br />

Kollege Roboter übernimmt, dann wird Arbeit<br />

zum Luxus.<br />

Und welche Möglichkeiten haben viele Staaten<br />

angesichts dieses giftigen Cocktails an Krisen?<br />

Wenn man den Blick in die Staatskassen wirft,<br />

so lautet die Antwort: So gut wie keine. EUweit<br />

liegt die Staatsverschuldung bei mehr als<br />

83 Prozent. Das ist derzeit kaum ein Problem,<br />

weil die Zinsen praktisch bei Null stehen. Wehe,<br />

wenn sich das ändert.<br />

Wir könnten diese Liste beliebig fortführen,<br />

aber jeder weiß im Grunde um die ungemütlichen<br />

Zeiten. „Politische <strong>Risiken</strong> sind von großer<br />

Bedeutung für Volkswirtschaften und Unternehmen.<br />

Sicherheitsrisiken wirken sich direkt<br />

auf die Unternehmensaktivität aus“, erklärt der<br />

Ökonom Mario Jung gegenüber der Welt. Er hat<br />

mit Kollegen für den Kreditversicherer Coface<br />

Daten aus 159 Ländern der Welt in einem Index<br />

zusammengetragen. Gerade für eine Exportnation<br />

wie Deutschland, schreibt die Welt weiter,<br />

seien solche Risikobewertungen essenziell. Wer<br />

Geld investiert, vor allem im Ausland, ist auf Sicherheit<br />

angewiesen.<br />

Spätestens seit der Finanz- und Wirtschaftskrise<br />

2008 / 2009 steht das Risikomanagement<br />

noch weiter oben auf der Agenda der Unternehmen.<br />

Die Beratungsgesellschaft PwC befragte<br />

vor nicht allzu langer Zeit 500 dieser Unternehmen,<br />

welche Konsequenzen sie daraus für ihre<br />

Risikostrategie ziehen, ob und wo es Verbesserungsbedarf<br />

gibt und an welchen Stellschrauben<br />

sie deshalb gedreht haben. Die Antworten darauf<br />

fallen eindeutig aus: Vier von fünf Befragten sind<br />

der Meinung, dass das Risikomanagement ihres<br />

Unternehmens während der Krise zufriedenstellend<br />

war, berichtet PwC. Ist das gut oder selbstzufrieden?<br />

Auch die PwC-Experten sehen im<br />

Risikomanagement noch viel Luft nach oben –<br />

vor allem durch eine stärkere Verzahnung mit<br />

der Unternehmensstrategie und eine ganzheitliche<br />

und systematische Risiko-Betrachtung<br />

und -Steuerung.<br />

Beim Thema ganzheitliche Sichtweise und Blick<br />

über den Tellerrand sekundiert man aus dem<br />

Bundesumweltministerium. Dort heißt es: „Ein<br />

formales Risikomanagement allein, beispielsweise<br />

nach ISO 31.000, versetzt die Unternehmen<br />

nicht in die Lage, die neuen und veränderten<br />

<strong>Risiken</strong> zu <strong>managen</strong>. So konnten die<br />

bestehenden Risikomanagementsysteme die<br />

globale Finanzkrise weder vorhersehen noch<br />

verhindern.“<br />

8 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />

Foto: behindlens / Fotolia.com<br />

Stimmt. Das liegt in der Logik von gängigen<br />

Risikomanagement-Modellen begründet. Dabei<br />

liegt landläufig der Schwerpunkt darauf, Fehler<br />

aus der Vergangenheit in der Zukunft zu vermeiden.<br />

Aus Schaden wird man klug, lautet ein<br />

bekanntes Sprichwort. Aber das ist noch keine<br />

Lösung für die Herausforderungen, dass sich<br />

das Wettbewerbsumfeld oder Rohstoffpreise<br />

schnell ändern können. Dennoch behalten kluge<br />

Unternehmer natürlich auch diese Aspekte<br />

im Blick. Die gängige Antwort auf wachsende<br />

Komplexität und Wettbewerbsdruck ist es,<br />

Produkte in immer schnelleren Zyklen bis zur<br />

Marktreife voranzutreiben. Brandgefahr bei Akkus<br />

wie jüngst bei Samsung oder gar kriminelle<br />

Energie bei der Abgasmessung wie bei Volkswagen<br />

sind dabei sicher nicht geplant, aber gar<br />

nicht so unerwartet. Die <strong>Risiken</strong> werden bei vielen<br />

Produkten aus der Produktionsphase in die<br />

Produktnutzungsphase verlagert. Man mindert<br />

also das Risiko der Produktionsunterbrechung<br />

und der Ausfallzeiten und riskiert dafür Qualitätsmängel,<br />

Reputationsrisiken und Rückrufaktionen.<br />

Nun gut. Man kann halt nicht alles haben. Aber<br />

man kann versuchen, das große Ganze im Blick<br />

zu behalten. Am Fraunhofer Institut raten die<br />

Wissenschaftler etwa zum „Aufbau eines systematischen<br />

Risikomanagements, das eine aktive<br />

Gestaltung und Steuerung der Produktqualität<br />

und eine ständige Verbesserung der Unternehmensleistung<br />

durch das Erkennen von <strong>Risiken</strong><br />

und Chancen ermöglicht.“ Ein solches Risikomanagement<br />

ist dann kein starres Korsett, sondern<br />

dynamisch und im Alltag anpassungsfähig.<br />

„Damit das Risikomanagement funktioniert,<br />

muss es sich nicht nur an den Zielen des Unternehmens,<br />

sondern auch an dessen Vision,<br />

Strategie und Kultur orientieren. Die Ziele, die<br />

ein Unternehmen mit seiner Risikostrategie<br />

verfolgt, müssen mit den übergeordneten Unternehmenszielen<br />

im Einklang stehen. Andererseits<br />

können wichtige Erkenntnisse aus dem<br />

Risikomanagement auch zu einer Anpassung<br />

der Unternehmensziele und -strategie führen“,<br />

erläutert Christof Menzies, Ansprechpartner bei<br />

Ereignisse, deren Eintreten (sehr)<br />

wahrscheinlich ist<br />

1 Extreme Wetterereignisse (Umweltrisiko)<br />

2 Massenhafte ungewollte Migrationsströme<br />

(gesellschaftliches Risiko)<br />

Ereignisse, deren Eintreten enorme<br />

Auswirkungen hätten<br />

1 Massenvernichtungswaffen<br />

(geopolitisches Risiko)<br />

2 Extreme Wetterereignisse (Umweltrisiko)<br />

3 Große Naturkatastrophen (Umweltrisiko) 3 Wasserkrisen (gesellschaftliches Risiko)<br />

4 Groß angelegte Terroranschläge<br />

(Geopolitisches Risiko)<br />

5 Massiver Vorfall von Datenbetrug/-diebstahl<br />

(Technologierisiko)<br />

4 Große Naturkatastrophen (Umweltrisiko)<br />

5 Versagen bei der Anpassung an<br />

Klimaveränderungen (Umweltrisiko)<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

9


<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />

PwC für das Thema. Er beklagt dabei, dass sich<br />

Unternehmen bislang zu stark auf Einzelrisiken<br />

fokussieren und dabei das Risikoumfeld insgesamt<br />

aus dem Blick verlieren: „Unternehmen<br />

müssen Abhängigkeiten erkennen und im Risikomanagement<br />

berücksichtigen. Nehmen wir<br />

als Beispiel ein Unternehmen, das Technologie<br />

für Raumfahrt und Verteidigung herstellt: Es<br />

muss besondere strategische <strong>Risiken</strong> beispielsweise<br />

bei der Entwicklung von Innovationen,<br />

operative <strong>Risiken</strong>, wie Produkthaftungsrisiken,<br />

finanzielle <strong>Risiken</strong>, wenn die Rohstoffpreise<br />

steigen und Compliance-<strong>Risiken</strong>, Stichwort<br />

Korruption, steuern. Neben diesen klassischen<br />

Risikokategorien gehören auch die sogenannten<br />

Emerging Risks zum Risikoumfeld. Das sind<br />

zukünftige globale <strong>Risiken</strong>, die sich nur schwer<br />

voraussagen lassen: Klimawandel, politische<br />

Instabilität oder auch Naturkatastrophen.“<br />

Und genau an dieser Schnittstelle kommen<br />

Nachhaltigkeit und CSR ins Spiel. Sie liefern<br />

die Themen und Megatrends, auf die Unternehmensziele<br />

und -strategien einzahlen müssen.<br />

Salopp gesagt: Wer keine Antworten auf die<br />

drängenden Fragen von morgen hat, der hat in<br />

dieser Zukunft eigentlich auch nichts verloren.<br />

Dazu schreiben Thomas Loew, Jens Clausen und<br />

Sabine Braun in einer Studie für das BMU: „Auch<br />

mit seiner Funktion als ‚Umfeldradar‘ leistet<br />

CSR einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung<br />

von <strong>Risiken</strong>.<br />

So sind zum Beispiel die von den CSR-Verantwortlichen<br />

initiierten Stakeholderdialoge nicht<br />

allein für das Erkennen und den Umgang mit<br />

Stakeholderanforderungen und -bedürfnissen<br />

wichtig, sondern können auch als Frühwarnsystem<br />

für die Unternehmensstrategie und<br />

einzelne Geschäftsprozesse dienen. Für eine risikobewusste<br />

Unternehmensführung, die (neue)<br />

Prioritäten setzt, ist ein modernes CSR-Management<br />

unverzichtbarer Baustein. Denn<br />

dieses hat grundsätzlich und unabhängig vom<br />

formalen Risikomanagement die Aufgabe, <strong>Risiken</strong><br />

im Kontext von ökologischen und sozialen<br />

Aspekten frühzeitig zu identifizieren, zu analysieren,<br />

zu bewerten, zu beobachten, im Unternehmen<br />

auf sie an geeigneter Stelle aufmerksam<br />

zu machen und Gegenmaßnahmen<br />

vorzuschlagen. Letztendlich geht es dabei um<br />

einen bewussten Umgang und eine Steuerung<br />

dieser <strong>Risiken</strong>.“ f<br />

Vertrauen ist gut,<br />

Kontrolle ist besser<br />

Bald jedem zweiten Unternehmen fehlt<br />

eine Risikomanagement-Strategie. Das<br />

ergab jüngst eine internationale Studie<br />

von DNV GL. Das bedeutet jede Menge<br />

Aufklärungsbedarf. An der Hochschule<br />

Magdeburg-Stendal unterrichtet der<br />

Wirtschaftsinformatiker Prof. Dr. Erwin<br />

Jan Gerd Albers deshalb Risikomanagement<br />

als Unterrichtsfach. Wir fragten ihn,<br />

was ein gutes Risikomanagement ausmacht.<br />

Hallo Herr Professor Albers, Sie unterrichten Risikomanagement<br />

an der Hochschule Magdeburg-Stendal.<br />

Das hat ja viel mit Sorgen und Vorsorgen zu tun.<br />

Kann man sagen, Sie bringen Ihren BWL-Studenten<br />

das Fürchten bei?<br />

Prof. Albers: Ganz im Gegenteil. Angst ist eine<br />

natürliche Reaktion des Menschen auf das Umweltgeschehen,<br />

aber viele Menschen schätzen<br />

die <strong>Risiken</strong> falsch ein und reagieren irrational.<br />

Einerseits entsteht Panik, wenn eine relativ<br />

kleine Gefahr z.B. durch Haifische oder ganz aktuell<br />

durch Terroranschläge droht, andererseits<br />

werden die erheblichen Verletzungsgefahren,<br />

z.B. im Straßenverkehr oder auf einer Baustelle,<br />

vielfach ignoriert. Wir wollen den Studierenden<br />

im Masterstudiengang „Risikomanagement –<br />

10 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />

Management von unternehmerischen <strong>Risiken</strong>“<br />

am Standort Stendal der Hochschule Magdeburg-Stendal<br />

vermitteln, die <strong>Risiken</strong> realistisch<br />

einzuschätzen, damit man diese effektiv steuern<br />

kann. Im Übrigen sind <strong>Risiken</strong> nicht nur<br />

Gefahren, sondern genauso Chancen unternehmerisch<br />

erfolgreich zu sein.<br />

Was gehört zum Rüstzeug eines guten Risikomanagers?<br />

Albers: Ein Fundament aus umfassenden betriebswirtschaftlichen<br />

Grundkenntnissen, vom<br />

Rechnungswesen über Kernfächer wie Finanzierung,<br />

Produktion, Personal etc. bis zu interdisziplinären<br />

Fächern wie Wirtschaftsrecht oder<br />

Wirtschaftsinformatik, ist unerlässlich. Letzteres<br />

ist übrigens mein Fachgebiet. Nicht ganz<br />

unwichtig sind Kenntnisse in der Anwendung<br />

mathematisch-statistischer Methoden und die<br />

Fähigkeit, durch Simulation die Auswirkungen<br />

von Entscheidungen zu ergründen.<br />

Gefühlt kommt es einem so vor, als nehmen Risikomanagement<br />

und Compliance-Fragen immer mehr<br />

Raum bei der Unternehmenssteuerung ein. Wird<br />

Globalisierung immer problematischer, oder haben<br />

wir einfach zu komplexe Lieferketten aufgebaut?<br />

Albers: Die Globalisierung und die damit verbundene<br />

zunehmende Arbeitsteilung in komplexen<br />

Lieferketten führen zu einer stärkeren<br />

Anonymisierung der Geschäftsbeziehungen. Je<br />

weniger sich die Geschäftspartner persönlich<br />

kennen und intuitiv vertrauen können, umso<br />

mehr müssen Instrumente eingesetzt werden,<br />

die dieses Vertrauen wieder herstellen. Diese<br />

Instrumente können vertrauensvolle Beziehungen<br />

nicht ersetzen, aber es gilt weiterhin<br />

der Leitspruch: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist<br />

besser.“<br />

Albers: Schäden wird man im Leben und auch im<br />

Unternehmen nie völlig vermeiden können, und<br />

kleine Schäden sollte man oft eher tolerieren,<br />

als einen riesigen Aufwand zu ihrer Vermeidung<br />

zu betreiben. Risikosteuerung bedeutet daher,<br />

Schadenshöhen und Eintrittswahrscheinlichkeiten<br />

richtig einzuschätzen und angemessene<br />

Maßnahmen zu ergreifen. Das kann ein<br />

Risikomanager nie ganz alleine machen, sondern<br />

sie /er ist immer auf eine vertrauensvolle<br />

Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern in den<br />

Fachgebieten angewiesen. Wenn dagegen der<br />

Überbringer einer schlechten Nachricht, d.h.<br />

eines Risikos, für dieses verantwortlich gemacht<br />

wird, dann verwundert nicht, dass die Informationsflüsse<br />

stocken.<br />

<strong>Risiken</strong> muss man unterscheiden zwischen solchen,<br />

deren Auftreten wahrscheinlich ist und solchen, die<br />

selten, dann aber heftig nachwirken. So sind politische<br />

<strong>Risiken</strong> wie die Brexit-Folgen bei vielen klar<br />

auf der Agenda, so langfristige Themen wie der Klimawandel<br />

dagegen eher selten. Wie holt man auch<br />

solche Themen auf der täglichen Agenda weiter nach<br />

oben?<br />

Albers: Bezug nehmend auf meine Antwort auf<br />

die erste Frage lautet meine Antwort: Leider<br />

sind vielen Leuten die immensen <strong>Risiken</strong> des<br />

Klimawandels nicht bewusst und werden darin<br />

noch durch einen Präsidenten bestärkt, der<br />

diesen völlig negiert. Während ein Straftäter<br />

erst dann verurteilt werden darf, wenn letzte<br />

Zweifel an seiner Schuld beseitigt sind (was<br />

viele Kleinbürger nicht verstehen), dürfen wir<br />

bei persönlichen, unternehmerischen oder gesellschaftlichen<br />

<strong>Risiken</strong> nicht warten, bis diese<br />

Realität geworden sind. Aufwendungen für<br />

die Abwehr einer drohenden Gefährdung sind<br />

keine Verschwendung gewesen, auch wenn das<br />

Ereignis nicht eingetreten wäre. Gutes Risikomanagement<br />

ist dadurch gekennzeichnet, dass<br />

nicht nur sichere Auswirkungen, sondern eben<br />

auch mögliche Folgen angemessen berücksichtigt<br />

werden.<br />

Vielen Dank für das Gespräch! f<br />

Beim Umgang mit <strong>Risiken</strong> im Unternehmen gilt<br />

meist das Prinzip: Aus Schaden wird man klug. Haben<br />

Sie Tipps, wie man <strong>Risiken</strong> smarter managt, damit<br />

das Kind nicht erst in den Brunnen fallen muss?<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

11


<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />

Risikomanagement<br />

Risikofelder<br />

Aktion<br />

c Strategische <strong>Risiken</strong><br />

z.B. Beteiligungen (Beteiligungspolitik, Ziele), Produkte<br />

(Auswahl der Produkte, Alter der Produkte), Investitionen<br />

(Kapital-, Sach- und Personalinvestitionen, Fehlentscheidungen),<br />

Standorte (falsche Bewertung, Länderrisiken,<br />

Konflikte)<br />

c Operative <strong>Risiken</strong><br />

z.B. Produkte (Qualität, Substitutionsmöglichkeit), Fertigung<br />

(techn. Entwicklung, Wirtschaftlichkeit, Ausfälle),<br />

Produktivität (Mensch - Maschine, Grad der Automation),<br />

Kapazität (Engpässe, Überkapazitäten), Kunden (Abhängigkeiten<br />

von Großkunden, Kundenstrukturen, Zufriedenheit)<br />

c Finanzielle <strong>Risiken</strong><br />

z.B. Liquidität (Insolvenz), Wechselkurs (Auslandsgeschäfte),<br />

Zinsänderung (Erhöhung der Leitzinsen)<br />

c Risikovermeidung<br />

(keine Geschäftstätigkeit mehr!)<br />

c Risikostreuung<br />

(Kunden- und Produktstruktur)<br />

c Risikobegrenzung<br />

(z. B. Bonitätsprüfung)<br />

c Risikoabwälzung<br />

(verschiedene Versicherungen, Lieferanten<br />

stärker in die Pflicht nehmen)<br />

c Risikoakzeptanz<br />

(mit Risiko leben)<br />

c Regulatorische <strong>Risiken</strong><br />

z.B. Umweltschutz (Nichtbeachtung von Umweltschutzauflagen,<br />

Betriebsstilllegungen, Kosten), Naturschutz (Auflagen,<br />

Verbote, geschützte Flächen), Arbeitsrecht (Änderung<br />

im Tarifrecht, Kündigungsschutz)<br />

c Personalrisiken<br />

z.B. Nachfolgeregelung in Familienunternehmen, Qualifikation<br />

(Kosten für Personalsuche und Einarbeitung,<br />

Fehlentscheidungen bei mangelnden Fachkenntnissen),<br />

Integrität (Diebstahl, Korruption), Fluktuation<br />

c Datenverarbeitung<br />

z.B. Systemstabilität (Zerstörung, Ersatz, Aufrechterhaltung<br />

der wichtigsten Funktionen), Datenschutz, Verfügbarkeit<br />

(Hardware, Software, Daten), Missbrauch (Autorisierung,<br />

Zugriffsberechtigung)<br />

c Politische <strong>Risiken</strong><br />

z.B. Wechsel der Regierung (neue Gesetze, Änderung<br />

von Gesetzen), politischer Stillstand, Verstaatlichung von<br />

Wirtschaftszweigen, mehr Einfluss des Staates auf die<br />

Wirtschaft<br />

Foto: Gajus / Fotolia.com<br />

12 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />

Maßnahmen<br />

Steuerung<br />

c Organisatorische Maßnahmen<br />

Funktionstrennung in sensiblen Bereichen (z. B.<br />

Beschaffen – Bezahlen, keine Einzelbankvollmachten,<br />

Vier-Augen-Prinzip), Sicherheitsmaßnahmen<br />

in der Informationstechnik (z. B. Berechtigungen,<br />

Datensicherung, Datenschutz), klare Arbeitsanweisungen<br />

(Stellenbeschreibungen, Organisationspläne)<br />

c Systematische Kontrollen<br />

Aufbau von Kostenstellen / Kostenträgerrechnung,<br />

Controlling (Plankostenrechnung, Kalkulationen,<br />

laufende Soll-Ist-Vergleiche für Absatz, Umsatz,<br />

Kosten, Ergebnis), Kontenfunktion laut GOBS,<br />

systematische Bestandsvergleiche (unterjährige<br />

Bestandsprüfungen)<br />

c Errichten eines internen Kontrollsystems – IKS<br />

„Vier-Augen-Prinzip“ bei allen wichtigen Prozessen,<br />

Berechtigungen und Entscheidungsbefugnisse<br />

eng und selektiv vergeben, wichtige Abläufe in<br />

Richtlinien festlegen (Beschaffung, Zahlungsverkehr,<br />

Rabatte, Debitorenpflege)<br />

c Aufbau von Frühwarnindikatoren<br />

Festlegung der Beobachtungsbereiche (Ermitteln<br />

von Bereichen zur Erkennung von latenten <strong>Risiken</strong>),<br />

Bestimmung der Frühwarnindikatoren je Bereich,<br />

Festlegung von Sollwerten und Toleranzgrenzen<br />

für einzelne Indikatoren (Wann muss eine Reaktion<br />

erfolgen?)<br />

c Markt als Indikator<br />

(Festlegen von Sollwerten und Toleranzen), z.B. die Marktleistung<br />

des Unternehmens wird durch den Marktanteil<br />

gezeigt (Gradmesser)<br />

c Produkte als Indikator<br />

(Festlegen von Sollwerten und Toleranzen), z.B. kann das<br />

Verharren bei „altbewährten Produkten“ den Verlust von<br />

Marktanteilen an innovative Konkurrenten bedeuten.<br />

c Produktion als Indikator<br />

(Sollwerte und Toleranz festlegen): Mögliche <strong>Risiken</strong> sind<br />

Produktionsfaktoren (Engpässe, Überkapazitäten, Qualität),<br />

Produktionsprozesse (Wirtschaftlichkeit, Reparaturen,<br />

Stand der Technik), Umweltgefährdung (Luft, Wasser,<br />

Lärm, Ressourcen)<br />

c Beschaffung als Indikator<br />

(Festlegen von Sollwerten und Toleranzen), z.B. Lieferkapazität<br />

(Angebots- und Nachfragemarkt), Lieferengpässe,<br />

Preisentwicklung, wirtschaftliche Lage des Lieferanten<br />

(Bonität), Transportrisiken, Lieferung „Just-in-time“ („Was,<br />

wenn es hier Probleme gibt?“)<br />

c Finanzierung als Indikator<br />

(Festlegen von Sollwerten und Toleranzen), z.B. Sicherung<br />

der Zahlungsfähigkeit (Vermeidung von Insolvenz), Minimierung<br />

der Finanzierungskosten, Liquidität<br />

Quelle: IHK Ulm<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

13


Standortrisiken<br />

Foto: bdStudios / iStockphoto.com<br />

Armes Mexiko.<br />

So fern von Gott, so<br />

nah an den USA.<br />

“Porfirio Díaz, ehem. mexikanischer Präsident<br />

14 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


Standortrisiken<br />

Trump<br />

Standortrisiko<br />

Was ist der optimale Standort für Unternehmen? Der, der Vorteile verschafft. Über Jahrzehnte<br />

war so ein Standort Mexiko: Günstige Produktionskosten vor Ort und der große<br />

