Glück
Credit Suisse bulletin, 1999/06
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GLÜCK<br />
genagelt, schützt das Hufeisen<br />
vor bösen Geistern, aber nur,<br />
wenn die Öffnung nach oben zeigt, damit<br />
das <strong>Glück</strong> nicht herausläuft.<br />
Über den <strong>Glück</strong>sklee weiss das «Handbuch<br />
des Deutschen Aberglaubens» seitenlang<br />
zu berichten. Vierblättriger Klee<br />
hilft in fast allen Situationen: Er sorgt für<br />
<strong>Glück</strong> im Spiel, wenn man ihn mit Hummelwachs<br />
zusammen in einen Beutel aus<br />
Maulwurfshaut steckt. Auch ist er vielseitig<br />
einsetzbar in Liebesdingen: Man legt<br />
ihn in den Schuh der Person, die man<br />
gewinnen will. Wer ein vierblättriges Kleeblatt<br />
findet, heiratet bald. Wer eine Dame<br />
anbetet, die dem Verehrer kein Gehör<br />
schenkt, schmuggelt ihr an Ostern einen<br />
<strong>Glück</strong>sklee in die Tasche. Wer ein Kleeblatt<br />
schluckt und dabei an den Liebhaber<br />
denkt, kriegt ihn. Und so weiter und so<br />
fort. Versuchen Sies einmal. Oder gehen<br />
Sie an Weihnachten in die Kirche ? Nehmen<br />
Sie ein vierblättriges Kleeblatt mit,<br />
und Sie erkennen alle Hexen.<br />
Last but not least in der Hitparade der<br />
<strong>Glück</strong>sbringer: das Schwein. Das Borstenvieh<br />
ist eines der ältesten Haustiere,<br />
und eines, dessen Besitz mit Wohlstand<br />
und Wohlergehen verbunden ist. «Schwein<br />
haben» ist zum Synonym fürs <strong>Glück</strong> geworden.<br />
Kommt einem Hochzeitszug<br />
eine Schweineherde entgegen, ist das<br />
ein gutes Omen. Von Schweinen<br />
träumen, besonders vor einer Reise,<br />
bedeutet <strong>Glück</strong>. Noch besser: Was<br />
man in einem Schweinestall träumt, wird<br />
wahr. Klopft man des Nachts an den Stall,<br />
so kann man dem Grunzen der Schweine<br />
entnehmen, wie sich Liebes- und Eheglück<br />
gestalten werden. Ein Schweinsohr<br />
in der Tasche bringt <strong>Glück</strong> beim Spiel. Wer<br />
in der Fasnachtszeit Schweinefleisch isst,<br />
der schwimmt im kommenden Jahr in<br />
<strong>Glück</strong> und Geld. Blutwurst, nüchtern gegessen,<br />
bewirkt Gesundheit übers ganze<br />
Jahr. Schweineknochen, im Acker vergraben,<br />
machen diesen fruchtbar. Rundum<br />
segensreich ist dieses Tier, von der Borste<br />
bis zum Rüssel.<br />
Die gotthelfschen Schweinekoben sind<br />
verschwunden; heute wird das Schweinefleisch<br />
in Grossmästereien industriell produziert.<br />
Verschwunden ist gleichfalls die<br />
Welt des volkstümlichen Aberglaubens –<br />
jedoch nicht der Aberglaube selbst.<br />
Auch das moderne urbane Leben ist<br />
voll magischer Momente, geheimer Kräfte,<br />
wundersamer Symbole. Der Schweizer<br />
Schriftsteller Sergius Golowin beschrieb<br />
dies in seinem Buch «Magische Gegenwart<br />
– Forschungsfahrten durch modernen<br />
Aberglauben». Geschrieben hat er<br />
es 1964, doch angejahrt ist diese vergnügliche<br />
Lektüre nicht – vieles ist zeitlos<br />
aktuell.<br />
Damals waren offenbar Schmuckstücke<br />
mit amulettartigem Charakter en<br />
vogue: Frauen trugen Armkettchen, an<br />
denen eine «richtige kleine Ausstellung<br />
der <strong>Glück</strong>sbringer der verschiedenen Zeiten<br />
und Völker» baumelte. Namentlich<br />
