SchlossMagazin Bayerisch-Schwaben Juli 2017
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ESSGESCHIRR einst und heute: Teller versus Papp-Box<br />
Kriegsbrot mit Sägespänen oder Rübenschnitzeln gestreckt.<br />
Doch nicht nur die Frauen mussten erfinderisch sein. Nach dem<br />
Krieg nutzte man Kriegsschrott als Rohstoffquelle. Stahlhelme<br />
wurden zu Sieben, aus den Einzelteilen von Gasmasken ließen<br />
sich Dosen, Schaumlöffel und vieles andere herstellen. Manche<br />
Panzerfaust genoss ein zweites friedliches Leben als emaillierte<br />
Kaffeekanne.<br />
In den 50er Jahren gelang den Deutschen das Wirtschaftswunder<br />
und der Fortschritt boomte. Zu einer wahren Materialvielfalt<br />
führte die Entwicklung der Kunststoffe. Sie veränderten<br />
den Alltag massiv und ermöglichten die günstige<br />
Massenproduktion technischer Errungenschaften. Das bislang<br />
anstrengende Wäschewaschen wurde durch elektrische<br />
Geräte wie Wäschestampfer, Waschmaschinen oder Schleudern<br />
enorm erleichtert. Die Lech-Elektrizitätswerke bewarben<br />
Maschinen, die über die Stromrechnung in Raten abbezahlt<br />
werden konnten. In den 60er Jahren zeugte die sog.<br />
Schwedenküche, eine Einbauküche in milchigen Pastellfarben,<br />
von gehobenem Lebensstil. Der pflegeleichte Werkstoff Resopal<br />
(Schichtstoffplatten aus mit Kunstharz imprägnierten<br />
und verpressten Papierbahnen) wurde dank seiner Farbigund<br />
Vielseitigkeit zum Synonym für Arbeits- und Tischplatten.<br />
Der gut form-, kleb- und färbbare Werkstoff Zelluloid<br />
(Nitro-Zellulose) ermöglichte es, Schmuckstücke, Knöpfe,<br />
Brillenfassungen uvm. herzustellen, die unerschwingliche<br />
Naturstoffe wie Elfenbein, Schildpatt, Perlmutt oder Koralle<br />
imitierten. Millionenfache Verbreitung in den Haushalten<br />
fand der nicht leitende Werkstoff Bakelit, der für die Gehäuse<br />
von Rundfunkempfängern oder Telefonen verwendet wurde.<br />
Nach dem zweiten Weltkrieg galten synthetisch gewonnene<br />
Materialien als Inbegriff für Modernität. Kleider, gefertigt<br />
aus Nylon-, Perlon- oder Trevira-Garnen (letztere übrigens<br />
aus Bobingen) revolutionierten dank ihrer Pflegeleichtigkeit<br />
und Formbeständigkeit die deutschen Kleiderschränke. Bis<br />
heute entsteht aus Trevira Oberbekleidung.<br />
Ab den 1950er Jahren erlebte auch die industrielle Lebensmittelproduktion<br />
ihren bis heute ansteigenden Boom. Tütensuppen,<br />
Päckchensoßen, Gemüsekonserven usw. hielten Einzug<br />
in deutschen Küchen. Womit sich die Koch- und Essgewohnheiten<br />
wandelten: Fast Food und Convenience-Produkte wurden<br />
immer populärer – mit zweifelhaften Auswirkungen. Die<br />
Deutschen legten sich vermehrt „Wohlstandsspeck“ zu. All<br />
die Errungenschaften, die den Haushalt erleichterten, dienten<br />
letzten Endes einem Ziel: Die Frau, deren Arbeitsbereich<br />
früher auf Haus, Küche und Kinder fokussiert war, gewann<br />
Zeit zur Ausübung haushaltsferner Berufe. Es wurde also quasi<br />
die weibliche Emanzipation gefördert. Doch zu keiner Zeit<br />
dachten die „Erfinder“ der zahlreichen Innovationen an die<br />
Probleme, die die industrielle Massenproduktion und die neuen<br />
Materialien längerfristig verursachen würden.<br />
Auch in Zukunft wird uns noch ein riesiges Problem beschäftigen:<br />
der Plastik- und sonstige Müll, der heute schon ganze<br />
Ökosysteme bedroht. Das stetige Anschwellen der Müll-Lawine<br />
seit dem zweiten Weltkrieg ist nicht nur auf den Wohlstandszuwachs<br />
zurückzuführen, sondern auch auf das veränderte<br />
Einkaufsverhalten, die Selbstbedienung bei vorverpackten<br />
Lebensmitteln im Einzelhandel sowie das gesteigerte Wegwerfverhalten.<br />
Wir konsumieren Kapselkaffee oder Getränke<br />
in Bechern „to go“, verwenden Einwegverpackungen für Fast<br />
Food und Plastikgeschirr. Jedes Jahr muss es das neue Smartphone<br />
sein; Billigmöbel überstehen keinen Umzug und landen<br />
im Sperrmüll. Doch: Wohin mit dem ganzen Müll? Bei vielen<br />
Menschen wächst das Bewusstsein für diese Probleme, und<br />
Fragen zu Ökobilanz, Nachhaltigkeit und begrenzten Ressourcen<br />
werden immer wieder öffentlich debattiert. Neue<br />
Müllkonzepte müssen her. Aber auch wenn bislang die optimale<br />
Lösung fehlt, gibt es dennoch einige inspirierende Lösungsansätze,<br />
die in der Ausstellung thematisiert werden:<br />
Recycling von Gegenständen und Werkstoffen, Tauschbörsen,<br />
Repaircafés und ein bewusstes müllvermeidendes Einkaufen.<br />
Die Ausstellung entstand in Kooperation mit der Heimatpflege<br />
des Bezirks <strong>Schwaben</strong> und in Zusammenarbeit mit Studierenden<br />
des Studiengangs „Kunst- und Kunstgeschichte“ an<br />
der Universität Augsburg. #<br />
INFORMATIONEN<br />
Schwäbisches Volkskundemuseum<br />
Oberschönenfeld 4, 86459 Gessertshausen<br />
www.schwaebisches-volkskundemuseum.de<br />
Öffnungszeiten Di – So 10:00 – 17:00 Uhr<br />
bis 10. September<br />
Zur Ausstellung wird ein<br />
kommentierendes Begleitheft angeboten.<br />
Die Puppen der Marke Schildkroet hatten<br />
früher einen KOPF AUS ZELLULOID.