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Cruiser im Sommer 2017

Cruiser im Sommer Es ist nun ja so: Fast in jedem Coming Out Film gehen die Protagonisten früher oder später BADEN! Das machen sie wirklich und fast immer. Warum ist dem so? Unser Autor versucht unser Sommerthema mehr oder weniger wissenschaftlich anzugehen und kommt zu erfrischenden Erkentnisen. Ausserdem: Mario Puntillo, der tapfere Schneider und weitere spannende Portraits. ​ Kein Sommer ohne unser Gewinnspiel: Dieses Jahr hatten wir supermässige Wettbewerbspreise. Die letzten sind nun an die glücklichen Gewinner verteilt. Danke fürs Mitspielen!

Cruiser im Sommer

Es ist nun ja so: Fast in jedem Coming Out Film gehen die Protagonisten früher oder später BADEN! Das machen sie wirklich und fast immer. Warum ist dem so? Unser Autor versucht unser Sommerthema mehr oder weniger wissenschaftlich anzugehen und kommt zu erfrischenden Erkentnisen.

Ausserdem: Mario Puntillo, der tapfere Schneider und weitere spannende Portraits.



Kein Sommer ohne unser Gewinnspiel: Dieses Jahr hatten wir supermässige Wettbewerbspreise. Die letzten sind nun an die glücklichen Gewinner verteilt. Danke fürs Mitspielen!

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20 Kultur<br />

KOLUMNE 21<br />

Buchtipp<br />

Mirko<br />

Ein Gefangener<br />

der Schuld<br />

Während es mittlerweile Dutzende schwule Romane gibt, ist das Thema schwul<br />

als Musl<strong>im</strong> in der Literatur noch stark unterrepräsentiert. Saleem Haddad packt<br />