Absatzmarkt USA vor der Tür. Doch dann kam Trump. Seitdem ist in Mexiko nichts mehr<br />

wie früher. Und jetzt? Wir sprachen darüber mit Johannes Hauser, Geschäftsführer der<br />

deutsch-mexikanischen Industrie- und Handelskammer.<br />

„Armes Mexiko. So fern von Gott, so nah an den<br />

USA.“ Der Satz des mexikanischen Präsidenten Porfirio<br />

Díaz ist über 100 Jahre alt. Aber er ist aktueller<br />

denn je. Das Verhältnis zu den USA ist seit dem<br />

Amtsantritt von Trump politisch gestört, aber ist es<br />

auch schon ökonomisch gestört?<br />

Johannes Hauser: Bisher nicht, denn an den<br />

wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hat sich<br />

ja nichts geändert. Das nordamerikanische Freihandelsabkommen<br />

NAFTA funktioniert uneingeschränkt.<br />

Aber natürlich herrscht Unsicherheit, nachdem<br />

Donald Trump NAFTA wiederholt als ein<br />

schlechtes Abkommen bezeichnet hat, das er<br />

neu verhandeln oder gar aufkündigen will. Eine<br />

Neuverhandlung böte den drei beteiligten Ländern<br />

Mexiko, USA und Kanada die Möglichkeit,<br />

aktuelle Entwicklungen etwa im Bereich der<br />

Dienstleistungen in den Vertragstext einzubinden.<br />

Das Abkommen besteht seit 1994, natürlich<br />

hat sich seitdem manches verändert, was<br />

bei Neuverhandlungen thematisiert würde. Das<br />

wäre kein ungewöhnlicher Vorgang. So tagen<br />

derzeit regelmäßig Expertengruppen in Mexiko-Stadt<br />

und Brüssel, um das Abkommen zwischen<br />

Mexiko und der EU zu aktualisieren.<br />

Sollte es keine Einigung geben und die USA<br />

kündigen das Abkommen auf, würden zunächst<br />

einmal die Zollsätze der Welthandelsorganisation<br />

WTO greifen. Die beliefen sich dann von<br />

Mexiko in die USA auf etwa zwei Prozent, wären<br />

also keine grundlegende Einschränkung für den<br />

Handel. Sollte Trump indes die WTO verlassen<br />

und die von ihm angekündigten Strafzölle von<br />

30 Prozent etwa auf die Einfuhr von Autos verhängen,<br />

hätte das verheerende Folgen. Nicht<br />

nur für den Handel zwischen den beiden Ländern,<br />

sondern für die Weltwirtschaft.<br />

Mexiko hat jahrelang von der Idee des „Nearshoring“<br />

profitiert. Dabei siedelten Unternehmen ihre Produktionsstätten<br />

in Grenznähe zu den USA an, um<br />

ihre Güter dann über die Grenze zu schaffen. Wenn<br />

Mexiko diesen Business Case nicht mehr hat, was<br />

bleibt dann?<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

15


Standortrisiken<br />

Hauser: Diese Art der Produktion, die in Mexiko<br />

als Maquila bezeichnet wird, besteht tatsächlich<br />

noch. Fernsehgeräte, Drucker, Monitore,<br />

Smartphones oder Waschmaschinen sind typische<br />

Produkte, die in Mexiko nach dem Prinzip<br />

der verlängerten Werkbank gefertigt werden.<br />

Das Modell schafft zwar Arbeitsplätze, geht aber<br />

nicht in die Tiefe. Mexikos Regierungsvertreter<br />

beklagen immer wieder, dass die Wertschöpfung<br />

bei der Maquila nur zu einem sehr geringen<br />

Teil in Mexiko stattfindet.<br />

Deswegen setzt man strategisch auf Branchen,<br />

in denen die Produktionsprozesse komplexer<br />

sind und in die Tiefe gehen, was etwa in der<br />

Luft- und Raumfahrtindustrie oder dem Automobilbau<br />

der Fall ist. Gerade bei den Automobilzulieferern<br />

hat sich ein hochkomplexer<br />

grenzüberschreitender Produktionsverbund<br />

entwickelt, der weltweit wohl einmalig ist. Hier<br />

liegen jedem von Mexiko exportierten Dollar<br />

US-Vorleistungen in Höhe von 40 Cent zugrunde.<br />

Studien zufolge hängen sechs Millionen Arbeitsplätze<br />

in den USA vom Handel mit Mexiko<br />

ab. Es ist zu hoffen, dass diese Tatsachen in der<br />

US-Regierung rasch für einen Lernprozess und<br />

ein Umdenken sorgen.<br />

In Mexiko hat sich in den vergangenen Monaten<br />

die Einsicht durchgesetzt, dass die Abhängigkeit<br />

von den USA zu groß ist. Immerhin gehen<br />

derzeit mehr als 80 Prozent der mexikanischen<br />

Exporte zum Nachbarn im Norden. Asien, Südamerika<br />

und Europa sind jetzt stärker im Fokus<br />

der Mexikaner. Immerhin unterhält das Land<br />

zwölf Freihandelsabkommen mit 46 Ländern,<br />

die mit mehr Leben gefüllt werden können.<br />

Die deutsch-mexikanischen Handelsbeziehungen<br />

entwickeln sich übrigens dynamisch, Mexiko<br />

ist das wichtigste Zielland deutscher Exporte<br />

nach Lateinamerika. Die mexikanischen Ausfuhren<br />

nach Deutschland legten 2015 um gut 20<br />

Prozent und im vergangenen Jahr um 15 Prozent<br />

zu.<br />

Sollte ein Unternehmen trotz Trump in Mexiko investieren?<br />

Hauser: Das wird jedes Unternehmen für sich<br />

entscheiden. Es ist völlig normal, dass die Firmen,<br />

die in Mexiko produzieren und von hier<br />

aus exportieren wollen, ihre Investitionspläne<br />

jetzt erst einmal kleiner fahren oder zurückstellen,<br />

bis die Politik für eine klare Perspektive<br />

sorgt. Unternehmen hingegen, die den mexikanischen<br />

Binnenmarkt mit über 120 Millionen<br />

Konsumenten im Fokus haben, halten nach unserer<br />

Beobachtung ohne Abstriche an ihren Plänen<br />

fest.<br />

Ein vermeintlich sicherer Standort wie Mexiko kann<br />

durch eine überraschende Wahl urplötzlich zum Risiko<br />

werden. Wie kann man sich aus Ihrer Sicht dagegen<br />

rüsten?<br />

Hauser: Je breiter man aufgestellt ist, desto unabhängiger<br />

ist man natürlich von überraschenden<br />

Entwicklungen auf einem Markt. Deutsche<br />

Unternehmen sind dafür bekannt, nicht alle<br />

Eier in einen Korb zu legen, sondern auf eine<br />

gute Balance zu achten.<br />

Für mexikanische Unternehmen gilt das nicht.<br />

Sie haben sich auf den US-Markt konzentriert,<br />

was nicht verwunderlich ist, wenn man den<br />

größten Einzelmarkt der Welt direkt vor der Tür<br />

hat. Sie müssen jetzt schnell lernen, ihre Aktivitäten<br />

zu diversifizieren. Die deutsch-mexikanische<br />

Industrie- und Handelskammer steht<br />

ihnen dabei beratend zur Seite. Denn viele Mexikaner<br />

wissen gar nicht, dass deutsche Konsumenten<br />

den Produkten aus anderen Ländern<br />

gegenüber sehr aufgeschlossen sind. Zudem<br />

genießt Mexiko ein gutes Image in Deutschland,<br />

das Produzenten etwa von Lebensmitteln<br />

oder Wellnessprodukten nutzen können. Und<br />

schließlich bieten die zahlreichen internationalen<br />

Leitmessen in Deutschland den mexikanischen<br />

Unternehmen eine hervorragende Möglichkeit,<br />

ihre Produkte einem Fachpublikum aus<br />

der ganzen Welt vorzustellen.<br />

Welche Rolle spielt Mexiko als Teil der Lieferkette für<br />

die deutsche Wirtschaft?<br />

Hauser: Motoren, Elektronik und Chemieprodukte<br />

gehören zu den Komponenten, die in nennenswerter<br />

Zahl von Mexiko nach Deutschland<br />

exportiert werden. Aber generell ist Mexikos<br />

Bedeutung für die Lieferketten in Deutschland<br />

eher gering. Hier in Mexiko dagegen werden die<br />

Logistik- und Zulieferketten immer komplexer,<br />

damit ein möglichst großer Teil der Komponenten<br />

lokal gefertigt wird und die Herkunftsregeln<br />

16 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


Standortrisiken<br />

Foto: AHK Mexiko<br />

für die verschiedenen Freihandelsabkommen<br />

erfüllt werden. Allein seit 2000 stieg die Zahl<br />

der deutschen Unternehmen in Mexiko um 800<br />

auf heute 1900. Das unterstreicht die große Bedeutung<br />

des Standorts.<br />

Man denkt bei Wirtschaft und Mexiko immer sofort<br />

an Volkswagen und die Automobilindustrie. Über<br />

welche anderen Branchen reden wir?<br />

Hauser: Die Automobilindustrie ist in der Tat der<br />

Motor der deutschen Präsenz. Volkswagen, Audi<br />

und demnächst Mercedes und BMW fertigen im<br />

Land. Zulieferbetriebe wie Bosch, Continental<br />

und ThyssenKrupp gehören zu den größten<br />

Arbeitgebern in Mexiko. Aber auch die Chemieund<br />

Pharmabranche ist vertreten, etwa durch<br />

BASF, Bayer, Boehringer Ingelheim und Altana<br />

Pharma, um nur einige Beispiele zu nennen.<br />

Siemens ist seit weit über 100 Jahren im Land,<br />

viele große deutsche Logistikanbieter sind in<br />

Mexiko aktiv.<br />

Standortrisiken sind nicht nur politischer Natur,<br />

sondern auch Sicherheitsfragen. Hier macht Mexiko<br />

mit den Gewalteskapaden, Morden und Entführungen<br />

durch die Drogenkartelle Schlagzeilen. Wie sehr<br />

schreckt das Investoren ab?<br />

Hauser: Wie überall in Lateinamerika ist die Kriminalität<br />

auch in Mexiko ein Thema. Mir ist aber<br />

kein deutsches Unternehmen bekannt, das wegen<br />

der Kriminalität Mexiko verlassen hat. Wir<br />

befragen in einer jährlichen Konjunkturumfrage<br />

unsere Mitgliedsunternehmen zu dem Thema.<br />

Es gibt von Jahr zu Jahr gewisse Schwankungen,<br />

aber ein sehr relevantes Thema ist es nur für einen<br />

geringen Teil der Mitglieder, bei der jüngsten<br />

Umfrage im Dezember 2016 waren es sechs<br />

Prozent.<br />

Wie wichtig sind CSR-Themen für mexikanische Firmen<br />

selbst? Machen die das aus eigenem Antrieb<br />

oder nur auf Druck der Lieferketten?<br />

Hauser: Die „Hire-and-Fire“-Mentalität entspricht<br />

auch in Mexiko nicht der deutschen Unternehmenskultur.<br />

Das macht die Firmen bei<br />

Arbeitnehmern traditionell beliebt. Soziale Programme<br />

etwa zur Prävention von Krankheiten,<br />

Fortbildungsangebote und die Einbeziehung<br />

der Familienangehörigen von Mitarbeitern sind<br />

weitere Pluspunkte. Dafür braucht es keinen<br />

Druck, solche Initiativen ergreifen die Unternehmen<br />

aus eigenem Antrieb. Natürlich mit<br />

der Absicht, die Mitarbeiter an sich zu binden –<br />

denn was ist besser für eine Firma als erfahrene<br />

Arbeitskräfte?<br />

Vielen Dank für das Gespräch! f<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

17


Standortrisiken<br />

Auf einen Blick:<br />

Wichtigste Unternehmensrisiken<br />

Großbritannien<br />

1 Betriebsunterbrechung<br />

J Reputationsrisiken<br />

J Cyberrisiken<br />

Frankreich<br />

USA<br />

1 Betriebsunterbrechung<br />

J Cyberrisiken<br />

J Fachkräftemangel<br />

1 Betriebsunterbrechung<br />

J Qualitätsmängel, Serienfehler<br />

J Feuer, Explosion<br />

Brasilien<br />

1 Betriebsunterbrechung<br />

J Politische/soziale Unruhen, Krieg<br />

J Cyberrisiken<br />

Amerika<br />

1 Betriebs- und Lieferkettenunterbrechung<br />

J Cyberrisiken<br />

J Fachkräftemangel<br />

Europa, Mittlerer Osten und Afrika<br />

1 Betriebs- und Lieferkettenunterbrechung<br />

J Cyberrisiken<br />

J Politische/soziale Unruhen, Krieg<br />

18 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


Standortrisiken<br />

in aller Welt<br />

Russland<br />

1 Feuer, Explosion<br />

J Marktstagnation oder -rückgang<br />

J Politische/soziale Unruhen, Krieg<br />

Deutschland<br />

1 Betriebsunterbrechung<br />

J Cyberrisiken<br />

J Politische/soziale Unruhen, Krieg<br />

China<br />

1 Feuer, Explosion<br />

J Naturkatastrophen<br />

J Marktstagnation oder -rückgang<br />

Australien<br />

1 Betriebsunterbrechung<br />

J Reputationsverlust<br />

J Verschärfter Wettbewerb<br />

Asien-Pazifik<br />

1 Betriebs- und Lieferkettenunterbrechung<br />

J Reputationsrisiken<br />

J Verschärfter Wettbewerb<br />

Quelle: Allianz Global Corporate & Specialty<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

19


Standortrisiken<br />

Ein Steuerungsinstrument in<br />

unruhigen<br />

Foto: MAZARS<br />

Zeiten?<br />

Die einen igeln sich auf ihrer Insel ein, der andere will Mauern bauen, der Dritte droht<br />

mit Grenzöffnung – die Welt ist unsicherer geworden. Das bekommen auch Unternehmen<br />

zu spüren. Kann hier Nachhaltigkeit ein Mittel sein, besser mit <strong>Risiken</strong> umzugehen<br />

zu lernen? Wir sprachen darüber mit Kai Michael Beckmann, der bei Roever<br />

Broenner Susat Mazars den CSR-Bereich leitet.<br />

Eines der wichtigsten Themen für Unternehmen<br />

heutzutage lautet Risikomanagement. Das zeigt sich<br />

an aktuellen Beispielen wie dem Brexit, der Wahl von<br />

Trump und den Ereignissen um Erdogan. Wie kann<br />

man sich als Firma auf solche Entwicklungen einstellen?<br />

Kai Michael Beckmann: Unternehmen können<br />

sich heute nicht mehr – und in Zukunft noch viel<br />

weniger – auf vieles verlassen, wie zum Beispiel<br />

den Bestand bestehender globaler Lieferketten.<br />

Nehmen wir ein Land wie die Türkei: Lange Zeit<br />

ein sicherer Hafen bietet es heute eine ungewisse<br />

Perspektive. Als Unternehmen hat man sich<br />

also ein globales Beschaffungs- und Vertriebssystem<br />

aufgebaut, das immer gut lief, plötzlich<br />

aber durch soziale, politische, klimatische<br />

Aspekte oder ähnliche Einflüsse – alle aus dem<br />

Umfeld Nachhaltigkeit – torpediert wird oder<br />

zum Teil kurzfristig auszufallen droht. Viele Unternehmen<br />

müssen feststellen, dass sie diesen<br />

Entwicklungen relativ ohnmächtig gegenüberstehen,<br />

bestand klassische Risikobewertung<br />

in der Vergangenheit häufig darin, allgemeine<br />

Reputations- oder Klimarisiken oder sonstige<br />

<strong>Risiken</strong> aufzulisten und pauschal zu bewerten.<br />

Eine dezidierte Risikobewertung, was diese Themen<br />

für die Lieferketten oder Vertriebssysteme<br />

bedeuten, hat in der Vergangenheit relativ wenig<br />

stattgefunden. Das war in vielen Risikomanagementansätzen<br />

einfach nicht vorgesehen.<br />

Nun wird das aber akut: Lieferkettentransparenz,<br />

Kooperationsfähigkeit.<br />

Wo hilft hier Nachhaltigkeit?<br />

Beckmann: Planbarkeit und Steuerung sind die<br />

Stichworte, das sind die erforderlichen Kernkompetenzen.<br />

In der Folge heißt das, dass das<br />

Steuerungsinstrumentarium erweitert werden<br />

muss. Nehmen wir als Beispiel die zunehmende<br />

Bedeutung des „Soft-Law“. Regulation wird<br />

global immer stärker durch Selbstverpflichtungen<br />

und Standards erweitert. Nur wenige Unternehmen<br />

erfassen und bewerten diese systematisch,<br />

etwa aus dem Compliance-Management<br />

heraus. Dabei werden dadurch wichtige Rahmenbedingungen<br />

definiert.<br />

Steuerungsfähigkeit ist ein gutes Stichwort: Da denkt<br />

man gleich an Stellschrauben, die gedreht werden.<br />

Viele ingenieurgeprägte mittelständische deutsche<br />

Unternehmen können wahrscheinlich mit so einem<br />

Bild sehr gut etwas anfangen. Aber: Gehen wir die<br />

Themen nicht zu mechanisch an? Gerade Nachhaltigkeit<br />

funktioniert meist nicht auf Knopfdruck ...<br />

Beckmann: Tatsächlich sind viele Unternehmen<br />

die Probleme recht formal angegangen und haben<br />

den eigenen Verantwortungsbereich sehr<br />

eng abgesteckt. Das CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz,<br />

das die Auswirkung der unterneh-<br />

20 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


Standortrisiken<br />

merischen Tätigkeit auf die Lieferkette in den<br />

Blickpunkt stellt, setzt hier neue Akzente. Doch<br />

die Grenzen der eigenen Einflussmöglichkeiten<br />

werden den Unternehmern schnell bewusst.<br />

Wenn ich etwa die Verantwortung für Lieferkettenvorstufen<br />

habe, die ich nicht einmal direkt<br />

beeinflussen kann, bedeutet das, dass ich vielleicht<br />

eine andere Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit<br />

sowie neue Partnerschaften<br />

brauche. Dazu ist allerdings – gerade international<br />

– neben Kompetenz insbesondere der Aufbau<br />

von Vertrauen und Glaubwürdigkeit erforderlich.<br />

Kai Michael<br />

Beckmann<br />

ist Director<br />

Governance,<br />

Risk und<br />

Compliance<br />

(GRC) bei<br />

Roever<br />

Broenner<br />

Susat<br />

Mazars<br />

Foto: Marion Lenzen<br />

Wie sieht so ein Kooperationsmodell praktisch aus?<br />

Beckmann: Das Thema Lieferkette wird die große<br />

Herausforderung der nächsten Jahre, wenn<br />

nicht Jahrzehnte, sein. Viele Unternehmen haben<br />

nicht die Möglichkeit, hier Transparenz<br />

herzustellen. Rechtlich gibt es sowieso zumeist<br />

nur den Durchgriff beim direkten Vertragspartner.<br />

Letztendlich werden wir zu Kooperationsmodellen<br />

kommen, wie wir sie in bestimmten<br />

Branchen bereits haben. Nehmen wir Industrieinitiativen,<br />

wie die „Together for Sustainability<br />

Initiative“ in der Chemiebranche, die bestimmte<br />

Standards für eine große Lieferantengruppe<br />

entwickelt und kontrolliert. Hier gibt es noch<br />

viel Arbeit für die Unternehmen, für die Politik,<br />

Verbände und auch für die internationalen<br />

Netzwerke, denn der Anspruch und die bestehenden<br />

Möglichkeiten der Unternehmen liegen<br />

noch weit auseinander. Das ist hoch komplex,<br />

dabei stehen wir erst am Anfang.<br />

Wenn einmal in Gang gekommen – was wird sich<br />

Ihrer Einschätzung nach durchsetzen können?<br />

Beckmann: Für viele Unternehmen wird das<br />

Stakeholdermanagement zum Schlüssel für<br />

erfolgreiche Kooperationsmodelle werden. Gefragt<br />

ist ein zielgerichtetes, internationales<br />

Stakeholdermanagement, um etwa an Informationen<br />

über Zustände in unübersichtlichen<br />

Regionen zu gelangen oder frühzeitig mit einem<br />

Partner typischen <strong>Risiken</strong> – etwa in der Produktion<br />

– entgegenzuwirken. So ist es leichter,<br />

eine realistischere Einschätzung darüber zu gewinnen,<br />

ob in einer entfernten Region akuter<br />

Handlungsbedarf besteht oder auch, ob in ausgewählten<br />

Lieferkettenabschnitten perspektivisch<br />

neue relevante Anforderungen entstehen.<br />

Diese international ausgerichtete Risikobewertung<br />

wird immer wichtiger, denn Lieferketten<br />

sind heute fast immer international.<br />

Nachhaltigkeit wird von der Politik heute im Zusammenhang<br />

mit den UN-Entwicklungszielen (SDGs)<br />

diskutiert. Diese fordern eine viel stärkere gesellschaftliche<br />

Ausrichtung ein. Wie drückt sich das im<br />

Unternehmen aus?<br />

Beckmann: Die SDGs entwickeln sich zunehmend<br />

zum übergeordneten Orientierungsrahmen<br />

mit vergleichbaren Ausprägungen für<br />

Branchen und Regionen. Wenn ein Unternehmen<br />

global aktiv ist – ob über globale Lieferketten<br />

oder die Internationalität des Unternehmens<br />

– reicht eine SDG-Analyse für die deutsche<br />

Zentrale nicht mehr aus. Bisher war die Frage<br />

in Unternehmen, welche Auswirkungen haben<br />

Klima oder soziale und ökologische Aspekte<br />

auf mein Unternehmen? Jetzt lautet die Frage:<br />

Welche Auswirkungen hat mein unternehmerisches<br />

Tun auf diese Themen? Diese Verantwortungsumkehr<br />

fragt direkt nach Lieferkettentransparenz.<br />

Die SDG-Analyse verbindet dann<br />

z.B. die aus Afrika stammenden Rohstoffe mit<br />

konkreten Herausforderungen. Mit diesen wird<br />

sich das Unternehmen auseinandersetzen müssen,<br />

zunächst unabhängig seiner Einflussmöglichkeiten.<br />

Auf jeden Fall ist diese Transparenz<br />

zunächst einmal Grundlage für unternehmerische<br />

Entscheidungen. Denn erst jetzt kann eine<br />

angemessene Risiko-und Chancenanalyse erfolgen<br />

und das Unternehmen sukzessive seine<br />

Steuerungsfähigkeit erweitern.<br />

Vielen Dank für das Gespräch! f<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

21


Rechtliche <strong>Risiken</strong><br />

Perspektivwechsel:<br />

Klassisches Compliance-<br />

Verständnis als Risiko<br />

Eine Fokussierung auf ‚Brand awareness‘, also die Bekanntheit einer Marke und das<br />

Bewusstsein über ihren Wert, bedeutet heutzutage mehr als nur ein Interesse daran<br />

