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HANSEstyle 2 | 2017

Mode, Kultur, Genuss. Hamburg.

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„Die Alternative ist das<br />

Inhalieren. Aber nicht als<br />

Zigarette oder als Joint …“<br />

GESUNDHEIT, HAMBURG!<br />

Birte Rießelmann<br />

RAUSCHGIFT ODER HEILMITTEL?<br />

Cannabis wurde als Medikament zugelassen. Pharmazeutin Birte Rießelmann<br />

erläutert wichtige Fragen zur Abgabe von Cannabis aus der Apotheke.<br />

Wie halten Sie sich fit und gesund, Frau Rießelmann?<br />

„Durch Bewegung – ich laufe gern – und durch Ernährung, die mir<br />

ganz besonders wichtig ist. Doch da ich weiß, dass Ernährung<br />

alleine mir nicht die für mich notwendigen Vitalstoffe gibt, spielt<br />

auch Nahrungsergänzung eine wichtige Rolle für mich.“ Auf diese<br />

Gebiete, Ernährung und orthomolekulare Therapie, präventiv<br />

und therapiebegleitend, hat sich die Rathaus-Apotheke neben<br />

der Darmgesundheit spezialisiert.<br />

Bis zu wie viel Gramm Cannabis erhalten<br />

Patienten aus der Apotheke?<br />

Grundsätzlich pro Patient im Monat bis<br />

zu 100 Gramm. Da in erster Linie Menschen,<br />

die mit der Schulmedizin keinen<br />

Erfolg hatten, angesprochen werden –<br />

Palliativpatienten, bei denen Cannabis<br />

als extremes Schmerzmittel eingesetzt<br />

wird – kann die Menge deutlich höher<br />

liegen. Andere chronisch Kranke,<br />

wie Migräne- und Rheuma-Patienten,<br />

Menschen mit Multiple Sklerose, Polyarthritis,<br />

Epilepsie, Fibromyalgie, Depressionen,<br />

um nur ein paar mögliche<br />

Indikationen für den Einsatz von Cannabis<br />

zu nennen, beginnen in der Regel mit<br />

0,5 bis 1 Gramm Cannabis pro Tag.<br />

Ist das Thema Cannabis in Ihrer Apotheke<br />

in den letzten Monaten präsenter<br />

geworden?<br />

Ja, seitdem bekannt ist, dass die Regierung<br />

Cannabis als Medikament zulässt,<br />

ist es deutlich präsenter geworden. Doch<br />

auch zuvor war es einem begrenzten Patientenkreis<br />

längst möglich, Cannabis<br />

auf Rezept zu bekommen.<br />

Wie wird Cannabis als Medikament<br />

verabreicht?<br />

Zugelassen ist die Cannabis-Blüte, die<br />

ich als Apothekerin abfüllen kann, um<br />

daraus Tee zu kochen. Doch oft wird<br />

hinterfragt, wie sinnvoll Tee ist, da die<br />

Inhaltsstoffe (Cannabinoide) durch Erhitzen<br />

auf Temperaturen von 180 bis<br />

210 Grad Celcius in ihre aktive Form<br />

gebracht werden müssen und fettlöslich<br />

sind. Da Tee aus 100 Grad Celcius<br />

kochendem Wasser gemacht wird und<br />

Fett sich nicht in Wasser löst, wird hierbei<br />

im Vergleich zu anderen Methoden<br />

deutlich mehr Cannabis benötigt, um<br />

einen vergleichbaren Effekt zu erzielen.<br />

Die Alternative ist das Inhalieren. Aber<br />

nicht als Zigarette oder als Joint, weil<br />

beim Verbrennen gefährliche Teere in<br />

den Körper gelangen. Dafür wurden<br />

Inhalatoren entwickelt, wie sie jedem<br />

Asthma-Patienten bekannt sind. Diese<br />

Geräte sind die Lösung. Die Blüten, die<br />

vorher in der Apotheke pulverisiert wurden,<br />

werden durch den Inhalator erhitzt,<br />

so dass der entstehende Dampf inhaliert<br />

werden kann. So gelangen die Wirkstoffe<br />

über die Bronchien und Lungen in<br />

den Kreislauf. Cannabis ist zum Beispiel<br />