«metallene Kleeblätter, Katzen,<br />
Schweine, Spielwürfel, Marienkäferchen,<br />
Seepferdchen,<br />
winzige Buddhas, Kreuzchen,<br />
Halbmonde, Tierkreiszeichen usw.»<br />
Männer hingegen begannen sich mit<br />
Goldkettchen zu schmücken. Zweifellos,<br />
stellten damalige Beobachter fest, ein<br />
«südländischer Import» durch die italienischen<br />
Fremdarbeiter. «Der Mittelmeermensch»,<br />
schrieb «Die Tat» 1961, «ist für<br />
alle magischen Vorstellungen seit jeher<br />
besonders anfällig. Das Ketteli mit der<br />
Madonna ist in Italien Landessitte und<br />
lässt den liebenswürdigen paganen Untergrund<br />
des italienischen Lebens deutlich<br />
werden.»<br />
Kein Wunder, witterten findige Geschäftsleute<br />
im <strong>Glück</strong>sbringerboom jener<br />
Zeit eine Goldgrube. In den USA widmete<br />
sich ein gewisser C.D. Fox der Züchtung<br />
und des Vertriebs des vierblättrigen Klees.<br />
30 Millionen Kleeblätter soll er innerhalb<br />
von 10 Jahren abgesetzt haben. Mindestens<br />
so erfolgreich war Harry Brand, der<br />
monatlich 200 000 Hasenfüsse an den<br />
Mann brachte.<br />
Die Fifties und Sixties waren die Jahre,<br />
in denen die Fans in den Konzerten ihrer<br />
Idole reihenweise ohnmächtig umkippten.<br />
Beatles-Perücken wurden teuer in den<br />
Warenhäusern verkauft. Vier Lehrlinge<br />
schrieben an die Pforte des Bamberger<br />
Doms: «Elvis Presley, mein Gott». Ein<br />
Franzose erwarb Johnny Hallydays Bett,<br />
liess es in genau 100 000 Stücklein zersägen,<br />
und verkaufte diese als Anhänger<br />
mit Kettchen. Und der Wagen, in dem<br />
James Dean gestorben war, wurde kunstvoll<br />
in 500 000 Metallschnipsel zerlegt, die<br />
in wenigen Tagen als Reliquie verscherbelt<br />
wurden.<br />
Reliquienartige Verehrung genoss auch<br />
ein so triviales Ding wie der Teddybär.<br />
Dem Bärenkult waren Menschen aller<br />
Alters- und Bildungsstufen verfallen. Die<br />
putzigen Tierchen traten in epidemischem<br />
Ausmass als <strong>Glück</strong>sbringer auf. In der<br />
Wohnung beanspruchten sie einen Ehrenplatz<br />
auf dem Sofa, im Auto baumelten sie<br />
vom Rückspiegel. Sie wurden als Verlobungsgeschenke<br />
überreicht, «oder besser<br />
zum Zeichen, dass man miteinander<br />
schläft». Teddybären schenkte man<br />
nicht einfach so, sondern um zu zeigen,<br />
«dass es einem vollkommen<br />
ernst war». Ein Teddy besass mehr<br />
Verbindlichkeit als ein Ehering.<br />
Warum ist der Mensch des ausgehenden<br />
20. Jahrhunderts immer noch empfänglich<br />
für Magisches ? Warum klopfen<br />
wir auf Holz, vermeiden es, unter Leitern<br />
durchzugehen, und freuen uns riesig,<br />
wenn wir zufällig ein vierblättriges Kleeblatt<br />
finden ? Möglicherweise, weil es in<br />
der rationalisierten, durchorganisierten,<br />
globalisierten Welt keine Refugien mehr<br />
für die Phantasie gibt. Oder weil es<br />
tröstlich ist, zu denken, dass sich<br />
über unseren Köpfen nicht nur das<br />
Ozonloch und die Marssonde<br />
Voyager befinden, sondern irgendeine<br />
höhere Macht. Vielleicht aber auch, weil<br />
wir wollen, dass es einen Sinn hat<br />
zu sagen: «Viel <strong>Glück</strong> ! Good luck !<br />
Bonne chance !»<br />
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CREDIT SUISSE BULLETIN 6 |99