zu haben, wie eine Marke wahrgenommen wird. Für Konsumenten, Mitarbeiter,<br />

Stakeholder und Unternehmen umfasst dieses Bewusstsein immer mehr auch die<br />

ethisch-ökologische Gesinnung, die eine Marke verkörpert.<br />

Von Harald Nikutta und Matthew Kinch<br />

Neue Herausforderungen für Unternehmen<br />

Unternehmen haben dieses neue Bewusstsein<br />

und die damit steigende Messlatte zu den Anforderungen<br />

an ihr Tun wahrgenommen. Sie<br />

verstehen, dass das ‚Wie‘ ihrer Tätigkeiten genauso<br />

wichtig geworden ist wie das ‚Was‘. Es<br />

sind Antworten zu anderen Fragen gefordert:<br />

c „Wie transparent und regelkonform agieren<br />

unsere Geschäftspartner?“<br />

c „Wie fair behandeln wir unsere Mitarbeiter?<br />

c „Wie nachhaltig sind die Quellen unserer<br />

Rohstoffe, und zwar sowohl in Bezug auf die<br />

Verlässlichkeit als auch mit Blick auf ökologische<br />

Anforderungen?“<br />

Dieses Nachhaltigkeitsbewusstsein wächst global<br />

je nach aktueller Situation mit unterschiedlicher<br />

Geschwindigkeit und unterschiedlichem<br />

Fokus.<br />

Auf weltweit agierende Unternehmen hat dies<br />

einen signifikanten Einfluss – insbesondere<br />

auf die Bedeutung und die Aktivitäten rund um<br />

Compliance. Ausgehend vom reinen Schutz des<br />

Unternehmens gegen den (un)absichtlichen<br />

Verstoß gegen Gesetze und Vorschriften erweitert<br />

sich ihr Mandat hin zur aktiven Unterstützung<br />

des Erreichens von Geschäftszielen.<br />

Die meisten Unternehmen haben inzwischen<br />

verstanden, dass Transparenz bei den Themen<br />

Verantwortung und Compliance Wettbewerbsvorteile<br />

schafft und im Extremfall sogar ihre<br />

Existenz sichern kann. Entsprechend rücken<br />

einige Themen nach und nach in den Fokus –<br />

selbst bei den nur bedingt regulierten, international<br />

agierenden Mittelständlern.<br />

Eines dieser Themen lautet Business Partner<br />

Screening – ein weit über die Lieferkette hinausgehendes<br />

Thema. Spätestens bei dem Versuch,<br />

einen systematischen Ansatz für den<br />

Umgang mit Geschäftspartnern zu entwickeln,<br />

werden den meisten Unternehmen Ausmaß und<br />

strukturelle Komplexität ihrer wirtschaftlichen<br />

Verflechtung bewusst. Dies hat zwei erkennbare<br />

Konsequenzen:<br />

Zum ersten die Beurteilung der potenziellen<br />

<strong>Risiken</strong>, die von Geschäftspartnern ausgehen<br />

können, sowie den entsprechenden Umgang mit<br />

ihnen: Je nach Einschätzung des Risikos können<br />

Geschäftspartner in unterschiedlicher Tiefe<br />

überprüft werden, und zwar über das „Onboarding“<br />

hinaus. Dies erlaubt es, Zeit und finanzielle<br />

Ressourcen auf diejenigen Geschäftspartner<br />

zu konzentrieren, die das höchste Compliance-<br />

Risiko darstellen. Abgesehen von Konstellationen,<br />

in denen Unabhängigkeit gefordert ist,<br />

sind es genau diese Fälle, die den Einbezug spezialisierter<br />

Berater notwendig machen können.<br />

22 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


Rechtliche <strong>Risiken</strong><br />

Foto: iStockphoto.com<br />

Zum zweiten ein Überdenken der historisch<br />

gewachsenen Struktur eigener wirtschaftlicher<br />

Verflechtungen: So kann eine klare Fokussierung<br />

auf Verfügbarkeit und Qualität,<br />

oder auch auf Verlässlichkeit und Wirksamkeit<br />

zu einer deutlichen Reduzierung der Anzahl an<br />

Geschäftspartnern führen. Dies wirkt sich auf<br />

die Intensität aus, mit der mögliche <strong>Risiken</strong><br />

analysiert und schließlich mitigiert werden<br />

können.<br />

Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit können<br />

Hand in Hand gehen<br />

Ein Beispiel: Ein Unternehmen reduziert in<br />

wenigen Jahren die Anzahl seiner Zulieferer<br />

und anderer Geschäftspartner von ursprünglich<br />

3.000 auf einen Bruchteil. Durch die vereinfachte<br />

Struktur und die geringere Anzahl<br />

von Geschäftspartnern gestaltet sich die<br />

Durchführung von Third Party Due Diligences<br />

als wesentlich einfacher und ressourcenschonender.<br />

Third Party Due Diligences helfen Unternehmen<br />

dabei, herauszufinden, wie seriös<br />

ihre (potenziellen) Geschäftspartner sind.<br />

Aufgrund der besseren Transparenz beginnt<br />

das Unternehmen aktiv, seinen Anforderungskatalog<br />

an die Geschäftspartner zu gestalten<br />

und so sein Tun und seine Marke aktiv zu entwickeln.<br />

Aus einem rein risikoorientierten Ansatz<br />

hat sich ein markenbildender und schließlich<br />

wertschöpfender Vorgang entwickelt.<br />

Speziell unter Zulieferern entwickelt sich nach<br />

und nach ein Bewusstsein für die Notwendigkeit,<br />

bestimmte Compliance-Strukturen<br />

einzuführen. Insbesondere gehört hierzu das<br />

Wissen, welche Compliance-Verpflichtungen<br />

bereits wirksam und verbindlich eingegangen<br />

worden sind, zum Beispiel in Rahmenverträgen<br />

mit Kunden.<br />

Dieser Trend ist vor allen Dingen durch Schadensfälle<br />

motiviert. Unternehmen lernen aus<br />

eigenen Erfahrungen und den Erfahrungen<br />

Dritter. Sie haben generell ein hohes Interesse<br />

daran, erkannte Schadenspotenziale durch<br />

Prävention abzuwenden. Denn je näher der<br />

Einschlag kommt, desto intensiver ist die eigene<br />

Betroffenheit und die dadurch ausgelöste<br />

Bereitschaft zu agieren. Ein besonders<br />

wirksames Beispiel ist der Verlust von Kunden<br />

durch einen Mangel an Compliance-Strukturen,<br />

oder noch unmittelbarer der Verlust von<br />

Geld, beispielsweise durch sogenannte ‚Fake<br />

CEO‘-Angriffe, die gerade in den letzten Jahren<br />

vermehrt auftraten. Beim „Fake CEO“-Trick<br />

geben sich Betrüger als Mitglied der Chefetage<br />

aus und weisen Mitarbeiter zum Beispiel an,<br />

große Summen auf bestimmte Konten zu überweisen.<br />

Aufgrund unserer forensischen Praxis<br />

konnten wir Unternehmen auch in diesen Fällen<br />

erfolgreich unterstützen und Maßnahmen<br />

einleiten, um Angriffe dieser Art zukünftig zu<br />

vermeiden.<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

23


Rechtliche <strong>Risiken</strong><br />

Dieser Mangel an Strukturen stellt mittelgroße<br />

Unternehmen natürlich vor eine enorme Herausforderung,<br />

denn es fällt ihnen schwer, mit<br />

ihren beschränkten Mitteln eine angemessene<br />

und wirksame Compliance-Struktur aufzubauen<br />

und langfristig zu betreiben – vor allen<br />

Dingen bei internationalisierten Aktivitäten.<br />

Diese Unternehmen übersehen allerdings häufig,<br />

dass das ‚klassische‘ Modell, basierend auf<br />

Richtlinien und Regeln, in vielen Fällen deutlich<br />

überzogen ist. Nach unserer Erfahrung besteht<br />

der Schlüssel zu einem effektiven Compliance-<br />

System weniger im Umfang detaillierter Richtlinien<br />

und Prozesse, sondern vielmehr darin,<br />

wie verständliche Regelungen wirksam und<br />

nachhaltig umgesetzt werden. Statt der „klassischen“,<br />

rechtlichen Sicht vertreten wir daher<br />

eine funktionale Herangehensweise, da wir bei<br />

der Analyse von Compliance-Vorfällen immer<br />

wieder feststellen, dass Unternehmen gewaltige<br />

Mengen an Geld, Zeit und Ressourcen in<br />

den Aufbau von Prozessen, Richtlinien und umfassenden<br />

Risiko-Registern investieren, dabei<br />

aber den Blick auf ihre interne Arbeitskultur<br />

vernachlässigen. Doch es ist gerade der unzureichend<br />

berücksichtigte ‚Faktor Mensch‘, der<br />

dann zur Aushebelung dieser Compliance-Systeme<br />

führt.<br />

Diese etwas ernüchternde Erkenntnis lässt sich<br />

aber auch positiv betrachten: Eine wachsende<br />

Zahl von Unternehmen hat verstanden, dass<br />

das sichtbare ethische Verhalten ihrer Mitarbeiter<br />

– insbesondere ihrer Führungskräfte und<br />

Mittel-Manager – zu einer stark verankerten<br />

‚Compliance-Kultur‘ führen kann, die das Unternehmen<br />

organisch durchdringt und prägt.<br />

Das hat zur Folge, dass Betrug, Bestechung oder<br />

korruptes Verhalten in einem geringeren Maß<br />

in Erscheinung treten oder schneller aufgedeckt<br />

werden. In der Konsequenz bedeutet dies, dass<br />

Firmen, die ihre Mitarbeiter und Führungskräfte<br />

kontinuierlich schulen und ausbilden, weniger<br />

Vorschriften und geregelte Prozesse benötigen,<br />

um den gewünschten Compliance-Schutz<br />

zu erlangen.<br />

Der Compliance-Ansatz muss zum Unternehmen<br />

und zur gelebten Kultur passen<br />

Ein Beispiel: Betrachten wir ein in Deutschland<br />

tätiges internationales Unternehmen aus dem<br />

Bereich der Gewerbeimmobilien. Sein Compliance-System<br />

ist durch eine geringe Anzahl von<br />

verständlich geschriebenen Richtlinien und<br />

ausführliche Schulungen für Mitarbeiter geprägt.<br />

Der Schwerpunkt wird auf das Erkennen<br />

und Melden von potenziellen oder tatsächlichen<br />

Compliance-Verstößen gelegt. In regelmäßig<br />

stattfindenden Schulungen werden realitätsnahe<br />

Fallbeispiele besprochen, um die wesentlichen<br />

Compliance-Bereiche vorzustellen und zu<br />

diskutieren. Oft sind die Diskussionen in diesen<br />

von uns durchgeführten Workshops lebhaft und<br />

sogar hitzig, aber gerade dies ist ihr Wert: Mitarbeitern<br />

bleiben konkrete Beispiele länger im<br />

Gedächtnis als Richtlinien. Zudem wissen sie<br />

genau, wo und von wem sie sich Rat und Unterstützung<br />

einholen können.<br />

Ähnliche Beispiele findet man in Deutschland<br />

etliche. Dennoch ist dieser Ansatz für Unternehmen<br />

deutscher Prägung und Herkunft noch<br />

immer vergleichsweise neu – um nicht zu sagen<br />

‚fremd‘. Woran liegt das? Möglicherweise kann<br />

man die Ursache darin sehen, dass Unternehmen<br />

deutscher Prägung besonders auf klar definierte<br />

Prozesse und Regeln achten – und weniger<br />

auf menschliche Dynamik.<br />

Ein Mitdenken in Verbindung mit der Möglichkeit,<br />

Bedenken ohne Konsequenzen äußern<br />

zu können – zum Beispiel gegenüber internen<br />

Ansprechpartnern oder über anonyme Hinweisgebersysteme<br />

– beispielsweise Whistleblowing-Hotlines<br />

– ist ein wirksamer Weg, unethische,<br />

betrügerische und korrupte Handlungen<br />

in Unternehmen oder bei ihren Geschäftspartnern<br />

zu identifizieren – im Idealfall natürlich,<br />

bevor sie zu einer Krise führen. Unternehmen,<br />

die diesen Weg einschlagen, bauen erfahrungsgemäß<br />

nachhaltige Compliance-Systeme auf<br />

und können Geschäftspartnern, Konsumenten<br />

und der Gesellschaft allgemein so zeigen, dass<br />

sie ein vertrauenswürdiges Unternehmen sind.<br />

Welche Entwicklungen die Compliance in international<br />

agierenden Unternehmen prägen und<br />

welche Trends sich daraus ergeben, finden sich<br />

in unserem aktuellen Compliance Survey <strong>2017</strong>.<br />

Die zentralen Ergebnisse des Surveys sind:<br />

c Die Compliance-Funktionen großer Unternehmen<br />

sind chronisch unterbesetzt: Ein<br />

Viertel der großen Unternehmen investiert<br />

24 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


Rechtliche <strong>Risiken</strong><br />

weniger als $25 pro Mitarbeiter jährlich für<br />

Compliance; die Compliance-Teams von 28 %<br />

der großen Unternehmen bestehen aus fünf<br />

oder weniger Personen.<br />

c Compliance ist erst sehr bedingt im Bewusstsein<br />

der oberen Führungsetage angekommen:<br />

Nur 27 % der für Compliance zuständigen<br />

Führungskräfte nehmen an allen Vorstandssitzungen<br />

teil.<br />

Whistleblowing, anstatt aktiv die Initiative zu<br />

ergreifen und gezielt Prüfungen zur Aufdeckung<br />

von Korruptions- und Fraud-Fällen zu<br />

initiieren.<br />

c Compliance-Maßgaben weltweit tätiger Unternehmen<br />

sind ausgesprochen heterogen. f<br />

c Compliance-Beauftragte nutzen sehr eingeschränkt<br />

technologische Möglichkeiten, um<br />

effektiver arbeiten zu können.<br />

c Compliance-Beauftragte sind noch immer<br />

eher reaktiv: Zwei Drittel verlassen sich auf<br />

Über die Autoren:<br />

Harald Nikutta ist Senior Partner und Matthew<br />

Kinch Associate Director und Compliance Experte bei<br />

Control Risks.<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

25


Rechtliche <strong>Risiken</strong><br />

Milliardenschäden durch<br />

Produkt- und Markenpiraterie<br />

Deutsche Unternehmen erleiden jährlich einen wirtschaftlichen Schaden in Höhe von<br />

56 Milliarden Euro durch Marken- und Produktpiraterie. Dabei sind sich die Käufer von<br />

Fälschungen über die negativen Folgen durchaus bewusst. Zu diesen Ergebnissen<br />

kommt die Studie „Intellectual Property Protection“ aus 2015 von EY.<br />

Von Sonja Scheferling<br />

400 gefälschte Smartphones, über 24.000 Liter<br />

nachgeahmter Tequila und über 22.000 Lego-Nachbildungen:<br />

Das sind nur drei Beispiele<br />

von Produktfälschungen, die der deutsche Zoll<br />

im vierten Quartal 2015 sichergestellt hat. „Die<br />

Marken- und Produktpiraterie ist ein Hemmschuh<br />

für fairen Wettbewerb und neue Arbeitsplätze.<br />

Dies gilt insbesondere für ein Land wie<br />

Deutschland, in dem hochwertige Produkte hergestellt<br />

werden“, heißt es dazu vom Zoll.<br />

Wie hoch der wirtschaftliche Schaden durch<br />

Produkt- oder Markenpiraterie ist, wird exemplarisch<br />

an Zahlen deutlich, die der Verband<br />

Deutscher Maschinen- und Anlagenbau 2014<br />

veröffentlicht hat: Demnach gehe der Branche,<br />

die neben der Automobilindustrie am meisten<br />

von Verletzungen geistiger Eigentumsrechte<br />

betroffen ist, ein Umsatz von knapp acht Milliarden<br />

Euro jährlich verloren; und damit 38.000<br />

Arbeitsplätze.<br />

Fälscher handeln schnell<br />

„Plagiate minderer Qualität können dem Wirtschaftsstandort<br />

Deutschland nachhaltig schaden.<br />

Weil sich Unternehmensgewinne aufgrund<br />

von Fälschungen reduzieren, werden<br />

Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen<br />

verringert oder aufgeschoben“, informiert EY<br />

in der Studie „Intellectual Property Protection“.<br />

Viele Unternehmen investierten nicht, weil sie<br />

kurzfristig Nachahmungen ihrer neuen Produkte<br />

erwarten. Von insgesamt 550 befragten<br />

Unternehmen gaben knapp 60 Prozent an, innerhalb<br />

des ersten Jahres nach Einführung eines<br />

neuen Produktes mit Plagiaten konfrontiert<br />

zu werden. Fast jedes zehnte Unternehmen ist<br />

bereits innerhalb des ersten Monats davon betroffen.<br />

Marken- und Produktpiraterie hat darüber hinaus<br />

negative Auswirkungen auf die Unternehmensreputation<br />

und das Image einzelner<br />

Produkte. Insbesondere bei häufig gefälschten<br />

Marken könne EY zufolge die Kundennachfrage<br />

abnehmen, wenn ein Produkt dauerhaft mit<br />

Plagiaten assoziiert wird: „Da der Erfolg vieler<br />

deutscher Unternehmen auf der Qualität ihrer<br />

Produkte basiert, fürchten sie einen Markenwertverlust<br />

durch ähnliche, aber weniger<br />

hochwertige Plagiate“, heißt es in der Studie.<br />

Insgesamt messen die befragten Unternehmen<br />

so dem Imageschaden eine größere Bedeutung<br />

bei als dem direkten finanziellen Schaden durch<br />

Umsatzeinbuße.<br />

Wo kommen die Plagiate her?<br />

Produkte werden dann gefälscht, wenn ein Absatzmarkt<br />

vorhanden ist und die Plagiate günstiger<br />

als das Original hergestellt und angeboten<br />

werden können. Dabei übersteigen die Gewinnmargen<br />

der Fälscher teilweise die der Originalhersteller,<br />

obwohl die Preise der Plagiate<br />

deutlich unter denen der Originale liegen. Der<br />

größere Gewinn entsteht, weil die Fälscher keine<br />

Kosten durch die Produktentwicklung oder Werbung<br />

haben. Darüber hinaus haben sie niedrigere<br />

Lohnnebenkosten, sparen an Material oder<br />

verwenden minderwertige Komponenten.<br />

Als Hauptproduktionsstandorte von Fälschungen<br />

sehen die Unternehmen in erster Linie Chi-<br />

26 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


Rechtliche <strong>Risiken</strong><br />

Foto: Marion Lenzen<br />

na (72 Prozent), Südostasien (39 Prozent) und<br />

Osteuropa (36 Prozent) an: „In diesen Ländern<br />

gelten in der Regel weniger strikte arbeits- und<br />

umweltrechtliche Auflagen. Auch die behördliche<br />

Verfolgung von Fälschern ist in solchen<br />

Ländern und Regionen oft unzureichend.“ Dadurch<br />

könnten die Fälschungen unter anderen<br />

Bedingungen produziert werden als beispielsweise<br />

in Westeuropa oder den USA.<br />

Verbraucher wissen, was sie tun<br />

32 Prozent der 1.000 Verbraucher, die in der Studie<br />

befragt wurden, haben in der Vergangenheit<br />

ein Plagiat gekauft – mehrheitlich in vollem Bewusstsein.<br />

Dabei haben sie die Käufe vor allem<br />

auf sogenannten fliegenden Märkten getätigt.<br />

Über den Einzelhandel wurden 35 Prozent der<br />

Fälschungen bezogen. Das Internet spielt beim<br />

Kauf von Plagiaten nur eine untergeordnete<br />

Rolle: Lediglich elf Prozent der Käufer, die in<br />

den letzten zwei Jahren bewusst eine Fälschung<br />

erworben haben, taten dies online.<br />

Verbraucher sind in der Regel über die negativen<br />

Auswirkungen von Produkt- und Markenpiraterie<br />

für die betroffenen Unternehmen aufgeklärt,<br />

unabhängig davon, ob sie selbst Plagiate gekauft<br />

haben oder nicht. So schätzen 86 Prozent der<br />

Befragten eine potenzielle Gefährdung von Arbeitsplätzen<br />

sowie Umsatzeinbußen durch Fälschungen<br />

als mittelgroß bis groß ein. Auswirkungen<br />

auf die eigene Sicherheit und Gesundheit<br />

schrecken aber die meisten Verbraucher vom<br />

Kauf der Fälschungen ab. Dementsprechend ist<br />

die gezielte Aufklärung der Konsumenten über<br />

Unfall- und Gesundheitsrisiken ein wirksames<br />

Mittel, um sie von möglichen Plagiats-Käufen<br />

abzuhalten.<br />

Schutzmaßnahmen<br />

„Unternehmen steht heute eine breite Palette<br />

an Instrumenten und Möglichkeiten zur Verfügung,<br />

um gegen Fälscher ihrer Marken und Produkte<br />

vorzugehen“, erklärt Götz. Dazu gehören<br />

etwa rechtliche Maßnahmen wie Eintragung von<br />

Schutzrechten, die Rechtsdurchsetzung bei Verstößen<br />

sowie interne Maßnahmen wie IP-Richtlinien<br />

für Mitarbeiter. Allerdings würden Unternehmen<br />

insgesamt zu wenig finanzielle<br />

Mittel aufwenden, um ihr geistiges Eigentum zu<br />

schützen. Darüber hinaus zeigt die Studie von<br />

EY, dass die Unternehmen ihre Mitarbeiter nur<br />

unzureichend für den IP-Schutz sensibilisieren.<br />

„Ein wirksamer Schutz geistigen Eigentums kann<br />

nur durch ein Zusammenspiel von Maßnahmen<br />

und eine abgestimmte Zusammenarbeit mit externen<br />

Interessensgruppen wie Verbänden, Verbraucherschutz,<br />

Behörden und Politik funktionieren“,<br />

erklärt Götz. „Erst wenn ein stärkeres<br />

Bewusstsein in Unternehmen und Gesellschaft<br />

für die zunehmenden <strong>Risiken</strong> und Schäden von<br />

Produkt- und Markenpiraterie geschaffen ist,<br />

kann effektiver IP-Schutz funktionieren.“ f<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

27


Rohstoffrisiken<br />

<strong>Globale</strong><br />

Rohstoffumbrüche<br />

erfordern<br />

Umdenken<br />

Rohstoffverarbeitende Unternehmen finden in internationalen Märkten nicht nur Chancen,<br />

sondern sehen sich auch mit einer Vielzahl von Herausforderungen und teilweise<br />

sehr kurzfristigen Handlungszwängen konfrontiert. Dazu gehören etwa Veränderungen<br />

auf den Kapitalmärkten, der verschärften Konkurrenz aus dem In- und Ausland oder<br />

sich ändernde politische und rechtliche Rahmenbedingungen wie etwa im Bereich des<br />

Umweltrechtes oder gesetzlich geforderter Produktdeklarationen. Neben all diesen Dynamiken<br />

im Unternehmensumfeld kommt in den vergangenen Jahren ein mittlerweile<br />

hochaktuelles Thema hinzu: Die Beschaffung von Metallen und Mineralien.<br />

Foto: Tomas Sereda / iStockphoto.com<br />

28 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


Rohstoffrisiken<br />

Von Dr. Simon Meißner<br />

Um den wachsenden Anforderungen angesichts<br />

eines zunehmenden Komplexitätsgrades und<br />

der hohen Dynamik innerhalb des Unternehmensumfeldes<br />

gerecht zu werden, kommt der<br />

Transparenz und der Kommunikation entlang<br />

der Lieferkette eine immer größere Bedeutung<br />

zu – nicht zuletzt, um trotz kurzer Reaktionszeiten<br />

sichere unternehmerische Entscheidungen<br />

treffen zu können.<br />

Insbesondere auf den Rohstoffmärkten hat<br />

sich in den vergangenen zehn bis 15 Jahren eine<br />

Trendwende ergeben, die eine erhöhte Aufmerksamkeit<br />

seitens der Wirtschaft und der Politik<br />

mit Blick auf drohende Versorgungsrisiken<br />

erfordert. Maßgeblich verantwortlich hierfür ist<br />

die langanhaltende Wirtschaftsdynamik Asiens<br />

sowie vieler Schwellenländer, die gravierende<br />

Auswirkungen auf das Angebot und die Nachfrage<br />

nach Rohstoffen und Energie zur Folge<br />

haben. Hiervon betroffen sind vor allem strategisch-metallische<br />

Rohstoffe wie Stahl, Kupfer,<br />

Zink und Edelmetalle oder Spezialrohstoffe wie<br />

Indium, Gallium oder Seltene Erden, also meist<br />

hightech-relevante Rohstoffe mit einem breiten<br />

Anwendungsportfolio und einem weltweit<br />

überdurchschnittlich hohen Wachstumspotenzial.<br />

Die Folgen sind teilweise unvorhersehbare<br />

Preisentwicklungen, die zusätzlich durch intensive<br />

Spekulationstätigkeiten auf den Finanzmärkten<br />

angetrieben werden.<br />

Begleitet wurde dieser Umstand von einem<br />

Trend zur Monopolisierung der Rohstoffmärkte<br />

mit wenigen Akteuren auf Angebotsseite und<br />

damit steigenden Abhängigkeiten und Konkurrenzdruck<br />

auf Nachfrageseite. Zu diesen marktund<br />

betriebswirtschaftlichen Unsicherheiten<br />

häuften sich in den letzten Jahren Schlagzeilen<br />

in Bezug auf massive ökologische und soziale<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

