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FILMFEST MÜNCHEN MAGAZIN 2017

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HOMMAGE REINHARD HAUFF<br />

58<br />

Schlägerei-Szenen zeigt, so Hauff. „Ich<br />

hatte keine Ahnung, wie man so etwas<br />

inszenieren soll. Aber diese strengen<br />

Hierarchien im Gefängnis haben mich<br />

immer interessiert: Sie spiegeln im<br />

Kleinen, wie es draußen zugeht in der<br />

großen Welt.“<br />

Burkhard Driest, der 1966 selbst zu<br />

fünf Jahren Haft verurteilt wurde, erwies<br />

sich für Hauff als überaus zuverlässige<br />

Quelle. Drei Wochen vor dem<br />

mündlichen Jura-Examen hatte Driest<br />

in Burgdorf bei Hannover eine Sparkasse<br />

überfallen. In einem Interview stellte<br />

er fest: „Ich glaube, der Knast war<br />

die wichtigste Erfahrung in meinem<br />

Leben. Ich war ziemlich neurotisch;<br />

ohne ihn wäre ich sicher irgendwann<br />

einmal mit dem Auto gegen einen<br />

Baum gefahren. Im Knast habe ich mich<br />

gegen den Versuch, kaputtgemacht zu<br />

werden, systematisch gewehrt.“ Der<br />

ehemalige Häftling entdeckte einen<br />

grundlegenden Unterschied zwischen<br />

dem Filmemacher und sich selbst: Auf<br />

der einen Seite gebe es Menschen mit<br />

einer gewissen kriminellen Energie; auf<br />

der anderen zurückhaltende Linke wie<br />

Hauff. Den Regisseur wiederum faszinierte<br />

die Gewalt, „dass Driest nicht<br />

vor Taten zurückschreckte. Wir anderen<br />

dachten immer viel über die Gesellschaft<br />

nach, waren aber eigentlich<br />

alle Angsthasen.“<br />

Da fliegt Marius Müller-Westernhagen aka der mann auf der mauer<br />

einfach über die Grenze – und der Rest schaut zu.<br />

Für Hauff bot Driest einen reichhaltigen<br />

Erfahrungsschatz an, kostbar für<br />

einen Regisseur, der versucht, die Realität<br />

möglichst authentisch abzubilden,<br />

so unverfälscht und ungekünstelt<br />

wie nur möglich. Durch ihre Wirklichkeitsnähe<br />

wurden Hauffs Filme selbst<br />

zu einem Stück Zeitgeschichte. Dazu<br />

trug bei, dass er auch Laienschauspieler<br />

besetzte: Driest, der sich in die verrohung<br />

des franz blum im Grunde selbst<br />

spielte, Protagonisten in den Walser-<br />

Reportagen und viele Rollen in paule<br />

pauländer (1975) und der hauptdarsteller<br />

(1977).<br />

In beiden Produktionen rebelliert<br />

ein Sohn gegen den tyrannischen Vater,<br />

beide Jungs hatten zuvor keine Erfahrung<br />

vor der Kamera: „Da stellt jemand<br />

sein Leben zur Verfügung“, sagt Hauff.<br />

„Natürlich hat es ihnen auch Spaß gemacht,<br />

sich als Schauspieler auszuprobieren<br />

und bekannt zu werden. Aber<br />

nach den Dreharbeiten war der Ruhm<br />

wieder vorbei. Viele sind dann in ein<br />

Loch gefallen.“ Im Zusammenspiel von<br />

Laien und Profis steckt eine hohe Qualität<br />

des Spontanen, Unmittelbaren.<br />

Genau diese Überraschungseffekte<br />

wollte Hauff erzielen: „Die erfahrenen<br />

Darsteller müssen eine ganz andere<br />

Aufmerksamkeit entwickeln, weil sie<br />

die Reaktionen ihrer Spielpartner nicht<br />

vorhersehen können.“<br />

IMMER WIEDER<br />

WIDERSTAND<br />

Wie sich gegen das herrschende System<br />

Widerstand formiert, greift Hauff<br />

in seinen Filmen immer wieder auf. Bereits<br />

in mathias kneissl gerät eine Dorfgemeinde<br />

mit einem Räuber aneinander,<br />

der sich den gesellschaftlichen Zwängen<br />

nicht unterordnen möchte. „Wir<br />

versuchten, gegen den deutschen Heimatfilm<br />

anzusteuern. In dieser Zeit vertraten<br />

auch Leute wie Martin Sperr, die<br />

Schauspieler Ruth Drexel und Hans<br />

Brenner diesen Ansatz“, erinnert sich<br />

Hauff. Soziale Probleme sollten im<br />

Kneissl-Film angesprochen werden.<br />

„Ein Fremder kommt in einer Gesellschaft<br />

an, die ihn nicht akzeptieren will.“<br />

Heimat, das Andere, Integration – diese<br />

Themen sind heute weiterhin aktuell.<br />

In paule pauländer und der hauptdarsteller<br />

findet die Rebellion in der<br />

Familie statt, während messer im kopf<br />

(1978) vor allem ins Innere des Menschen<br />

blickt und die Psychologie eines<br />

Widerspenstigen untersucht: Berthold<br />

Hoffmann verliert nach einem Kopfschuss<br />

sein Gedächtnis und befindet<br />

sich fortan im Visier von Polizei und<br />

Medien. Ist er etwa ein Terrorist, der<br />

sich nur als Genetiker ausgibt? Bruno<br />

Ganz spielte hier eine seiner ersten

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