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ausgabe

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AiB 7-8 | 2017<br />

rechtsprechung<br />

kündigungsrecht<br />

Falsche Unterrichtung des Betriebsrats<br />

BAG, Urteil vom 16.7.2015 – 2 AZR 15/15<br />

Der Betriebsrat ist dann nicht ordnungsgemäß vor einer Kündigung angehört worden,<br />

wenn der Arbeitgeber ihm bedeutsame, zuungunsten des Arbeitnehmers sprechende Tatsachen<br />

mitteilt, bei denen der Arbeitgeber es für möglich hielt, sie seien unrichtig.<br />

Der Kläger war seit 1998 als Produktionsmitarbeiter<br />

bei der Beklagten beschäftigt. Er fehlte<br />

immer wieder krankheitsbedingt sehr lange.<br />

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis<br />

fristgemäß. Im vorangegangenen Anhörungsverfahren<br />

unterrichtete sie den Betriebsrat<br />

über ihre Kündigungsabsicht, teilte die Fehlzeiten<br />

mit und gab an, als Grund für die Arbeitsunfähigkeits<br />

(AU)-Zeiten habe der Kläger<br />

Kopfschmerzen angegeben. Im Anhörungsschreiben<br />

heißt es weiter: »Wir haben dann<br />

nach dem letzten Rückkehrgespräch… beschlossen,<br />

Herrn N. bei unserer Werksärztin …<br />

vorzustellen. Dieser Termin fand am 16.1.2012<br />

statt. Herrn N wurde empfohlen, sich von einem<br />

Spezialisten untersuchen zu lassen und<br />

gezielt mit einer Therapie gegen den Kopfschmerz<br />

vorzugehen… Diese Schmerztherapie<br />

wurde aber bereits nach kurzer Zeit von Herrn<br />

N abgebrochen, der Folgetermin im Werkarztzentrum<br />

… nicht wahrgenommen. Herr N hat<br />

damit nach unserer Einschätzung nicht alles<br />

getan, um seine Arbeitskraft vollständig wiederherzustellen.<br />

1<br />

Falsche Tatsachenbehauptungen<br />

Tatsächlich hatte der Kläger bereits ein Kopfschmerzzentrum<br />

aufgesucht und von diesem<br />

auch eine Therapieempfehlung erhalten, bevor<br />

er sich bei der Betriebsärztin vorstellte.<br />

Im Verlauf des Kündigungsschutzprozesses<br />

wurde klar, dass die Werksärztin dem Kläger<br />

nicht empfohlen hatte, sich von einem Spezialisten<br />

untersuchen zu lassen. Das hatte die<br />

Arbeitgeberin aber gegenüber dem Betriebsrat<br />

behauptet. Als Grund für die fehlerhafte<br />

Unterrichtung des Betriebsrats gab die Arbeitgeberin<br />

an, ihr Personalleiter sei einem<br />

Missverständnis unterlegen. Das BAG stellt<br />

1 Zitiert nach der Entscheidung der Vorinstanz: LAG Hamm – 7<br />

Sa 206/14.<br />

fest, dass die Fehlinformation des Betriebsrats<br />

Bedeutung für dessen Stellungnahme hatte.<br />

Der Betriebsrat musste den Eindruck gewinnen,<br />

dass der Kläger nicht bereit sei, eine<br />

Schmerztherapie durchzuführen. Dies hat<br />

ihn möglicherweise davon abgehalten, dem<br />

Arbeitgeber Vorschläge zur Vermeidung der<br />

Kündigung zu unterbreiten.<br />

Anhörung nicht ordnungsgemäß?<br />

Damit kam es darauf an, ob die Kündigung unwirksam<br />

ist, weil die Beklagte das Anhörungsverfahren<br />

nach § 102 Abs. 1 BetrVG nicht ordnungsgemäß<br />

durchgeführt hat.<br />

Ausgangspunkt ist nach der Rechtsprechung<br />

des BAG der Grundsatz, dass der Arbeitgeber<br />

dem Betriebrat die Tatsachen mitteilen<br />

muss, die aus seiner Sicht die Kündigung<br />

rechtfertigen. Bewusst falsch oder irreführend<br />

darf der Betriebsrat, so das BAG, nicht unterrichtet<br />

werden. Andererseits, so ebenfalls das<br />

BAG, führt eine unbewusste Fehlinformation<br />

des Betriebsrats nicht dazu, dass die Unterrichtung<br />

nach § 102 Abs. 1 BetrVG nicht<br />

ordnungsgemäß ist. Eine weitere Variante, bei<br />

der die Anhörung fehlerhaft ist, liegt vor, wenn<br />

der Arbeitgeber dem Betriebsrat für dessen<br />

Stellungnahme relevante Tatsachen nicht mitgeteilt<br />

hat und dann erklärt, diese Tatsachen<br />

seien für seine Kündigungsentscheidung nicht<br />

relevant gewesen. Dazu hat das BAG bereits<br />

entschieden, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat<br />

solche Tatsachen nicht vorenthalten<br />

darf. In diesem Fall konnte das BAG weder<br />

davon ausgehen, dass der Arbeitgeber den<br />

Betriebsrat bewusst falsch oder irreführend<br />

unterrichtet hat, noch, dass die Fehlinformation<br />

unbewusst erfolgt ist. Vielmehr war nicht<br />

nachvollziehbar, wie es überhaupt zu dem (an­<br />

aus dem gesetz<br />

§ 102 BetrVG<br />

(1) Der Betriebsrat ist vor<br />

jeder Kündigung zu hören.<br />

Der Arbeitgeber hat<br />

ihm die Gründe für die<br />

Kündigung mit zuteilen.<br />

Eine ohne Anhörung<br />

des Betriebsrats ausgesprochene<br />

Kündigung ist<br />

unwirksam.<br />

(2) Hat der Betriebsrat<br />

gegen eine ordentliche<br />

Kündigung Bedenken,<br />

so hat er diese unter<br />

Angabe der Gründe dem<br />

Arbeitgeber spätestens<br />

innerhalb einer Woche<br />

schriftlich mitzuteilen.<br />

Äußert er sich innerhalb<br />

dieser Frist nicht, gilt<br />

seine Zustimmung zur<br />

Kündigung als erteilt. Hat<br />

der Betriebsrat gegen<br />

eine außerordentliche<br />

Kündigung Bedenken, so<br />

hat er diese unter Angabe<br />

der Gründe dem Arbeitgeber<br />

unverzüglich, spätestens<br />

jedoch innerhalb<br />

von drei Tagen, schriftlich<br />

mitzuteilen. Der Betriebsrat<br />

soll, soweit dies<br />

erforderlich erscheint,<br />

vor seiner Stellungnahme<br />

den betroffenen Arbeitnehmer<br />

hören. § 99 Abs. 1<br />

Satz 3 gilt entsprechend.<br />

(...)<br />

57

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