29


Rohstoffrisiken<br />

Missstände bei der Bereitstellung und der Veredelung<br />

dieser Rohstoffe, die hierzulande in vielen<br />

Produkten zum Einsatz kommen und teilweise<br />

in „grüne“ Umwelttechnologien „Made in<br />

Germany“ münden – mit erheblichem Reputationsrisiko<br />

für die betroffenen Unternehmen<br />

bzw. Branchen. In der Summe ergeben sich somit<br />

zahlreiche Entwicklungen mit erheblicher<br />

Brisanz für viele hiesige Unternehmen.<br />

Empfehlungen bei Rohstoffrisiken<br />

Mittlerweile gibt es zahlreiche Studien und<br />

auch Handlungsempfehlungen über strategisch<br />

wichtige Rohstoffe, und welche Konsequenzen<br />

sich im Falle einer Versorgungsknappheit für die<br />

deutsche Wirtschaft oder einzelner Branchen<br />

ergeben könnten. Hierbei spielen aus der Perspektive<br />

der Unternehmen eine bessere Kenntnis<br />

über die für das Endprodukt relevanten Hilfs-,<br />

Betriebs- und Rohstoffe sowie die Strukturen<br />

der vorgelagerten Lieferketten eine wichtige<br />

Rolle, um drohende „Bottle necks“ entlang<br />

der Transport- und Prozessketten rechtzeitig<br />

identifizieren und bei Bedarf gegensteuern zu<br />

können.<br />

Eine Umsetzung dieser Handlungsempfehlungen<br />

auf unternehmerischer Ebene erfolgte bisher<br />

jedoch nur zögerlich – trotz des gestiegenen<br />

Bewusstseins, dass mögliche <strong>Risiken</strong> durch eine<br />

zunehmende Rohstoffabhängigkeit ein aktives<br />

Handeln erfordern. Häufig genannte Gründe<br />

hierfür sind die erheblichen Investitions-,<br />

Zeit- und Personalkosten zur Bereitstellung,<br />

Sammlung und regelmäßigen Aktualisierung<br />

der produktspezifischen Daten, dessen Aufwand-Nutzen-Verhältnis<br />

für die Unternehmen<br />

angesichts der oftmals überaus hohen Komplexität<br />

und Dynamik der betroffenen Lieferketten<br />

schwer einzuschätzen sind. Aber auch die<br />

Sorge vor möglichen Datenschutzrisiken oder<br />

patentrechtlichen Hürden sowie die fehlende<br />

Kenntnis über die genaue stoffliche Zusammensetzung<br />

der eigenen Produkte als Resultat<br />

des zunehmend hohen Anteils an verwendeten<br />

Zukaufhalbwaren, oder schlicht die immer noch<br />

vorhandene Unwissenheit über die Brisanz des<br />

Themas spielen hierbei eine große Rolle. Insbesondere<br />

die stetige Auslagerung von Fertigungsprozessen,<br />

die Reduktion der Lagervorhaltung<br />

und vermehrte Just-in-Time-Lieferungen erhöhten<br />

die Abhängigkeiten rohstoffverarbeitender<br />

Betriebe und somit deren Anfälligkeiten<br />

für Rohstoffrisiken.<br />

Abteilungsübergreifend agieren<br />

Bei einer ausschließlich betriebswirtschaftlichen<br />

Sichtweise werden rohstoffspezifische<br />

Fragestellungen zumeist über den zentralen<br />

Einkauf berücksichtigt oder im Rahmen des<br />

klassischen Risikomanagements auf unternehmensstrategischer<br />

Ebene angesiedelt. Im Gegensatz<br />

dazu werden im Falle einer ganzheitlichen<br />

Unternehmensphilosophie mit bereits<br />

etabliertem Umwelt- oder Nachhaltigkeitsmanagement<br />

derartige Fragen abteilungsübergreifend<br />

behandelt, sofern die entsprechenden<br />

Personalkapazitäten zur Verfügung gestellt<br />

werden können. Dies hat u.a. den Vorteil, diejenigen<br />

Prozessbereiche des Betriebsstandortes,<br />

die in unterschiedlichem Maße Einfluss auf<br />

die Rohstoffnutzung und die damit relevanten<br />

Lieferketten besitzen, wie z.B. die Produktentwicklung<br />

und das Design, die Produktion und<br />

Fertigung, das Marketing, der Einkauf und der<br />

Vertrieb, zusammenhängend betrachtet und<br />

im Falle drohender Versorgungsrisiken optimal<br />

aufeinander abgestimmt gesteuert werden<br />

können.<br />

Klassische Maßnahmen des Ressourcenmanagements<br />

sind vor allem unternehmensintern<br />

im Bereich der Effizienzsteigerung in der<br />

Produktion angesiedelt, aber auch die Entwicklung<br />

von Substitutionsalternativen bis hin<br />

zur Anpassung von Lieferverträgen im Bereich<br />

der langfristigen Zusicherung von Rohstofflieferungen<br />

spielen eine wichtige Rolle. Ebenso<br />

gewinnt das Thema der Einhaltung von Umwelt-<br />

und Sozialstandards (z.B. durch eine Implementierung<br />

im Code of Conduct) mit einer<br />

schrittweisen Offenlegung der Lieferstrukturen<br />

eine zunehmende Bedeutung.<br />

Gerade im letzteren Falle bedarf es des Aufbaus<br />

eines geeigneten Informationsmanagementsystems<br />

zur Erfassung und Bewertung rohstoffspezifischer<br />

Daten, die sowohl innerbetriebliche als<br />

auch lieferkettenbezogene Strukturen betreffen.<br />

Dies betrifft im weiterführenden Sinne den<br />

Aufbau von unternehmensspezifischen Ressourcenkompetenzen,<br />

wie sie bislang aufgrund<br />

weitgehend stabiler Rohstoffmärkte in diesem<br />

Umfang und in dieser Intensität nicht relevant<br />

30 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


Rohstoffrisiken<br />

waren. Standen hierbei anfänglich eher Fragen<br />

der Versorgungssicherheit im Vordergrund, so<br />

wurde diese vorwiegend betriebswirtschaftlich<br />

orientierte Sichtweise sukzessive um das Thema<br />

Konfliktmineralien und soziale Missstände<br />

bei der Rohstoffbeschaffung sowie des Umweltschutzes<br />

bei der Ressourcengewinnung erweitert,<br />

so dass heute vermehrt eine nachhaltige<br />

Rohstoffbeschaffung angestrebt wird.<br />

Hierbei ist jedoch anzumerken, dass im Rahmen<br />

dessen die umweltverantwortliche Dimension<br />

unternehmerischen Handelns bislang weit ausgeprägter<br />

und häufiger anzutreffen ist, als Themen<br />

der Sozialverträglichkeit. Davon zeugen<br />

vor allem die bereits im Einsatz befindlichen<br />

betrieblichen Umweltmanagementsysteme und<br />

zahlreichen Instrumente des produktbezogenen<br />

Life-Cycle-Assessments, deren Ergebnisse<br />

Einzug in eine entsprechende Berichterstattung<br />

finden. Die sozial-verantwortliche Dimension,<br />

insb. in der Ausgestaltung von Lieferketten, die<br />

zudem weit über die üblichen CSR-Aktivitäten<br />

eines Unternehmens hinausgeht, gewinnt jedoch<br />

in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung.<br />

Prinzips des „Name and Shame“, d.h. es bestehen<br />

für Unternehmen im Falle des Bekanntwerdens<br />

der Verwendung von Konfliktrohstoffen<br />

erhebliche Reputationsrisiken. Von der Regelung<br />

sind nicht nur US-amerikanische, börsennotierte<br />

Unternehmen betroffen, sondern auch<br />

diejenigen, die sich entlang der Lieferkette befinden<br />

– sei es als direkter Zulieferer oder als<br />

Zwischenlieferant.<br />

Da US-Präsident Donald Trump angekündigt<br />

hat, den Dodd-Frank Act seines Amtsvorgängers<br />

zu überarbeiten, steht der Konfliktmineralien-Artikel<br />

1502 erneut auf dem Prüfstand. Ein<br />

Entwurf eines aktuellen Präsidialdekrets sieht<br />

bereits eine Aussetzung des Artikels für zunächst<br />

zwei Jahre vor. In diesem Zeitraum sollen<br />

die Außen- und Finanzministerien der USA<br />

Zunehmende Bedeutung sozialer Standards<br />

Spätestens seit 2010 stellt das Thema Transparenz<br />

in Lieferketten, welches von Unternehmen<br />

bis dato meist im Rahmen des Qualitätsmanagements<br />

eigenverantwortlich angegangen wurde,<br />

viele Unternehmen vor große Herausforderungen.<br />

Denn im Rahmen der Neuregulierung der<br />

Finanzmärkte wurde im Juli 2010 in den USA der<br />

so genannte Dodd-Frank Act (Dodd-Frank Wall<br />

Street Reform and Consumer Protection Act)<br />

rechtsverbindlich eingeführt. Dieser schreibt<br />

die jährliche Auskunftspflicht für US-börsennotierte<br />

Unternehmen bezüglich der Verwendung<br />

der Rohstoffe Zinn, Tantal, Gold und Wolfram<br />

innerhalb ihrer Produkte vor. Stammen die Ressourcen<br />

dabei aus der Demokratischen Republik<br />

Kongo oder deren Nachbarländern, müssen<br />

die Unternehmen der US-Börsenaufsicht einen<br />

auditierten Bericht mit umfassenden Informationen<br />

zu Herkunft und Verwendung der Konfliktmineralien<br />

vorlegen.<br />

Der Artikel 1502 des Dodd-Frank Act untersagt<br />

zwar die Verwendung von Konfliktmineralien<br />

nicht ausdrücklich, bedient sich jedoch des<br />

Foto: Africanway / iStockphoto.com<br />

„dem Präsidenten einen Plan zum Umgang mit<br />

Menschenrechtsverletzungen und der Finanzierung<br />

bewaffneter Gruppen im Kongo oder in<br />

deren Nachbarländern vorschlagen“, so hieß es<br />

darin. Überlegt wird zudem, die Verantwortung<br />

stärker auf einzelne Unternehmen auszurichten,<br />

die in illegale Rohstoffaktivitäten verwi-<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

31


Rohstoffrisiken<br />

ckelt seien. Sollte der Artikel 1502 tatsächlich<br />

ausgesetzt oder gar rückgängig gemacht werden,<br />

so existiert zumindest auf Ebene der OECD<br />

ein ähnliches Instrumentarium, wenngleich mit<br />

geringer verbindlicher Natur und eher auf freiwilliger<br />

Basis für teilnehmende Unternehmen.<br />

Die ebenfalls in 2010 eingeführten OECD-Richtlinien<br />

zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht in der<br />

Lieferkette von Konfliktmineralien (OECD Due<br />

Diligence Guidelines for Responsible Supply<br />

Chains of Minerals from Conflict-Affected and<br />

High-Risk Areas), verfolgen gleichermaßen das<br />

Ziel, der Verletzung von Menschrechten entgegenzutreten<br />

und die Einhaltung sozialer und<br />

ethischer Grundsätze entlang der gesamten Liefer-<br />

und Verarbeitungskette von Rohstoffen zu<br />

gewährleisten.<br />

Berichtspflicht steigt<br />

Der Aufbau und die Verwaltung eines entsprechenden<br />

Informationsmanagementsystems erfordert<br />

bislang einen hohen personellen und<br />

zeitlichen Aufwand, könnte jedoch im Laufe<br />

einer voranschreitenden Industrie 4.0 und der<br />

damit zunehmend digitalen Vernetzung sowohl<br />

innerhalb eines Unternehmens (= vertikale Vernetzung)<br />

als auch zwischen den Unternehmen<br />

entlang der Lieferkette (= horizontale Vernetzung)<br />

langfristig eine – zumindest technische –<br />

Umsetzbarkeit erfahren, um produktionstechnische<br />

und rohstoffspezifische Informationen<br />

in kurzen Zeitabständen aktualisieren, auswerten<br />

und bereit stellen zu können.<br />

Die Forderung nach mehr Transparenz und<br />

Kommunikation im Rohstoffsektor ist angesichts<br />

aktueller europäischer Bestrebungen,<br />

ebenfalls nach dem Vorbild des Dodd-Frank Act<br />

als auch der OECD, eine entsprechende Regulierung<br />

einzuführen, von großer Bedeutung für<br />

die deutsche Wirtschaft. So befindet sich auf<br />

EU-Ebene derzeit die „EU Conflict Mineral Regulation“<br />

in der letzten Phase der Abstimmung<br />

und soll noch in diesem Jahr ratifiziert werden.<br />

Mit Inkrafttreten dieser Richtlinie für den Europäischen<br />

Wirtschaftsraum sollen nach Vorschlag<br />

der Kommission und des Europäischen<br />

Rates zunächst nur freiwillige Kontrollen eingeführt<br />

werden.<br />

Kleine Unternehmen und insbesondere das Geschäftsfeld<br />

von Sekundärrohstoffen sowie bestehende<br />

Rohstoffbestände innerhalb der EU<br />

bleiben zudem vorerst von dieser Verordnung<br />

grundsätzlich ausgeschlossen. Langfristig sollte<br />

jedoch nach Ansicht der EU-Kommission<br />

darauf hingewirkt werden, dass insbesondere<br />

für EU-Importeure von Rohstoffen wie Zinn,<br />

Wolfram, Tantal und Gold sowie ihrer Erze aus<br />

Konflikt- bzw. politisch gefährdeten Regionen<br />

zumindest die OECD-Richtlinien verbindlich<br />

werden. Die zuständigen Behörden der EU-Mitgliedstaaten<br />

würden in diesem Falle für die Einhaltung<br />

dieser Richtlinien sowie im Bedarfsfall<br />

für die Einleitung von Sanktionsverfahren bei<br />

deren Nichteinhaltung zuständig sein.<br />

Droht eine Überregulierung?<br />

Nun stellt sich angesichts des für die Wirtschaft<br />

damit verbundenen Aufwandes einer zunehmend<br />

verpflichtenden Offenlegung teils hochkomplexer<br />

und dynamischer Lieferketten die<br />

Frage nach dem Aufwand-Nutzen-Verhältnis.<br />

Gleichsam mehren sich die Stimmen, ob es sich<br />

hierbei letztlich nicht um eine Überregulierung<br />

eines zweifellos wichtigen ethischen Themas<br />

zur Förderung eines „Responsible Business“<br />

handelt. Und, welche Alternativen bestehen für<br />

betroffene Unternehmen? Gegenüber dem auf<br />

politisch höchster Ebene eingeführten Ansatz,<br />

Lieferketten vom Endproduzenten aus rückwirkend<br />

transparent zu gestalten („Top-Down-<br />

Ansatz“) stehen zunehmend Bemühungen der<br />

rohstoffextrahierenden Wirtschaft, um bereits<br />

am Ursprung der Lieferketten, d.h. im Bergbau<br />

und der Verhüttung, nachhaltige und transparente<br />

Standards einzuführen („Bottom-Up-Ansatz“).<br />

Exemplarisch hierfür steht die „Initiative for<br />

Responsible Mining Assurance (IRMA)“ zur Gewährleistung<br />

eines sozial- und umweltverträglichen<br />

Bergbaus. Diese Aktivitäten bieten angesichts<br />

der bisher noch sehr aufwendigen und<br />

international noch mangelnden Abstimmung<br />

der politischen top-down-Regulation den Vorteil,<br />

dass die nachfolgenden Produktions- und<br />

Lieferketten – unabhängig von der Einsteuerung<br />

und Verwendung der Rohstoffe in produktspezifische<br />

Anwendungspfade – per se frei<br />

von Konfliktmineralien wären.<br />

Dieses Vorgehen würde jedoch lediglich sicherstellen,<br />

dass ethische und ökologische Standards<br />

32 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


Rohstoffrisiken<br />

bei der Rohstoffextraktion eingehalten würden.<br />

Um jedoch eine zunehmend versorgungssichere<br />

sowie umwelt- und sozialverträgliche Lieferkette<br />

im nachhaltigen Sinne zu erhalten, wäre<br />

eine Kombination beider Stoßrichtungen nach<br />

dem Motto „Best of two Worlds“ interessant.<br />

Nur so kann gewährleistet werden, dass politische<br />

und wirtschaftliche Akteure von beiden<br />

Richtungen der Rohstoffkette innerhalb eines<br />

Innovations- und Informationssystems zusammenarbeiten<br />

und die gesamte Lieferkette nachhaltig<br />

ausrichten.<br />

In diesem Sinne formieren sich mittlerweile<br />

eine Reihe von Akteuren in der Elektronikbranche,<br />

um diese Interessen zu bündeln, wie etwa<br />

die Electronic Industry Citizenship Coalition<br />

(EICC) und die Global e-Sustainability Initiative<br />

(GeSI), die gemeinsam die „Conflict-Free Sourcing<br />

Initiative (CFSI)“ ins Leben gerufen haben.<br />

An dieser Initiative nehmen z.B. Metallschmelzen<br />

und rohstoffverarbeitende Betriebe teil,<br />

die den hohen Anforderungen dieser Initiative<br />

genügen und „konfliktfreie“ Grundrohstoffe<br />

für produzierende Unternehmen und Händler<br />

weltweit bereitstellen können. Daneben bestehen<br />

zahlreiche „Soft Laws“, die ebenfalls eine<br />

Transparenz der Lieferketten auf freiwilliger<br />

Basis fördern, wenngleich mit anderen Zielsetzungen<br />

und Schwerpunkten.<br />

Exemplarisch hierfür stehen die „UN Guiding<br />

Principles for Business and Human Rights“,<br />

die „OECD Guidelines for Multinationals“ oder<br />

die „ILO Tripartite Declaration of Principles on<br />

Multinational Enterprises and Social Policy“,<br />

in der es insbesondere um die Prüfung der Arbeitsbedingungen<br />

in Lieferketten geht. Diese<br />

Initiativen gewinnen als anerkannte und etablierte<br />

Standards immer mehr an Bedeutung und<br />

zwingen viele Unternehmen bereits jetzt, sich<br />

intensiv mit ihren Lieferketten auseinanderzusetzen.<br />

Transparenz in der Lieferkette<br />

Die zunehmende Forderung von Kunden sowie<br />

der Politik nach umwelt- und sozialverträglich<br />

produzierten Gütern und Dienstleistungen bei<br />

gleichzeitigem Interesse nach Versorgungssicherheit<br />

mit hochqualitativen, kostengünstigen<br />

Rohstoffen zwingt zu einem Umdenken der bisherigen<br />

Wirtschaftsweise. Umwelt-, Nachhaltigkeits-<br />

und Ressourcenmanagement gehen<br />

Hand in Hand mit betriebswirtschaftlichen Entscheidungen.<br />

Die Transparenz entlang der Lieferketten<br />

und das Wissen um die material- und<br />

rohstoffspezifische Zusammensetzung der Produkte<br />

sowie deren Funktionsweisen sind mehr<br />

denn je von entscheidender Bedeutung für die<br />

Bereitstellung nachhaltiger Produkte.<br />

Insbesondere neuere Entwicklungen auf dem<br />

Gebiet der Digitalisierung eröffnen vielversprechende<br />

technische Möglichkeiten zur Vernetzung<br />

und Informationsverarbeitung, um die<br />

rohstoffspezifischen Informationen von einer<br />

Vielzahl von Zulieferern zeitnah und aktuell zu<br />

erhalten und in unternehmerische Entscheidungen<br />

einzubinden. Strategisch eingesetzte<br />

Informationsmanagementsysteme, „Produktpässe“<br />

oder „Smart Products“, die wichtigen<br />

Informationen zum jeweiligen Produkt sowie<br />

dessen Fertigungsprozess bereitstellen können,<br />

bieten neben Wettbewerbsvorteilen auch<br />

Grundlagen für umwelt- und sozialverträgliches<br />

Handeln, bei dem es nicht nur um die Reaktion<br />

im Schadensfall geht, sondern um proaktives<br />

und präventives strategisches Agieren.<br />

Dies gelingt jedoch langfristig nur, wenn die<br />

Rohstoffthematik und nachhaltige Prinzipien<br />

im gesamtunternehmerischen Denken und<br />

Handeln fest verankert sind – von der Produktentwicklung<br />

über die Produktion, den Einkauf,<br />

das Marketing bis hin zum Umwelt- und<br />

Nachhaltigkeitsmanagement. Neben dieser innerbetrieblichen<br />

Sichtweise ist aber auch ein<br />

ganzheitliches Verständnis einer transparenten<br />

Rohstoff- und Wertschöpfungskette unabdingbar.<br />

Hier gilt es in den Betrieben verstärkt Ressourcenkompetenzen<br />

aufzubauen, zu erweitern<br />

und an die Bedürfnisse des Unternehmensumfelds<br />

auszurichten, und zwar ungeachtet regulatorischer<br />

Vorgaben und Zwänge. Nur so entsteht<br />

ein Gespür dafür, welche Möglichkeiten<br />

zur aktiven Gestaltung und Umsetzung eines<br />

„Responsible Business“ bestehen. f<br />

Dr. Simon Meißner ist akademischer Rat am Lehrstuhl<br />

für Ressourcenstrategie der Universität Augsburg<br />

und habilitiert dort im Fachbereich Geographie<br />

an der Fakultät für Angewandte Informatik.<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

33


Rohstoffrisiken<br />

Glimmer-Lieferkette:<br />

Foto: Vivek Sharma / Xtreme Pictures<br />

Kein Platz für<br />

Kinderarbeit<br />

Ob Lippenstift, Lidschatten oder Autolack:<br />

Für den schönen Schimmer sorgt oft das<br />

Mineral Glimmer. Der begehrte Rohstoff<br />

wird unter anderem im Norden Indiens, in<br />

den Bundesstaaten Jharkhand und Bihar<br />

abgebaut. Die Region ist geprägt von<br />

politischer Instabilität und Armut; Kinderarbeit<br />

ist weit verbreitet. Auch Merck<br />

nutzt Glimmer als Hauptrohstoff für seine<br />

Effektpigmente. Das Wissenschafts- und<br />

Technologieunternehmen lehnt Kinderarbeit<br />

in seiner Lieferkette strikt ab und<br />

setzt sich für sichere Arbeitsbedingungen<br />

der Minenarbeiter ein. Außerdem unterstützt<br />

Merck Bildungs- und Gesundheitsprojekte,<br />

die das Leben der Familien<br />

in den Abbaugebieten verbessern.<br />

Glimmer ist nach seiner Fähigkeit benannt,<br />

Licht zu brechen und zu reflektieren. Der Rohstoff<br />

kommt an vielen Orten vor. Merck bezieht<br />

ihn vor allem aus Indien, aber auch aus den Vereinigten<br />

Staaten und Brasilien. Das Unternehmen<br />

benötigt den natürlichen Glimmer – neben<br />

synthetischen Substraten - für die Herstellung<br />

seiner hochwertigen Effektpigmente. Sie kommen<br />

unter anderem in Lacken im Automobilund<br />

Industriesektor und in der Kosmetik- und<br />

Lebensmittelindustrie zum Einsatz.<br />

Merck bekämpft seit 2008 Kinderarbeit im indischen<br />

Glimmerabbau. Anlass war eine unternehmensinterne<br />

Untersuchung. Sie hatte ergeben,<br />

dass die Bewohner der Region Jharkhand<br />

Glimmer in stillgelegten Minen oder vom Boden<br />

sammeln - vereinzelt auch gemeinsam mit ihren<br />

Kindern. Ein klarer Verstoß gegen die Unternehmenswerte<br />

und die Prinzipien der Menschenrechtscharta<br />

von Merck: „Die Einhaltung<br />

grundlegender Arbeitsstandards bei unseren<br />

Lieferanten hat für uns höchste Priorität. Wir<br />

haben daher sofort, nachdem wir von den Vorfällen<br />

erfahren haben, Maßnahmen ergriffen,<br />

um Kinderarbeit vollständig zu unterbinden“,<br />

erklärt Michael Heckmeier, Leiter der Geschäftseinheit<br />

Pigments & Functional Materials<br />

bei Merck. Das Unternehmen hat seine Lieferkette<br />

komplett umgestellt und setzt sich dafür<br />

ein, die Arbeitsbedingungen der Minenarbeiter<br />

in Indien zu verbessern. „Wir unterhalten inzwischen<br />

direkte Geschäftsbeziehungen mit<br />

Glimmer-Minen und den Glimmer-verarbeitenden<br />

Betrieben und haben in diesem im Gegensatz<br />

zur Sammlung formalen Arbeitsumfeld<br />

mehr Einfluss“, sagt Heckmeier. Darüber hinaus<br />

hat Merck Kontrollmechanismen eingeführt<br />

und so einen umfassenden Überblick über die<br />

gesamte Lieferkette.<br />

Sozioökonomischer Hintergrund<br />

Null Toleranz gegenüber Kinderarbeit<br />

Merck hat sich bewusst dazu entschieden, seine<br />

Geschäftsbeziehungen im nördlichen Indien<br />

aufrechtzuerhalten. Das Unternehmen übernimmt<br />

Verantwortung für die Region: Arbeitsplätze<br />

sollen erhalten bleiben.<br />

Wie wichtig dieser Ansatz ist, zeigen die sozialen<br />

Umstände in Jharkhand und Bihar. Sie bil-<br />

34 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


Rohstoffrisiken<br />

den einen idealen Nährboden für Kinderarbeit:<br />

Beide Bundesstaaten zählen zu den ärmsten Regionen<br />

Indiens. Die Alphabetisierungsquote und<br />

die Anzahl der Kinder, die eine Schule besuchen,<br />

liegen laut einer Studie von Terre des Hommes<br />

und SOMO (Stichting Onderzoek Multinationale<br />

Ondernemingen / Centre for Research on Multinational<br />

Corporations) aus dem Jahr 2016 weit<br />

unter dem Landesdurchschnitt.<br />

Investitionen in Bildung und<br />

Gesundheitsversorgung<br />

Um die Lebenssituation der Familien zu verbessern,<br />

hat Merck nicht nur seine Glimmer-Lieferkette<br />

umgestellt, sondern gemeinsam mit<br />

seinem Partner IGEP soziale Projekte für die Bevölkerung<br />

der Region initiiert. Das gemeinsame<br />

Ziel: Den Zugang zur Gesundheitsversorgung<br />

verbessern und den Kindern eine schulische und<br />

berufliche Perspektive bieten:<br />

c Merck betreibt in den Dörfern Tisri, Barkitand<br />

und Saphi Schulen mit angeschlossenen Kindergärten,<br />

die von über 500 Schülern besucht<br />

werden. Auf dem Stundenplan stehen auch<br />

Aufklärung über Hygiene und Gesundheit. In<br />

Tisri können sich die Jugendlichen außerdem<br />

zu Tischlern oder Schneidern ausbilden lassen.<br />

Merck unterstützt darüber hinaus eine<br />

vierte Schule in Koderma mit Stipendien für<br />

150 Schüler.<br />

c In Saphi hat Merck ein Gesundheitszentrum<br />

eingerichtet. Dort arbeiten zwei Ärzte und<br />

eine Krankenschwester, die auch die medizinische<br />

Versorgung der Schulen übernehmen.<br />

Sie besuchen außerdem die Schulen und Dörfer<br />

in der Umgebung.<br />

Für sein Engagement erhält Merck von Seiten<br />

der Zivilgesellschaft viel Lob und Anerkennung.<br />

So attestierte SOMO dem Unternehmen in der<br />

genannten Studie, dass das Unternehmen im<br />

Vergleich zu anderen Glimmer-Importeuren bei<br />

weitem die besten Maßnahmen durchführen,<br />

um Kinderarbeit in der Lieferkette auszuschließen<br />

und die Lebensbedingungen der Menschen<br />

zu verbessern. Merck engagiert sich aber auch<br />

darüber hinaus an Multistakeholder-Dialogen<br />

und –Initiativen für eine Verbesserung der Lebens-<br />

und Arbeitsbedingungen in der Glimmer-Region.<br />

f<br />

Hohe Standards in der Lieferkette<br />

Merck gewährleistet die Umsetzung sozialer<br />

Standards mit Hilfe von verschiedenen Maßnahmen.<br />

Ein Überblick:<br />

c Merck bezieht Glimmer ausschließlich aus<br />

kontrollierten Minen: Nur die formelle Arbeitsumgebung<br />

stellt die Einhaltung sozialer<br />

Standards sicher. Bei Glimmer, der in öffentlich<br />

zugänglichen Bereichen ohne formelle<br />

Arbeitsbedingungen gesammelt wurde, ist es<br />

nicht möglich, Kinderarbeit auszuschließen.<br />

c Mit Hilfe eines Nachverfolgungssystems stellt<br />

Merck sicher, dass der gelieferte Glimmer ausschließlich<br />

aus Minen stammt und nicht aus<br />

unkontrollierten Quellen: Die Minenbesitzer<br />

halten die tägliche Fördermenge einer Mine<br />

in einem Logbuch fest. Diese dokumentierten<br />

Glimmermengen sind die Basis für die<br />

Lizenzgebühren, die die Minenbesitzer an die<br />

Regierung zahlen müssen. Wenn Glimmer aus<br />

unkontrollierten Quellen mit verwendet würde,<br />

müssten die Minenbesitzer auch für diese<br />

Glimmermengen Lizenzgebühren zahlen.<br />

Dies ist wirtschaftlich nicht sinnvoll, denn der<br />

Glimmer wäre für den Minenbesitzer teurer, als<br />

der in seiner Mine geförderte Glimmer. Merck<br />

überprüft monatlich die im Logbuch gemeldeten<br />

und die an die weiterverarbeitenden Betriebe<br />

gelieferten Glimmermengen.<br />

c Mit Audits überprüft das Unternehmen das<br />

regelkonforme Verhalten der Partner. Dabei<br />

werden beispielsweise das Alter der Arbeiter,<br />

die Arbeitszeiten und die gezahlten Löhne geprüft,<br />

aber auch, ob Gesundheitschecks und<br />

Sicherheitsübungen durchgeführt wurden. Die<br />

Merck-Mitarbeiter vor Ort kontrollieren die Zulieferer<br />

in regelmäßigen Abständen. Zusätzlich<br />

führen das Environmental Resource Management<br />

(ERM) und die Stiftung Indo German Export<br />

Promotion (IGEP) als unabhängige Drittparteien<br />

eigene Audits durch. Während IGEP<br />

einmal im Monat die Einhaltung der Arbeitsstandards<br />

kontrolliert, überprüft ERM jährlich<br />

die Arbeitsbedingungen und die Einhaltung<br />

von Umwelt-, Sicherheits- und Gesundheitsstandards.<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

