HANSEstyle 2 | 2017
Mode, Kultur, Genuss. Hamburg.
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STADTGESCHICHTE(N)<br />
STADTGESCHICHTE(N)<br />
Haupthaus gibt es eine Scheune, einen<br />
sog. Heuberg, ein Backhaus und eine<br />
Entwässerungsmühle. Das zentrale Hallenhaus<br />
für Mensch und Tier wurde von<br />
Generation zu Generation erweitert und<br />
modernisiert. Die Grootdöns im Rieck-<br />
Haus wird, sehr fortschrittlich, mit einem<br />
Hamburger Fayence-Ofen beheizt.<br />
Dahinter befinden sich die eingebauten<br />
Schlafstätten, sog. Alkoven oder Butzen.<br />
An den Wänden bemalte niederländische<br />
Wandfliesen und Holzvertäfelungen<br />
und in der Wohnstube das typische<br />
intarsierte Vierländer Mobiliar. Reich<br />
verzierte Stühle mit geflochtenen Sitzflächen,<br />
auch Hochzeitsstühle mit den<br />
Namen des Paares, wie sie hier noch<br />
heute gefertigt werden. Dazu Tisch,<br />
Aussteuertruhe und Bänke, auf denen<br />
man auch schlafen konnte und unter<br />
denen die Stubenküken in der Wärme<br />
aufgezogen wurden.Hinter diesen Stuben<br />
und Kammern besagte Querdiele,<br />
das hallenartige Flett, mit gemauerter<br />
Herdwand und im Rieck-Haus mit einer<br />
seitlichen Hoffdör zur Gartenseite, zum<br />
wunderschönen mit Blumen bepflanzten<br />
Krühoff, dem Bauerngarten. Weiter<br />
hinten die Gesindekammern, die Ställe<br />
und dazwischen die Wirtschaftsdiele<br />
mit der Grootdör für die Erntewagen. Die<br />
Feldentwässerungsmühle neben dem<br />
Rieck-Haus wurde allerdings von Ochsenwerder<br />
hierher verpflanzt. Solche<br />
windgetriebenen Mühlen besaß im 18.<br />
Jahrhundert nahezu jeder Hof. Mit Hilfe<br />
Das kleinste Restaurant der Welt für zwei<br />
Personen im Pegelhaus am Zollenspieker<br />
„Selbst gesponnen und selbst<br />
gemacht ist Bauerntracht.“<br />
ihrer hölzernen Förderschnecken konnte man den Wasserstand regulieren. Bei hohen<br />
Wasserständen in der Elbe wurden mit ihrer Hilfe die Felder durch Abschöpfung<br />
des überflüssigen Wassers trockengelegt. Solche Entwässerungsmühlen wurden erst<br />
im 20. Jahrhundert durch moderne Pumpen und Schleusensysteme ersetzt. Der noch<br />
heute erkennbar zur Schau gestellte Reichtum der hiesigen Bauern beruhte auf ihrer<br />
unmittelbaren Nachbarschaft zur Hansestadt Hamburg. Deren ständig steigender<br />
Versorgungsbedarf, zunächst Hopfen und Gerste zum Bierbrauen, dann Obst und<br />
frisches Gemüse, nicht zu vergessen die hier aufgezogenen Stubenküken, begründeten<br />
den Wohlstand der hier lebenden Landwirte und Gärtner. Zudem konnten sich die<br />
Vierlande seit ihrer Zugehörigkeit zu den Hansestädten Hamburg und Lübeck weitgehend<br />
frei von feudalen Fesseln entwickeln. So entstanden bis zum Dreißigjährigen<br />
Krieg die durchweg stattlichen Bauernhäuser, deren oft aufwendiges Fassaden-Dekor<br />
und die Schaugiebel den Wohlstand ihrer stolzen Besitzer unterstrichen. Als Nachwirkung<br />
dieses Krieges allerdings folgte eine agrarwirtschaftliche Depression und damit<br />
verbunden ein vorübergehender Niedergang. So wurde nach 1650 zunächst deutlich<br />
schlichter gebaut.<br />
Vierländer Tracht galt als Gütesiegel<br />
Auch die traditionelle Kleidung der Vierländer Bauern entsprach nicht unbedingt<br />
dem Klischee „selbst gesponnen und selbst gemacht ist Bauerntracht“. Vielleicht lagen<br />
