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Cruiser im April 2013

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CRUISER Edition <strong>April</strong> <strong>2013</strong><br />

Musik<br />

PLATE: Es war <strong>im</strong>mer klar, dass wir weiter zusammenarbeiten<br />

werden. Aber der Prozess ist<br />

schon sehr schmerzhaft gewesen. Früher war<br />

es manchmal unerträglich, weil man die Arbeit<br />

regelmässig mit nach Hause getragen hat. Aber<br />

jetzt gibt es einen Feierabend. Und das ist super.<br />

NEUMANN: Ist Ihr neuer Lebensgefährte wie Sie<br />

Musiker?<br />

PLATE: Nein. Natürlich spiele ich ihm meine Sachen<br />

vor, aber meist geht es zuhause um unseren<br />

Hund, unseren Kater, um unser Privatleben.<br />

Mein Freund hat überhaupt keinen Drang, in<br />

mein musikalisches Leben mit hineingezogen<br />

zu werden. Wir haben uns in London kennen<br />

gelernt, anfangs erzählte ich ihm gar nichts von<br />

meinem Beruf. Irgendwann hat er es natürlich<br />

erfahren. Sofern man nicht auf Englisch singt,<br />

nehmen Engländer es aber gar nicht so ernst,<br />

was man da macht. Die Rosenstolz-DVD, die ich<br />

ihm geschenkt hatte, hat er jedenfalls nach drei<br />

Liedern ausgemacht. Er fand es langweilig. Für<br />

mich war das eine Superreaktion.<br />

NEUMANN: Womit beschäftigen Sie sich gegenwärtig,<br />

wenn nicht mit Musik?<br />

PLATE: Ich koche jetzt, man sollte es nicht glauben.<br />

Ich kaufe sogar stundenlang ein. Es mag<br />

für viele langweilig klingen, für mich ist es<br />

aufregend. Ich habe 20 Jahre lang nur in Restaurants<br />

gegessen, das war für mich völlig normal.<br />

Wenn ich es heute tue, dann kann ich es endlich<br />

auch geniessen.<br />

NEUMANN: In «Ich steh noch» beschäftigen Sie<br />

sich mit dem Älterwerden. Wie entspannt gehen<br />

Sie damit um?<br />

PLATE: Mein 40. Geburtstag war für mich ein<br />

Drama. Heute frage ich mich, warum eigentlich.<br />

Im Moment ist das Leben so aufregend wie<br />

selten zuvor. Das Älterwerden hat auch Vorteile,<br />

die ich früher nie gesehen habe. Ich habe<br />

wunderbare Neffen und Nichten und geniesse<br />

es, mit ihnen Zeit zu verbringen. Mit 20 war ich<br />

noch nicht so weit, mich mit der Familie zu beschäftigen.<br />

NEUMANN: In dem Lied heisst es auch: «Ich fang<br />

erst an». Womit denn?<br />

PLATE: Ich hatte <strong>im</strong> Januar 2009 meinen Zusammenbruch<br />

vor 10 000 Leuten in Hamburg. Das<br />

war nicht schön. Irgendwann fing ich wieder an,<br />

mir Kleinkunstkonzerte anzugucken. Ich liebe<br />

das. Es ist viel schwieriger, 20 Leute zu begeistern<br />

als eine Masse von 15 000, die eh weiss, was<br />

kommt. Bei diesen Kleinkunstshows fing es bei<br />

mir wieder an zu kribbeln. Aber mit einem einzigen<br />

Album kann man nicht auf Tour gehen.<br />

Ich finde es schön, dass ich einmal keinen Plan<br />

habe. Es muss ja nicht gleich eine Tournee sein.<br />

NEUMANN: Sie stammen aus der kleinen Stadt<br />

