15.08.2017 Aufrufe

HANSEstyle 2 | 2017

Mode, Kultur, Genuss. Hamburg.

Mode, Kultur, Genuss. Hamburg.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

STADTGESCHICHTE(N)<br />

STADTGESCHICHTE(N)<br />

Haupthaus gibt es eine Scheune, einen<br />

sog. Heuberg, ein Backhaus und eine<br />

Entwässerungsmühle. Das zentrale Hallenhaus<br />

für Mensch und Tier wurde von<br />

Generation zu Generation erweitert und<br />

modernisiert. Die Grootdöns im Rieck-<br />

Haus wird, sehr fortschrittlich, mit einem<br />

Hamburger Fayence-Ofen beheizt.<br />

Dahinter befinden sich die eingebauten<br />

Schlafstätten, sog. Alkoven oder Butzen.<br />

An den Wänden bemalte niederländische<br />

Wandfliesen und Holzvertäfelungen<br />

und in der Wohnstube das typische<br />

intarsierte Vierländer Mobiliar. Reich<br />

verzierte Stühle mit geflochtenen Sitzflächen,<br />

auch Hochzeitsstühle mit den<br />

Namen des Paares, wie sie hier noch<br />

heute gefertigt werden. Dazu Tisch,<br />

Aussteuertruhe und Bänke, auf denen<br />

man auch schlafen konnte und unter<br />

denen die Stubenküken in der Wärme<br />

aufgezogen wurden.Hinter diesen Stuben<br />

und Kammern besagte Querdiele,<br />

das hallenartige Flett, mit gemauerter<br />

Herdwand und im Rieck-Haus mit einer<br />

seitlichen Hoffdör zur Gartenseite, zum<br />

wunderschönen mit Blumen bepflanzten<br />

Krühoff, dem Bauerngarten. Weiter<br />

hinten die Gesindekammern, die Ställe<br />

und dazwischen die Wirtschaftsdiele<br />

mit der Grootdör für die Erntewagen. Die<br />

Feldentwässerungsmühle neben dem<br />

Rieck-Haus wurde allerdings von Ochsenwerder<br />

hierher verpflanzt. Solche<br />

windgetriebenen Mühlen besaß im 18.<br />

Jahrhundert nahezu jeder Hof. Mit Hilfe<br />

Das kleinste Restaurant der Welt für zwei<br />

Personen im Pegelhaus am Zollenspieker<br />

„Selbst gesponnen und selbst<br />

gemacht ist Bauerntracht.“<br />

ihrer hölzernen Förderschnecken konnte man den Wasserstand regulieren. Bei hohen<br />

Wasserständen in der Elbe wurden mit ihrer Hilfe die Felder durch Abschöpfung<br />

des überflüssigen Wassers trockengelegt. Solche Entwässerungsmühlen wurden erst<br />

im 20. Jahrhundert durch moderne Pumpen und Schleusensysteme ersetzt. Der noch<br />

heute erkennbar zur Schau gestellte Reichtum der hiesigen Bauern beruhte auf ihrer<br />

unmittelbaren Nachbarschaft zur Hansestadt Hamburg. Deren ständig steigender<br />

Versorgungsbedarf, zunächst Hopfen und Gerste zum Bierbrauen, dann Obst und<br />

frisches Gemüse, nicht zu vergessen die hier aufgezogenen Stubenküken, begründeten<br />

den Wohlstand der hier lebenden Landwirte und Gärtner. Zudem konnten sich die<br />

Vierlande seit ihrer Zugehörigkeit zu den Hansestädten Hamburg und Lübeck weitgehend<br />

frei von feudalen Fesseln entwickeln. So entstanden bis zum Dreißigjährigen<br />

Krieg die durchweg stattlichen Bauernhäuser, deren oft aufwendiges Fassaden-Dekor<br />

und die Schaugiebel den Wohlstand ihrer stolzen Besitzer unterstrichen. Als Nachwirkung<br />

dieses Krieges allerdings folgte eine agrarwirtschaftliche Depression und damit<br />

verbunden ein vorübergehender Niedergang. So wurde nach 1650 zunächst deutlich<br />

schlichter gebaut.<br />

Vierländer Tracht galt als Gütesiegel<br />

Auch die traditionelle Kleidung der Vierländer Bauern entsprach nicht unbedingt<br />

dem Klischee „selbst gesponnen und selbst gemacht ist Bauerntracht“. Vielleicht lagen<br />

ihre deutlich üppigeren Trachten ebenfalls an der Nähe zur Stadt und dem dort<br />

