03.07.2017 Aufrufe

SchlossMagazin Bayerisch-Schwaben Juli 2017

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

| REGION | 13<br />

ESSGESCHIRR einst und heute: Teller versus Papp-Box<br />

Kriegsbrot mit Sägespänen oder Rübenschnitzeln gestreckt.<br />

Doch nicht nur die Frauen mussten erfinderisch sein. Nach dem<br />

Krieg nutzte man Kriegsschrott als Rohstoffquelle. Stahlhelme<br />

wurden zu Sieben, aus den Einzelteilen von Gasmasken ließen<br />

sich Dosen, Schaumlöffel und vieles andere herstellen. Manche<br />

Panzerfaust genoss ein zweites friedliches Leben als emaillierte<br />

Kaffeekanne.<br />

In den 50er Jahren gelang den Deutschen das Wirtschaftswunder<br />

und der Fortschritt boomte. Zu einer wahren Materialvielfalt<br />

führte die Entwicklung der Kunststoffe. Sie veränderten<br />

den Alltag massiv und ermöglichten die günstige<br />

Massenproduktion technischer Errungenschaften. Das bislang<br />

anstrengende Wäschewaschen wurde durch elektrische<br />

Geräte wie Wäschestampfer, Waschmaschinen oder Schleudern<br />

enorm erleichtert. Die Lech-Elektrizitätswerke bewarben<br />

Maschinen, die über die Stromrechnung in Raten abbezahlt<br />

werden konnten. In den 60er Jahren zeugte die sog.<br />

Schwedenküche, eine Einbauküche in milchigen Pastellfarben,<br />

von gehobenem Lebensstil. Der pflegeleichte Werkstoff Resopal<br />

(Schichtstoffplatten aus mit Kunstharz imprägnierten<br />

und verpressten Papierbahnen) wurde dank seiner Farbigund<br />

Vielseitigkeit zum Synonym für Arbeits- und Tischplatten.<br />

Der gut form-, kleb- und färbbare Werkstoff Zelluloid<br />

(Nitro-Zellulose) ermöglichte es, Schmuckstücke, Knöpfe,<br />

Brillenfassungen uvm. herzustellen, die unerschwingliche<br />

Naturstoffe wie Elfenbein, Schildpatt, Perlmutt oder Koralle<br />

imitierten. Millionenfache Verbreitung in den Haushalten<br />

fand der nicht leitende Werkstoff Bakelit, der für die Gehäuse<br />

von Rundfunkempfängern oder Telefonen verwendet wurde.<br />

Nach dem zweiten Weltkrieg galten synthetisch gewonnene<br />

Materialien als Inbegriff für Modernität. Kleider, gefertigt<br />

aus Nylon-, Perlon- oder Trevira-Garnen (letztere übrigens<br />

aus Bobingen) revolutionierten dank ihrer Pflegeleichtigkeit<br />

und Formbeständigkeit die deutschen Kleiderschränke. Bis<br />

heute entsteht aus Trevira Oberbekleidung.<br />

Ab den 1950er Jahren erlebte auch die industrielle Lebensmittelproduktion<br />

ihren bis heute ansteigenden Boom. Tütensuppen,<br />

Päckchensoßen, Gemüsekonserven usw. hielten Einzug<br />

in deutschen Küchen. Womit sich die Koch- und Essgewohnheiten<br />

wandelten: Fast Food und Convenience-Produkte wurden<br />

immer populärer – mit zweifelhaften Auswirkungen. Die<br />

Deutschen legten sich vermehrt „Wohlstandsspeck“ zu. All<br />

die Errungenschaften, die den Haushalt erleichterten, dienten<br />

letzten Endes einem Ziel: Die Frau, deren Arbeitsbereich<br />

früher auf Haus, Küche und Kinder fokussiert war, gewann<br />

Zeit zur Ausübung haushaltsferner Berufe. Es wurde also quasi<br />

die weibliche Emanzipation gefördert. Doch zu keiner Zeit<br />

dachten die „Erfinder“ der zahlreichen Innovationen an die<br />

Probleme, die die industrielle Massenproduktion und die neuen<br />

Materialien längerfristig verursachen würden.<br />

Auch in Zukunft wird uns noch ein riesiges Problem beschäftigen:<br />

der Plastik- und sonstige Müll, der heute schon ganze<br />

Ökosysteme bedroht. Das stetige Anschwellen der Müll-Lawine<br />

seit dem zweiten Weltkrieg ist nicht nur auf den Wohlstandszuwachs<br />

zurückzuführen, sondern auch auf das veränderte<br />

Einkaufsverhalten, die Selbstbedienung bei vorverpackten<br />

Lebensmitteln im Einzelhandel sowie das gesteigerte Wegwerfverhalten.<br />

Wir konsumieren Kapselkaffee oder Getränke<br />

in Bechern „to go“, verwenden Einwegverpackungen für Fast<br />

Food und Plastikgeschirr. Jedes Jahr muss es das neue Smartphone<br />

sein; Billigmöbel überstehen keinen Umzug und landen<br />

im Sperrmüll. Doch: Wohin mit dem ganzen Müll? Bei vielen<br />

Menschen wächst das Bewusstsein für diese Probleme, und<br />

Fragen zu Ökobilanz, Nachhaltigkeit und begrenzten Ressourcen<br />

werden immer wieder öffentlich debattiert. Neue<br />

Müllkonzepte müssen her. Aber auch wenn bislang die optimale<br />

Lösung fehlt, gibt es dennoch einige inspirierende Lösungsansätze,<br />

die in der Ausstellung thematisiert werden:<br />

Recycling von Gegenständen und Werkstoffen, Tauschbörsen,<br />

Repaircafés und ein bewusstes müllvermeidendes Einkaufen.<br />

Die Ausstellung entstand in Kooperation mit der Heimatpflege<br />

des Bezirks <strong>Schwaben</strong> und in Zusammenarbeit mit Studierenden<br />

des Studiengangs „Kunst- und Kunstgeschichte“ an<br />

der Universität Augsburg. #<br />

INFORMATIONEN<br />

Schwäbisches Volkskundemuseum<br />

Oberschönenfeld 4, 86459 Gessertshausen<br />

www.schwaebisches-volkskundemuseum.de<br />

Öffnungszeiten Di – So 10:00 – 17:00 Uhr<br />

bis 10. September<br />

Zur Ausstellung wird ein<br />

kommentierendes Begleitheft angeboten.<br />

Die Puppen der Marke Schildkroet hatten<br />

früher einen KOPF AUS ZELLULOID.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!