Glück
Credit Suisse bulletin, 1999/06
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GLÜCK<br />
DAS LIEBESPAAR NINA ZANETTI<br />
UND MARC DIETIKER: «WIR HABEN<br />
GLÜCKSKLEE GESUCHT.»<br />
Sie balgen sich wie junge Tiere. Sie<br />
kichern wie Teenager. Die Schmetterlinge<br />
im Bauch flattern immer noch, wenn<br />
Blicke hin und her gehen. Die Hände<br />
suchen sich verstohlen. Jeder gemeinsame<br />
Moment ein kleines Fest. Man könnte<br />
neidisch werden bei so viel <strong>Glück</strong>.<br />
Nina Zanetti (27) und Marc Dietiker<br />
(24) leben und arbeiten in Glasgow,<br />
Schottland, fernab ihrer Schweizer Heimat.<br />
Dort haben sie sich auch kennengelernt,<br />
im Juli dieses Jahres.<br />
MARC Also, ich erzähle jetzt mal, wie<br />
alles angefangen hat. Ich hatte mich für<br />
eine Stelle in Glasgow beworben. Nina,<br />
meine künftige Vorgesetzte, musste mich<br />
deswegen anrufen. Das war unser erster<br />
Kontakt.<br />
NINA Ich muss allen Mitarbeitern telefonieren,<br />
und meistens sind diese Gespräche<br />
unpersönlicher Art. Aber mit ihm hatte ich<br />
von Anfang an viel zu reden. Wir sprachen<br />
über unsere Hobbys, über das Inlineskaten<br />
und das Motorradfahren.<br />
MARC Die Stimme liess keine Aufschlüsse<br />
zu. Wer war sie ? Wie alt ?<br />
NINA Er war aufgestellt und motiviert.<br />
Voll Lebensfreude. Das gefiel mir – auf<br />
eine professionelle Weise vorerst.<br />
MARC Der19.Juli war mein erster Arbeitstag<br />
in Glasgow. Ich wurde allen vorgestellt,<br />
auch den Teamleitern.<br />
NINA Ja, und da habe ich mich spontan<br />
für eine Töfffahrt eingeladen.<br />
Die süsse Zeit der Ahnungen und Spekulationen<br />
beginnt. Diskret suchen Verliebte<br />
nach Bestätigung für die keimenden Empfindungen,<br />
analysieren jedes Wort, jede<br />
Geste des Gegenübers. Bei Begegnungen<br />
kämpfen sie vergeblich gegen<br />
Verlegenheitsröte und rasenden Puls.<br />
Kleinigkeiten verursachen euphorische<br />
Stimmungen: Wunderbar, nebeneinander<br />
im Fahrstuhl zu stehen. Eine zufällige<br />
Berührung lässt beide vor Wonne erschaudern.<br />
MARC Das erste, was wir gemeinsam<br />
unternahmen, war eine Tour mit den Inlineskates.<br />
Zu jenem Zeitpunkt kannten wir<br />
uns etwa eine Woche.<br />
NINA Die Sonne schien! In Schottland!<br />
Wir hatten zum ersten Mal Zeit. Beim Skaten<br />
hat es bei mir gefunkt.<br />
MARC Bei mir schon früher.<br />
NINA Richtig eingeschlagen hat es erst<br />
am Wochenende drauf. Da waren wir für<br />
eine Töfftour verabredet. Der Einfachheit<br />
halber schlief ich schon die Nacht zuvor<br />
bei ihm. Er sagte, er wolle auf dem Sofa<br />
übernachten. Ich könne das Bett haben.<br />
Aber er ist über 1,80 gross, und das Sofa<br />
ist kurz …<br />
MARC Am nächsten Tag war kein Wetter<br />
zum Motorradfahren. Es regnete die ganze<br />
Zeit. Wir kehrten deshalb nach kurzer Zeit<br />
wieder um, trockneten uns zuhause und<br />
genossen den Tag anders.<br />
Fassunglos vor <strong>Glück</strong>! Der Hafen ist<br />
erreicht, der Anker ausgeworfen, die<br />
Ungewissheit besiegt und die Sehnsucht<br />
in Erfüllung gegangen. Keine Macht der<br />
Welt kann gegen dieses Gefühl etwas<br />
ausrichten. Die Gesetze der Gravitation<br />
sind ausser Kraft gesetzt, ab sofort ist<br />
Schweben angesagt. Doch aller Euphorie<br />
zum Trotz, der Katzenjammer ist so nahe.<br />
NINA Im Geschäft hatte man ihm irgendwelche<br />
Frauengeschichten nachgesagt.<br />
Nun war ich unsicher. War ich in eine Falle<br />
getappt? Ich wusste nicht, was ich wollte –<br />
und noch weniger, was er wollte. Da sagte<br />
ich zu ihm am selben Abend: «Überlegs<br />
dir.» Und bin gegangen.<br />
MARC Das hat mich schockiert. Ich wusste<br />
genau, was ich wollte, und plötzlich<br />
hiess es, überlegs dir ? Dass die Gerüchte<br />
völlig aus der Luft gegriffen waren, wollte<br />
sie mir nicht glauben. Meine Glaubwürdigkeit<br />
war bereits angekratzt.<br />
NINA Am nächsten Tag haben wir uns im<br />
Büro gesehen …<br />
MARC … und nicht miteinander gesprochen.<br />
NINA Ich schickte ihm ein E-Mail; ich hätte<br />
es mir anders überlegt. Und ich hätte<br />
nichts vor am kommenden Wochenende.<br />
Ob er mitkommen wolle zum Wandern in<br />
den Highlands ? Er sagte ja. Da war alles<br />
wieder klar. Wir wanderten durch eine märchenhafte<br />
Landschaft und durchquerten<br />
Wälder, dichtbewachsen mit Klee. Wir<br />
suchten <strong>Glück</strong>sklee, aber wir fanden keinen.<br />
MARC <strong>Glück</strong>lich waren wir trotzdem.<br />
NINA Ob wir auch zusammengekommen<br />
wären, wenn wir in der Schweiz geblieben<br />
wären ? Ich würde sogar sagen nein. Wir<br />
hätten kaum Gelegenheit gehabt, uns zu<br />
treffen. Unser Umfeld ist doch ziemlich<br />
anders.<br />
MARC Die Situation hätte es wahrscheinlich<br />
nicht erlaubt. Schliesslich gehe<br />
ich vor allem mit meinen Kollegen in den<br />
Ausgang.<br />
NINA Wie es weitergeht ? Ich kann das<br />
nicht sagen. Nächsten Sommer kehrt er<br />
zurück in die Schweiz. Für mich ist klar,<br />
dass ich in Schottland bleiben werde. Mir<br />
ist bewusst, dass es Veränderungen gibt.<br />
Ich stelle mich darauf ein.<br />
MARC Am Gefühl ändert die Distanz ja<br />
nichts.<br />
NINA Oh doch, es hat mit der Energie zu<br />
tun.<br />
MARC Es könnte ja auch ein Test sein für<br />
unsere Beziehung.<br />
NINA Nein, da mach ich nicht mit, sorry.<br />
Aber wir können ja nächsten Sommer darüber<br />
reden. Geniess es jetzt.<br />
MEILI DSCHEN<br />
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CREDIT SUISSE BULLETIN 6 |99