üblichen Verhalten – die Vierländer Trachten waren derart auffällig, dass die Visi-<br />

Essen und Trinken in den Vierlanden<br />

Zollenspieker Fährhaus<br />

am Zollenspieker Hauptdeich 141 in Kirchwerder<br />

direkt am Elbufer. Mit einer Vierländer<br />

Stube, dem Wintergartenrestaurant und dem<br />

kleinsten Restaurant der Welt im Pegelhäuschen<br />

für zwei besonders Verliebte, die im Hotel<br />

zudem jeglichen Komfort finden: Sauna-Landschaft,<br />

Massagen, Beauty-Angebote u.a.m.<br />

Norddeutsches Haus<br />

am Altengammer Elbdeich 42 – beliebt nicht<br />

nur wegen seiner Bratkartoffelgerichte. Saisonal<br />

serviert man Stinte, Matjes und andere<br />

Fischgerichte, sommers auch open air. Mittwoch<br />

Ruhetag.<br />

Zum Eichbaum<br />

am Moorfleeter Deich 477, direkt am Eichbaumsee.<br />

Regionale Spezialitäten von Fisch<br />

wie Fleisch – für den kleinen oder großen<br />

Hunger. Perfekt für einen Zwischenstopp<br />

von Hamburg in die Vierlande.<br />

Zur Alten Vierländer<br />

Bäckerei<br />

Café und Pension am Kirchwerder Elbdeich<br />

122. Wer einen Platz für eine Kaffeepause<br />

sucht und dazu ein Stück Kuchen essen<br />

möchte, ist hier richtig.<br />

Zum alten Bahnhof<br />

Hotel und Gaststätte in Curslack; urig und direkt<br />

am Radwanderweg von Bergedorf. Jens<br />

Heimbach bezeichnet seine gastliche Stätte<br />

auch als die „letzte Tankstelle am alten Gleisbett“<br />

– mit warmer Küche wochentags ab 16<br />

Uhr / samstags und sonntags wird bereits ab<br />

12 Uhr gekocht. Dienstag Ruhetag.<br />

Margrets Café Vierlanden und<br />

Dinkelbackstube<br />

am Neuengammer Hausdeich 471, geöffnet<br />

von Mittwoch bis Sonntag zwischen 14 und<br />

18 Uhr. Dort bekommen Sie Kuchen, Torten<br />

und Kekse aus Dinkel.<br />

Foto: AdHistory<br />

tationsbehörde des Amtes Bergedorf schon ab dem 17.<br />

Jahrhundert gegen solchen Kleiderprunk einschritt.<br />

Den Hamburger Kunden allerdings signalisierten<br />

diese bunten und gepflegten Kleider mit den silbernen<br />

Knöpfen den geschäftlichen Erfolg und die Seriosität<br />

ihrer Trägerinnen, der Bäuerinnen und Marktfrauen.<br />

Das wirkte durchaus verkaufsfördernd für ihre Warenangebote,<br />

denn durch diese kunstvollen Trachten<br />

hoben sie sich ab von den weniger geachteten Hamburger<br />

Straßenhändlern. Die Vierländer Tracht wurde zu<br />

einer Art Markenzeichen für hohe Produktqualität,<br />

was die in Hamburg ansässige Deutsche Unilever später<br />

veranlasste, eine hübsch gekleidete Vierländerin<br />

zur Werbefigur für ihre Spitzenmargarine RAMA zu<br />

machen.<br />

Altengamme, Curslack,<br />

Kirchwerder und Neuengamme<br />

Zurück zu den veer Keerspell, zu den vier Kirchspielen<br />

Altengamme, Curslack, Kirchwerder und Neuengamme.<br />

Sie alle besitzen eigene Kirchen: die älteste, St.<br />

Nicolai, steht im östlichsten Hamburger Stadtteil, in<br />

Altengamme. Sie gilt als eine der schönsten Bauernbarockkirchen<br />

in Norddeutschland. An ihrer Südseite<br />

zwei vorgebaute Eingangshäuser, getrennt für Männer<br />

und Frauen: das Manns-Bruut-Huus (Männerbrauthaus)<br />

und das Froens-Bruut-Huus. Die Orgel baute der<br />

Arp Schnitger-Schüler Johann Dietrich Busch. Der<br />

bronzene Taufstein stammt aus dem Jahr 1380. Und<br />

