HOMMAGE REINHARD HAUFF 56 Regisseur Reinhard Hauff, dem das filmfest münchen <strong>2017</strong> eine Hommage widmet
HOMMAGE REINHARD HAUFF Der Blick aufs Wesentliche Marius Müller-Westernhagen kann sich nicht so recht entscheiden. Will er auf der einen Seite leben – oder doch auf der anderen? Immer wieder schlendert er als Arnulf Kabe, eine Holzleiter in den Händen haltend, die massive Betonmauer entlang, die Ost- von Westdeutschland trennt. Er versucht, einen Blick nach drüben zu erhaschen, nur, um sich dann weiter den Kopf zu zerbrechen, wo er denn hinmöchte. In den Osten oder den Westen. Zu seiner Frau oder doch lieber zu seiner Geliebten. Über die Rolle, die Westernhagen in der mann auf der mauer (1982) nach dem Roman „Der Mauerspringer“ von Peter Schneider verkörpert, lässt sich eine hübsche Analogie zu seinem eigenen Leben ziehen – konnte er sich doch selbst lange nicht entscheiden zwischen der Musik- und Filmbranche. Ähnlich ging es dem Regisseur: Reinhard Hauff. Auch er changierte zwischen verschiedenen Kunstsparten, zwischen Bühne und Film, Entertainment und Kunst. „Eigentlich wollte ich immer zum Theater und bin nur zufällig bei der Unterhaltung gelandet“, sagt Hauff. Beim Gespräch sitzt er in seiner geräumigen Altbau-Küche in Schwabing. Auf dem Tisch liegt ein Stapel Unterlagen zu seinen Filmen, den er zusammengesucht hat – ganz der präzise Rechercheur, so, wie er sich auch in seinem Werk zeigt. UNTERHALTEND BIS SOZIAL 1964 hat Hauff in München bei der Bavaria Atelier GmbH angefangen. Schnell konnte er eigene Produktionen fürs Fernsehen entwickeln und umsetzen: „Ich habe dort viel mitgekriegt und gelernt, bin in der Welt herumgekommen.“ Sein Germanistik-Studium schmiss der gebürtige Marburger Juristensohn bald hin, tingelte für diverse Unterhaltungsformate durch die Welt. In wirb oder stirb (1968) wurde die Reklame-Industrie veralbert; in die abi und esther ofarim show (1967) begleitete Hauff das titelgebende israelische Sängerpaar bei ihren Auftritten und Reisen. Als „große Hoffnung“ für das deutsche Fernsehen bezeichnete Show- Regisseur Michael Pfleghar den jungen Mann, der ihm für einige Zeit assistierte. Pfleghar wurde zum Mentor, doch die Unterhaltung war dann eben doch nicht das, was Hauff ausschließlich machen wollte: „Innerlich waren es immer die Dramen, die mich interessiert haben. Mit ein paar Freunden hatte ich eine Art Paralleluniversum, in dem wir frei an eigenen Projekten arbeiten konnten.“ Etwa mit Martin Walser, der in den Sechzigerjahren im Suhrkamp Verlag eine Reihe von Sozialreportagen veröffentlichte: „Diese Lebensläufe und Porträts waren damals besondere Fernsehformate.“ Künstler, Autoren, Filmemacher verbündeten sich in jener Zeit, bildeten einen kreativen Kreis, in dem sie linke Perspektiven für den Neuen Deutschen Film entwickelten. Hauff hatte kleine Rollen in Produktionen von Regiekollegen wie Volker Schlöndorff, Herbert Achternbusch und Peter Lilienthal. Dafür übernahmen Rainer Werner Fassbinder und Schlöndorff Nebenrollen in seinem frühen Spielfilm mathias kneissl (1971). Passend zum lokalen Kolorit der Geschichte über den legendären bayerischen Räuber wurde Martin Sperr, Autor der „Jagdszenen aus Niederbayern“, engagiert, das Drehbuch zu schreiben. In diesem weitreichenden Netzwerk kreativ Schaffender lernte Hauff die Leute kennen, die ihn später prägten und begleiteten. 1974 gründete er gemeinsam mit seinem Produzenten Eberhard Junkersdorf und dem Filmemacher Schlöndorff die Produktionsfirma Bioskop. DIE LUST AM AUTHENTISCHEN Hauff hat gerne mit zeitgenössischen Autoren zusammengearbeitet, mit Peter Schneider, Franz Josef Degenhardt und Burkhard Driest, der das Drehbuch für die verrohung des franz blum (1973) schrieb, einen Knastfilm, der für die damaligen Verhältnisse enorm brutale HOMMAGE REINHARD HAUFF 57