auch als Öl erhältlich, das in Kapseln zu<br />

sich genommen wird. Dies sind die wesentlichen<br />

Haupt-Rezepturvorschriften<br />

für Ärzte und Apotheker. Doch was jemand<br />

mit seinen Blüten am Ende zu Hause<br />

macht, bleibt natürlich offen und wird<br />

von uns Apothekern nicht kontrolliert.<br />

Wie sind die Nebenwirkungen bei Cannabis-Konsum?<br />

Achten müssen Ärzte auf Psychosen, die<br />

sich entwickeln können. Besondere Vorsicht<br />

ist also bei Menschen geboten, die<br />

bereits therapiert wurden oder für die<br />

Entwicklung einer Psychose prädestiniert<br />

sind. Aber ansonsten ist Cannabis<br />

wunderbar verträglich. Anfängliche<br />

Schwierigkeiten wie Müdigkeit, Schwindel,<br />

Blutdruckabfall, trockener Mund,<br />

Muskelentspannung und verstärkter<br />

Appetit geben sich nach kurzer Zeit oder<br />

können durch den Wechsel der Blütenart<br />

minimiert werden.<br />

Sehen Sie ein Missbrauchsrisiko durch<br />

Cannabis auf Rezept?<br />

Das Missbrauchspotenzial entfällt meines<br />

Erachtens weitgehend, da Cannabis<br />

nur über ein Betäubungsmittelrezept erhältlich<br />

ist – und das ist sehr viel schwieriger<br />

zu bekommen als ein normales<br />

Rezept. Nur auf Basis einer erfolglosen,<br />

herkömmlichen Therapie oder unzumutbarer<br />

Nebenwirkungen wird der<br />

Arzt das Rezept ausstellen können. Darüber<br />

hinaus gibt es uns Apotheker, um<br />

das Betäubungsmittelrezept zu kontrollieren.<br />

Zudem haben die Krankenkassen<br />

ein Vetorecht. Wenn überhaupt,<br />

gibt es ein Missbrauchspotenzial nur<br />

im Hinblick auf die Abgabe von ganzen<br />

Blüten der Hanfpflanze, weil eben die<br />

häusliche Verwendung nicht kontrolliert<br />

werden kann.<br />

Was hat die neue Regelung denn nun<br />

wirklich geändert oder geordnet?<br />

Im Grunde bleibt die Frage: ‚Wieso wird<br />

Cannabis der gleichen Stufe wie Kokain<br />

und Heroin zugeordnet?’ Durch diese<br />

Einstufung als Rauschgift war bei Cannabis<br />

die Möglichkeit genommen, es medizinisch<br />

mit den technisch gebotenen<br />

Möglichkeiten zu erschließen und zu<br />

erforschen. Nun könnte es möglich sein,<br />

durch den etwas erleichterten Zugang zu<br />

Cannabis mehr über die Pflanze als Medikament<br />

und ihre Wirkung zu erfahren.<br />

Abgesehen von medikamentösen Bewertungen:<br />

Warum konsumieren viele<br />

Menschen gern Cannabis – wie kann<br />

die Wirkung beschrieben werden?<br />

Der Wirkstoff Tetrahydrocannabinol<br />

(THC) ruft das High-Gefühl hervor,<br />

wirkt stimulierend, konzentrationsund<br />

kreativitätsfördernd. Pflanzen mit<br />

höherem Cannabidiol (CBD)-Gehalt<br />

wirken dagegen eher angstlösend und<br />

entkrampfend (Stoned-Gefühl). Diese<br />

positiven Emotionen können wir durch<br />

die direkte Einflussnahme der Cannabinoide<br />

auf einige unserer Neurotransmitter<br />

– Botenstoffe und Hormone – erklären,<br />

wie z. B. Adrenalin, Serotonin und<br />

unserem Glückshormon Dopamin. Das<br />

ist unser Eigenlob-Botenstoff, der zum<br />

Beispiel das Gefühl beschert: ‚Das hast<br />

du gut gemacht. Du siehst heute gut aus.<br />

Du schaffst das.’ Dass man also zufriedener<br />

mit sich selbst ist.<br />

Im Gespräch mit: Klaus May und Christian<br />

Bauer | Foto: Tim Wendrich<br />

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