im freistehenden Glockenturm hängt die 1487 gegossene<br />

Celsa-Glocke, die man nach dem Abbruch des<br />

Hamburger Mariendoms ersteigert hatte. In Curslack<br />

sollten Sie sich vor allem genügend Zeit für den Besuch<br />

des Rieck-Hauses nehmen. Kirchwerder, ursprünglich<br />

Remerswerden, gewann große Bedeutung durch einen<br />

Elbübergang zwischen Nord und Süd sowie durch<br />

die Mautstelle Zollenspieker. Und durch die einstige<br />

Riepenburg, eine inzwischen leider völlig zerstörte<br />

Turmhügelburg zur Sicherung dieses Zollhauses. Sie<br />

war zu Beginn der beiderstädtischen Verwaltung neben<br />

dem Bergedorfer Schloss weiterer Amtssitz in den<br />

Vierlanden. Heute ist von ihr nur noch ein Ringwall zu<br />

erkennen. Das Zollenspieker Fährhaus dagegen wurde<br />

zum beliebten Ausflugsort, schon wegen des grandiosen<br />

Elbblicks von der großen Terrasse. Und ein Erlebnis<br />

für Groß und Klein ist der Fährbetrieb zwischen<br />

Zollenspieker und Hoopte in Niedersachsen – heute<br />

mit zwei Doppelendfähren, der Hoopter Möwe und<br />

der Spieker Möwe. Die Zeiten, als hier noch der Ruf<br />

ertönte „Fährmann, hol mi mol röber!“, die sind allerdings<br />

längst vorbei. Bleibt noch Neuengamme mit der<br />

KZ-Gedenkstätte. Ruth Klüger spricht von „einem Ort<br />

in der Zeit, die nicht mehr ist“. Auch hier ein Ort, den<br />

so mancher gern endgültig aus der Erinnerung getilgt<br />

hätte. In der NS-Zeit ein Lagerkomplex für mindestens<br />

100.000 Zwangsarbeiter, von denen nur etwa die Hälfte<br />

diese Zeit überlebt hat. Nach dem Zusammenbruch<br />

wurden auf dem Gelände dieses ehemaligen Konzentrationslagers<br />

– sicher alles andere als angemessen! –<br />

zunächst zwei Gefängnisse eingerichtet, und nur auf<br />

Fotos: Die Barock-<br />

Kirche St. Nicolai in<br />

Altengamme / Die<br />

Vierländer Tracht in<br />

einer RAMA-Anzeige<br />

der 50er Jahre / Autor<br />

Heinz H. Behres unterwegs<br />

in Vierlande<br />

Ruth Klüger spricht von<br />

„einem Ort in der Zeit,<br />

die nicht mehr ist“.<br />

Druck von Überlebenden erst Jahre später eine kleine Gedenkstätte.<br />

Dann entstand ein Dokumentenhaus mit kleiner Ausstellungsfläche.<br />

2003 wurde das Gefängnis endgültig verlegt und das gesamte ehemalige<br />

KZ-Gelände in die Gedenkstätte Neuengamme umgewandelt, zur<br />

Aufarbeitung und Erinnerung.<br />

Bio-Erlebnisbauernhof<br />

Aber wer mit Kindern nach Kirchwerder kommt, sollte vielleicht den<br />

Hof Eggers in der Ohe besuchen, am Kirchwerder Mühlendamm. Ein<br />

Bio-Bauernhof, wo man das Miteinander von Mensch und Tier, von<br />

Mensch und Natur hautnah erleben kann. Dort bietet man ein vielfältiges<br />

Programm für Kinder: abenteuerliche Reisen durch die Welt eines<br />

Bauernhofes oder Kochkurse für Kinder, die zuvor die Zutaten dafür<br />

selber im Garten ernten müssen – mit Kopf für den Bauch. Es gibt<br />

Zauberer, eine Märchenbühne und anderes. Das aktuelle Programm<br />

können Sie unter www.hof-eggers.de abrufen. Die Erwachsenen dürfen<br />

es sich derweilen im Hofcafé gut gehen lassen, bei selbstgebackenem<br />

Kuchen und anderen Leckereien. Und man kann natürlich Bio-<br />

Fleisch mit nach Hause nehmen.<br />

Text: Heinz H. Behrens | Fotos: Ulrich Lindenthal-Lazhar<br />

84<br />

85

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!