35


Rohstoffrisiken<br />

Ist Deutschland gut genug<br />

gegen Rohstoffrisiken gerüstet?<br />

Welche globalen Entwicklungen finden Sie im Hinblick auf die Rohstoff- und<br />

Energieversorgung Deutschlands besorgniserregend? *<br />

Finanzspekulation an den Rohstoffmärkten 89<br />

Steigende Nachfrage und globales Wachstum 84<br />

Soziale Unruhen in Ursprungsländern<br />

für Rohstoffe<br />

81<br />

Protektionismus im Welthandel 80<br />

Bildung von Anbieter-Monopolen 80<br />

Währungskrisen 73<br />

Knappheit seltener Schlüssel-Rohstoffe 73<br />

Knappheit fossiler Brennstoffe 68<br />

Unzureichende Alternativen zu den<br />

fossilen Brennstoffen<br />

Kurzfristige Veränderungen<br />

der Energiepolitik<br />

65<br />

64<br />

Unkalkulierbare <strong>Risiken</strong> der Atomenergie 61<br />

Foto: Miloslav78 / iStockphoto.com


Rohstoffrisiken<br />

Welche Auswirkungen werden die Entwicklungen auf den Energie- und<br />

Rohstoffmärkten in Ihrer Branche haben? *<br />

Die Ressourcenknappheit zwingt uns,<br />

innovativ zu sein<br />

Die Geschäfte werden unsicherer und<br />

schwerer kalkulierbar<br />

52<br />

51<br />

Die Profitabilität wird dauerhaft belastet 50<br />

Zulieferer gewinnen an Bedeutung und<br />

Marktmacht<br />

Es entstehen neue Märkte und<br />

Absatzmöglichkeiten<br />

Internationale Wettbewerber profitieren<br />

von einem besseren Zugang zu Rohstoffen<br />

Unternehmen werden verstärkt eigene<br />

Energie erzeugen<br />

Es kommt zu Versorgungsengpässen 35<br />

Unternehmen werden sich an<br />

Rohstoffzulieferern beteiligen<br />

Der technologische Fortschritt wird<br />

aufgrund knapper Ressourcen gebremst<br />

Mit welchen Maßnahmen reagieren die Unternehmen auf die Entwicklungen an<br />

den Rohstoff- und Energiemärkten? *<br />

Beschaffungswesen wird durchgeführt wird erwogen<br />

Suche nach neuen Lieferanten 47 17<br />

Langfristige Lieferverträge mit<br />

bestehenden Lieferanten<br />

Speziell auf den Einkauf dieser Waren<br />

geschultes Personal<br />

47 10<br />

33 9<br />

Bildung von Einkaufsgemeinschaften 24 10<br />

Vergrößerung der Lagerkapazität 14 9<br />

Absicherung von Preisrisiken durch<br />

spezielle Finanzprodukte<br />

Unternehmerische Beteiligung an<br />

Zulieferern oder Rohstoffproduzenten<br />

*Alle Angaben in Prozent<br />

45<br />

45<br />

44<br />

36<br />

27<br />

18<br />

10 6<br />

4 4<br />

Quelle: Ergebnisse einer Erhebung der Commerzbank: „Rohstoffe und Energie: <strong>Risiken</strong> umkämpfter Ressourcen“, methodische Durchführung durch TNS Infratest<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

37


Foto: Florian Sander / MKULNV<br />

Klimarisiken<br />

“<br />

Vielen<br />

Menschen ist<br />

heute bewusst,<br />

dass ein<br />

Weiter<br />

so nicht<br />

funktioniert<br />

Das allermeiste Leid ist Menschen-gemacht. Aber keines davon hat so weitreichende<br />

Folgen wie der Klimawandel. Er betrifft uns alle und geht an die Substanz des Zusammenlebens.<br />

Gegen die schlimmsten Folgen des Klimawandels lässt sich noch etwas<br />

tun – wenn denn alle mitmachen. Wie realistisch ist das? Wir sprachen darüber mit<br />

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und<br />

Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen.<br />

Ob Dürre, Flut oder Extremwetterereignisse: Das<br />

Klima wird immer mehr auch hierzulande zum<br />

Risiko. Als Klima- und Umweltminister von NRW<br />

wissen Sie um die Gefahren. Worauf müssen wir uns<br />

in Zukunft einstellen?<br />

Johannes Remmel: Der Klimawandel ist real.<br />

Er trifft uns auch in NRW und wird die Art und<br />

Weise, wie wir leben, wohnen und arbeiten in<br />

Zukunft stark beeinflussen. Stürme und Starkregenereignisse<br />

wie in den letzten Jahren beispielsweise<br />

in Münster oder Hamminkeln werden<br />

immer häufiger vorkommen. Schon jetzt<br />

zeichnet sich ab, dass der Klimawandel, der<br />

Klimaschutz und die Anpassung an die unvermeidbaren<br />

Folgen der Erderwärmung eine der<br />

38 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


Klimarisiken<br />

größten Herausforderungen darstellen, vor der<br />

wir stehen und die wir meistern müssen. Es wird<br />

uns teuer zu stehen kommen, wenn wir jetzt<br />

nicht handeln. Die beste Politik gegen den fortschreitenden<br />

Klimawandel ist eine ambitionierte<br />

Politik gegen die globale Erwärmung. Deshalb<br />

hat die Landesregierung die Klimapolitik in den<br />

letzten Jahren neu ausgerichtet.<br />

Wenn ich Sie als Bürger fragen würde: Welche Kosten<br />

verursacht der Klimawandel in NRW, und was würde<br />

uns vernünftiger Klimaschutz kosten? Könnten Sie<br />

mir das ausrechnen oder ist das zu simpel gedacht?<br />

Remmel: Selbstverständlich können wir die Kosten<br />

der Naturkatastrophen berechnen. Zum Beispiel<br />

verursachte der Orkan Kyrill im Januar 2007<br />

allein im Wald einen finanziellen Schaden von<br />

mehr als 1,5 Milliarden Euro. Durch das Sturmtief<br />

„Ela“ Anfang 2014 fielen Kosten von ca. 600 Millionen<br />

Euro an. Insgesamt könnten sich laut einer<br />

Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung<br />

(DIW) die Auswirkungen des Klimawandels<br />

in Deutschland bis zum Jahr 2050 auf<br />

bis zu 800 Milliarden Euro belaufen. Der Klimawandel<br />

verursacht also erhebliche gesellschaftliche<br />

Kosten, die letztlich die Steuerzahlerinnen<br />

und Steuerzahler tragen müssen. Jede Investition<br />

in den Klimaschutz oder zur Klimafolgenanpassung,<br />

die dazu beiträgt, diese Kosten erst gar<br />

nicht entstehen zu lassen, ist daher ökonomisch<br />

höchst sinnvoll. Hinzu kommt, dass viele Unternehmen,<br />

die wir der Umweltwirtschaft zurechnen,<br />

aus diesen Maßnahmen erfolgreiche Geschäftsmodelle<br />

entwickelt haben. Innovationen<br />

beim Hochwasserschutz, bei den erneuerbaren<br />

Energien, oder zur Minderung von Energie- und<br />

Ressourcenverbrauch, dienen gleichzeitig der<br />

Wirtschaft und schützen das Klima.<br />

Die COP21 in Paris hat ein ambitioniertes Klimaziel<br />

beschlossen. Das war 2015. Dann kamen der Brexit,<br />

Trump und ein halbes Dutzend weiterer Widrigkeiten.<br />

US-Finanzminister Steven Mnuchin nannte jüngst<br />

das Thema Klimawandel gar einen Gesprächskiller.<br />

Wer hört Ihnen also noch zu?<br />

Remmel: Das Thema ist nicht verschwunden, nur<br />

weil in der Öffentlichkeit zur Zeit andere Themen<br />

dominieren. Weltweit entwickeln Unternehmen<br />

Innovationen und Strategien für mehr Ressourcen-<br />

und Energieeinsparung – übrigens auch viele<br />

US-amerikanische. Internationale Konzerne<br />

steigen aus der Finanzierung kohlenstoffbasierter<br />

Geschäftsmodelle aus, Regierungen erstellen<br />

Klimaschutzpläne. Fossile Rohstoffe gehen<br />

irgendwann zu Ende, und der Klimawandel wird<br />

spätestens mit der nächsten großen Naturkatastrophe<br />

wieder zum Thema werden. Oder auch,<br />

wenn im November diesen Jahres die Weltklimakonferenz<br />

in Bonn tagen wird, um die Ziele von<br />

Paris weiter in die Praxis umzusetzen. Politisch<br />

verantwortliche Führungskräfte legen nicht ein<br />

menschheitsbedrohendes Problem beiseite, nur<br />

weil es einen Moment lang keine öffentliche<br />

Konjunktur hat.<br />

Bevor wir nur über andere schimpfen: Auch Deutschland<br />

kommt beim Klimaschutz nicht voran. Das zeigt<br />

ein neues Gutachten des Umweltbundesamtes. Laut<br />

dessen Zahlen stiegen die Emissionen im vergangenen<br />

Jahr um etwa vier Millionen Tonnen im Vergleich<br />

zum Vorjahr auf rund 906 Millionen Tonnen.<br />

Die Grünen sprechen von einem "Offenbarungseid<br />

für die Klimapolitik der Bundesregierung“. Auch das<br />

Industrieland NRW hat zu dem schlechten Ergebnis<br />

seinen Teil beigetragen. Was von der Kritik nehmen<br />

Sie sich an?<br />

Remmel: Das Gutachten zeigt, dass die Bundesregierung<br />

beim Klimaschutz ihre Hausaufgaben<br />

nicht macht. Anstatt ein wirksames<br />

Klimaschutzgesetz vorzulegen, gibt es einen löchrigen<br />

Plan mit zahllosen Ausnahmen. Nordrhein-Westfalen<br />

ist mit rund einem Drittel der<br />

deutschen Energieproduktion das größte Energieland<br />

der Bundesrepublik. Trotz aller erfolgreichen<br />

Anstrengungen beim Ausbau der Erneuerbaren<br />

Energien sind die vorherrschenden<br />

Energieträger immer noch Braun- und Steinkohle.<br />

Mehr als ein Drittel der in Deutschland ausgestoßenen<br />

klimaschädlichen Gase geht auf das<br />

Konto NRWs. Das Land trägt daher bei der Erreichung<br />

der Klimaschutzziele eine besondere Verantwortung<br />

– und der werden wir gerecht, denn<br />

bei uns sinken die CO 2-Emissionen. Nach vorläufigen<br />

Zahlen des Landesumweltamtes (LANUV)<br />

zwischen 2014 und 2015 sogar um 2,7 Prozent.<br />

NRW wird mit einem Ausstoß von etwa 284 Millionen<br />

Tonnen CO 2-Äquivalenten den niedrigsten<br />

Stand der letzten Jahre erreichen. Im Mittelpunkt<br />

der Neuausrichtung der Energiepolitik<br />

steht das erste deutsche Klimaschutzgesetz, in<br />

dem CO 2-Minderungsziele für NRW verbindlich<br />

festgelegt worden sind – und ein Klimaschutzplan<br />

mit konkreten Maßnahmen.<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

39


Klimarisiken<br />

Foto: rcfotostock / Fotolia.com<br />

Eine Schlüsselrolle spielt dabei der Verkehr. Den<br />

UBA-Zahlen zufolge stieg alleine hier der CO 2-Ausstoß<br />

um mehr als 5 Millionen Tonnen. Alternative<br />

Mobilitäts-Konzepte gibt es zu Hauf. An Ideen kann<br />

es also nicht liegen, dass wir hier nicht gegensteuern.<br />

Was muss getan werden?<br />

Remmel: Um Klimaneutralität im Verkehrssektor<br />

zu erreichen, müssen wir elektrifizieren<br />

und den Umweltverbund aus Bus, Bahn, Fahrrad<br />

und den eigenen Füßen fördern. Wollen<br />

wir unsere internationalen Verpflichtungen im<br />

Klimaschutz einhalten, müssen im Verkehrssektor<br />

die CO 2-Emissionen um 98 Prozent sinken.<br />

Die rot-grüne Landesregierung hat in den<br />

letzten Jahren beispielsweise mit dem Aktionsplan<br />

Nahmobilität, dem Klimaschutzplan, der<br />

Novellierung des ÖPNV-Gesetzes, dem Bau von<br />

Radschnellwegen oder mit dem 100 Mio.-Förderprogramm<br />

"Kommunaler Klimaschutz" viel<br />

getan und erreicht. Leider sehen wir, dass die<br />

Bundesregierung in der Verkehrspolitik die Prioritäten<br />

bei Investitionsentscheidungen anders<br />

setzt. Statt die Menschen vor giftigen und klimaschädlichen<br />

Abgasen zu bewahren, legt der Verkehrsminister<br />

alle Kraft auf die Einführung der<br />

unsinnigen Maut. KFZ- und Kraftstoffbesteuerung<br />

haben fast keine Lenkungswirkung. So ist<br />

es also kein Wunder, dass kaum Elektrofahrzeuge<br />

auf unseren Straßen fahren oder dass Bus,<br />

Bahn und Radverkehr viel zu oft eine Nebenrolle<br />

spielen. Dies muss sich dringend ändern.<br />

Ein zweiter zentraler Treiber ist der Energieverbrauch.<br />

Jeder von uns hat heute mindestens ein halbes<br />

Dutzend Elektrogeräte, die regelmäßig aufgeladen<br />

werden wollen, mehr als vor zehn Jahren. Nach<br />

Berechnungen der Internationalen Energieagentur<br />

wird der globale Primärenergieverbrauch bis 2035<br />

voraussichtlich um 35 Prozent steigen. Frisst das<br />

nicht den Effekt jeder Klimamaßnahme sofort auf?<br />

Remmel: Die privaten Haushalte sind eine<br />

wichtige Gruppe, wenn es darum geht, unsere<br />

Klimaschutzziele zu erreichen. Sie können ihren<br />

CO 2-Fußabdruck etwa durch energetische<br />

Sanierungen, aber auch schlicht durch energiesparendes<br />

Verhalten reduzieren. Deshalb<br />

wendet sich die Landesregierung auch direkt<br />

an private Haushalte und bietet Unterstützung<br />

für eine klimaschonende Lebensweise an. Wir<br />

sensibilisieren die privaten Haushalte vor allem<br />

durch die Energieberatung und die Informationsangebote<br />

der Verbraucherzentrale NRW und<br />

der EnergieAgentur.NRW. Wichtig ist aber vor<br />

allem, woher der Strom kommt, mit dem Handy,<br />

Tablet und Co. aufgeladen werden. Es gilt deshalb,<br />

den Anteil der erneuerbaren Energien für<br />

die Stromerzeugung in NRW weiter auszubauen<br />

– und hier sind wir mittlerweile auf einem guten<br />

Weg. Von 2010 bis 2015 stieg in NRW die erzeugte<br />

Strommenge aus allen Erneuerbaren Energieträgern<br />

von rund 12 auf etwa 18 Terawattstunden,<br />

das sind fast 13 Prozent des NRW-eigenen<br />

Stromverbrauchs. Damit steht NRW aktuell<br />

40 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


Klimarisiken<br />

im bundesweiten Vergleich auf Platz drei der<br />

Stromproduktion aus Erneuerbaren Energien.<br />

Dadurch konnte NRW allein in 2015 CO 2-Emissionen<br />

in Höhe von mehr als neun Millionen<br />

Tonnen vermeiden.<br />

Klimaschutz und Energiewende sind zwei Seiten einer<br />

Medaille. Einige Marktbeobachter fürchten beim<br />

Ausbau der Erneuerbaren um Versorgungssicherheit<br />

und bezahlbare Strompreise. Das gilt für das<br />

Eigenheim wie für energie-intensive Branchen wie<br />

Aluminium. Ist das machbar: Strom gut, grün und<br />

günstig – oder müssen wir uns da an einigen Stellen<br />

ehrlich machen?<br />

Remmel: Die Diskussionen um die Kosten der<br />

Energiewende flammen immer wieder auf,<br />

wenn die Höhe der EEG-Umlage für das nächste<br />

Jahr bekannt gegeben wird. Dabei ist die Summe<br />

aus Umlage und Börsenstrompreis seit 2013<br />

sogar um rd. 1 Cent je Kilowattstunde gefallen.<br />

Leider wird diese Preissenkung oft nicht an<br />

die normalen Verbraucher weitergegeben. Als<br />

wichtiger Industrie- und Dienstleistungsstandort<br />

mit rund 18 Millionen Menschen ist Nordrhein-Westfalen<br />

auf bezahlbare Energie angewiesen.<br />

Klar ist: Der Umbau des Energiesystems<br />

ist mit Investitionen verbunden, denen viele<br />

positive volkswirtschaftliche, gesundheitliche<br />

und Klimaschutz-Effekte gegenüber stehen.<br />

Die Erneuerbaren Energien schaffen Arbeitsplätze,<br />

vermeiden schon heute fast 6 Milliarden<br />

Euro Importkosten an konventioneller Energie,<br />

und Umweltschäden im Wert von 8,4 Milliarden<br />

Euro. Häufig wird auch übersehen, dass<br />

wir wegen der Endlichkeit fossiler Energieträger<br />

und dem zunehmenden Energiehunger in<br />

den Schwellenländern längerfristig mit deutlich<br />

steigenden Preisen bei den fossilen Energieträgern<br />

rechnen müssen. Aber gerade deshalb behält<br />

die Landesregierung bei allen Klimaschutzmaßnahmen<br />

die sozialen Auswirkungen und<br />

Verteilungsfragen im Blick und steuert gegen,<br />

wenn es erforderlich ist.<br />

Ganz radikal gedacht wäre die Lösung ja einfach:<br />

Weniger produzieren. Weniger verbrauchen. Da sind<br />

wir dann mitten in der Degrowth- und Suffizienzdiskussion.<br />

Unser System basiert aber auf dem genauen<br />

Gegenteil: immer mehr Produktion, mehr<br />

Arbeitsplätze, mehr Wohlstand. Ist echt nachhaltige<br />

Klimapolitik in diesem „Wachstums-Hamsterrad“<br />

überhaupt möglich?<br />

Remmel: Vielen Menschen ist heute bewusst,<br />

dass ein „Weiter so“ nicht funktioniert. Wir<br />

können nicht endlos Boden verbrauchen, Wasser<br />

verschwenden, die Luft verschmutzen oder<br />

immer mehr Abfälle produzieren. Es gibt bereits<br />

zahlreiche gute Beispiele, wie wir Veränderungen<br />

herbei führen können, die uns als Orientierung<br />

und Motivation auf dem Weg zu einem<br />

anderen, zukunftsfähigen Lebensstil dienen<br />

können. Dazu sollten die Rahmenbedingungen<br />

so gestaltet werden, dass nachhaltige Lösungsbeiträge<br />

auch ökonomisch belohnt werden. Zum<br />

Beispiel brauchen wir klare Rahmenbedingungen<br />

für den Übergang zu nachhaltigen Mobilitätsformen,<br />

für den Vorrang des Fahrrad- und<br />

Fußgängerverkehrs und des ÖPNV sowie für<br />

mehr Car-Sharing. Energiewende und Klimaschutz<br />

brauchen auch eine Veränderung im Gebäude-<br />

und Mobilitätssektor. Gerade für unseren<br />

Ballungsraum an Rhein und Ruhr mit den<br />

Problemen im Bereich der Luftschadstoffe ist es<br />

entscheidend, hier eine Richtungsentscheidung<br />

zu haben. Wir brauchen Rahmensetzungen, die<br />

die technologischen Entwicklungen befördern<br />

und voranbringen und sie in den Massenmarkt<br />

hinein bringen.<br />

Es hapert in Europa an einer effizienten gemeinsamen<br />

Klimapolitik. Umweltschützer fordern deshalb,<br />

die EU müsse wirtschaftliche Kreisläufe anders gestalten.<br />

Wären mehr lokale Produktion und regionale<br />

Kreislaufwirtschaft eine Option?<br />

Remmel: Die EU-Kommission hat mit ihrem<br />

sogenannten Kreislaufwirtschaftspaket durchaus<br />

interessante Vorschläge gemacht, die auch<br />

in Deutschland neue Anstrengungen auslösen<br />

werden. Wir brauchen in der Tat mehr Kreisläufe,<br />

verbunden mit einer Ökonomie des Teilens<br />

und der Langlebigkeit. Eine Ökonomie des<br />

Prosumierens, wo Produzenten auch konsumieren<br />

und umgekehrt Konsumenten gleichzeitig<br />

produzieren. Wir müssen auf erneuerbare und<br />

dezentrale Energien setzen. Damit ergibt sich<br />

auch die Möglichkeit, Wertschöpfung breiter zu<br />

generieren und Wertschöpfungsketten wieder<br />

regional zu verankern. Wir brauchen dazu mehr<br />

Subsidiarität, also die Schließung von regionalen<br />

Kreisläufen, die Stabilität von Regionalität,<br />

und eine Ökonomie der Gemeinschaftsgüter.<br />

Wir erleben zurzeit eine Renaissance der Genossenschaften,<br />

da ist viel Dynamik erkennbar.<br />

Denn Umweltschutz ist nicht nur ökologisch,<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

41


Klimarisiken<br />

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42 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


Klimarisiken<br />

sondern auch ökonomisch interessant: Mit Umweltwirtschaft,<br />

mit Umweltprodukten lässt sich<br />

Geld verdienen. Umweltwirtschaft schafft Arbeitsplätze.<br />

Umweltwirtschaft erschließt neue<br />

Märkte – national und international.<br />

NRW hat im Juni 2016 eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie<br />

verabschiedet. Inwieweit nutzen Sie diese<br />

Hebel als Steuerungsinstrument?<br />

Remmel: Die NRW-Nachhaltigkeitsstrategie ist<br />

ein Zukunftskonzept für das Land, mit dem die<br />

"Enkelfähigkeit" der Landespolitik gesichert<br />

werden soll. Mit der Verabschiedung im Juni<br />

2016 wurde eine Grundlage geschaffen, um das<br />

Leitprinzip der nachhaltigen Entwicklung in<br />

NRW systematisch zu verankern. Die Strategie<br />

benennt 7 Themenfelder, darunter Klimaschutzplan<br />

und Umweltwirtschaftsstrategie,<br />

aber auch nachhaltige Stadt- und Quartierentwicklung<br />

und nachhaltige Finanzen, auf die die<br />

Landesregierung in den nächsten Jahren einen<br />

Schwerpunkt setzen will. Kernstück der Strategie<br />

ist ein Ziel- und Indikatorensystem, mit dem<br />

die Landesregierung ambitionierte Ziele festlegt<br />

und sie auch kontrolliert. Dazu ist ein Berichtssystem<br />

mit knapp 70 Indikatoren aufgebaut, die<br />

vom Anteil erneuerbarer Energien bis zur Einkommensverteilung<br />

und von der Recyclingquote<br />

bis zum Flächenverbrauch reichen. Dadurch<br />

wird die Entwicklung jederzeit mess- und interpretierbar<br />

sein. Wir haben gleichzeitig eine<br />

Nachhaltigkeitsprüfung von allen neuen Gesetzen<br />

und Verordnungen eingeführt. Mit dieser<br />

Folgenabschätzung wird die Nachhaltigkeitsstrategie<br />

besser in die praktische Regierungspolitik<br />

einfließen können.<br />

Die Nachhaltigkeitsstrategie ist konsequent an<br />

den UN-Entwicklungszielen (SDGs) ausgerichtet. Da<br />

machen Sie viel mehr als andere Bundesländer. Was<br />

erhoffen Sie sich davon?<br />

Remmel: Als Industrie- und Energieregion <strong>Nr</strong>. 1<br />

in Europa steht NRW, was Ressourcenverbrauch<br />

und CO 2-Emissionen angeht, in einer besonderen<br />

Verantwortung, auch international. Dieser<br />

Verantwortung stellen wir uns. Rohstoffreserven<br />

schützen, Klimaerwärmung eingrenzen,<br />

Armut bekämpfen – das ist das Spektrum der<br />

globalen Nachhaltigkeitsziele und eine repräsentative<br />

Umfrage im letzten Jahr hat gezeigt,<br />

dass fast alle Bürgerinnen und Bürger in NRW<br />

wollen, dass sie auch auf Landesebene beachtet<br />

werden. Da wir die Nachhaltigkeitsstrategie fast<br />

genau parallel zur 2030-Agenda der Vereinten<br />

Nationen erarbeitet haben, hatten wir die Chance,<br />

die Impulse der 2030-Agenda für nachhaltige<br />

Entwicklung systematisch aufzugreifen. Wir<br />

leisten mit unserer Nachhaltigkeitsstrategie<br />

einen Beitrag zu allen 17 SDGs. Und wir wollen<br />

die Zielerreichung regelmäßig messen, um ggf.<br />

nachsteuern zu können. Nur wer sein Handeln<br />

regelmäßig überprüft, kann auch sicherstellen,<br />

dass er wirklich auf dem richtigen Weg ist.<br />

Als Bundesland befindet sich NRW in einer Sandwichposition<br />

zwischen dem Bund und der EU über<br />

sich und den Kommunen unter sich. Ziehen die beiden<br />

anderen Ebenen ausreichend mit?<br />

Remmel: NRW alleine kann natürlich im Hinblick<br />

auf die internationalen Herausforderungen<br />

nichts Entscheidendes bewegen. Anders<br />

herum werden aber auch der Bund und die EU<br />

viele ihrer Nachhaltigkeitsziele nicht erreichen,<br />

wenn NRW keinen ausreichenden Beitrag leistet,<br />

z.B. bei der Senkung der CO 2-Emissionen,<br />

beim Ausbau der Erneuerbaren Energien oder<br />

beim Ressourcenschutz.<br />

Vielen Dank für das Gespräch! f<br />

Foto: Guido von Wiecken<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

43


Klimarisiken<br />

Wissenschaftlichen<br />

Zielen verpflichtet<br />

Der Verpackungskonzern Tetra Pak lässt sich beim Klimaschutz künftig von Vorgaben<br />

leiten, die im Einklang mit den Anforderungen des Weltklimarates IPCC stehen<br />

und arbeitet dazu eng mit der internationalen Science Based Targets-Initiative (SBT)<br />

zusammen. Bis zum Jahr 2030 sollen die direkt verursachten CO 2 -Emissionen so um<br />