mit seinem Roman «Guapa» ein heisses Eisen an.<br />

LGBTIQ – Was sollen diese Buchstaben<br />

miteinander?<br />

Mirko kommt während der Pride ins Grübeln und<br />

fragt sich, was uns so verbindet.<br />

Von Birgit Kawohl<br />

D<br />

er hierzulande noch unbekannte Saleem<br />

Haddad (*1983) ist so etwas wie<br />

ein Weltbürger. Als Sohn einer irakisch-deutschen<br />

Mutter und eines libanesisch-palästinensischen<br />

Vaters verbrachte er<br />

seine Kindheit und Jugend in Jordanien,<br />

Kanada und Grossbritannien. Mittlerweile<br />

arbeitet er für Ärzte ohne Grenzen vor allem<br />

<strong>im</strong> Nahen Osten. Insofern ist er sicherlich<br />

prädestiniert, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen,<br />

das heutzutage <strong>im</strong> arabischen<br />

Raum ein ganz wichtiges ist: Wie gehe<br />

ich als Musl<strong>im</strong> damit um, schwul zu sein?<br />

Rasa, ein 27-jähriger Araber, der in einem<br />

nicht näher benannten Land des Nahen<br />

Ostens als Übersetzer arbeitet, merkt<br />

schon als Kind, dass er irgendwie anders ist<br />

als die anderen Jungs in seiner Umgebung.<br />

Die Situation ist in einer Kultur, in der<br />

Schwulsein <strong>im</strong>mer noch sanktioniert und<br />

verachtet wird, sowieso schon schwierig.<br />

Für Rasa wird alles aber noch schl<strong>im</strong>mer,<br />

als zunächst seine Mutter verschwindet<br />

und ca. ein Jahr später sein Vater an Krebs<br />

stirbt. Da ist er zwölf und wird fortan von<br />

seiner allseits präsenten Teta (Grossmutter)<br />

aufgezogen, die sehr strenge Regeln an alle<br />

Formen von Schicklichkeit und Anstand<br />

anlegt. Eib (Schande) wird für ihn zum<br />

Marker allen Tuns. Und dass Homosexualität<br />

eib ist, ist ihm sofort klar. Sein Körper<br />

wird für ihn zum Gefängnis, die verbotenen,<br />

schwulen Gedanken dürfen nicht nach<br />

aussen dringen.<br />

In der Hoffnung, die Freiheit zu finden,<br />

geht er für sein Studium in die USA, doch da<br />

passiert etwas, das ihn zu einer anderen Art<br />

von Aussenseiter stempelt: 9-11. Jetzt ist er in<br />

der Freiheit und steckt doch in einem – politisch-ideologischen<br />

– Gefängnis aus Vorurteilen.<br />

Rasa ist hin- und hergerissen zwischen<br />

seiner Herkunft und seiner Sexualität. Als er<br />

dann nach seiner Rückkehr – er wohnt bei<br />

seiner Grossmutter – die Liebe seines Lebens<br />

trifft, scheint sich vieles für ihn zu ändern.<br />

Verwoben mit diesen privaten Dramen<br />

des Protagonisten, der alles aus der Ich-<br />

Perspektive schildert, sind die Ereignisse,<br />

die wir zumeist unter dem Begriff «Arabischer<br />

Frühling» zusammenfassen. Die jungen<br />

Araber versuchen eine Befreiung und<br />

stossen <strong>im</strong>mer wieder an die Grenzen der<br />

Systeme, sei es die Politik oder die Religion.<br />

Hier stellt sich be<strong>im</strong> Leser die Frage, warum<br />

der Autor seine Handlung in einem fiktiven<br />

Land ansiedelt. Dies n<strong>im</strong>mt diesem natürlich<br />

die Schwierigkeit, die Ereignisse ganz<br />

genau recherchieren und akkurat wiedergeben<br />

zu müssen. Andererseits bekommt die<br />

Geschichte von Rasa damit auch etwas Allgemeingültiges,<br />

könnte sie doch in eigentlich<br />

jedem musl<strong>im</strong>isch geprägten Land passiert<br />

sein. Dem Leser wird damit auf jeden<br />

Fall ein quasi hautnaher Einblick in eine<br />

vom Islam best<strong>im</strong>mte Kultur gewährt, den<br />

man so nur selten erhält.<br />

Haddad ist mit «Guapa» ein spannender,<br />

gut geschriebener Roman gelungen,<br />

der uns ein wenig die Augen öffnet für das<br />

Dilemma, in dem auch bei uns viele Musl<strong>im</strong>e<br />

stecken.<br />

Buchtipp<br />

Saleem Haddad: Guapa. Albino Verlag<br />

Preis CHF 23.90<br />

ISBN 9783959850841<br />

VON Mirko<br />

I<br />

ch, letschti so «Hey Alte, hättsch mi direkt<br />

aagredt, statt dis Schwanzfoto per<br />

Message geschickt, hätten wir schnell<br />

<strong>im</strong> WC-Wage chönne ficken.»<br />

«D Schwiiz wär weniger schön ohne<br />

uns Balkanjungs.»<br />

«Für mich ist die Pride zallererscht eine<br />

grosse Salamiparty. Ja sorry, ich ha mir’s au<br />

nöd usgsuecht, dass ich so eifach bi.»<br />

Züri ist das gelobte Land für Schwule,<br />