ihre deutlich üppigeren Trachten ebenfalls an der Nähe zur Stadt und dem dort<br />
üblichen Verhalten – die Vierländer Trachten waren derart auffällig, dass die Visi-<br />
Essen und Trinken in den Vierlanden<br />
Zollenspieker Fährhaus<br />
am Zollenspieker Hauptdeich 141 in Kirchwerder<br />
direkt am Elbufer. Mit einer Vierländer<br />
Stube, dem Wintergartenrestaurant und dem<br />
kleinsten Restaurant der Welt im Pegelhäuschen<br />
für zwei besonders Verliebte, die im Hotel<br />
zudem jeglichen Komfort finden: Sauna-Landschaft,<br />
Massagen, Beauty-Angebote u.a.m.<br />
Norddeutsches Haus<br />
am Altengammer Elbdeich 42 – beliebt nicht<br />
nur wegen seiner Bratkartoffelgerichte. Saisonal<br />
serviert man Stinte, Matjes und andere<br />
Fischgerichte, sommers auch open air. Mittwoch<br />
Ruhetag.<br />
Zum Eichbaum<br />
am Moorfleeter Deich 477, direkt am Eichbaumsee.<br />
Regionale Spezialitäten von Fisch<br />
wie Fleisch – für den kleinen oder großen<br />
Hunger. Perfekt für einen Zwischenstopp<br />
von Hamburg in die Vierlande.<br />
Zur Alten Vierländer<br />
Bäckerei<br />
Café und Pension am Kirchwerder Elbdeich<br />
122. Wer einen Platz für eine Kaffeepause<br />
sucht und dazu ein Stück Kuchen essen<br />
möchte, ist hier richtig.<br />
Zum alten Bahnhof<br />
Hotel und Gaststätte in Curslack; urig und direkt<br />
am Radwanderweg von Bergedorf. Jens<br />
Heimbach bezeichnet seine gastliche Stätte<br />
auch als die „letzte Tankstelle am alten Gleisbett“<br />
– mit warmer Küche wochentags ab 16<br />
Uhr / samstags und sonntags wird bereits ab<br />
12 Uhr gekocht. Dienstag Ruhetag.<br />
Margrets Café Vierlanden und<br />
Dinkelbackstube<br />
am Neuengammer Hausdeich 471, geöffnet<br />
von Mittwoch bis Sonntag zwischen 14 und<br />
18 Uhr. Dort bekommen Sie Kuchen, Torten<br />
und Kekse aus Dinkel.<br />
Foto: AdHistory<br />
tationsbehörde des Amtes Bergedorf schon ab dem 17.<br />
Jahrhundert gegen solchen Kleiderprunk einschritt.<br />
Den Hamburger Kunden allerdings signalisierten<br />
diese bunten und gepflegten Kleider mit den silbernen<br />
Knöpfen den geschäftlichen Erfolg und die Seriosität<br />
ihrer Trägerinnen, der Bäuerinnen und Marktfrauen.<br />
Das wirkte durchaus verkaufsfördernd für ihre Warenangebote,<br />
denn durch diese kunstvollen Trachten<br />
hoben sie sich ab von den weniger geachteten Hamburger<br />
Straßenhändlern. Die Vierländer Tracht wurde zu<br />
einer Art Markenzeichen für hohe Produktqualität,<br />
was die in Hamburg ansässige Deutsche Unilever später<br />
veranlasste, eine hübsch gekleidete Vierländerin<br />
zur Werbefigur für ihre Spitzenmargarine RAMA zu<br />
machen.<br />
Altengamme, Curslack,<br />
Kirchwerder und Neuengamme<br />
Zurück zu den veer Keerspell, zu den vier Kirchspielen<br />
Altengamme, Curslack, Kirchwerder und Neuengamme.<br />
Sie alle besitzen eigene Kirchen: die älteste, St.<br />
Nicolai, steht im östlichsten Hamburger Stadtteil, in<br />
Altengamme. Sie gilt als eine der schönsten Bauernbarockkirchen<br />
in Norddeutschland. An ihrer Südseite<br />
zwei vorgebaute Eingangshäuser, getrennt für Männer<br />
und Frauen: das Manns-Bruut-Huus (Männerbrauthaus)<br />
und das Froens-Bruut-Huus. Die Orgel baute der<br />
Arp Schnitger-Schüler Johann Dietrich Busch. Der<br />
bronzene Taufstein stammt aus dem Jahr 1380. Und<br />
