Glück
Credit Suisse bulletin, 1999/06
Credit Suisse bulletin, 1999/06
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GLÜCK<br />
R.G. Sie sagen Emotionen, nie <strong>Glück</strong>. Ist für Sie dieser Begriff völlig<br />
abgewetzt ?<br />
M.D. Nein, nein – nicht unbedingt. Im Umfeld einer Bank etwa<br />
sind Emotionen unerwartet und deshalb angesagt. Aber diese<br />
Emotionen müssen authentisch daherkommen Das absolute<br />
<strong>Glück</strong> vor der Bank würde keinen überzeugen. Bankkunden<br />
hingegen, die Gefühle zeigen, weil sie sich – mit Unterstützung<br />
der Bank – einen Wunsch erfüllen konnten, sind glaubwürdig.<br />
Diese strahlenden Symbolfiguren, die Sie herbeireden möchten,<br />
haben keine Glaubwürdigkeit.<br />
R.G. Aber diese Lichtfiguren sind ein Traum, und Träume müssen<br />
nicht durch die Motorfahrzeugkontrolle.<br />
M.D. Zu Ihrem Trost: Ein – wachsender – kleiner Teil der<br />
Werbung wird noch immer mit Stars bestritten: Cindy Crawford<br />
tritt für Omega an, Boris Becker für TAG Heuer.<br />
R.G. Und mit diesen Stars wird Erfolg, <strong>Glück</strong>, Schönheit und Jugend<br />
versprochen ?<br />
M.D. Sicher. Das ist die simpelste Tour.<br />
R.G. Ihre Verachtung ist unüberhörbar. So «simpel» würden Sie also<br />
nicht um Konsumenten-Gunst buhlen ?<br />
M.D. Unter Umständen doch. Die Frankfurter Zeitung FAZ lässt<br />
Prominente, zum Beispiel Altkanzler Helmut Schmidt, auftreten.<br />
Schmidt ist wirklich da, aber hinter der Zeitung verschwunden.<br />
Unten erfährt das Publikum: Hier sitzt Helmut Schmidt und liest<br />
die FAZ.<br />
R.G. Sie beschreiben ein kopflastiges Spiel mit Prominenten, keinen<br />
Starkult. Kopflastigkeit scheint in Ihrer Branche klar vor Sinnlichkeit<br />
zu stehen. Einer Ihrer Kollegen wirbt für das Ferienland Schweiz<br />
mit dem Slogan «Wann hat Sie der Tourismus das letzte Mal Ihre<br />
Ferien gekostet». Sind süffisante Sprüche an der Grenze der<br />
Publikumsbeschimpfung erfolgreich ?<br />
M.D. Das ist nicht mehr als ein Wortspiel, das sich eben nicht<br />
an Touristen wendet. Wer mit tausend andern Personen in den<br />
Ferien ist, wird vor Ort tausend Touristen und einen Feriengast<br />
ausmachen. Wer Ferien macht, will etwas besonderes sein und<br />
sich von der Masse abheben. Hier wird Qualität statt Massentourismus<br />
versprochen.<br />
R.G. Und Sie glauben, eine durchschnittliche Touristenfamilie, die<br />
eine Schweizer Pension besucht, kann diesem Wortspiel folgen<br />
und fühlt sich animiert ?<br />
M.D. Die Schweiz ist ein teures Ferienland. Wir müssen Gäste<br />
gehobener Kaufkraftklassen ansprechen. Und zum Stichwort<br />
Publikumsbeschimpfung: Wenn Werbung polarisiert, hat man<br />
irgend etwas richtig gemacht.<br />
«WENN WERBUNG<br />
POLARISIERT,<br />
IST ETWAS RICHTIG.»<br />
R.G. Ein strahlendes Heidi neben Ziege auf der Alp hätte keinen<br />
Buchungs-Boom ausgelöst ?<br />
M.D. Ich bin oft in Asien. Dort funktionieren diese Klischees,<br />
in Deutschland wären sie fehl am Platz.<br />
R.G. Ihre Agentur bewirbt ein Möbelhaus für den Durchschnittsgeschmack<br />
mit dem Satz: «Bei Pfister können Sie sogar Ihren Tisch<br />
möblieren». Sie kitzeln graue Zellen statt Heim und Gemütlichkeit<br />
zu loben ?<br />
M.D. Sie sehen auf diesem Bild einen Tisch mit Gläsern, Tassen<br />
und Tellern. Wir sagen damit, bei Pfister können Sie auch<br />
Geschirr kaufen, und wir sagen es mit Esprit. Pfister hatte vor<br />
einigen Jahren mit einem etwas verstaubten Image zu kämpfen.<br />
Wir sind dagegen angegangen und haben prompt einen Preis für<br />
effiziente Werbung geholt.<br />
R.G. Und mit Bildern von einem trauten Heim und <strong>Glück</strong> in der<br />
Polstergruppe hätten Sie keinen Erfolg zementieren können ?<br />
M.D. Sie haben offensichtlich die Fernsehwerbung für Pfister<br />
nicht gesehen. Wir haben zwei Kampagnen kombiniert. Im Fernsehen<br />
zeigen wir trautes Heim und <strong>Glück</strong>, aber auf moderne Art.<br />
R.G. Modern heisst, dass die glückliche Familie gemeinsam ihre<br />
Grossmutter umbringt ?<br />
M.D. Keineswegs. Sie sehen eine Familie und eine Frau, die<br />
sich wohl und frei fühlt. Wir zeigen schönes Wohnen und schönes<br />
Leben. Und bezeichnenderweise haben Sie diese – glücklichen –<br />
Bilder nicht gesehen.<br />
R.G. Bedauerlich, dass mir die einzige Werbe-Idylle aus Ihrem Haus<br />
entgangen ist. Und schade, dass Ihnen, Herr Denecke, das Wort<br />
<strong>Glück</strong> am Ende unseres Gespräches noch immer – beinahe – im<br />
Hals stecken bleibt.<br />
M.D. Was Sie wollen, sind übertriebene Gefühle. Wir zeigen<br />
Wohlbefinden und bleiben glaubwürdig. Wohlbefinden ist eine<br />
persönliche Sache: Gewisse Leute haben Karriereziele, andere<br />
wollen ein bestimmtes Auto, und wiederum andere wollen eine<br />
Familie gründen. Wenn sie ihr Ziel erreichen, sind sie zufrieden<br />
oder, wenn Sie wollen, glücklich. Ihre übersteigerten <strong>Glück</strong>vorstellungen<br />
sind für mündige Konsumentinnen und Konsumenten<br />
nicht auszuhalten, weil ihnen jede Beziehung zur Realität abgeht.<br />
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CREDIT SUISSE BULLETIN 6 |99