FILMFEST MÜNCHEN MAGAZIN 2017
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RETROSPEKTIVE SOFIA COPPOLA<br />
52<br />
je unmöglicher der Kontakt mit ihnen<br />
wird. Das Sommernachmittagslicht, das<br />
diesen Film durchflutet, tränkt alle Bilder;<br />
es bricht sich nicht an Kristallen<br />
und flirrt nicht zurück von Discokugeln<br />
(wie in the bling ring), auch nicht von<br />
den Neonlichtern des brummenden<br />
Tokio (wie in lost in translation). Und<br />
im Schatten des Hauses sitzen junge<br />
Mädchen. Wo das Begehren keines ist,<br />
das sich auf die Dingwelt bezieht, starren<br />
die Jungs zuverlässig ins Leere.<br />
Coppolas girlhood bricht sich im Spiegel<br />
des irritierten, suchenden männlichen<br />
Blicks. Auch der wuschelköpfige<br />
Marc aus the bling ring lechzt schließlich<br />
stärker nach der räuberischen Rebecca<br />
als nach Juwelen und Louboutins.<br />
Vereint im Leben wie im Tod: Die rätselhaften Schwestern<br />
aus the virgin suicides<br />
Coppola drehte mit ihrem neuen<br />
Film die verführten das erste Remake<br />
ihrer Karriere überhaupt – und das nur<br />
wegen der Verlockung, den Blick, die<br />
Perspektive umkehren zu können. Nach<br />
einem Roman von Thomas Cullinan ließ<br />
Don Siegel im Jahr 1971 den hypervirilen<br />
Clint Eastwood einen verwundeten<br />
Nordstaatensoldaten spielen, der während<br />
des Sezessionskrieges in einem<br />
Mädcheninternat im Süden der USA<br />
landet. Das Netz aus Begierden und Intrigen<br />
wickelt sich in Coppolas Variante<br />
nun besonders eng um den Verführer,<br />
und das Sehen mutiert bald zu etwas<br />
Anderem, zu etwas Drastischem,<br />
Fleischlichem. Der Film ist Coppolas<br />
erster Thriller. „Einen Plot zu haben,<br />
war neu für mich“, sagte sie in einem<br />
Interview – nur halb im Scherz.<br />
Entsprechend ist ein offenes Ende<br />
bislang das Beste, auf das ihre Figuren<br />
hoffen können. Doch in der Hoffnung<br />
wie in der Resignation, im Scheitern wie<br />
im zwischenzeitlichen Triumph sind sie<br />
komisch. Der Witz kann in dem spezifischen<br />
Sarkasmus liegen, für den Bill<br />
Murray wenig mehr braucht als eine<br />
hochgezogene Augenbraue oder einen<br />
dahingeseufzten Kommentar. Er kann in<br />
der Sturheit liegen, mit der die Kamera<br />
beobachtet, wie der Glibber einer Make-Up-Sitzung<br />
auf Johnny Marcos unbewegtem<br />
Gesicht trocknet. Oder er<br />
liegt in der Peinlichkeit einer Situation,<br />
in der die gesamte Entourage des Palastes<br />
den Thronfolger und seine frisch<br />
vermählte Gattin zur Hochzeitsnacht<br />
bettet. Und steht. Und schaut. Weil<br />
aber Coppolas Sympathie stets bei denen<br />
liegt, die hoffen, scheitern oder<br />
resignieren und weil für den endgültigen<br />
Triumph kein Platz scheint in ihrem<br />
Kinokosmos, finden sich plötzlich<br />
die Zuschauer selbst wieder im prüfenden<br />
Blicke der Hofschranzen. Ein<br />
Kino des Schauens schaut zurück, ein<br />
Kino des Zeigens zeigt auf uns.<br />
Tim Slagman