im freistehenden Glockenturm hängt die 1487 gegossene<br />
Celsa-Glocke, die man nach dem Abbruch des<br />
Hamburger Mariendoms ersteigert hatte. In Curslack<br />
sollten Sie sich vor allem genügend Zeit für den Besuch<br />
des Rieck-Hauses nehmen. Kirchwerder, ursprünglich<br />
Remerswerden, gewann große Bedeutung durch einen<br />
Elbübergang zwischen Nord und Süd sowie durch<br />
die Mautstelle Zollenspieker. Und durch die einstige<br />
Riepenburg, eine inzwischen leider völlig zerstörte<br />
Turmhügelburg zur Sicherung dieses Zollhauses. Sie<br />
war zu Beginn der beiderstädtischen Verwaltung neben<br />
dem Bergedorfer Schloss weiterer Amtssitz in den<br />
Vierlanden. Heute ist von ihr nur noch ein Ringwall zu<br />
erkennen. Das Zollenspieker Fährhaus dagegen wurde<br />
zum beliebten Ausflugsort, schon wegen des grandiosen<br />
Elbblicks von der großen Terrasse. Und ein Erlebnis<br />
für Groß und Klein ist der Fährbetrieb zwischen<br />
Zollenspieker und Hoopte in Niedersachsen – heute<br />
mit zwei Doppelendfähren, der Hoopter Möwe und<br />
der Spieker Möwe. Die Zeiten, als hier noch der Ruf<br />
ertönte „Fährmann, hol mi mol röber!“, die sind allerdings<br />
längst vorbei. Bleibt noch Neuengamme mit der<br />
KZ-Gedenkstätte. Ruth Klüger spricht von „einem Ort<br />
in der Zeit, die nicht mehr ist“. Auch hier ein Ort, den<br />
so mancher gern endgültig aus der Erinnerung getilgt<br />
hätte. In der NS-Zeit ein Lagerkomplex für mindestens<br />
100.000 Zwangsarbeiter, von denen nur etwa die Hälfte<br />
diese Zeit überlebt hat. Nach dem Zusammenbruch<br />
wurden auf dem Gelände dieses ehemaligen Konzentrationslagers<br />
– sicher alles andere als angemessen! –<br />
zunächst zwei Gefängnisse eingerichtet, und nur auf<br />
Fotos: Die Barock-<br />
Kirche St. Nicolai in<br />
Altengamme / Die<br />
Vierländer Tracht in<br />
einer RAMA-Anzeige<br />
der 50er Jahre / Autor<br />
Heinz H. Behres unterwegs<br />
in Vierlande<br />
Ruth Klüger spricht von<br />
„einem Ort in der Zeit,<br />
die nicht mehr ist“.<br />
Druck von Überlebenden erst Jahre später eine kleine Gedenkstätte.<br />
Dann entstand ein Dokumentenhaus mit kleiner Ausstellungsfläche.<br />
2003 wurde das Gefängnis endgültig verlegt und das gesamte ehemalige<br />
KZ-Gelände in die Gedenkstätte Neuengamme umgewandelt, zur<br />
Aufarbeitung und Erinnerung.<br />
Bio-Erlebnisbauernhof<br />
Aber wer mit Kindern nach Kirchwerder kommt, sollte vielleicht den<br />
Hof Eggers in der Ohe besuchen, am Kirchwerder Mühlendamm. Ein<br />
Bio-Bauernhof, wo man das Miteinander von Mensch und Tier, von<br />
Mensch und Natur hautnah erleben kann. Dort bietet man ein vielfältiges<br />
Programm für Kinder: abenteuerliche Reisen durch die Welt eines<br />
Bauernhofes oder Kochkurse für Kinder, die zuvor die Zutaten dafür<br />
selber im Garten ernten müssen – mit Kopf für den Bauch. Es gibt<br />
Zauberer, eine Märchenbühne und anderes. Das aktuelle Programm<br />
können Sie unter www.hof-eggers.de abrufen. Die Erwachsenen dürfen<br />
es sich derweilen im Hofcafé gut gehen lassen, bei selbstgebackenem<br />
Kuchen und anderen Leckereien. Und man kann natürlich Bio-<br />
Fleisch mit nach Hause nehmen.<br />
Text: Heinz H. Behrens | Fotos: Ulrich Lindenthal-Lazhar<br />
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