COMPACT Magazin 6-2017
Jagd auf Naidoo - Zensur in Deutschland
Jagd auf Naidoo - Zensur in Deutschland
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<strong>COMPACT</strong> Leben<br />
Vier Fensterstürze<br />
Der im Text geschilderte Fenstersturz<br />
des Jahres 1618 war<br />
nicht der einzige in der Prager<br />
Geschichte, der historische<br />
Wirkung hatte. «Die Opfer<br />
des ersten Prager Fenstersturzes<br />
im Jahr 1419 überlebten diesen<br />
nicht. Ursache waren auch<br />
hier religiöse Auseinandersetzungen.<br />
Aufgebrachte Anhänger<br />
des Reformators Jan Hus<br />
warfen katholische Ratsherren<br />
aus dem Fenster des Neustädter<br />
Rathauses auf den heutigen<br />
Karlsplatz. Die Ratsherren fielen<br />
direkt auf die Spieße der auf<br />
dem Platz versammelten Menschenmenge.<br />
Dieses blutige<br />
Ereignis löste die sogenannten<br />
Hussitenkriege aus, die das Land<br />
zwei Jahrzehnte lang erschütterten.<br />
Im Jahr 1483 dann warfen<br />
Prager Bürger den damaligen<br />
Bürgermeister aus dem<br />
Fenster des Rathauses, um einer<br />
geplanten Verschwörung katholischer<br />
Stadträte entgegenzuwirken.<br />
(…) Der jüngste Fenstersturz<br />
stammt aus der Neuzeit,<br />
aus dem Jahr 1948. Damals<br />
fiel unter mysteriösen Umständen<br />
der damalige Außenminister<br />
Jan Masaryk aus dem Fenster<br />
seines Büros. Masaryk war<br />
Sohn des Republikgründers Thomas<br />
G. Masaryk und der einzige<br />
Nichtkommunist in einem stalinistischen<br />
Kabinett.» (planetwissen.de)<br />
mitteln, aber Frauen hatten damals in den Gefilden<br />
der Politik nur wenig zu bestellen. In Böhmen kam es<br />
zu ersten Kampfhandlungen zwischen kaiserlichen<br />
Truppen und den Streitkräften des Landtages, der<br />
sich in Prag als Gegenregierung konstituiert hatte.<br />
Wobei der Streit eher formal um die wahre Glaubenslehre<br />
ging – tatsächlich war er gespeist vom<br />
Streben der böhmischen Stände, ihre Macht und<br />
Souveränität im Deutschen Reich zu vergrößern.<br />
Nach dem Tod von Kaiser Matthias am 20. März<br />
1619 sollte Ferdinand fünf Monate später zum Römisch-Deutschen<br />
Kaiser gekrönt werden. Noch bevor<br />
diese Zeremonie in Frankfurt am Main stattfand,<br />
erklärte der böhmische Landtag Ferdinand «als Feind<br />
der wahren Religion» für abgesetzt. Er habe «den<br />
Freiheiten und Privilegien des Königreiches zuwidergehandelt»,<br />
hieß es, und «sich hiermit der Regierung<br />
und Herrschaft selbst entblößt». Die Stände wählten<br />
stattdessen Friedrich V. von der Pfalz, einen evangelischen<br />
Fürsten, zum neuen König, wodurch die<br />
Rachsucht des Habsburgers noch mehr angefacht<br />
wurde. Diese «närrischen und aberwitzigen Leute»<br />
in Prag mussten exemplarisch bestraft werden.<br />
Zu den verblüffenden Umständen jener Zeit gehört<br />
die Tatsache, dass der religiöse Wüterich Ferdinand<br />
II. persönlich einen durchaus angenehmen<br />
Charakter aufwies. Ein Zeitgenosse schildert den<br />
Kaiser: «Er war ein heiterer, freundlicher kleiner<br />
Mann mit rotem Gesicht, welcher für jedermann<br />
ein beruhigendes Lächeln hatte. Freimut und Gutmütigkeit<br />
strahlten aus seinen wasserblauen Augen.<br />
Rothaarig, gedrungen und geschäftig, war er<br />
eine ganz und gar nicht eindrucksvolle Erscheinung,<br />
und die Vertraulichkeit seiner Umgangsformen ermutigte<br />
seine Höflinge und Diener, ihn auszunützen.<br />
Freunde und Feinde waren sich einig, dass er ein<br />
umgänglicher Mensch war.» Anderen Berichten zufolge<br />
verkörperte er «eine einfache Natur» und war<br />
«mehr zur körperlichen Betätigung als zum Nachdenken<br />
neigend.»<br />
Leider zählt der Habsburger aber auch zu jenen<br />
historischen Gestalten, die zur falschen Zeit am<br />
falschen Platz agierten. «Es kann mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />
davon ausgegangen werden, dass<br />
Ferdinand die gesellschaftspolitischen Probleme<br />
seines Reiches, die Notwendigkeit einer überfälligen<br />
Reichsreform und die konkurrierenden europäischen<br />
Interessenlagen in ihrer Brisanz nie begriffen<br />
hat», urteilt sein Biograf Klaus Koniarek. «Die<br />
Unterordnung seiner staatspolitischen Entscheidungen<br />
unter jene der katholischen Kirche beraubten<br />
ihn der wichtigsten Eigenschaft: die der ausgleichenden<br />
Integrationsfigur, wie sie das Reich wie<br />
nie zuvor gerade jetzt brauchte.»<br />
«Man möge sich auf einen 20-,<br />
30- oder 40-jährigen Krieg gefasst<br />
machen.» Erzbischof von Köln<br />
Und so bauschte sich der böhmische Konflikt mit<br />
Ferdinands tätiger Beihilfe allmählich zum gesamteuropäischen<br />
Krieg. Prophetisch notierte der Erzbischof<br />
von Köln: «Sollte es so sein, dass die Böhmen<br />
im Begriffe stehen, Ferdinand abzusetzen und<br />
einen Gegenkönig zu wählen, so möge man sich nur<br />
gleich auf einen 20-, 30- oder 40-jährigen Krieg gefasst<br />
machen.»<br />
Im Bündnis mit dem Kurfürsten Maximilian von<br />
Bayern marschierten kaiserliche Truppen in Böhmen<br />
ein. Am 8. November 1620 kam es am Weißen<br />
Berg bei Prag zur Entscheidungsschlacht. Die<br />
Böhmen erlitten eine katastrophale Niederlage, Ferdinand<br />
II. folgte seinen Truppen im Triumphzug. Daraus<br />
erwuchs jedoch bald ein jahrzehntelanges Ringen<br />
um die Vorherrschaft in Europa, das namentlich<br />
Deutschland mit Millionen Toten bezahlen musste.<br />
Kurz vor seinem Tod 1637 wurde Kaiser Ferdinand<br />
II. bemerkenswert hellsichtig: «Mit der Ehre und<br />
Pracht von Kaisern und Königen ist es wie bei einem<br />
Schauspiel. Ich finde keinen Unterschied zwischen<br />
den Theaterkönigen und den wirklichen – nur dass<br />
die einen Stunden und die anderen Jahre regieren.»<br />
60<br />
In der Schlacht am Weißen Berg unterlagen die böhmischen<br />
Stände 1620 den Truppen der katholischen Liga. Hier zeitgenössisch<br />
dargestellt durch Pieter Snayers (1592–1666).<br />
Bild: Public Domain, Wikimedia