FILMFEST MÜNCHEN MAGAZIN 2017
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YOUTH ON THE MOVE <strong>2017</strong><br />
park<br />
Sofia Exarchou<br />
64<br />
Y O U T H O N<br />
THE MOVE<br />
Eine junge Frau hat gleich zwei<br />
Jobs: am Toten Meer und in<br />
einem exotischen Zoo. Nebenbei<br />
verschafft sie sich Zugang<br />
zu fremden Häusern… Die persönlichen<br />
Gegenstände, die<br />
sie dort findet – ein Hörgerät,<br />
einen Lippenstift, ein Fahrrad –,<br />
nutzt sie als Inspirationsquelle,<br />
um sich in andere, abenteuerliche<br />
Identitäten hinein zu<br />
phantasieren (the burglar,<br />
Israel). Experimentierfreudig ist<br />
auch eine Gruppe beschäftigungsloser<br />
Jugendlicher, die<br />
sich in der Ruine eines Sportstadions<br />
der jüngsten Olympischen<br />
Spiele in Athen versammelt<br />
und dort absurde<br />
Wettkämpfe veranstaltet (park,<br />
Griechenland). Ein junges<br />
Liebespaar, beide Waisen, wirft<br />
gleich alle sozialen Fesseln ab<br />
und wagt ein utopisches Leben<br />
in einem idyllischen Waldstück<br />
(big big world, Türkei).<br />
Dies sind nur drei Beispiele<br />
für eine Fülle neuer Werke<br />
des Weltkinos, die ein spannendes<br />
erzählerisches Phänomen<br />
vereint: Junge Menschen galten<br />
vor einigen Jahren noch als<br />
unpolitisch, als passive Konsumenten<br />
und Duckmäuser.<br />
Seit einiger Zeit wollen sie das<br />
Diktat der Erwachsenenwelt<br />
nicht mehr hinnehmen, wehren<br />
sich gegen politische Ignoranz<br />
und kapitalistische Denkmuster,<br />
sind unterwegs, „on the<br />
move“. Dabei gestalten sie sich<br />
ihre eigenen, mitunter eskapistischen<br />
Mikro- und Gegenwelten.<br />
So kreisen sie auf BMXund<br />
Rennrädern in rastlosen<br />
Runden durch die Hauptstädte,<br />
um als Öko-Rebellen gegen die<br />
Luxusfuhrparks ihrer Oberschicht-Eltern<br />
zu opponieren<br />
(atrás hay relámpagos, Chile).<br />
Oder sie brechen in plötzlicher<br />
religiöser Erleuchtung auf,<br />
um in der tiefsten Provinz den<br />
Kranken und Erniedrigten Heilung<br />
und Seelenheil zu bringen<br />
(el cristo ciego, Chile).<br />
Sicherlich: Das Wagnis, sich<br />
auf den Weg zu machen, existenzielle<br />
Unsicherheiten und<br />
festgefahrene gesellschaftliche<br />
Strukturen hinter sich zu lassen<br />
und sich in ebenfalls instabile,<br />
aber doch vielversprechende<br />
Welten zu begeben, war schon<br />
immer ein essenzieller Treibstoff<br />
für das Kino. Aber momentan<br />
rücken junge Protagonisten, im<br />
Umbruch zwischen Kindheit<br />
und Erwachsensein, auffällig<br />
oft in den Mittelpunkt der<br />
Erzählungen. Fern von klassischem<br />
Heldentum gehen sie<br />
verletzlich und mit viel Phantasie<br />
neue Wege in Filmen, die<br />
geschickt unsere Empathie<br />
wecken.<br />
Ein herausragendes Beispiel<br />
für dieses Kino der Empathie<br />
ist der neue Film der mehrfach<br />
ausgezeichneten belgischen<br />
Regisseurin Fien Troch: Ihr<br />
Jugendporträt home ist ein<br />
visuell aufregendes, minutiös<br />
aufgebautes Psychogramm<br />
einer Gruppe sozial torpedierter<br />
Heranwachsender. Am Ende<br />
offenbart sich eine einfache<br />
wie überraschende Idee zum<br />
Aufbruch.