40 Prozent gegenüber 2015 sinken. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien setzt der<br />

Verpackungsgigant ebenfalls auf sachkundige Hilfestellung von außen.<br />

Von Thomas Wischniewski<br />

Mario Abreu, Vize-Präsident Umwelt bei Tetra<br />

Pak, sagt, durch die Zusammenarbeit mit der<br />

SBT-Initiative sei es dem Konzern bereits gelungen,<br />

„unsere Ziele bezüglich der Treibhausgasemissionen<br />

genau zu definieren und<br />

wissenschaftlich fundierte Weichen für die<br />

Zukunft unseres Unternehmens zu stellen“.<br />

Damit gewährleiste man, dass Kunden und andere<br />

Anspruchsgruppen offen und transparent<br />

erfahren, wie Tetra Pak zur kohlenstoffarmen<br />

Wirtschaft beitrage.<br />

Ins Leben gerufen wurde die SBT-Initiative 2015<br />

vom Global Compact der Vereinten Nationen,<br />

dem World Resources Institute, der Umweltstiftung<br />

WWF sowie dem CDP, einer Non-Profit-Organisation,<br />

die Klimadaten von Unternehmen<br />

erhebt. Um die Wirtschaft beim Erreichen<br />

des vom Weltklimarat empfohlenen Zwei-<br />

Grad-Ziels zu unterstützen, hat die Initiative<br />

einen „Sektorbasierten Dekarbonisierungs-Ansatz“<br />

entwickelt. Mit ihm können Unternehmen<br />

Klimaziele für die Zeit bis 2050 festlegen, unter<br />

Berücksichtigung der Erkenntnisse des IPCC.<br />

Klimaziele bis 2050 festgelegt<br />

Tetra Pak ist das erste Unternehmen der Lebensmittelverpackungsindustrie,<br />

dessen Klimaschutzziele<br />

durch die SBT anerkannt werden.<br />

Der Konzern hat sich gegenüber der Initiative<br />

unter anderem verpflichtet, die durch die eigene<br />

Geschäftstätigkeit verursachten Emissionen<br />

bis zum Jahr 2030 um 40 Prozent zu senken. Bis<br />

2040 soll ein Minus von 58 Prozent gegenüber<br />

dem Basisjahr 2015 stehen. Außerdem will Tetra<br />

Pak die CO 2-Emissionen entlang der gesamten<br />

Wertschöpfungskette senken: bis 2020 um 16<br />

Prozent gegenüber dem Niveau des Jahres 2010.<br />

Schon 2011 hatte der Vorstand beschlossen,<br />

die Emissionen entlang der Wertschöpfungskette<br />

bis 2020 auf dem Level des Jahres 2010<br />

zu halten. Eigenen Angaben zufolge konnte<br />

man dieses Ziel sogar übertreffen: 2015 lag der<br />

CO 2-Ausstoß demnach 15 Prozent unter dem<br />

Ausgangswert von 2010, trotz gleichzeitigen<br />

Produktionsanstiegs um 16 Prozent. Den Anteil<br />

der Emissionen, für die Tetra Pak nicht direkt<br />

verantwortlich zeichnet, gibt das Unternehmen<br />

mit 80 Prozent an. Sie entständen bei Lieferanten<br />

während der Produktion von Rohstoffen<br />

oder bei Kunden während der Nutzung der Unternehmensprodukte.<br />

Investitionen in Erneuerbare und<br />

Energieeffizienz<br />

Um den Vorgaben der SBT-Initiative<br />

zu genügen, will Tetra Pak<br />

unter anderem in mehr Energieeffizienz<br />

investieren.<br />

Ziel sei es, den Energiebedarf<br />

bis 2018 um weitere<br />

zwölf Prozent zu<br />

senken. Dem aktu-<br />

44 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


Klimarisiken<br />

ellen Tetra Pak-Nachhaltigkeitsbericht zufolge<br />

lag der Energieverbrauch der eigenen Fabriken<br />

2015 auf dem Niveau des Jahres 2005, während<br />

der Konzern im selben Zeitraum ein Wachstum<br />

von über 30 Prozent hinlegte. Außerdem sollen<br />

künftig zusätzliche Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer<br />

Energien in den eigenen Fabriken<br />

installiert und dort mehr Strom aus regenerativen<br />

Quellen genutzt werden. Das Unternehmen<br />

hatte sich bereits 2015 verpflichtet, die eigenen<br />

Werke komplett auf Erneuerbare umzustellen.<br />

Dazu hat sich Tetra Pak vor zwei Jahren der Initiative<br />

RE100 angeschlossen, einer von weltweit<br />

tätigen Unternehmen getragenen Allianz<br />

zur Förderung der Nachfrage und Bereitstellung<br />

erneuerbarer Energien. Ihr haben sich bisher 88<br />

internationale Konzerne angeschlossen, darunter<br />

IKEA, Google und BMW. „Mit dem Anschluss<br />

an die RE100-Initiative profitieren wir von einer<br />

fachkundigen Anleitung und Peer-to-Peer-<br />

Learning“, sagte Vize-Präsident Charles Brand<br />

damals. Zum Zeitpunkt des Beitritts zur Initiative<br />

lag die Quote der Erneuerbaren in den Werken<br />

von Tetra Pak bei rund 20 Prozent.<br />

Bisher kein deutsches Unternehmen<br />

von SBT anerkannt<br />

An der SBT-Initiative (Motto: Driving Ambitious<br />

Corporate Climate Action) beteiligen sich<br />

derzeit 215 Unternehmen. 178 von ihnen haben<br />

sich verpflichtet, innerhalb von zwei Jahren<br />

ein wissenschaftsbasiertes Klimaziel festzulegen.<br />

Von derzeit<br />

37 Konzernen<br />

hat die Initiative entsprechende Ziele bereits<br />

anerkannt. Neben Tetra Pak gehören dazu<br />

unter anderem der Nahrungsmittelkonzern<br />

Nestlé, der US-amerikanische Einzelhandelskonzern<br />

Wal Mart sowie der Getränkeriese Coca<br />

Cola. Deutsche Konzerne finden sich bislang<br />

nicht auf der Liste der Unternehmen, deren Klimaschutzziele<br />

die SBT anerkennt.<br />

Cynthia Cummis vom World Resources Institute<br />

sagt, die SBT-Initiative biete Unternehmen, die<br />

dazu beitragen wollen, die schlimmsten Auswirkungen<br />

des Klimawandels zu vermeiden,<br />

eine wissenschaftlich gestützte Methodik. Nach<br />

Angaben der Initiative gelten unternehmerische<br />

Klimaziele dann als „wissenschaftsbasiert“,<br />

wenn sie im Einklang mit dem fünften Sachstandsbericht<br />

des Weltklimarats IPCC stehen<br />

und beitragen, den globalen Temperaturanstieg<br />

gegenüber der vorindustriellen Zeit auf maximal<br />

zwei Grad Celsius zu begrenzen.<br />

Laut Cummis gibt es eine „wachsende Zahl<br />

von Unternehmen, die die Vorteile einer kohlenstoffarmen<br />

Wirtschaft erkannt hat”. Ein<br />

deutschsprachiges Themenpapier, das im Projekt<br />

Klimareporting.de von WWF und CDP erarbeitet<br />

wurde und auf Publikationen der SBT-Initiative<br />

beruht, nennt als einen Vorteil einer<br />

wissenschaftsbasierten Strategie ein besseres<br />

Risikomanagement. Denn ein solcher Klimaschutzansatz<br />

setze „die sorgfältige Analyse von<br />

Emissionsquellen im Unternehmen voraus und<br />

bietet somit Potenziale zur Senkung von Energie-<br />

sowie Ressourcenkosten“. Zudem bereite<br />

er Unternehmen auf „weitere Regulierungsanforderungen<br />

infolge der langfristigen politischen<br />

Klimaziele“ vor. f<br />

Foto: Tetra Pak<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

45


Produktrisiken<br />

Albtraum<br />

Foto: Dmitry Kalinovsky / Fotolia.com<br />

Rückruf<br />

Unternehmensrisiken können vielfältiger Natur sein. Eines der größten <strong>Risiken</strong> ist ein<br />

mangelhaftes Produkt. Wir sprachen mit Dr. Sönke Voss, Referent für Industrie, Technologie<br />

und Innovation von der IHK Bodensee-Oberschwaben über Rückrufaktionen<br />

und Haftungsfragen.<br />

Jedes Unternehmen will sichere Produkte herstellen.<br />

Dennoch lässt sich nie ganz ausschließen, dass ein<br />

fehlerhaftes Produkt in den Verkehr gebracht wird.<br />

Was sind denn typische Fehler, über die wir hier<br />

reden?<br />

Dr. Sönke Voss: Typische Fehler kann man nicht<br />

verallgemeinern, sondern bedürfen einer unternehmens-<br />

sowie produktspezifischen Betrachtung.<br />

Fehler können bereits in der Konstruktionsphase,<br />

im Rahmen der Produktion, im<br />

Zusammenhang mit Bedienungsanleitungen<br />

oder Warnhinweisen sowie bei der Produktbeobachtung<br />

auftreten. In komplexen Lieferketten<br />

ist es oft aufwändig, die Verantwortlichkeit<br />

für einen Fehler festzustellen.<br />

Wird jemand durch ein fehlerhaftes Produkt geschädigt,<br />

wird entgegen der weit verbreiteten Erwartung<br />

häufig gar nicht das Produkthaftungsgesetz herangezogen,<br />

sondern allgemeine Schadensregelungen.<br />

Was umfasst denn alles die Produzentenhaftung?<br />

Dr. Voss: Die Produzentenhaftung ist ein Unterfall<br />

der Schadenersatzpflicht (§ 823 BGB) und<br />

stellt eine verschuldensabhängige Haftung dar.<br />

Jemand muss also gegen eine Sorgfaltspflicht<br />

verstoßen haben und hierdurch muss ein Schaden<br />

bei einem Dritten entstanden sein, damit<br />

Haftungsansprüche entstehen. Dies kann beispielsweise<br />

einen Hersteller betreffen, wenn<br />

er bei der Entwicklung bestimmte Sicherheitsvorschriften<br />

nicht berücksichtigt hat oder einen<br />

46 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


Produktrisiken<br />

Importeur, der eine Betriebsanleitung fehlerhaft<br />

übersetzt.<br />

Was ist der Unterschied zur Produkthaftung?<br />

Dr. Voss: Im Gegensatz zur Produzentenhaftung<br />

setzt die Produkthaftung nach dem Produkthaftungsgesetz<br />

kein Verschulden des Herstellers<br />

voraus, wenn eine Person oder privat genutzte<br />

Sache durch ein fehlerhaftes Produkt geschädigt<br />

wird. Somit kann es passieren, dass ein<br />

Hersteller sämtliche Sicherheitsanforderungen<br />

bis ins Detail berücksichtigt, viel Aufwand bei<br />

der Qualitätssicherung betreibt und trotzdem –<br />

beispielsweise für einen Ausreißer bei der Herstellung<br />

– haftet. Ein Importeur im Sinne dieses<br />

Gesetzes wird wie ein Hersteller behandelt.<br />

Wann greift die Mängelgewährleistung oder ein<br />

Garantieanspruch?<br />

Dr. Voss: Im Unterschied zur Produkthaftung<br />

muss sowohl bei der Mängelgewährleistung als<br />

auch bei einer Garantie ein Vertrag zwischen<br />

den Parteien vorliegen. Die Mängelgewährleistung<br />

ist gesetzlich geregelt und gewährt dem<br />

Käufer einen Gewährleistungsanspruch für 2<br />

Jahre ab Kauf der Sache. Weist beispielsweise<br />

ein Produkt einen Mangel oder nicht die vereinbarte<br />

Beschaffenheit auf, ergeben sich für<br />

den Käufer je nach Konstellation Ansprüche auf<br />

Nachbesserung durch seinen Lieferanten. In bestimmten<br />

Fällen können darüber hinaus Schadensersatzansprüche<br />

bestehen, beispielsweise<br />

bei einem durch den Lieferanten verschuldeten<br />

Lieferverzug, infolgedessen eine Produktionsanlage<br />

stillsteht. Der Hersteller kann dem Käufer<br />

zusätzlich freiwillig eine Garantie einräumen,<br />

wie z.B. die bekannte „Durchrostgarantie“<br />

bei Autoherstellern. In der vertraglichen Ausgestaltung<br />

eines solchen Garantieversprechens<br />

kann der Hersteller Art, Umfang und Dauer der<br />

Garantie frei bestimmen.<br />

Was ist bei einem fehlerhaften Produkt zu beachten?<br />

Dr. Voss: Der Rückruf ist das äußerste Mittel in<br />

einem breiten Portfolio an Korrekturmaßnahmen.<br />

Je nach vorliegendem Risiko können diese<br />

teilweise auch in Hinweisen zur sicheren Verwendung<br />

eines Produkts oder in einer Anpassung<br />

des Produktdesigns bestehen. Für einen<br />

Großteil der Verbraucherprodukte sind das Produktsicherheitsgesetz<br />

sowie damit zusammenhängende<br />

Verordnungen die rechtliche Basis<br />

für die Pflicht zur Durchführung von Korrekturmaßnahmen.<br />

Für reine B2B-Produkte lässt sich<br />

eine Pflicht für entsprechende Korrekturen aus<br />

der Produzentenhaftung ableiten. Insbesondere<br />

Hersteller und Importeure sollten sich daher<br />

proaktiv auf ein solches Szenario vorbereiten.<br />

Was ist bei einer Rückrufaktion zu beachten?<br />

Dr. Voss: Der Ablauf ist je nach Produktkategorie<br />

leicht unterschiedlich. Für Verbraucherprodukte<br />

im Sinne des Produktsicherheitsgesetzes<br />

beginnt der Prozess mit dem Eingang erster<br />

Hinweise auf mögliche von einem Produkt<br />

ausgehende <strong>Risiken</strong>. Diese werden im nächsten<br />

Schritt bewertet und festgestellt, ob Korrekturmaßnahmen<br />

erforderlich sind. Wichtig<br />

ist hierbei eine – gesetzliche vorgeschriebene<br />

– frühzeitige Einbeziehung der zuständigen<br />

Marktüberwachungsbehörde. Stellt sich heraus,<br />

dass ein Rückruf erforderlich ist, werden die<br />

konkreten Maßnahmen bestimmt. Diese reichen<br />

von der Kommunikation mit den Behörden<br />

über Hinweise an Händler und Verbraucher bis<br />

zu etwaigen Anpassungen bei künftig ausgelieferten<br />

Produkten. Die Durchführung der Maßnahmen<br />

wird eng überwacht und anhand von<br />

Zielparametern bewertet. Abschließend werden<br />

aus den Erfahrungswerten Verbesserungen zur<br />

Vermeidung künftiger Fehler oder in Hinblick<br />

auf künftige Korrekturmaßnahmen abgeleitet.<br />

Der Rückruf eines Produkts ist die ultimative Maßnahme.<br />

Wie kann man sich auf das Szenario einer<br />

Rückrufaktion vorbereiten?<br />

Dr. Voss: Die wirksamste Maßnahme zur Vermeidung<br />

von Rückrufen ist naturgemäß das<br />

Inverkehrbringen sicherer Produkte. Bereits<br />

im Zuge der Entwicklung sollte jedoch überlegt<br />

werden, aus welchen Informationsquellen Hinweise<br />

auf möglichen <strong>Risiken</strong> eingehen könnten<br />

und wie man diese zusammenführt. Auf diese<br />

Weise lässt sich häufig ein positiver Aspekt –<br />

nämlich die systematische Erfassung kundenseitiger<br />

Verbesserungsvorschläge – mit abdecken.<br />

Wenn das Produkt dann eingeführt wurde,<br />

sollte eine systematische Produktbeobachtung<br />

erfolgen. Je nach Produktart und potenziellen<br />

<strong>Risiken</strong> kann dies die Erfassung und Analyse<br />

von Beschwerden umfassen, aber auch bis zur<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

47


Produktrisiken<br />

Spektakuläre Rückrufe<br />

Automobilindustrie:<br />

Foto: gmg9130 / Fotolia.com<br />

regelmäßigen Prüfung von Stichproben reichen.<br />

Unabhängig von gesetzlichen Vorgaben ist zudem<br />

zu empfehlen, sich proaktiv Gedanken<br />

über die Kommunikation im Falle eines Rückrufs<br />

zu machen. Auch eine Zusammenfassung<br />

relevanter Anlaufstellen, Ansprechpartner und<br />

Dienstleister kann sehr nützlich sein. Dadurch<br />

hat man im Ernstfall deutlich mehr Ressourcen<br />

für die eigentliche Abwicklung des Rückrufs: Je<br />

nach Kommunikation mit den Kunden kann eine<br />

Rückrufaktion als Fiasko wahrgenommen werden<br />

oder als kundenfreundlicher Vorgang eines<br />

verantwortungsbewussten Unternehmens.<br />

Welche Unterstützung bietet die IHK?<br />

Dr. Voss: Die IHK Bodensee-Oberschwaben<br />

bietet im Bereich der Produkthaftung und Produktsicherheit<br />

umfangreiche Erstinformationen<br />

an. Zudem stellt sie einführende Online-Leitfäden<br />

zur Verfügung sowie Informationsveranstaltungen,<br />

anhand derer erster<br />

Handlungsbedarf erkannt werden kann. Zudem<br />

weisen die IHKs bei Bedarf auf geeignete<br />

Anlaufstellen hin, die weitergehende Unterstützung<br />

bieten können.<br />

Vielen Dank für das Gespräch! f<br />

Die unangefochtenen Spitzenreiter beim Thema<br />

Rückruf sind die Autobauer. Jede Marke<br />

hat hier ihre Geschichten zu erzählen. Beispiel<br />

Toyota: Bremsen, Gaspedal, Fußmatten – mehr<br />

als zehn Millionen Autos müssen 2010 weltweit<br />

wegen technischer Probleme zurückgerufen<br />

werden. Der monetäre Schaden beträgt<br />

mehr als eine Milliarde<br />

Dollar, schlimmer wiegt<br />

der Reputationsschaden.<br />

Toyota ist ab dann sein<br />

Image als stets zuverlässige<br />

Marke los. Ein<br />

Trost bleibt den Japanern:<br />

Die anderen<br />

machen es bis heute<br />

auch nicht besser.<br />

Ausnahme ist die Marke<br />

Hummer: Der umstrittene<br />

Spritfresser verschwand<br />

2009 im Zuge der<br />

Insolvenz von GM gleich<br />

selbst vom Markt.<br />

Blei-Alarm in Barbies:<br />

Immer wieder ist Kinderspielzeug<br />

von Rückrufaktionen<br />

betroffen. In diesem<br />

Fall aus dem Jahr 2009 geht es<br />

um überhöhte Bleikonzentrationen<br />

in Spielwaren aus China. Das weisen Verbraucherschützer<br />

der Spielzeugfirma nach. Vor<br />

allem die beliebten Barbie-Puppen und ihre Accessoires<br />

sind davon betroffen. Als der Skandal<br />

publik wird, versucht Mattel die Verantwortung<br />

komplett auf den chinesischen Lieferanten abzuwälzen.<br />

Als das Vertrauen der Eltern schwindet,<br />

schwenkt die Firma um: Nach langem Hin<br />

und Her übernimmt Mattel am Ende doch die<br />

volle Verantwortung für den Rückruf der Produkte<br />

aus China. Insgesamt geht es um rund 21<br />

Millionen Teile, darunter auch viel Zubehör von<br />

Barbie-Puppen. Und kommt der Fall Mattel teuer<br />

zu stehen? Nö. Mattel und das Tochterunternehmen<br />

Fisher Price zahlen am Ende 2,3 Millionen<br />

Dollar Strafe. f<br />

Foto: industrieblick / Fotolia.com, Klaus Rupp / pixelio.de<br />

48 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


Produktrisiken<br />

Beispiele und typische Fallstricke<br />

Im Schadensfall werden häufig sehr umfangreiche<br />

Forderungen an Qualitätssicherung, Dokumentation<br />

und weitere Bereiche gestellt. Die<br />

folgenden Beispiele bzw. „häufigen Fehler“ erfolgen<br />

daher ohne Gewähr oder Anspruch auf<br />

Vollständigkeit und können lediglich erste Impulse<br />

für eine individuelle Anpassung oder Ergänzung<br />

von Maßnahmen liefern:<br />

Vertragswesen<br />

Einkauf /<br />

Beschaffung<br />

Marketing/Vertrieb<br />

Wareneingang<br />

Anleitungen<br />

Keine oder unvollständige Behandlung von Haftungsszenarien. Kein Ausschluss<br />

oder keine Beschränkung hinsichtlich mittelbarer Schäden, Produktionsausfall,<br />

entgangenem Gewinn usw.<br />

Keine Vereinbarung einer Beschaffenheit, keine explizite Berücksichtigung von<br />

Sicherheits-Aspekten z.B. in Verträgen mit außereuropäischen Lieferanten<br />

Darstellung / Beschreibung von Produkten in nicht vorgesehenen Verwendungsarten.<br />

Wecken überhöhter Sicherheitserwartungen<br />

Keine systematische Dokumentation der Wareneingangskontrolle oder<br />

Beschränkung lediglich auf Maße, Optik, etc.<br />

Keine Eingrenzung der vorgesehenen Verwendung. Fehlende oder zu eng<br />

gefasste Sicherheitshinweise. Keine Übersetzung von Bedienungsanleitungen in<br />

Fremdsprachen<br />

Produktbeobachtung<br />

Keine systematische Erfassung sicherheitsrelevanter Mängel. Keine Dokumentation<br />

von Beobachtungs-Maßnahmen bzw. -Prozessen. Keine Dokumentation erkannter<br />

Verwendungsarten (vorgesehene + Fehlanwendungen)<br />

Lieferanten<br />

Keine Sicherstellung der Erkennung von Änderungen bei Werkstoffen, Bauarten<br />

etc., welche eine neue Sicherheitsbewertung erfordert (z.B. durch Verträge, Audits,<br />

Stichproben-Analysen)<br />

Fertigung<br />

Konstruktion /<br />

Entwicklung<br />

Chargenverwaltung<br />

Hersteller-Rolle<br />

Verteilung der<br />

Pflichten<br />

Fortbildung<br />

Schnittstellen<br />

Keine Mechanismen zur Erkennung sicherheitsrelevanter Änderungen<br />

(Produktionsprozess, Qualitätssicherung, verwendete Komponenten). Keine<br />

durchgängige Dokumentation sicherheitsrelevanter Prüfungen / Qualitätskontrollen<br />

Verwendung veralteter Dokumente (z.B. Risikobeurteilung), Normen, etc.; keine<br />

systematische Beobachtung von Normen-Änderungen<br />

Keine Möglichkeit der Zuordnung von Komponenten / Produkten zu bestimmten<br />

Chargen oder Produktionszeiträumen<br />

Fehlende Festlegung der Hersteller-Verantwortlichkeiten z.B. bei aus verschiedenen<br />

Komponenten zusammengefügten Produkten<br />

Keine vertragliche Festlegung in der Lieferkette, wer etwaige Pflichten aus ProdSG,<br />

CE-Richtlinien, etc. erfüllt (insbesondere bei Bezug von außereuropäischen<br />

Lieferanten oder bei komplexen Produkten)<br />

Keine / mangelnde Fortbildung von Mitarbeitern in haftungsrelevanten Bereichen;<br />

keine Sensibilisierung der übrigen Mitarbeiter für die Thematik<br />

Keine oder widersprüchliche Festlegung von Prozessen / Schnittstellen für<br />

sicherheitsbzw. haftungsrelevante Vorgänge. Kein zentraler Akteur / Freigabeprozess<br />

Quelle: IHK Bodensee-Oberschwaben<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

49


Produktrisiken<br />

LEBENSMITTEL<br />

Die Branche mit dem höchsten Reputationsrisiko<br />

Eine kleine Ursache mit großer Wirkung: Defekt an einer Reinraumschleuse. Wie lange<br />

er schon besteht, lässt sich nicht mehr genau feststellen. Einige Chargen weisen Keime<br />

auf. Ausgelieferte Ware wird zurückgerufen; sicherheitshalber die Produktion einer<br />

ganzen Woche. Nur wenige Firmen der Lebensmittelindustrie betreiben für solche<br />

