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Ausgabe 02/09 - Siemens Mobility

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wie der Philosoph Paul Virilio das Phäno -<br />

men nennt, sollte uns bei aller Ehr furcht<br />

vor Tempo und Effizienz eigentlich zu<br />

denken geben. Der Gridlock, die Schlan -<br />

ge, die sich selbst in den Schwanz beißt,<br />

das sind wir selbst. „Positive Rück koppe<br />

lung“ nennen das die Forscher, oder<br />

einfacher gesagt: Wie man in den Wald<br />

hineinruft, so schallt es zurück. Eben<br />

weil alle immer schneller werden wollen,<br />

geht alles immer langsamer. Wo liegt die<br />

Ver nunftgrenze? Beim nächsten Urlaubs -<br />

stau? Bei der Park platzsuche? Beim<br />

Nerven zusammen bruch im Gridlock?<br />

Oder sind wir hier überhaupt auf der<br />

falschen Spur? Und wie geht der Spur -<br />

wechsel? Der Individualverkehr als Land -<br />

plage des modernen Lebens steht seit<br />

lan gem ganz oben auf der Schwarzen<br />

Liste der Weltverbesserer. Allen Umweltund<br />

Ressourcendebatten, jedem Stau<br />

und Zusammenbruch zum Trotz wird<br />

aber gefahren. Sind Menschen unvernünftig?<br />

Kann sein, aber das ist eine ganz<br />

andere Frage. Es liegt in unserer Natur,<br />

dass wir unsere beschränkte Mobilität<br />

immer wieder erweitern wollen. Und<br />

zwar nicht so, wie andere wollen, sondern<br />

so, wie wir es uns vorstellen. Was<br />

bedeutet denn „seinen Horizont erweitern“<br />

anderes als Mobilität? Das Recht<br />

darauf, sich dann zu bewegen, wann<br />

man will – und wohin man will. Freie<br />

Bewegung ist ein evolutionäres Mo men -<br />

tum – dagegen hilft auch kein Mora lin.<br />

Darum sollte man sich hüten, in den<br />

Vertretern des Öffentlichen Verkehrs<br />

die „Vernünftigen“ zu sehen und in den<br />

An hängern individueller Fortbewegung<br />

Leu te, die nur mit dem Gaspedal denken.<br />

We der das eine noch das andere<br />

allein genügt.<br />

Es sind die Extreme der Diskussion,<br />

die den Fortschritt heute lähmen. Das<br />

alte Entweder-oder. Entweder Auto<br />

oder Schie ne. Entweder Umwelt oder<br />

Individual verkehr. Dabei geht es um ein<br />

Sowohl-als-auch. Der Homo faber, der<br />

technische Mensch, hat das Rad nicht<br />

dazu erfunden, um stehenzubleiben.<br />

Mobilität ist weder ein rein individuelles<br />

noch kollektives An liegen. Das sind<br />

Versatzstücke der Ideolo gien aus dem<br />

19. Jahrhundert. Die Loko motive stand<br />

für den Kollektivverkehr, den öffentlichen<br />

Verkehr, an dem alle – klassenüberschreitend<br />

– teilhaben sollten. Für<br />

die Zukunft angeblich. Die Herrschaf ten<br />

hingegen fuhren mit ihren Kutschen.<br />

Der große Irrtum des Kollektivismus<br />

hat immer in der Annahme bestanden,<br />

Ge rechtigkeit sei durch Verzicht erreichen.<br />

Denn die, die im Waggon saßen,<br />

wollten eigentlich auch Kutschen. Im<br />

20. Jahr hundert bekamen sie sie – in<br />

Form bezahlbarer Automobile.<br />

Das Zauberwort lautet<br />

Intermodalität –<br />

aber bitte einfach und<br />

lückenlos<br />

Und der totale Zusammenbruch, immer<br />

wie der prophezeiht, bleibt aus.<br />

Weil schlaue Leit systeme und intelligente<br />

Verkehrs pla nung diskret dafür sorgen,<br />

dass sich die Schlan ge nicht<br />

in den Schwanz beißt. Nur ist das bei<br />

vielen Menschen gar nicht an gekommen.<br />

Es wäre höchste Zeit, dass auch<br />

im öffentlichen Bewusstsein wieder<br />

klar wird, wie wichtig der richtige Mix<br />

aus allen Verkehrs mitteln ist – auch für<br />

Zur Person<br />

Wolf Lotter ist Mitbegründer und<br />

Leitartikler des Wirtschaftsmagazins<br />

brand eins. Seine Einleitungen zu den<br />

Themenschwerpunkten des Magazins<br />

beschreiben den Wandel von der<br />

Industrie- zur Wissensgesellschaft<br />

und stellen Grundsatzfragen. Der<br />

gebürtige Österreicher lebt seit vielen<br />

Jahren in Berlin und Hamburg und ist<br />

ein gefragter Referent und Hörfunk -<br />

kommentator im In- und Ausland.<br />

Auch seine Bücher haben ein großes<br />

Echo gefunden und tragen zu seinem<br />

Ruf als einer der führenden Wirt -<br />

schafts publizisten im deutschsprachigen<br />

Raum bei.<br />

die Sicherung und den Ausbau un seres<br />

Wohl stands. Arbeit, Handel,<br />

Produktion und Bildung – sie alle<br />

verlangen nach Mobilität.<br />

Jeder Deutsche legt im Durch -<br />

schnitt pro Tag 17,7 Kilometer zurück<br />

– das ist eine ganze Menge,<br />

die niemand zu Fuß bewältigen könnte,<br />

der neben Arbeit und Fa -<br />

mi lie auch noch ein wenig schlafen<br />

möchte. Eine komplexe Situation,<br />

die sich letztlich nur durch einen<br />

Varianten reichtum an Verkehrsmitteln<br />

bewältigen lässt. Das Zau berwort<br />

lautet Intermodalität – man fährt<br />

mit dem Verkehrsmittel, das sich<br />

am besten eignet. Das muss einfach<br />

gehen – lückenlos, ohne jeweils ein<br />

eigenes Ticket zu ziehen und große<br />

Umsteige-Prozedu ren. Diese Systeme<br />

zu entwickeln und zu steuern, ist<br />

die wichtigste Aufgabe einer Ge -<br />

sellschaft, die ihre Mobilität erhalten<br />

muss – ihres Wohlstands<br />

wegen.<br />

Mobilität ist Freiheit – gut. Es wird<br />

Zeit, diese Freiheit besser zu nutzen,<br />

und dafür braucht man nicht nur ein<br />

wenig gesunden Menschenverstand,<br />

sondern vor allen Dingen auch die<br />

volle Konzentration auf intermodale<br />

Verkehrskonzepte – kluge Mo delle,<br />

mit denen der Fluss der Bewe gung<br />

aufrechterhalten werden kann. Men -<br />

schen wollen weder Autofahren noch<br />

fliegen, sie wollen nicht im Zug sitzen<br />

oder im Bus – sie wollen sich bewegen,<br />

um ihre Ziele zu erreichen, und<br />

das möglichst punktgenau. Vielfalt,<br />

wie sie auch die Evolution als ihr Prin -<br />

zip auserkoren hat, das ist Zukunft,<br />

das ist Mobilität. Alles andere ist<br />

Mono kultur, die im Gridlock endet. «<br />

2/20<strong>09</strong> its magazine 23

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