Von der Weser bis zur Elbe … Kritische Betrachtungen zum Niedersachsenlied Kürzlich war ich Gast auf einem Kommersabend eines Ortsvereines anlässlich seines besonderen Jubiläums. Es war eine äußerst „löbliche“ und gleichermaßen „redliche“ Veranstaltung. Rede um Rede füllte nämlich den festlichen Rahmen aus. Zum Abschluss erhoben sich alle Teilnehmer, fassten sich an Händen und sangen mehr oder weniger inbrünstig das Lied der Niedersachsen. Die Nationalhymne, so erfuhr ich später, schien dem Veranstalter zu hoch angesetzt. Nach dem Absingen aller vier Strophen, selbst hatte ich kopfschüttelnd eine Schweigezeit eingelegt, befasste ich mich eingehender mit dem vorliegenden Text. Meine Empörung wuchs. Da sprach ja der blanke Chauvinismus aus den Zeilen. Meine Recherchen im Internet ergaben, dass dieses Lied im Jahre 1934, also ein Jahr nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, zu Papier gebracht wurde. Damit wäre denn wohl auch der beschwörende Landsmannschafsgeist im Sinne des Blut- und Boden- Bewusstseins zu erklären. Doch, wenn es da heißt: „Von der Weser bis zur Elbe …“, entspricht der geografische Rahmen ganz und gar nicht den heutigen Grenzen. Gemeint war damals das welfische Stammland Hannover, das sich einstmals in Personalunion mit England als stolzes Königreich präsentierte. In unseren <strong>Heimat</strong>gefilden bildete die Unterweser über Generationen eine patriotische Gesinnungsgrenze zwischen den Welfentreuen und den Oldenburgern. Nach dem Kriege sah sich die britische Besatzungsmacht aufgerufen, aus ihrer Zone ein einheitliches Bundesland zu bilden. Osnabrück, Emsland, Oldenburg, Ostfriesland, Schaumburg-Lippe, Braunschweig und Hannover kamen sozusagen unter einen Hut. Es entstand das Land Niedersachsen mit recht unterschiedlichen kulturellen Traditionen und landsmannschaftlichen Identitäten. Der erste Ministerpräsident Hinrich Kopf, ein bekennender Welfe, war ständig bemüht, seine Landeskinder in seinem Sinne einheitlich auszurichten. Er reiste durch die Lande, sprach mit den Leuten am liebsten niederdeutsch, griff gern zum Skatblatt und sang vor allem das Niedersachsenlied. Er soll so lange geübt haben, bis es angeblich alle beherrschten. Doch eigentlich hätte es ihm dabei durch den „Kopf“ gehen müssen, dass dieser anmaßende Text antiquiert und, gemessen an der neuerlichen Situation, geografisch und politisch völlig inkorrekt ist. Auch der Volkssänger Heino schmetterte ungeniert die fragliche Landeshymne in den Äther. Weil Fans des Fußballclubs Hannover 96 beim Abspielen dieses Liedes an der Stelle „Heil Herzog Widukinds Stamm!“ ständig den rechten Arm zum Hitlergruß erhoben, zog der Verein mit einem Verbot Konsequenzen aus dieser peinlichen Entartung. Komponist (1926) und Texter (1934) des Liedes war der aus Hohegeiß (Harz) gebürtige Volksschullehrer und Musikpädagoge Hermann Grote. Über eine rechtslastige Gesinnung konnte ich bei meinen Recherchen nichts erfahren. So mancher sangesfreudige Mensch wird zugeben, dass die Melodie des Liedes eingängig und schmissig erscheint. Darin liegt wohl vornehmlich der Grund hartnäckiger Beharrung. Ich finde allerdings, dass sich auch hier immer noch eine pathetische Verklärung andeutet. So stelle ich denn abschließend einen Text, den ich aus Verärgerung über mein eingangs beschriebenes Jubiläumserlebnis verfasste, meinen Lesern zur Begutachtung vor. Optisch abgerundet wird dieser Beitrag durch einen gesamtniedersächsischen Bilderbogen, der die besondere Eigenart und Schönheit dieses Landes widerspiegeln möge. Text und Fotos: Wilko Jäger Das Niedersachsenlied Hermann Grote, 1934 Von der Weser bis zur Elbe, von dem Harz bis an das Meer, stehen Niedersachsens Söhne, eine feste Burg und Wehr. Fest wie unsere Eichen halten alle Zeit wir stand, wenn Stürme brausen übers Deutsche Vaterland. Wir sind die Niedersachsen. sturmfest und erdverwachsen, Heil Herzog Widukind Stamm. Wo fielen die römischen Schergen? Wo versank die welsche Brut? In Niedersachsens Bergen, an Niedersachsens Wut. Wer warf den röm'schen Adler nieder in den Sand? Wer hielt die Freiheit hoch im Deutschen Vaterland? Das war'n die Niedersachsen, sturmfest und erdverwachsen, Heil Herzog Widukind Stamm. Auf blühend roter Heide starben einst viertausend Mann, für Niedersachsens Treue traf sie der Franken Bann. Viertausend Brüder fielen von des Henkers Hand, viertausend Brüder für ihr Niedersachsenland. Das war'n die Niedersachsen, sturmfest und erdverwachsen, Heil Herzog Widukind Stamm. Aus der Väter Blut und Wunden wächst der Söhne Heldenmut. Niedersachsen soll's bekunden: Für Freiheit, Gut und Blut! Fest wie unsere Eichen halten alle Zeit wir stand, wenn Stürme brausen übers Deutsche Vaterland. Wir sind die Niedersachsen, sturmfest und erdverwachsen, Heil Herzog Widukind Stamm. Ein Lied für Niedersachsen Text: Wilko Jäger Von der Ems bis an die Elbe und vom Harz bis an das Meer erstreckt sich ein’s der schönsten Länder in unserm Deutschland ringsumher. Hier gibt es bunte Städte, Flüsse, Berge, Seen, Heide, Moor und Himmelsweite, wo die Wolken zieh’n. Wir sind in Niedersachsen mit diesem Land verwachsen. <strong>Heimat</strong>, zu der wir steh'n! Auf der Lüneburger Heide und im Oldenburger Land, im wunderschönen Weserbergland und an der Waterkant'. Da sind unsere Wanderziele, Frohsinn Schritt für Schritt, Entdeckungsfahrt auf stillen Wegen - Kommt doch einfach mit! Wir sind in Niedersachsen mit diesem Land verwachsen. <strong>Heimat</strong>, zu der wir steh'n! Lütt un Lütt, auch Kohl und Pinkel, Bregenwurst und Räucheraal, gut gespeist in jedem Winkel, doch, wer die Wahl hat, hat auch die Qual. So kehren wir gern zurück an manch vertrauten Ort, schätzen sehr die Gastlichkeit und bleiben gerne dort. Wir sind in Niedersachsen mit diesem Land verwachsen. <strong>Heimat</strong>, zu der wir steh'n! Zwischenzeitlich entstand ein veränderter Text, der gerne bei Interesse unter Wikipedia eingesehen werden kann. 8 RUNDBLICK Frühjahr 2017
Von der Weser bis zur Elbe … Bilderbogen Niedersachsen NSG Wilseder Berg Celle Cuxhaven Altes Land Oldenburg Emsland Oberweser Hannover RUNDBLICK Frühjahr 2017 9