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ausgabe

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echtsprechung<br />

AiB 7-8 | 2017<br />

einstweilige verfügung<br />

Einstweilige Verfügung bei Nichtbeachtung<br />

der Mitbestimmung zulässig<br />

LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.7.2016 – 7 TaB-VGa 520/16 (rechtskräftig)<br />

Stellt ein Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in sozialen Angelegen heiten<br />

nach § 87 Abs. 1 BetrVG gänzlich in Abrede und übergeht er diesen bei entsprechenden<br />

Maßnahmen, kann der Betriebsrat hiergegen eine einstweilige Verfügung beantragen.<br />

gesetzestext<br />

§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG<br />

Der Betriebsrat hat,<br />

soweit eine gesetzliche<br />

oder tarifliche Regelung<br />

nicht besteht, in<br />

folgenden Angelegenheiten<br />

mitzubestimmen:<br />

1. Fragen der Ordnung<br />

des Betriebs und des Verhaltens<br />

der Arbeit nehmer<br />

im Betrieb;<br />

(...)<br />

Die Arbeitgeberin betreibt Callcenter und untersagte<br />

den Beschäftigten per Mail das Essen<br />

am Arbeitsplatz. Für das Essen und die Vorbereitung<br />

von Speisen stünde die Küche zur<br />

Verfügung. Der Betriebsrat wies sofort auf das<br />

ihm zustehende Mitbestimmungsrecht hin.<br />

Die Arbeitgeberin argumentierte mit Hygieneund<br />

Gesundheitsschutzbestimmungen. Daraufhin<br />

beantragte der Betriebsrat bei Gericht,<br />

es der Arbeitgeberin per einstweiliger Verfügung<br />

zu untersagen, den Beschäftigten durch<br />

Anordnung die Einnahme von Essen am Arbeitsplatz<br />

zu verbieten. In dem Verfahren hat<br />

die Arbeitgeberin das Bestehen von Mitbestimmungsrechten<br />

bestritten. In Bestätigung<br />

des Arbeitsgerichts hat das LAG den Unterlassungsanspruch<br />

bejaht.<br />

Essen am Arbeitsplatz<br />

Nach Auffassung der LAG-Richter ergibt sich<br />

das Mitbestimmungsrecht beim Essensverbot<br />

am Arbeitsplatz aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG<br />

(Fragen der Ordnung des Betriebs und des<br />

Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb). Im<br />

Rahmen dieser Entscheidung hat das LAG unter<br />

Hinweis auf die ständige Rechtsprechung<br />

des BAG 1 festgestellt, dass nur die Maßnahmen<br />

nicht mitbestimmungspflichtig sind, die das Arbeitsverhalten<br />

der Arbeitnehmer regeln. Das<br />

heißt, dass sämtliche auf die vertragsgemäße<br />

Erfüllung der Arbeit gerichtete Anweisungen,<br />

Vorgaben oder Anordnungen des Arbeitgebers<br />

mitbestimmungsfrei sind. Bei dem Essensverbot<br />

handelt es sich aber nach Auffassung des LAG<br />

nicht um eine konkrete Arbeitsanweisung, da<br />

diese nicht die unmittelbare Arbeitspflicht der<br />

Arbeitnehmer des Callcenters betrifft.<br />

Maßnahme betrifft Ordnungsverhalten<br />

Vielmehr liegt in der Anweisung der Arbeitgeberin<br />

eine Maßnahme vor, welche das sogenannte<br />

Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer<br />

im Betrieb betrifft. Das Ordnungsverhalten<br />

wird nach der Rechtsprechung des BAG 2 durch<br />

sämtliche Anordnungen betroffen, die das<br />

sonstige Verhalten der Arbeitnehmer koordinieren.<br />

Hierzu zählen sowohl verbindliche<br />

Verhaltensregeln, als auch Maßnahmen, die<br />

das Verhalten der Arbeitnehmer im Rahmen<br />

der betrieblichen Ordnung betreffen und berühren,<br />

ohne Normen für das Arbeitsverhalten<br />

zum Inhalt zu haben.<br />

Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden<br />

Fall gegeben. Die Anweisung der Arbeitgeberin<br />

diente dazu, das Verhalten der Arbeitnehmer<br />

in Bezug auf die betriebliche Ordnung und das<br />

betriebliche Zusammenleben der Arbeitnehmer<br />

zu koordinieren und zu beeinflussen. Die<br />

Arbeitnehmer sollten nicht ihren Arbeitsplatz,<br />

sondern die Küche als Ort der Essenszubereitung<br />

und Essenseinnahme wählen. Ziel der<br />

Anordnung war, ein »gleichmäßiges« Verhalten<br />

der Arbeitnehmer zu erreichen. Auch sollte<br />

das Verhalten der Arbeitnehmer untereinander<br />

geregelt werden, da die am Arbeitsplatz Tätigen<br />

nicht von Essensgerüchen anderer am Arbeitsplatz<br />

essenden Arbeitnehmer gestört werden<br />

sollen. Von daher hat die Arbeitgeberin das<br />

Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt.<br />

Abschließend hat das LAG ausdrücklich auf<br />

die Grundsatzentscheidung des BAG vom<br />

3.5.1994 3 hingewiesen, nach der ein Betriebsrat<br />

nicht nur die Beseitigung eines mitbestimmungswidrigen<br />

Zustandes verlangen kann,<br />

sondern dem Betriebsrat auch ein Anspruch<br />

1 BAG 15.4.2014 – 1 ABR 85/12.<br />

2 BAG 15.4.2014, a.a.O.<br />

3 BAG 3.5.1994 – 1 ABR 24/93.<br />

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