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COMPACT Spezial 14 "Verrat am Wähler"

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<strong>COMPACT</strong><strong>Spezial</strong><br />

_ Die Linke<br />

Dulde mit, koaliere mit, regiere mit<br />

1994 gelang der PDS nur durch den Gewinn von<br />

vier Direktmandaten der Wiedereinzug in den Bundestag<br />

– die Fünfprozent-Sperrklausel wurde verfehlt.<br />

Gysis bunte Truppe war nicht zuletzt mit einer<br />

hohen Anzahl Parteiloser angetreten. Als der bekannte<br />

DDR-Schriftsteller Stefan Heym als Alterspräsident<br />

für die PDS das neue Parl<strong>am</strong>ent eröffnete,<br />

verweigerte die Unionsfraktion mit Ausnahme Rita<br />

Süssmuths den Beifall. Das Bundespresse<strong>am</strong>t verzögerte<br />

den Abdruck der Rede. Trotzdem markierte<br />

das Jahr 1994 einen Wendepunkt für die Partei.<br />

Am 16. Juni errang sie mit Horst-Dieter Brähmig im<br />

sächsischen Hoyerswerda erstmals einen Oberbürgermeisterposten.<br />

Nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt<br />

im gleichen Monat vereinbarten SPD,<br />

Grüne und PDS das sogenannte Magdeburger Modell.<br />

Die verfemten Sozialisten duldeten ein rot-grünes<br />

Minderheitenkabinett – offiziell ohne jegliches<br />

Mitspracherecht, doch das Finanzministerium berechnete<br />

die von der PDS durchgesetzten Wünsche<br />

1999 auf eine Milliarde Mark. Nach dem Urnengang<br />

in Mecklenburg-Vorpommern im Oktober strebte der<br />

dortige SPD-Chef Harald Ringstorff sogar eine rotrote<br />

Koalition an, wurde von seiner Bundespartei<br />

jedoch in eine Politehe mit der CDU gedrängt. Vier<br />

Jahre später ließ sich Ringstorff nicht mehr von einem<br />

Zus<strong>am</strong>mengehen mit der PDS abhalten.<br />

Es folgten Regierungsbeteiligungen in Berlin<br />

(2002–2011, sowie seit 2016), in Brandenburg seit<br />

2009 sowie in Thüringen seit 20<strong>14</strong> unter eigener<br />

Führung. 2008 scheiterte die hessische SPD-Vorsitzende<br />

Andrea Ypsilanti bei der Bildung einer Minderheitsregierung<br />

mit linker Duldung <strong>am</strong> Widerstand<br />

in der eigenen Fraktion. Zwischen 2010 und<br />

2012 führte Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen<br />

eine rot-grüne Minderheitsregierung mit<br />

wechselnden Mehrheiten, stützte sich dabei jedoch<br />

vielfach auf die Linke. Das letztendliche Ziel einer<br />

rot-rot-grünen Bundesregierung scheiterte bislang<br />

<strong>am</strong> Unwillen der dafür notwendigen Partner – die<br />

rechnerische Möglichkeit für ein derartiges Modell<br />

existiert seit 2013.<br />

K<strong>am</strong>pf zweier Linien<br />

unserer Fraktion im Bundestag herrscht auch Hass.<br />

Seit Jahren versuche ich, die unterschiedlichen Teile<br />

zus<strong>am</strong>menzuführen. Und ich bin es leid.»<br />

Tatsächlich haben sich die beiden Ansätze von<br />

Volks- beziehungsweise Interessenpartei zu einem<br />

offenen Gegensatz entwickelt und illustrieren so<br />

das allgemeine Dilemma der politischen Linken in<br />

Deutschland: Während die alte Linke immer die Sache<br />

des Volkes gegen Bourgeoisie und Finanzkapital<br />