Notfälle aktive Vorsorge. Dabei ist im Risikomanagement „Schutz mit System“ durchaus<br />

machbar. Experten sagen, worauf es dabei ankommt.<br />

Von Manfred Godek<br />

Foto: LVDESIGN / Fotolia.com<br />

„Schnell kommen selbst auf kleinere Firmen<br />

Kosten von einer halben Million Euro zu“, weiß<br />

Claas Hußmann, Firmenkundenbetreuer der<br />

auf die Lebensmitteindustrie spezialisierten<br />

BDJ Versicherungsmakler. Ein Rechenbeispiel<br />

verdeutlicht die wirtschaftliche Dimension. Bei<br />

einem Umsatz von 40 Mio. € wäre das Jahresergebnis<br />

von angenommen zwei Prozent mehr<br />

als halbiert; den Aufwand für PR, um das Vertrauen<br />

bei Kunden und Verbrauchern zurück<br />

zu gewinnen, nicht eingerechnet. Ein solcher<br />

Ertragseinbruch kann bei dünner Kapitaldecke<br />

existenzbedrohend sein; in jedem Fall belastet<br />

er das Rating durch Investoren und Kreditgeber<br />

und verteuert die Finanzierung.<br />

Immer mehr Rückrufe<br />

Trotz eines intensiven Qualitätsmanagements<br />

gibt es immer mehr Produktrückrufe. Die Zahl<br />

der behördlichen Lebensmittelwarnungen hat<br />

sich zwischen Januar 2011 (25) und August 2014<br />

(107) vervierfacht. Dies ist aber nur die Spitze<br />

des Eisbergs. Die Zahl der Marktentnahmen<br />

ohne Verbraucherinformation hat nach Einschätzung<br />

der Beratungsgesellschaft AFC Risk &<br />

Crisis Consult ebenfalls deutlich zugenommen,<br />

da viele Unternehmen aufgrund der Komplexität<br />

der Krisenfälle geneigt seien, die betroffenen<br />

Produkte frühzeitig vom Markt zu nehmen.<br />

Gefährdungen der Lebensmittelsicherheit haben<br />

natürlich eine besondere Sprengkraft.<br />

Hinzu kommen <strong>Risiken</strong>, denen Unternehmen<br />

ohnedies ausgesetzt sind: Feuer, IT-Ausfälle<br />

oder Störungen in der Lieferkette. Potenziert<br />

werden sie durch die branchenspezifische Komplexität.<br />

Wer mehrere Filialisten beliefert, hat<br />

es neben einem gigantischen Logistikaufwand<br />

mit tausenden verärgerten Kunden zu tun. Und<br />

mit Millionen von verunsicherten Verbrauchern.<br />

Die Lebensmittel- und Getränkeindustrie<br />

hat laut Allianz Risk Barometer 2015 von<br />

allen Branchen das höchste Reputationsrisiko.<br />

Risikoanalyse und -bewertung<br />

Umso erstaunlicher ist die mangelhafte Vorbereitung<br />

auf Ernstfälle. „Die Unternehmen verfügen<br />

zwar über ein mehr oder minder gut ausgearbeitetes<br />

Krisenmanagementsystem. Dieses<br />

bietet allerdings keine Garantie für ein ange-<br />

50 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


Produktrisiken<br />

messenes Vorgehen im Falle eines Falles“, so<br />

AFC-Geschäftsführer Dr. Michael Lendle. Man<br />

sei sich zwar der Gefahren bewusst, es fehle aber<br />

das Know-how, diese betriebsbezogen zu analysieren<br />

und zu bewerten, was Voraussetzung für<br />

eine detaillierte Notfallplanung sei. Ist nicht<br />

exakt festgelegt, was im Fall eines Falles zu tun<br />

ist, bricht erst einmal Hektik aus. Eine solche<br />

ist kaum geeignet, den Schaden gering zu halten.<br />

Dazu sind die Unternehmen aber verpflichtet,<br />

wenn am Ende die Versicherung einspringen<br />

soll. „Die Versicherer verstehen sich nicht<br />

als Zahlstelle, sondern als Teil eines integrierten<br />

Risikomanagements“, betont BDJ-Experte<br />

Hußmann die Bedeutung von Präventionsmaßnahmen.<br />

Beispielsweise dürfe ein Rückrufplan<br />

nicht in den Schubladen verstauben, sondern<br />

müsse regelmäßig geübt werden, damit er von<br />

der ersten Sekunde an funktioniere.<br />

Keine Frage der Größe<br />

Krisenberater Matthias Hämmerle von Haemmerle-Consulting<br />

vergleicht den zu erstellenden<br />

Notfallplan mit einer verständlich formulierten<br />

Gebrauchsanweisung. „Man ist mit<br />

einer neuen Situation konfrontiert und benötigt<br />

eine Anleitung, um Sicherheit zu erhalten.“ Es<br />

handele sich um kein alltägliches Arbeitsinstrument.<br />

Manche Beteiligte bekämen das Dokument<br />

im Notfall zum ersten Mal in die Hand.<br />

Sie müssten schnell erkennen, „wie der Hase<br />

läuft” und einzelne Schritte auch überspringen<br />

oder intuitiv ausführen können. „Ein Risikomanagement<br />

lässt sich hinsichtlich Eventualplanung,<br />

Personaleinsatz und Equipment auf<br />

die Größe und wirtschaftlichen Möglichkeiten<br />

eines Unternehmens zuschneiden“, betont<br />

Michael Lendle (AFC). Egal, ob diese Anleitungen<br />

in einem konzernweit vernetzten Enterprise-<br />

Risk-Management-System zur Verfügung stünden<br />

oder in stets griffbereiten Leitz-Ordnern.<br />

Der Experte beschreibt die systematische Vorgehensweise:<br />

Zunächst müsse ermittelt werden,<br />

welche <strong>Risiken</strong> relevant sind. Im nächsten<br />

Schritt gelte es, diese <strong>Risiken</strong> anhand ihrer<br />

möglichen Schadenswirkung zu bewerten. Kriterien<br />

sind die bis zur Wiederaufnahme des Betriebes<br />

erforderlichen Wiederherstellungskosten<br />

sowie der Aufwand für die Wiederaufnahme<br />

des Geschäftsbetriebes. Der TÜV Süd empfiehlt<br />

kleinen und mittleren Unternehmen die neue<br />

Version der Norm ISO 9001, die explizit die Bereiche<br />

benennt, in denen ein systematisches Risikomanagement<br />

erforderlich ist.<br />

Versicherungsschutz anpassen<br />

Eine Risikoanalyse ist in der Regel mit einer<br />

Neubewertung des Versicherungsschutzes<br />

verbunden. Viele Unternehmen haben es über<br />

Jahre versäumt, ihn an die gestiegenen Risikograde<br />

anzupassen. Diese resultieren unter<br />

anderem aus den inzwischen hochentwickelten<br />

Messtechniken, immer niedrigeren Grenzwerten<br />

und der Bereitschaft der Behörden zu<br />

drastischen Sanktionen. Klassische Rückrufkosten-Haftpflichtversicherungen<br />

zum Beispiel<br />

decken im Gegensatz zu Produktschutzversicherungen<br />

lediglich die Beseitigung und Vernichtung<br />

der Produkte und bestimmte Rückrufkosten<br />

von Weiterverarbeitern oder des Handels<br />

ab, nicht aber den eigenen, womöglich noch viel<br />

höheren Schaden. Genauso könnte man Firmenfahrzeuge<br />

lediglich haftpflichtversichern<br />

in der Hoffnung, sie würden Crashs ohne eigene<br />

Schrammen überstehen. Wichtig ist eine objektive,<br />

anbieterneutrale Beratung, die sich nicht<br />

an Vertriebsinteressen orientiert, sondern vielmehr<br />

auf ein Gesamtkonzept aus Risikoschutz<br />

und Prävention ausgerichtet ist. Sie schützt<br />

– pointiert ausgedrückt – auch vor dem Kleingedruckten<br />

in den Policen. Mit Hilfe eines unabhängigen<br />

Versicherungsmaklers lassen sich<br />

Verträge individuell gestalten; unter anderem<br />

können gefährliche Klauseln, zum Beispiel ein<br />

Rückrufplan sei im Schadensfall „zu 100 Prozent“<br />

einzuhalten, umgangen werden.<br />

„Notfallmanagement und Versicherung sind<br />

zwei Seiten der gleichen Medaille“, betont<br />

Claas Hußmann von BDJ Versicherungsmakler.<br />

Bei fehlendem Risikomanagement gebe<br />

es in der Regel keinen Versicherungsschutz;<br />

hohe Standards würden dagegen mit Prämiennachlässen<br />

honoriert. Zudem unterstütze die<br />

Assekuranz die Planung einschließlich der Beratung<br />

durch Spezialisten in der Regel mit 10<br />

Prozent einer Jahresnettoprämie für die Erstberatung<br />

und mit 5 Prozent der Folgeprämien. f<br />

Der Beitrag erschien im Original in der Zeitschrift<br />

„LVT LEBENSMITTEL“.<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

51


Produktrisiken<br />

Interview mit Manfred Godek,<br />

Kommunikationsberater und Autor, Monheim am Rhein<br />

risiken<br />

gehören zum Geschäft<br />

In Ihrem Beitrag [Anm. d. Red. siehe S. 50] kommen<br />

vor allem Berater zu Wort. Konnten Sie keine Stimmen<br />

aus Unternehmen einfangen?<br />

Die Lebensmittelbranche gibt sich sehr zugeknöpft.<br />

Unternehmen verweisen auf ein existierendes<br />

Risikomanagement, sagen aber nicht,<br />

was konkret getan wird. Zu Produkten kann<br />

man auf den Webseiten endlos scrollen. Aber<br />

nicht dazu, was passiert, wenn Ware kontaminiert<br />

oder verdorben ist.<br />

Worin sehen Sie den Grund für die Zurückhaltung?<br />

Es herrscht eine beinahe panische Angst davor,<br />

sozusagen mit den eigenen Schwachstellen ertappt<br />

zu werden. Dabei kann man unter www.<br />

lebensmittelwarunung.de nachlesen, was fast<br />

täglich passiert. <strong>Risiken</strong> gehören zum Geschäft.<br />

Sie resultieren aus immer komplexer werdenden<br />

Lieferketten und Prozessen. Sie sind systemimmanent<br />

und gehören entsprechend thematisiert.<br />

Tatsächlich werden sie tabuisiert.<br />

Was kann eine intensivere Öffentlichkeitsarbeit bewirken?<br />

Definitiv mehr Glaubwürdigkeit und Vertrauen.<br />

Verarbeiteten Lebensmitteln haftet ohnehin ein<br />

schlechter Ruf an. Wenn Bakterien oder Glassplitter<br />

hinzukommen, wird der Verbraucher in<br />

seiner negativen Haltung bestätigt. Die Unternehmen<br />

sollten auf ihren Internetseiten kommunizieren,<br />

dass sie Produktrisiken ernst nehmen<br />

und wie sie mit ihnen umgehen.<br />

Sie schreiben, dass im Ernstfall unprofessionell reagiert<br />

wird. Welches sind die Ursachen und Folgen?<br />

Betroffene Unternehmen reagieren wenig souverän.<br />

Es wird abgeblockt, herum laviert und<br />

beschönigt. Der Verbraucher fühlt sich verschaukelt.<br />

Er hat eine perfide Art entwickelt,<br />

sich zu rächen, indem er bestimmte Produkte<br />

meidet oder von einzelnen Herstellern nicht<br />

mehr kauft.<br />

Wie kann Kommunikation auf eine solche Situation<br />

professionell eingestellt werden?<br />

Im Gegensatz zu administrativen Prozessen<br />

lässt sich Kommunikationsfähigkeit nicht<br />

durch Handbücher vermitteln. Bewährt haben<br />

sich Trainings, bei denen Notfallszenarien<br />

definiert und durchgespielt werden. Dazu gehörten<br />

Sprachregelungen gegenüber der Presse<br />

und Kommunikation wie Telefonate oder<br />

E-<strong>Mai</strong>l-Verkehr mit Vertriebspartnern, Lebensmitteluntersuchungsämtern<br />

und Journalisten.<br />

Aktion und Redaktion werden professionell ausgewertet<br />

und nachjustiert.<br />

Also eine Art Training zu Stressbewältigung?<br />

Das Ziel ist Wahrheit und Klarheit. Lügen und<br />

Vernebelung wären zunächst sogar einfacher.<br />

Die Folgen daraus wie jahrelange Reputationsschäden<br />

aber um mein Vielfaches dramatischer.<br />

Vielen Dank für das Gespräch! f<br />

52 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


Produktrisiken<br />

Verbraucherschutz bizarr:<br />

Klagewelle in Amerika<br />

gegen Lebensmittelindustrie<br />

In jüngster Zeit ist es in den USA zu ungewöhnlichen Sammelklagen gegen Firmen<br />

der Lebensmittelindustrie gekommen. Egal ob Starbucks, Subway oder McDonald’s<br />

– in allen Fällen wurden Nahrungsmittel von Verbrauchern bezichtigt, nicht den vom<br />

Hersteller gegebenen Standards zu entsprechen. Die Folge: meist immens hohe<br />

Schadenersatzzahlungen der Unternehmen. Doch dabei steht der Verbraucherschutz<br />

oftmals gar nicht im Vordergrund – Sammelklagen stellen mittlerweile ein lukratives<br />

Geschäftsfeld amerikanischer Anwälte dar.<br />

Foto: zolnierek / Fotolia.com<br />

Von Julia Arendt<br />

Der Eiskaffee enthält viel Eis, die Schokocreme<br />

zum Frühstück ist gar nicht so gesund und nahrhaft<br />

wie in der Werbung beschrieben, und Heißgetränke<br />

stellen ein Verletzungsrisiko dar – was<br />

für den herkömmlichen Konsumenten als nicht<br />

sehr überraschend erscheint, sorgte in den USA<br />

innerhalb der letzten Jahre für Sammelklagen<br />

gegen die Lebensmittelindustrie.<br />

Im Jahr 2008 wurden in amerikanischen Bundesgerichten<br />

gerade einmal 19 Sammelklagen<br />

gegen Nahrungsmittelunternehmen verhandelt.<br />

In 2016 waren es mit 171 gleich neunmal so<br />

viele. Dies geht aus einem Bericht des „Institute<br />

for Legal Reform“ hervor, einer gemeinnützigen<br />

Organisation der amerikanischen Handelskammer.<br />

Meist genügt sogar eine schriftliche Klagedrohung<br />

der Anwälte aus, um die Unternehmen zu<br />

einer außergerichtlichen Einigung zu bewegen.<br />

Für die ist das meist die akzeptabelste Lösung:<br />

eine Klage und der damit verbundene Aufwand<br />

wird vermieden, genauso wie eine Rufschädigung<br />

des Unternehmens. Die Folge solcher privaten<br />

außergerichtlichen Beilegungen ist demnach<br />

nicht die Behebung der „Produktfehler“,<br />

um die es eigentlich bei der Klage ging, sondern<br />

die finanzielle Zufriedenstellung der Kläger und<br />

Anwälte. Deshalb haben die Konsumenten auch<br />

nichts davon, die Lebensmittel bleiben nämlich<br />

meist in ihrem ursprünglichen Zustand.<br />

Laut der Studie des Instituts ist der Verbraucherschutz<br />

daher nicht entscheidend und ausschlaggebend<br />

für den Boom an Sammelklagen<br />

in der Lebensmittelindustrie, sondern fast immer<br />

geht es um die Schadenersatz-Zahlungen<br />

der Unternehmen. Während die Anwälte als<br />

Honorar etwa ein Drittel der Vergleichssumme<br />

erhalten, bekommen die Konsumenten nur<br />

Gutscheine für einzelne Artikel, die Gegenstand<br />

der Klage waren. Somit endet eine außergerichtliche<br />

Einigung nach einer Klage oder Klagedrohung<br />

am profitabelsten für die Anwälte<br />

der Kläger.<br />

In 2013 wurde zum Beispiel die bekannte Sandwich-Kette<br />

Subway verklagt. Der Grund: die<br />

Baguettes, die von dem Unternehmen als „one<br />

foot“ lang (30,48 Zentimeter) beworben wurden,<br />

waren doch nicht alle exakt 30,48 Zentimeter<br />

lang. Durch den Backvorgang gerieten<br />

einige Brote etwas länger oder kürzer. Es folgten<br />

zehn Sammelklagen gegen das Fast-Food-Unternehmen.<br />

Die Einigung bestand in diesem Fall<br />

darin, dass Subway das Verfahren für 525.000<br />

Dollar beilegte. Ganze 520.000 Dollar erhielten<br />

die Anwälte, wobei die Kläger jeweils 500 Dollar<br />

erhielten. f<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

53


Produktrisiken<br />

Lebensmittelskandale<br />

Mozzarella<br />

„Mama Mia, was für ein Scheiß“, möchte<br />

man sagen. Mit Mäusekot verunreinigter<br />

Käse landet 2008 auf deutschen Frischtheken:<br />

11.000 Tonnen vergammelter<br />

Mozzarella aus Italien sorgt europaweit<br />

für Ekel an den Käsetheken der Supermärkte.<br />

Sprossen<br />

Immer mehr Lebensmittelskandale<br />

– da gibt’s nur eine<br />

Lösung: Bio-Lebensmittel. Von<br />

wegen. 2011 erschüttert einer der<br />

schlimmsten Fälle die Verbraucherszene.<br />

Bundesweit sterben<br />

rund 50 Menschen an den Folgen<br />

des gefährlichen Ehec-Darmkeims.<br />

Die Behörden suchen<br />

fieberhaft und werden am Ende<br />

fündig: Auslöser sind Bio-zertifizierte<br />

Sprossen aus Ägypten.<br />

Abgepacktes Fleisch<br />

2005: In zwei Supermarkt-Filialen<br />

von real in Hannover werden Mitarbeiter<br />

dabei ertappt, wie sie Fleisch<br />

mit abgelaufenem Verbrauchsdatum<br />

neu verpacken und damit das<br />

Verfallsdatum manipulieren. Real ist<br />

kein Einzelfall – auch in anderen Supermärkten<br />

wird diese üble Masche<br />

enttarnt.<br />

Döner<br />

Der Deutschen liebstes Fast<br />

Food Gericht ist der Döner. Naja,<br />

vielleicht nicht gerade in der Zeit<br />

nach August 2007. Damals fliegt<br />

ein Händler aus dem bayerischen<br />

Wertingen auf, der 200 Tonnen<br />

Gammelfleisch um-etikettierte<br />

und als Dönerfleisch nach Berlin<br />

verkaufte.<br />

54


Produktrisiken<br />

Wein<br />

Deutscher Wein, das ist fein. Von wegen. 1985 tauchen<br />

mit Glykol gepanschte Weine im Handel auf.<br />

Dabei sollte Diethylen-Glykol eigentlich nur als<br />

Frostschutzmittel verwendet werden.<br />

Eier<br />

2012 werden Eier zu Sondermüll.<br />

Es ist kurz vor Ostern,<br />

als immer öfter verseuchte<br />

Eier auftauchen, ausgerechnet<br />

bei einem Bio-Bauernhof in<br />

Nordrhein-Westfalen. Die Eier<br />

enthalten Dioxin in einer Konzentration,<br />

die sechsmal so hoch<br />

ist wie erlaubt.<br />

Lasagne, Ravioli & Co<br />

2013 wird in ganz Europa Pferdefleisch<br />

in Millionen Fertiggerichten entdeckt.<br />

Vor allem Lasagne, Ravioli und Tortellini<br />

sind betroffen. Verkauft wird<br />

die Schmuddelware in praktisch allen<br />

Supermärkten: u.a. Edeka, Aldi, Kaiser's<br />

Tengelmann, REWE, Lidl und beim<br />

Tiefkühl-Heimlieferservice Eismann.<br />

Shrimps<br />

„Meeresfrüchte“ und Antibiotika –<br />

das ist schon seit Jahrzehnten eine<br />

feste Kombination. 2001 gelangten<br />

Shrimps in die Kühltheken, die mit<br />

dem EU-weit verbotenen Antibiotikum<br />

Chloramphenicol belastet<br />

waren. Herkunftsland war Asien.<br />

Die auch heute noch oft Antibiotika-belasteten<br />

Schalentiere von<br />

dort laufen übrigens unter dem<br />

Etikett „Freshwater“.<br />

Foto: Marion Lenzen<br />

55


Produktrisiken<br />

Transparente<br />

Lieferketten<br />

Foto: 06photo / Fotolia.com<br />

Lebensmittelbetrug ist fast so lukrativ wie Drogenhandel. Das Milliardengeschäft mit<br />

falschen Zutaten oder Etikettenschwindel kann gesundheitliche Folgen für Verbraucher<br />

haben und den Ruf der Hersteller dauerhaft schädigen. Die internationale Zertifizierungsgesellschaft<br />

DNV GL hilft Unternehmen dabei, die <strong>Risiken</strong> für Betrugsfälle in ihrer Lieferkette<br />

zu bewerten, ihnen vorzubeugen und in Krisen einen kühlen Kopf zu bewahren.<br />