Goslar <strong>im</strong> Harz. 2007 kamen Sie dahin zurück,<br />

um den renommierten Paul-Lincke-<br />

Ring für deutschsprachige Texte entgegenzunehmen.<br />

Hätten Sie sich das je träumen lassen?<br />

PLATE: Als ich ein Kind war, war die Verleihung<br />

des Paul-Lincke-Rings in Goslar <strong>im</strong>mer ein Riesenevent.<br />

Es war toll, diesen Preis eines Tages<br />

selbst zu bekommen, trotzdem hatte ich dabei<br />

ein seltsames Gefühl. In der Zeit, in der bei Rosenstolz<br />

so viel passierte, wurde es für mich<br />

persönlich einfach zu viel. Von der Droge Erfolg<br />

habe ich schon oft gekostet, <strong>im</strong> Moment ist mir<br />

die Droge Liebe wichtiger.<br />

NEUMANN: Kann man Erfolg steuern?<br />

PLATE: Das, was Anna und ich damals mit dem<br />

«Grossen Leben» erlebt haben, konnte man nicht<br />

mehr steuern. Einerseits war es wirklich ganz<br />

klasse, man wächst über sich selbst hinaus und<br />

schafft Dinge, die man sich nie zugetraut hätte.<br />

Zum Beispiel bei der Verleihung der «Goldenen<br />

Kamera» <strong>im</strong> Fernsehen die Dankesrede zu halten.<br />

Ich sterbe bei sowas <strong>im</strong>mer.<br />

NEUMANN: Zum ersten Mal singen Sie alle<br />

Songs auf einem Album selbst. War das ein<br />

Befreiungsschlag?<br />

PLATE: Ich bin kein begnadeter Sänger, habe aber<br />

trotzdem <strong>im</strong>mer gern gesungen und hoffe, dass<br />

sich das überträgt. Mein härtester Kritiker ist<br />

mein Produzent Ulf. Ich darf nicht versuchen,<br />

schön zu singen, sondern ich muss glaubhaft<br />

singen. Es war toll, mal in der Gesangskabine<br />

zu stehen und sich selbst produzieren zu lassen,<br />

nachdem ich das 20 Jahre lang für andere<br />

getan habe.<br />

NEUMANN: Hat denn AnNa R. mal <strong>im</strong> Studio vorbeigeschaut?<br />

PLATE: Nein. Wir haben uns gesagt, jeder soll jetzt<br />

mal seinen eigenen Abenteuern nachgehen.<br />

Ich weiss aber, dass sie mir alles Gute wünscht.<br />

Ohne Rosenstolz würde ich das alles gar nicht<br />

machen dürfen. Es ist der Wahnsinn, dass die<br />

Universal jetzt ein Album von mir rausbringt.<br />

Hätte ich Anna gefragt, bei mir Background zu<br />

singen, hätte es die Eigenständigkeit verwässert.<br />

Deshalb machen das jetzt Toni Kater und<br />

Maxine Kazis.<br />

NEUMANN: Der Massen-Erfolg von Rosenstolz<br />

zeige den Übergang der schwul-lesbischen<br />

Subkultur in den bürgerlichen Mainstream,<br />

schrieb der Spiegel. Auf der anderen Seite sollte<br />

ausgerechnet Bushido 2011 einen Bambi<br />

für «seine Verdienste um Integration» bekommen.<br />

Weltweit fühlten sich Schwule und<br />

Lesben verhöhnt. Gibt es in der Gesellschaft<br />

eine neue Homophobie?<br />

PLATE: Dass der Ausdruck «schwul» als Sch<strong>im</strong>pfwort<br />

<strong>im</strong>mer noch stattfindet, ist fürchterlich.<br />

Dass die Homophobie in der Gesellschaft<br />

schl<strong>im</strong>mer geworden ist, glaube ich jedoch<br />

nicht. Denn es war schon <strong>im</strong>mer schl<strong>im</strong>m. In<br />