han i gläse. Wahrschiinlich flüged’s darum<br />

die ganz Ziit uf Berlin und Sitges und weiss<br />

ich woane. Nirgends kommt man so einfach<br />

weg und irgendwo anders hin als in Zürich.<br />

Liit halt guet, so zmitzt <strong>im</strong> schwule Europa<br />

und mit eigetem Flughafe. Aber wie kann<br />

Züri das gelobte Land sein, wenn man es do<br />

nöd ushaltet und ständig weg muess?<br />

Wahnsinnig viel läuft halt in Zürich<br />

ausser an der Pride nicht. Aber dann hat’s<br />

Typen zum Abwinken. Billig ist’s aber auch<br />

da nicht. Als ich auf dem WC sass, ich ha ja<br />

5 Franke zahlt und ich wollte was für de<br />

Cash, dachte ich: E Rieseufwand, die Pride,<br />

und die machen das all Jahr wieder und werden<br />

nicht bezahlt, nur damit d Bitches dann<br />

reklamieren chönned wägem Büchsebier für<br />

7 Stutz, wenn sie unter dem riesigen Schattenzeltdach<br />

– shit, das het ja es Vermöge<br />

koschtet – stehen. Und was mached’s, wenn<br />

sie nöd über d Priise jammeret? Fotos posten<br />

und Grindr abchecken? Hey Alte, hättsch mi<br />

direkt aagredt, statt dis Schwanzfoto per<br />

Message geschickt, hätten wir schnell <strong>im</strong><br />

WC-Wage chönne ficken. Aber so isch’s mir<br />

zdumm gsi. An der Pride will ich Diversity<br />

in Reality.<br />

Am Umzug hät’s nöd so viel Diversity<br />

gäh soundmässig. Balkan Beats letztes Jahr<br />

han i fresh gfunde – oder händ alle LGBTI-<br />

GIQs den gleichen Musikgeschmack und<br />

wenn ja, warum? Mängmol am Umzug hat<br />

An der Pride will ich<br />

Diversity in Reality.<br />

mein Schädel nicht nur wegen der krassen<br />

Sonne brummt: Pride ist mir zu kompliziert.<br />

Muss ich alles verstehen, was da abläuft?<br />

Müssen mama und tata das verstehen? Ich<br />

ha denn dänkt, sie müend mi eifach in Rueh<br />

loh. Mehr will ich nicht. Jede macht, wie er’s<br />

guet findet. Aber d Details will ich lieber nöd<br />

wüsse. Respect halt, das langet. Dafür muss<br />

man nicht viel wissen.<br />

Was weiss ich über Pride? Es gibt sie<br />

jedes Jahr und überall e bitz. Es geht um Diversity,<br />

gleiche Rechte und dieses Jahr ging’s<br />

um Flüchtlinge. Gueti Sach. Meine Eltern<br />

sind ja auch quasi geflüchtet vorem Wahnsinn<br />

<strong>im</strong> Balkan, als niemand wusste, ob das<br />

Abschlachten je wieder aufhört. Aber ich ha<br />

nöd gwüsst, was und wie’s mit de Pride isch.<br />

Bi froh gsi um de Spruch a de Brugg bi de<br />

Polizei, dass Stonewall Riots wäge de<br />

schwarze Transe usbroche sind. Ich ha’s nöd<br />

checkt, aber denn googlet. Ich lehre gärn dezue.<br />

Man kann auch viel wissen und kei Respekt<br />

haben. Es het gnervt, dass üs da bi<br />

dere Brugg e Frau aagschraue het vo Kapitalismus<br />

und so. Mini Eltere sind <strong>im</strong> antikapitalistischen<br />

Jugoslawien aufgewachsen und<br />

das isch jo äbe nöd guet usecho, süsch wären<br />

wir nicht hier. Ok, d Schwiiz wär weniger<br />

schön ohne uns Balkanjungs. Alles hat seine<br />

guten Seiten. Wäg dem Spruch über die<br />

schwarze Transe: Ja sorry, dass z Züri weisse<br />

Frauen und Männer an der Pride mitlaufen,<br />

aber mit nur schwarze Transleute wär’s es<br />

bitz leer. Hat halt hier nicht so viele davon.<br />

LOL. Mehr Jugos und so, aber die, die da<br />

schrieen von der Seite, die sahen weder nach<br />

Jugo noch nach schwarzen Transmenschen<br />

aus. Respect, enand sii loh, wie mer sind,<br />

isch für alle nöd <strong>im</strong>mer einfach. Ah, übrigens:<br />

Respect für die Dadsters von Gaysport,<br />

3 Stund in der heissen Sonne hüpfen,<br />

hey, ich hätt mir de Fuess verknackst i de<br />

Tramschiene oder süsch schlapp gemacht,<br />

und ich bin ja mindestens es Vierteljahrhundert<br />

jünger als die.<br />

Aber was bliibt? Was haben wir gemeinsam?<br />

Es hat schreiende Alternativen<br />

und Polizisten bei uns. Die chönnd scho mal<br />

nöd zäme. Und für mich ist die Pride zallererscht<br />

eine grosse Salamiparty. Ja sorry,<br />

ich ha mir’s au nöd usgsuecht, dass ich so eifach<br />

bi. Es bleibt wenig gemeinsames mit all<br />

den LGBTQIs, ausser dass wir Respect wollen<br />

und Respect können wir untereinander<br />

schon mal e bitz üebe.<br />

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