Von Jennifer Nicolay<br />

Analogkäse, gepanschtes Olivenöl, Pferdefleisch<br />

in Lasagneprodukten – die Liste von<br />

Betrugsfällen in der Lebensmittelindustrie ist<br />

lang. Was als Skandal an die Öffentlichkeit gelangt,<br />

wirft lediglich ein Schlaglicht auf das<br />

gesamte Ausmaß. Die Weltgesundheitsorganisation<br />

geht davon aus, dass jährlich zwei<br />

Millionen Menschen an verunreinigten Lebensmitteln<br />

sterben. Das Geschäft ist für die<br />

Verbrecherbanden so lukrativ wie Drogen- oder<br />

Menschenhandel, so das Bundesamt für Verbraucherschutz<br />

und Lebensmittelsicherheit.<br />

Konkret bringen Betrüger dabei absichtlich<br />

Produkte in den Umlauf, um die Abnehmer zu<br />

täuschen und daraus einen wirtschaftlichen<br />

Vorteil zu erlangen.<br />

Dies gelingt ihnen, indem sie falsche Inhaltsangaben<br />

machen, minderwertige Bestandteile<br />

beimengen oder falsche Etikettierungen anbringen.<br />

Grün gefärbtes Salatöl, das als teures<br />

Olivenöl verkauft wird, ist der Klassiker unter<br />

den aufgedeckten Betrugsfällen. Zum Teil werden<br />

sogar billige, nicht essbare Teile mit den<br />

Lebensmitteln vermischt, um deren Volumen<br />

zu vergrößern und höhere Gewinne zu erzielen.<br />

Besonders gefährlich kann es für Allergiker<br />

werden, wenn statt gemahlener Haselnüsse<br />

billigere Erdnüsse in den Packungen stecken.<br />

Zu solchen Fällen kann es überhaupt erst kommen,<br />

weil die komplexen globalen Lieferketten<br />

oft nicht umfassend genug kontrolliert werden.<br />

Ist die Ware einmal unentdeckt in den Handel<br />

gelangt, steht nicht nur die Sicherheit der Produkte<br />

auf dem Spiel. Schon ein Einzelfall, der an<br />

die Öffentlichkeit gelangt, kann den Ruf der betroffenen<br />

Unternehmen nachhaltig schädigen.<br />

Eine transparente Wertschöpfung sei das beste<br />

Mittel, um für sichere Lebensmittel und verlässliche<br />

Lieferungen zu sorgen, empfiehlt die<br />

internationale Zertifizierungsgesellschaft DNV<br />

GL. Sie unterstützt Unternehmen dabei, ihre<br />

gesamte Lieferkette im Blick zu behalten und<br />

Betrugsfällen so entgegen zu wirken.<br />

Transparenz in der Lebensmittelbranche<br />

besonders gefragt<br />

Die Verbraucher sind ein wichtiger Treiber für<br />

transparente Lieferketten. Die Kunden wollen<br />

genau wissen, woher die Produkte kommen und<br />

was in ihnen steckt. Häufiger als in anderen<br />

Branchen ergreifen Lebensmittelhersteller daher<br />

Maßnahmen, die das Lieferkettenmanagement<br />

unter die Lupe nehmen und es verbessern<br />

56 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


Produktrisiken<br />

sollen, sagen Experten. Besonders gefragt sind<br />

laut einer internationalen Umfrage Assessments,<br />

die dabei helfen, die <strong>Risiken</strong> entlang der<br />

Wertschöpfungskette zu verstehen. DNV GL hat<br />

dies im Rahmen ihrer Viewpoint Studie im Jahr<br />

2014 herausgefunden.<br />

Bei der Umfrage wurden 2.062 Unternehmen<br />

verschiedener Branchen weltweit befragt, wie<br />

zukunftsfähig ihre Lieferkette ist und welche<br />

Instrumente sie dazu einsetzen. Es zeigte sich in<br />

vielen Bereichen, dass die Lebensmittelhersteller<br />

besonders aktiv im Vergleich zu den anderen<br />

Unternehmen sind.<br />

Risikobereiche in der Lebensmittelbranche<br />

Die kritischen Bereiche, die im Fokus der Kunden<br />

stehen, sind gleichzeitig auch die Haupt-Risikobereiche<br />

in der Lebensmittellieferkette:<br />

Produktsicherheit und Qualität. Läuft es in der<br />

Lieferkette nicht rund, sind diese Kernbereiche<br />

des Geschäfts unmittelbar bedroht. Eine gesonderte<br />

Studie von DNV GL mit 500 Lebensmittelherstellern<br />

ergab, dass Unternehmen sie besonders<br />

in zwei Fällen als risikoreich identifizieren:<br />

Wenn sie sogenannte komplexe Produkte mit<br />

vielen Zutaten weiterverarbeiten oder wenn<br />

die Lieferketten durch bestimmte Regionen in<br />

Asien verlaufen.<br />

Die Lieferketten können in beiden Fällen eine<br />

hohe Komplexität und Undurchsichtigkeit aufweisen.<br />

Das macht sie auch anfälliger für Betrugsfälle.<br />

Vorsichtig sollten Unternehmen auch<br />

sein, wenn die Preise der Waren stark schwanken.<br />

Preisschwankungen gelten als spezifischer<br />

Risikoindikator für Lebensmittelbetrug, warnt<br />

das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit.<br />

Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln<br />

Lebensmittelqualität und -sicherheit können<br />

nur dann garantiert werden, wenn die Lieferkette<br />

von Anfang bis Ende transparent ist und<br />

systematisch gesteuert wird, so DNV GL. Hilfreiche<br />

Instrumente stellen dabei Trackingund<br />

Tracingberichte dar. Sie ermöglichen eine<br />

Rückverfolgbarkeit der Lebensmittel, indem sie<br />

unter anderem dokumentieren, welche Ausgangsprodukte<br />

verarbeitet wurden und wer für<br />

welchen Prozess verantwortlich ist. Kommt es<br />

zu Qualitäts- oder Sicherheitsmängeln, ist es<br />

wichtig, die betroffene Charge zügig zu identifizieren<br />

und zurückrufen zu können – egal an<br />

welcher Stelle der Lieferkette man sich befindet.<br />

Damit die Rückverfolgbarkeit lückenlos<br />

vom Anfang der Wertschöpfungskette bis zu<br />

ihrem Ende gelingt, bietet DNV GL verschiedene<br />

Trainings und international anerkannte Zertifizierungen<br />

an.<br />

Unter anderem empfiehlt sie den Einsatz des<br />

Rückverfolgbarkeitsstandards ISO 22005:2007.<br />

Hier helfen klar definierte Prozesse, die Überprüfungen<br />

zu koordinieren und sie zu dokumentieren.<br />

Laut der Viewpoint Studie gehören<br />

Zertifizierungen und Audits zu den wichtigsten<br />

Maßnahmen für Unternehmen aller Branchen,<br />

um ihre Lieferketten nachhaltig zuverlässig zu<br />

gestalten. Die „eine“ richtige Methode gebe es<br />

aber nicht, betonen die Experten von DNV GL.<br />

Entsprechend breit ist das Portfolio der angebotenen<br />

Management-Instrumente.<br />

Audits und Zertifizierungen als Business-Case<br />

Allein für die Lebensmittelbranche bietet DNV<br />

GL über 20 Zertifizierungen an. Darunter ist etwa<br />

der Marine Stewardship Council (MSC)-Standard<br />

für nachhaltige Fischerei oder auch der<br />

„Roundtable on Sustainable Palm Oil“ (RSPO).<br />

Palmöl gilt als eines der begehrtesten Produkte<br />

der Lebensmittelindustrie und steht häufig in<br />

der Kritik, manipuliert zu werden. Gültige Zertifikate<br />

bestätigen, dass ein definierter Standard<br />

eingehalten wurde und dass eine Rückverfolgbarkeit<br />

gegeben ist.<br />

Im Zentrum all dieser betrieblichen Prozesse<br />

steht ein sicheres Lebensmittel. Für Unternehmen<br />

lohnt sich eine Zertifizierung gleich<br />

in mehrfacher Hinsicht. Sie können glaubwürdig<br />

über ihre Produktqualität, die Herkunftsländer<br />

oder beispielsweise die Einhaltung von<br />

Öko-Standards berichten. Das hilft am Ende<br />

auch den Verbrauchern, eine informierte Entscheidung<br />

über ihre Einkäufe zu treffen. Unternehmen<br />

können darüber hinaus mit einer<br />

transparenten Lieferkette ihre Kommunikation<br />

mit den Handelspartnern verbessern und<br />

ihre Warenströme effizienter gestalten. So<br />

lässt sich etwa verhindern, dass es zu Leerfahrten<br />

kommt oder die Lager nicht optimal<br />

genutzt werden. f<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

57


Reputationsrisiken<br />

Foto: Sergey Ryzhov / Fotolia.com<br />

Wenn Innovationen<br />

Marken schwächen<br />

Zunehmende Digitalisierung, branchenfremde Konkurrenten oder agile Start-ups: Die<br />

Innovationsfähigkeit von traditionellen Unternehmen ist unverzichtbar, um im globalen<br />

Wettbewerb weiter bestehen zu können. Dabei ist das betriebliche Innovationsmanagement<br />

darauf ausgerichtet, Ideen in wirtschaftlich erfolgreiche Produkte oder<br />

Dienstleitungen umzusetzen. Doch das ist leichter gesagt als getan, denn viele Unternehmen<br />

entwickeln ihre Neuheiten zum Selbstzweck und achten nicht auf Kundenwünsche.<br />

Damit riskieren sie, ihren Markenwert zu zerstören.<br />

Von Wolfang Schiller<br />

Kein anderes Wort wird heute mehr in der Wirtschaftspolitik,<br />

der Wirtschaftspresse und im<br />

Marketing verwendet als „Innovation“. Innovationen<br />

als Ausdruck von Unternehmergeist zur<br />

Verbesserung der Marktposition müssen kraftvoll<br />

und durchsetzungsstark sein und sollen einen<br />

neuen Trend, also eine besonders tiefgreifende<br />

und nachhaltige Entwicklung, auslösen.<br />

Hat Innovation demnach etwas mit Veränderung<br />

und Neuheit zu tun – ist etwas Neues, das<br />

verändert, schon eine Innovation? Schauen wir<br />

uns das doch etwas genauer an. Gerade bei Fast<br />

Moving Consumer Goods (FMCG) jagt eine angebliche<br />

Innovation die andere. Immer Neues<br />

überschwemmt den Markt. Doch 70 Prozent<br />

davon sind leider Flops, denn bereits 70 Prozent<br />

aller neu eingeführten Artikel sind nach<br />

zwölf Monaten nicht mehr in den Ordersätzen<br />

des Handels. Das ergab eine Studie aus dem<br />

Jahr 2006 von GfK und Serviceplan. Und diese<br />

erforschte auch gleich die Faktoren für Erfolg<br />

und Misserfolg bei Produktinnovationen mit<br />

folgendem Ergebnis: Fehler in Kommunikation<br />

und Vertrieb sind zu einem viel geringeren Teil<br />

verantwortlich als allgemein vermutet. Allein<br />

60 Prozent der Flops scheitern bereits in punkto<br />

58 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


Reputationsrisiken<br />

Innovationsgrad, Preis-Leistungs-Verhältnis,<br />

Zielgruppenstruktur und Markenpolitik.<br />

Risiko Vertrauensverlust<br />

Was lernen wir daraus? Innovationen als Selbstzweck,<br />

weil die Entwicklungsabteilung einer<br />

neuen Technologie huldigt, der Produktmanager<br />

unter Druck ist und immer neue Produkte<br />

auf den Markt bringen muss oder der Preis wegen<br />

Profitgier zu hoch war, sind zum Scheitern<br />

verurteilt, wenn sie vom Kunden nicht angenommen<br />

werden. Denn der einzige der zählt ist<br />

der Kunde. Wenn Unternehmen jedoch unter<br />

dem Motto agieren „Der einzige, der stört, ist<br />

der Kunde“, dann werden eben weiterhin jedes<br />

Jahr die meisten der sogenannten Innovationen<br />

floppen und die damit verbundenen Entwicklungsgelder<br />

unter „Ignoranz“ ausgebucht werden<br />

müssen.<br />

Produktflops kosten jedoch nicht nur viel Geld,<br />

sondern beschädigen auch das Vertrauen der<br />

Stakeholder in die jeweilige Marke. Vertrauen<br />

als emotionales, soziales und wirtschaftliches<br />

Gut ist nicht nur ein Wert an sich, sondern hat<br />

auch einen konkreten Geldwert. Kaufen doch<br />

77 Prozent der Menschen Angebote, denen sie<br />

vertrauen. Fehlt das Vertrauen, verzichten 51<br />

Prozent gleich ganz auf den Kauf. Und wenn 57<br />

Prozent der Menschen in Deutschland glauben,<br />

dass Produkte unfertig auf den Markt kommen,<br />

dann muss man schon hellhörig werden.<br />

Das ergab zumindest das Trust Barometer der<br />

PR-Firma Edelman.<br />

Neues und damit eine Veränderung ist also nicht<br />

immer gleich eine Innovation und stärkt oftmals<br />

gar nicht die Marke, denn Neues ist nicht<br />

unbedingt auch Nützliches. Was ist dann aber<br />

eine Innovation, und wie können Innovationen<br />

für Marken genutzt werden?<br />

Die Marke als eine nutzenstiftende Erfindung<br />

Innovation ist vom lateinischen Verb innovare<br />

(erneuern) abgeleitet. In der Umgangssprache<br />

wird der Begriff im Sinne von neuen Ideen<br />

und Erfindungen und für deren wirtschaftliche<br />

Umsetzung verwendet. Im engeren Sinne resultieren<br />

Innovationen erst dann aus Ideen, wenn<br />

diese in neue Produkte, Dienstleistungen oder<br />

Verfahren umgesetzt werden, die tatsächlich<br />

erfolgreiche Anwendung finden und den Markt<br />

durchdringen (Diffusion).<br />

Innovation hat also vor allem etwas mit Erfindung<br />

zu tun. Eine Erfindung ist wiederum eine<br />

schöpferische Leistung, durch die eine neue<br />

Problemlösung ermöglicht wird. Von Erfindungen<br />

wird besonders oft im Zusammenhang<br />

mit technischen Problemlösungen gesprochen,<br />

etwa von der Erfindung des Motors oder des<br />

Dynamits.<br />

Was hat nun eine Innovation mit einer Marke zu<br />

tun? Marken entstehen vor allem aus der Wahrnehmung<br />

eines neuen Produktes, das sich einen<br />

"Logenplatz" im Kopf von Menschen erobert<br />

hat. Denn Marken sind das Ergebnis einer kommunizierten<br />

Erfindung, indem Unternehmen<br />

ein relevantes Kundenproblem innovativ, also<br />

mit neuen Verfahren, Produkten oder Dienstleistungen,<br />

lösen. Aber nicht jede Erfindung<br />

erzeugt eine neue Kundschaft und damit eine<br />

neue Marke. Voraussetzung ist, dass die Innovation<br />

sich nicht nur in der Qualität der Produkte<br />

darstellt, sondern vor allem den Nutzen für den<br />

Kunden erhöht, also die Fähigkeit besitzt, Bedürfnisse<br />

zu erzeugen oder Bedürfnisse besser<br />

zu befriedigen.<br />

Das drückt sich im sogenannten Innovationsgrad<br />

aus. Ist dieser zu niedrig, floppt die Innovation.<br />

Das ergab auch die oben angeführte Studie<br />

von GfK und Serviceplan: 53 Prozent der neuen<br />

Produkte hatten aus Verbrauchersicht nur einen<br />

geringen Innovationsgrad. Neuprodukte mit<br />

hohem und mittlerem Innovationsgrad hätten<br />

dagegen eine nahezu doppelt so hohe Erfolgschance.<br />

Neueinführungen müssen deshalb<br />

stets den Neuigkeitswert hervorheben sowie die<br />

Qualität und den Nutzen, den der Käufer davon<br />

hat. Denn 75 Prozent der Käufer schätzten neue<br />

Produkte nur, sofern die Qualität und Leistung<br />

verbessert sind. Sind sie nach dem ersten Kauf<br />

enttäuscht, sind sie als Kunde verloren. Weitere<br />

Werbebemühungen sind vergebens.<br />

Innovationen können deshalb nur für Marken<br />

genutzt werden, wenn sie ein signifikantes Problem<br />

mit innovativen Produkten, Technologien<br />

oder Dienstleistungen lösen und damit den<br />

Kunden einen relevanten Nutzen stiften. Den<br />

Kunden damit im übertragenen Sinne innovieren,<br />

sein Verhalten zu ändern.<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

59


Reputationsrisiken<br />

Das Unternehmen als Innovator<br />

Nun könnte man der Meinung sein, dass die<br />

Entwicklung von Innovationen von den Kunden<br />

ausgeht. Man braucht diese nur geschickt befragen<br />

und schon hat man die richtigen Hinweise<br />

und baut daraus schnell ein tolles Konzept, das<br />

reibungslos funktioniert. Kundenorientierung<br />

ist hier das neue Zauberwort. Diesen Weg gehen<br />

heute einige Unternehmen – man spricht hier<br />

von „Open Innovations“, die aktive strategische<br />

Nutzung der Außenwelt zur Vergrößerung des<br />

Innovationspotenzials. Das kann man durchaus<br />

machen, sollte dabei aber die folgende Erkenntnis<br />

nicht vergessen:<br />

Der Ausgangspunkt von Innovationen ist per se<br />

nicht die Kundschaft, sondern das Unternehmen,<br />

idealerweise mit einem starken Unternehmer,<br />

der die Innovation bei den anvisierten<br />

Kunden durchsetzt, denn diese stehen dem<br />

Neuen im Wesentlichen mit Misstrauen gegenüber<br />

(siehe GfK, Innovationsneigung 2004-<br />

2015). Das hatte auch Steve Jobs, der Gründer<br />

von Apple, erkannt, als er 1982 sagte „Die Kunden<br />

wissen gar nicht, was sie wollen, bis wir es<br />

ihnen zeigen“. Innovationen müssen also neue<br />

Kunden und damit einen neuen Markt erschaffen.<br />

Unter diesem Gesichtspunkt ist das Entstehen<br />

einer Marke immer das Ergebnis einer<br />

Innovation.<br />

Letztendlich geht es also darum den Kunden<br />

zu innovieren, also neue Bedürfnisse den Konsumenten<br />

anzuerziehen. Denn Innovationen<br />

müssen nicht einem bestehenden Markt dienen,<br />

sondern einen neuen Markt schaffen. Das<br />

betrifft zum einen die Erfindung einer neuen<br />

Marke mit einem innovativen Produkt und zum<br />

anderen der Innovierung einer Marke mit einem<br />

neuen oder verbesserten Produkt.<br />

Eine Innovation ist also nur sinnvoll, wenn sie<br />

ein signifikantes Problem neu löst, dadurch<br />

Menschen begeistert und einen neuen Markt<br />

mit einer neuen Marke schafft oder bestehende<br />

Kunden noch fester an eine schon bestehende<br />

Marke bindet. Eine Innovation, die aus einer<br />

neuen technischen Möglichkeit entspringt und<br />

deshalb nur den Entwicklungsingenieur begeistert<br />

und nicht den Kunden, wäre eine sinnlose<br />

Neuerung, denn sie würde ja die Marke nicht<br />

stärken.<br />

Innovation durch Markentransfer<br />

Die erfolgreichste Strategie zur Einführung eines<br />

innovativen Produktes zur Stärkung einer<br />

Unternehmens- oder Produktmarke ist der Einsatz<br />

einer Markentransfer-Strategie. Der Vorteil:<br />

Man nutzt die bestehende Marke und die<br />

von ihr aufgebaute Brand Equity und stellt das<br />

neue Produkt unter das bestehende Markendach.<br />

Dabei bestehen zwei Möglichkeiten diese<br />

Innovationsstrategie umzusetzen: durch Markenerweiterung<br />

(Brand Extension) oder durch<br />

Produkterweiterung (Line Extension).<br />

Mit einer Brand Extension übertragen Sie Ihre<br />

bestehende Marke auf die von Ihnen eingeführte<br />

neue Produktart. Ihr Unternehmen geht mit<br />

seiner bestehenden Marke demzufolge auf ein<br />

neues Produktsegment über.<br />

Auf Dauer kann jedoch ein nicht zu unterschätzendes<br />

Risiko auftreten: eine Markenverwässerung<br />

durch Überdehnung der Markenkompetenz<br />

durch zu viele neue Produktkategorien und<br />

dem Ergebnis der Zunahme von Komplexität in<br />

der Markenwahrnehmung. Denn je mehr Produktarten<br />

Sie mit Ihrem Markentransfer anbieten,<br />

desto schwieriger wird es für Ihre Kunden,<br />

sich bei dieser breiten Auswahl für ein Produkt<br />

zu entscheiden.<br />

Entscheiden Sie sich für die Strategie der Line<br />

Extension, gehen Sie nicht so umfassend vor wie<br />

mit einer Markenerweiterung, da Sie Ihre bestehende<br />

Marke zwar in einem neuen Kundensegment,<br />

jedoch in der gleichen Produktgattung<br />

vermarkten.<br />

Die Overstretching-Falle<br />

Markenüberdehnungen aus Gier oder Missmanagement<br />

sind heute jedoch nicht die Ausnahme,<br />

sondern leider die Regel. Ehemals trendige<br />

Marken wie Esprit, die Surfermarke Chiemsee<br />

oder die Young Fashion-Marke Miss Sixty sind<br />

völlig out, da sie ihre Einzigartigkeit verloren<br />

haben. Esprit landete auf den Wühltischen von<br />

Penny und Lidl. Und selbst eher biedere Marken<br />

wie S.Oliver oder Tom Tailor laufen Gefahr, in<br />

die „Overstretching-Falle“ zu treten. Sie haben<br />

ihre Einzigartigkeit bereits gegen Größe eingetauscht:<br />

In nahezu jeder deutschen Einkaufsstraße<br />

bieten die beiden Wettbewerber heute<br />

60 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


Reputationsrisiken<br />

ihre weitgehend austauschbaren Kollektionen<br />

an – und versuchen verzweifelt den Kunden mit<br />

einer Billigstrategie in die Läden zu locken.<br />

Innovationen müssen sich jedoch nicht ausschließlich<br />

in neuen Produkten darstellen,<br />

die sich dann zu Marken entwickeln, sondern<br />

können auch bestehende Produkte verbessern,<br />

sich also in neuen Qualitäten darstellen und so<br />

den Kundennutzen erhöhen. Das vermindert<br />

nicht nur die Komplexität im Sortiment, sondern<br />

erhöht auch die Kaufbereitschaft und Markentreue.<br />

Voraussetzung ist jedoch, dass der<br />

nutzenorientierte Leistungssinn der Markenprodukte<br />

nicht verloren geht. Steht jedoch der<br />

Profit und nicht der Nutzen im Fokus wird das<br />

Vertrauen in die Markenleistung mit dem Ergebnis<br />

beschädigt, dass die Markentreue weiter<br />

abnimmt: So wäre es laut einer Studie von Havas<br />

Media (Meaningful Brands 2015) der Mehrheit<br />

der Menschen weltweit egal, wenn 74 Prozent<br />

der Marken verschwinden würden. 2011 waren<br />

es noch 71 Prozent, 2013 schon 73 Prozent.<br />

Innovation durch neue Positionierung<br />

Marken wachsen nicht durch Produkte, sondern<br />

durch Kunden. Eine Erkenntnis, die heute<br />

oftmals vergessen wird. Und eine der zentralen<br />

Ursachen für eine überbordende Flut an neuen<br />

Produkten, die zudem oftmals keinen neuen<br />

Nutzen stiften, sondern vom Kunden oft als ein<br />

„Mehr vom Gleichen“, also als austauschbar,<br />

wahrgenommen werden.<br />

Starke Marken verzichten deshalb auf nutzlose<br />

Innovationen, die nicht aus der einzigartigen<br />

Kultur der Marke entwickelt werden und ihre<br />

authentische Identität verwässern. Sie kultivieren<br />

vielmehr ihren selbstähnlichen eigenen<br />

Stil, dem sie treu bleiben und nutzen das bereits<br />

im Kopf der Menschen verankerte Bild von der<br />

Identität der Marke.<br />

Foto: Kwangmoo / Fotolia.com<br />

Das Fazit<br />

Unternehmen, die nicht wissen, für was ihre<br />

Marke steht und warum Menschen ihre Markenprodukte<br />

kaufen sollen, laufen schnell in<br />

das existenzbedrohende Risiko der überbordenden<br />

Komplexität: Der Entwicklung immer neuer,<br />

aber sinnloser Produkte, die mit Sicherheit<br />

als teure Flops enden. Steht dann noch als zentrales<br />

Motiv nicht der Kundennutzen, sondern<br />

der Profit im Fokus, weshalb die Produktzyklen<br />

immer kürzer und die Qualität immer schlechter<br />

wird, ist dem Unternehmen leider keine lange<br />

Lebensdauer beschert.<br />

Wenn also Innovationen nicht den Nutzensinn<br />

der Marke kultivieren oder neue Produkte die<br />

Wahrnehmungskomplexität beim Kunden erhöhen,<br />

schwächen sie die Marke mit folgendem<br />

Ergebnis: Die Kaufbereitschaft der Kunden sinkt<br />

und die emotionale Bindung der Kunden an die<br />

Marke geht verloren. Das Unternehmen verliert<br />

damit seine einzige Wertschöpfungsquelle und<br />

schlittert in den Bankrott.<br />

Markenstärkende Innovationen sind dagegen<br />

immer aus dem Nutzensinn der Marke hergeleitet<br />

und auf die Erhöhung des Kundennutzens<br />

ausgerichtet. Das betrifft vor allem die Innovierung<br />

der Produkte, aber auch die Innovierung<br />

der Werbung, der Distribution oder der Preise.<br />

Innovationen aus einem fehlgeleiteten Markenverständnis,<br />

zur Befriedigung der Bedürfnisse<br />

der Mitarbeiter oder Partner, aus Technikgläubigkeit<br />

oder aus Profitgier führen dagegen immer<br />

zur Schwächung der Marke.<br />

Eine zentrale Erkenntnis sollte aber nicht vergessen<br />

werden: Der Mensch will nicht das Neue,<br />

sondern das Vertraute besser oder sogar unverändert.<br />

Absolut Neues muss demnach erst einmal<br />

den Kunden innovieren, sein Verhalten zu<br />

verändern, was oftmals gar nicht möglich ist.<br />

Und da Innovationen nicht nur auf der Produktebene<br />

möglich sind, haben Unternehmen viel<br />

mehr Möglichkeiten ihren Kunden zu begeistern.<br />

f<br />

Der Text ist im Original auf risknet.de erschienen.<br />

Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />

61


<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />

Zu guter Letzt<br />

Second Hand-<br />

Kleidung schützt<br />

Wasserressourcen<br />

Rund 4.020 Liter Wasser am Tag verbrauchen<br />

die Deutschen pro Kopf. Nur 120 Liter davon<br />

sind direkter Wasserverbrauch, der Rest entsteht<br />

unter anderem durch Bewässerung in<br />

der Landwirtschaft und die Kühlung von Industrieanlagen.<br />

Dieses sogenannte virtuelle<br />

Wasser lässt sich durch einen nachhaltigen<br />

Lebensstil zum Teil einsparen, so der Rat für<br />

Nachhaltige Entwicklung.<br />

Sehr hoch ist der Wasserverbrauch mitunter<br />

in der Bekleidungsindustrie, da der Anbau<br />

von Baumwolle einen enormen Wassereinsatz<br />

verlangt. Bei der Herstellung einer<br />

Jeans werden beispielsweise rund 11.000 Liter<br />

Wasser verbraucht. Dadurch besteht die<br />

Gefahr, dass Gewässer in den Anbaugebieten<br />

versiegen. Dabei ist es unerheblich, ob<br />

die Baumwolle aus kontrolliert biologischem<br />

oder konventionellem Anbau stammt. Diesen<br />

Umweltauswirkungen können Verbraucherinnen<br />

und Verbraucher entgegenwirken, indem<br />

sie in Second-Hand-Geschäften oder auf<br />

Flohmärkten einkaufen und Kleidungsstücke<br />

möglichst lange tragen. Schadhafte Kleidung<br />

lässt sich ausbessern oder durch kreatives<br />

Umarbeiten, das sogenannte Upcycling, als<br />

neues Kleidungsstück weiternutzen. f<br />

Impressum<br />

<strong>UmweltDialog</strong> ist ein unabhängiger Nachrichtendienst<br />

rund um die Themen Nachhaltigkeit<br />

und Corporate Social Responsibility.<br />

Die Redaktion von <strong>UmweltDialog</strong> berichtet<br />

unabhängig, auch von den Interessen der<br />

eigenen Gesellschafter, über alle relevanten<br />

Themen und Ereignisse aus Politik, Wirtschaft<br />

und Gesellschaft.<br />

Herausgeber<br />

macondo publishing GmbH<br />

Dahlweg 87<br />

48153 Münster<br />

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E-<strong>Mai</strong>l: redaktion@umweltdialog.de<br />

Redaktion dieser Ausgabe<br />

Dr. Elmer Lenzen, Sonja Scheferling,<br />

Jennifer Nicolay<br />

Bildredaktion<br />

Marion Lenzen<br />

Gestaltung<br />

Gesa Weber<br />

Lektorat<br />

Marion Lenzen, Milena Knoop<br />

Verbreitete Auflage<br />

ca. 300.000 gedruckt und digital<br />

Klimaneutraler Druck, FSC-zertifiziertes<br />

Papier, CO 2 -neutrale Server<br />

© <strong>2017</strong> macondo publishing GmbH<br />

62 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de


Bisherige Ausgaben


Eine goldene Zukunft stelle<br />

<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />

ich mir vor allem grün vor.<br />

Nachhaltigkeit<br />

Als ein wichtiger Finanzierer der Energiewende halten wir<br />

seit 15 Jahren den begehrten oekom-Prime-Status.<br />

hvb.de/nachhaltigkeit<br />

64 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de

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