Gesellschaft CRUISER Edition <strong>Mai</strong> <strong>2013</strong> «Radikalisierung ist ein grosses Problem!» Das Interview mit der Heilsarmee alias «Takasa» zum ESC. Von Daniel Diriwächter © S<strong>im</strong>on Opladen 6
CRUISER Edition <strong>Mai</strong> <strong>2013</strong> Gesellschaft Nun also doch: Die Heilsarmee tritt unter dem Namen «Takasa» am Eurovision Song Contest <strong>im</strong> Malmö auf. Trotz Boykott-Forderungen aus der Gay-Szene ist die Band nicht aufzuhalten. Wir sprachen mit Martin Künzi, Marketingleiter der Heilsarmee, über die Homosexualität, den Glauben und die Gemeinsamkeiten. CR: Herr Künzi, wie gross ist derzeit die Aufregung in der Heilsarmee? MARTIN KüNZI: Je näher der ESC rückt, desto mehr wird dieses Wechselbad von Gefühlen zwischen Vorfreude und Nervosität, Begeisterung und Anspannung spürbar. Wir glauben, dass es das braucht, um opt<strong>im</strong>al vorbereitet zu sein. CR: Welche Faszination übt der ESC für die Heilsarmee aus? KüNZI: Anfänglich war es eine verrückte Idee, welche die Heilsarmee dazu motivierte, einen Song einzureichen. Musik hat in der Heilsarmee Tradition. Nach aussen n<strong>im</strong>mt man vielleicht eher die klassischen Formen von Blasmusik und Weihnachtsliedern in den Strassen wahr. Allerdings hat sich die Musik innerhalb der Heilsarmee modernisiert. Es gibt Songwriter-Wettbewerbe, und die Musikstile sind vielseitig. CR: Steckt eine best<strong>im</strong>mte Motivation hinter «Takasa»? KüNZI: Die Teilnahme am ESC widerspiegelt den Pioniergeist der Heilsarmee aus ihren Anfängen. Vor über 130 Jahren wurden mutige Ideen mit viel Herzblut geboren und umgesetzt. Heute ist die Heilsarmee vielleicht etwas brav geworden. Die Teilnahme am ESC ist ein Beweis dafür, dass wir «ganz normale» Menschen in unserer Gesellschaft sind, die sich für einen grossartigen Anlass begeistern. Das brauchte etwas Mut. CR: Eine Zeit lang war unklar, ob Sie aufgrund des Reglements überhaupt teilnehmen dürfen. Hand aufs Herz: Haben Sie damals «das Kleingedruckte» übersehen? KüNZI: Wir haben uns während der ganzen Schweizer Ausscheidungsphase nie darum gekümmert, ob es Schwierigkeiten geben könnte. Gemäss dem Schweizer ESC-Reglement war unsere Bewerbung unproblematisch, und wir wurden vom SRF als «reglementskonform» eingestuft. Wir haben erst am Abend nach der Entscheidungsshow <strong>im</strong> Büro des SRF von möglichen Auflagen seitens EBU (European Broadcasting Union) erfahren. Dass die Veranstalter geltend machen, dass sie keine Brands auf der Bühne haben wollen, war für uns nachvollziehbar. Wir haben uns nun für einen Auftritt entschieden, der den Auflagen entspricht. Es war uns ein Anliegen, dabei die Freude am Sieg nicht zu verlieren. Und das ist uns gelungen. CR: Der ESC wird von der schwullesbischen Gemeinschaft stark vereinnahmt. Und jetzt geben Sie einem «Gay-Magazin» ein Interview. Was dachten Sie <strong>im</strong> Moment unserer Anfrage? KüNZI: Wir haben die freundliche Anfrage vom <strong>Cruiser</strong> sehr geschätzt. Es gäbe für uns keinen Grund, kein Interview zu geben. Wer sich für andere interessiert, lernt <strong>im</strong>mer dazu, und das ist gegenseitig. CR: Eine andere Gay-Zeitung hat gar den Boykott von Takasa gefordert – wie gehen Sie damit um? KüNZI: Wir sehen uns an diesem Anlass als Gäste. Es ist uns ein Anliegen, uns respektvoll zu verhalten, uns mitzufreuen und den Menschen, denen wir begegnen – es waren viele bisher – Freunde zu sein. Wir denken, dass diese Forderung nach Boykott auf Vorurteilen beruht. Was wir am vergangenen Samstag am Event «Eurovision in Concert» in Amsterdam erlebt haben, hat uns gezeigt, dass Takasa in der ESC-Community akzeptiert ist. Als Takasa die Bühne verlassen wollte, hat das Publikum den Song von sich aus angest<strong>im</strong>mt und uns zurück auf die Bühne gesungen. Sängerin Sarah meinte: «I bi mega grüert!» CR: Von wegen Boykott, Schwule und Lesben erleben solche Anfeindungen beinahe täglich in irgendeiner Form. Wie denken Sie darüber? KüNZI: Wir sehen darin eine Gemeinsamkeit. Als gläubige Christen sind wir in unserer Gesellschaft auch <strong>im</strong>mer wieder herausgefordert. Bibel lesen und Beten, um es etwas plakativ auszudrücken, gelten in der heutigen Gesellschaft als verstaubt, und das Christ-sein ist nicht mehr <strong>im</strong> Trend. Takasa ist bereit für Malmö: Sarah Breiter, Emil Ramsauer, Jonas Gygax, Michel Sterckx, Christoph Jakob und Katharina Hauri © S<strong>im</strong>on Opladen CR: Ein Mitglied von Takasa sagte sogar, dass die Heilsarmee wie auch die Gay-Community stark gegen Vorurteile kämpfen müssen – was würden Sie «uns» raten? KüNZI: Wir glauben, dass Radikalisierung ein grosses Problem darstellt. Wer sich zu stark in eine Extremposition begibt und von dort aus das Verständnis für sich gewinnen will, hat es schwer. Es ist wichtig, aktiv auf andere zu zugehen. Konkret setzen wir das so um: Als Heilsarmee warten wir nicht, bis die Not zu uns kommt, sondern wir gehen dorthin, 7