einer Klasse mit 30 Schülern ist es statistisch<br />

unwahrscheinlich, dass drei davon schwul sind.<br />

Man ist also in der Schule schon ein Einzelkämpfer.<br />

Insofern muss die ganze Gesellschaft<br />

daran arbeiten, dass der Umgang mit Schwulen<br />

und Lesben zur Normalität wird. Das heisst,<br />

auch die Lehrer müssen da mitmachen.<br />

NEUMANN: Nach wie vor lehnen die CDU/CSU,<br />

Teile der SPD und die FDP die Rehabilitierung<br />

der nach 1945 verurteilten und verfolgten<br />

homosexuellen Männer ab. Wie weit sind<br />

wir von der Gleichstellung entfernt?<br />

PLATE: Die Politiker aller Parteien sollten einmal<br />

gemeinsam erklären, dass es Unrecht war, was<br />

da geschehen ist. Von Schwulen, die heute 70<br />

Jahre alt sind, weiss ich, dass sie damals he<strong>im</strong>lich<br />

mit ihren Partnern zusammengelebt haben.<br />

Unter solch einem Druck kann eine Liebe<br />

sich schwer entwickeln. Die Tatsache, dass wir<br />

heute offen schwule und lesbische Politiker haben,<br />

bedeutet noch lange nicht, dass wir auch<br />

die Gleichstellung erreicht haben. Dies sollte<br />

nach wie vor das Ziel sein. Ein Traum wäre es,<br />

eines Tages so miteinander zu leben, dass das<br />

überhaupt keine Rolle mehr spielt, dass man darüber<br />

nicht mal mehr reden muss. Aber davon<br />

sind wir leider noch weit entfernt.<br />

NEUMANN: Ende Februar will der DFB ein Strategiepapier<br />

veröffentlichen, um schwulen<br />

Fussballspielern und deren Vereinen be<strong>im</strong><br />

Coming-out zu helfen. Sollen schwule Kicker<br />

sich endlich outen?<br />

PLATE: Ich bin kein Fussballexperte, aber meine<br />

Erfahrung ist, dass die breite Masse oftmals vieles<br />

als selbstverständlicher hinn<strong>im</strong>mt, als man<br />

denkt. Man muss sich mal erinnern an die Diskussion,<br />

ob ein schwuler Politiker überhaupt<br />

ein wichtiges Amt ausüben könne. Er wäre doch<br />

erpressbar. Aber die Realität hat gezeigt, Leute<br />

wie Klaus Wowereit, Ole von Beust und Guido<br />

Westerwelle können das. Und auch eine Frau<br />

kann Bundeskanzler werden. Natürlich wäre es<br />

wünschenswert, wenn Spitzensportler den Mut<br />

hätten, sich zu outen. Ich glaube schon, dass die<br />

Fans das mittragen werden. Ich bin Opt<strong>im</strong>ist.<br />

NEUMANN: Der Rücktritt Papst Benedikts XVI.<br />

könnte nach Presseangaben mit einem gehe<strong>im</strong>en<br />

Schwulen-Netzwerk <strong>im</strong> Vatikan zu tun<br />

haben. Wie fanden Sie den deutschen Papst<br />

rückblickend?<br />

PLATE: Alle Würdenträger aus der Politik sagen,<br />

wie toll er das doch gemacht hätte und alle haben<br />

einen Respekt vor seinem Rücktritt. Für<br />

mich als Schwuler muss ich sagen: Tut mir leid,<br />

ich kann nicht sagen, dass Benedikt ein toller,<br />

liebevoller Papst gewesen ist. Insofern kann es<br />

nur besser werden.<br />

NEUMANN: Letzte Frage: Was möchten Sie <strong>im</strong> Leben<br />

unbedingt noch erreichen?<br />

PLATE: Ach, in meinem Leben ist <strong>im</strong>mer alles anders<br />

gekommen als gedacht. Meistens war das<br />

auch gut so. Insofern habe ich mir keine grossen<br />

Ziele gesteckt. Wir haben unsern kleinen Hund.<br />

Seine gute Laune ist ansteckend. Es ist wahnsinnig<br />

schön, ihn aufwachsen zu sehen. Ich versuche<br />

gerade zu lernen, mich treiben zu lassen.<br />

Peter Plate: Schüchtern ist mein Glück<br />

(Universal)<br />

Ab 5. <strong>April</strong> <strong>im</strong> Handel<br />

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