im Auge hatte, gefallen sich deren neu-linke Erben<br />

– die Latte-macchiato-Fraktion – als Exekutoren<br />

der Globalisierung und Interessenvertreter von<br />

Randgruppen.<br />

Das Subjekt der Vergottung sind<br />

Rapefugees und Gender-Homunkuli.<br />

Schon immer gab es in der Partei beide Ansätze,<br />

aber die Machtbalance verschob sich zunehmend.<br />

Auch die PDS frönte in den 1990er Jahren Multikulti-Träumereien<br />

und einem hysterischen Pseudoantifaschismus.<br />

Doch im Kern ihrer Politik stand sie<br />

auf Seiten der Verlierer der Einheit – der entlassenen<br />

Arbeiter geschlossener ostdeutscher Betriebe,<br />

der geschassten Wissenschaftler abgewickelter<br />

Forschungseinrichtungen, der Opfer westdeutscher<br />

Glücksritter. Sogar der Nation konnten zumindest<br />

Teile der Sozialisten Positives abgewinnen. «Dass<br />

ein gutes Deutschland blühe» lautete das Motto<br />

des Cottbuser Parteitages im Oktober 2000. «Die<br />

meisten Linken definieren sich bis heute meist außerhalb<br />

oder gegen Deutschland, gegen die Nation.<br />

Die PDS<br />

Januar 1990 Umbenennung der<br />

SED in PDS<br />

März 1990 Die PDS wird bei der<br />

Volksk<strong>am</strong>merwahl mit 16,4 Prozent<br />

drittstärkste Kraft.<br />

Dezember 1990 Bei der ersten<br />

Bundestagswahl nach der Wiedervereinigung<br />

gelingt der PDS<br />

mit 10,6 Prozent im Wahlgebiet<br />

Ost der Einzug in den Bundestag<br />

1993 Die PDS verabschiedet ihr<br />

erstes Parteiprogr<strong>am</strong>m. Gregor<br />

Gysi zieht sich vom Parteivorsitz<br />

zurück.<br />

1994 In Sachsen-Anhalt duldet<br />

die PDS eine rot-grüne Minderheitsregierung.<br />

Das sogenannte<br />

Magdeburger Modell gilt<br />

als Türöffner für spätere Regierungsbeteiligungen.<br />

1998 Bei den Bundestagswahlen<br />

überspring die PDS mit 5,1<br />

Prozent erstmals die Sperrklausel<br />

und bildet eine Fraktion im<br />

Bundestag. In Mecklenburg-Vorpommern<br />

entsteht die erste rotrote<br />

Koalition.<br />

2005 Die PDS bildet ein faktisches<br />

Wahlbündnis mit der SPD-<br />

Abspaltung WASG und benennt<br />

sich in Die Linkspartei.PDS um.<br />

Mai 2007 Bei der Bürgerschaftswahl<br />

in Bremen zieht die Linkspartei<br />

mit 8,4 Prozent erstmals<br />

in ein westdeutsches Parl<strong>am</strong>ent<br />

ein.<br />

Der Schriftsteller Stefan Heym holte<br />

1994 ein Direktmandat für die PDS.<br />

Foto: picture alliance / ddrbildarchiv.de/Robert<br />

Grahn<br />

Doch wer ist diese Partei, die seit dem 4. Februar<br />

1990 lange als PDS, kurzzeitig als Linkspartei.<br />

PDS und schließlich – nach Übernahme der westdeutschen<br />

SPD-Abspaltung WASG im Jahre 2007 –<br />

als Die Linke firmiert? Gysi beschrieb die eigene<br />

Organisation auf dem Göttinger Parteitag 2012 als<br />

Volkspartei im Osten und Interessenpartei im Westen<br />

nebst Gewerkschaftsflügel sowie unabhängigen<br />

Linken. Gleichzeitig beklagte er die tiefe Zerrissenheit<br />

einer Linken, die Solidarität und Toleranz<br />

permanent zu politischen Leitlinien erhebt. «Aber in<br />

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